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7. Kapitel

Die anderen Gäste waren bereits eingetroffen, als der Wagen mit den drei Grünröcken vorfuhr. Auf der Diele wurden sie von der Weschkalene empfangen. Sie trug zu Hause mit Vorliebe ihr altes Nationalkostüm. Heute hatte sie ihre kostbaren Festgewänder angelegt. Über zahlreichen steifgestärkten Unterröcken ein grünseidenes Kleid, das die Füße frei ließ ... darüber eine seidene Schürze in den litauischen Farben, grün-weiß-rot gestreift; das blütenweiße Hemd an den Ärmeln und dem Halse reich gestickt. Darüber ein grünes Sammetmieder mit schmalen Achselbändern. Um den Hals trug sie eine Kette von Bernsteinperlen und an der Brust eine große Brosche. Neben der Schürze hing an buntem Band ein Täschchen mit Perlen bestickt.

Schrader stellte seinen Assessor vor und fügte scherzend hinzu: »Unsere verehrte Gastgeberin hat von Jugend auf eine Vorliebe für die grüne Farbe.« Weschkalene lachte und öffnete die Tür nach einer großen Stube, die noch ganz nach litauischer Art eingerichtet war. An den Wänden standen altertümliche Schränke und Truhen aus Birkenholz, mit eingelegten dunklen Holzstreifen verziert. Der Boden war mit Binsenmatten bedeckt. An der gegenüberliegenden Stirnwand befand sich ein mannshoher Kamin, in dem dicke Buchenscheite loderten. Die Gäste saßen in bequemen Sesseln im Halbkreis vor dem Kamin.

Nach der Vorstellung des Assessors entschuldigte sich Schrader, daß sie so spät kämen. »Ein früher Gast bleibt nicht zur Nacht«, erwiderte ihm die Weschkalene mit einem litauischen Sprichwort. Sie hatte ihm ihren Platz eingeräumt, so daß er neben Frau Mazat zu sitzen kam. Sie hatte den alten Herrn ohne jede Spur von Verlegenheit begrüßt und wandte sich nun an ihn:

»Ich möchte eine alte Bekanntschaft mit Ihnen auffrischen, Herr Forstmeister.«

»Mit mir, gnädige Frau? Ich wüßte nicht...«

»Aber ich weiß... Es ist allerdings schon einige Jahre her. Ich war damals ein blutjunges Ding von sechzehn Jahren und bei Tante Georginne zu Besuch. Da nahm sie mich mit zum Schützenfest in Lasdehnen... Wissen Sie noch, Herr Forstmeister, wer damals den Eichenkranz als bester Schütze bekam? Sie, Herr Forstmeister.«

»Ja... ja... ich entsinne mich... es war ein harter Kampf. Wir hatten damals ganz vorzügliche Schützen unter den Grünröcken, den Modrow, den Ziehmann, den Goburrek. Ja... ja, das war damals eine lustige Zeit.«

Er lehnte sich in den Korbsessel zurück und sah den Rauchringeln seiner Zigarre nach.

»Sie haben sie aber doch alle bezwungen, Herr Forstmeister. Ich sehe Sie noch wie heute vor mir, wie Ihnen auf der Bühne im Saal von einem jungen Mädchen der Kranz überreicht wurde. Dann begann der Tanz. Ich war an dem Abend außer meiner Tante die einzige, die litauisch angezogen war. Die jungen Leute rissen sich um mich.«

»Wirklich?«

»Jawohl, Herr Forstmeister. Sie tanzten auch sehr viel, am meisten mit Ihrer schönen Frau.«

»Ja, mit meiner schönen Frau... Mein Kind, das sind zweiundzwanzig Jahre her.«

»Ja, und ich hatte damals nur den einzigen Wunsch, daß Sie ein einziges Mal mit mir tanzen möchten. Und dann kamen Sie auf mich zu und forderten mich auf, und da war ich vor Freude so verwirrt, daß ich nicht gleich in den Takt kommen konnte.«

»Richtig... ja... jetzt entsinne ich mich... und wissen Sie, weshalb? Meine Frau lachte mich aus, als ich zurückkam... es hätte so komisch ausgesehen, als ich vergeblich um Sie herumhopste. Also das sind Sie gewesen! Dann sind wir ja wirklich alte Bekannte. Daß wir aber später nicht mehr zusammengetroffen sind?«

»Meine Eltern wurden nach dem Westen versetzt.«

»Und Sie haben wohl auch früh geheiratet?«

»Ach wo, Herr Forstmeister, ich bin dreißig Jahre alt geworden, ehe sich ein Bewerber für mich fand.«

»Sie haben wohl sehr gewählt?«

»Durchaus nicht, Herr Forstmeister.« Sie lachte ihn aus ihren blauen Augen schelmisch an. »Aber ein junges Mädchen, nicht sonderlich hübsch, ohne Vermögen, Tochter eines kleinen Beamten, ist auf dem Heiratsmarkt keine begehrenswerte Ware.«

»Sie drücken sich ein bißchen drastisch aus, meine gnädige Frau, aber Sie können recht haben. Darf ich fragen, wie der Umschwung eintrat?«

»Wissen Sie das nicht? Tante Georginne war zum Besuch gekommen. Schon nach wenigen Tagen wußte es die ganze Nachbarschaft, daß ich von ihr einen großen Sack voll Geld erben würde. Acht Tage später hatte ich den ersten Heiratsantrag. Ich bat mir Bedenkzeit aus. Dann lernte ich meinen Mann kennen, er gefiel mir... Sehen Sie, so geht es in der Welt, Herr Forstmeister.«

Sie hatten sich so sehr in ihr Gespräch vertieft, daß sie gar nicht merkten, daß die beiden Gutsnachbarn in einen heftigen Streit geraten waren, in aller Freundschaft natürlich. Aber mit großer Energie wurden von beiden Seiten die Meinungsverschiedenheiten ausgesuchten. Der Starrischker hatte von den Remonten seines Nachbarn einen Rappen gelobt, der ihm außerordentlich gefallen hatte. Der Dietrichswalder hatte als Erwiderung sofort zehn Fehler aufgezählt, die der Rappe an sich hätte, und hatte hinzugefügt: die braune Stute seines Nachbarn würde mindestens dreihundert Mark mehr als Remonte bringen. Nun hatte der Eigentümer der gepriesenen Stute ihre Fehler aufgezählt.

Der Streit war so weit gediehen, daß der eine dem anderen vorwarf, er hätte keinen »Pferdeverstand«. In diesem kritischen Augenblick stand der Hegemeister auf, stellte sich vor die beiden Kampfhähne und sprach nur das eine Wort: »Tauscht!«

Zuerst lachte der Starrischker hell auf: »Der alte Adam hat recht. Tauschen wir die Kracken aus. Nach vier Wochen wissen wir dann, wer von uns beiden recht hat, und der Dumme wird mit einem Verlust von einigen hundert Emmchen bestraft.«

»Wenn aber beide Gäule gleiches Geld bringen?« fragte Herr von Degenfeld.

»Dann habt ihr beide keinen Pferdeverstand«, erwiderte der Hegemeister trocken und ging auf seinen Platz zurück. »Oder die Kommission«, rief ihm Grumkow nach.

Den Assessor hatten die beiden Hauptleute in die Mitte genommen. Sie waren schon zum Kaffee in Weschkallen erschienen und hatten jeder auf dem Abendzug eine Schnepfe geschossen. Sie wunderten sich, als sie hörten, daß der Assessor noch nicht zur Jagd draußen gewesen wäre. Es gäbe doch nichts Schöneres, als eine Langschnäbelige zu erlegen und dabei das Erwachen der Natur zu genießen... Der Forstassessor entschuldigte sich damit, daß er ein wenig außer Übung gekommen sei. Als Feldjäger habe er wenig freie Zeit gehabt, am wenigsten zur Jagd... Dann kam er auf seine Reisen zu sprechen, und er verstand gut zu erzählen. Er wußte an allen Höfen gut Bescheid und kannte von ihnen Intimitäten mehr als andere Sterbliche.

Dann bat Weschkalene zum Abendbrot. Rasch aufstehend bot Schrader seiner Nachbarin den Arm. Sie gefiel ihm... Sie verstand so nett zu plaudern... Ein kluges, gewandtes Frauenzimmer, hatte er schon mehrmals dabei gedacht... Ab und zu lief ihr ein etwas burschikoser Ausdruck unter, den sie, wie sie lachend erklärte, sich von ihrem Manne angewöhnt hatte. Und daß sie schon achtunddreißig Jahre alt war, sah man ihr wirklich nicht an... Weschkalene hatte sich ihren alten Jugendfreund Krummhaar als Tischherrn gewählt. Auf der Diele strömte den Gästen aus der weitgeöffneten Flügeltür des Eßzimmers eine blendende Lichtfülle entgegen. Die Hausherrin weidete sich an der Überraschung ihrer Gäste. Sie hatte in ihre Wassermühle eine Turbine und eine Anlage einbauen lassen, die elektrisches Licht lieferte.

Für den Forstassessor war der Übergang von der schlichten Einfachheit des litauischen Bauernzimmers zu der modernen, aber sehr soliden Pracht eine Überraschung: schwere Eichenstühle mit Lederpolstern und geschnitzten Lehnen, ein gewaltiges Büfett, eine ziemlich große Anrichte, wertvolle Gemälde an den Wänden, der Tisch mit schwerem Silber gedeckt. Dazu Gläser, deren Wert er wahrscheinlich am besten von allen Anwesenden abzuschätzen verstand. Er setzte sich und nahm die Tischkarte in die Hand. Seine Augen weiteten sich. War das möglich? Er las: »Pilzenbartsch ... Krebse... Schnepfen auf litauische Art... Brassen in Bier... Ochsenlende mit Beilage... Himbeereis... Obst... Käse.« Bei jedem Gang standen zwei Weinsorten, geradezu raffiniert ausgesucht. Ganz unten stand ein Ausdruck, der ihm noch nicht vorgekommen war: »Französischer Knall-Kümmel.« Er bog sich zum Hauptmann Winter, der neben ihm saß, und zeigte ihm das Wort auf der Karte. »Was ist das?«

»Aber, lieber Herr Assessor, kennen Sie denn nicht unseren Ausdruck für Champagner?«

Zwei niedliche Mädel in Nationaltracht servierten. Den Wein mußten sich die Gäste selbst eingießen. Als die Krebse aufgetragen wurden, stand Weschkalene auf und klopfte leise an ihr Glas.

»Meine lieben Freunde, wir feiern heute eine Talka, ein litauisches Arbeitsfest, wie es früher allgemein üblich war. Leider verschwinden unsere alten guten Gebräuche immer mehr. Aber heute sind doch zum Flachsbrechen aus fünf Dörfern die jungen Männer und Mädchen zu mir gekommen... denn jede Henne scharrt nach ihrer Art... ich auch... deshalb müssen Sie schon nicht übelnehmen, wenn ich Sie nachher in die Scheune führe... zum Alaus. Ich wünsche guten Appetit, meine lieben Gäste.«

Kaum hatte sie sich gesetzt, als auf dem Hofe Gesang einsetzte. Glockenklare Mädchenstimmen, dann fielen Männer mit kräftigem Baß ein... Eine schwermütige Melodie, die plötzlich in übermütige Lustigkeit umschlug... zu jedem Refrain ein eigentümliches Klappen und Knallen. In kurzen Pausen sangen die Flachsbrecher.

Nach dem Fisch erhob sich der Forstmeister und hielt eine von Geist und Witz sprühende Rede. Seine Freundin habe schon in frühester Jugend eine große Vorliebe für das Deutschtum gezeigt. Leider habe der Betreffende, auf den sich diese Vorliebe richtete, nicht den Mut gehabt, die litauische Rose, die sich ihm zuneigte, zu pflücken. Aber die verehrte Gastgeberin sei nicht nachtragend... Die winzige Anspielung auf den alten Hegemeister wurde nur von den Nächstbeteiligten verstanden. Dann kam der alte Herr auf das Schwinden der alten litauischen Volkstracht zu sprechen und rühmte die Hausherrin als ein Muster echt konservativer Gesinnung, die das neue Gute nicht verachte und doch an dem bewährten Alten festhalte.

Der Assessor hatte sich schon innerlich auf den landesüblichen Schluß vorbereitet: »In diesem Sinne bitte ich Sie, mit mir das Glas zu erheben und ...« Statt dessen machte der alte Herr eine kurze Pause, sah sich freundlich ringsum und sagte feierlich: »An sweikatis«...

Ohne sich zu erheben, stießen die Gäste mit dem alten litauischen Trinkspruch mit ihren Nachbarn an... Vom Hofe her kam donnernd als Echo durch die geöffneten Fenster der Trinkruf zurück.

Als Weschkalenes Gäste nach dem Essen auf den Hof hinaustraten, bot sich ihnen ein farbenfrohes, bewegtes Bild. Im Scheine von Kienfackeln arbeiteten etwa vierzig Männer und Mädchen in litauischer Tracht. Die Männer brachen den Flachs auf den Braken, die Frauen schlugen ihn mit langen, glatten Holzmessern, bis er seidenweich und glatt in Bündel verschnürt und in die Vorratskammer, die Klete, getragen werden konnte.

Plötzlich gab's ein lautes Hallo. Der Forstmeister hatte unter den Flachsarbeiterinnen seine beiden Patchen entdeckt. Zu seinem größten Erstaunen wurde der Forstassessor gleich darauf zwei allerliebsten Mädeln in litauischer Tracht vorgestellt, die sich dabei als Erna von Degenfeld und Liesbeth von Grumkow entpuppten...

Auf der Tenne war ein langer Tisch weiß gedeckt. Und nun kam der berühmte Alaus... ein gelbtrübes Getränk... von einem mild säuerlichen, würzigen Geschmack. Nach dem reichlichen Mahl und den schweren Weinen schmeckte es erfrischend und belebend. Als der Assessor das erste Glas auf einen Zug geleert hatte und nach dem zweiten griff, stand Frau Madeline neben ihm.

»Ich warne Sie, Herr Assessor. Wer das Getränk nicht gewohnt ist...«

»Gnädige Frau, Sie sind grausam. Das ist der Gipfel der Genüsse, die mir heute in so reichem Maße geboten worden sind.«

Fünf Minuten später, nachdem er den dritten kleinen Becher getrunken hatte, saß er mit dem Gefühl völliger Hilflosigkeit auf einem Stuhl am Tisch. Es war ihm zumute, als wären ihm seine Beine abhanden gekommen. Ein Trost war es für ihn, daß Hauptmann Winter neben ihm saß und furchtbar auf das heimtückische Zeug schimpfte. Dann kamen zwei litauische Jünglinge, faßten sie unter den Arm und führten sie in das Haus...

In der großen Stube tanzten die Festteilnehmer nach den Weisen einer Ziehharmonika. Der Forstmeister wollte sich eben mit den beiden Gutsherren zu einem Skat niederlassen, als Frau Madeline erschien und ihn zum Tanz aufforderte.

»Heute wird's hoffentlich besser gehen als damals«, flüsterte sie ihm zu, als er sie um die Taille faßte. Ein Zeichen der Weschkalene hatte die anderen Tänzer auf der Stelle aufhören lassen. »Die Herrschaft tanzt.«

Wie ein Jüngling schwang der Forstmeister seine Tänzerin...

Seit Jahren hatte er nicht mehr getanzt, aber er fühlte selbst mit Vergnügen, daß er es noch nicht verlernt hatte und daß die flotte Bewegung ihm nicht schwer fiel. Und seine Tänzerin war wie für ihn geschaffen. Sie schmiegte sich so dicht an ihn, daß er ihren Körper fühlte, und doch war es ihm, als wenn er eine leichte Feder im Arme hätte ... Er ließ den Hegemeister seine Stelle am Spieltisch einnehmen und blieb im Tanzsaal. Beim nächsten Tanz forderte er Frau Madeline auf...

Der Assessor saß völlig niedergebrochen in einem Klubsessel bei den Spielern. Er war schon ab und zu aufgestanden und war einige Schritte im Zimmer auf und ab gegangen, aber noch traute er seinen Beinen nicht. Dann versuchte er nach dem Takt der Musik einige Tanzschritte... beim Umdrehen hätte er beinahe das Gleichgewicht verloren. Mit Mühe erreichte er den sicheren Sessel.


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