George R. Sims
Erinnerungen einer Schwiegermutter – Erster Band
George R. Sims

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Dritte Erinnerung.

Mein erster Schwiegersohn.

»Gus Walkinshaw!«

Als mein Sohn Tommy diese Worte sprach – er dachte in seiner Aufregung gewiß nicht daran, daß ich ihn hören könne – fiel es mir, wie man sagt, wie Schuppen von den Augen, und alles war mir klar, wie der Tag.

Ich hatte mir nicht träumen lassen, daß eine meiner Töchter jemals etwas Besonderes an Gus Walkinshaw finden würde, und deshalb hatte ich bei verschiedenen Gelegenheiten unverhohlen meine Meinung gesagt, nicht gerade über ihn persönlich, sondern über die ganze Familie; denn Mrs. Walkinshaw hatte sich einmal in meiner Gegenwart über junge Männer von gutem Herkommen, die Töchter von Geschäftsleuten geheiratet hatten, eine Bemerkung erlaubt, die ich für sehr engherzig hielt, und da sie überdies in einer gemischten Gesellschaft gemacht worden war, mußte ich sie auch für taktlos halten.

Es war an Mrs. Jones' Empfangsnachmittag. Mrs. Jones war die Frau unsres Hausarztes, und die Rede kam auf die vorzügliche Partie, die Miß Grantham, die Tochter des Strumpfwarenhändlers aus Bond Street, gemacht hatte. Da Granthams ganz in unsrer Nähe wohnten und die Trauung in unsrer Kirche stattfand, hatten wir uns natürlich alle sehr für die Sache interessiert, besonders da der junge Larkaway nach seines Vaters Tode Baron, Miß Grantham also Lady Larkaway wurde. Als eine der Damen die Bemerkung machte, sie wisse gar nicht, was der junge Larkaway Schönes an Miß Grantham gefunden habe, erlaubte ich mir, zu antworten, daß er vielleicht ihr Geld schön gefunden habe, und darauf verdrehte Mrs. Walkinshaw die Augen und sagte, es sei doch ganz schrecklich, daß so viele junge Männer aus vornehmen Familien Töchter von Geschäftsleuten heirateten.

Das ging mir denn doch ein bißchen gegen den Strich, und ich erwiderte, ich dürfte meine Töchter wohl auch als Töchter eines Geschäftsmannes ansehen, da mein Mann ein Engrosgeschäft in der City habe, und ich erlaubte mir, Mrs. Walkinshaw zu versichern, daß ich als Frau eines Geschäftsmannes keine vornehmen Herren von Habenichts für meine Töchter haben wollte und eine solche Verbindung durchaus nicht als eine Ehre ansähe.

Natürlich suchte sich Mrs. Walkinshaw herauszureden und behauptete, es sei ein großer Unterschied zwischen Engros- und Endetailkaufleuten, und Mr. Grantham sei ein Krämer.

»Ich sehe keinen Unterschied,« entgegnete ich, »Wenn's eine Schande für einen jungen Mann ist, in eine Familie zu heiraten, die ein Hemd verkauft, dann muß es doch eine noch größere Schande sein, in eine Familie zu heiraten, die die Hemden grosweise verkauft.«

»Es scheint mir doch zweifelhaft, ob Hemden ein wünschenswerter Unterhaltungsstoff für uns sind,« rief Mrs. Walkinshaw und rümpfte hochmütig die Nase.

»O, gewiß nicht, Madame, wenn es Ihnen nicht beliebt,« entgegnete ich, und dann fingen sämtliche Damen an, zusammen zu sprechen, und sahen mich an, als ob ich etwas Furchtbares gesagt hätte, und ich stand auf und ging. Als ich draußen war, sind sie wahrscheinlich über mich hergefallen und haben die Frau Pfarrerin getröstet und ihr versichert, ich sei eine fürchterliche Person. Pfarrerin oder nicht, ich müßte meine Natur verleugnet haben, wenn ich nicht gerade herausgesagt hätte, was ich über so albernen Schnack denke. Ihr Mann verachtet das Geld durchaus nicht, das im Handel verdient wird, und seine Stelle wäre bei weitem nicht so gut, wenn seine Gemeinde nur aus dem Adel des Stadtviertels bestände.

Daß in gewissen Kreisen ein Vorurteil gegen den Handelsstand besteht, weiß ich sehr wohl, aber es stirbt doch allmählich aus, und nur altmodische Leute, wie Mrs. Walkinshaw und ein paar aufgeblasene Dummköpfe und dann die Verwandten solcher, die ihr Schäfchen geschoren und dann das Geschäft aufgegeben haben, sprechen geringschätzig darüber. Mein Mann ist jedenfalls Geschäftsmann, und es freut mich, sagen zu können, ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann, der in der Lage gewesen ist, seinen Töchtern bei ihrer Verheiratung ein recht anständiges Jahrgeld auszusetzen, und darum war es ganz natürlich, daß es mich ärgerte, als in meiner Gegenwart so geringschätzig von Geschäftsleuten geredet wurde.

Nach meiner Rückkehr aus Mrs. Jones' Gesellschaft sprach ich mich ziemlich offen über Mrs. Walkinshaw aus, und ich weiß nicht warum, aber von der Zeit an hatte ich eine entschiedene Abneigung gegen sie, die sie, wie ich glaube, in gleichem Maße erwiderte. Ich erzählte meinen Manne die Geschichte, und er meinte, es sei schade, daß ich Mrs. Walkinshaws einfältige Aeußerung überhaupt beachtet hätte. »O, natürlich,« antwortete ich, »Anerkennung habe ich nicht dafür erwartet, daß ich dich in deiner Abwesenheit verteidigt habe; wenn es dir aber Spaß macht, geduldig auf dir herumtrampeln zu lassen, dann ist mein Geschmack eben anders. Ich habe das nie gethan und bin jetzt zu alt, um damit anzufangen. Es wäre dieser Mrs. Walkinshaw ganz gesund, wenn ihre großen, ungeschlachten Söhne selbst Töchter von Geschäftsleuten heirateten, denn aus eigenen Kräften werden die nie viel Geld verdienen.«

»O, es sind doch sehr nette junge Leute,« sprach mein Mann, »einer von ihnen ist Offizier, und der andre studiert Rechtswissenschaft.«

»Nette junge Leute? Das muß ich wirklich sagen,« versetzte ich, »Ich nenne sie Riesen. Nicht einer von ihnen, der nicht über sechs Fuß groß ist. Große Männer sind immer faul und zu nicht viel anderm nütze, als zum Billardspielen, Kurschneiden und Bummeln. Von meinen Töchtern wird keine einen Walkinshaw heiraten, wenn's nach mir geht.«

Als mir einfiel, daß ich betreffs der Walkinshaws niemals ein Blatt vor den Mund genommen hatte, war mir erklärlich, warum meine Sabine die Thatsache, daß sie und Gus Walkinshaw, der Jüngste der Familie, einander liebten, verheimlicht hatte. Daß ein Verhältnis zwischen ihnen bestand, bezweifelte ich keinen Augenblick mehr, aber wie es soweit gekommen war, blieb mir unerklärlich, da sie, abgesehen von seltenen Zusammenkünften auf Bällen und in Gesellschaften in unsrer Nachbarschaft und in der Kirche, wo sie sich nur von weitem sahen, keine Gelegenheit gehabt hatten, miteinander bekannt zu werden. Nun fiel mir plötzlich ein, daß Sabine in den letzten sechs Monaten einen großen Eifer für »Kirchenarbeit«, wie sie es nannte, an den Tag gelegt und bei verschiedenen Veranlassungen geholfen hatte, die Kirche auszuschmücken. Ebenso hatte sie bei Abendunterhaltungen, die der Pfarrer für die Armen der Gemeinde in der Schule veranstaltete, oft gesungen. Mir ging ein Licht auf, und ich brauchte meine Tochter nicht auszufragen, als sie eine Stunde später in mein kleines Stübchen kam und wir ein Tête-a-tête hatten.

Das arme Mädchen war noch ganz aufgeregt und eingeschüchtert. Ihre Wangen glühten, und sie sah aus, als ob sie bei der ersten Veranlassung wieder in Thränen ausbrechen wollte.

»Sabine, liebes Kind,« sagte ich, »ich habe nachgedacht, und ich begreife jetzt mancherlei; es war die Kirchenarbeit.«

»Nein, Mama, doch nicht die allein.«

»Nun, jedenfalls hast du Gus Walkinshaw dabei häufig getroffen, da er seines Vaters rechte Hand ist und überall mit ihm hingeht.«

»Ja, Mama!«

»Und – und – du liebst ihn wirklich?«

»Ja, Mama!«

»Und er liebt dich auch? Hat er schon etwas gesagt?«

Sabine ließ den Kopf hängen.

»Komm doch her, mein Kind, sei nicht thöricht. Es ist gar nichts zu schämen dabei, obgleich es sehr sonderbar ist und das Letzte, was ich erwartet hätte. Hat Mr. Walkinshaw dir in irgend einer Weise zu verstehen gegeben, daß er dich liebe?«

»Ja, Mama, und er wäre schon längst zu dir und Papa gekommen, wenn wir nicht –«

»Wenn ihr nicht? – Was, mein Kind?«

»Wir hatten beide solche Angst, du würdest nichts von ihm wissen wollen, denn das hast du immer gesagt. O, Mama, er ist ja groß, aber dafür kann er doch nichts. Er hat alles mögliche versucht, um klein auszusehen, sogar Stiefel ohne Absätze und Gebücktgehen, aber die Größe liegt nun einmal in der Familie.«

Wir hatten eine lange, ruhige Unterredung, und obgleich ich meiner Tochter nicht verhehlte, daß ich die Verbindung nicht für besonders gut hielt, versprach ich ihr, am Abend mit Papa über die Angelegenheit zu reden und ihr zu berichten, was dieser dazu sage, und darauf verließ sie mich, strahlend vor Glück.

Viel Unterstützung erwartete ich nicht von John Tressider – ob wohl je eine Frau ein so armseliges, hilfloses Geschöpf als Gatten gehabt hat, wenn es sich um häusliche Schwierigkeiten und Verantwortung handelte? – aber ich hoffte, daß er die Angelegenheit wenigstens wie ein Geschäftsmann und Familienvater in die Hand nehmen würde.

Aber da kam ich schön an! Er hörte mir zu und sagte, er sei durchaus nicht überrascht, und dann überließ er ganz kaltblütig alles weitere mir und meinte, wenn ich zufrieden wäre, dann sei alles in Ordnung.

»Was?« rief ich entrüstet, »Erwartest du, daß ich mit dem jungen Manne und seinem Vater spreche? Das ist doch sicher nicht Sache der Mutter, John Tressider.«

»Das weiß ich nicht, meine Liebe; ich habe keine große Erfahrung in solchen Dingen.«

»Und wo meinst du denn, daß ich meine Erfahrung her hätte, wenn ich fragen darf?«

»Nun, meine Liebe, Frauen verstehen solche Dinge von Natur soviel besser, als Männer.«

»Hier handelt es sich nicht darum, ob ich das verstehe, oder nicht, hier steht das Lebensglück deines Kindes auf dem Spiele,« antwortete ich, »und sobald der junge Mann einen förmlichen Antrag gemacht hat, mußt du dich versichern, was Mr. Walkinshaw für seinen Sohn zu thun gedenkt. Ich nehme an, daß du deiner Tochter etwas mitgeben wirst.«

»Du kannst ganz ruhig sein, ich werde thun, was recht ist.«

»Nun, dann thu's auch in der richtigen Weise,« entgegnete ich, »das ist alles, was ich verlange. Wir wollen uns nicht weiter darüber zanken, aber ich erwarte, daß du einmal in deinem Leben deine Pflicht als Sabines Vater thun wirst und nicht die ganze Verantwortung mir überlässest.«

Alles, was recht ist, aber ich muß zugeben, daß mein Mann sich schließlich sehr gut in der Sache benahm, denn er hatte wirklich den Mut, den hochwürdigen Mr. Walkinshaw zu besuchen und eine Cigarre mit ihm zu rauchen. Dabei machte er ihm klar, daß es, da er (mein Mann) Sabine ein gutes Einkommen zusichere, nicht mehr als billig wäre, wenn er (Mr. Walkinshaw) in ähnlicher Weise für seinen Sohn sorge.

Ich hatte meinem Mann genau eingeprägt, was er sagen solle, aber ich bezweifle keinen Augenblick, daß er die Sache doch in seiner eigenen Weise angefangen und viel mehr Umschweife gemacht hat, als ich gethan haben würde. Es wurde indes alles zu beiderseitiger Zufriedenheit geordnet, und sogar meine erste Zusammenkunft mit Mrs. Walkinshaw verlief, trotzdem sie wußte, daß ihr Sohn die Tochter eines Geschäftsmannes heiraten wollte, ganz friedlich. Nach dem, was sie damals geäußert hatte, war es ein kleiner Triumph für mich, aber ich glaube nicht, daß ich mir etwas merken ließ, ich habe nur wenigstens ehrliche Mühe gegeben, obgleich es mir auf der Zunge schwebte, zu sagen: »Meine verehrte Frau, wie peinlich muß es Ihnen bei Ihren Anschauungen über den Handelsstand sein, daß Ihr Sohn im Begriffe ist, die Tochter eines Mannes zu heiraten, der sich mit Geschäften abgibt.« Allein ich verkniff es mir. Mrs. Walkinshaw war wirklich sehr nett, und ich muß zugeben, daß, abgesehen davon, daß das dem jungen Walkinshaw zugesicherte Vermögen nicht so groß war, als ich wohl gewünscht hätte, die Partie nicht schlecht war. Sabine sollte ein schönes, eigenes Einkommen haben, denn ihr Vater war sehr großmütig und die Walkinshaws sind eine wirklich gute Familie; ein Walkinshaw ist unter Oliver Cromwell geköpft worden, oder so etwas Aehnliches, und hat seine Besitzungen verloren, und unter der Regierung Jakobs I. und noch später, glaube ich, hat es einen Lord Walkinshaw gegeben, aber Geschichte ist nicht gerade meine starke Seite. Alles, was ich weiß, ist, daß der Titel dadurch verloren ging, daß ein Lord Walkinshaw sich mit einem Menschen einließ, der der »Prätendent« genannt wird, und nun ist alles, was die Familie von ihren Vorfahren noch hat, eine Anzahl Bilder, worüber mein Schwiegersohn, Gus Walkinshaw, sich immer lustig macht, obgleich sie in seinem eigenen Eßzimmer hängen. Wie gesagt, nachdem Gus Walkinshaw pflichtschuldigst meinem Manne seinen Besuch gemacht und unsre Einwilligung zur Verlobung erlangt hatte, wurde alles zu beiderseitiger Befriedigung geregelt, und ich machte nur die Bedingung, daß die Hochzeit noch nicht so bald stattfinden solle, denn ich halte es für viel besser, wenn die jungen Leute sich vor der Verheiratung so gut als möglich kennen lernen.

Meine Söhne konnten sich, glaube ich, nicht sofort mit Gus Walkinshaw befreunden. Besonders William nahm es übel, daß seine Schwester sich verheiraten wollte, obgleich ich, offen gestanden, nicht einsehen konnte, warum, aber da er selbst klein war, wie unsre ganze Familie, konnte er große Leute nicht leiden, das gab er wenigstens als Grund an. Auch Tommy war zu Zeiten unangenehm und quälte seine Schwester sehr, aber Gus Walkinshaw entdeckte bald ein Mittel, ihn zu gewinnen. Die Taschen des Jungen waren immer mit Süßigkeiten gefüllt, und welche Massen von Erdbeereis aß er beim Konditor auf Mr. Walkinshaws Kosten! Ich wundere mich über weiter nichts, als daß er sich seine Innenseite nicht erfroren hat.

Jungen sind nun einmal Jungen, aber ich glaube wirklich, daß Mädchen ein feineres Ehrgefühl haben. Kein Mädchen ginge beständig in das Zimmer, wo das Brautpaar sitzt, um sich dann mit Süßigkeiten und Erdbeereis bestechen zu lassen, das Feld zu räumen. Allein Mädchen nehmen immer ein großes Interesse an Liebesangelegenheiten, was Jungen nicht thun, wenigstens Jungen in einem gewissen Alter, Tommys Alter, thun's nicht.

Nach der förmlichen Verlobung kam Gus Walkinshaw zum erstenmal zum Gabelfrühstück in unser Haus. Ich hatte gemeint, es würde angenehmer für ihn sein, wenn er bei seinem ersten Besuche nur die Mädchen zu Hause fände – die liebe Sabine fürchtete sich etwas vor ihren älteren Brüdern, die sehr geneigt waren, zu nörgeln, und die, wie sie sagte, jede Bewegung des armen Gus beobachten würden, als ob sie alle Augenblick etwas Ungeschicktes oder Eigentümliches erwarteten. Deshalb glaubte ich, es würde ihr lieber sein, wenn wir Gus zum Gabelfrühstück einlüden, wo niemand zugegen war, als die Mädchen und ich. Tommy erhielt auf allgemeines Verlangen zwei Schillinge und wurde mit einem andern Jungen, einem guten Freunde, in die Nachmittagsvorstellung eines Cirkus geschickt.

Ich habe Gus Walkinshaw sehr gern, er ist jetzt sogar mein Lieblingsschwiegersohn, aber er war wirklich anfangs etwas täppisch. Seine Länge war ihm im Wege, und da er auch breitschultrig und schwer ist, suchte er vielleicht gewandter zu erscheinen, als er ist. Als er ins Empfangszimmer trat, machte er unglücklicherweise Miene, sich auf einen kleinen vergoldeten Stuhl zu setzen, der viel niedriger war, als er dachte. Ich sah voraus, was kommen würde, und rief: »Nein, nein, nicht dahin!« Das mag ihn wohl verwirrt haben, denn er versuchte, sich wieder aufzurichten, ehe er den Stuhl erreicht hatte. Dabei muß er das Gleichgewicht verloren haben, denn er fiel plötzlich mit seinem ganzen Gewicht auf das Stühlchen; es gab einen fürchterlichen Krach, der arme junge Mann lag fast seiner ganzen Länge nach auf dem Fußboden, und mein Stühlchen ging in tausend Stücke, als ob es eine Eierschale gewesen wäre.

Natürlich versicherte ich ihn, es hätte nichts zu sagen, aber Sabine wurde feuerrot, und die Mädchen kamen alle angestürzt, um Mr. Walkinshaw zu helfen. Der Schweiß stand ihm in großen Tropfen auf der Stirn, und er war in seiner Verwirrung ganz hilflos, so daß sie ihn nicht in die Höhe bringen konnten. Ich hatte in der That Angst, er habe sich verletzt.

»Ich – ich hoffe, Sie haben sich nicht weh gethan,« rief ich halb lachend, und er antwortete: »O nein, nein,« und als er sah, daß Maud und Jane die größten Anstrengungen machten, sich das Lachen zu verbeißen, platzte er selbst heraus, worüber ich sehr froh war, denn es war eine Erleichterung und brachte uns alle zum Lachen. Endlich stand er auf, stückweise, sagte William später, müßte es gewesen sein, aber ich weiß nicht, was er damit meinte.

Gus erzählte nur nachher, daß während der paar Sekunden, wo er auf dem Rücken gelegen habe, seine Empfindungen fürchterlich gewesen seien. Er habe gewußt, daß ihn die Mädchen nicht in die Höhe heben konnten, und habe überlegt, wie er möglichst anmutig aufstehen solle, ohne sich vorher herumzuwälzen und sich dann mittelst der Kniee und Hände aufzurichten. Er sagte, es sei ihm eine große Erleichterung gewesen, als alle angefangen hätten, zu lachen; mir aber that mein armer Stuhl leid, und ich fing an, zu überlegen, ob es nicht am besten wäre, wenn wir alle unsre Möbel nachsehen und für unsern schweren Schwiegersohn verstärken ließen. Da die Verlobung lange dauern sollte, fürchtete ich, ich möchte am Ende keinen ganzen Stuhl mehr im Hause haben, wenn meine Tochter endlich heiratete.

Ich muß sagen, daß Gus Walkinshaw sich von allen meinen Schwiegersöhnen als der verträglichste (wenn auch nicht mit den Möbeln) und rücksichtsvollste erwiesen hat, und ich bin zu dem Schlusse gekommen, daß große Männer und große Frauen oft viel weichherziger und sanfter sind, als kleine Leute. Ich habe einen kleinen Schwiegersohn, und ich halte ihn für entschieden aufgeblasen und dünkelhaft. Kleine Leute sind immer sehr von sich eingenommen – das heißt, kleine Männer sind es, kleine Frauen nicht. Ich selbst bin eine kleine Frau, aber mein Fehler ist stets gewesen, daß ich nicht genug von mir eingenommen war.

Natürlich kam es mir anfangs sehr sonderbar vor, diesen großen, starken Menschen so oft im Hause zu haben. Es war gerade, als ob der Haushalt durch einen gewaltigen Neufundländer vermehrt worden wäre. Uebrigens bewies er Sabine große Hingebung, und die beiden schienen sich sehr gut zu verstehen, aber ich weiß nicht, wie es kam, mit William, meinem zweiten Sohne, wollten sich keine rechten Beziehungen anbahnen. William war seine Anwesenheit im Hause unangenehm, obschon er sehr wenig von ihm zu sehen bekam, da William doch den ganzen Tag bei seinem Vater im Geschäft war.

»Ich kann gar nicht begreifen, Mutter,« sagte er einmal, »was Sabine an diesem Gus Walkinshaw groß findet.«

»Er ist doch sehr nett,« entgegnete ich, »und zeigt mir mehr Rücksicht, als häufig meine eigenen Söhne.«

Mein Sohn William ist ein bißchen reizbar, doch ist mir unerklärlich, woher er das hat. Er wurde sehr ärgerlich, als ich das sagte, und murmelte etwas von »Eindringling«. Ich brachte ihn aber sehr bald zum Schweigen. »William,« sagte ich, »wenn ich und dein Vater mit Gus Walkinshaw zufrieden sind, dann ist das vollkommen ausreichend; deine Zustimmung ist durchaus nicht erforderlich.«

Ich habe sehr viel von der Eifersucht der Frauen gehört, aber nach meiner Erfahrung sind Männer ebenso eifersüchtig und ganz gewiß engherziger. Mein zweiter Sohn war eifersüchtig auf die Zuneigung, die ich und seine Schwestern für Gus Walkinshaw empfanden, und diese thörichte Eifersucht machte ihn blind gegen die guten Seiten des jungen Mannes und verursachte seiner Schwester großen Verdruß.

In seiner Gereiztheit erzählte er dieser die einfältigsten Geschichten über Gus Walkinshaw. Er that es wohl nur aus Neckerei, aber es war doch sehr albern und gar nicht, wie ich es von meinem Sohne erwartet hatte. Manchmal kam er nach Hause und behauptete, er habe gesehen, wie Gus Walkinshaw einem Mädchen in einem Blumenladen in Regentstreet ganz verzweifelt den Hof gemacht habe, und einmal versetzte er mich in die größte Aufregung, indem er erzählte, er sei Zeuge gewesen, wie Gus Walkinshaw auf dem Rennen in Kinsbury hoch gewettet habe...

Junge Männer, die wetten, Billard spielen und ähnliche Allotria treiben, sind mir immer ein Greuel gewesen, und als besorgte Mutter beschloß ich natürlich, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich fragte Mr. Walkinshaw selbst, ob er die Gewohnheit habe, auf Pferde zu wetten; ich hätte gehört, er habe es in Kinsbury gethan.

»Du lieber Gott!« sagte er lachend, »wer hat Ihnen denn verraten, daß ich in Kinsbury gewesen bin? Das ist freilich richtig, und ich habe auch fünf Schillinge auf ein Pferd gewettet, weil es einem Regimentskameraden meines Bruders Lawrence gehört, aber ich versichere Ihnen, daß ich sonst nie wette.«

Das war mir eine große Beruhigung. Ich sagte ihm sofort, daß ich es von William gehört habe, worüber er augenscheinlich verstimmt war. Er sprach sich auch Sabine gegenüber aus, und diese machte William nachher eine heftige Scene. So gutmütig dieser auch ist, so ist er doch furchtbar hitzig. Er wurde wütend und sagte, er habe keine Lust, sich von einem Eindringling im eigenen Hause beleidigen zu lassen, und werde ihm den Standpunkt einmal klar machen. Als sie beide immer heftiger wurden, erklärte ich ihnen, ich wolle nichts mehr hören. Darauf sprang William auf, ergriff seinen Hut und sagte, er wolle sich eine Wohnung suchen, da unser Haus kein Heim mehr für ihn sei. Damit ging er hinaus und schmetterte die Thür hinter sich ins Schloß. Sabine fing an zu weinen.

»Grundgütiger Himmel!« rief ich aus, »ihr plagt mich wirklich noch zu Tode. Habe ich nicht Sorgen genug, auch ohne daß meine Kinder sich zanken?«

»O, natürlich, Mama,« entgegnete Sabine; »ich weiß sehr wohl, daß ich an allem schuld bin. Ich werde morgen mit Gus sprechen, und er soll nicht mehr ins Haus kommen. Vielleicht wäre es dir am liebsten, wenn ich ganz mit ihm bräche und in ein Kloster ginge? Ich will keine Zwietracht in der Familie säen,« und nun lief auch sie hinaus und ging weinend zu Bett.

»Nette Zustände,« sagte ich zu meinem Manne, »da haben wir den schönsten Familienkrieg, und über rein gar nichts. Aber was soll man wohl anders erwarten, wenn der Vater nicht Herr im Hause ist?«

»Ja, meine Liebe,« erwiderte er, »ich glaube, kein Mann hätte viel Aussicht, Herr im Hause zu sein, so lange du darin bist.«

Ich war den ganzen Tag nicht recht wohl gewesen; um die Wahrheit zu gestehen, war ich ein bißchen reizbar, denn ich hatte einen von meinen Kopfwehtagen. Außerdem hatte ich großen Aerger mit einem neuen Hausmädchen gehabt, das meinen schönen Stahlkaminvorsetzern etwas »Glanz«, wie sie sagte, gegeben hatte, und dann war der Auftritt zwischen Sabine und William gekommen, und dieser war fortgerannt. Das alles hatte mich sehr empfindlich gemacht, und als mein Mann so sarkastisch sprach, wo gerade eben eins von den Dienstmädchen in die Stube getreten war (ich muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu bemerken, daß er das nicht gesehen hatte), da verlor ich die Herrschaft über mich, brach in Thränen aus und lief in mein Zimmer, um mich auszuweinen.

Ich glaube wirklich nicht, daß eine arme Frau jemals so viel zu ertragen hatte, als ich. Ein Haupt muß doch im Hause sein, und es war sehr hart, daß ich mir Vorwürfe machen lassen mußte, weil ich meine Pflicht that und die eines andern obendrein. Aber so geht's in der Welt. Nun, sie werden mich schon alle vermissen, wenn ich einmal nicht mehr da bin.

Sowie ich mich ausgeweint hatte (ich schäme mich nicht, einzugestehen, daß ich diese weibliche Schwäche besitze), fühlte ich mich besser und ging in Sabines Stube, um zu sehen, was sie machte. Ich fand das alberne Mädchen noch immer in Thränen, und Maud und Jane saßen bei ihr. Sabine schrieb einen Brief mit Bleistift und las ihn dabei laut vor. Zwischen je zwei Sätzen schluchzte und seufzte sie herzbrechend. Sie ist etwas überspannt, was sie gewiß nicht von mir hat, aber ein Vetter John Tressiders war Schauspieler, und das erklärt es vielleicht.

Der an Gus Walkinshaw gerichtete Brief war so albern als möglich. Als ich ihn gelesen hatte, war ich ärgerlich und hielt mit meiner Meinung nicht hinter dem Berge.

Sie sagte ihm auf ewig Lebewohl. Ihre Verlobung habe Familienzwistigkeiten auf beiden Seiten veranlaßt; es wäre vielleicht besser, wenn sie hinginge und die Verwundeten auf dem Schlachtfeld pflegte, und er solle versuchen, sie zu vergessen.

»Auf beiden Seiten?« rief ich aus. »Was soll denn das heißen?«

Nun kam die Geschichte heraus, und Sabine erzählte mir, die alte Mrs. Walkinshaw habe Gus etwas über John, meinen Aeltesten, gesagt. Sie hätte allerhand gehört, und wie es schien, hatte Gus ihr etwas scharf geantwortet, und dann hatte Mrs. Walkinshaw geäußert, diese Folgen seien zu erwarten gewesen, als er sich entschlossen habe, in eine Kaufmannsfamilie zu heiraten.

Sabine war selbst sehr entrüstet darüber, sonst hatte sie nichts gesagt, aber ich war froh, daß ich es erfuhr, denn nun wußte ich, was ich zu thun hatte.

»Ich werde morgen zu Mrs. Walkinshaw gehen und ihr sagen, was ich von ihr denke,« sprach ich.

Aus irgend einem albernen Grunde geriet Sabine darüber in furchtbare Aufregung, ebenso Maud und Jane, und sie begannen, mich zu beschwören, nicht zu gehen, aber ich bestand auf meiner Absicht, einerlei, ob die Verlobung darüber in die Brüche gehe, oder nicht. Nun bekam Sabine wieder Weinkrämpfe, und ich war schließlich genötigt, nachzugeben und zu versprechen, daß ich diese Beleidigung unbeachtet lassen wolle.

Die ganze Geschichte war wirklich im höchsten Grade ärgerlich, und ich dachte bei mir, ich würde froh sein, wenn meine Töchter erst alle glücklich unter der Haube wären, dann würde ich wohl ein bißchen Frieden haben.

Als die Mädchen sich beruhigt hatten, ging ich in Johns Stube, um zu sehen, ob er zu Hause sei. Ich wollte ihn fragen, was für eine Veranlassung Mrs. Walkinshaw habe, etwas Ungünstiges über ihn zu sprechen. Er war aber nicht da, und als ich mich so im Zimmer umsah, erblickte ich einen Briefumschlag, der ihm augenscheinlich aus der Tasche gefallen war und auf dem Fußboden lag.

Ich hob ihn auf und fand, daß eine Photographie darin steckte, die ich natürlich herauszog. Es war das Bild eines jungen Mädchens, und darunter stand geschrieben: »Von Deiner Dich liebenden Lottie.«

Das war der Tropfen, der den Becher zum Ueberlaufen brachte.

Ohne daß ich den geringsten Schimmer einer Ahnung hatte, besaß mein Sohn eine »ihn liebende Lottie!«


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