Karl Söhle
Musikantengeschichten
Karl Söhle

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Hannjochen

»Trrumtrumtrum! Trrumrrumtrum! Trrumtrumtrumtrumtrrrrrum!«

»Hürt jü woll, Hannjochen trummelt 'rum tau Schüttengill (Schützenfest). Furns rut nah buten in 't Vörschur, glieks kommt hei hier vörbi!

Zischend fährt die Stange mit dem glühenden Hufeisen in den Wassertrog, der Lehrjunge läßt den Blasebalg fahren, der Geselle lehnt den großen Hammer an den Amboß, und Meister, Geselle und Lehrjunge eilen hinaus. Und auch aus den Häusern gegenüber kommt alles vor die Haustür gerannt. Bis an die Gartenpforten stehen sie, voller Erwartung. »Hei kummt! Nä, kiek einer de Gören, wo dat um den ollen Hannjochen rönnt und jachert! An sine olle Trummel griept'n de verflixten Jungs!«

Sogar der feiste Apfelschimmel im Schmiedeschuppen, der wendet den Kopf nach der Straße, und er spitzt die Ohren, er schnuppert und er scharrt mit den Vorderhufen.

Da ist er, ein dicker, kurzgewachsener Mann, sechzig Jahre mag er alt sein. Die stramme Haltung verrät den alten Soldaten. Scharf nach auswärts setzt er die Füße; sie stecken in blank gewichsten Krempstiefeln. Die schwächlichen Teckelbeine befrachtet ein ansehnliches Leibgewölbe. Weitab vom Leibe in die freie Luft steht eine großmächtige, alte hannoverische Regimentstrommel, aus den Befreiungskriegen. Etwas nach links gerückt lagert sie auf. Manchen Sturm hat sie wohl erlebt, auch noch in ihrem Zivilleben: 74 kaum kann man den ursprünglich gelb und weißen Anstrich mehr erraten.

Wohl schon ein halbes Menschenalter ist Hannjochen der Trommelmeister der Hankensbütteler Schützenkompagnie. Die beiden Junitage des Schützenfestes, die bringen einmal im lieben langen Jahre Sonnenschein in sein jämmerliches Dasein. Seines Zeichens ist er Schneider – er flickschneidert herum bei den Bauern. Ach, und hat er mal ein paar Groschen Lohn in der Westentasche, schleunig quartiert er sich da im alten Stammgasthause ein, und zwar im Pferdestalle, und so lange, bis er den letzten Pfennig vertrunken, bis er seinen Rausch ausgeschlafen hat und bis endlich die blasse Not seine zitterigen Hände zwingt, die Nadel wieder einzufädeln. In der Armenkate konnte oder wollte man ihn nicht aufnehmen, und sonst muß der arme Teufel bei den Bauern reiheum einliegen. Wenn er sich abends auf dem Halbboden über'm Kuhstall zu seinem Strohlager hingetastet hat, da reißt er sich seinen alten zusammengeflickten Lederholster von der Schulter, er schmeißt ihn vor sich nieder, und zuletzt spuckt er ihn verächtlich an. Doch so wütig Hannjochen den Holster und Bügeleisen, Schere und Nadeldose darin haßt, so zärtlich liebt er die andere Hälfte seines Vermögens: liebt er seine Trommel, liebt er seine Soldatenmütze und seine Krempstiefel. – In jungen Jahren hatte Johann Joachim Grüttekorn bessere Tage gesehen, o weh, aber die ehrsame Schneiderei war dem aufgeweckten jungen Manne nach seiner Rückkehr vom Militär gründlich verleidet. Er mußte immerfort an den Glanz seiner Soldatenzeit im Leibregiment sehnsüchtig zurückdenken. Darüber kam er ins Bummeln, und er suchte Trost im Branntwein. Und so ging's schnell mit ihm 75 bergab. Von seiner Verheiratung hatte man wohl noch Rettung erhofft. Die junge Frau verstand zu wirtschaften, und sie wußte den Hannjochen gut zu leiten. Doch Sorgen und Krankheit hatten Viechens Gesundheit schnell untergraben, und mit dem Kindbett war das Elend gekommen im Geschwindschritt. Sein Viechen, ja, das hatte er geliebt! Und Hannjochen verlor dann gänzlich Anker. Doch schon lange freilich ist's her, Viechens Grab, ach, das ist längst versunken und vergessen auf dem Friedhofe, und es ist von Unkraut dicht überwuchert, von Brombeergestrüpp, ach Gott, schon so manches Jahr.

Hurra, morgen ist Hankensbütteler Schützenfest, Hannjochen trommelt herum! Sein gedunsenes Gesicht, heute ist's tiefernst, fast feierlich. Die tiefliegenden, stechenden Augen überschatten mächtige Brauen, buschig wie Schnurrbärte. Langsam borsten sie sich von Zeit zu Zeit empor bis an den Mützenschirm, und vom Kalbfell schweifen nun Hannjochens Blicke tiefverächtlich auf der Straße herum. sie suchen nach etwas fürstlich Großem. Kinder, Weiber – dergleichen Gehudel übersehen sie. Seine kühn gebogene Nase zwischen den stark geröteten, blauüberlaufenen Wangen, die gleicht einem einsamen Felsen in beständigem tiefen Alpenglühen. In einen zottigen Knebelbart spitzt sich der merkwürdige Kopf nach unten zu. Die Reste des grauen Haupthaares sind ökonomisch aus dem Nacken heraufgekämmt und mit Schmalz gut verklebt. Und darüber die alte verschossene hannöversche Militärmütze aus der Zeit des Königs Ernst August, die schillert metallisch in allen Farben.

»Täuw 'n Ogenblick, Hannjochen, ick schenk dick 'n Lütjen in« – 76

»Trrumtrumrumtrumtrrrrum!«

»Na nu? Wat? Hei gaht wohrhaftig hüte so an mine Smäd vörbi? Alle Johr hat hei doch süß bi't Rumtrummeln van mick einen annahmen?«

»Meister, denk' an de neie Organsatschon,« antwortet Willem, der Geselle, »denk' doch, wat dat vör 'n ollen Hannjochen tau bedüden hat. Wat unse neie Obberst is, Penzhorns Schorse (das plattdeutsche George), de Stellmaker, de is doch damit nu in de Reih' kamen. Un dat is wohr, Penzhorns Schorse, de verstaht da wat van, hei was doch Gefreiter in Celle bi de Säbenunsäbentiger. All gliecks verleden Harwst (vorigen Herbst), as hei frikamen was van 'n Kommiß, da hat hei seggt: ick will de Hankensbütteler ihre Schüttenkumpani zeitgemäß organisieren, wenn se mick nu su ihr'n Obbersten wählen. Dat hat hei seggt. Süh, Meister, un Wolters Luten, unse olle Obberst, de was doch all ümmer dat Obberstenspeelen satt und mäud, vanwegen sinen ollen Reißmatismus. Un 'ne ganze Koppel hat't versöcht, äwerst keiner hat't Kummandieren ornlich, as sick dat hürt, tauweg brocht. Sei wir'n all tau dösig dortau, Schaper-Hünten Christoffer und Hillmers Jehann Hinnerk und Fanehl-Heinemanns Guschen un noch wecke, 't güng mit 'n besten Willen nich. Penzhorns Schorse äwerst, de Stellmaker, ha, de hat jüm up de Versammlung tau Prauw dunn wat vörkummandiert, och ganz barbarschen – ludhals bröllt un flucht un schandiert hat hei, so as sick dat vör 'n richtigen Obbersten hürt, un furns hewwt sei 'n ok wählt. Un ok noch 'n tweeten Trummelmester – Tammbur, as Schorse seggt, hewwt wi jetzt, dat is Schülken Hermann, de Timmermann. Och, un wi hewwt ok noch 'n neien Tammburmajor: Menken Willem, de sall vörup gahn mit sine grooten 77 Plattfäute vör de Muskanten un jüm Teiken gewen. Süh, Meister, süh, un dat hat den ollen Hannjochen ganz hellschen wormt. ›Dat lat 'ck mick nich gefallen,‹ hat hei seggt. ›So 'ne Gemeinheit,‹ hat hei seggt, ›noch 'n annern Trummelmester, neben mick, mit so 'n lütjen, smallen preuß'schen Pannkauken vör de Mag, ha, da van sall ick min Trummeln nu vermißquemen laten?! Ha, un Menken Willem mit sine Plattfäut, de is mick 'n schöne Tammburmajor, nich mal bi de Ersatzreserv könen sei 'n bruken.‹ Dat hat hei seggt.«

»Ja, Meister,« fällt der Lehrjunge dem Gesellen darauf ins Wort, »un ick heww hürt, Meister, Hannjochen hat ok noch seggt: ›Ick will nu nich mehr,‹ hat hei seggt, ›ick will 'n Musche Obbersten mine Trummel an 'n Kopp smieten,‹ hat hei seggt, ›ick will 'n dörchschachten, mit mine Trummelstöck'. Ick mag nich as 'n ollen Hund up't Hankensbütteler Schüttengill upletzt noch min Gnadenbrot freten.‹ Dat hat hei seggt.«

»De arme olle Hannjochen, de olle Sünner, duren kann hei einen doch! Ja, de Minsch ward olt un mör. Ok dat blankste Isen fritt de Rost upletzt. – Na, nu rann an 'n Schimmel. Äha! brrr! nich so upböstig, Schimmel! Dat eine olle Isen man noch an 'n linken Hinnerfaut, denn Fierabend, Jungs, un morr'n un äwermorr'n fiert wie tausäm Schüttengill.«

* * *

»Stillgestanden! Das Gewehr auf de Schuller! Kehrtum marsch!«

Der Tambourmajor macht einen Stich in die Luft. Die Blasmeister haben ihre »Blasdinger« sicher im Griff, sie 78 haben die Kessel an den gespitzten Lippen. Freilich, Elvers' Christoffer mit seinem großen Bombardon, der hinkt nach, wie gewöhnlich: Rippenstöße von links und rechts – vom Tenor, vom Althorn, die weisen ihn gewohntermaßen zurecht.

Zum zweiten Male sticht der Tambourmajor kräftig zu. Die Musikanten blasen den König-Ernst-August-Marsch. Die Hankensbütteler Schützenkompagnie setzt sich in Bewegung.

Zunächst gilt es, den alten König von anno vorigem Jahr abzuholen. Dabei gibt es das erste große Traktament. Das ganze Dorf ist auf den Beinen. Vom Aufstellungsplatze unter den alten Ulmen und Linden am Spritzenhause zieht alles mit durch den Staub und Sonnenbrand. Es ist das beste Heuwetter, doch ruhig gehockt bleibt heute und morgen die Mahd. Neugierig blickt die Junisonne herab auf die Hankensbütteler Schützenkompagnie und ihren ungeheueren Troß. Lustig im Winde flattern die blumengeschmückten Fahnen. Stolz flattert voran die große gelbseidene mit dem weißgestickten Sachsenroß. Die Schatten der Troddeln und Bänder haschen sich auf den grell schwarz und weißen Ringen der neuen Scheibe, und die trägt gleich hinter den Fahnen der Scheibengucker, auf der Schulter, am durchgesteckten Weisestock. Rechts und links der Scheibe gehen mit Blumenstäben die beiden Schaffer, die sorgenvollen Finanzminister, und hinter diesen trippeln und wippeln drall und munter die Ehrenjungfrauen. Waffengeklirr ununterbrochen. Die Läufe all der verschiedenen Gewehre blitzen in der Sonne. Einläufige und zweiläufige, kurze Karabiner und lange Musketen, Büchsen, Vogelflinten. Frisch geölt sind die alten Perkussions-, die noch älteren Steinschlösser. Um die Schlösser der scharfgeladenen sind 79 in dicken Wulsten warnende Tücher geknotet. Aber in allen Mündungen stecken beruhigende Blumensträuße. Und welche Säbelmöglichkeiten! Goliathmäßige Kürassierschleppsäbel, aus den Befreiungskriegen von der englisch-deutschen Legion, spitzige, gerade Stecknadeldegen, Hirschfänger mit phantastischen Beschlägen, und dazu noch die verschiedensten Käsemesser vom Kommiß. Die Offiziersuniformen – welche Pracht! Und darauf die ehrenvollen Orden! Die zitrongelben Schärpen mit Goldfransen, die dick goldgestickten Epauletten, die generalsbreiten Goldstreifen an den Hosen, die kecken Roßschweife und grünen Litzen an den Tschakos!

Potz Wetter, und die neue Organisation! Er versteht seine Sache, der neue Oberst, das muß man schon zugeben! Großartig, wie alles klappt, wie flink die neugebildeten »Sektionen« immer ihre Wendungen machen, und das ist doch gar nicht so einfach und will alles geübt sein! Jede »Sektion« ist sechs Mann stark, jede hat extra ihren »Off'zier, Kapral, Schasanten«. Und wie prompt sämtliche unteren Kommandierenden des Obersten knatternde, giftschnauzige Kommandos nachsprechen, schnappig, beißwütig, es fährt den dämeligen Gemeinen nur immer so in die Rippen!

»Ganzes Bataillon halt, Front! Achtung, präsentiert's Gewehr! Unse König soll lewen! Sine Fru soll lewen, sine Kinner! Nochmal, und zum drittemnal fifat hoch! Hoch soll'n se lewen, dreimal hoch! Fifat hurra!«

»Wir lust'gen Hannoveraner
Sein wir alle beisammen,
Bier un Branntewein im Quartier,
Lust'ge Hannoveraner sei'n wir!« 80

In Jubelklängen fällt unermüdlich die Musik ein. Immer frisch von neuem Fanfarengeschmetter und Trommelwirbel.

»Prost – schenk in – mick 'n Glas Wittinger – mick 'n Glas Ülzener Brunbeier – mick 'mal 'n lütjen Kümmel – mick dormang mal Zuckerwater – hier, ick heww noch keinen Grog und Botterkauken hat – Du, Schasant, schäm dick wat, dick so de Jacken vull tau freten, lat mick ok mal rann – ha puh, de Döst bi de Hitt – noch 'n Glas Wittinger – ah, dat keuhlt ut!«

»Langt tau, Jungs, man feste griept tau, man ümmer supt ut, man festeweg dahl damit, ick tapp wedder vull, un ick hal ok noch Kauken 'rann!«

So gewinnt allgemeines Trinken und Kauen schnell die Oberhand und erstickt die Begeisterung und den edeln Schützenpatriotismus. Gläserklirren, Tellerklappern, Zapfen und Faßwälzen, Lippern, Schluppern, Schlürfen und Schlampen, Knirschen und Morschen – Heuschreckeneifer und -appetit. Einzelne leise Toastversuche finden nur ganz schwachen Anklang. Gründlich vor allem nehmen es die Musikanten wahr, ihre vom Blasen immer trockenen Kehlen ordentlich aufzuquellen und was die Kinnladen nur fassen wollen vom Butterkuchen erster Sorte zu schmausen. Potztausend, Schützenfest ist ja man einmal im Jahre!

»Prost, Hannjochen, da, drink ut. Wat, keinen Sluck, ok kein Ülzener Brunbeier – na nu, büst patschent, Hannjochen?«

»Lat mick, ick mag nicks van't Hankensbütteler Schüttengill, 't stinkt mick an. Lat, ick slah tau, ick lat mick hier nich vör 'n Lütjen bruken (necken)!«

»Herrjemine, Kinners, Pottsdeubel, dat hat wat tau bedüden, den Deuker, dat löppt nich gaud aff, de Welt 81 gaht unner: Hannjochen will keinen Sluck nich drinken up't Hankensbütteler Schüttengill!«

»Hannjochen, haste din Testament all makt, wer kriggt denn de olle groote Trummel?«

»Hä, ick glöw, sin neie Trummelkollege, de kriegt se, de Timmermann, hähä!«

Wütend fährt Hannjochen herum. Erschrocken weichen die Bauernburschen zurück. Mit den Trommelstöcken auf sie einhauend, bricht Hannjochen darauf sich Bahn, und er eilt hinaus.

»Hei grämt sick äwer de neie Organsatschon.«

»Äwer den annern Trummelmester.«

»Äwer den Tammburmajor.«

»Äwer de ganze Welt.«

»I wo, hei ward sick woll upletzt taufreden gewen un mit 'n Sluck trösten. Sei hewwt 'n ja noch alle Johr morr'ns ümmer in 'n grooten Grawen achter de Schiewenmur (Scheibenmauer) wedder funnen, un ümmer was hei prall vullsapen, och, un snorkt hat hei da ümmer as 'n Swien in 'n Meß.«

»Angetreten!« kommandiert der Oberst. Aufbruch und nun richtiger, stramm militärischer Aufmarsch. Der neue Oberst versteht keinen Spaß. Majestätisch schreitet vor den Ehrenjungfrauen der alte König, mit seinen silbernen Schildern, zwischen den Blumenstäben der Schaffer. Hinaus zum Wiethorn – zum Schützenplatze, geht's. Unter prachtvollen, blätterfrischen, alten Eichen, Ulmen und Buchen erhebt sich hier ein großes planenes Zelt.

Der Tambourmajor macht einen doppelten Ruckstich. Musikanten, verschnauft euch. Jetzt, ihr Trommelmeister, 82 zeigt eure Kunst. Wetter, und mein Hannjochen, der legt los! Man hört nur ihn. Der Zimmermann schwitzt Blut, in die Hände spuckt er fortwährend, mit aller Macht holt er aus über Schulter und Kopf, doch tonlos wie ein Kinderspielzeug klingt seine Trommel gegen Hannjochen seine. Einen verächtlichen Seitenblick nach dem andern wirft Hannjochen auf den kläglichen Konkurrenten, und dem Tambourmajor, den trampst er in die Hacken seiner großen Plattfüße, – aus Versehen: ihm rutscht vor Schreck jedesmal beinahe sein stolzer Tambourmajorstock aus der Hand.

»Krüzdeubel, de olle Hannjochen, wo vör Gewalt de hüte in't Geschirr gaht! Ganz bannig! Hei will sick wiesen.«

»Hannjochen is doch jüm allen äwer, wohrhaftigen Gott, so lang as hei noch hallwege sick rögen kann. De Timmermann, ha, de kann sick up 'n Proppen setten.«

»Äwerst hei is doch all 'n olen Knast. Hei hat sick balle dodsapen, sin Supen – 't ward ümmer leeger damit.«

»Verleden Johr is hei mit sine olle Trummel dreimal up 'n Rinnmarsch hennpoltert, un sei hewwt 'n dunn bi't Wietertrummeln an de Rockslippen van achter wißhollen.«

»Ja, ja, lange könnt wie 'n nich mehr bruken. Wie möt an Ersatz denken. Hei hat't ganz klauk so makt mit 'n tweeten Trummelmester un 'n Tamburmajohr – so hewwt sei't in Wittingen, in Knesebeck, in Emmen un äwerall –: hei is doch würklich 'n ganzen verflixten Kirl, de Stellmaker, un weit Bescheid! Den Deuker un wo hei kummandieren kann, au ganz hellschen, ganz mordschen, ganz 83 barbarschen, un allens up Hochdütsch, richtig so as bi'n Kommiß! Wolters Luten sin Krakeln dorgegen, all de drütte Off'zier achter öm, de könn' nicks nich mehr verstahn!« –

In Lust und Fröhlichkeit feiert ganz Hankensbüttel im Wiethorn Schützenfest.

Nach dem Ausmarsche war gleich das Königsschießen gewesen, der erste feierliche Akt. Es war schnell und glatt vonstatten gegangen. Niemand hatte sich feige gedrückt oder geschwindelt und daneben gehalten, aus Angst vor den Kosten des Königswerdens. Und der große Vollmaier Jürgen Drögemüller, aufrichtig und lange hatte er gezielt. Und krach: endlich drückte er ab. Sofort war der Scheibengucker mit der Mütze an der Scheibe: hurra hoch, im Zentrum saß die Kugel! Da hatte Jürgen Drögemüller, ohne mit der Wimper zu zucken, stolz und mit lauter Stimme erklärt: »Meine Herr'n Schaffer, ick nehme de Königswürde an!« Das war groß und erhebend gewesen!

Nach dem Ernst des Dienstes hatte das Vergnügen seinen Anfang genommen. Geschmaust und getrunken, getanzt und gejuchheit wurde, bis ins keusche Licht der Morgensonne hinein. Die Musikanten hatten gefiedelt und geblasen ihre besten Schottschen, Rutscher, Rheinländer und Walzer und dazwischen den Dreitritt, den Siebensprung, den Windmüller, die Hubelbank, den Voß vör de Eggen; und ferner »Wo gaht de Weg nah Halle«, »Sara. din Rock sackt dahl«, »Stiebel mußt sterben«, »Van Hamborg gaht 't nah Ritzebüttel«. Zuletzt hatten sie 's nicht mehr so genau genommen. Die Klarinette quietschte ja die Melodie immer mit: so konnte die erste Violine getrost mal absetzen und nach dem Glase greifen. Und was brauchte auch das Althorn Takt für Takt immer sein Nött-Nött zu tuten, 84 die zweite Geige kratzte ja so ziemlich dasselbe. Barmherzigkeit, und Elvers' Christoffer mit seinem Brummbasse! Zuletzt runkste er immer über zwei Saiten zugleich, und alle Rippenstöße und Ermahnungen wollten nichts mehr helfen. Als die Musikanten mit dem unwiderruflich Allerletzten unverschämt schnell zu Ende gekommen waren, da zählte der Schützenhofwirt alle die geleerten Fässer noch einmal genau durch, einige vollgetrunkene Burschen las er darnach auf und schmiß sie hinaus, endlich machte er in Ruhe Kasse und schloß die Bude zu.

Danach der zweite Schützenfesttag, der Haupttag, in vollem Glanze hatte er begonnen. Allein während der Mittagsruhe verlor die Sonne plötzlich ihre gute Laune, sie hielt sich ein graues Taschentuch vor, und wenn schon einmal ihr Auge aus den Falten hervorsah, da war der Blick stechend, versengend. »Ah, puh, hüte giwwt noch wat! De geilen Wulken baben. Wo swul dat is un brüttig, un wo de ollen Fleigen stekt! Schade um't Hau. De Schüttenhoffwirt makt sine Reknung, dat suppt bi de Glut, as de Karpen up 'n Drögen.«

Hannjochen hatte heilig geschworen, keinen Tropfen wolle er trinken, aus Rache und Hohn. Der neue Oberst mit seinen dämlichen und verdamigten Neuerungen, ha, der! Er werde sicherlich das Hankensbütteler Schützenfest bald zugrunde richten, und überhaupt mit dem früheren Glanz wäre es schmählich vorbei. Aber leider, so stark er auch im Geiste, sein Fleisch wurde schwach und immer schwächer, nachdem »Abgetreten« kommandiert war. –

Hannjochen kommt in einem kleinen Bogen dem Schenktische näher. »Prost, Hannjochen!« Schorse Niebur, der erste Fahnenträger mit Offiziersrang – er trägt schon viele 85 Jahre die großartige Gelbseidene mit dem springenden Sachsenroß – der winkt ihn heran, und er hält ihm einen Pastoren hin. »Sup 'n dahl, olle Bengel. I watt, man ümmer kregel (vergnügt). Du büst jüm allen äwer. Keiner kann gegen dick an. De Timmermann, pah, de trummelt as 'n Lammerstahrt. Da, nimm, griep tau, ick mudd henn un mine Fahne rutsteken.«

Hannjochen hält das volle Glas bebend gefaßt. Es tröpfelt über den Rand. Wie glühende Kohlen fühlt er die Tropfen auf der Hand. Verglasten Blickes starrt er ins Glas. Die Menschen um ihn, Bäume, Steine, Gras und Blumen am Boden lockern sich auf, heben sich empor, und alles, alles beginnt zu kreisen um das Glas, immer schneller und schneller, in rasender Schleuder. Ach, und der Duft, der Duft! Blitzschnell fährt das Glas an die Lippen. Auf einen Zug, in ächzender Gier ist es geleert. Hannjochen stiert ins leere Glas. Er zittert wie Espenlaub, seine Knie schlottern, seine Zähne klappern, seine Lippen lechzen in glühender Qual nach einem zweiten, dritten Glas. Teufelskrallen halten ihn am Schenktische fest.

»Man glieks noch einen in tappen för 'n ollen Hannjochen, ick betahl,« ruft Schuster Kleefuß.

»Du kannst dine Groschens beter bruken, Schauster,« überschreit ihn Bensen Willem, der Schlosser, und seine harte Faust bummst auf die eichene Tischplatte, daß die Gläser klirren. »Ick bün an de Rege, ick betahl för 'n Hannjochen. – So, so, Hannjochen, so nu trummel einen up, mak dinen Koppslag un den Fangslag un den grooten Königswirbel. Trügge, gaht achter weg, dat hei sick rögen kann. Hei mudd irrst ornlich wat inbott (eingeheizt) hewwen, hei mudd irst brennen inwennig, dunn kann hei richtig.« 86

Hannjochen rafft sich zusammen, er setzt sich in Positur, kerzengerade, er drückt die Knie durch, er rollt seine Augen, auf und nieder borsten sich die Brauen, er schnaubt und schnieft, er ächzt und stöhnt.

Vorgerückt an die Waterloosäule. Zur Parade formiert das Bataillon. Achtung! Die Hymne schmettert, Trompeten. Tambours, den Wirbel geschlagen. Er kommt an die Front, der König. Lang lebe der König! »Radadomm, Radadomm, Radadadadadadadadomm!«

Empor, über die Eichen, in die Wolken hin! Hoch, hoch die Klöppel geschwungen! »Dommradadadadom!«

Sturm, Einhauen, Feuer, Eisen und Blut! »Radadadadadadadomm!« Und Sieg, Sieg oder Tod! »Brrrrrrrrrom!«

Hannjochen läßt die Arme sinken. Erschöpft lehnt er sich an die Wand. Bedacht und zögernd, einer hinter dem andern, werfen die Bauern ihm Kupfermünzen aufs Trommelfell.

Kurz militärisch grüßend, schwankt er darauf nach einer Bank im hintersten Winkel des Zeltes, schlaff und gebrochen, die große Trommel baumelt ihm zwischen den Beinen hin und her, daß die Münzen durcheinanderklirren auf dem Fell.

Regungslos starrt er auf der Bank vor sich nieder. »Judasgroschen! Weich von mir, Satan!« – Ei, so zähl' doch endlich zusammen, wie viel macht's denn, wie viele Ha'w Ösel (Halbe Nösel)? Ja, wittere nur hinüber, der laue Duft, bis hierher kann man ihn riechen. Im Duft vom Schenktisch einzig Labung, Balsam, Trost und Wonne und Seligkeit. O Gott, die Qual ist fürchterlich! Wozu hinhalten, erhebe dich, fix hin: lösche den Brand. Und 87 den Königswirbel dann wieder geschlagen. Laß rasseln und prasseln die Klöppel, und deck damit zu des Herzens mahnend Pochen, den schauerlichen leisen Gleichtakt, deck ihn zu damit, deck ihn zu! Schnell, streiche zusammen das Geld, und geh. – Du zauderst? Sieh, langsam, langsam rückt es dir näher, und es winkt dir. Sieh, die Finger, dünn sind sie und schmal und gelb sind sie wie Wachs, blau die Nägel, der Arm ein hohler Knochen. Schau hin, Hannjochen. Und nun, du, kennst du's wohl, das Antlitz? Erloschen sind die Augen, auf den eingedorrten Wangen, sieh, die Flecken, und noch immer glührot sind sie, die schrecklichen Flecken. – »Viechen, heww Erbarmen. vergiww, dat dat allens so kamen is! Rutstött ut unse Hüsung hewwt sei mick. Man blot noch 'n beten Flickarbeit heww ick, bi de Buren, Viechen, un süß wieter heww ick nicks nich up de Welt as mine olle Trummel. Och, mine olle Trummel, de is ja min einzigste Trost! – Viechen, Hankensbütteler Schüttengill is hüte! Gott, dunntaumal: unse erste Danz, och, so jung du, so schön, so leiw, so gaud, so hell dine Ogen, so frisch de Rosenbusch an dine Bost! Vörbi, vörbi! – Weg, lat sin, deck tau, deck tau: wo gräsig, unse Kind – noch ümmer in Krämpfen, un is doch dod, lange dod! De lütje Sarg – mak furns den Deckel wedder tau! Dod, dod is ja allens, dod un tau Enn! – – Ick heww alle Schuld, seggt de Lüd'. De Brannwien –. Dat sünd Lägen, verfluchte, utgestunkene Lägen! – – – Viechen, ick mag nich mehr, ick will ut de Welt. Mit't Hankensbütteler Schüttengill is't vörbi, un ick bün tau nicks nich mehr wat nütt! Kiek weg, Viechen, erbarm dick, kiek weg! Lägen sünd't, Lägen! Viechen, wohrhaftig, ick will 'n annert Lewen anfangen, dat will ick, van morr'n aff, wohrhaftigen Gott, 88 dat will ick, dat will ick! Morr'n, Viechen! Blot hüt' man noch einen – 'n Ha'w Ösel, blot hüt noch, nüms nich drink ick einen wedder!«

* * *

Grelle Blitze und fürchterliche Donnerschläge, Sturm und Regen. Eine wahre Sintflut bricht über das Hankensbütteler Schützenfest herein. Wie aus Mollen gegossen, strömt der Regen gleichmäßig fort auf die Eichen des Wiethorns und auf das Zelt unter ihnen. Lange hatte man darin getrotzt und hatte das Fiedeln und Gniedeln, das Dudeln und Tuten, das Schleifen, Rutschen, Trampeln, Stampfen, Juchzen ungestört seinen Fortgang genommen. Als aber mit entsetzlichem Krach der Blitz ganz nahe dem Zelte in eine Eiche fährt, da ist mit einem Schlage, wie ein umfallender gedeckter Tisch, Musik und Lustbarkeit verstummt. Um den mit Brettern überdachten Schenktisch drängt sich alles zusammen, nach Überwindung des ersten Schreckens. Vom durchweichten Laken oben tropft es nieder, an hundert Stellen. Große Wasserlachen stehen auf dem Tanzboden. Heringsköpfe, Blumen, bunte Bänder, Zigarrenstummel schwimmen darin herum. Trüb flackern die Funzeln durch den Staub, durch den Tabaksqualm, durch den Bier- und Schnapsdunst! Seufzen, Schimpfen und Lamentieren, Drängen und Schuppsen, kreischende Mädchen und vereinzelter Bauernburschen gezwungenes Juchzen. Drückende, atemberaubende Stickluft. Eiskalte Zugluft dann wieder durch die Lukenritzen macht die Glieder bis auf die Knochen erschauern. Fürwahr, ein trauriges Ende hat das Hankensbütteler Schützenfest genommen. 89

Der Schmied tritt an den Schenktisch und bestellt sich noch einen »Lütjen taun Affgewöhnen«.

»De Regen kummt in Druppeln, 't swänzt sick up, äwer de Wüschen« ruft ihm von der Tür Willem, der Geselle zu. Der hatte sich kühn hinausgewagt, um nach dem Wetterstand zu forschen.

»Hm, unse Schüttengill is nu doch för de Poggen,« brummt der Meister, »is ja allens dörchfucht, ick heww kein drögen Fahmt mehr an 'n Liew. Na is ja ok all lad naug (spät genug), buten is ja binah all lichte Dag.«

Und kopfschüttelnd und seufzend erzählt ihm darauf Willem, der Geselle: »De arme olle Hannjochen, nu is 't vörbi mit öm. Affsett hat 'n de Obberst!«

»I Gott bewohr, woso? Wo is denn dat kamen?«

Von allen Seiten treten sie neugierig näher heran, immer mehr Zuhörer versammeln sich um Willem, den Gesellen, und der erzählt:

»Hannjochen was hellschen dune, hüt abend, bi 'n Hauptrinnmarsch mit 'n König. Fiefmal is hei up de Schassee mit sine olle Trummel jüm vör de Fäute hentrudelt, un de ganze Kumpani was upletzt vertüdert, allens rönn dörch'nanner. Un all sin Bröllen un Kummandieren hat den neien Obbersten nu nicks nich mehr wat hulpen. Un ›Ganzes Bataillon halt!‹ hat hei kummandiert upletzt. Un den ollen Hannjochen hewwt sei dunn bi 'n Kanthaken kregen un wedder up de Fäut brocht, un drei Mann hewwt 'n achter an 'n Kragen wiß hollen. Un da hat de Obberst 'n lange scharp ankeken, un hei hat seggt: ›Tammbur Jehann Jochen Grüttekorn, ick erklär dir hiermit vor affgesetzt, vor ümmer, von wegen swere Besoffenheit in 'n Dienst, in 'n fünften swern Wiederhollungsfall. Platz, ausgetreten 90 Jehann Jochen Grüttekorn, Tammbur vor de Kumpani büst du gewesen! Schasant Meinke, Gemeiner Dralle, Gemeiner Fuhlboom, sett't den Mann beisiet in 'n Schasseegrawen!‹ Un da hat Hannjochen erst ne lütje Wiel in de Hucke seten, ganz puckstill. Un dunn äwerst hat hei sick an 'n Boom uprabbelt, un mitten up de Schassee hat hei sick henstellt und bröllt: ›Musche Penzhorn, du büst 'n gemeinen Schuft, du büst 'n ganzen erbärmlichen Schanöker, du Aas, du Lump, ick hau dick in Mudd, mit mine Trummelstöck', wenn ick dick tau faten krieg!‹ Un dunn hat Hannjochen mit alle Gewalt den Koppslag un den grooten Königswirbel trummelt, bet 'n Lock in't Fell was. Och, un dunn hat hei noch lange up sine olle Trummel seten, mitten up de Schassee, ganz puckstill wedder, un mit beide Hänne vör de Ogen. Un upletzt sall hei sick ja woll hier nah 'n Wiethurn trügg sleppt hewwen«

»Herrje, is dat wohr? Schad, schad um den ollen Hannjochen! Hei is tauschann, nu is't ut mit öm!«

»Kein Minsch weit, wo hei blewen is, hier hat 'n nüms wer tau seihn kregen.«

»Min Gott, hei is bi dat Weder doch nich buten blewen? Rut, rut, alltauhop, nah 'n Hannjochen tau säuken!« Und alles stürzt hinaus und streift in den Büschen herum.

Ein wahrer Wolkenbruch ist niedergegangen. Überall stehen Wassertümpel. Die ganze Heuernte ist hin. Die Wiesen und Gärten um den Wiethorn sind in große Teiche verwandelt. Abgerissene Schleusen, zerstörte Wegdämme, Geröll, Blätter, Baumzweige, Massen angetriebenen Heues. In allen Gräben steht bis hoch über den Rand weg das schmutzige, gischtige Rinnwasser. Der heiterste Himmel spiegelt sich nun darin. Köstlich bekommen ist ihm das 91 Sturzbad. Wolkenflöckchen, rosig umsäumt, schauen gleichgültig im gemächlichen Vorübersegeln die Verwüstung unten sich an. In wonnigstem Glanz brechen der Morgensonne Strahlen durch die nassen Zweige der Wiethornbäume – »neigt euch entgegen uns, wir trocknen den Schaden, es war ja nur Spaß.«

»Süh, süh dor, wat swemmt dor in 'n grooten Grawen achter de Schiewenmur, is 't nich de Städ, wo Hannjochen Schüttengill süß ümmer utslapen hat?«

»As ick't mick dacht heww: 't lett ganz so as sine olle Trummel.«

Es ist wirklich Hannjochens Trommel. Wohlig wiegeln die Wellen die leichte, luftige Last hin und her. Und schnell nun eine Stange herbei, von den Weiden rasch einen Zweig heruntergeschnitten! Nicht lange brauchen die Leute zu suchen. Ein paar Schritte weiter, am Grund, unter den drei alten moosborkigen Erlen, da haben sie den Hannjochen gefunden.

 


 


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