George R. Sims
Erinnerungen einer Schwiegermutter – Zweiter Band
George R. Sims

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Siebzehnte Erinnerung.

Die Pfauenfedern.

Es gibt viele Leute, die über »Altweiberaberglauben«, wie sie es nennen, spotten, wie z. B, zu dreizehn zu Tische sitzen, unter einer Leiter hergehen, den neuen Mond zuerst durch eine Glasscheibe sehen, einen Regenschirm innerhalb des Hauses öffnen und Pfauenfedern im Zimmer haben. Ich selbst bin nicht sehr abergläubisch, aber manches würde auch ich nicht thun, und ganz besonders könnte mich nichts dazu bringen, mich zu dreizehn zu Tische zu setzen oder Pfauenfedern im Hause zu haben.

Eines Tages bei einem Familiengeburtstagsessen sprachen wir über Aberglauben, und wir waren alle einig darin, daß dreizehn bei Tische etwas sei, was keins von uns zu thun wagen würde (wir waren darauf gekommen, weil wir eben mit knapper Not der Gefahr entgangen waren, zu dreizehn zu Tische gehen zu müssen, da ein Glied der Gesellschaft so spät kam, daß wir es schon aufgegeben hatten), aber wir waren keineswegs einer Meinung über die Pfauenfedern.

Marion, meines zweiten Sohnes William Frau, die sehr hübsch malt, einen entschieden künstlerischen Geschmack hat und ihre Zimmer mit geringen Kosten reizend auszuschmücken versteht, wollte nicht zugeben, daß Pfauenfedern bedenklich seien, und William, als gehorsamer Gatte (es ist schade, daß es nicht mehr Männer mit einer ähnlichen Schwäche gibt), stimmte ihr in allem zu.

»Es ist doch wirklich zu albern, zu behaupten, daß Pfauenfedern Unglück brächten,« sprach Marion, »Wenn es sich so verhielte, würden sie doch nicht so viel als Zimmerschmuck verwendet werden. Ich werde mich wenigstens nicht daran kehren. Kürzlich sah ich ein paar reizende Pfauenfederfächer, die eine meiner Freundinnen hierher geschickt hat, um sie für eine Predigerwitwe zu verkaufen, die will ich mir kaufen und über dem Kamin im Empfangszimmer anbringen.«

Wir alle schüttelten den Kopf und waren der Ansicht, das werde sicher Unglück bringen, und John, mein Aeltester, erzählte eine schreckliche Geschichte von einem Herrn, der eine Pfauenfeder auf der Straße aufgehoben und mit nach Hause gebracht habe, und am folgenden Tage sei er über eine Müllschippe, die das Mädchen auf der Treppe habe stehen lassen, gestolpert und habe ein Bein gebrochen.

»Ja,« sagte William, »das beweist weiter nichts, als daß es gefährlich ist, Müllschippen auf der Treppe stehen zu lassen, und darin stimme ich vollständig mit dir überein.«

»Aber das ist nicht alles, was vorgefallen ist,« fuhr John fort, »Am selben Nachmittag brannte sich die Frau des Mannes, der das Bein gebrochen hat, ihre Stirnlocken, als das im Nebenzimmer befindliche Kindermädchen, das das Kleinste auf dem Arme hatte, sich auf einen Stuhl setzte, ohne zu bemerken, daß die Katze darauf lag. Diese heulte, und das Mädchen kriegte einen solchen Schreck, daß es aufsprang und ebenfalls heulte. Das veranlaßte die Dame, sich plötzlich umzuwenden, und dabei stieß sie sich das Brenneisen so in den Backen, daß sie dauernd entstellt ist. Was sagst du dazu?«

William zuckte die Achseln.

»Ich sage weiter nichts, als daß Frauen, die etwas auf ihr Haar geben, es nicht mit heißem Eisen kräuseln sollten, denn sie brennen das Leben heraus, und daß Kindermädchen sich umsehen müssen, ehe sie sich niedersetzen. Das Brenneisen und die Katze waren an dem Unfall Schuld, nicht die Pfauenfeder. Ist sonst noch was vorgefallen?«

»O ja! Am selben Abend verspürte das Zimmermädchen, als es mit seinem Lichte hinaufging, einen starken Gasgeruch. Sie trat in das Zimmer, woraus, wie sie vermutete, der Geruch kam, und als sie eintrat, erfolgte ein furchtbarer Knall. Das Fenster wurde hinausgeschleudert, ein Teil der Decke stürzte ein und die auf dem Kaminsims stehenden Nippsachen wurden zerschlagen, nur etwas blieb unversehrt.«

»Und das war?«

»Die Pfauenfeder, die die Dame dort hingestellt, als ihr Mann sie ihr gegeben hatte. Was sagst du dazu?«

»Daß das Hausmädchen sehr nachlässig gewesen ist und vergessen hat, das Gas im Zimmer zuzudrehen, als der Haupthahn abgestellt wurde. Dieser Unfall fällt dem Mädchen zur Last und nicht der Pfauenfeder.«

»Natürlich kannst du die Sache immer so drehen,« sagte ich, »aber das bringt die Thatsache nicht aus der Welt, daß alle diese Unglücksfälle erst eintraten, nachdem die Pfauenfeder ins Haus gebracht worden war. An deiner Stelle, liebe Marion, würde ich's andern Leuten überlassen, sich mit diesen Fächern in Gefahr zu stürzen.«

Marion lächelte und entgegnete, daß thatsächlich ein andrer der Gefahr ausgesetzt werden würde, denn sie wohnten, wenn sie in die Stadt kamen, in möblierten Zimmern (sie lebten damals auf dem Lande), und dort sollten die Pfauenfedern ihre Probe bestehen.

Die Unterhaltung nahm eine andre Wendung, es wurde nichts mehr über die Pfauenfedern gesprochen, und ich vergaß die ganze Sache sehr bald.

Etwa acht Tage danach besuchte ich Marion in ihrer möblierten Wohnung, und das erste, was meine Augen erblickten, waren die Pfauenfederfächer, die am Spiegel steckten.

»O, du hast sie doch gekauft?« fragte ich.

»Ja,« antwortete sie, »ich habe sie am folgenden Tage gekauft, und sie haben seit der Zeit dort gesteckt und bis jetzt ist noch niemand etwas Schreckliches zugestoßen. Im Gegenteil, sie haben mir Glück gebracht.«

»Wirklich? Wieso?«

»Du weißt doch, was für Mühe ich hatte, ein gutes Stubenmädchen zu finden, das ich mit nach Hause nehmen konnte?«

Ich nickte, denn William hatte mir von den Unannehmlichkeiten, die ihnen ihre Mädchen machten, erzählt. Das, das sie lange Zeit gehabt hatten, ein sehr braves Mädchen, war gegangen, um zu heiraten, und es war ihnen bis jetzt nicht gelungen, einen Ersatz zu finden. Der Ort, wo sie lebten, war sehr still und weit von der nächsten Eisenbahnstation entfernt. Die Mädchen vom Orte sagten Marion nicht zu, weil sie nicht gewandt genug waren, und die Londoner Mädchen wollten nicht dahin gehen, weil es an ihren freien Sonntagen zu langweilig für sie war und sie ihre Bekannten nicht besuchen konnten.

Ich hätte von ihren Schwierigkeiten gehört, erwiderte ich Marion, und innigen Anteil daran genommen.

»Dann wirst du dich freuen, zu hören, daß meine Schwierigkeiten vorüber sind,« antwortete sie, »und ich verdanke es nur diesen Pfauenfedern. Nachdem ich sie gekauft hatte, fragte mich die Dame, ob ich niemand wisse, der ein gutes Hausmädchen brauchen könne. Die Predigerwitwe, die ihr die Fächer und einige andre Kleinigkeiten zum Verkauf geschickt, hatte sie auch gefragt, ob sie jemand wisse, der ein Mädchen suche. Sie wolle ihren Haushalt auflösen und sehe sich nach einer Stelle für ihr Hausmädchen Mary Jones um. Du kannst dir denken, Mutter, daß ich mit beiden Händen zugriff, denn wenn es ein gutes Mädchen war, dann hatten meine Schwierigkeiten ein Ende. Da sie auf dem Lande gelebt hatte, würde sie nichts dagegen haben, wieder da zu leben, und mir würde die Mühe erspart, Erkundigungen einzuziehen, da mir die Empfehlung meiner Freundin natürlich genügen konnte. Ich bat sie also, doch gleich an die Predigerwitwe zu schreiben und sie zu fragen, weshalb Mary Jones ihren Dienst verlassen wolle. Ferner ersuchte ich meine Freundin, die gewöhnlichen Erkundigungen einzuziehen, und wenn diese befriedigende Ergebnisse hätten, wollte ich das Mädchen sofort in Dienst nehmen, und es könne sogleich nach unsrer Rückkehr aufs Land bei uns eintreten. Die Erkundigungen sind eingezogen worden, die Antworten höchst befriedigend ausgefallen, und ich habe mir in Mary Jones augenscheinlich ein ausgezeichnetes Mädchen gesichert.«

»Nun, da wünsche ich dir von Herzen Glück, meine liebe Marion,« erwiderte ich, »aber meine Erfahrung hat mich gelehrt, nicht an fehlerlose Kleinodien zu glauben, bis ich mich selbst überzeugt habe.«

Einige Tage später kehrte Marion nach Hause zurück (sie wohnte in einer ziemlich einsamen Gegend etwa zwei und eine halbe Meile von St. Albans), Mary Jones, das von der Predigerwitwe so warm empfohlene Hausmädchen, trat seinen Dienst an, und Marion war, soweit ich aus ihren Briefen sehen konnte, sehr zufrieden mit ihr. Auch die Pfauenfedern waren mit aufs Land genommen worden, wie ich aus einer Nachschrift zum ersten Briefe, den mir Marion nach ihrer Ankunft dort schrieb, erfuhr.

»Nachschrift: Die Pfauenfedern haben den Ehrenplatz im Empfangszimmer, und wir sind immer noch vollkommen gesund und in der besten Stimmung.«

Etwa einen Monat danach reiste ich nach St. Albans, um William und seiner Frau einen mehrtägigen Besuch zu machen, und dabei hatte ich Gelegenheit, Mary Jones zu beobachten und mir selbst ein Urteil über sie zu bilden. Mein erster Eindruck war entschieden günstig. Sie war groß, sah ganz fein aus und hatte eine angenehme Stimme und ein ruhiges Wesen. Ich meinte, sie hätte etwas Trauriges im Blicke, allein das ist viel besser, als das einfältige grinsende Lächeln, das so viele Dienstmädchen an sich haben, und daß sie ihre Arbeit gründlich verstand, konnte nicht in Abrede gestellt werden. Marion und William waren ganz entzückt von ihr, und sie vertrug sich auch ausgezeichnet mit den andern Dienstboten.

»Beklagt sie sich nicht über die Einsamkeit und Stille hier?« fragte ich.

»O nein, nicht im geringsten; sie geht an ihren freien Sonntagen in die Kirche, und zweimal hat sie abends an einem Wochentage um die Erlaubnis gebeten, nach St. Albans zu gehen. Sie ist das beste Mädchen, das wir je gehabt haben, und gute Dienstboten tragen so viel zur Behaglichkeit des Hauses bei.«

Während meines ganzen Aufenthaltes dort hatte ich keine Veranlassung, meine günstige Meinung über Mary Jones zu ändern. Ich kehrte mit der Ueberzeugung nach Hause zurück, daß sich meine Tochter Glück wünschen dürfe, sich ein wahres Kleinod von einem Mädchen gesichert zu haben, und ich räumte ein, daß sie dieses Glück den Pfauenfedern verdanke.

Nicht lange nachher kam in einer Gesellschaft die Rede auf Dienstmädchen. Ich erwähnte meiner Schwiegertochter Glück und nannte schließlich auch des Mädchens Namen.

Einer der anwesenden Damen schien dieser aufzufallen, denn sie fragte mich, ob es ein großes, fein aussehendes Mädchen sei.

»Ja,« sagte ich, »das ist sie.«

»Wissen Sie, wie Ihre Schwiegertochter zu dem Mädchen gekommen ist?«

»Ja, es ist ihr von einer Freundin empfohlen worden, die seine frühere Herrin kennt.«

»War diese frühere Herrin eine Mrs. Hesketh?«

»Den Namen weiß ich nicht, aber sie ist eine Predigerwitwe.«

»Dann ist es die Mary Jones, die ich meine.«

»Sie kennen sie also? Sie wissen doch hoffentlich nichts Nachteiliges über sie,« sagte ich und konnte ein gewisses Gefühl des Unbehagens nicht unterdrücken.

»O nein, gar nichts, im Gegenteil, alles, was ich gehört habe, spricht zu ihren Gunsten, aber sie war in eine schreckliche Geschichte verwickelt. Wissen Sie, wie Mr. Hesketh gestorben ist?«

»Ich weiß gar nichts über die Heskeths,« entgegnete ich. »Ich höre den Namen heute zum erstenmal. Bitte, erzählen Sie mir alles, was Sie wissen.«

»Ich werde Ihnen alles erzählen, aber ich glaube, ich würde es an Ihrer Stelle meiner Schwiegertochter nicht mitteilen. Mrs. Hesketh hat offenbar nichts davon erwähnt, weil sie fürchtete, es möchte dem armen Mädchen erschweren, eine neue Stelle zu finden, denn manche Leute würden vielleicht Bedenken tragen, ein Mädchen zu nehmen, das in eine solche Geschichte verwickelt gewesen ist.«

»Nun muß ich aber bitten, daß Sie mir gleich alles erzählen; Sie haben mich wirklich beunruhigt,« sagte ich.

»Der Verstorbene Pfarrer Hesketh war ein Mann von etwa sechzig Jahren und stand im Rufe, mancherlei Eigentümlichkeiten zu haben. Auch sollte er wohlhabend sein und namentlich eine wertvolle Sammlung alter Schmucksachen besitzen, die sein Steckenpferd war. Er hatte einmal durch den Zusammenbruch einer Bank erhebliche Verluste erlitten, und seitdem sollte er, wie allgemein erzählt wurde, sein Geld im Hause verborgen haben, und nur, wenn es eine bestimmte Höhe erreicht hatte, kaufte er Staatspapiere.

»Er wohnte mit seiner Frau und zwei Dienstmädchen in einem hübschen altmodischen Hause auf dem Lande. Von diesen Dienstmädchen war eins eine alte Person, die seit seiner Verheiratung als Köchin bei ihm war, das andre ein Hausmädchen, das er in Dienst genommen, als es die Dorfschule verlassen hatte. Als dieses Mädchen heranwuchs, knüpfte es ein Verhältnis mit einem auf einem benachbarten Gute beschäftigten jungen Manne an. Dieser ging nach Amerika, ersparte sich dort etwas und ließ sich seine Braut nachkommen, um zu heiraten. Die Heskeths ließen sie nur ungern gehen, weil sie sie gern hatten und sich nur schwer an neue Gesichter gewöhnten. An ihrer Stelle trat Mary Jones in ihren Dienst. Mrs. Hesketh, die ich vor kurzem in Bath getroffen habe, wo sich die alte arme Dame ihrer Gesundheit wegen aufhielt, hat mir die Geschichte selbst erzählt und gesagt, Mary habe ausgezeichnete Zeugnisse gehabt, und sie könne sich kein besseres und treueres Mädchen wünschen, als sie während des Jahres ihrer Dienstzeit bei ihr gewesen sei. Mary war etwa zwei Monate bei ihr, als die schreckliche Geschichte vorfiel, die dem armen alten Herrn das Leben kostete. An einem Winterabend hatte sich der ganze Haushalt früher als gewöhnlich – etwa um zehn Uhr – zurückgezogen, und Mr. Hesketh lag in tiefem Schlafe, wurde jedoch von seiner Frau daraus erweckt, als die Uhr im Hausflur gerade zwölf schlug.

»Stephen, rief Mrs. Hesketh, ›horch! Hörst du nichts?‹

»›Ich habe die Uhr schlagen hören.‹

»›Nein, das meine ich nicht – bst – hörst du es jetzt?‹

»Mr. Hesketh richtete sich auf und lauschte. Ein Geräusch, wie wenn jemand unten im Hause umhergehe, war deutlich hörbar.

»›Was kann das nur sein?‹ rief seine Frau aus, ›Ach Stephen, glaubst du, es könnten Einbrecher sein?‹

»›Ach was, hier gibt's keine Einbrecher, liebe Frau, Wahrscheinlich ist's die Katze, aber ich will auf alle Fälle 'mal hinuntergehen und nachsehen.‹

»Er erhob sich, schlüpfte in seinen Schlafrock und trat auf den Gang. Zu seiner großen Ueberraschung sah er Mary Jones vollständig angekleidet an der Treppe stehen.

»›Mary,‹ rief er aus, ›sind Sie denn das? Warum in aller Welt gehen Sie denn in dieser nachtschlafenden Zeit im Hause umher?‹

»Das Mädchen wandte ihm ein totenblasses Gesicht zu und erhob warnend einen Finger.

»›Still, Herr!‹ sprach sie ziemlich laut, ›sie werden Sie hören.‹

»›Mich hören? Wer?‹

»›Ich habe ein Geräusch vernommen und bin heruntergekommen, um zu sehen, was es sei. Es sind Männer im Hause. O, bitte, gehen Sie nicht hinunter, sie werden Sie umbringen.‹

»Allein der Gedanke, es werde eingebrochen und er solle seiner Schätze beraubt werden, war zu viel für den alten Herrn. Er drängte sich an dem Mädchen vorbei und eilte die Treppe hinab. Alt und schwach, wie er war, stolperte er in seiner Aufregung und fiel einen Teil der Treppe hinunter. Als seine Frau, durch sein langes Ausbleiben beunruhigt, endlich zitternd herauskam, fand sie ihn unten liegen, und die arme Mary Jones war damit beschäftigt, ihm die Stirn mit kaltem Wasser zu baden. Das Geräusch im Zimmer hatte aufgehört, die Diebe hatten mitgenommen, was sie wollten, und waren durch die Fenster des Erdgeschosses in den Garten gelangt und entkommen. Mr. Hesketh konnte sich nie von den Folgen des Sturzes und des Schrecks erholen und starb einen Monat nachher.«

»Du meine Güte,« rief ich, »wie traurig das ist, aber das Mädchen scheint sich sehr brav benommen zu haben, und sie hatte meiner Ansicht nach ganz recht, daß sie den Versuch machte, ihren Herrn zu hindern, sein Leben aufs Spiel zu setzen.«

»Ja, das war auch Mrs. Heskeths Ansicht, und als sie ihren Haushalt auflöste und alles verkaufte, hielt sie es für ihre Pflicht, ihr Möglichstes zu thun, um Mary eine andre Stelle zu verschaffen. Wahrscheinlich wollte sie dem armen Mädchen peinliche Fragen oder Erinnerungen ersparen, und deshalb hat sie in ihrem Briefe an Ihre Tochter nichts von der Sache erwähnt. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich auch nichts davon sagen. Damen, besonders junge Damen, haben manchmal ein Vorurteil gegen Leute, die in ein Trauerspiel verwickelt gewesen sind.«

Ich mußte der Dame recht geben und entschloß mich, Marion nichts zu sagen. Das habe ich auch nicht gethan, aber ich nahm mir vor, ich wollte es William bei erster Gelegenheit mitteilen.

Etwa eine Woche später kamen er und Marion zum Essen zu uns. Dabei hoffte ich, einen Augenblick zu finden, wo ich mit ihm allein reden könnte, und dann wollte ich ihm die sonderbare Geschichte der Mary Jones erzählen. Sie kamen auch, allein die gewünschte Zwiesprache unter vier Augen ließ sich nicht herbeiführen, da sie gegen meine Erwartung nicht über Nacht blieben, sondern früh wieder wegfuhren, um den letzten Zug zu erreichen, der sie noch nach Hause bringen konnte.

Zu meiner großen Ueberraschung kamen sie beide am folgenden Nachmittag um vier wieder und sahen ganz krank vor Aufregung und Sorge aus.

»Allmächtiger!« rief ich aus, »Was ist denn um Gottes willen vorgefallen?«

»Alles Mögliche,« entgegnete William, »etwas Furchtbares ist geschehen, und ich bitte dich, Marion ein paar Tage hier zu behalten, sie steht zu Hause die größte Angst aus. Als wir gestern abend gegen Mitternacht nach Hause kamen, klingelten und klopften wir, aber es wollte uns niemand hören.«

»Eingebrochen!« rief ich. »Du willst doch nicht sagen, daß bei euch eingebrochen worden ist?«

Warum ich das sagte, weiß ich nicht, aber es fuhr mir plötzlich durch den Kopf, und ich mußte an Mary Jones und ihre Geschichte denken.

»Ja, es ist bei uns eingebrochen worden,« sagte er.

»Weiter, weiter,« unterbrach ich ihn, »haben sie viel gefunden?«

»Viel mehr, als wir gern verlieren. Alles Silber, alle Schmucksachen meiner Frau mit Ausnahme der paar Kleinigkeiten, die sie gestern trug, und außerdem zwanzig Pfund in Gold, die sie erspart hatte und in einer Schublade ihrer Kommode aufbewahrte, und noch eine Menge andrer wertvoller Dinge. Aber das entdeckten wir erst viel später. Was uns am meisten beunruhigte, war, daß keins von den Mädchen kam. ›Sie müssen eingeschlafen sein.‹ sprach ich zu Marion und trommelte noch lauter an die Thür. Der Kutscher, der uns vom Bahnhofe nach Hause gebracht hatte, war wieder fortgefahren, und da standen wir im Dunkeln und Feuchten, denn es hatte angefangen zu regnen, und Marion wurde sehr besorgt. Endlich kam mir der Gedanke, nach der Seite des Hauses zu gehen und dort an eins der Fenster zu klopfen, in der Hoffnung, daß die Mädchen das eher hören würden. Zu meiner Ueberraschung fand ich, daß die Läden an der Seite nicht geschlossen waren, wie sie es hätten sein sollen, und ein Fenster stand halb offen.

»›Nein, aber wie nachlässig!‹ sagte ich zu mir selbst. ›Was kann denn aber den Mädchen nur zugestoßen sein?‹

»Ich stieg durch das Fenster ein und bemerkte sofort, daß etwas Außergewöhnliches vorgefallen war. Nun lief ich ins Eßzimmer und fand es vollständig in Unordnung. Alles, was auf dem Büffett gestanden hatte, war verschwunden. Rasch öffnete ich die Hausthür und ließ Marion ein.

»›Erschrick nicht,‹[?] sage ich, ›wir sind bestohlen worden, aber wenn nur den Mädchen nichts Schlimmes zugestoßen ist!‹

»Marion war einer Ohnmacht nahe, allein ich beruhigte sie und bat sie, mir zu helfen, Licht zu machen und das Haus zu durchsuchen. Sie blieb oben an der Treppe stehen, während ich in die Küche hinunterging.

»›Mary!‹« rief ich, ›Mary, wo sind Sie?‹ Nur ein Stöhnen antwortete mir.

»Gerechter Himmel! dachte ich, den Mädchen ist etwas zuleide gethan worden.

»Ich lauschte, um zu hören, wo das Stöhnen herkam.

»›Wo sind Sie?‹ rief ich noch einmal.

»›Hier, Herr, hier,‹ antwortete eine schwache Stimme, die ich als die der Köchin erkannte.

»Sie schien im Kohlenkeller zu sein. Ich eilte hin, fand ihn von außen verschlossen, und als ich den Schlüssel umgedreht hatte, kam die Köchin blaß und zitternd zum Vorschein.

»›Ach, sind sie fort?‹

»›Fort? Wer?‹

»›Die Spitzbuben! Ach, Herr Tressider, diese Mary Jones! Die hat sie eingelassen. Sie haben mich in den Kohlenkeller gesperrt, weil ich anfing, zu schreien, und ich glaube, sie haben das Haus rein ausgeplündert.‹

»›Was sagen Sie da? Mary Jones hat sie eingelassen?‹

»›Ich weiß nicht, Herr Tressider, aber heute abend, gerade als es dunkel geworden war, kamen drei Männer auf einem Landwagen angefahren. Mary bat mich, ihr etwas zu besorgen, aber als ich gegangen war, fiel mir ein, daß es nicht recht wäre, sie allein zu lassen, und ging zurück. Gerade als ich an die Thür kam, ließ sie die fremden Männer ein, und aus der Art, wie sie mit ihr sprachen, sah ich, daß sie sich kannten, aber sie bemerkten mich, und als ich anfing zu schreien, stießen sie mich in den Kohlenkeller und schlossen mich darin ein. Dann hörte ich, wie sie im Hause umhergingen. Ach, Herr Tressider, haben sie viel gestohlen?‹

»Das war die Erzählung der Köchin, liebe Mutter,« schloß William, »und sie hat sich als wahr herausgestellt. Das Haus ist geplündert, und Mary Jones, die mit den Leuten im Bunde gewesen sein muß, hat gemerkt, daß die Köchin ihr Geheimnis entdeckt hat, und ist unter Mitnahme ihres Koffers, unsres Silberzeuges und Marions Schmucksachen mit den Männern davongefahren. Wer hätte das wohl gedacht, daß das Mädchen mit Einbrechern im Bunde stehe!«

Nachdem sie mir noch einige Einzelheiten erzählt hatten, teilte ich ihnen die Geschichte mit, die ich von der mit Mrs. Hesketh bekannten Dame gehört hatte, und wir waren alle der Ansicht, daß das so nett und fein aussehende Dienstmädchen schon damals mit den Dieben in Verbindung gestanden, sie eingelassen und ihnen gesagt habe, wo alles zu finden war.

»Meine Lieben,« sagte ich, »ich durchschaue jetzt die ganze Geschichte. Als der alte Pfarrer sie auf der Treppe fand, stand sie Wache für die Diebe, und sie versuchte ihn zu verhindern, hinunterzugehen, und dabei hat sie absichtlich so laut gesprochen, daß die Diebe gewarnt wurden, das erbärmliche Frauenzimmer!«

»Es ist ganz schrecklich,« sagte Marion mit Thränen in den Augen, »ich kann nie im Leben wieder jemand trauen und werde mich fürchten, auf dem Lande zu leben. Ohne Zweifel hat Mary den Menschen auf irgend eine Weise mitgeteilt, daß wir bis spät nachts in der Stadt sein würden, sie wußte es ja schon seit einer Woche, daß wir gestern bei euch essen wollten.«

Marion blieb einige Tage bei uns, während Willam in St. Albans mit der Polizei zu thun hatte, die versuchte, den Leuten auf die Spur zu kommen und das gestohlene Gut wieder zu erlangen. Man fand auch Leute, die die Männer spät in der Nacht auf dem Landwagen hatten vorbeifahren sehen, und es war auch ein Frauenzimmer bei ihnen gewesen, aber etwa eine Meile hinter St. Albans ging jede weitere Spur verloren. Bei der Londoner Polizei, die sich auch mit dem Falle beschäftigte, meinte man die Bande zu kennen. Als man dort von Mary Jones' Geschichte hörte, wurden auch Nachforschungen wegen des älteren Einbruches angestellt, und dadurch kam man schließlich auf eine Spur, die auch zur Verhaftung eines Mannes führte; aber obschon eine Masse gestohlener Sachen bei ihm gefunden wurde, gelang es nicht, ihm die Beteiligung an einem der Einbrüche zu beweisen. Von Mary Jones hat man nie wieder etwas gehört. Es ist gar nicht unmöglich, daß sie im gegenwärtigen Augenblick »ein vollkommenes Kleinod« bei irgend einer ruhigen Familie in einem andern Teile des Landes ist.

Ich spreche nicht oft über den Einbruch mit Marion (die jetzt in der Stadt wohnt, da William sich entschlossen hat, das Landleben aufzugeben), denn es ist ein wunder Punkt bei ihr, aber ich konnte doch eines Tages der Versuchung nicht widerstehen, sie zu fragen, ob sie die Pfauenfederfächer noch habe, die die Veranlassung gewesen waren, daß Mary Jones in ihr Haus kam.

»Nein, wahrhaftig nicht,« entgegnete sie, »die habe ich längst verbrannt. Ich hatte das Gefühl, wir würden nichts als Unglück haben, solange sie in meinem Besitze wären.«

Ganz sicher wäre nie eine Mary Jones in ihr Haus gekommen, und folglich hätte auch kein Einbruch stattgefunden, wenn diese Pfauenfedern nicht gewesen wären.


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