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3.

Sara und Boel stehen im Brauhause und scheuern Milcheimer. Es geht ihnen von der Hand, als sei es ein Spiel. Die großen Eimer kreisen in ihren Händen so leicht, als flögen sie von selber. Und die Muskeln spielen in den nackten Armen, die unter der Arbeit ewig Platz und Stellung in der Luft wechseln. Boels Arme sind die dickeren und trockneren, die älteren; die Ellenbogen haben eine verhärtete haut. Saras Arme dagegen sind weich und rundlich, mit einer dunklen Falte im Gelenk, wenn sie sie beugt. Und dann ist die Haut leuchtendweiß und zart.

Aber gleich flink brauchen die beiden ihre Hände, und das Rasseln der Eimer aus der Steindiele schallt durch den großen Raum.

Dazwischen wird hin und wieder ein Wort gesprochen.

»Glaubst du denn wirklich, daß du mir einreden kannst,« – Boel schwingt den Eimer, dessen blanke Rundung im Licht funkelt – »du habest noch nie eine Mannsperson geküßt?«

»Es ist wahr!« Sara nickt energisch.

»Ba–h!« Boel dehnt den Laut aufs äußerste, und ihr schallendes Gelächter vermischt sich mit dem Geräusch der Blecheimer.

Sara läßt die Arme sinken; an den runden. Ellenbogen bilden sich kleine Grübchen. Sie richtet den Blick groß und voll auf Boel und sagt: »Ja, beim Himmel, es ist so!«

»Dann ist es wahrhaftig Zeit, daß du es probierst, meine Beste!« Boel lacht abermals; ihr Mund ist unglaublich groß und heißhungrig.

Wiederum bewegen sich die nackten Arme und wechseln ständig Platz und Stellung in der Luft.

Der Wiesenhofbauer schleicht auf seinen Pantoffeln durch das Brauhaus. Er steht still und richtet in liebevollem Ton ein paar freundliche Worte an die Mädchen. Seine Augen werden ganz klein, wenn er Sara betrachtet, die über die nasse Steindiele trippelt; ihre Fußgelenke sind geschmeidig und fest gebaut.

Nachdem er sich entfernt hat, bemerkt Boel: »Du kannst glauben, dem Alten juckt der Gaumen, hä, hä, hä!«

Aber Sara bückt sich schweigend; sie fühlt sich unangenehm berührt durch solche Andeutungen.

Während sie so dasteht in ihrem strammen, um die Hüften schließenden baumwollenen Kleide kommt Sören vorbei, der Großknecht, und versetzt ihr in aller Geschwindigkeit einen Schlag hinten drauf.

»Naa,« sagt Boel, und Sören trifft ein vernichtender Strahl ihrer schwarzen Rügen, »willst du dich schicken!«

Und während sie den Eimer schwingt, daß der eiserne Bodenreifen surrt, wendet sie sich an Sara:

»Du bist wohl nicht so unschuldig, wie du mich glauben machen willst: auf alle Fälle verstehst du es gut, dich einzuschmeicheln und lecker zu machen!«

»Wie kannst du nur so etwas sagen, Boel!« antwortet Sara vorwurfsvoll, indem sie mit dem Handrücken den dunkelroten Haarwust aus' der Stirn streicht.

»Oh – du verstehst gut genug zu schmeicheln; aber ich rate dir nur, laß Sören in Ruh; du hast mit ihm doch noch keine Kinder – wenigstens bis jetzt nicht!«

»Ach!« Sara ist ganz ärgerlich und macht eine Bewegung, als schüttle sie etwas ab.

»Ja, ja, meine Gute, deine Seit kommt auch noch! Die Mannsleute sind übrigens ein Pack, alle miteinander; aber man kann sie ja trotz alledem nicht in Ruhe lassen!«

Gleich darauf stößt Boel einige gurgelnde Töne hervor; es soll wahrscheinlich irgendeine Melodie vorstellen.

In dem Raum, in dem sich täglich die Leute aufhalten und der wie eine behagliche Bauernstube eingerichtet ist, wird zu Mittag gegessen. Man ißt gut auf dem Wiesenhofe. Bei den anderen Mahlzeiten wird Niels, dem Bauern, dieser oder jener gute Bissen ins Schlafzimmer hineingebracht, aber die Mittagsmahlzeit wird, wie es der Brauch ist, mit den Leuten gemeinschaftlich eingenommen.

Sie sitzen alle vergnügt vor der dampfenden Kohlsuppe mit warmem Speck und Schafsfleisch und lassen sich das gute Essen wohl schmecken. Die Bäuerin ist draußen, und Boel läßt ihr Mundwerk laufen.

»Ja, ihr habts schlimm, ihr armen Mannsleute! Nun könnt ihr ins Bett kriechen mit einem vollen Bauch und ein paar Stunden schnarchen, während wir Frauenzimmer eure schmutzigen Teller reinmachen können.«

Die Knechte sehen sich an und lachen. Da ist keiner, der es so recht mit ihr aufzunehmen wagt; aber zuhören mögen sie ihr gerne, wenn sie, so wie jetzt, in Stimmung ist.

»Ja, du bist ein kleines wackeres Mädel, Boel!« lacht Sören, der Großknecht, um sie zu reizen.

»Das haben schon viele gesagt; denn ihr seid alle einander gleich. Wo du dich wohl gestern abend aufgehalten hast, bester Sören; mir scheint, du siehst so mitgenommen aus heute!«

»Ha, ha, ha!« lacht der Wiesenhofbauer und nagt an einem Knochen.

Aber Anders, der Sohn, blickt zu Sara hinüber, die so merkwürdig fremd dasitzt und auf ihren Teller starrt.

»Hör mal, Kleine,« – sie wendet sich an Sara – »möchtest du mir ein Stück Brot reichen!« Sie beißt mit ihren scharfen Zähnen eine dicke Rinde durch.

»Du kannst famos beißen, Boel,« bemerkt Anders.

»Ja, ich habe nicht solch Kauwerkzeug wie du. Ich brauch Gott sei Dank mein Essen nicht in mich reinzulutschen.«

In solcher Tonart geht es weiter.

Der Großknecht sucht sich ein besonderes Stück Schafsfleisch aus.

»Du willst wohl Lammfleisch haben, mein Freund? Das wollt ihr alle, ihr sauberen Burschen!« Sie rülpst laut. »Und unser Alter da am Tischende ist auch kein Kostverächter!«

»Du führst eine etwas freie Rede, Boel!«

»Das kommt daher, Wiesenhofbauer, daß ich ein gutes Gewissen habe.« Boel rülpst abermals, daß es im ganzen Simmer zu hören ist. »Ich weiß nicht, wie es dir damit geht!«

Der Wiesenhofbauer lacht und wischt sich das Fett aus den Mundwinkeln.

Man hört die Frau kommen.

»Nun wird man den Schnabel halten müssen. Und dann setzt euch mal ordentlich hin, Kinder, denn nun kommt Mutter!« – »Nicht wahr, mein Lämmchen?« fügt sie hinzu und streichelt Sara liebkosend die Wange. Aber Sara stößt sie fort.

Die Bäuerin Maren setzt sich hoch und breit, und es wird stille im Lager.

Die Männer schielen allesamt hinüber nach Sara. Sie können die Augen nicht von ihr wenden – denn sie sitzt gerade im Licht so frisch und jung. Das ausgeschnittene baumwollene Kleid umschließt dicht ihre festen Schultern. Ihre Zähne schimmern hinter der kurzen Oberlippe. Sie hat die zarte Haut der Sommersprossigen; das rötliche Haar liegt in goldigem Glanz auf ihrer Stirn. Und wenn sie ihre großen blauen Augen mit dem Ausdruck der erstaunten Unschuld aufschlägt, die zum ersten Male in die Welt hinausblickt – dann fühlt sich alles zu ihr hingezogen.

Sie merkt es nun selber. Halb verschämt antwortet sie der Bäuerin auf eine Frage, und ihre Stimme klingt wie ein silbernes Glöckchen neben der rauhen, geborstenen Stimme Boels.

Als sie vom Essen aufstehen, betrachtet Anders sie mit heißen, begehrlichen Blicken. Und Sara geht in ihre Kammer hinein, um einen Augenblick allein zu sein.

Sie öffnet das Fenster, damit der kühlende Wind hineinbringen kann, und steht ans Fensterbrett gelehnt da, als ob sie träume.

Wie erwachend fährt sie zusammen, springt zurück, macht sich vor dem Spiegel zurecht und begibt sich eilig an die Arbeit.

Am Nachmittag kommen ein paar junge Freunde aus der Familie des Wiesenhofbauern. Sara entdeckt, daß Anders draußen im Hofe steht und sich mit dem einen jungen Mädchen unterhält, wenn sie sich ganz hinauslehnt aus dem Fenster des Brauhauses, kann sie sie sehen. Das Mädchen ist fein gekleidet, sie steht mit über der Brust gefalteten Händen und wiegt sich in den Hüften, und dann und wann beugt sie sich vornüber und schlägt einen Bogen mit der Zehenspitze. Sara sieht es ihrem Rücken an, daß sie lacht. Anders spricht, und Sara weiß, was er sagt, weiß auch, wie weich die Worte diesem Munde entströmen können.

Sara beugt sich vor und zieht sich zurück, wenn sie fürchtet gesehen zu werden. Angespannt starrt sie. So sehr ist sie davon in Anspruch genommen, daß sie die Ankunft Boels nicht bemerkt hat, die sie schon lange beobachtet.

Erst als Boel lacht, recht so ein lautes Gelächter erhebt, macht Sara auf, wie durch eine unsanfte Berührung.

Sie wird rot bis ganz hinab auf den Hals. Schweigend bückt sie sich tief auf ihre Arbeit herab.

Es ist etwas Kränkendes für sie in der Art, wie Boel die Sache auffaßt – etwas, das sie quält.

Und einen Augenblick später hängt eine Träne an ihren Augenwimpern. –

Den ganzen Rest des Tages geht Sara umher mit unruhigem Blick; er ruht nicht auf einem bestimmten Gegenstand, sondern flattert bald hierhin, bald dorthin, wie ein Vogel hinter der Scheibe flattert.

Abends steht sie in ihrer Kammer und starrt hinaus. Lange horcht sie auf das Brausen des Fjords, das der Wind ins Land hineinträgt.

Draußen ist es ganz dunkel, so daß das singende Sausen wie von verborgenen Quellen draußen im Raum zu ihr hereinströmt – Quellen aus der geheimnisvollen Weltentiefe.

So lauscht sie dem Wellenschlage, der ewig auf und ab wogt, wie die Sehnsucht der Menschen.


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