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3. Kapitel

Als der Forstmeister gegen Mittag nach Hause kam, war Nante Schnabel eingetroffen, ein Mann von mächtigen Gliedern und breiten Schultern, sechs Fuß groß, so daß er seinen stattlichen Vorgesetzten noch um Haupteslänge überragte... Der alte Herr begrüßte ihn in seiner leutseligen Weise, reichte ihm die Hand und hieß ihn willkommen. Inzwischen war Mooslehner aufgestanden und neben Schnabel getreten: »Ich habe eine große Bitte, Herr Forstmeister.«

»Na, schießen Sie mal los.«

»Ich wollte bitten, ob nicht Schnabel an meine Stelle als Forstschreiber treten könnte.«

»Weshalb denn? Was treibt Sie denn weg? Haben Sie es nicht gut bei mir?«

»Herr Forstmeister, ich könnte mir kein besseres Leben wünschen; aber nehmen Sie es mir nicht übel, ich ertrage das Sitzen auf die Dauer nicht. Ich habe in dem einen Jahr bei Ihnen zwanzig Pfund zugenommen, und ich möchte mal wieder eine Zeitlang ganz ungebunden durch den Wald laufen.«

»Na ja, das kann ich verstehen, aber...«

»Herr Forstmeister, der Kollege Schnabel ist sehr gewandt mit der Feder, er wird sich schnell einarbeiten.«

»Na, wie ist's denn, Schnabel, haben Sie Lust? Sie bekommen bei mir freie Station und fünf Taler Zulage monatlich. Sind Sie damit zufrieden?«

»Aber sehr, Herr Forstmeister. Ich muß Ihnen allerdings gestehen, daß ich ...«

»Weiß schon alles, Sie schlagen eine gute Klinge vor der Schüssel. Na, wir werden Sie schon satt kriegen, so viel wird schon vorhanden sein.«

Nante lächelte verlegen. »Herr Forstmeister haben mich noch nicht essen sehen ... aber ich nehme mit allem vorlieb, und wenn ich bitten dürfte, der Mamsell zu sagen, daß die Hauptsache für mich eine Schüssel mit dicken Erbsen oder Bohnen oder Reis ist... und Brot halte ich mir noch nebenbei.«

»Aber, Schnabel, das kann doch nur eine krankhafte Veranlagung sein. Haben Sie denn noch keinen Arzt gefragt?«

»Jawohl, Herr Forstmeister, aber jeder hat mir gesagt, dagegen gibt es kein Mittel.«

»Na, dann müssen wir Sie schon durchfüttern. Nun noch eins. Binnen kurzem wird hier eine neue junge Wirtschafterin einrücken ... meine Abromeitene heiratet den Kallweit. Das möchte ich nicht wieder erleben ... also möchte ich bitten: stubenrein ... so ein freundschaftliches Speisekammerverhältnis, dagegen habe ich nichts, aber Verlobung und Heirat, das möchte ich mir verbitten.«

»Ach, Herr Forstmeister können ganz beruhigt sein. Ich werde nie heiraten. Ich weiß, was meine Eltern mit drei Jungen, die alle denselben Appetit hatten wie ich, durchgemacht haben. Das möchte ich nicht durchmachen ... ich heirate nicht.«

»Na, dann sind wir beide ja einig. Aber Sie, Mooslehner, kommen vom Regen in die Traufe. Sie werden mit dem Assessor kluppen, tagaus, tagein ...«

Der junge Grünrock lachte: »Das schreckt mich nicht, Herr Forstmeister, da bin ich doch den ganzen Tag im Walde.«

»Na, dann ist ja alles zu gemeinsamer Zufriedenheit erledigt. Mooslehner, Sie weihen in den nächsten Tagen Schnabel in die Amtsgeschäfte ein... heute müssen Sie noch an den Zimmermeister Krause schreiben, der möchte morgen 'rauskommen, wenn er die alte Chalupp, das Steuerhaus, reparieren will. Sie müssen sich natürlich in der Nähe einquartieren.«

»Ich denke, Herr Hegemeister wird mich aufnehmen.«

»Na, ob die Wera damit einverstanden sein wird...«

»Ich glaube ja, Herr Forstmeister.«

»Ach so? na, ich hätte beinahe etwas gesagt...«

Der junge Grünrock war rot geworden... sein Vorgesetzter drohte ihm noch schelmisch lächelnd mit dem Finger und ging hinaus.– –

Gegen Abend ließ der alte Herr sich seinen Jagdwagen anspannen, um zum Schnepfenstrich zu fahren. Als er mit dem umgehängten Gewehr in die Haustür trat, flog ihm ein Pantoffel nach, und Abromeitene rief aus der Küchentür laut und energisch: »Hals- und Beinbruch, Herr Forstmeister«, und als der Wagen durch das Hoftor fuhr, stand da das blitzsaubere, blutjunge Stubenmädel, knickste artig und sagte verschämt: »Weidmannsheil.« Schrader schmunzelte vergnügt. Er war nicht abergläubisch, gar nicht ... aber es gab doch so ein angenehmes Gefühl, wenn diese Formalitäten erfüllt wurden.

»Wir haben noch viel Zeit, Ions, wir können noch an dem Saatkamp und an der neuen Kultur vorbeifahren ... und dann nach Jagen Siebzehn!« rief er dem Kutscher zu.

In behaglichem Trab fuhr der Wagen dahin. Mit scharfem Auge musterte Schrader rechts und links den Wald ... ein herrliches Revier ... einzelne Partien reiner Nadelwald, Kiefern und Fichten, aber von hellem Laubunterholz durchsetzt... dann wieder reine Laubbestände, alte gewaltige Eichen und Buchen ... dazwischen überall Wiesenschlenken. Vertraut äsend stand Rehwild in überreicher Zahl auf den Lichtungen. Ab und zu hielt Jons den Wagen an und deutete mit der Peitsche auf einen Sprung Rehe oder auf einen einzelnen Bock. Dann stand der Forstmeister auf und nahm seinen Pernox an die Augen und besah sich das Wild. Die Böcke standen noch im Bast, aber man konnte doch schon erkennen, daß ganz kapitale Burschen darunter waren, die handbreit über die Lauscher hinaus aufgesetzt hatten.

Dem alten Grünrock wurde das Herz weit. Das war es, was ihm vor langen Jahren, als man ihn als Hilfsarbeiter in das Ministerium in Berlin hatte berufen wollen, die ablehnende Antwort in die Feder diktiert hatte. Bei seinen Grünröcken, seinen Bäumen und seinem Wild wollte er bleiben. Und der Lohn war nicht ausgeblieben. Seine Beamten liebten ihn wie einen Vater, der Wald war unter seiner Fürsorge gediehen; so manche Gruppe alter Eichen, die der Axt verfallen waren, hatte er eigenmächtig stehen lassen, und aus der dürftigen Wildbahn war ein reicher Wildbestand herangewachsen.

Langsam rollte der Wagen einen schmalen holprigen Waldweg dahin ... ab und zu bot sich ein Ausblick nach dem Wiesental der Aschwöne. Das kleine Flüßchen, das bei der Schneeschmelze die Wiesen weit und breit überschwemmte, war bereits in seine Ufer zurückgetreten. Ein leichter, hellgrüner Schimmer lag schon auf der weiten Fläche. Der Wagen hielt, der Grünrock stieg aus, um zu Fuß sich auf seinen Stand zu begeben. Er hatte kaum einige Schritt getan, als nach dem Tal zu ein Schuß fiel. Er drehte sich um. »Jons, wo fiel der Schuß?«

»Nach Astrawischken 'rüber...«

»Na, das kann der Schwarzkopf gewesen sein.«

»Ja, aber es war ein Büchsenschuß, Herr Forschtmeister.«

»Na, vielleicht hat er auf Schwein oder Fuchs geschossen ... werden ja morgen hören.«

Er ging langsam weiter. An einem frei in der Wiese stehenden Weidengebüsch machte er halt, stieß seinen Sitzstock in die Erde und lehnte das Gewehr an den Strauch. Die Sonne war eben untergegangen, ein klares Rot stand am Abendhimmel, auf den tiefliegenden Wiesenstellen lag bereits eine dünne Nebelschicht, die der leise Lufthauch zu langen Schleiern auszog. Auf der Spitze einer Fichte saß eine Singdrossel, die größte Künstlerin des deutschen Waldes. Unermüdlich ließ sie ihre abwechslungsreiche Strophe ertönen; in den Pausen antwortete ihr eine Amsel. Dicht vor dem alten Herren flitzten zwei Meisen neckend durch die Zweige des Strauches, dann schreckte auf der anderen Seite der Wiese ein Reh ... wahrscheinlich hatte ein Rotrock, der sich zur nächtlichen Mäusejagd begab, es vergrämt. Langsam verblich die Abendröte ... bis der erste Stern aufblitzte. Der Forstmeister stand auf und nahm das Gewehr zur Hand. Jetzt war es Zeit, jetzt konnte die Langschnäblige kommen ...

Da ertönte deutlich hinter ihm ein lautes: »Quorr, Quorr ...« Blitzschnell fuhr der Grünrock herum. Da, noch einmal, dicht vor seinen Füßen, im Graben wieder »Quorr, Quorr ...« Ein vorlauter Frosch war es, der seine Stimme erhoben hatte, wahrscheinlich der Vorsänger des Chores, der aber noch vergeblich das Abendlied angestimmt hatte. »Willst du wohl das Maul halten und nicht alte Leute zum Narren machen!« rief der Forstmeister wohlgelaunt dem Sumpfsänger zu.

Doch jetzt wieder »Quorr, Quorr...«, aber oben in der Luft, und gleich nachher ein scharfes »Pix«. Ja, das war sie ... langsam kam sie in der stillen Abendluft angeschwebt ... und zehn Meter hinter ihr die zweite. Langsam, vorsichtig hatte der alte Weidmann das Gewehr angebackt, zweimal schnell hintereinander krachten die Schüsse, in mehrfacher Wiederholung kam das Echo zurück. Der brave Hektor war schon unterwegs, um die Beute zu holen. Behaglich schmunzelnd hing der Grünrock die beiden Schnepfen an seine Jagdtasche. Bald darauf kamen die dritte und vierte gezogen, aber zu weit für einen sicheren Schuß. Der Nebel auf der Wiese war zu Mannshöhe angewachsen. Wenn ein frischer Luftzug das Tal entlang strich, wogte er wie ein milchweißer See. Einzelne Streifen lösten sich ab und zerflatterten gegen den Wald, der dunkel und schweigend dastand ...

Langsam schritt der Grünrock zum Wagen. »Nach Starrischken, Jons! Aber langsam, wir haben keine Eile.« – –

Die beiden Forstaufseher hatten bis Vesper fleißig im Bureau gearbeitet, dann machten sie Schluß und gingen hinüber zum Hegemeister. Der alte Herr war eben dabei, eine Anzahl Frösche, denen er die Haut abgezogen hatte, als Köder auf die Krebsteller zu binden. Schon von weitem rief er ihnen entgegen: »Na, du langer Labommel, wie bist du hierhergekommen?«

»Zu Fuß, Ohm Adam,« erwiderte Nante gleichmütig, »ich bin unterwegs bei der Mutter angesprochen, sie läßt dich vielmals grüßen.«

»Schönen Dank, wie geht es ihr denn?«

»Ganz gut ..«

»Das glaube ich, daß ihr wohl ist, seitdem sie euch Fresser nicht mehr auf dem Halse hat. Hast dir schon Quartier besorgt?«

Nante schüttelte bedächtig den Kopf. »Ich dachte, Ohm Adam, da ich doch in dein Revier versetzt bin, daß du mich aufnehmen wirst.«

Der Alte wischte seine rechte Hand an einem roten Taschentuch ab, schob sich die Mütze von der Stirn zurück und kratzte sich in den Haaren über dem Ohr. Die ganze Prozedur war so komisch, daß die jungen Leute sich kaum das Lachen verbeißen konnten.

»Na, wenn's nicht anders geht, ich werde doch mein Patenkind nicht verhungern lassen!«

»Die Gefahr ist ausgeschlossen. Herr Hegemeister!« warf jetzt Mooslehner ein. »Der Herr Forstmeister hat ihm schon angeboten, ihn als Forstschreiber und in Kost zu nehmen.«

»Weshalb sagst du das nicht gleich, du Lorbaß? Wolltest mich wohl auf die Probe stellen? Das ist dir aber vorbeigelungen. Na, nun kommt 'rein, 'nen Happen verbeißen, dann könnt ihr mitkommen, Krebse fangen. Wenn ich ein Schock zusammen habe, muß ich nach Starrischken. Ihr könnt weiterfangen.«

»Ich habe noch eine Bitte, Herr Hegemeister. Wollen Sie mir Ihre zweite Oberstube und Essen geben? Ich habe doch mit Schnabel getauscht.«

»Na, wenn ich schon zu Nante A gesagt habe, dann muß ich doch zu Ihnen B sagen. Aber wir tun beide klug daran, wenn Sie jetzt noch Wera hübsch bitten« ...

In Starrischken war eben das Abendbrot aufgetragen, als der Hegemeister mit dem Schock Krebse eintraf ... lauter Pariser, so nennt der Handel die größten Krebse, die von Ostpreußen nach Paris gehen. Eine halbe Stunde später erschienen sie bereits auf der Tafel, in leuchtendem Rot prangend, dampfend und duftend ... Bedächtig widmeten sich die vier Herren den schmackhaften Krustern. Man hörte nur das Krachen der Schalen und ab und zu ein wohlgefälliges Grunzen.

Endlich schob der Gutsherr seinen Teller zurück: »Herrschaften, ich kann nicht mehr ... Das wird einen bildschönen Durst geben. Na, ich habe vorgesorgt. Ich habe deine frischmilchende Kuh 'rüberholen lassen, Degenfeld.«

»Da hört doch die Weltgeschichte auf! Was sollen wir denn morgen zum Hammel trinken?«

»Kunststück! Schickst morgen nach der Stadt und läßt ein frisches Faß holen. Aber nun an die Arbeit, meine Herren.«

Im Nebenzimmer stand schon der Spieltisch wohl vorbereitet. Es wurde ein richtiger Feld-, Wald- und Wiesenskat, ein Hindernisrennen, wie der alte Adam zu sagen pflegte, ein Notbehelf, um die Pausen der sehr lebhaften Unterhaltung auszufüllen ... Die beiden Cousinen, Erna und Liesbeth, musizierten, die beiden Mütter unterhielten sich ... Um Mitternacht wurde aufgebrochen. Die Familie Degenfeld brach zuerst auf, sie hatte nicht weit zu gehen, denn der Park von Dietrichswalde stieß unmittelbar an den von Starrischken. Schrader und Krummhaar standen noch einige Minuten mit dem Gutsherrn auf der Freitreppe in eifriger Unterhaltung. Die Nacht war still und sternenklar, aber kalt. Am Himmel funkelten die Sterne wie im Winter ... tief im Westen schwamm die untergehende Mondsichel über einem dünnen Gewölk.

Im Abgehen fragte der Forstmeister: »Nachbar, sind dir die Kartoffeln knapp geworden, daß du schon die Mieten aufbrechen läßt?«

»Ich, kein Gedanke daran!«

»Nanu? Ich habe doch heute, als ich vorgefahren kam, deine Leute mit 'ner Laterne an der langen Miete hinter der Scheune gesehen.«

»Da soll doch gleich dieser und jener! Das hättest du mir auch früher sagen können; das sind doch gewiß die Astrawischker Tagelöhner gewesen.«

»Gute Nacht.«

Langsam gingen die beiden Grünröcke davon.

»Jetzt werden wir bald einen schimpfen hören,« meinte Schrader lachend, als sie aus dem Hoftor waren, »der Kerl hat mich aber heute sehr geärgert. Woll'n mal einen Augenblick steh'nbleiben.« Es dauerte nicht lange, da kamen aus dem Hoftor drei Mann mit Laternen; eilig gingen sie die Mieten entlang. Sie waren noch nicht ganz am Ende angelangt, da hörte man den Gutsherrn rufen: »So ein verrückter Kerl! Da ist kein Mensch an den Mieten gewesen!«

»Das geht auf mich!« flüsterte der Forstmeister lachend, und laut rief er: »Gute Nacht, Grumkow!«

Nach einer Weile fragte er: »Sagen Sie mal, Krummhaar, haben Sie heute, kurz vor Sonnenuntergang, den Schuß an der Aschwöne gehört?«

»Jawohl, Herr Forstmeister, ich dachte, Sie hätten geschossen.«

»Und ich dachte, das wäre der Schwarzkopf gewesen.«

»Der Schwarzkopf wollte heute nach Lasdehnen fahren, soviel ich weiß ... aber warten Sie mal, kann nicht schon der Naujoks wieder frei sein? Jawohl ... heute haben wir den Zwanzigsten ... gestern ist er freigekommen.«

»Donnerwetter, Hegemeister, daran habe ich gar nicht gedacht. Also morgen früh schnell auf den Anschuß, und dann zu dem Herrn Naujoks. Dem müssen wir so schnell wie möglich wieder das Handwerk legen.«


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