George R. Sims
Erinnerungen einer Schwiegermutter – Erster Band
George R. Sims

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Fünfte Erinnerung.

Fünf Meilen von Dingsda.

Als ich meine Einwilligung gab, daß Augustus das Gut kaufe (fünf Meilen von Dingsda), das wir mit ihm als meiner lieben Sabine künftiges Heim besichtigt hatten, habe ich mich entschieden beschwatzen lassen. Aber der arme Augustus hatte so viele Schwierigkeiten, etwas Passendes zu finden. Sein Agent hatte ihn im ganzen Lande umhergejagt, und er hatte schreckliche Güter gesehen, so daß er mir wirklich leid that und mein Mitleid die Stimme meiner besseren Ueberzeugung zum Schweigen brachte.

Natürlich war er sehr hoffnungsvoll und geneigt, die Dinge im besten Lichte zu sehen. Er war eben verliebt, und ist ein junger Mann das, dann wird ihm eine steinige Wüste zum Garten Eden, wenn sie seine besondere Eva mit ihm teilen soll; allein ich fürchte, nach der Hochzeit werden viel mehr Gärten Eden zu steinigen Wüsten, als steinige Wüsten zu Gärten Eden. Es ist aber ganz natürlich, daß junge Leute alles durch eine rosige Brille sehen. Ich bewundere stets den jungen Helden im Schauspiel, der jede Schwierigkeit hinweglacht und zum Mädchen seines Herzens (und zur Galerie) spricht: »Gräme dich nicht darüber, mein Lieb, daß dein Vater seine Reichtümer verloren hat; wir besitzen Jugend und Gesundheit, und Hand in Hand können wir der Zukunft ruhig ins Gesicht sehen.«

Darin spricht sich eine edle Gesinnung aus, und sie wird auch immer mit donnerndem Beifall belohnt, aber ich habe bemerkt, daß es dem Helden und der Heldin in der Regel herzlich schlecht ergeht, bis sie den fünften Akt glücklich erreicht haben.

Es ist schließlich ganz gut, wenn wir unsre kleinen Mühsale und Schwierigkeiten gleich im Anfang haben, denn in Zeiten der Heimsuchung, Sorge und Angst werden die großen Lehren des Lebens gelernt. Ich konnte mich der Besorgnis nicht entschlagen, daß Augustus und Sabine sehr viel wagten, als sie dieses einsame Gut nahmen. Mir wäre es viel lieber gewesen, sie etwas näher bei uns zu haben, wo ich sie hätte öfter sehen können; aber als Augustus erklärte, Güter finde man nicht jeden Tag im Fünfmeilenumkreis, gab ich, wenn auch ungern, sehr ungern, nach, und der Kauf wurde abgeschlossen.

Das Haus war reizend, und daß die Lage gut war, ließ sich nicht bestreiten, aber die Straßen waren einfach entsetzlich. Nie im Leben bin ich so zusammengerüttelt und -gestoßen worden, als in dem Wagen, der uns vom Bahnhof hinbrachte. Die letzte Meile führte über einen Weg, der wie ein frisch gepflügter Acker aussah, und auf der letzten Strecke mußte der Kutscher, immer absteigen und Thore in Feldzäunen öffnen. Der Agent, der uns am Bahnhofe erwartet hatte, fuhr mit uns und suchte alles zu beschönigen. Das Wetter wäre schlecht gewesen, und es würde eine neue Straße gebaut, und alles Mögliche, aber ich hatte mehrere Tage furchtbares Kopfweh.

Wenn ich einmal wieder etwas mit dem Ankauf eines Gutes für eins meiner Kinder zu thun habe, werde ich Sorge tragen, daß der Agent uns nicht erwartet. Er war es, der augenscheinlich dem Kutscher ehe wir kamen, gesagt hatte, wohin er uns fahren sollte, und diese Tücke seinerseits verhinderte uns, den Namen des Gutes zu hören, ehe es zu spät war. Als ich ihn kennen lernte, war ich im höchsten Grade entrüstet, denn das Gut war in der Gegend unter dem gräßlichen Namen »Galgenhof« bekannt.

Wie es scheint, hatte früher einmal auf einem benachbarten Berge ein Galgen gestanden, und daher hatte das Gut den Namen erhalten.

»Augustus,« sagte ich zu meinem künftigen Schwiegersohn, als die Wahrheit an den Tag kam, »ich werde niemals meine Einwilligung geben, daß eins meiner Kinder eine solche Adresse habe. Du mußt den Namen ändern, ich kann doch nicht ›Galge‹ auf einen an meine Tochter gerichteten Brief schreiben!« Er versprach mir, daß er den Namen ändern lassen wolle, und ich weiß auch, daß er's versucht hat, aber vergebens. Der Name hing fest, jedermann nannte das Gut so, und Galgenhof heißt's bis auf den heutigen Tag, aber meine Kinder haben es, Gott sei Dank, schon lange wieder verlassen.

Ich mochte thun, was ich wollte, ich konnte mir den Namen von Sabines künftigem Heim nicht aus dem Kopfe schlagen, und er lag während der Vorbereitungen zur Hochzeit wie ein Alb auf mir. Das liebe Mädchen fand sich wundervoll hinein und bat mich, ich möchte mich nicht darüber grämen, da es nach ihrer Verheiratung nicht mehr mit dem schrecklichen Namen benannt werden solle. Ich schlug vor, sie sollten es »Rosen«- oder »Lilienhof« nennen, und Augustus sagte, er wolle versuchen, es unter einem dieser Namen im Grafschaftsadreßbuch und bei der Post eintragen zu lassen. John, mein ältester Sohn, meinte: »Warum nennt ihr es nicht ›Walkinshaw Hall‹ oder ›Schloß Tressider‹?« Aber das war abgeschmackt, und würde, wie Sabine sehr richtig bemerkte, wie Anmaßung aussehen, zumal nichts in der Welt das Haus zu einer Halle oder einem Schlosse machen konnte.

Augustus hat, wie ich weiß, einen weitläufigen Briefwechsel über die Sache mit den Grafschaftsbehörden geführt, aber das Ergebnis war keineswegs ermutigend, denn er fand, daß die vollständige und einzig gesetzliche Benennung »Galgenhof, Groß-Puddlebury, Warwickshire« war. Dabei hörte er zum erstenmal vom Kirchspiel Groß-Puddlebury, und das war ein neuer Schlag. Der hinterlistige Agent hatte nie auch nur im Entferntesten angedeutet, daß es einen Ort wie Puddlebury in der Nähe gebe, sondern hatte das Gut in allen seinen Briefen als »bei Dingsda« liegend bezeichnet, und das ist eine bedeutende, um nicht zu sagen, vornehme Stadt, und sie war fünf Meilen entfernt, wie wir zu unserm Leidwesen entdeckten, als wir die Bahnstation erreicht hatten.

Augustus machte ich keine Vorwürfe, denn er war jung, unerfahren und verliebt, und das macht einen Mann gegen vieles blind, was er sehen würde, wenn er die Augen offen hätte. Aber meinen Mann tadelte ich. Wenn er seine Pflicht als Vater gethan hätte, dann wäre er selbst hingegangen und hätte sich das Gut angesehen und Erkundigungen eingezogen, aber natürlich wurde wieder alles mir überlassen, und daß ich etwas von Gütern verstehen soll, kann ein vernünftiger Mensch doch kaum erwarten.

»John Tressider,« sprach ich, als wir am Abend, wo wir die Entdeckung gemacht hatten, allein waren, »ich hoffe, du wirst dir das zur Warnung dienen lassen. Deine erste verheiratete Tochter geht aus den Armen ihrer Mutter an einen Galgen und wird die ersten Jahre ihrer jungen Ehe in Groß-Puddlebury verleben.«

Alles, was er that, war, daß er eine einfältige Bemerkung über Shakespeare machte und etwas brummte, das so klang, wie: »Was ist ein Name?« Aber ich bin nicht die Frau, die sich mit Shakespeare zum Schweigen bringen läßt, und deshalb sagte ich: »Nicht Shakespeares Tochter soll auf dem Galgenhof leben, sondern meine, und was das nun anlangt, daß nichts an einem Namen läge, so glaube ich nicht, daß selbst du einverstanden gewesen wärest, wenn ich vorgeschlagen hätte, unsern ältesten Sohn ›Ischariot‹ und unsre älteste Tochter ›Jezebel‹ zu taufen. Es gibt gewisse Namen, womit gewisse häßliche Vorstellungen untrennbar verbunden sind, das kannst du nicht in Abrede stellen.«

Er konnte es nicht, und deshalb versuchte er es auch gar nicht, sondern erklärte, er sei ins Bett gegangen, um zu schlafen, nicht um sich zu streiten, und fünf Minuten nachher schnarchte er, daß sich die Balken bogen, obgleich er, wenn ich ihn wecke, immer behauptet, es wäre nicht wahr, das Geräusch käme von dem Eisenbahnzuge her, der hinter unserm Garten hinfährt. Für unfehlbar halte ich mich nicht, aber ich kann Schnarchen von einem Eisenbahnzuge unterscheiden, allein was nützt es, einen Mann überzeugen zu wollen, der wie ein Sack schläft und, wenn man ihn mit dem Ellbogen in die Rippen stößt, bloß grunzt, sich auf die andre Seite dreht und dabei die halbe Decke mitnimmt.

So leid es mir that, mich von meinem Kinde trennen zu müssen, war es mir doch eine Erleichterung, als der Hochzeitstag kam, denn ich war beinahe um den Verstand geärgert worden, besonders von den Schneiderinnen und den Dienstboten, und die Entdeckung über John war auch nicht danach angethan, die Sache zu verbessern. Der größte Aerger war mir aber für den Morgen des Hochzeitstages selbst vorbehalten. Ich erfuhr nämlich, daß mein Mann, dem das Bestellen der Wagen überlassen worden war – das war alles, was ich von ihm verlangt hatte – es vollständig vergessen hatte. Ich hätte wirklich vor Aerger weinen können.

»Dir ist es natürlich einerlei,« sagte ich, »wenn wir in Droschken nach der Kirche fahren müssen. Sabine kann unsern Wagen nehmen, das arme Kind, aber was wird aus uns andern?«

»Beruhige dich nur,« entgegnete er, »es ist noch Zeit genug; ich werde Jones, unsern Kutscher, sogleich fortschicken, daß er die Wagen bestellt.«

Es war acht Uhr morgens am Hochzeitsmorgen und ich hatte eine Ahnung, daß es Unannehmlichkeiten geben werde, und richtig – es gab welche.

Jones, statt zu einem ordentlichen Fuhrhalter zu gehen, gab den Auftrag einem kleinen Manne, der sein Geschäft eben angefangen hatte (natürlich ein Freund von ihm), und die Folge war, daß ich beinahe in Ohnmacht gefallen wäre, als ich den Wagen sah, aber da ich am Hochzeitstage meiner Tochter keine peinlichen Auftritte haben wollte, mußte ich meine Gefühle in meine Brust verschließen.

Wo der Mann die Pferde aufgetrieben hatte, ist mir rätselhaft; es müßte denn sein, daß er nach einer Tierarzneischule gegangen wäre und sämtliche dort in Behandlung befindlichen Pferde für den Tag gemietet hätte.

Es war schon etwas spät geworden, bis alles in Ordnung war, und als wir endlich in Bewegung kamen, trödelte der Mensch in einer Weise, daß man hatte aus der Haut fahren mögen. Ich hielt so lange als möglich an mich, endlich aber konnte ich es nicht mehr mit ansehen. Ich steckte den Kopf zum Fenster hinaus und sagte zu unserm Kutscher: »Mein Lieber, wir fahren ja nicht zu einem Leichenbegängnis; es soll eine Hochzeit vorstellen.«

»Schön, schön, Madamchen,« entgegnete er, »diese Pferde sind im Anfang ein bißchen spatlahm, aber es wird schon kommen;« dann schnalzte er mit der Zunge und fing an, mit der Peitsche daraufzuschlagen, bis eins hinten ausschlug und das andre nicht mehr vom Fleck wollte, »stätsch« wurde, nennt man das, glaube ich.

Und nun fing ein Haufen von Metzgerjungen und andern Lehrlingen, die sich vor unserm Hause gesammelt hatten, um uns abfahren zu sehen, und die dann nachgelaufen waren, an, zu johlen und zu pfeifen und unverschämte Bemerkungen zu machen.

»Das ist mehr, als menschliches Fleisch und Blut aushalten können« rief ich. »Ich will aussteigen!«

Ich bog mich aus dem Fenster, um dem Manne zuzurufen, er solle anhalten. In dem Augenblicke schwang er gerade seine Peitsche und traf mich ins Gesicht, und das ist doch eine saubere Bescherung für eine Mutter am Hochzeitstage ihrer Tochter, und alles das kam nur davon her, daß sie ihrem Manne eine solche Kleinigkeit, wie das Bestellen der Wagen, überlassen hatte, und dann wundern sich die Leute auch noch, daß ich manchmal ärgerlich werde.

Obgleich es mir im Augenblick sehr weh that, blieb glücklicherweise kein Striemen zurück. Im selben Augenblick zogen die Pferde heftig an und gingen im Galopp weiter. Ich hatte Todesangst und zitterte während der Feierlichkeit am ganzen Leibe, aber es war doch ein Glück, denn wir kamen eben noch knapp zur rechten Zeit in die Kirche. Ein Glück war es auch, daß die andern Pferde, ebenfalls erbärmliche Kracken, nicht auch »stätsch« geworden waren, so daß die Brautjungfern und alle Leute, die von unserm Hause kamen, pünktlich da waren, und ich hatte eben noch Zeit, mich auf meinen Platz – »schubsen«, ich kann nicht sagen »führen« – zu lassen, als die Feierlichkeit begann.

Danach ging alles, Gott sei Dank, glatt. Ich überwand meine natürliche Entrüstung und war ganz vergnügt, bis die Zeit kam, wo ich meinem lieben Kinde Lebewohl sagen und es der Obhut eines andern anvertrauen mußte.

Ich weinte – wie konnte ich anders! – und meine liebe Sabine – Gott segne sie! – weinte auch, und als wir hinunter kamen, hatte ich eine kurze Unterredung mit Augustus und ließ mir von ihm versprechen, daß er mein Kind in gute Obhut nehmen und immer vorsichtig sein wolle. Namentlich schärfte ich ihm ein, daß er sie nie in fremden Gasthäusern Wasser trinken lasse (sie machten nämlich eine Hochzeitsreise), und daß er sich immer genau erkundigen müsse, ob irgend welche ansteckende Krankheiten in den Städten, wo sie sich aufhalten wollten, herrschten. Auch ermahnte ich ihn, stets einen Wagen in der Mitte des Zuges zu nehmen, denn diese sind bei etwaigen Zusammenstößen am wenigsten gefährdet. Dann noch eine lange, liebevolle Umarmung, wobei ich meine Tochter daran erinnerte, daß ich ihr einige Rezepte in die Reisetasche gelegt hätte, für den Fall, daß sie sich in einer der gräßlichen Städte auf dem Festland nicht wohl fühlen sollte, und ich ließ sie gehen; alles drängte dem glücklichen Paare nach, und sie fuhren unter einem Regen von Reis und alten Pantoffeln davon.

Eins muß ich noch erwähnen, und zwar jetzt, und das ist, daß mir Augustus auch nie eine Stunde Sorge gemacht hat, abgesehen von dem Gut und einigen andern Dingen, die er nicht ändern konnte; und meine Tochter hat einen Mann, wie man kaum einen unter Tausenden findet. Einen zärtlicheren, Hingebenderen, liebenswürdigeren Gatten kann sich eine Frau nicht wünschen, und er ist mir bei vielen Gelegenheiten eine große Stütze gewesen. Von allen meinen Schwiegersöhnen – aber ich will nicht anzüglich werden.

Während sie auf der Hochzeitsreise waren, schrieb mir mein liebes Kind sehr häufig, und ich war über ihr Glück ohne Sorge. Sie war gerührt über Augustus' liebevolle Fürsorge, und ich hatte also nur eins, was mir Kummer machte, und das war das Gut.

Sie wollten sich nach ihrer Rückkehr sofort hinbegeben. Ein als Inspektor angenommener alter Diener der Familie Walkinshaw war mit seiner Frau bereits dort, um alles in Ordnung zu bringen. Sabine teilte mir mit, Mrs. Jolly, die Frau des Inspektors, habe ihr geschrieben, die Möbel seien alle wohlbehalten angekommen, das Haus sähe reizend aus, auch Dienstboten seien angenommen worden. Jolly habe die für das Gut nötigen Arbeiter zusammengebracht, etwas Vieh gekauft, kurz, es gehe alles wie am Schnürchen. Ueber das Gut schien sie sich keine Sorgen zu machen, und ich versuchte mich ebenfalls zu überreden, daß trotz des schrecklichen Namens alles gut gehen werde.

Allein ich hatte doch ein unbehagliches Gefühl, als ich mich gleich nach ihrer Rückkehr hinsetzte und meinen ersten Brief überschrieb an:

»Mrs. Walkinshaw,
Galgenhof, Groß-Puddlebury.«

Ich betrachtete mir den Umschlag lange Zeit, ehe ich den Brief abgehen ließ; es war nicht die Art von Aufschrift, wie ich sie mir für meine älteste Tochter ausgemalt hatte.

Sabine antwortete mir sofort und versicherte mir, sie sei sehr glücklich und hoffe mit ihrem Manne, daß ich ihnen einen kleinen Besuch machen würde, sobald sie mit ihrer Einrichtung fertig seien, und das that ich auch.

Ich war erfreut, mein liebes Kind sehr wohl und glücklich zu finden. Ihr Heim war reizend möbliert und schön ausgestattet, aber da ich keine jung verheiratete Frau war, entgingen mir auch einige Schattenseiten nicht, die sie übersahen, weil sie viel zu sehr miteinander beschäftigt waren.

Vor allem war es die einsame Lage, die mich unangenehm berührte. Das nächste Haus, abgesehen von dem des Inspektors, lag eine volle Meile entfernt, und als ich die Straßen, den Teich und die Sümpfe sah, konnte ich die Bemerkung nicht unterdrücken: »Was nützen dir nun alle die schönen Kleider? Du kannst doch die Schweine und Hühner nicht darin füttern? Und, allmächtiger Gott, Kind, was wollt ihr denn anfangen, wenn ihr einmal einen Doktor nötig habt? Wo wohnt denn der nächste?«

»Nun,« sagte Augustus, »drei Meilen von hier wohnt ein Tierarzt, das ist der nächste.«

»Augustus,« antwortete ich entrüstet, »du denkst doch hoffentlich nicht daran, einen Tierarzt zu meinem Kinde holen zu lassen, wenn sie einmal krank sein sollte?«

Er lachte und sagte, er hätte nur Scherz gemacht. Ich habe es gern, wenn ein Doktor und eine gute Apotheke, bei der man sich darauf verlassen kann, daß die Rezepte auch richtig gemacht werden, in der Nähe sind, und ich war wirklich beunruhigt, als ich erfuhr, daß sie volle fünf Meilen nach einem Arzte schicken müßten. »Nimm nur einmal an,« sprach ich, »Sabine würde plötzlich krank, oder von irgend einem Vieh erschreckt, oder sie käme mit dem Bein in eine von den greulichen Maschinen, die immerzu schnurren, oder sie kriegte in dem schrecklichen Wirtschaftshof – nebenbei rate ich dir, ihn jeden Tag ordentlich mit Karbolsäure begießen zu lassen – nasse Füße und erkältete sich ernstlich, und dann mußt du auch dafür sorgen, daß immer ein genügender Vorrat von Chinin im Hause ist, denn man hat mir erzählt, es gäbe hier viel Fieber, und wenn du hörst, daß in einem der Dörfer hier herum die Masern oder etwas Derartiges sind, dann gehe nur ja nicht hin, ohne dir die Taschen voll Kampfer zu stecken; vor allem überzeuge dich, daß das Trinkwasser gesund ist, trinke niemals einen Schluck, ohne daß es erst filtriert und dann gekocht worden ist.«

Augustus lachte und Sabine lächelte, »Ja, ja, ihr Lieben,« sagte ich jedoch, »ihr haltet mich vielleicht für sehr thöricht, aber es ist nur meine mütterliche Liebe.« Damals lachten sie, aber sie sollten noch zur Einsicht kommen, wie verständig einige meiner Warnungen waren, ganz besonders die wegen des Wassers, das einmal auf irgend eine Weise verunreinigt wurde, und dann mußten sie jeden Tropfen Trinkwasser vier Meilen weit holen lassen.

So ängstlich man sonst bei einer solchen Gelegenheit ist, war es mir doch eine große Erleichterung, als mein erstes Enkelchen auf der Bildfläche erschien (und noch dazu fünf Meilen vom nächsten Doktor), denn nun hörte alles Zögern und alle Unentschlossenheit wegen der Aufgabe des Gutes und Uebersiedelung in eine civilisierte Gegend auf.

»Wenn ihr hier bleibt, so ist's der reine Kindsmord,« sprach ich zu Augustus, und Sabine sah die Sache jetzt auch von meinem Gesichtspunkt aus an, und, Gott sei Dank! sehr bald hatte ich sie unter meinem mütterlichen Auge, mit einem Doktor im nächsten Hause, was mir eine große Beruhigung war, und gleich um die Ecke eine gute Apotheke. Ja, ihr jungen Leute, ihr haltet Mütter und Väter für ängstliche, lästige Menschen, bis ihr selbst Väter und Mütter seid; dann fangt ihr an, sie zu begreifen. Wenn ich jetzt die Briefe wieder hervorsuche und durchlese, die mir Sabine vom Galgenhof geschrieben hat, dann wundere ich mich, daß sie überhaupt so lange dort geblieben sind, aber Augustus war ein sehr liebevoller Gatte, und das machte den Lebensweg so hell, daß selbst ein Galgen keinen finsteren Schatten darauf werfen konnte.

Er kam mit einem blauen Auge davon und verlor wenigstens nichts vom Kapital, aber an Sorgen hatte es ihm doch nicht gefehlt, namentlich, wenn er nachts bei kranken Kühen oder Pferden sitzen mußte, oder unter den Schafen die Drehkrankheit ausgebrochen war – und dann die sonderbaren Menschen, mit denen er immer zu thun hatte.

Der Inspektor war treu wie Gold, aber ein eigensinniger alter Mann, der verlangte, daß alles nach seinem Kopfe gehen solle. Seine Frau quälte Sabine furchtbar mit ihrem Aberglauben. Sie hörte immer den Totenwurm, sah böse Vorzeichen und erwartete stets ein Unglück, Eines Abends, wo Augustus mit Mr. Jolly in Geschäften in London und Sabine allein war, kam sie ins Haus gestürzt und bat ihre Herrin, sich auf das jüngste Gericht vorzubereiten, denn es sei ein Komet mit der Erde zusammengestoßen, und das Ende der Welt stehe bevor; dann bekam sie eine Art Starrkrampf, und mein armes Kind mußte die ganze Nacht bei ihr sitzen, ihr die Hände reiben und Branntwein geben, während der Knecht hinritt und den Doktor holte.

Auch der Knecht war eine schwere Prüfung für Sabine, die ein so empfindsames Herz hatte. Er liebte die Köchin, die aber gar nichts von ihm wissen wollte. Deshalb ging er immer mit thränenden Augen umher und stieß herzbrechende Seufzer aus. Es wäre ganz angreifend gewesen, erzählte Sabine, immer einen Menschen mit gebrochenem Herzen um sich zu haben, und sie sprach mit der Köchin und redete ihr zu, ihn zu heiraten, aber diese wollte nicht. Schließlich gab Augustus dem armen Burschen für zwei Monate Lohn und bat ihn, sein gebrochenes Herz und seine Thränen anderswohin zu tragen, da es Mrs. Walkinshaw aufrege, denn es war grade eine Zeit, wo Augustus sehr viel daran lag, daß ihre Umgebung so sei, wie es in den Kakaoanzeigen immer heißt: »angenehm und beruhigend«.

Und was mein armes Kind von den Dienstboten auszuhalten hatte, das geht wirklich über die Hutschnur. Es fehlte ihr etwas an Festigkeit (sie glich darin ihrem Vater) und natürlich an Erfahrung. Die Köchin und das Hausmädchen waren aus dem Ort und schwärmten für die Londoner Mode, und sehr bald, nachdem Sabine zu Hause angelangt war, fingen sie an, ihre Kleider, Mäntel und Hüte nachzumachen, so gut sie konnten. Am ersten Sonntag sah Sabine, wie der Knecht mit ihnen in einem leichten Leiterwägelchen zur Kirche fuhr, bei welcher Gelegenheit zu ihrem Entsetzen beide Hüte auf hatten, die eine genaue Nachbildung des ihren waren, soweit die ortsansäßige Putzmacherin (fünf Meilen entfernt) im stande gewesen war, eine fertigzubringen.

Das konnte Sabine natürlich nicht dulden und sagte es ihnen, und von da an gab sie jeden Sonntag acht, wenn sie wegfuhren, und freute sich, als sie bemerkte, daß sie einfache, bescheidene und für Dienstboten passende Hüte trugen.

Eines Sonntags nachmittags, als sie bereits fortwaren, sagte Augustus: »Laß uns heute nachmittag auch in die Kirche fahren.« Seine Frau war damit einverstanden; er ließ anspannen und sie fuhren ab. Und siehe da! Als Sabine in die Kirche trat, sah sie, daß Köchin und Hausmädchen es sich ganz unverfroren im Stande ihrer Herrschaft bequem gemacht (der Knecht saß flennend draußen auf einem Grabstein) und Hüte auf hatten, die dem Sabines aufs Haar glichen!

Am Nachmittag hatte sie sie mit eigenen Augen in ganz einfachen Hüten abfahren sehen, und nun saßen sie da, aufgedonnert wie die Puten. Aber das Rätsel sollte gelöst werden.

Am Abend nahm sie die Mädchen vor und kam so dahinter, wie die Sache zusammenhing. Was meint ihr wohl, wie es die geriebenen Frauenzimmer anfingen? Jeden Sonntag morgen, noch ehe Sabine aufgestanden war, gingen sie aus und versteckten ihre besten Hüte in einer Hecke an der Straße, setzten sie auf dem Hinweg zur Kirche auf und tauschten sie auf dem Rückwege wieder um. Und das sind eure einfachen Mädchen vom Lande!

Ein andrer Grund zur Aufregung war der Ortsmetzger, dem Augustus viel Vieh verkaufte. Er war ein sehr achtbarer Mann, aber er hatte einmal gesehen, wie ein Mensch in einem Streit umgebracht worden war, und das hatte ein eigentümliches Nervenleiden bei ihm hervorgerufen. Wenn er ganz ruhig über die Preise mit Augustus verhandelte, fuhr er plötzlich zusammen, zitterte am ganzen Leibe und schrie: »Haltet ihn, er hat Blut an den Händen. Haltet ihn!« Und dann mußte Sabine fortstürzen und Branntwein holen, während Augustus ihn auf und ab führte und mit jedem Preise zufrieden war. Ueberwerfen durfte er sich nicht mit ihm, denn er war der beste Kunde und der einzige Schweinekäufer in der Gegend.

Ich glaube, der volle Becher wurde durch einen furchtbaren Schreck, den sie eines Abends hatte, zum Ueberlaufen gebracht. Augustus war in der Stadt und wurde erst am folgenden Tage zurückerwartet. Eine große Furcht hatte meine Tochter stets auf dem Galgenhofe gequält, und das war die Angst vor Dieben. Sie hatten all ihr Silberzeug und ihre Schmucksachen im Hause, und das Gut war gänzlich unbeschützt, da die Arbeiter alle in einiger Entfernung wohnten.

Kaum war sie in jener Nacht zu Bett gegangen, als sie Geräusch unten hörte, und gleich darauf kamen die Dienstboten hereingestürzt, »Ach, Madame,« riefen sie, »es sind Einbrecher im Hause, und wir werden alle umgebracht werden,« und fingen an zu heulen, Sabine war erschrocken, denn der Lärm klang gerade so, als ob Männer in großen Stiefeln unten umhergingen. Aber sie nahm allen ihren Mut zusammen, holte sich Augustus' Flinte und ging hinunter. An der Thür aber blieb sie stehen, denn es kam ein großer Krach. Sie sank ohnmächtig zusammen, die Flinte ging los, und die ganze Ladung fuhr ins Zifferblatt der alten Großvateruhr, die im Flur stand, und zerschmetterte es vollständig. Als sie wieder zu sich kam, stand der thränenreiche Knecht vor ihr und hatte die bewußtlose Köchin im Arme, und das Hausmädchen plapperte wie blödsinnig.

Der Knecht hatte die Ursache des Lärms entdeckt, aber nichts gesagt, weil er die Köchin noch etwas im Arme behalten wollte.

Es war der Pony, der sich infolge einer Nachlässigkeit eines der Leute losgerissen hatte, in den neben der Küche befindlichen Werkzeugschuppen geraten war und dort mit seinen Hufen in den Geräten herumwirtschaftete.

Nachdem Augustus junior geboren war, konnte das natürlich nicht so weiter gehen, und deshalb wurde das Gut verkauft, und jetzt habe ich sie in meiner Nähe und kann sie sehen, wann ich will, was eine große Annehmlichkeit für mich ist.

Die Annehmlichkeit, meinen ältesten Sohn John ebenso nahe zu haben, ist nicht ganz so groß, denn seine arme Frau schickt immer nach mir, um mich zu fragen, was sie mit ihm anfangen soll. Er ist wirklich eine schwere Prüfung, und ich sage immer, es muß etwas bei ihm nicht richtig sein, denn er benimmt sich zu sonderbar. Erst vor wenigen Tagen erhielt ich ein Briefchen von der lieben Lottie!

»Liebe Mutter! Bitte, komm sofort, John macht sein Testament, rennt umher, kniet nieder, beißt in die Stühle und sagt, seine Leber sei nicht in Ordnung.«

Allein ich werde meinem ältesten Sohne und seiner armen, ihr Kreuz geduldig tragenden Frau eine besondere Erinnerung widmen müssen.


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