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3. Kapitel. Gesellschaft und Beispiel

Sage mir, wen du bewunderst, und ich will dir sagen, wer du bist.

Sainte Beuve.

Die natürliche Erziehung des Hauses übt auf das spätere Leben einen Einfluß aus, der niemals ganz verschwindet. Aber im Laufe der Jahre kommt die Zeit, wo nicht das Haus mehr ausschließlich die Bildung des Charakters beeinflußt, sondern wo es mehr und mehr durch die methodische Erziehung der Schule und die Gesellschaft von Freunden und Kameraden ersetzt wird, welche den Charakter fortgesetzt durch den mächtigen Einfluß des Beispiels bilden. Junge wie alte Leute, und die jungen noch mehr als die alten, ahmen unwillkürlich diejenigen nach, mit denen sie zusammenleben. George Herberts Mutter pflegte zur Belehrung ihrer Söhne zu sagen: »Gerade so wie unser Körper je nach der Nahrung, die wir zu uns nehmen, gut oder schlecht genährt ist, so nimmt unsere Seele ganz unmerklich durch das Beispiel oder die Unterhaltung guter oder schlechter Gesellschaft Tugenden oder Laster an.«

Es ist in der Tat ganz unmöglich, daß das Zusammenleben mit den Menschen um uns auf die Dauer ohne einen mächtigen Einfluß auf die Bildung des Charakters bleibe. Denn die Menschen besitzen von Natur aus den Trieb zur Nachahmung, und alle Leute werden mehr oder weniger durch Sprache, Benehmen, Gang, Gebärden und sogar durch die Denkart ihrer Gefährten beeinflußt. »Ist das Beispiel nichts?« sagte Burke. »Es ist alles. Das Beispiel ist die Schule der Menschheit und sie wird in keiner andern etwas lernen.« Burkes berühmtes Motto, das er dem Marquis von Rockingham ins Stammbuch schrieb, lautete: »Erinnere dich – ahme nach – beharre.«

Die Nachahmung geschieht meist so unbewußt, daß ihre Wirkung fast unbeachtet bleibt, wenn auch ihr Einfluß nicht weniger andauernd ist. Sie fällt nur dann ins Auge, wenn eine Natur von großer Einwirkungskraft mit einer empfänglichen Natur in Berührung kommt. Doch üben auch die schwächsten Naturen einen gewissen Einfluß auf ihre Umgebung aus. Beständig findet eine Annäherung von Gefühlen, Gedanken und Gewohnheiten statt, und die Macht des Beispiels wirkt unaufhörlich. Emerson hat bemerkt, daß alte Ehepaare oder Leute, die eine Reihe von Jahren Hausgenossen waren, allmählich einander ähnlich werden, so daß sie, wenn sie lange genug zusammenlebten, schließlich kaum zu unterscheiden sein würden. Aber wenn dies für die Alten gilt, wieviel mehr muß es für die Jugend gelten, deren bildsame Naturen um so viel mehr empfänglicher und geneigter sind, das Gepräge des Lebens und der Unterhaltung ihrer Umgebung anzunehmen.

»Es ist schon sehr viel über Erziehung gesagt worden,« bemerkt Sir Charles Bell in einem seiner Briefe, »aber man hat anscheinend das Beispiel außer acht gelassen, welches doch wesentlich ist. Meine beste Erziehung war das Beispiel, das mir meine Brüder gaben. Bei allen Gliedern unserer Familie fand sich Selbstvertrauen, Selbständigkeit, und durch Nachahmung erwarb auch ich es.«

Es liegt in der Natur der Dinge, daß die Umstände, welche den Charakter bilden, ihren grüßten Einfluß in der Periode des Wachstums ausüben. Mit dem Vorrücken der Jahre wird das nachgeahmte Beispiel zur Gewohnheit und allmählich so fest begründet, daß wir ihr, ehe wir es erkennen, gewissermaßen unsere persönliche Freiheit opfern.

Man erzählt von Platon, daß er einen Knaben tadelte, weil dieser an einem törichten Spiel teilnahm. »Du tadelst mich wegen einer Kleinigkeit,« sagte der Knabe. »Aber die Gewohnheit,« versetzte Platon, »ist keine Kleinigkeit.« Eine üble Gewohnheit ist solch ein Tyrann, daß der Mensch sich bisweilen von ihr nicht freimachen kann, obgleich er sie verwünscht. Er ist der Sklave seiner Gewohnheiten geworden, deren Macht er nicht zu widerstehen vermag. Daher sagte Locke, daß es eine der Hauptaufgaben moralischer Disziplin bleiben müsse, jene Kraft des Geistes zu schaffen und zu behaupten, welche imstande ist, die Macht der Gewohnheit zu besiegen.

Obgleich vieles an der Erziehung des Charakters durch das Beispiel spontan und unbewußt ist, braucht doch die Jugend nicht ihre Umgebung getreu nachzuahmen und ihr alles nachzubeten. Ihr eigenes Betragen, noch weit mehr als das ihrer Kameraden trägt dazu bei, den Willen zu festigen und die Grundsätze ihres Lebens zu bilden. Jeder besitzt in sich eine Kraft des Willens und freien Handels, die, wenn sie mutig angewendet wird, ihn in den Stand setzt, seine Freunde und Gefährten nach eigenem, individuellem Geschmack zu wählen. Nur aus Willensschwäche werden junge wie alte Leute die Sklaven ihrer Neigungen oder verfallen in servile Nachahmung anderer.

Es ist ein altes Sprichwort, daß man die Menschen an ihrem Umgang erkennt. Der Mäßige befreundet sich nicht mit dem Trunkenbold, der Gesittete nicht mit dem Rohen, der Anständige nicht mit dem Ausschweifenden.

Der Umgang mit sittlich tiefstehenden Personen beweist einen gemeinen Geschmack und ausschweifende Neigungen, und wer ihre Gesellschaft häufig aufsucht, verfällt einer Erniedrigung des Charakters. »Die Unterhaltung solcher Leute ist höchst schädlich,« sagt Seneka; »denn wenn sie auch nicht unmittelbar Schaden bringt, so bleibt doch die Saat in unserem Geiste und folgt uns, auch wenn wir die Leute verlassen haben – ein Pestkeim, der später verderbenbringend aufgeht.«

Wenn junge Leute verständig beeinflußt und geleitet werden und auch ihren eigenen freien Willen ausüben, so werden sie die Gesellschaft solcher Leute suchen, die besser sind als sie selbst, und sich bemühen, ihrem Beispiel zu folgen. In Gemeinschaft mit Guten finden werdende Naturen ihre beste Nahrung, während Gemeinschaft mit Bösen nur Übles hervorbringt. Es gibt Leute, die kennen zu lernen soviel bedeutet wie sie lieben, verehren, bewundern, und andere, die wir sofort fliehen und verachten. Lebe unter Leuten von edlem Charakter, und du wirst dich erhoben und erleuchtet fühlen. »Lebe unter Wölfen,« sagt das spanische Sprichwort, »und du wirst das Heulen lernen.«

Der Umgang mit mittelmäßigen, selbstsüchtigen Leuten kann sich als höchst schädlich erweisen, weil er zu einem trockenen, langweiligen zurückhaltenden und selbstsüchtigen Geiste führt, der wahrer Männlichkeit und Charaktergröße feindlich ist. Der Geist verliert sich bald auf schmalen Pfaden, das Herz wird eng und beschränkt, wird schwach, unentschlossen und schwankend, was großartigem Streben und wahrer Auszeichnung verderblich ist.

Andererseits ist der Verkehr mit Personen, die weiser, besser und erfahrener sind als wir, mehr oder weniger anspornend und kräftigend. Sie erhöhen unsere Kenntnis vom Leben. Wir korrigieren unser Urteil nach dem ihrigen und nehmen teil an ihrer Weisheit. Wir erweitern unsern Horizont um das, was sie sehen, ziehen Nutzen aus ihrer Erfahrung, und lernen nicht nur aus dem, was ihnen Freude bereitete, sondern auch, was noch lehrreicher ist, aus dem, was sie erduldet haben. Wenn sie stärker sind als wir, so nehmen wir teil an ihrer Stärke. Daher hat der Umgang mit klugen und energischen Naturen stets einen sehr wertvollen Einfluß auf die Bildung des Charakters. Er vergrößert unsere Hilfsquellen, stärkt unseren Willen, erhöht unsere Ziele und setzt uns in den Stand, sowohl unsere Angelegenheiten mit größerer Gewandtheit und Geschicklichkeit zu leiten, als auch andern wirksamere Hilfe zu leisten.

»Ich habe oft tief bedauert,« sagt Frau Schimmelpenninck, »daß ich durch meine einsame Jugend so viel verlor. Es gibt keine schlechtere Gesellschaft für uns, als unser ungebessertes Ich. Wer allein lebt, bleibt nicht nur unwissend hinsichtlich der Mittel, seinen Mitmenschen zu helfen, sondern auch in der Erkenntnis seiner Mängel, die der Abhilfe bedürfen. Ein Zusammenleben mit andern, das noch einsame Stunden der Zurückgezogenheit gestattet, kann einem Individuum reiche und mannigfaltige Erfahrungen gewähren; und die so erweckte Sympathie wird, wenn sie auch, anders als die Barmherzigkeit, draußen beginnt, nicht verfehlen, reiche Schätze heimzubringen. Der Umgang mit andern ist auch förderlich, unseren Charakter zu stärken und uns in den Stand zu setzen, unsern Weg weise und gut zu verfolgen, während wir unser vornehmstes Ziel nicht aus den Augen verlieren. Eine glückliche Beeinflussung, ein rechtzeitiger Wink oder der gütige Rat eines redlichen Freundes kann dem Leben eines jungen Mannes eine vollständig neue Richtung geben.

Dr. Paley zeichnete sich als Student auf dem Christ-College (Cambridge) sowohl durch seine Klugheit als auch durch seine Unbeholfenheit aus und war gleichzeitig der Liebling und die Zielscheibe des Witzes seiner Kameraden. Obgleich er große natürliche Anlagen besaß, war er unbesonnen, träge und verschwenderisch und beim Beginn seines dritten Studienjahres hatte er verhältnismäßig wenig Fortschritte gemacht. Nach einer wie gewöhnlich durchzechten Nacht sah er am folgenden Morgen einen Freund an seinem Bette stehen. »Paley,« sagte dieser, »ich habe nicht schlafen können, weil ich darüber nachdachte, was für ein Tor du bist. Ich habe die Mittel zur Verschwendung und könnte mir es erlauben, träge zu sein. Du bist arm und kannst dir's nicht leisten. Ich brächte wahrscheinlich nichts fertig und wenn ich's auch versuchte. Du kannst alles fertig bringen. Ich habe die ganze Nacht durchwacht und über deine Torheit nachgedacht, und ich komme jetzt, um dich feierlich zu warnen. Wenn du auf deiner Trägheit beharrst und so zu leben fortfährst, so muß ich auf deine Gesellschaft verzichten!«

Paley soll von dieser Ermahnung so mächtig bewegt gewesen sein, daß er sich von dem Augenblick an änderte. Er faßte einen ganz neuen Lebensplan und führte ihn mit beharrlichem Fleiße durch. Er wurde einer der eifrigsten der Studenten, überholte einen nach dem andern seiner Studiengenossen und war am Ende des Jahres der erste der Graduierten. Was er später als Schriftsteller und Theologe geleistet hat, ist genügend bekannt.

Keiner erkannte den Einfluß des persönlichen Beispiels auf die Jugend mehr als Arnold. Dies war der Haupthebel, den er anwandte in dem Bemühen, den Charakter seiner Schule zu heben. Zuerst ließ er es sein Bestreben sein, den führenden Knaben den rechten Geist einzuflößen, dadurch, daß er ihre guten und edlen Anlagen entwickelte; dann gebrauchte er sie als Werkzeuge, um denselben Geist unter den übrigen durch den Einfluß der Nachahmung, des Vorbildes und der Bewunderung zu verbreiten. Er bemühte sich, ihnen begreiflich zu machen, daß sie seine Mitarbeiter seien und mit ihm an der moralischen Verantwortlichkeit für die gute Leitung der Anstalt teil hätten. Einer der ersten Erfolge dieses hochsinnigen Systems war der, daß es die Knaben mit Stärke und Selbstachtung erfüllte. Sie fühlten, daß man ihnen vertraute. Es gab natürlich auch in Rugby schlechte Elemente wie auf allen Schulen; und es war die Pflicht des Lehrer, sie zu überwachen und zu verhindern, daß ihr böses Beispiel die anderen ansteckte. Bei einer Gelegenheit sagte er zu einem Hilfslehrer: »Sehen Sie diese beiden Knaben miteinander gehen? Ich sah sie noch nie beisammen. Sie müssen ganz besonders auf die Gesellschaft eines jeden Knaben achten: nichts zeigt so sehr die Veränderungen in dem Charakter eines Knaben an wie die Wahl ihrer Kameraden.«

Dr. Arnolds eigenes Beispiel war wie eine Inspiration, wie das eines jeden großen Lehrers. In seiner Gegenwart lernten die jungen Leute sich selbst achten, und aus der Wurzel der Selbstachtung erwuchsen die männlichen Tugenden. »Seine bloße Gegenwart,« sagt sein Biograph, »schien eine neue Quelle der Kraft und Gesundheit in ihnen zu erwecken und dem Leben ein Interesse und eine Gehobenheit zu geben, die noch andauerten, lange nachdem sie ihn verlassen hatten. Er wohnte als lebendiges Bild so beständig in ihrem Geiste, daß, als der Tod ihn hinweggenommen hatte, das Band noch fortzudauern schien und das Gefühl der Trennung fast in dem tieferen eines unzerstörbaren Lebens und Zusammenlebens unterging.«

So erzog Dr. Arnold eine Reihe mannhafter und edler Charaktere, die den Einfluß seines Beispiels in alle Teile der Welt verbreiteten.

Der Charakter ist in allen Lebenslagen von Bedeutung. Ein Mann von tüchtigem Charakter in einer Werkstätte wird für seine Genossen tonangebend sein und ihnen ein höheres Streben verleihen. So soll Franklin als Arbeiter in London die Manieren seiner ganzen Mitarbeiter verfeinert haben. Daher wird auch ein Mensch von schlechtem Charakter und geringer Energie seine Genossen unbewußt verderben und herabziehen. Kapitän John Brown – der »Vorwärts-Brown« – sagte einst zu Emerson, daß für einen Ansiedler in einem neuen Lande ein guter, zuverlässiger Mann mehr wert sei als hundert, ja tausend Männer ohne Charakter. Sein Beispiel wirkt so anziehend, daß alle anderen direkt und wohltätig von ihm beeinflußt werden und er sie unmerklich auf seinen eigenen Standpunkt energischer Tätigkeit heraufzieht und erhebt.

Verbindung mit guten Menschen bringt stets Gutes hervor. Der gute Charakter breitet seinen Einfluß immer weiter aus. »Ich war gemeiner Staub, bis man Rosen in mich pflanzte,« sagt das duftende Erdreich in einer orientalischen Fabel. Gleiches erzeugt Gleiches, und Gutes bringt Gutes hervor. »Es ist erstaunlich,« sagt Moselen, »wieviel Gutes durch Güte bewirkt wird. Weder Gutes noch Schlechtes bleibt allein, es bringt anderes Gutes oder Schlechtes hervor – und das wieder anderes und so fort: wie ein ins Wasser geworfener Stein, der Kreise hervorbringt, welche immer weitere verursachen, bis der letzte das Ufer berührt .... Fast alles Gute in der Welt ist, wie ich vermute, durch Überlieferung aus fernen Zeiten und oft unbekannten Zentren der Güte auf uns gekommen.« So sagt Ruskin: »Was von einem Übel stammt, erzeugt Übles und was von Tapferkeit und Ehre stammt, bringt Tapferkeit und Ehre hervor«.

Daher impft das Leben eines jeden einzelnen täglich den anderen sein gutes oder böses Beispiel ein. Das Leben eines guten Menschen ist zugleich die beredteste Lehre der Tugend und die schärfste Zurechtweisung des Lasters. Dr. Hooker beschrieb das Leben eines frommen Geistlichen aus seiner Bekanntschaft als »sichtbare Rhetorik,« die auch den Gottlosesten von der Schönheit der Güte überzeugte. Und so sagte der gute George Herbert, als er die Pflichten seiner Pfarrei antrat: »Vor allen Dingen will ich ein rechtes Leben führen, weil das tugendhafte Leben eines Geistlichen die mächtigste Beredsamkeit ist, um alle, die es sehen, zur Ehrfurcht zu bereden und wenigstens zu dem Wunsche, wie er zu leben. Und das will ich tun, fügte er hinzu, »weil ich weiß, daß wir in einer Zeit leben, die mehr Beispiele als Vorschriften braucht.«

Die Güte hat eine bezaubernde und zwingende Macht. Der Mann, der von ihr durchdrungen ist, ist der wahre Herrscher der Menschheit und zieht alle Herzen an. Als General Nicholson tötlich verwundet vor Delhi lag, sandte er seinem ebenso edlen wie tapferen Freunde Sir Herbert Edwards folgende Botschaft: »Sagt ihm,« sprach er, ich wäre ein besserer Mensch geworden, wenn ich beständig bei ihm gelebt hätte und wenn mich nicht schwere Pflichten verhindert hätten, ihn öfters zu besuchen. Ich fühlte mich immer gehoben, wenn ich bei ihm und seiner Frau, gleichviel wie lange, geweilt hatte. Überbringt beiden meinen Gruß!«

Es gibt Leute, in deren Gegenwart wir ein geistiges Ozon einzuatmen glauben, so erfrischend und kräftigend wie Bergluft oder wie ein Bad im warmen Sonnenschein.

Schon der Anblick eines großen Mannes ist oft wie eine Inspiration für die Jugend, die nicht umhin kann, der Sanftmut, Tapferkeit, Wahrheitsliebe und Großmut Bewunderung und Liebe zu zollen. Chateaubriand sah Washington nur einmal, aber er erhielt einen unauslöschlichen Eindruck. Nachdem er die Zusammenkunft beschrieben hat, sagt er: »Washington sank ins Grab, ehe sich an meinen Namen nur ein Schimmer von Berühmtheit geheftet hatte. Ich ging vor ihm vorüber als das unbekannteste aller Wesen. Er war in der Fülle seines Ruhmes, ich in der Tiefe meiner Verborgenheit. Mein Name blieb wahrscheinlich nicht einen Tag in seinem Gedächtnis, doch fühlte ich mich glücklich, da seine Blicke auf mich fielen. Sie wärmten mich mein ganzes Leben lang. Sogar im Blicke eines großen Mannes liegt eine Tugend.«

Als Niebuhr starb, sagte sein Freund Friedrich Perthes von ihm: »Was war das für ein Zeitgenosse! Der Schrecken aller Schlechten und Gemeinen, die Stütze aller Wahrhaften und Ehrlichen, der Freund und Helfer der Jugend.« Perthes sagte bei einer anderen Gelegenheit: »Einem mit Schwierigkeiten kämpfenden Manne tut es gut, sich von erprobten Kämpfern umgeben zu sehen; böse Gedanken werden in die Flucht geschlagen, wenn das Auge auf das Bild eines Menschen fällt, in dessen Gegenwart wir erröten würden, sie zu hegen.« Ein katholischer Geldverleiher pflegte einen Schleier über das Bild seines Lieblingsheiligen zu ziehen, wenn er betrügen wollte. Hazlitt sagte vor dem Bilde einer schönen Frau, es schiene ihm unmöglich, in ihrer Gegenwart eine häßliche Handlung zu begehen. »Es tut einem gut, auf sein männliches ehrliches Gesicht zu schauen,« sagte eine arme deutsche Frau, auf ein Bild des großen Reformators zeigend, das an der Wand ihrer bescheidenen Wohnung hing.

Sogar das in einem Zimmer aufgehängte Bild eines edlen oder großen Mannes ist eine Art Gemeinschaft mit ihm. Es gibt uns ein engeres persönliches Interesse an ihm. Wenn wir seine Gesichtszüge betrachten, glauben wir, ihn näher zu kennen und in engerer Beziehung zu ihm zu stehen. Es ist ein Band, das uns mit einer edleren und besseren Natur, als unsere eigene ist, verknüpft. Wenn wir auch weit davon entfernt sein können, den Standpunkt unseres Helden zu erreichen, so werden wir bis zu einem gewissen Grade dadurch gestützt und gestärkt, daß er sich im Bilde vor uns befindet.

Professor Inndall sprach von Faradays Freundschaft als »Energie und Begeisterung«. Nachdem er einen Abend mit ihm zugebracht hatte, schrieb er: »Seine Arbeit erregt Bewunderung, aber eine Berührung mit ihm erwärmt und erhebt das Herz. Das ist eine wahrhaft kräftige Natur. Ich liebe die Kraft, aber ich darf nicht vergessen, daß Faradays Charakter ein Beispiel für ihre Vereinigung mit Mäßigung, Zartheit und Sanftmut ist.«

Selbst die zartesten Naturen üben auf den Charakter anderer einen mächtigen Einfluß zum Guten aus. So scheint Wordsworth besonders von dem Charakter seiner Schwester Dorothea beeinflußt worden zu sein, die dauernd auf sein Herz und Gemüt einwirkte. Er bezeichnet sie als den Segen seiner Jugend und des Mannesalters. Obgleich sie zwei Jahre jünger war als er, trug sie sehr dazu bei, seine Natur zu bilden und seinen Geist dem Einflusse der Dichtung zu erschließen.

So werden die zartesten Naturen befähigt, durch die Macht der Liebe und der Vernunft den Charakter großer Männer zu bilden, die bestimmt sind, die Menschheit für alle Zeiten zu beeinflussen und zu erheben.

Sir William Rapier schrieb die früh betätigte Richtung seines Charakters zuerst dem Einflusse zu, den seine Mutter auf ihn ausübte, als er noch ein Knabe war, und dann als Mann dem edlen Beispiel seines Befehlshabers, Sir John Moore. Moore entdeckte frühzeitig die Fähigkeiten des jungen Offiziers; und Rapier war einer derjenigen, zu denen der General bei Corunna die aufmunternden Worte sagte: »Gut gemacht, Offiziere!« Als er an seine Mutter schrieb und den kleinen Hofstaat beschrieb, von dem Moore umgeben war, sagte er: »Wo können wir einen solchen König finden?« Hauptsächlich der persönlichen Anhänglichkeit Sir William Rapiers an seinen Chef verdankt die Welt sein großes Buch » The History of the Peninsular War«. Direkt veranlaßt zur Abfassung des Buches wurde er durch den Rat eines anderen Freundes, des verstorbenen Lord Langdale, auf einem Spaziergang über die Gefilde, wo heute Belgravia liegt. »Lord Langdale,« sagte er, »entzündete zuerst das Feuer in mir.« Und von Sir William Rapier selbst sagt sein Biograph mit Recht, daß »keine denkende Persönlichkeit mit ihm in Berührung kommen konnte, ohne von dem Genius dieses Mannes stark beeinflußt zu werden.«

Die Laufbahn des verstorbenen Dr. Marshall Hall war ein lebenslängliches Beispiel dafür, wie unter dem Einfluß eines Charakters Charaktere sich bilden. Viele noch lebende hervorragende Leute schreiben ihren Einfluß im Leben seinen Anregungen und seinem Beistande zu, ohne den sie manche Studien und Forschungspfade nicht oder wenigstens nicht so früh beschritten haben würden. Den jungen Leuten um ihn pflegte er zuzurufen: »Ergreift einen Gegenstand und verfolgt ihn recht, und es kann euch nicht an Erfolg fehlen.« Oft pflegte er einem jungen Freunde einen neuen Gedanken darzubieten, wobei er sagte: »Ich schenke Ihnen diesen Gedanken; er wird Ihnen Glück bringen, wenn Sie ihn mit Energie verfolgen.« Energie des Charakters hat immer die Kraft, in anderen die Energie zu erwecken. Sie wirkt durch das mächtige Agens der Sympathie. Der eifrige, tatkräftige Mensch zieht unbewußt andere mit sich. Sein Beispiel ist ansteckend und fordert zur Nachahmung heraus. Es geht von ihm eine Art elektrischen Stromes aus, der alle Nerven durchbebt, in die Naturen um ihn her flieht und Funken aus ihnen hervorlockt.

Dr. Arnolds Biograph sagt, als er von der Macht dieser Art spricht, die er über junge Leute ausübte: »Es war nicht so sehr enthusiastische Bewunderung für echtes Genie oder Gelehrsamkeit oder Beredsamkeit, die sich in ihnen regte, es war ein sympathischer Ton, der von dem Geiste angeschlagen wurde, welcher eifrig am Werk war in der Welt – dessen Werk gesund, ununterbrochen war und beständig in der Furcht Gottes fortgesetzt wurde – ein Werk, das sich auf ein tiefes Gefühl für die Pflicht und ihren Wert gründete«.

Wenn geniale Männer eine solche Macht ausüben, so erwecken sie Mut, Begeisterung und Ehrfurcht. Es ist diese lebhafte Bewunderung für Individuen – denn man kann sie sich nicht für eine Menge gehegt vorstellen – die zu allen Zeiten Heroen und Märtyrer hervorgebracht hat. So macht sich die Herrschaft des Charakters fühlbar. Er wirkt begeisternd, belebt und treibt die seinem Einflüsse unterworfenen Naturen an.

Große Männer strahlen in reichem Maße Kräfte aus, welche ihrerseits nicht nur solche in Bewegung setzen, sondern sogar übermitteln und schaffen. So hat Dante eine Reihe großer Geister erweckt und nach sich gebildet – Petrarca, Boccaccio, Tasso und andere mehr. Von ihm lernte Milton die Stiche böser Zungen und die Schmach übler Tage ertragen; und lange Jahre danach stimmte Byron, als er unter den Pinien Ravennas Dantes gedachte, seine Harfe zu erhabeneren Klängen, als er jemals versucht hatte. Dante wirkte anfeuernd auf die größten Maler Italiens – Giotto, Orcagna, Michelangelo und Raffael. So begeisterten sich Ariost und Tizian wechselseitig und erhoben einer des andern Ruhm.

Große und gute Männer ziehen andere nach sich, die spontane Bewunderung der Menschheit hervorrufend. Diese Bewunderung eines edlen Charakters erhebt den Geist und dient dazu, ihn von der Herrschaft der Selbstsucht zu befreien, die ein Stein des Anstoßes für moralische Verbesserung ist. Das Andenken solcher Menschen, die sich durch große Gedanken oder Taten ausgezeichnet haben, scheint – für den Augenblick wenigstens – eine reinere Atmosphäre in uns zu schaffen und unsere Ziele und Bestrebungen unwillkürlich zu erhöhen.

»Sage mir, wen du bewunderst,« sagte Saint-Beuve, »und ich will dir sagen, wer du bist, wenigstens was deine Talente, deinen Geschmack und Charakter betrifft.« Bewunderst du gemeine Menschen, so ist deine eigene Natur gemein. Bewunderst du die Reichen, so bist du von der Erde, bist irdischen Sinnes. Bewunderst du Männer von Rang und Namen, so bist du ein Speichellecker, ein Stellenjäger. Bewunderst du ehrliche, tapfere, mannhafte Menschen, so bist du selbst von ehrlichem, tapferen und mannhaften Geiste.

In der Jugendzeit, wenn der Charakter sich bildet, ist der Trieb zur Bewunderung am größten. Je weiter wir im Leben fortschreiten, desto mehr kristallisieren wir zu Gewohnheiten, und » Nil Admirari« wird allzuoft unser Motto. Es ist gut, die Bewunderung großer Charaktere zu ermutigen, so lange die Natur bildsam und für Eindrücke empfänglich ist; denn wenn die Guten nicht bewundert werden, so wird sich die Jugend – da sie Helden irgendwelcher Art braucht – die großen Schurken zum Vorbild nehmen. Daher freute es Dr. Arnold immer, wenn seine Zöglinge Bewunderung für große Taten äußerten oder voller Enthusiasmus für Personen oder auch nur eine schöne Landschaft waren. »Ich glaube,« sagte er, daß » Nil admirari« des Teufels Lieblingstext ist, und er konnte keinen bessern wählen, um seine Zöglinge in die dunkleren Teile seiner Lehre einzuführen. Ich habe immer einen Mann, der mit der Krankheit der Antiromantik behaftet war, als einen angesehen, der den schönsten Teil seiner Natur und seinen besten Schutz gegen alles Gemeine und Törichte eingebüßt hat.«

Es war ein schöner Charakterzug des Prinzen Albert, daß er immer bereit war, den guten Taten anderer Achtung zu zollen. »Er hatte die größte Freude daran,« sagte sein Biograph, »wenn jemand einen schönen Ausspruch tat oder eine gute Tat vollbrachte. Tagelang freute er sich dann und plauderte darüber; und ob der Ausspruch oder die Tat von einem kleinen Kind oder einem ergrauten Staatsmann herrührte, das tat seiner Freude keinen Abbruch. Er freute sich, wenn ein Mensch bei irgend einer Gelegenheit oder auf irgend eine Weise etwas Gutes tat.«

»Keine Eigenheit,« sagt Dr. Johnson, »wird einem Menschen mehr Freunde erwerben, als aufrichtige Bewunderung der Vorzüge anderer. Sie offenbart Großmut, Freimütigkeit, Herzlichkeit und freudige Anerkennung des Verdienstes.«

Die meisten jungen Leute von hochherziger Gesinnung haben ihre Helden, besonders wenn sie gern Bücher lesen. So legte einst Allan Cunningham, als er noch Maurerlehrling in Nithsdale war, den ganzen Weg nach Edinburg zurück, bloß um Sir Walter Scott zu sehen, wenn er durch die Straße ging. Wir müssen unwillkürlich die Begeisterung des Burschen bewundern und den Impuls achten, der ihn zu der Reise antrieb. Von Sir Josua Reynolds wird berichtet, daß er seine Hand durch die ihn umgebende Menschenmenge streckte, um Pope zu berühren, als ob in dessen Berührung eine besondere Kraft läge. Zu einer viel späteren Zeit war der Maler Haydon stolz darauf, Reynolds zu sehen und zu berühren, als er ihn in seinem Heimatsorte aufsuchte. Der Dichter Rogers erzählte von seinem heißen Wunsche, Dr. Johnson zu sehen, den er als Knabe hegte; aber als seine Hand auf dem Türklopfer des Hauses in Bolt Court lag, fehlte ihm der Mut und er kehrte um. Auch der verstorbene Isaak Disraeli sprach in Bolt Court zu demselben Zwecke vor; er hatte zwar den Mut anzuklopfen, wurde aber zu seiner Betrübnis von dem Diener benachrichtigt, daß der große Lexikograph vor wenig Stunden den letzten Atemzug getan hatte.

Andererseits können beschränkte und unedle Naturen nichts aufrichtig bewundern. Zu ihrem Unglück können sie große Männer und Taten nicht einmal erkennen, geschweige denn verehren. Eine gemeine Natur bewundert nur das Gemeine. Der Kröte höchstes Schönheitsideal ist die Kröte. Des kleinen Gecken höchster Begriff der Männlichkeit ist der große Geck. Der Sklavenhändler bewertet einen Menschen nach seinen Muskeln. Als Sir Godfrey Kneller zu einem Händler aus Guinea in Gegenwart Popes sagte, daß zwei der größten Menschen der Welt vor ihm ständen, antwortete er: »Ich weiß nicht, wie groß ihr seid, aber ihr gefallt mir nicht. Ich habe oft einen viel bessern Mann als ihr beide zusammen, ganz aus Knochen und Muskeln bestehend, für zehn Guinees gekauft.«

Obgleich Rochefoucauld in einem seiner Sinnsprüche sagt, daß auch an dem Unglück unserer besten Freunde etwas ist, was uns nicht ganz und gar unangenehm ist, so empfinden doch nur beschränkte und besonders gemeine Naturen Freude an der Enttäuschung und Ärger über den Erfolg anderer. Es gibt zu ihrem eigenen Unheil so beschaffene Leute, daß sie nicht das Herz für Großmut haben. Die Unangenehmsten aber sind die, welche »sitzen da die Spötter sitzen.« Leute dieser Art betrachten oft den Erfolg anderer, selbst in einem guten Werk, als eine Art persönlicher Beleidigung. Sie können es nicht ertragen, einen andern gelobt zu hören, besonders, wenn er zu ihrem Stand, Gewerbe oder Beruf gehört. Sie werden die Fehler eines Mannes vergeben, aber sie können es ihm nicht verzeihen, wenn er etwas besser macht als sie. Und worin sie selbst fehlten, darin erweisen sie sich als die unbarmherzigsten Richter.

Der gemeine Geist beschäftigt sich mit Bespötteln, Bekritteln und Splitterrichten, immer bereit, über alles zu höhnen, außer über freche Unverschämtheit und erfolgreiches Laster. Der größte Trost solcher Leute sind die Mängel charaktervoller Männer. »Wenn die Weisen nicht irrten,« sagt George Herbert, »so wären die Narren übel daran.« Aber obwohl der Weise von Toren lernen kann, dadurch daß er ihre Fehler vermeidet, so lernen Toren selten aus dem Beispiel, das Weise ihnen gegeben haben. Ein deutscher Schriftsteller sagte, daß nur eine erbärmliche Gesinnung sich bemüht, die Fehler in dem Charakter großer Männer oder großer Zeiten zu finden. Laßt uns sie lieber mit der Nachsicht Bolingbrokes beurteilen, der bemerkte, als man ihn an die bekannten Schwächen Marlboroughs erinnerte: »Er war so groß, daß ich darüber jenen Fehler ganz vergaß.«

Die Bewunderung großer Männer, seien sie lebend oder tot, ruft natürlich in mehr oder minder hohem Grade Nachahmung hervor. Schon als Jüngling wurde Themistokles durch die großen Taten seiner Zeitgenossen angefeuert, und er brannte darauf, sich im Dienste des Vaterlandes auszuzeichnen. Als die Schlacht bei Marathon geschlagen worden war, verfiel er in Melancholie und als ihn seine Freunde nach deren Ursache fragten, versetzte er: »Die Triumphe des Miltiades lassen mich nicht schlafen.« Wenige Jahre später sehen wir ihn an der Spitze des Athenischen Heeres, er schlägt die Perserflotte des Xerxes in den Schlachten bei Artemisium und Salamis – und sein Vaterland erkennt dankbar an, daß es durch seine Weisheit und Tapferkeit gerettet worden ist.

Von Thukydides wird berichtet, daß er als Knabe in Tränen ausbrach, als er Herodot seine Geschichte vorlesen hörte, und der Eindruck auf seinen Geist war so stark, daß er die Richtung seines eigenen Genies bestimmte. Demosthenes wurde gelegentlich so von der Beredsamkeit des Callistratus begeistert, daß in ihm der Ehrgeiz sich regte, auch ein Redner zu werden. Doch Demosthenes war körperlich schwächlich, hatte eine schwache Stimme, undeutliche Aussprache und kurzen Atem – Fehler, die er nur durch fleißiges Studium und unerschütterliche Entschlossenheit überwinden konnte. Aber trotz all seiner Übung wurde er nie ein Redner, der unvorbereitet sprechen konnte; alle seine Reden, auch die berühmtesten, verraten Anzeichen sorgfältiger Ausarbeitung – fast in jedem Satze ist die Kunst und der Fleiß des Redners sichtbar.

Ähnliche Beispiele, daß ein Charakter dem andern nachahmt und sich nach dem Stil, der Weise und dem Genius großer Männer bildet, findet man in der ganzen Geschichte. Krieger, Staatsmänner, Redner, Patrioten, Dichter und Künstler – alle sind mehr oder weniger unbewußt von dem Leben und den Taten derer beeinflußt worden, die vor ihnen lebten oder sich in Person ihrer Nachahmung darboten.

Große Männer haben die Bewunderung von Königen, Päpsten und Kaisern erregt. Franz von Medici sprach stets unbedeckten Hauptes mit Michelangelo, und Julius III. ließ ihn an seiner Seite niedersitzen, während ein Dutzend Kardinäle standen. Karl V, machte Tizian Platz, und als eines Tages der Pinsel der Hand des Malers entfiel, bückte sich Karl und hob ihn auf mit den Worten: »Ihr seid es wert, von einem Kaiser bedient zu werden.« Leo X. bedrohte alle mit der Exkommunikation, welche die Gedichte Ariostos ohne die Zustimmung des Dichters druckten oder verkauften. Derselbe Papst stand an dem Totenbette Raffaels, wie Franz I. an dem Leonardo da Vincis.

Obgleich Haydn einmal scherzhaft äußerte, daß er von allen geliebt und geachtet werde, ausgenommen von den Professoren der Musik, so waren doch gerade die größten Musiker stets bereit, der andern Größe anzuerkennen. Haydn selbst scheint von kleinlicher Eifersucht gänzlich frei gewesen zu sein. Seine Bewunderung für den berühmten Porpora ging so weit, daß er sich entschloß, sich Zutritt zu seinem Hause zu verschaffen und sein Diener zu werden. Nachdem er die Bekanntschaft der Familie gemacht hatte, in der Porpora lebte, betraute man ihn mit jenem Amte. Jeden Morgen bürstete er jetzt den Rock des alten Herrn aus, wichste seine Schuhe und brachte seine Perücke in Ordnung. Zuerst war Porpora über den Eindringling aufgebracht; aber sein Unwille besänftigte sich bald und ging sogar in Zuneigung über. Er entdeckte schnell das Genie seines Dieners und leitete ihn durch seinen Unterricht auf jene Bahn, auf welcher Haydn später solche Bedeutung erlangte.

Haydn selbst war ein begeisterter Bewunderer Händels. »Er ist unser aller Vater,« sagte er einst. Scarlatti folgte voll Bewunderung Händel durch ganz Italien und wenn sein Name genannt wurde, bekreuzte er sich zum Zeichen der Verehrung. Mozart zollte dem großen Komponisten nicht weniger herzliche Bewunderung. »Wenn Händel will,« sagte er, »so fährt er drein wie der Donnerkeil.« Beethoven pries ihn als den »König im Reiche der Musik.« Als Beethoven auf dem Sterbebett lag, sandte ihm einer seiner Freunde Händels Werke in vierzig Bänden als Geschenk. Sie wurden in sein Zimmer gebracht und sie mit sich wieder belebendem Auge anstarrend, rief er aus, mit dem Finger auf sie zeigend: »Hier – hier ist die Wahrheit!«

Haydn erkannte nicht nur das Genie derer an, die vor ihm lebten, sondern auch seiner jungen Zeitgenossen, Mozart und Beethoven. Beschränkte Menschen mögen auf ihre Genossen neidisch sein, aber wahrhaft große Männer suchen und lieben einander. Über Mozart schrieb Haydn: »Ich wünschte nur, ich könnte jedem Freunde der Musik und besonders großen Männern dieselbe Tiefe musikalischer Sympathie und die Wertschätzung der unnachahmlichen Musik Mozarts mitteilen, die ich empfinde und genieße; dann würden Nationen miteinander ringen, um solch ein Juwel in ihren Grenzen zu besitzen. Prag sollte sich nicht nur bemühen, diesen köstlichen Mann festzuhalten, sondern ihn auch gebührend zu belohnen; denn ohne dies ist die Geschichte eines großen Genies wahrhaft traurig .... Es bringt mich auf, daß der unvergleichliche Mozart noch nicht von einem kaiserlichen oder königlichen Hof engagiert worden ist. Vergebt mir meinen Zorn; aber mir ist der Mann so teuer.«

Mozart erkannte ebenfalls die Verdienste Haydns hochherzig an. »Mein Herr,« sagte er zu einem Kritiker, als sie von jenem redeten, wenn Sie und ich verschmolzen würden, so würden wir noch nicht genug Material für einen Haydn liefern.« Und als Mozart zum erstenmal Beethoven hörte, bemerkte er: »Hören Sie diesem jungen Manne zu, und seien Sie versichert, daß er sich in der Welt einen großen Namen erringen wird.«

Buffon stellte Newton über alle anderen Philosophen und bewunderte ihn so sehr, daß er stets sein Bild vor sich stehen hatte, wenn er arbeitete. So schaute Schiller zu Shakespeare auf, den er jahrelang ehrfürchtig und eifrig studierte, bis er die Natur selbst verstehen konnte, und dann wurde seine Bewunderung noch glühender.

Das Beispiel, das große und gute Menschen gegeben haben, vergeht nicht; es lebt und spricht zu allen folgenden Generationen. Sehr ergreifend waren die Worte, die Disraeli kurz nach dem Tode Cobdens vor dem Unterhause sprach: »Wenn wir uns an den unvergleichlichen und unersetzlichen Verlust erinnern, so bleibt uns doch der Trost, daß jene großen Männer uns nicht ganz verloren sind – daß ihre Worte oft in diesem Hause genannt werden, daß ihr Beispiel oft angeführt und angerufen wird und daß selbst ihre Ausdrücke in unsern Diskussionen und Debatten oft gebraucht werden. Es gibt jetzt, darf ich sagen, einige Parlamentsmitglieder, die, wenn sie auch nicht gegenwärtig sind, doch Mitglieder dieses Hauses sind – die weder von einer Parlamentsauflösung, noch von den Launen der Wählerschaft, noch von dem Laufe der Zeit abhängig find. Ich denke, daß Cobden einer dieser Männer war.«

Die große Lehre einer Biographie ist es, daß sie uns zeigt, was der Mensch bei redlichem Bemühen sein und leisten kann. Sie gibt so jedermann erneute Kraft und neues Vertrauen. Der Bescheidenste darf angesichts des Größten bewundern, hoffen und Mut fassen. Diese Großen, nach Blut und Abstammung unsere Brüder, die jetzt ein universelles Leben führen, sprechen noch aus dem Grabe zu uns und weisen uns auf den Pfad, den sie betreten haben. Ihr Beispiel wirkt noch auf uns, um uns zu führen, zu beeinflussen und zu leiten. Denn ein edler Charakter ist ein immerwährendes Vermächtnis, das durch alle Zeiten fortlebt und sich bemüht, seinesgleichen hervorzubringen.

»Der Weise,« sagen die Chinesen, »belehrt hundert Zeitalter. Wenn sie von dem Leben Lus hören, so werden die Dummen klug und die Schwankenden entschlossen.« So ist das tätige Leben eines guten Mannes beständig ein Evangelium der Freiheit und Befreiung für alle, die ihm nachfolgen: »In den Herzen weiterleben, heißt unsterblich sein.«

Die goldenen Worte, die gute Menschen äußerten, das Beispiel, das sie gaben, leben durch alle Zeiten: sie gehen in die Gedanken und Herzen ihrer Nachfolger über, helfen ihnen auf dem Pfad des Lebens und trösten sie oft in der Todesstunde. »Der elendeste und schmerzhafteste Tod,« sagte Henry Marten, der Republikaner, der im Gefängnis starb, »ist wie nichts, verglichen mit dem Andenken eines guten Lebenswandels, und groß allein ist nur der, welcher sich das Privileg erworben hat, solch eine Lehre und solch ein Beispiel seinen Nachfolgern zu hinterlassen.«


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