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20. Kapitel

Weschkalene und Frau Madeline waren gegen Abend in die Oberförsterei gekommen, um bei der Zurüstung des Festmahles zu helfen. Es dämmerte bereits, als die Gesellschaft vom Scheibenstand kam. Vorn in der Mitte der Forstmeister und dicht um ihn seine Grünröcke, wie seine Brüder und Söhne. Da war nicht einer, dessen Herz nicht vor Stolz über den »Alten« geschwellt war, der die Ehre der grünen Farbe so glanzvoll gegen den Fremdling verteidigt hatte. Herr von Zaleski hatte es mit richtigem Takt vorgezogen, nach Hause zu fahren ...

Auf der Veranda stand Frau Madeline. Vor Stolz und Liebe erglühend, breitete sie die Arme aus und warf sich ihrem Verlobten an die Brust. Die Grünrocke legten salutierend die Hand an den Hut und standen unbeweglich, bis der etwas sehr längliche Kuß sein Ende erreicht hatte. Da kam von weit her aus dem Park glockenrein auf Jägerhorn geblasen das Signal »Halali!« Schnabel war es, der sich diese Überraschung ausgedacht hatte ... Gedämpft kam vom nahen Waldrand das Echo zurück und dann von fernher noch einmal.

Nach einer kurzen Pause setzte das Horn wieder ein:

»Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel still und klar.
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.«

Die Grünröcke hatten ihre Hüte abgenommen. Über dem Waldrand stieg als riesengroße kupferrote Scheibe der Mond empor. Von der Wiese her ertönte das unermüdliche Schnarren des Wachtelkönigs. Aus dem nahen Getreide kam der silbern klingende Lockruf der Wachtel: »Pick wer wick ... pick wer wick ...«

»Der Gottesdienst der Grünröcke«, flüsterte der Forstmeister seiner Braut ins Ohr. Unbemerkt hob sie seine Hand, um sie zu küssen.

Es war ein wirklich frohes Festmahl und Madeline die Königin des Festes. Um sie herum schwirrten die lauten Reden, und das dritte Wort war immer »der Alte«. Sie lachte still in sich hinein. »Der Alte« hatte sie doch alle ausgehauen! »Weißt du, beim vorletzten Gang, da hatte ich einmal Angst für den Alten. Er hatte den Hasen von rechts erwartet. Aber wie er so im letzten Augenblick 'rumfuhr und den Schuß nach links hinschmiß.«

»Und die Seelenruhe«, erwiderte der andere.

»Das war nur äußerlich ... Ich sah, wie er ein paarmal die Daumen einkniff.«

»Ja, das ist sein altes Mittel. Sowie er einmal im Ärger Donnerwetter gesagt hat, kneift er gleich die Daumen ein, und dann ist er in der nächsten Minute wie umgewandelt.«

Nante bekam heute keinen Reisbrei. Er konnte in allen Gerichten nach Herzenslust schwelgen. Als die Tafel aufgehoben wurde, zogen die beiden Damen sich zurück und fuhren bald darauf ab. Die Grünröcke scharten sich enger um den Tisch. Die Jagdgeschichten begannen ...

»Wissen Sie auch, daß Schnabel durch sein schönes Blasen einmal beinahe den Forstversorgungsschein verloren hat?« fragte der Forstmeister.

»Erzählen ... erzählen ...« rief's von allen Seiten.

Nante kratzte sich verlegen hinter dem Ohr. »Na ja ... das kam so. Ich mußte immer mit dem Kallweit, dem jüngsten Bruder unseres Kollegen hier, beim Bataillon Patrouille gehen. Beim letzten Manöver, das wir mitmachten, heißt es auf einmal: der Kaiser wird kommen.«

»Nun ging alles wie auf Drähten. Am letzten Tage machte die rote Armee gegen uns einen weiten Umgehungsmarsch. Natürlich mußten wir Jäger an die Tete ... und wir beide im Trab über die Spitze hinaus ins Vorgelände. ›Weißt was,‹ sagt der Kallweit zu mir, ›was sollen wir wie die Hunde laufen. Dort auf dem Berg steht 'ne Windmühle, da können wir 'rauf, stecken den Kopf aus der Luke und besehen uns die ganze Gegend.‹«

»Wie wir an die Mühle kommen, springt der Müller uns entgegen. ›Nein, Kinder,‹ sagt er, ›ist das eine Freude, wieder einmal einen grünen Rock zu sehen, ich habe ja auch bei dem Bataillon gestanden. Nun kommt 'rein zu mir‹ ... Geht nicht, sag' ich, wir sind im Dienst. ›Ach, sei doch kein Frosch. Mein Gesell wird schon aufpassen‹ ... Na, wir gehen denn auch zu ihm 'rein, er fährt auf, was er im Hause hat ... wir essen und trinken, daß es bloß so kracht.«

»Kann ich mir lebhaft denken,« rief Kallweit, »mein Bruder schlägt auch 'ne gute Klinge.«

Ohne ihn zu beachten fuhr Schnabel fort: »Mit einemmal kriegt der Müller mein Horn am Hirschfänger zu sehen. ›Was,‹ schreit er, ›ihr müßt jetzt auch blasen?‹ Selbstverständlich, sage ich ... alle Signale, wie der gelernte Hornist. ›Na, denn mal los‹, sagt er. Ich muß wohl schon einen ordentlichen Zacken weg gehabt haben, denn ich stelle mich ans Fenster, damit es in der Stube nicht so dröhnen soll und blas, was mir gleich in den Sinn kam: ›das Ganze halt!‹«

»Mit einemmal wird draußen das Signal wiederholt von der Avantgarde der roten Armee, die uns schon beinahe umzingelt hatte ... Das Signal geht weiter ... Ich werde mit einem Male nüchtern. Mensch, Kallweit, sag' ich, nun aber marsch zurück. Der Müller sagt, ›Kinder, ich verlaß euch nicht‹ ... Wie wir zum Bataillon kommen, ist schon der Kommandierende da mit einem hochroten, dicken Kopf, denn wer sollte außer ihm ›das Ganze halt‹ blasen lassen? Das konnte doch nur der Kaiser gewesen sein.«

»›Wer hat hier ›Halt‹ geblasen?‹ schreit er uns an. Ich trete vor, der Kallweit auch. Da springt auch der Müller vor und ruft: ›Nein, Herr Exzellenz, ich habe geblasen, ich bin ein alter Jäger, ich habe bloß mal das Horn probieren wollen‹ ... Der Baubau dreht sich um zu unserem Major: ›Lassen Sie die Kerle abführen, das weitere wird sich finden.‹ Es fand sich auch. Vierzehn Tage streng und ade Forstversorgungsschein.«

»Ich war schon halb verhungert, als der Major eines Tages in meine Zelle tritt. ›Schnabel,‹ sagt er, ›danken Sie Ihrem Schöpfer, daß der Inspekteur der Jäger und Schützen von der Geschichte gehört und sehr darüber gelacht hat. Sie behalten den Forstversorgungsschein.‹ Ein Kommißbrot wäre mir jetzt lieber, platzte ich 'raus ... ›Das sollen Sie auch haben,‹ lachte der Major, ›ich habe vergessen, an Ihr Eßbedürfnis zu denken.‹ Aber die vierzehn Tage mußten wir abreißen.«

 

Weschkalene hatte es sich nicht nehmen lassen, eine echt litauische Bauernhochzeit mit vollem Glanz auszurüsten. Schon am Tage des Polterabends erschienen von nah und fern die eingeladenen Familien mit Kind und Kegel ... Am Hochzeitstage noch viel mehr ... Der Polterabend wurde nach alter Weise mit Aufführungen aller Art gefeiert. Erna erschien als Flugzeug mit zwei mächtigen Flügeln an den Armen und bot sich dem Brautpaar als neumodische Hochzeitskutsche an, auf der man direkt in den Himmel fliegen kann.

Ein Dutzend Paare in litauischer Tracht führte einen Reigen auf. Kleine Mädchen und Knaben sagten Gedichte auf. Währenddessen donnerte es unaufhörlich gegen die Haustür. Weiß Gott, wo all die alten Töpfe und Schüsseln herkamen, die bei dieser Gelegenheit ihr Ende fanden ... Im Garten war ein Tanzplatz gedielt und überdacht. Da drehte sich das junge Volk im Kreise.

Am anderen Vormittag fuhr das Brautpaar nach Starrischken, um sich von dem stellvertretenden Standesbeamten trauen zu lassen. Die Kirchentrauung fand erst am Nachmittag in Lasdehnen statt. Auf dem Hofe ordnete sich der Zug. An der Spitze dreißig berittene junge Burschen auf Pferden, deren Mähnen und Schweife mit grün-weiß-roten Bändern durchflochten waren. Auch die Reiter trugen Schärpen in denselben Farben und Sträuße am Hut. Sie schossen unaufhörlich aus Pistolen und Gewehren ... Dahinter in geschlossener Glaskutsche, sechs stolze Trakehner davor, das Brautpaar.

Von weit und breit war alles zur Kirche nach Lasdehnen gekommen. Ein so schönes Brautpaar hatte man lange nicht gesehen, das war die allgemeine Meinung. Der Forstmeister in seinem dunkelgrünen, goldgestickten Waffenrock, den altertümlichen Hut mit Waldhorn und Gamsbart auf dem Kopf, die Braut in schwerseidenem Kleid, dessen Schleppe von sechs weißgekleideten Mädchen getragen wurde. Sie trug nach litauischer Sitte den Rautenkranz über dem Schleier ...

Gleich nach dem Hochzeitsmahl fuhr das junge Paar zur Bahn ... Jetzt begann erst das Fest, das sieben Tage und Nachte ohne Unterbrechung dauerte. Wer das Bedürfnis nach Ruhe verspürte, verkrümelte sich für ein paar Stunden, um neu gestärkt wiederzukehren. Aber bei der großen Zahl der Gäste war es nicht zu merken, daß ein Teil fehlte ... Für die jungen Männer war in Starrischken der Saal mit Streu und Decken belegt. Für die jungen Mädchen war die gleiche Unterkunft in Dietrichswalde hergerichtet. Die älteren verheirateten Frauen fanden ein Bett. Die gebrauchten Bezüge wurden sofort durch neue ersetzt.

Weschkalene hatte sich die größte Musikkapelle, die es in der Provinz gab, aus Goldap kommen lassen. Aber obwohl von den zweiundvierzig Mann nur immer sechs gleichzeitig spielten, waren sie am Schluß des Festes am Rande ihrer Kräfte.

In einer Gartenlaube hatten sich am Hochzeitstage nachmittags vier Mann zum Boston niedergelassen. Und die Partie erlosch nicht bis zum Schluß ... Für jeden, der zu ruhen wünschte, fand sich ein Ersatzmann.

Am letzten Tage wurde Madelines Brautschatz in feierlichem Zuge nach ihrem neuen Heim gebracht. Ein hochgetürmter Leiterwagen ... Hoch oben darauf eine kunstvolle und reichgeschnitzte Wiege ... ein uraltes Erbstück, in dem schon Georginnes Großmutter ihre ersten Lebenstage verbracht hatte.

Der Assessor schwamm die ganzen Tage vergnügt wie ein Hecht in dem Strom mit. Er hatte auf Ernas Veranlassung Adusche Steputat als Brautjungfer und Tischdame erhalten und widmete sich ihr mit verdächtigem Eifer. Am zweiten Tage kamen Walter Daumlehner und Guido von Reichenbach an. Sie wurden mit in den Trubel gerissen. Und sie ließen sich gern mitreißen, denn die beiden Mädel, Erna und Liesbeth, sahen in der litauischen Tracht, die sie auf Georginnes Wunsch angelegt hatten, zum Anbeißen aus. Walter versicherte seiner Braut einmal über das andere, daß er sich jetzt zum zweiten Male in sie verliebt hätte, und jetzt noch viel heftiger als beim ersten Male.

Und etwas Ähnliches mochte wohl Reichenbach empfinden, der nicht von Liesbeths Seite wich. Ihre stolze, stattliche Figur kam in dem Kostüm zur vollen Geltung. Ihr schwarzes, reiches Haar trug sie entweder in Zöpfen geflochten, die ihr wie ein Diadem auf dem Kopf lagen, oder sie ließ die Zöpfe frei hängen.

Und am dritten Tage trat das von den Bekannten längst erwartete Ereignis ein. Liesbeth von Grumkow und Guido von Reichenbach tauchten Arm in Arm aus dem abgelegenen Teil des Gartens auf und stellten sich als Verlobte vor ... Da Liesbeths Eltern sich gerade in einer Schlafpause zu Hause befanden, konnte Georginne nichts weiter tun, als die Tatsache der Verlobung nach einem Tusch der Musik bekanntzugeben. Sie wurde übrigens einige Stunden später von Liesbeths Eltern rückhaltlos anerkannt.

Von dem jungen Ehepaar liefen täglich eine Depesche und ein paar Postkarten ein. Dann bliesen die Musikanten einen Tusch und Georginne gab den Inhalt der Gesellschaft bekannt. Gleichzeitig wurde damit die Ankündigung verbunden, daß ein frischer Braten ... natürlich stets in sechsfacher Auflage ... und heiße Kartoffeln aufgetragen seien. Wer Hunger hatte, stand auf und ging zu dem Trampeltisch ... Nur zwei Briefe behielt sie für sich, zwei lange Briefe »von ihren Kindern«.

Wie eine Königin ging Weschkalene umher. Sie war überall und nirgends. Sie sorgte dafür, daß die dreißig fremden Kutscher und die fünfzig Dienstmädchen nicht nur ihr Essen bekamen, sondern sich auch betätigten. Sechs, sieben Fuhrwerke standen immer angespannt vor der Rampe, um die müden Gäste zu ihren Schlafstellen zu befördern ... In die Hunderte ging die Zahl der zwei- und vierbeinigen Kreaturen, die dieser Hochzeit zum Opfer fielen. Täglich kam eine Sendung frischer Fische aus Königsberg als Eilgut an, täglich wurden Berge von Kuchen gebacken. Nie fehlte auch nur das Geringste. Im Gegenteil, es war alles im Überfluß vorhanden.

Mit wunden Lippen und schmerzenden Fingerspitzen fuhren die Musikanten am letzten Tage heim. Ihr Meister war noch von der Soldatenhochzeit her ein intimer Freund des Hegemeisters ... »Wißt ihr was, Kinder, wir wollen noch meinem alten Adam ein Ständchen bringen.« Er suchte sich sechs Mann aus. Der Wagen hielt vor dem Hoftor. Leise schlichen sie sich in den dämmrigen Flur und legten los ... Schon nach den ersten Takten wurde die Tür aufgerissen. »Ihr verdammten Blechpuster, werdet ihr wohl aufhören! Das ist ja nicht zum Aushalten! Hier habt ihr einen Achtehalber, kauft euch einen Schnaps dafür und schmiert eure Gurgeln ein.«

»Ja, Adam, jeder gibt, so gut er kann«, rief der Kapellmeister.

»Ach, du bist's, Dicker ... Na, dann kommt 'rein, Kinder, ich nehme es für genossen an. Wollt ihr was trinken? Nein ... na, ich nehme es euch nicht übel. Ich kann auch bloß kaum noch jappen. Herrschaften, das war doch mal 'ne Hochzeit nach dem alten Stil.«

Er nahm seinen alten Freund beiseite ... »Sag' mal, Dicker, hast du nicht etwas gehört? Ich habe eine unklare Erinnerung, als wenn ich gestern etwas angestellt hätte.«

»Nein, ich habe nichts gehört ... Was sollte es denn sein?«

Der Hegemeister strich sich mit der Hand sanft über den schmerzenden Schädel.

»Mir ist so, als wenn ich gestern nacht ein weibliches Wesen im Arm gehabt und gehörig abgeknutscht hätte.«

»Alle Achtung, Adam ... bei deinen siebzig Jahren. Hat sie denn den Notruf erhoben?«

»Ach, wo denkst du hin? Ich habe so eine unbestimmte Ahnung, als wenn das die Georginne gewesen wäre ... Es ist nicht unmöglich, daß ich ihr einen Heiratsantrag gemacht habe. Aber Genaues weiß ich nicht.«

»Na, dann wart' mal ruhig ab. Wenn sie die Sache ernsthaft nimmt, wird sie sich schon melden.«


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