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24. Kapitel

Der Forstmeister war mit seiner jungen Frau von der Hochzeitsreise zurückgekehrt. Beide von der Sonne des Südens tief verbrannt ... Telegraphisch hatte er sich jeden feierlichen Empfang verbeten. Aber Weschkalene kehrte sich nicht daran.

Auf der Bahnstation stand der Assessor. Freudestrahlend nahm er das Paar in Empfang. Vor der Oberförsterei standen die Grünröcke in Galauniform. Sechs junge Heideläufer bliesen den Fürstengruß ... Die Tafel stand gedeckt.

»Ja, ja, man muß sich daran gewöhnen, daß man eine Schwiegermutter hat, die ihre eigenen Wege wandelt«, sagte Schrader neckend zu seiner Frau.

Im nächsten Augenblick fiel er Georginne um den Hals. »Du altes, treues Frauenzimmer, wieviel Hochzeiten hast du inzwischen schon zustande gebracht?« Er ging von einem zum andern. Bei dem jüngsten Grünrock fing er mit dem Händeschütteln an. Bei Krummhaar war es damit nicht abgetan. Einen Augenblicke sahen sich die beiden alten Grünröcke mit feuchten Augen an. Dann fielen sie sich in die Arme.

In der Haustür stand Abromeitene, jetzige Frau Kallweit, den Kochlöffel in der Hand. Sie hatte es sich nicht nehmen lassen, ihrem alten Herrn das Festmahl zu bereiten. In seiner Herzensfreude faßte Schrader sie um. »Kallweit, Sie gestatten doch«, und küßte sie auf die roten Backen. Schelmisch zog ihn Madeline am Rock. »Ottomar, man muß als junger Ehemann nicht in alte Gewohnheiten verfallen.« Schnell fing er ihren Kopf und Mund ein. »Du bist ja ein Racker ... Hast du mir das wirklich zugetraut?«

Nach der Tafel verkrümelten sich die Grünröcke. Der Assessor hatte sie zu sich eingeladen. Nur Krummhaar blieb neben Weschkalene sitzen ...

»Nun müssen wir mal wieder die Beine auf die Erde stellen, mein lieber Forstmeister«, begann Georginne. »Ich habe genug gearbeitet in meinem Leben. Jetzt will ich die Hände in den Schoß legen. Ich habe euch beiden Weschkallen verschrieben. Zum ersten April gehst du in Pension und übernimmst das Gut.«

Der Forstmeister lachte laut auf: »Verehrte Schwiegermutter! Nachträglich lasse ich mir keine Bedingungen stellen. Ich bin mit meiner Frau einig, daß ich noch so lange, wie mir Gott die Kraft gibt, im Amte bleibe.«

»Wie ihr wollt ... Dann kann der Berger weiterwirtschaften. Ich gehe ja nicht aus der Welt, ich kann ab und zu noch ein Auge hinwerfen.«

»Weshalb willst du nicht in Weschkallen bleiben?«

»Weil ich mir in Lasdehnen ein Haus bauen lasse ... Und da die Wera doch über lang oder kurz wieder heiraten wird, so habe ich mir das so ausgedacht, den Krummhaar zu mir zu nehmen, und damit die Menschen uns nichts nachsagen können, sind wir übereingekommen, uns trauen zu lassen.«

Lots Weib muß, als sie zur Salzsäule erstarrte, ein ähnliches Gesicht gemacht haben wie Madeline in diesem Augenblick ... Der Forstmeister lachte laut auf: »Mensch, Adam, daß Sie noch einmal mein Schwiegervater werden sollen, das ist mir in sieben kalten Wintern nicht eingefallen ... Aber nun stehe ich glänzend gerechtfertigt da ... Georginne, das ist die beste Heirat, die du je zustande gebracht hast.«

Weschkalene zuckte die Achseln. »Ich bin ganz unschuldig daran. Der Adam hat mir auf eurer Hochzeit eine Liebeserklärung gemacht.«

»Da hört sich die Weltgeschichte auf. Adam, Mensch, zukünftiger Schwiegervater ... das muß die Abromeitene hören.« Er sprang auf. Weschkalene vertrat ihm den Weg. »Nein, Forstmeister, das bleibt vorläufig ganz unter uns.«

»Ja, ihr seid klug ... Von mir wußte die ganze Welt schon alles, noch ehe ich mich verlobt hatte. Ich will jetzt auch mein Vergnügen haben. Am nächsten Sonntag wird großartig Verlobung gefeiert.«

»Was meinst du, Adam?« rief Weschkalene dem Hegemeister zu, der still vor sich hinlachte. »Sollen wir ihnen das Vergnügen machen?«

»Ich habe nichts dagegen ... Wie du willst, ich halte still.«

»Adam, wissen Sie auch, wie der Vers weitergeht? Nur keine Alte«, rief der Forstmeister.

»Mein lieber Schwiegersohn, du wirst dich mit mir erzürnen. Ich bin noch zehn Jahre jünger als du ...«

»Entschuldige, Georginne, daran habe ich nicht gedacht. Und du hast uns voreilig deine Wiege geschenkt und das Gut verschrieben?«

Weschkalene lachte aus vollem Halse. »Du kannst sie uns ja borgen, Ottomar, wenn es nötig sein sollte ... Aber nun in allem Ernst. Was sagt ihr dazu?«

Der Forstmeister stand auf und faßte sie um. »Ich denke, das haben wir euch auch schon im Spaß gezeigt. Wir freuen uns von Herzen ... Meinen herzlichsten Glückwunsch dem jungen Brautpaar. Und nun laß Knallkümmel kommen, Madeline, wenn ihn der Nante nicht in meiner Abwesenheit vernutzt hat. Ein paar Flaschen werden noch auf Eis liegen.«

Gegen Abend ging der Forstmeister mit Krummhaar in den Feenpalast. Die Stimmung unter den Grünröcken war auf der Höhe angelangt. Nante hatte zur zweiten Vesper eine gebratene Gans, die für das Abendbrot bestimmt war, zu sich genommen.

»Nun können Sie sich vorstellen, Herr Forstmeister,« rief der Assessor, »was er in Ihrer Abwesenheit unter der liebevollen Fürsorge der Katinka zu sich genommen hat!«

Die Grünröcke hatten sich um ihren »Alten« geschart. Mit Stolz hörten sie, daß er sich mit Krummhaar duzte ... Sie sollten bald die Erklärung dafür erfahren. Denn Schrader nahm Krummhaar bei der Hand: »Hier erlaube ich mir, Ihnen den jüngsten Bräutigam, meinen zukünftigen Schwiegervater, vorzustellen. Er hat sich heute mit Georginne Weschkalnies verlobt.«

Da war auch nicht einer, der sich darüber einen schlechten Scherz erlaubt hätte. Bloß Schwarzkopf meinte, der Krummhaar wäre der schlaueste Hund, der ihm je in seinem Leben begegnet wäre.

»Adam,« rief er in die aufgeregte Gesellschaft hinein, »ich muß dein Trauzeuge sein, denn ich bin aus Zufall schon der Augen- und Ohrenzeuge deiner Verlobung gewesen.«

»Das ist mir ja sehr interessant«, erwiderte Krummhaar lachend. »Dann werde ich doch endlich etwas Näheres darüber erfahren. Aber nachher, Gustav, unter vier Augen, damit die jungen Leute sich nicht ein schlechtes Beispiel daran nehmen.«

Die Aufregung hatte sich gelegt. Der Forstmeister ließ sich alles, was in seiner Abwesenheit vorgefallen war, erzählen ... Das Gespenst auf der Schonung, die Völlerei an der Aschwöne, die Entlarvung und die Flucht des »Barons«, die Geschichte der Jagdverpachtung ... Die Bauern hatten es richtig durchgesetzt, daß der Schulze ihnen für ein Jahr den Pachtvertrag nach dem Gebot des Barons bezahlen mußte. »Das schadet ihm gar nichts«, meinte der Forstmeister lachend. »Das wird ihm eine heilsame Lehre sein.«

In Dietrichswalde war Aufregung und Sorge eingekehrt ... Daumlehner war abgestürzt ... Reichenbach hatte ein langes Telegramm geschickt. Er hatte mit Daumlehner eine Überlandfahrt von Königsberg nach der Schweizer Grenze gemacht. Alle deutschen Rekorde waren geschlagen. Beim Landen war die Taube, kaum fünf Meter über dem Erdboden, zur Seite abgerutscht. Reichenbach hatte sich durch einen Sprung gerettet und war mit einer kleinen Verletzung davongekommen. Daumlehner war unter die Maschine geraten, die ihm beide Beine gebrochen hatte. Viel bedenklicher war die Gehirnerschütterung, die er davongetragen hatte ... Er lag im Krankenhaus in Lindau am Bodensee. Der alte Graf Zeppelin war zufällig bei der Landung dazugekommen und hatte ihn selbst in seinem Auto dorthin gebracht ...

Sofort setzte sich Erna auf die Bahn und fuhr zu ihrem Verlobten. Der Mutter gegenüber, die ihr vorhielt, das habe sie schon lange kommen sehen, benahm sie sich sehr tapfer.

»Ich auch, liebe Mutter«, erwiderte sie fest. »Darauf mußte ich vom ersten Augenblick an gefaßt sein. Und ich bin es gewesen, die ihn immer aufgefordert hat, nicht zu ermüden und das Höchste zu wagen. Das habe ich für meine Pflicht gehalten, ihm nicht den Klotz ans Bein zu binden. Jetzt werde ich ihm dafür die Treue halten ... und wenn bloß ein Schatten von meinem stolzen Walter übrig bleibt, ich heirate ihn.«

Herr von Reichenbach wurde durch ein dringendes Telegramm nach Starrischken beordert. Er kam, den linken Arm in der Binde. Der Schwiegervater empfing ihn auf dem Bahnhof.

»Ich habe die Liesbeth mit Absicht zu Hause gelassen, um dir zu sagen, daß du die Ohren steif halten sollst. Die Frauenzimmer sind ja ganz aus dem Häuschen. Aber ich halte dir den Daumen. Laß dich nicht unterkriegen ...«

»Ohne Sorge, lieber Papa. Ich werde nicht fahnenflüchtig.«

Der Empfang in Starrischken war derart, daß Guido seine Erwartungen und Befürchtungen weit übertroffen sah. Die Frau Schwiegermama stellte ohne Umschweife nach den ersten Begrüßungsworten die Bedingung, daß er sofort seine Versetzung in die Front beantragen, und sich ehrenwörtlich verpflichten müsse, bis dahin nicht mehr zu fliegen.

»Du gestattest wohl, daß ich mich erst mit meiner Braut darüber bespreche.«

»Nein, das ist durchaus nicht nötig, meine Tochter ist mit mir vollkommen einverstanden ... Elimar, du wirst meine Worte bestätigen.«

Eine Palastrevolution war in Starrischken ausgebrochen. Herr von Grumkow hatte, statt seiner Gattin beizupflichten, den Schwiegersohn unter den Arm genommen. »Komm, Guido ... Wir wollen erst mal einer guten Flasche den Hals brechen, hast du ein Fahrzeug in Königsberg? Ja? Na, dann fahren wir morgen in die Stadt der reinen Vernunft und fliegen ein bißchen spazieren.«

Frau von Grumkow hatte nicht nur bei ihrem Manne, sondern auch bei ihrer Tochter die Grenzen ihrer Macht überschätzt. Denn nachdem sie eine halbe Stunde ihrer Tochter Vernunft gepredigt hatte, stand Liesbeth auf und ging zu den Männern, die vergnügt bei einer alten Flasche Rheinwein plauderten. Guido sprang nicht etwa auf, um sie freudig zu begrüßen. Nein, er blieb ruhig sitzen und erzählte weiter von der prächtigen Fahrt. Er streckte nur die linke Hand nach Liesbeth aus und zog sie an seine Seite.

»Unten auf der Erde«, sprach er ruhig weiter, »lauert die Tücke auf uns. Hoch oben in der Luft, je höher, desto besser, fahren wir wie die Könige dahin ... Hoch erhaben über alles Menschenvolk, was auf der Erde kriecht ... Erst beim Landen wird's gefährlich, und am meisten durch die Unvernunft der Menschen. Der Unglücksfall wäre gar nicht passiert, wenn nicht Walter im letzten Augenblick eine scharfe Wendung hätte machen müssen, um nicht drei Menschen totzufahren. Dafür muß er jetzt mit seiner Gesundheit büßen.«

»Ja, weshalb fährst du immer nur als Begleiter?« fragte Liesbeth zaghaft. »Der Walter heimst alle Ehren ein, und du wirst immer bloß so nebenbei genannt.«

»Da hast du recht ... jeder wird nach seinem Verdienst bewertet. Aber morgen steige ich zu einem Überlandflug auf, wenn ich einen Begleiter finde, der mir die verantwortliche Aufgabe abnimmt, die ich bisher immer für Walter geleistet habe. Wenn das Wetter einigermaßen günstig ist, wiederhole ich den Flug.« Er zog sie auf seine Knie und küßte sie herzlich ab. Als die Mutter eine halbe Stunde später zu Mittag bitten ließ, mußte sie einsehen, daß sie die Schlacht verloren hatte. Reichenbach fuhr als Sieger ab. Liesbeth fand es nicht für nötig, ihrer Mutter mitzuteilen, daß ihr Verlobter schon die Bestallung als Leiter eines militärischen Flugplatzes in der Tasche hatte, wo er nicht mehr zu fliegen brauchte.

Eines Tages kam Mooslehner nach Weschkallen.

»Na, was führt Sie denn zu mir, Sie haben sich ja so in Wichs geschmissen?«

»Ich komme, Sie um Rat zu fragen. Soll ich, oder soll ich nicht?«

»Wollen Sie das nicht erst an den Knöpfen abzählen. Na ja, was soll das heißen? Mit mir muß man litauisch oder deutsch reden.«

»Sie wissen ja schon, was ich will, Weschkalene. Sie sollen für mich anfragen.«

»Ja, das glaube ich, das könnte Ihnen so passen. Die jungen Herren werden immer bequemer. Jetzt heißt es bloß, Georginne fahr' hin, mach' die Sache ab, und dann komme ich ... Nein, nein, Herr Mooslehner, ich brauche keinen Kuppelpelz mehr. Ich habe mich zur Ruhe gesetzt.«

Der Grünrock machte ein ganz verzweifeltes Gesicht. »Können Sie mir nicht wenigstens sagen, ob meine Bewerbung nicht von vornherein aussichtslos ist?«

»Ja, das weiß ich nicht, lieber Mooslehner. Ich weiß ja noch gar nicht, wen Sie heiraten wollen.«

»Na, wen denn? Die Wera!«

»Die Wera ... Die hat doch einen Mann.«

»Ach, Weschkalene, ich lasse mich doch nicht dumm machen. Daran habe ich nie geglaubt ... Wissen Sie, was ich denke? Der kleine Junge braucht einen Vater, weil er noch keinen hat. Ich frage nicht danach, denn ich habe das Mädel lieb. Und ich habe kein Recht, ihr vorzuhalten, daß sie vor mir einen anderen liebgehabt hat ... Ich will auch gar nichts wissen, als was sie für nötig hält, mir zu erzählen.«

»Lieber Mooslehner, so spricht man im Rausch, wenn man verliebt ist. Später kommt es anders. Das muß man sich alles vorher überlegen ... Ich weiß nicht, wie die Männer darüber denken, aber ich würde mir das doch überlegen, wenn solch Mädel von einem Arm in den anderen geflogen ist.«

Mooslehner sprang auf, hochrot im Gesicht. »Weschkalene, das dürfen Sie von Wera nicht sagen, das ist unwahr ... das ist ganz ausgeschlossen. Die ist nicht von einem Arm in den anderen geflogen. Die hat ein schlechter Mensch betrogen.«

Weschkalene drückte ihn auf den Stuhl nieder, legte ihren Arm um seinen Hals und küßte ihn auf den Scheitel. »Ruhig, Mooslehner, ruhig! Sie haben die Probe bestanden. Sie können der Wera ihre Hände unter die Füße legen. Sie wissen doch von dem Aufstand in Livland, wo die Bauern alle Schlösser zerstörten und niederbrannten?« Sie hatte ihre Wange auf seinen Kopf gelegt. Leise sprach sie weiter.

»In der Nacht, die ihnen allen den Tod bringen mußte, hat sie vor Gott mit dem Mann, den sie liebte, den Bund geschlossen. Er wurde gesegnet, aber der unerforschliche Ratschluß Gottes nahm den Mann hinweg. Er fiel im Kampf gegen die Aufrührer ... Das hat ihr die Seele verstört. Sie sieht das als Strafe des Himmels an.«

Mooslehner hatte ihre beiden Hände gefaßt und geküßt. »Weschkalene, Sie sind ein Engel. Würden Sie es mir übelnehmen, wenn ich jetzt spornstreichs in die Försterei laufe?«

»Das haben Sie nicht nötig. Die Makunischker kommen heute alle zu mir. Bleiben Sie ruhig hier ... Ich habe noch in der Wirtschaft zu tun ... Oder kommen Sie mit, damit Ihnen die Zeit nicht lang wird. Nun seien Sie man ganz vernünftig und ruhig. Ich will es Ihnen verraten, daß Sie keinen Korb bekommen werden. Sind Sie jetzt mit Ihrer zukünftigen Großmutter zufrieden?« ...

»Wo ist denn der Mooslehner geblieben und die Wera?« fragte der Forstmeister, als es zum Abendbrot ging.

»Ach, die haben keinen Appetit und haben auch keine Zeit ... die haben sich was zu erzählen«, erwiderte Weschkalene mit einer Stimme, der man die Aufregung anmerkte. »Wir wollen man ruhig essen. Dabei können wir auch auf das jüngste Brautpaar anstoßen.«

Erst eine ganze Weile nach dem Abendbrot wurde Wera sichtbar. Ihre Augen leuchteten ... Zuerst ging sie zur Weschkalene, kniete vor ihr nieder und küßte ihr die Hände. Dann warf sie sich dem Großvater an die Brust.

Mooslehner war weggegangen. Er hatte sein Gewehr mitgenommen und war hinausgegangen in den Wald, um seinem ältesten Freund, der ihn so oft in bangen Zweifeln gesehen und mit seinem Flüstern und Brausen zur Ruhe gemahnt hatte, sein Glück zu verkünden. – – –


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