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11.

Es ist wiederum der erste November, wieder ein paar Stunden lang Festtag für Jakob und Dorte in dem alten Weidenhäuschen, das so geduldig da drinnen in den Bergen liegt.

Klein und groß hat sich verabschiedet und alle sind auf den Fußsteigen verschiedener Richtung verschwunden, jeder dorthin, wo er in Stellung ist. Sara ist die letzte; sie ist erst spät gekommen.

»Ach ja,« sagt Jakob und wischt den braunen Saft ab, der sich gerne in den Mundwinkeln festsetzen will. »Es geht ihnen ja allen gut, Gott sei Dank. Das ist das Beste von allem.«

»Ja, noch keiner von ihnen hat uns Kummer gemacht. –« Dorte schlägt mit dem Knöchel drei Schläge unter der Tischplatte: ein kleiner Appell an die geheimnisvollen Mächte des Lebens, falls sie zu viel gesagt haben sollte. Sie weiß nur allzu gut, daß namentlich arme Leute demütig sein sollen.

»Und nun hat Peter dreihundertundfünfzig in der Sparkasse, he, he!« lacht Jakob leise.

»Ja, es ist unglaublich, wie er es versteht, der Bursche!«

»Nun Sarachen,« Jakob kaut an seinem Tabak herum; »du wirst wohl auf dem Wiesenhof bleiben, kann ich mir denken. Das ist ja ein netter Platz, und wir haben gehört, daß du auch dann und wann 'mal mitkommst zu etwas Besserem, und darüber sind wir natürlich sehr froh.«

»Das ist aber noch kein Grund, hochmütig zu werden!« bemerkt Dorte. »Mir scheint, du bist so still.«

»Ach was, Mutter, sie wird ja nun auch immer älter. Mir scheint wirklich, Sara sieht jetzt so vernünftig aus,« sagt Jakob und lächelt der Tochter voll Herzensgüte zu.

»Ist der Sohn noch immer ebenso nett?« fragt die Mutter.

»Jawohl,« antwortet Sara, »übrigens soll er in den nächsten Tagen auf die landwirtschaftliche Schule!«

»So–o, das soll er. Ja, solche Leute haben's ja dazu!«

Es ist noch Dämmerstunde. Aber das Licht brennt, und Dorte sagt, daß sie noch schnell ein Täßchen Kaffee haben wollen.

Nachdem dieser getrunken ist, geht Sara.

»Leb wohl, mein Kind,« Jakob drückt ihre Hand, »und hab' Dank. Ja, deine Mutter und ich sind jetzt alt, und wir sind arm und verbraucht; aber es ist so hübsch, wenn ihr heimkommt zu uns. Und so wie ihr euch alle herausmacht! – Ja, unsere Kinder sind unser Stolz!«

Jakob ist bewegt, als er so spricht. Und Sara blickt ihren Vater so liebevoll an, daß er ein großes Verlangen danach hat, sie zu liebkosen ...

Aber Jakob will nicht närrisch sein.

Die Mutter küßt sie zum Abschied.

Noch einmal sagt Jakob mit dem herzlichen Ton, der seiner Stimme eigen ist: »Leb wohl, Sarachen!«

Sie hört es noch draußen, und der Klang dieser Worte liegt ihr noch in den Ohren, während sie die Höhen ersteigt. Es ist, als brächten die Klänge dieses Abschiedswortes andere Töne in ihr zum Klingen, weiche, heimatliche Töne, die aus dem Dunkel ringsumher hervorbrechen, Töne, die ihr folgen auf ihrem Wege.

Und doch ist ihr, als müßte sie weinen.

Auf der Bergkuppe blickt sie sich um nach dem einsamen, friedlichen Schein aus den Fenstern des Weidenhäuschens.

Und dann wendet sie sich vorwärts dem Leben zu, diesem Leben, dem ihre jungen Füße sie entgegentragen.

Die Wolken schwellen an, und im Südwesten liegen schräg herabfallend einige Wolkenschichten wie dunkle Balken in der unruhigen Luft. Einzelne Sterne sind sichtbar.

Sara blickt sich rings um. Sollte Anders ihr heute abend nicht entgegengehen? Er war neulich so lieb; er hatte sie aufgesucht; er wollte augenscheinlich den schlechten Eindruck verwischen. So weich und gut war er gewesen, so, wie Sara ihn am liebsten hatte. Und die schönsten Worte, hatte er ihr gesagt ... Aber da waren nun diese Mädchen. Ach ja! Es war kein Wunder, so nett, wie er aussah.

Trotz alledem liebte er nur sie allein, davon war sie überzeugt.

Kam er, dann würde es wohl ungefähr um diese Zeit sein. Er wußte, daß sie nach Hause gegangen war, und in wenigen Tagen sollte er reisen. Diese Reise war ungeheuer schnell beschlossen worden.

Es war ihr, als bewege sich eine Gestalt in einiger Entfernung zur Rechten; nun ging sie hinunter in den Hohlweg. Also den Weg hatte er genommen.

Sie lief eine Strecke zurück und beeilte sich, um ihn an der Biegung des Weges zu treffen.

Aber er war es gar nicht.

Der Wind umfängt sie von allen Seiten und saust ihr um die Ohren, wie immer sie auch den Kopf wenden mag. Das Wetter führt Böses im Schilde, als könne es losbrechen von mehreren Seiten.

Sie beschleunigt ihre Schritte. Dann und wann fährt sie mit einem Ruck zurück; es stehen dort so viele Büsche und anderes, das man am Abend verwechseln kann. Sie beugt sich wohl auch einmal vornüber, versucht jedoch schneller und immer schneller vorwärts zu kommen, als rolle das Blut immer rascher in ihren Adern.

So schnell wie der Entschluß gefaßt worden war, ihn auf die landwirtschaftliche Schule zu schicken! Sie wußte wohl, wer die Schuld trug an dieser Reise ...

Aber da ist er ja! Gerade wie sie in die Allee einbiegen will, sieht sie ihn vom Hofe her kommen.

Freude erfüllt ihr Herz, und es saust ihr vor den Ohren. Sie versteckt sich hinter einen Baum, sie will ihn bange machen.

Sie lugt seitwärts hervor, da ihr ist, als dauere es gar zu lange, – und – da schreitet er quer über die Felder hin auf Vadgaard zu.

Gott im Himmel – wo will er denn hin!

Sie folgt ihm. Sie will ihn anrufen, seinen Namen nennen. Sie will zu ihm hingehen, seine Hand ergreifen, ihm sagen, wie verkehrt dieses hier ist.

Aber sie bleibt stumm; sie folgt ihm nur.

Richtig – er geht hinein in den Garten von Vadgaard.

Mein Himmel, was wird sie noch erleben! Sie geht mitten durch eine Dornenhecke hindurch, die sie verwundet, ohne daß sie etwas davon merkt. Und sie kommt und sieht, wie ein Fenster geöffnet wird und er da hinein verschwindet.

Es ist nichts mehr zu sehen.

Sie macht eine heftige Bewegung; es ist, als fließe etwas über in ihrem Innern. Sie eilt dem Wiesenhofe zu.

Aber nachdem sie eine Strecke gegangen ist, wird sie so traurig und verzagt.

Das Leben ist so schwer und so trostlos.

Ihr wird so angst. Vielleicht kommt noch mehr. Sie will nicht nach dem Hofe; sie hält in der Allee inne. Sie will nicht mehr dort hinein; sie will fort von all diesem.

O wie es in den Pappeln rauscht; sie fürchtet sich. Der Sturm fährt durch die hohen Bäume, es ist keine Gnade. Zorn und Drohungen rauschen die Kronen über ihrem Haupt; so bös wie das klingt.

Da setzt sie sich an den Grabenrand und wehrt den hervorbrechenden Tränen nicht, läßt die Sorge Besitz ergreifen von ihrem Gemüt ...


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