George R. Sims
Erinnerungen einer Schwiegermutter – Erster Band
George R. Sims

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunte Erinnerung.

Mauds Gatte.

Frank Leighton, der Freund meines Sohnes William, hatte sich also in Maud, die »Schönheit der Familie«, verliebt. Er war ein hübscher junger Mensch und ein Mann, vor dem ich die größte Hochachtung hatte, denn ich kannte seine Familie seit vielen Jahren, aber, wie schon erwähnt, hatte ich eine bessere Verbindung für Maud erhofft, obgleich das vielleicht unvernünftig war, wenn man bedenkt, wie wenig mein Mann gethan hatte, um seiner Tochter Aussichten zu verbessern.

Wohlhabende junge Leute und Erben großer Besitzungen trifft man nicht jeden Tag, und wenn man nicht viel ausgeht und die sogenannte Gesellschaft besucht, ist es schwierig, ihnen überhaupt zu begegnen.

Ich sagte immer, es fehle Maud an Gelegenheit, aber als ich Mr. Tressider darauf aufmerksam machte, fragte er mich: »Was willst du denn eigentlich, daß ich thun soll? Soll ich eine Anzeige in den Daily Telegraph setzen: ›Für Herzöge, Grafen und Millionäre. Eine schöne Tochter in heiratsfähigem Alter. Zu besichtigen täglich zwischen vier und sieben. Anfragen sind zu richten an John Tressider, Villa Laurentia, Maida Vale‹?«

»Sei doch nicht so albern, John,« entgegnete ich. »Das ist alles recht schön, daß du die Sache in einen Scherz zu verdrehen suchst, aber wenn du deine Pflicht als Vater gethan hättest, dann hätte Maud wahrscheinlich schon mehr als eine Gelegenheit gehabt, eine außerordentlich vorteilhafte Partie zu machen.«

»Nun, was hätte ich denn thun sollen?«

»O, gar mancherlei,« erwiderte ich, »zum Beispiel, du bist ein Citymann, und obgleich du mir immer antwortest, die Geschäfte gingen flau, wenn ich einmal hundert Pfund extra haben will, glaube ich doch, daß du ein wohlhabender Mann bist. Da du also ein wohlhabender Citymann bist, wäre es dir ein Leichtes gewesen, Alderman oder Sheriff zu werden, und dann war es bis zum Lord Mayor auch nicht mehr so weit. Wärest du das geworden, dann hättest du deine Töchter im Mansion House in die Welt einführen können, und dann hätten wir 'mal sehen wollen.«

»O,« entgegnete er nur in seiner Weise, die mich immer so aufbringt, »ich sehe schon, wo du hinaus willst. Du hättest gern mit dem Prinzen von Wales getanzt.«

Ich war durchaus nicht gesonnen, mich durch meines Mannes einfältige Bemerkungen ärgern zu lassen. »Nein, John Tressider,« erwiderte ich ihm also, »ich habe nicht die Gewohnheit, an mich selbst zu denken. Mein ganzes Leben lang habe ich mich für meinen Mann und meine Kinder geopfert, und so wird es wohl bis zu Ende weitergehen. Warum ich wünsche, du hättest dich um eine Stellung in der City bemüht – bürgerliche Ehrenstellen werden sie, glaube ich, genannt – ist, weil du dann wahrscheinlich geadelt worden wärest.«

»Und dann wärest du Lady Tressider geworden; das ist's, nicht wahr, meine Liebe?«

»Durchaus nicht, ich denke nur daran, wie viel besser es für die Mädchen wäre; sie hätten so ausgezeichnete Partieen machen können. Maud –«

»Nun, Maud hat eine ganze Menge Anträge gehabt. Da war zum Beispiel der alte Mr. Johnson, der ist ungeheuer reich. Du hast ihn ja aber ins Tollhaus sperren lassen, und du kannst doch nicht erwarten, viele Bewerber um deiner Töchter Hand zu finden, wenn die Gefahr damit verbunden ist, ins Tollhaus gesperrt zu werden.«

Daß ich nach dieser Bemerkung nur mit der größten Anstrengung meine Ruhe bewahrte, könnt ihr euch denken. Wenn ein Mann, der nahe an die sechzig ist, nicht einmal ernsthaft sein kann, wo es sich um das Glück seiner Töchter handelt, dann ist nichts mehr von ihm zu hoffen. Da ich aber wußte, daß dies nur eine Probe dessen war, was Mr. Tressider »Spaß« nennt, biß ich mir auf die Zunge, klopfte mit dem Fuße auf den Boden und behielt meine Meinung über sein Betragen für mich. Allein ich warf ihm einen Blick zu, der Bände redete, und er verstand ihn auch, denn das empörende Grinsen, das bis dahin seine Züge entstellt hatte, verschwand plötzlich, und er sagte ganz ernsthaft: »Na, heraus mit der Sprache, du hast diese Reden gewiß nicht umsonst gehalten. Was gibt's denn heute? Wieder eine heimliche Verheiratung in der Familie?«

»Nein,« erwiderte ich, »das glücklicherweise nicht, aber Maud hat einen Antrag gehabt, und da du ihr Vater bist, ist es deine Pflicht, die Sache ernsthaft in Erwägung zu ziehen.«

Nun erzählte ich ihm von Mr. Leighton und Maud, und er sagte, die Sache überrasche ihn nicht sehr, da er etwas derart geahnt habe. Er war der Ansicht, der junge Leighton sei ein sehr achtbarer junger Mann, obschon augenblicklich nicht in einer besonders guten Stellung, da er bei seinem Onkel, einem Makler in der City, arbeitete, allein sein Vater sei in guten Verhältnissen, und er habe einen Bruder, der Rechtsanwalt sei. Seine Familie sei sehr angesehen, und da Frank jung, thatkräftig und sehr verständig sei, so werde er schon in der Welt vorwärtskommen.

Wir besprachen die Sache an jenem Abend noch nach allen Richtungen, und einige Tage später hatte mein Mann eine Unterredung mit Franks Vater, die zu unsrer Einwilligung führte, aber die Hochzeit wurde erst für eine spätere Zeit in Aussicht genommen. Inzwischen sollte Frank das Geschäft seines Onkels verlassen und sich selbständig als Makler niederlassen, wozu er vollkommen befähigt war.

Die Brautzeit verlief sehr ruhig, denn Frank und Maud waren verständige junge Leute, die sich nicht, wie das manche Brautpaare thun, andern Menschen zur Last machen. Sie zankten sich auch nicht, und Frank war zu meiner größten Freude bei den Jungen sehr beliebt, wodurch mir viel Aerger und Unannehmlichkeiten erspart blieben, denn wenn die Brüder ihrer Schwestern Geliebte nicht leiden mögen, dann können sehr peinliche Zustände eintreten.

Als sie heirateten, nahmen sie ein allerliebstes kleines Haus am Flusse, denn Frank liebte den Rudersport, was mir lange Zeit beträchtliche Unruhe verursachte. Ich erwartete immer, daß sie umschlügen, aber Maud war gern auf dem Wasser, und sie hatten ein eigenes, sehr hübsches Boot, obschon es ihnen nie gelang, mich hinein zu nötigen. Ich weiß nicht, vielleicht wäre es mir nicht so unangenehm gewesen, wenn ich auf festem Lande hätte einsteigen können, aber in ein so wackeliges Ding zu treten, überstieg meinen Mut, besonders, da ich ein bißchen stark bin.

Lange Zeit nach ihrer Rückkehr von der Hochzeitsreise und ihrem Einzug in der Villa am Fluß konnte ich die Worte »Folgenschwerer Unfall mit einem Boote« im Inhaltsverzeichnis der Zeitungen nicht lesen, ohne eine wahnsinnige Angst zu empfinden, es beträfe Maud und Frank, und einmal hatte ich einen Schreck, der meine Haare grau gemacht haben würde, wenn sie diese Farbe nicht schon gehabt hätten. Ich las nämlich im Daily Telegraph, es sei ein leeres Boot, Kiel aufwärts im Flusse treibend gefunden worden, worin man vorher einen Herrn und eine Dame gesehen habe, die man für ertrunken hielt. Ich war so erschrocken, daß ich sofort an Maud telegraphierte und sie fragte, ob sie noch am Leben sei.

Aber meine liebe Maud war ganz wohlauf und schrieb mir, sie führten ein ganz idyllisches Leben. Auch mache Frank ganz ausgezeichnete Geschäfte in der City und setze große Hoffnungen auf seine neue Erfindung. Ueber diese Erfindung werde ich euch gleich etwas zu erzählen haben.

Den Brief über ihr idyllisches Dasein erhielt ich kurze Zeit, bevor ich ihnen einen längeren Besuch in Laburnum Cottage machte. Ich war jedoch noch nicht lange dort, als ich ihr Leben von einer Seite kennen lernte, die nichts weniger als idyllisch war, denn ich betrachtete die Dinge natürlich mit andern Augen als ein junges Paar im ersten Rausche seines neuen Glücks.

Das Häuschen lag in nächster Nähe eines Ortes, wo Boote vermietet wurden, und dort befand sich auch ein Wirtshaus, das eine große Zahl von Gesindel anzog, deren Gespräche das Gegenteil von idyllisch waren, das kann ich euch versichern.

Die sonderbarsten Menschen befanden sich darunter und da ich, wenn Frank und Maud auf dem Flusse waren, meist am offenen Fenster saß und las, lernte ich bald ihre Namen kennen. Einen nannten sie »Zuchthaus-Dick«, weil er im Zuchthause gesessen hatte, ein andrer war unter dem Namen »Der sanfte Billy« und ein dritter als »Lahmer Jack« bekannt, weil eins seiner Beine kürzer war als das andre, und einer hieß »Zigeuner-Sam«. Vom Morgen bis zum Abend lungerten sie dort umher und warteten auf Boote und gelegentlichen Verdienst, indessen die Bewohner der in der Nähe gelegenen Villen den Vorzug genossen, ihre Gespräche mit anhören zu dürfen, die sich mit allen möglichen Gegenständen, örtlichen, politischen, sozialen und häuslichen beschäftigten, wobei es an Anspielungen auf »die Alte« (womit ich gemeint war) nicht fehlte.

Ich sprach mich Frank gegenüber dahin aus, daß er wohl ein Haus hätte wählen können, das nicht in unmittelbarer Nachbarschaft eines Landungsplatzes und des dort herumlungernden Gesindels läge, allein er meinte, das habe nichts zu sagen, und es seien im Grunde genommen gar keine so üblen Burschen. Er habe sie gebeten, nicht mehr zu fluchen, als unbedingt notwendig sei, und sie hätten das auch versprochen; allein ich war keineswegs befriedigt.

»Denk an das, was ich sage,« sprach ich zu Maud. »Ihr werdet noch Unannehmlichkeiten mit den Menschen haben, die sich hier herumtreiben.« Und richtig, noch ehe ich wieder nach Hause ging, kam es beinahe zu einem Mord.

Die Sache trug sich so zu: Ein Freund Franks hatte Maud einen reizenden kleinen Vogel geschenkt, eine sogenannte virginische Nachtigall. Das Bauer hing vor dem Fenster nach dem Flusse zu, und da der Rasenplatz vor dem Hause sehr schmal war, konnte man vom Landungsplatze aus den Vogel sehen. Eines Tages, als ich am Fenster saß, hörte ich, wie die Leute anfingen, sich darüber zu streiten, was es für ein Vogel sei, und dann verschwanden sie alle im Wirtshaus. Als sie nach einer Weile wieder herauskamen, sprachen sie sehr heftig und wiesen immer nach dem Fenster, woran ich saß. Endlich hörte ich, wie der, den sie Zigeuner-Sam nannten, sprach: »Wenn ihr noch lange schwätzt, dann werde ich hingehen und klingeln und die Dame fragen, was für eine Sorte Vogel es ist.«

Gleich darauf kam er auch wirklich und klingelte. Da das Mädchen oben im Hause zu thun hatte, ging ich an die Thür, die offen stand.

»Was wünschen Sie?« fragte ich.

»Entschuldigen Sie, Madame, aber ich und meine Bekannten, wir haben uns gestritten, was für 'ne Sorte Vogel das ist, und wir haben eine kleine Wette gemacht. Was ist es denn für einer?«

»Das ist eine virginische Nachtigall,« erwiderte ich.

»O, so was ist's?« entgegnete er und sah etwas enttäuscht aus. »Na, ich danke auch, Madame.«

Er entfernte sich, ging aber nicht zu den andern zurück, und gleich darauf kam einer von diesen, und als er mich im Garten sah, rief er: »Verzeihung, Madame, was hat denn der Vogel für einen Namen?«

»Das ist eine virginische Nachtigall,« sagte ich noch einmal, denn ich hielt es fürs beste, ihm höflich zu antworten. Er kehrte zu den andern zurück und rief ihnen zu: »Er hat verloren, es ist eine virginische Nachtigall.«

An jenem Tage sah ich nichts mehr vom Zigeuner-Sam, aber am folgenden Tage hörten wir, es habe eine furchtbare Schlägerei im Wirtshause gegeben, weil der Zigeuner-Sam aus angeblichem Mangel an Geld sich geweigert habe, seine verlorene Wette zu bezahlen. Nachdem es zu erregten Worten gekommen sei, habe ihm schließlich einer mit einem zinnernen Kruge über den Kopf geschlagen, so daß er nach dem Krankenhause habe geschafft werden müssen.

»Das ist ja eine reizende Gegend, wo du meine Maud hingebracht hast,« sprach ich zu meinem Schwiegersohne. »Du wirst einen besonderen Schutzmann anstellen müssen, wenn nicht bald etwas geschieht.«

»O, sie werden uns nichts zuleide thun,« entgegnete er lachend. Aber der Vogel wurde an der andern Seite des Hauses aufgehängt, damit er nicht Anlaß zu weiterem Blutvergießen an diesem »idyllischen« Plätzchen gebe.

Unter den Bootsleuten, die sich immer dort aufhielten, befand sich auch ein alter Mann, der bei Maud einen großen Stein im Brett hatte. Wenn Frank keine Zeit hatte, ließ sie sich immer von ihm auf dem Flusse rudern. Eines Tages war es so schön auf dem Wasser, daß ich ihren Bitten nicht widerstehen konnte, zumal ein großes Familienboot zu haben war und sie mir versprach, es zu mieten. Wir nahmen also etwas zu lesen und einige Tücher mit, ich überwand meine Angst und es gelang mir, in das Boot, das vier Männer hielten, zu klettern, und der alte Bootsmann ruderte uns den Fluß hinauf. Es war ziemlich früh am Morgen und nur wenig Boote befanden sich auf dem Wasser.

Die Sache fing gerade an, mir Spaß zu machen, als der Mann sich erhob, um etwas in Ordnung zu bringen. Da bekam er plötzlich, ohne das geringste Vorzeichen, Zuckungen, und patsch, lag er im Wasser. In meinem Schreck rief ich meinem Kinde zu, sich ganz still zu verhalten und ja nicht nach der Seite des Bootes zu gehen, weil ich fürchtete, wir würden umschlagen und ertrinken.

Es war eine gräßliche Lage, und ich that ein Gelübde, mich nie wieder einem kleinen Boote anzuvertrauen, der arme Mann aber rang inzwischen mit dem Tode. Ich war ganz gelähmt vor Angst und konnte weiter nichts thun als zittern, aber Maud ließ sich nicht irre machen. Sie stürzte an die Seite des Bootes und ergriff den Mann an den Haaren als er auftauchte, hielt ihn fest und rief um Hilfe, während ich ebenfalls aus Leibeskräften schrie. Bald kamen auch zwei Herren in einem Boot herbei und sagten uns, wir möchten keine Angst haben. Sie zogen den armen Mann in ihr Boot und brachten ihn ans Ufer. Als sie sich entfernt hatten, hätte ich am liebsten Weinkrämpfe bekommen, wenn ich mich nicht in dem kleinen Boote gefürchtet hätte.

»Wir sind unrettbar verloren,« sagte ich zu Maud. »Wir werden über ein Wehr getrieben und zerschmettert werden.«

»Ach was, Mama,« entgegnete sie, »du brauchst dich gar nicht zu ängstigen, ich kann ganz gut rudern.« Und sie ergriff die Riemen und fing an, nach dem Ufer zu rudern.

»Es nützt alles nichts, Maud,« fuhr ich fort, »ich kann ja doch nie im Leben allein herauskommen, und du wirst gegen das Ufer anrennen, und dann schlagen wir ganz bestimmt um;« und als ich in diesem Augenblick ein kleines Dampfboot herankommen sah, zweifelte ich keinen Augenblick, daß wir übersegelt werden würden, und nun fiel mir ein, daß ich noch manche Bestimmungen für den Fall meines Todes zu treffen hatte.

»Wenn du gerettet wirst,« sagte ich daher zu Maud, »dann denke daran, daß ich die große Punschbowle, die von meinem lieben Vater stammt, für deinen Bruder John bestimmt habe, und dann sind in der obersten linken Schublade der Kommode im blauen Schlafzimmer fünfzig Pfund in Banknoten versteckt, die ich vom Haushaltungsgelde erspart habe; die sollen unter euch Kindern gleich verteilt werden, und ich will in Kensal Green, so nahe als möglich bei meinen lieben Eltern, begraben werden, und sorge unter allen Umständen dafür, daß mir eine lange Nadel durch den Augapfel gestoßen wird, damit ich ganz gewiß tot bin. Ich verlasse mich auf dich, daß ich nicht lebendig begraben werde.«

»Aber, Mutter, sprich doch nicht so,« entgegnete Maud; »es ist gar nicht daran zu denken, daß wir ertrinken.«

»Wenn ich mit meinen Anweisungen warte, bis wir im Wasser liegen, ist's zu spät,« versetzte ich, und nun war das Dampfboot auch schon dicht bei uns, und ehe ich recht wußte, was geschah, sprang ein Herr in unser Boot, so daß es furchtbar schaukelte und ich laut aufschrie. Er nahm Maud die Ruder ab und brachte uns ans Ufer, wo ich mehr tot als lebendig ans Land getragen wurde.

Als wir nach Hause kamen, war ich so krank, daß ich mit einem schlimmen Kopfweh zu Bett gehen mußte, und meine Nerven waren ganz fürchterlich erschüttert, aber nach einer Tasse starken Thees und nachdem ich mir ein in Eau de Cologne getränktes Taschentuch um den Kopf gebunden hatte, erholte ich mich etwas, und als Maud nach einer Weile herauf kam, um nach mir zu sehen, fragte ich sie gleich, ob der arme Bootsmann gerettet sei. Zu meiner großen Erleichterung teilte sie mir mit, er sei wohl und munter, denn ganz abgesehen von meiner Teilnahme für den armen Menschen hatte ich mir die ganze Zeit ausgemalt, wie ich bei der Totenschau als Zeuge erscheinen müßte und mein Name in allen Zeitungen stehen würde.

Der Bootsmann that mir sehr leid, bis mir Maud mitteilte, sie habe in Erfahrung gebracht, er leide häufig an epileptischen Anfällen und sei schon einmal ins Wasser gestürzt. Nun wurde ich natürlich böse, denn es ist doch unerhört, daß man einem Menschen mit epileptischen Anfällen gestattet, Damen auf dem Flusse umherzurudern.

»Liebe Maud,« sprach ich, als ich das hörte, »ich erwarte ganz bestimmt, daß du den Mann nie wieder nimmst. Er mag ein ganz braver, höflicher Mann sein, aber daß du mir nicht wieder mit einem Menschen auf dem Flusse umherruderst, der jeden Augenblick ins Wasser fallen kann und wieder herausgefischt werden muß.«

Das liebe Kind versprach mir alles; als ich aber am Abend Frank unser Abenteuer erzählte, ließ ich mir auch von ihm das Versprechen geben, daß er den Mann unter keinen Umständen mehr mieten werde, und nur auf seine ernste Bitte nahm ich davon Abstand, einen Brief über den Vorfall an den Daily Telegraph zu schreiben und alle Damen vor Bootsleuten mit epileptischen Anfällen zu warnen.

Wenn Frank abends nach Hause kam, zog er sich nach dem Essen gewöhnlich in ein kleines Zimmer zurück, das er für sich eingerichtet hatte und das er seine Werkstatt nannte. Niemand war der Eintritt gestattet, folglich war ich sehr neugierig, zu wissen, was er dort treibe. Maud sagte mir, er führe seine wunderbare Erfindung aus, von der er erwarte, daß sie ihn zum reichen Manne machen werde.

Ich habe 'mal einen Mann gekannt, der auch Erfindungen machte, und ich erinnerte mich, wie es ihm ergangen war. Ich sagte also Maud, daß mir das gar nicht gefiele, denn es sei noch nie etwas Gutes bei Erfindungen herausgekommen; allein sie entgegnete mir, Frank setze große Hoffnungen auf die seinige, und sie sei fast vollendet.

Eines Abends gegen zehn kam er ganz begeistert herunter.

»Ich hab's!« rief er und fing an, im Zimmer umherzutanzen. »Kommt mit, wir wollen's gleich 'mal versuchen.«

Er führte uns in seine Werkstatt, wo ein großer Napf mit kaltem Wasser auf dem Tische stand und daneben ein Krug mit heißem und zwei Stücke Gummischlauch – jedes hatte einen Ball in der Mitte – und am Ende jedes Schlauches hatte er die Brause einer Gießkanne befestigt.

»Du meine Güte!« rief ich, »was ist denn das für eine Geschichte?«

»Das ist mein großer neuer Patent-Selbst-Shampooer,« rief er ganz stolz, »Jedermann kann sich selbst im Schlafzimmer damit shampooieren. Er wird ziehen, wie frische Semmel.«

Ich hatte nie etwas davon gehört, daß frische Semmel zögen, aber um ihm die Freude nicht zu verderben, unterließ ich es, ihn darauf aufmerksam zu machen.

»Komm 'mal her, Maud,« fuhr er fort, »du mußt mir helfen; ich werde jetzt den ersten größeren Versuch damit anstellen.«

»Danke schönstens, ich lasse mich nicht um zehn Uhr nachts shampooieren,« entgegnete Maud.

»Könnte nicht eins von den Dienstmädchen heraufkommen, daß ich's an dem versuche?«

»Nein, mein Lieber,« versetzte Maud, »die würden sich auch weigern. Die Köchin ist nicht dazu da, um mitten in der Nacht shampooiert zu werden, und das Hausmädchen auch nicht. Versuchs doch an dir selber.«

»Das werde ich auch thun,« entgegnete er. Nun nahm er seine Maschine, steckte ein Schlauchende ins kalte, das andre ins warme Wasser, hielt dann seinen Kopf und die beiden Brausen über den Napf und fing an mit aller Macht zu drücken.

Sofort kam ein gewaltiger Schauer heraus, aber die beiden nicht gehörig befestigten Brausen fielen in den Napf, und anstatt über seinen Kopf zu strömen, ergossen sich zwei Bäche kreuzweise ins Zimmer, und Maud und ich, die wir neben dem Erfinder standen, wurden bis auf die Haut naß, ehe wir einen Laut von uns geben konnten.

Er entschuldigte sich sehr eifrig, aber was konnte uns das nützen? Ich war durch und durch naß, ebenso die liebe Maud, und mein Kleid war vollständig verdorben. Natürlich wurde ich ärgerlich und sagte ihm ordentlich meine Meinung, und dann ging ich in mein Zimmer, zog meine durchnäßten Kleider aus und legte mich zu Bett.

Kurz darauf klopfte Maud an und sagte, ich werde doch hoffentlich nicht böse sein, Frank sei ganz unglücklich über das Vorkommnis, das nur der reine Zufall herbeigeführt habe.

»Sieh dir 'mal mein Kleid an,« entgegnete ich jedoch, »und wahrscheinlich habe ich mich auf den Tod erkältet. Um zehn Uhr nachts einen Strom kalten Wassers über den Buckel zu kriegen, ist keine Kleinigkeit und kann die kräftigste Konstitution zu Grunde richten, und so ganz jung bin ich doch auch nicht mehr.«

Maud schien sehr unglücklich darüber zu sein, daß ich so aufgebracht war, deshalb versicherte ich ihr, daß ich sie im Falle eines tödlichen Ausgangs von aller Schuld freispräche, aber ich beschwor sie, wenn sie meiner mütterlichen Liebe und Obhut so vorzeitig beraubt werden sollte, fernere Erfindungen am häuslichen Herde nicht zu dulden.

»Wenn er durchaus erfinden muß,« sagte ich, »dann laß ihn in seinem Comptoir erfinden. Diesmal hat er uns fast ersäuft, das nächste Mal wird er uns das Haus über dem Kopfe anzünden. Ich habe einen Mann gekannt, der wollte ein Vermögen mit etwas verdienen, was mit so chemischen Sachen und einem Kamin zu thun hatte. Es wird wohl eine ganz großartige Erfindung gewesen sein, aber niemand ist recht dahinter gekommen, denn ehe er ganz fertig damit war, flog sein Haus in die Luft, und er wurde in einem Garten zwei Häuser weiter und seine Frau auf dem Hinterhofe eines in einer andern Straße gelegenen Hauses gefunden, und, meine Liebe, so wird dir's auch ergehen, wenn du deinem Manne das Erfinden nicht gründlich austreibst.«

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fand ich glücklicherweise, daß sich keine bedenklichen Anzeichen bei mir eingestellt hatten, und mein Kleid, das das Mädchen abends weggenommen hatte, war auch wieder trocken. Ich ging demnach zum Frühstück hinunter und nahm die Gelegenheit wahr, offen mit Frank zu sprechen und ihm zu sagen, daß ich nicht glaubte, er werde mit seinem Selbst-Shampooer viel Geld verdienen.

Er meinte, die Sache sei doch sehr gut, er habe sie nur nicht ordentlich ausgeführt. Wenn alles richtig festgemacht werde, dann wäre es eine reizende Einrichtung, und er hoffe, das Patent für eine bedeutende Summe an eins der großen Haarkünstlergeschäfte zu verkaufen.

Dann begann er, einen Scherz aus der Sache zu machen, und sagte, er wolle eine Posse fürs Theater schreiben, der er den Titel geben werde: »Die shampooierte Schwiegermutter.«

Aber Maud, die ein ganz kluges Mädchen ist, warf ihm einen Blick zu, der ihm sagen sollte, daß er auf gefährlichen Boden gerate, und so war es auch.

Ich erwiderte ihm, ich hoffte von Herzen, sein Selbst-Shampooer werde keinen Anklang finden, denn wenn er das thäte, würde er die Ursache von viel häuslichem Unfrieden werden, ganz zu schweigen vom Schaden an Decken und Tapeten, den er anrichten würde, und ich glaube, schließlich sah er ein, daß ich recht hatte. Er hatte nämlich noch einen Versuch gemacht, wobei ihm Mauds Hündchen unversehens gefolgt war. Diesmal lief das Wasser ihm selbst den Rücken hinunter bis in die Stiefel, und er sprang wie besessen in der Stube herum. Dabei trat er den Hund auf den Schwanz, und das können die lieben Tierchen bekanntlich nicht vertragen. Der kleine Puck rannte heulend zur offenen Thür hinaus einem Mädchen, das gerade mit einem großen Theebrett voll frisch gefüllter Einmachgläser die Treppe heraufkam, zwischen die Füße. Das Mädchen fiel, Theebrett und Einmachgläser rollten die Treppe hinab und gingen in Stücke. Das ganze Haus war eine einzige Masse von Erdbeermarmelade; Wände, Fußboden, Vorhänge, alles war damit bedeckt.

Eine solche schreckliche Wirtschaft ist mir im Leben noch nicht vorgekommen, und als die arme Maud herausgestürzt kam und sah, wie ihr hübsches Haus zugerichtet war und wie Frank mit ganz entsetztem Gesicht und dem unseligen Selbst-Shampooer noch in der Hand oben an der Treppe stand und ihm das Wasser aus den Stiefeln lief, da ahnte sie, was vorgefallen sei. Sie riß ihm die greuliche Erfindung aus der Hand, warf sie zu Boden, trampelte darauf herum und erklärte, ihr Mann müsse zwischen ihr und dem Selbst-Shampooer wählen; dasselbe Dach könne sie nicht bedecken.

Ja, ja, die liebe Maud hat Haare auf den Zähnen. Ich kann mir gar nicht erklären, wo sie's her hat; es müßte denn von ihres Vaters Seite kommen.

Ende des ersten Bandes.


 << zurück