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8.

Die Sache wurde bedenklich. Die deutschen Zeitungen veröffentlichten überaus rührende Artikel über die Verfolgungen, welchen die ruhige deutsche Bevölkerung von einer barbarischen, obskuren, von staatsfeindlichen Agitationen und religiösem Fanatismus aufgestachelte Volksmasse ausgesetzt ist. Boege wurde zum Helden gestempelt. Er, ein stiller und sanfter Lehrer, der an den entlegenen Reichsgrenzen Aufklärung verbreitet; er, ein echter Kulturträger inmitten von Barbaren, fiel als erstes Opfer des Tumultes. Zum Glücke stehen hinter ihm hundert Millionen Deutsche, die nicht gestatten werden, daß u. s. w.

Bartek wußte nicht, was für Gewitter sich über seinem Haupte zusammenzog. Er war im Gegenteil guten Mutes. Er war dessen sicher, daß er bei Gericht gewinnen wird. Boege hat ja sein Kind geschlagen, ihn zuerst angegriffen, und dann wurde er von so viel Leuten überfallen. Er mußte sich doch wehren. Überdies haben sie ihm den Kopf noch mit einem Steine gespalten. Und wem? Ihm, den die Tagesbefehle genannt, ihm, der die Schlacht bei Gravelotte »gewonnen«, der mit Steinmetz selbst geredet, der so viel Kreuze hatte! Er konnte es zwar nicht fassen, wie die Deutschen von alledem nichts wissen und ihm solch eine Unbill zufügen konnten, ebenso wie er es nicht begreifen konnte, wie Boege den Pognebinern drohen konnte, die Deutschen werden sie jetzt mit den Füßen treten, dafür, daß sie, die Pognebiner, so tüchtig die Franzosen geschlagen hatten, so oft hiezu Gelegenheit war. Was aber ihn betraf, war er sicher, daß Gericht und Regierung sich seiner annehmen werden. Dort wird man doch wissen, wer er sei und was er im Kriege vollbracht.

Wenn niemand, so wird sich doch Steinmetz seiner annehmen.

Bartek ist doch durch diesen Krieg verarmt und hat seine Hütte verschuldet, und so wird man ihm doch keine Gerechtigkeit vorenthalten.

Unterdessen kamen Gendarmen nach Pognebin um Bartek gefahren. Sie hatten augenscheinlich einen schrecklichen Widerstand erwartet, denn es kamen ihrer fünf mit geladenen Karabinern. Sie irrten sich. Bartek dachte nicht an Widerstand. Man hieß ihn in den Fuhrmannswagen steigen; er tat es. Nur Magda tat verzweifelt und wiederholte hartnäckig:

»O, hast du es nötig gehabt, diese Franzosen so zu bekriegen? Jetzt, armer Kerl, hast du deinen Lohn.«

»Still, du Närrin!« antwortete Bartek und lächelte unterwegs die Passanten ziemlich heiter an.

»Ich werde ihnen zeigen, wem sie ein Unrecht getan!« rief er aus dem Wagen.

Und mit seinen Kreuzen auf der Brust fuhr er wie ein Triumphator nach dem Gerichte.

Das Gericht erwies sich auch wirklich leutselig. Man ließ mildernde Umstände gelten. Bartek wurde nur zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.

Außerdem wurde er zur Zahlung von hundert Talern Entschädigung an die Familie Boege und die anderen »körperlich verletzten Kolonisten« verurteilt.

»Der Missetäter aber,« schrieb die »Posener Zeitung« in ihrem Berichte über die Gerichtsverhandlung, »zeigte nicht nur keine Reue, sondern brach noch in solch ordinäre Worte aus und begann so frech dem Staate seine angeblichen Verdienste vorzuhalten, daß man sich füglich wundern muß, warum der anwesende Staatsanwalt nicht gegen ihn eine neue Anklage wegen Beschimpfung des Gerichtes und des deutschen Stammes erhob.

Unterdessen stellte Bartek im Gefängnisse Betrachtungen über seine Taten bei Gravelotte, Sedan und Paris an.

Wir würden aber eine Ungerechtigkeit begehen, wenn wir behaupten würden, Boeges Handlungsweise hätte gar keinen öffentlichen Tadel hervorgerufen. Im Gegenteil. An einem regnerischen Tage führte irgendein polnischer Abgeordneter sehr beredt aus, wie die Behandlung der Polen im Posenischen sich geändert habe, wie man für die während des Krieges von den Posner Regimentern bewiesene Tapferkeit und Opferwilligkeit mehr auf die Menschenrechte in der Provinz Posen bedacht sein sollte, wie Herr Borge aus Pognebin schließlich seine Stellung als Lehrer mißbraucht habe, indem er polnische Kinder mißhandelte, sie polnische Schweine nannte und in Aussicht stellte, daß nach solch einem Kriege die eingewanderte Bevölkerung die Einheimischen mit Füßen treten werde.

Und während der Abgeordnete seine Rede hielt, plätscherte der Regen, und da an solch einem Tage sich der Leute Schläfrigkeit bemächtigt, gähnten die National-Liberalen und Sozialisten, gähnte auch das Zentrum, denn es war dies noch vor dem Kulturkampfe.

Schließlich ging das preußische Abgeordnetenhaus über diese »polnische Klage« zur Tagesordnung über.

Mittlerweile saß Bartek im Gefängnis oder richtiger lag im Gefängnisspital, denn von dem Steinwurfe hatte sich ihm eine im Kriege erhaltene Wunde geöffnet.

Wenn er fieberfrei war, dachte er wie jener Truthahn, der vom Nachdenken krepierte. Bartek aber starb nicht, nur ersann er nichts.

In den Momenten aber, die die Wissenschaft lucida intervalla nennt, fiel es ihm manchmal ein, daß er vielleicht unnötigerweise die Franzosen so »durchgewalkt« habe.

Für Magda aber brachen schwere Stunden an. Man mußte die Strafe bezahlen: sie wußte nicht womit. Der Geistliche von Pognebin wollte helfen, es stellte sich aber heraus, daß er keine fünfzehn Taler in der Kasse hatte. Dieses Pognebin war eine arme Pfarre, und überdies wußte der Greis nie, wohin sein Geld geriet. Herr Jaczynski war nicht zu Hause. Man sagte, er sei nach Kongreßpolen gefahren, um ein reiches Fräulein zu freien.

Magda wußte nicht was beginnen.

An eine Fristerstreckung war nicht einmal zu denken. Was also anfangen? Die Pferde, Kühe verkaufen? Ohnehin war's vor der Ernte, die schwerste Zeit also. Die Wirtschaft erheischte Geld, und alles war schon erschöpft. Das Weib rang vor Verzweiflung die Hände. Sie reichte beim Gerichte ein Gesuch um Nachsicht ein, Barteks Verdienste aufzählend, erhielt aber keine Antwort. Der Termin nahte heran und mit ihm der Sequester.

Sie betete fort und fort, sich verbittert an die früheren Zeiten vor dem Kriege erinnernd, wo sie wohlhabend waren und Bartek zur Winterszeit in einer Fabrik verdiente. Sie ging zu den Gevattern Geld leihen, sie hatten keins. Der Krieg hatte sich allen fühlbar gemacht. Zu Just wagte sie nicht zu gehen, denn sie war ihm ohnehin schuldig, und sie zahlte nicht einmal die Zinsen. Mittlerweile aber kam Just unverhofft selbst zu ihr.

Eines Nachmittags saß sie auf der Schwelle der Hütte und tat nichts, denn sie war kraftlos vor Verzweiflung. Sie starrte auf die in der Luft jagenden Goldfliegen und dachte bei sich: »wie glücklich ist dieses Gewürm, es schwärmt umher und zahlt nichts.« Manchmal seufzte sie schwer auf, oder ihren bleichen Lippen entrang sich der leise Ruf: »Gott! o Gott!« Plötzlich tauchte vor dem Torwege Justs gesenkte Nase, unter welcher eine Pfeife sichtbar war, auf. Das Weib erblaßte. Just ließ sich vernehmen:

»Morgen!«

»Herr Just, wie geht es Ihnen?«

»Und mein Geld?«

»O mein goldener Herr Just, haben Sie Geduld. Was soll ich Arme beginnen? Man hat mir den Mann eingesperrt, ich muß für ihn Strafe zahlen, und kann mir keinen Rat schaffen. Es wäre besser, ich wäre gestorben, als mich so tagaus, tagein abzurackern. Warten Sie, goldener Herr Just.«

Sie brach in Weinen aus und sich bückend, küßte sie Justs fette, rote Hand. »Wie der Gutsherr zurückkommt, werde ich mir von ihm borgen und Euch zurückgeben.«

»No, und woher werdet Ihr die Strafe bezahlen?«

»Weiß ich! Ich müßte höchstens die Kuh verkaufen.«

»So werde ich Euch noch borgen.«

»Gott vergelte es Ihnen, mein goldener Herr. Obwohl ein Lutheraner, sind Sie ein guter Mensch.«

»Ich gebe aber nicht ohne Prozente.«

»Ich weiß, ich weiß.«

»So stellt einen Schein auf alles aus.«

»Gut, goldener Herr, Gott vergelte es Ihnen auch so.«

»Wie ich in die Stadt komme, werden wir ein Aktenstück ausfertigen lassen.«

Er war in der Stadt und ließ ein Dokument aufsetzen, vorher aber ging Magda zum Pfarrer, sich Rat zu holen. Was war aber da zu raten? Der Geistliche sagte, der Termin sei zu kurz, die Zinsen zu hoch und bedauerte sehr, daß Herr Jaczynski nicht zu Hause sei, denn, wenn er da wäre, würde er vielleicht geholfen haben. Magda aber konnte nicht warten, bis man ihr Vieh verkaufen wird und mußte Justs Bedingungen annehmen. Sie nahm ein Darlehen von hundert Talern auf, das ist zweimal so viel, als die Strafe betrug, denn man mußte doch im Hause etwas Geld haben, um die Wirtschaft führen zu können.

Bartek, der ob der Wichtigkeit der Urkunde seine Unterschrift darunter setzen mußte, tat es. Zu diesem Behufe ging Magda eigens zu ihm ins Gefängnis. Der Sieger war sehr niedergedrückt und krank. Er wollte noch eine Beschwerde schreiben und das ihm widerfahrene Unrecht darstellen, die Beschwerdeschrift wurde aber zurückgewiesen.

Die Artikel der »Posener Zeitung« hatten die Regierungskreise sehr ungünstig für ihn gestimmt. Kein Wunder also, daß dies Bartek ganz niederdrückte.

»Jetzt werden wir schon ganz zugrunde gehen,« sagte er zu seinem Weibe.

»Ja, ganz,« wiederholte sie.

Bartek begann über etwas angestrengt nachzudenken.

»Mir geschieht ein furchtbares Unrecht,« sagte er.

»Boege verfolgt den Jungen« sagte Magda.

»Ich ging hin, um zu bitten, aber er hat mich noch ausgeschimpft. O, jetzt sind in Pognebin die Deutschen obenauf. Sie fürchten jetzt niemanden.«

»Natürlich sind sie die stärksten,« sagte Bartek betrübt.

»Ich bin ein einfaches Weib, aber das sage ich dir: Gott ist stärker.«

»Er ist unsere Hoffnung,« fügte Bartek hinzu.

Eine Weile schwiegen beide, dann fragte er wieder:

»No, was ist mit Just?«

»Wenn Gott eine gute Ernte bescheren wird, so werden wir ihm vielleicht bezahlen können. Vielleicht wird auch der Gutsherr uns helfen, obwohl er selbst bei den Deutschen verschuldet ist. Noch vor dem Kriege hat man gesagt, er müsse Pognebin verkaufen. Außer wenn er reich heiraten wird.«

»Und kommt er bald zurück?«

»Wer weiß es! Auf dem Gutshofe meint man, er wird bald mit einer Frau kommen.«

»Du bist doch ein kluges Weib, vielleicht wirst du irgendeinen Rat finden.«

»Was kann ich ersinnen, was? Hab' ich denn von Just gutwillig Geld genommen? Unsere Hütte und Grund und Boden gehören doch schon beinahe ihm. Just ist besser als die anderen, aber auch er hat nur sein und nicht fremdes Interesse im Auge. Er wird keine Nachsicht haben, so wie er es mit anderen nicht gehabt hat. Bin ich denn so dumm, weiß ich denn nicht, wozu er mir Geld in die Hand steckt! Was läßt sich aber tun!« sagte sie händeringend, »rate du, wenn du klug bist. Die Franzosen hast du schlagen können, was wirst du aber anfangen, wenn du kein Dach über dem Kopfe und keinen Löffel Essen haben wirst?

Der Sieger von Gravelotte griff sich an den Kopf.

»O Jesus! Jesus!«

Magda hatte ein gutes Herz; dieser Schmerz Barteks rührte sie, und so sagte sie gleich:

»Still, Still! pack dich nicht beim Kopfe, da er noch nicht verheilt ist. Wenn Gott nur eine gute Ernte beschert! Das Korn steht so schön, daß man die Erde küssen möchte, der Weizen auch. Obwohl infolge deines Krieges der Acker schlecht bestellt wurde, gedeiht alles so prächtig.«

Die wackere Magda lächelte durch Tränen.

»Magda,« sagte Bartek, sie mit seinen Glotzaugen anstierend.

»Magda?«

»Was denn?«

»Denn du bist …«

Bartek empfand für sie eine große Dankbarkeit, nur konnte er es nicht ausdrücken.


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