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13.

Eines Sonntagnachmittags sitzt Sara in ihrer Kammer und blickt hinaus auf die Bäume. Sie trägt ihr Sonntagskleid: einen dunklen Rock und eine schwarzweiß karierte Bluse mit schwarzem Samtkragen.

Lose hängt das dürre, gelbwelke Laub an den schwarzen Zweigen. Ein stiller Regen fällt hernieder auf den verblühten Garten; Wasserperlen funkeln an den Nadelspitzen der Edeltanne und klare Tränen sammeln sich an den herabhängenden Zweigen der Esche. Dann und wann fallen aus der grauen Luft weiße Tropfen herab.

Und ein einzelnes Blatt sinkt zur Erde wie ein angeschossener Vogel.

Sara sieht müde aus. Sie ist müde vom Nachdenken. Regungslos starrt sie hinaus in das trübfeuchte Wetter und auf die letzten fallenden Blätter ...

Da plötzlich durchzuckt es ihre Nerven, daß ihr Kopf glüht.

Es rührt sich etwas unter ihrem Herzen.

Sie wird totenblaß ...

War es möglich?! ...

Nein, nein, es war nur etwas Zufälliges; ja gewiß; sie richtet sich auf und streicht glättend mit der Hand an sich herab.

Wenn es nun Wirklichkeit gewesen wäre, – sie würde ihren Dienst verlieren, vielleicht fortgejagt werden mit Schimpf und Schande. Und ihre Eltern? ...

Sara beugt sich vornüber und bedeckt das Gesicht mit beiden Händen – eine Ausgestoßene. Nie könnte sie wieder rein werden vor den Menschen, in ihrem ganzen Leben nicht ... Die Schande, die Schande, die Schande!

Und sie war es ja nicht allein. Nie würde ihr Vater wieder eine frohe Stunde haben, wenn er Tag für Tag in Angst umhergehen müßte vor den Blicken und Andeutungen der Menschen.

Nein! Sie springt auf von ihrem Stuhl; denn wieder fühlt sie, daß etwas Lebendes sich regt.

Aber niemand darf etwas davon erfahren. Keine Macht der Erde wird sie zwingen, es zu offenbaren.

Unruhig fährt sie im Zimmer hin und her. Niemand! ... Sie hebt das Kinn, wie eine Schwimmerin, die am versinken ist.

Jetzt begreift sie auch, warum die Wiesenhofbäuerin sie in letzter Zeit stets so von oben bis unten betrachtet hat.

Aber dies ist ihr eigenstes Geheimnis und kommt nie ans Tageslicht.

Vielleicht wird auch nichts daraus ...

In diesem Augenblick tritt Boel herein auf ihren breiten Füßen. »Du Sara, hör' mal, wollen wir nicht die Knechte einladen zu einer Extratasse Kaffee und uns ein bißchen amüsieren, – es ist, weiß Gott, doch Sonntag heute, und wir sind allein zu Haus.«

Sara nimmt sich zusammen. »Ja, laß uns das – laß uns das!« antwortet sie in vergnügtem Tone.

»Thorwald, der neue Knecht, der ist wahrhaftig – ei weih!« Boel zwinkert mit den Augen.

Sara lacht, das heißt, sie verzieht den Mund, daß man die Zähne sieht.

Boel meint, indem sie geht, es würde wohl auch angehen können, Pfannkuchen zu backen. Auch darin einigen sie sich. – –

Sobald der Kaffee getrunken und die Pfannkuchen verzehrt sind, spreizt Boel die Beine und fragt: »Na, worüber wollen wir denn jetzt plaudern?«

Der neue Knecht blickt sie an, wie sie so robust dasteht, und er lächelt.

Der Junge glotzt von einem zum andern. Der Großknecht Sören gähnt.

»Dir scheint es not zu tun, 'mal den Körper zu strecken, mein Freund!« sagt Boel zu ihm ...

»Aber das ist wahr, du kannst ja spielen, Thorwald! Bitte schön! Her mit der Mundharmonika!«

Sara hat den Tisch abgeräumt. Thorwald setzt sich bequem in den Ofenwinkel, streckt die langen Beine von sich und greift ein paar Akkorde auf dem Instrument.

»Nun los, du! Tra–la–la, Tra–la–la, Tra–la–la–la!« Boel stemmt die Hände in die Seiten und stampft den Takt. Sie zieht den Jungen zu Sara hin. Sie selber packt den Großknecht, und dann tanzen sie Walzer ...

Es ist Saras Walzer. Sie dreht sich, mehr gehend als eigentlich tanzend, aber sie bewahrt ihr künstliches Lächeln, als amüsiere sie sich großartig.

Boel begnügt sich nicht mit den Tönen der Musik, sie selber brummt noch dazu.

Später spielt Thorwald einen Bauerntanz, und da ist Boel nicht mehr zu halten; denn Thorwald behauptet, daß sie ihn nicht tanzen kann.

Jawohl, wie sie fluchen kann! Sie schürzt die Röcke und schlägt mit den Beinen um sich, daß es eine Art hat.

Die anderen amüsieren sich darüber. Der Junge zieht die Schultern hoch und vergräbt die Hände tief in den Hosentaschen, und dann lacht er, daß er beinahe erstickt.

Nachdem Boel sich verschnauft hat, schiebt sie Sara zu Thorwald hin, daß dieser beinahe vom Stuhl fällt; sie selber umfaßt ihren Sören.

»Tanz du mit dem Strohmann,« ruft sie dem Jungen zu.

Thorwald hat Sara aufgegriffen und hält sie auf den Knien fest. Sie wehrt sich und kreischt und lacht, als wäre das alles so lustig, so lustig.

Aber sie macht sich hastig wieder frei.

Dann sagt Boel: »Du, Sara, mir scheint, du hast so lange nicht gesungen!«

»Nein, das ist gar nicht lange her!« wendet Sara in einem Ton ein, als lege sie Wert darauf, daß das verneint würde.

»Leg 'mal los!«

»Ich werd' schon dazu spielen.« Thorwald blickt sie verlangend an.

Boel kneift die Augen zusammen: »Du kannst glauben, sie hat eine feine Stimme!«

»Ich weiß nicht, was ich singen soll,« entschuldigt sich Sara. Es ist ihr unangenehm.

»Ach was, leg' nur los!«

Es wird still.

Sara räusperte sich. »Das ist solch altes, trauriges Lied.« Einerlei. Boel meint, die traurigen sind immer die schönsten.

Es gibt in der Welt viel Kummer und Qual
Und viel unerwartete Sorgen;
Die Tage der Jugend, sie schwanden zumal,
Wo man lebte dem Heut nur und Morgen.
Ich bitt' Euch, Ihr Freunde, lauscht meinem Wort,
Das Lied meiner Seele, es töne fort!

Gedanken zur Heimatsscholle wohl eilen.
Wir ließen Vater und Mutter so früh,
Um dienend stets unter Fremden zu weilen,
Wo wir ihnen schafften viel Kummer und Müh;
Denn der Kindheit Sorgen sind klein, im Vergleich
Zu den spätern, an denen das Leben so reich.

Sara hält plötzlich inne und beugt hastig den Kopf auf die Arme; ihr Rücken hüpft auf und ab, und die anderen wissen nicht, ob sie weint oder lacht.

So liegt sie eine Weile. Dann sagt Boel: »Ich bin meiner Seel' bange, daß die Krämpfe das Mädel gepackt haben.«

Aber Sara blickt auf, streicht das Haar zurück und trocknet die Augen. Dann sagt sie mit vorzüglich geheucheltem Gleichmut, daß ihr etwas Komisches eingefallen sei und da habe sie das Lachen nicht lassen können.

Boel sagt: »Ja, Ihr seid wirklich alberne Gänse, Ihr jungen Mädchen heutzutage – und dann ist es wohl besser, wir hören jetzt auf; denn unsere Leute werden nun bald da sein.«

Sobald Sara allein in ihrer Kammer ist, atmet sie so tief und erleichtert auf, als wäre sie fest eingeschnürt gewesen und nun davon befreit worden.

Sie wirft sich auf das Bett. Ach – was sollte aus alledem werden!

Jetzt fängt sie wohl erst an zu wissen, was das Leben ist.

Doch ihr Geheimnis soll ihr niemand entreißen.

Dann würde es wohl erst recht losbrechen.


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