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14. Kapitel

Vierzehn Tage vergingen, ohne irgend etwas Bemerkenswertes zu zeitigen. Die Grünröcke der ganzen Oberförsterei liefen sich die Hacken ab, doch der Wilddieb tat ihnen nicht den Gefallen, sich im Revier zu zeigen. Eine gewisse Spannung lag über der ganzen Gesellschaft ... Die Frage, ob der Forstmeister Ernst machen und um Frau Madeline Mazat anhalten würde, beschäftigte alle Gemüter. Es war sozusagen offenes Geheimnis, daß etwas im Gange war. Aber der alte Herr schien sich Zeit zu lassen. Auf dem Schießstand hatte die junge Witwe in einem feschen, fußfreien Lodenkostüm ganz reizend ausgesehen. Und der Forstmeister hatte öfter an ihrem Tisch gesessen.

Derjenige, auf den es am meisten ankam, war scheinbar am ruhigsten. Er war einmal bei einer Autofahrt in Weschkallen angesprochen und hatte dort gefrühstückt. Für einen, der auf Freiersfüßen geht, benahm er sich reichlich zurückhaltend. Er war eben mit sich noch nicht ganz im reinen. Daß er keinen Korb bekommen würde, glaubte er mit aller Bestimmtheit annehmen zu können. Im Notfall konnte er sich ja vorher durch Georginne die Gewißheit verschaffen. Aber gerade das war es, was ihn in seiner Unentschlossenheit bestärkte.

Solange er nicht recht daran glaubte, daß die junge Witwe ihm ihre Hand reichen würde, hatte die Sache ihn gereizt. Jetzt kamen die Bedenken in verstärktem Maße wieder. Er war durch die lange Zeit seiner Witwerschaft sehr verwöhnt, am meisten durch den widerspruchslosen Gehorsam seiner Abromeitene.

Wenn nun die junge Frau das Regiment im Hause haben wollte? Er war gewohnt, beim leisesten Widerspruch mit einem Donnerwetter dreinzufahren. Wenn Madeline sich das nicht gefallen ließ? Da war Streit und Ärger da.

Am meisten schreckte ihn der Gedanke an Kinder und Kindergeschrei... Wie in den goldenen Abendhimmel hatte er bis jetzt in seine Zukunft geschaut. Solange wie seine Gesundheit und seine Kräfte es zuließen, wollte er im Dienst bleiben und dann nach Lasdehnen ziehen, um die Fühlung mit dem Wald und seinen Grünröcken nicht zu verlieren. Die süße Gewohnheit war es, die aus seinen Bedenken sprach. In der letzten Zeit war es wie eine dunkle Ahnung in ihm aufgestiegen, daß die guten Tage für immer vorüber sein könnten... Die Abromeitene hing schon mit ihrem Kallweit im Kasten. Und in der Küche gab es öfter laute Szenen.

Es schien, als wenn die Tante mit ihrer Nichte durchaus nicht zufrieden war. Am Essen und an seiner Bequemlichkeit hatte er noch nichts gemerkt, weil Abromeitene noch immer das Regiment führte. Was ihm am meisten zu denken gab, war die unbestreitbare Tatsache, daß Kätchen nicht nur dem Nante, sondern auch ihm, ihrem Brotherrn, blanke Augen machte, wie man so zu sagen pflegt. Und er hatte Beispiele, daß es schon mehr als einer jugendlichen Wirtin gelungen war, ihren ältlichen Brotherrn ins Ehejoch zu spannen.

Schließlich riß ihn Abromeitene aus seiner Unentschlossenheit. Eines Tages, als sie ihm das Vesperbrot brachte, blieb sie am Tisch stehen und nahm ihre Schürze zur Hand, woraus der alte Herr sofort aus langer Erfahrung schloß, daß er sich auf eine längere Auseinandersetzung gefaßt zu machen habe.

»Na, was haben Sie denn auf dem Herzen?«

»Ja, Herr Forstmeister, ich wollte bloß sagen, daß Sie doch heiraten müssen. Das wird mit der Katinka nichts. Die hat ja nichts anderes als bloß die Männer im Kopf. Gestern abend habe ich sie aus Schnabels Stube holen müssen. Er war ja nicht da, er war wie immer drüben beim Hegemeister, aber er hätte doch da sein können. Sie saß am Tisch und las in seinen Büchern. Ich habe ihr auf den Kopf zugesagt, daß sie auf den Nante wartet. Und heute früh hat sie ihm den Kaffee ans Bett gebracht. Ich paß ja auf wie ein Schießhund, aber das können Sie doch nicht.«

»Nein, das kann ich allerdings nicht.«

»Na also ... Und dann hat das Mensch so gar keinen Trieb, was zu tun. Wenn ich nicht aufpaß, vergißt das sogar die Schweine. Ne, Herr Forstmeister, mit der werden Sie nicht alt werden. Ne, laden Sie sich die Georginne und die junge Frau zum Kaffee, und bringen Sie alles in Ordnung. Ich will meinetwegen noch solange hierbleiben, bis Sie Hochzeit gemacht haben. Aber zu lange darf das auch nicht dauern, denn Kallweit läßt mir schon gar keine Ruhe, und der Mann hat recht.«

»Ach Gott, Abromeitene, ich habe mich noch nicht so recht entschlossen.«

»Nehmen Sie mir's nicht übel, Herr Forstmeister, das verstehe ich nicht. Wollen Sie sich lieber mit 'm alten Drachen 'rumärgern, anstatt sich eine forsche, hübsche Frau zu nehmen? Ich dacht' so zum nächsten Sonntag. Ich back' schöne Kuchen, na, und das Weitere findet sich dann schon von selbst.«

»Na, denn in Gottes Namen. Aber, Abromeitene, das sag' ich Ihnen, Sie haben mich auf dem Gewissen, wenn die Sache schief geht.«

Um der Sache ein Mäntelchen umzuhängen, hatte Schrader auch den Hegemeister mit Wera und den Assessor eingeladen... Es war ein sehr schöner Tag, so daß man den Kaffee auf der Veranda trinken konnte. Der Forstmeister war mit sich selbst und der Madeline, die ihn liebevoll wie eine Tochter bediente, zu sehr beschäftigt, sonst hätte er bemerken müssen, daß der Assessor Wera sehr eifrig den Hof machte.

Gleich nach dem Kaffee erklärte Georginne, sie wolle sich mal gründlich die Wirtschaft ansehen. Sie nahm Madeline und Wera mit, der Assessor schloß sich von selbst an...

»Die Sache ist also in das letzte Stadium getreten«, lachte der Hegemeister. »Das müßten Sie eigentlich doch wissen. Wenn die Zukünftige sich die Wirtschaft ansehen geht, dann pflegt vorher alles in Ordnung gebracht zu sein. Eigentlich müßten Sie doch mitgehen, damit Sie gleich hören, was die junge Frau für Wünsche haben wird.«

»Ach, Adam,« erwiderte der Forstmeister aufstehend und reckte seine Arme, »ich bin wirklich noch nicht entschlossen. Ihr ratet mir alle zu. Aber ein Mann in meinem Alter! Wenn ich bloß noch zehn Jahre jünger wäre!«

»Aber, lieber Freund, nun können Sie doch nicht mehr zurück. Sie sind auf der Brautschau gewesen, Sie haben sie zweimal eingeladen, nun muß heute oder spätestens morgen das entscheidende Wort fallen.«

»Also der Bien muß ... Na, dann werde ich es heute ins reine bringen. Was gibt's sonst Neues, Adam?«

Der Hegemeister zuckte die Achseln... »Neues... ja doch, das wollte ich Ihnen erzählen: bei mir ist Heiratsmarkt, ich werde mich wohl an die Georginne wenden müssen...«

»Na nu, was ist denn los?«

»Ja, lieber Freund, wo Honig aussteht, fliegen die Bienen zu. Die beiden Forstaufseher, Mooslehner und Schnabel, und der Assessor balzen um die Wera. Ich habe in der ersten Zeit meinen Spaß daran gehabt, aber mit der Zeit hat die Sache ein ernsthaftes Gesicht bekommen. Jeden Abend, den Gott werden läßt, sitzen die drei bei mir.«

»Der Assessor auch? Der wollte ja grundsätzlich nicht heiraten.«

»Ja, ob das der Endzweck ist, weiß ich nicht, aber daß er ihr sehr eifrig den Hof macht, kann ein Blinder mit dem Stock fühlen. Gestern hat er Wera den Vorschlag gemacht, mit ihm nach Königsberg in die Oper zu fahren. Ich soll natürlich der Tugendwächter sein.«

»Na, und was sagt die Wera dazu?«

»Ich werde mich sehr hüten, sie zu fragen.«

»Haben Sie denn nicht bemerkt, ob sie einen bevorzugt?«

»Ih, da kann sich der Deuwel drin auskennen.

Einen Tag redet sie mehr mit einem, den andern Tag mit dem anderen.«

Der Forstmeister lachte. »Sie, Adam, das ist verdächtig. Sie hat sich noch für keinen entschieden, will aber alle drei scharf machen. Wenn das bloß gut abläuft. Der Mooslehner ist ein Hitzkopf, und der hat sie schon lange gern. Der hat schon die ganzen Jahre still um sie geworben.«

Der Hegemeister kraute sich in den Haaren und strich dann die Sardellen von hinten glatt. »Ich will Ihnen mal reinen Wein einschenken, lieber Herr Forstmeister. Die Wera kann keinen von den dreien heiraten ... denn sie ist noch verheiratet. Ihr Mann ist nicht tot. Der sitzt irgendwo in einem russischen Gefängnis oder ist nach Sibirien gebracht worden. Sie wollte kein Gerede haben, deshalb gab sie sich für eine Witwe aus. Sie hat es mir auch erst vor ein paar Monaten gesagt. Ihr Mann war Inspektor auf dem Gut bei Riga, wo sie Bonne war.«

Der Forstmeister schüttelte verwundert den Kopf. »Das ist das erste, was ich höre. Aber das müßte man den jungen Leuten stechen, ehe die Sache ernsthaft wird.«

»Dem Mooslehner habe ich es schon gesagt... er hat mir zur Antwort gegeben: er müßte sowieso noch ein paar Jahre warten, bis er eine bebaute Stelle kriegte, und bis dahin könnte die Ehescheidung ausgesprochen werden.«

»Na, soll ich es dem Assessor sagen? Der Nante kommt wohl nicht in Betracht?«

»Sagen Sie das nicht, lieber Freund, sie ist eigentlich am freundlichsten zu ihm.«

»Das ist bloß Diplomatie, Adam.«

»Kann schon sein; aber nun müssen Sie zu den Damen gehen, sie sind schon im Garten. Weidmannsheil, Herr Forstmeister.«

Der alte Herr stand auf und reckte seine stattliche Gestalt. »Weidmannsdank!« Mit raschen Schritten ging er auf die Damen zu. Der Assessor hatte sich mit Wera verkrümelt. Georginne stand mit Madeline vor einem Beet, das allerdings noch recht kahl aussah. »Das kann alles noch viel schöner hier werden«, hörte er sie sagen.

»Na, wie gefällt Ihnen meine Wirtschaft, Weschkalene?«

»Sehr schön, Herr Forstmeister. Aber wenn erst eine junge Frau im Hause ist, wird es doch noch ein bißchen anders aussehen. Lassen Sie sich mal von Madeline zeigen, wie das Spalierobst an der Scheune kümmert. Da muß was geschehen, aber bald. Geh mit ihm, Madeline, ich muß mich nach den beiden anderen umsehen.«

Eine Weile schritt der Forstmeister schweigend an Madelines Seite. Er fühlte sich so verlegen und unbeholfen wie ein schüchterner Jüngling... und sie sah auch so aus.

»Darf ich Ihnen nicht den Arm anbieten, Frau Madeline?« Ohne aufzublicken, legte sie ihre Hand in seinen Arm.

»Madeline,« sagte er nach einer Weile halblaut, »wir sind beide über das Alter hinaus, wo wir solch einen Schritt in stürmischer Begeisterung tun. Ich will Ihnen nicht verhehlen, daß ich lange und schwer mit mir gerungen habe. Das werden Sie bei meinem Alter begreiflich finden. Ich muß Ihnen aber auch sagen, daß ich Ihnen sehr gut bin.« Er faßte nach ihrer Hand, die er wie eine Kohle auf seinem Ärmel brennen fühlte. »Madeline,« fuhr er wieder fort, »Ihre Tante hat mir verraten, daß Sie mir ein wärmeres Gefühl entgegenbringen. Ist das wahr?«

Sie hatte den Kopf gesenkt und nickte, ohne zu ihm aufzusfehen. Er blieb stehen und ließ sie los. »Nun sehen Sie mich alten Knaben noch einmal genau an ... und dann sagen Sie mir, ob Sie es mit mir wagen wollen.«

Jetzt hob sie den Kopf, und aus ihren Augen leuchtete ihm ein so warmer Strahl entgegen, daß er unwillkürlich die Hände nach ihr ausstreckte ... Und dann barg sie ihr heißes Gesicht an seiner Brust.

Der Forstmeister hatte seine fröhliche Sicherheit wiedergewonnen. »Na, und wie ist es mit dem Verlobungskuß? So alt sind wir doch noch nicht, daß wir darauf verzichten müssen.« Er hob ihr Kinn auf und suchte ihren Mund, der sich willig finden ließ ...

»Nun seht doch bloß einer an«, rief Georginne hinter ihnen. »Was tut sich hier? Forschtmeisteris, Sie wollen mir doch nicht meine Nichte abspenstig machen?«

Schrader lachte laut auf. »Sie, Georginne, wir erzürnen uns, wenn Sie so schamlos heucheln ... nicht wahr, Madeline?«

»Ja, Herr Forstmeister.«

»Ottomar heiß' ich mit Vornamen, meine liebe Braut. Forstmeister ist bloß mein Titel. Und nun bitte ich um Ihren Glückwunsch, verehrte Schwiegertante, denn für eine Schwiegermutter sind Sie mir noch viel zu jung.«

Der einzige, der von der Tatsache überrascht wurde, war der Assessor. Er hatte wirklich noch nichts gewußt. Er machte zwar ein verdutztes Gesicht, als der Forstmeister ihm Madeline als seine Braut vorstellte, aber er faßte sich schnell und gratulierte äußerst herzlich. In demselben Augenblick, als das Brautpaar auf der Veranda erschien, kam Abromeitene mit einer Flasche Sekt aus der Küche an. Die Kelche standen schon auf dem Tisch, und der Sekt war schon so kalt, daß er sofort eingegossen werden konnte, was der Assessor mit viel Geschick besorgte. Inzwischen war Abromeitene verschwunden und kam mit einem großen, prächtigen Strauß an, den sie der Braut überreichte. Dann mußte sie ihre Schürze zu Hilfe nehmen. Aber so viel vermochte sie doch noch zu sagen: »Ich habe den Jons nach Starrischken und Dietrichswalde geschickt und mich mit dem Abendbrot darauf eingerichtet.«

»Nun können Sie nicht mehr zurück, alter Freund,« rief der Hegemeister, »wenn Sie auch wollten; aber ich denke, Sie wollen nicht.« Nun kamen auch Mooslehner und Nante, die in der Amtsstube saßen, und gratulierten und bekamen ein Glas Sekt. Verdächtig schnell kamen die beiden Wagen aus Dietrichswalde und Starrischken. Es war rein wie auf dem Theater, wo ein geschickter Regisseur die Vorstellung leitet. Der war aber in diesem Falle nicht die Weschkalene, sondern die Abromeitene. Den Champagner hatte sie schon vor dem Kaffee aufs Eis gelegt, und den Jons hatte sie abgeschickt, als der Forstmeister nach dem Garten ging.

Der »junge Bräutigam«, wie der Starrischker ihn konsequent nannte, war in übermütiger Stimmung. Er hatte die beiden Frauen seiner Freunde unter vier Augen gefragt, was sie zu der Verlobung sagten. Und beide hatten ihm mit herzlichen Worten versichert, daß sie sich darüber freuten und seinen Entschluß nur billigen könnten ... Das verscheuchte seine letzten Bedenken.


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