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4.

Die Mitwirkung an der Hauptschlacht bei Gravelotte überzeugte Bartek anfänglich nur davon, daß in der Schlacht vollauf zu gaffen, aber nichts zu tun ist. Denn zu Beginn hieß man ihn und sein Regiment Gewehr bei Fuß, an der Sohle einer mit Weintrauben bedeckten Anhöhe stehen. In der Ferne arbeiteten die Kanonen, in der Nähe sprengten Kavallerieregimenter mit einem Dröhnen vorüber, daß der Boden erbebte; bald flimmerten Standarten, bald Kürassiersäbel. Über der Anhöhe im blauen Äther flogen Granaten in Form weißer Wölkchen zischend dahin, dann füllte Rauch die Luft und verhüllte den Horizont. Es schien, daß die Schlacht wie ein Gewitter strichweise vorüberzog, das währte aber nicht lange.

Nach einer geraumen Zeit entstand rings um Barteks Regiment eine sonderbare Bewegung. Andere Regimenter begannen hier Aufstellung zu nehmen, und durch die Zwischenräume kamen Geschütze im gestreckten Laufe angesprengt, die sofort ausgespannt und mit den Feuerschlünden gegen die Anhöhe gerichtet wurden. Jetzt ertönen von allen Seiten Kommandorufe und Adjutanten fliegen. Und unsere Soldaten flüstern sich ins Ohr: »O, jetzt werden wir was davon kriegen!« oder einer fragt den andern mit Unruhe: »Beginnt es schon?« »Wahrscheinlich schon.« Jetzt naht also die Ungewißheit, das Rätsel, der Tod vielleicht … Im Pulverrauche, der die Anhöhen verschleiert, wogt und tobt etwas furchtbar. Man vernimmt immer näher das Donnern der Kanonen und das Knattern des Kleingewehrfeuers. Von weitem dringt ein undeutliches Krachen her, man vernimmt schon die Kartätschengeschütze. Plötzlich donnern die ersten aufgefahrenen Kanonen, daß Erde und Luft zusammen erzitterten. Vor Barteks Regiment beginnt es furchtbar zu zischen. Sie blicken hin. Es fliegt wie ein leichtes Wölkchen, und in diesem Wölkchen zischt, lacht, schreit, heult etwas. Die Soldaten gewordenen Bauern rufen: »Eine Granate! eine Granate!« Unterdessen rast dieser Kriegsvogel wie ein Sturmwind dahin, kommt näher, fällt, krepiert! Ein furchtbares Getöse zerriß die Ohren, ein Krachen, als ginge die Welt unter, und eine Erschütterung wie von einem Windstoße. In den Reihen nächst den Geschützen entsteht Verwirrung, Schreien, und das Kommando: »Zusammenschließen!« ertönt. Bartek steht in der ersten Reihe, das Gewehr geschultert, den Kopf emporgereckt, das Kinn gestützt, so klappern die Zähne nicht. Man darf nicht zucken, man darf nicht schießen. »Stillgestanden! Warten!« Und da fliegt eine zweite, eine dritte, eine vierte, eine zehnte Granate! Der Wind verweht den Pulverrauch von der Anhöhe. Die Franzosen haben schon die preußischen Batterien heruntergetrieben, haben schon die ihrigen postiert, und jetzt speien sie Feuer herunter. Jeden Moment steigen aus dem Gebüsch der Weintrauben lange, weiße Rauchwölkchen auf. Unter dem Schutze der Geschütze steigt die Infanterie immer tiefer, um ein Kleingewehrfeuer zu eröffnen. Sie sind schon in der Hälfte der Anhöhe. Jetzt sieht man sie sehr gut, denn der Wind wälzt den Rauch weg. Ist auf den Weinranken Mohn erblüht? Nein, das sind die roten Käppis der Infanteristen. Auf einmal verschwinden sie zwischen den hohen Weinreben, man sieht sie nicht; nur hie und da wehen dreifarbige Fahnen. Es beginnt ein rasches, fieberhaftes, unregelmäßiges Karabinerfeuer, das jäh an verschiedenen Stellen losbricht. Über diesem Feuer heulen in einem fort Granaten und kreuzen sich in der Luft. Auf der Anhöhe bricht manchmal ein Freudengeschrei aus, das unten von einem deutschen »Hurrah!« erwidert wird. Die Kanonen in der Niederung dröhnen in einem ununterbrochenen Feuern. Das Regiment steht unbeweglich.

Aber die Feuersphäre beginnt es der Reihe nach zu umfassen. Die Kugeln beginnen wie Fliegen oder Bremsen von weitem zu summen oder fliegen in der Nähe mit einem schrecklichen Pfeifen vorüber. Es werden ihrer immer mehr; sie schwirren um die Köpfe, Nasen, Augen, Schultern, es sind ihrer Tausende, Millionen. Es ist ein Wunder, daß noch jemand auf den Beinen steht. Plötzlich läßt sich knapp hinter Bartek ein Ächzen vernehmen. »Jesus!« dann: »Zusammenschließen!« wieder: »Jesus!« und: »Zusammenschließen!« Schließlich schon ein ununterbrochenes Stöhnen, ein immer rascheres Kommando, die Reihen rücken zusammen, das Pfeifen wird immer häufiger, ohne Unterbrechung, schrecklich. Die Getöteten zieht man an den Beinen heraus. Ein Gottesgericht.

»Fürchtest du?« fragt Wojtek.

»Wie soll ich nicht fürchten! …« antwortet zähneklappernd unser Held.

Und doch stehen sie beide, und es kommt ihnen nicht einmal in den Sinn, daß man Reißaus nehmen könnte. Man hat geheißen stehen und damit basta! Bartek lügt. Er fürchtet nicht so, wie tausende andere an seiner Stelle fürchten würden. Die Disziplin beherrscht seine Einbildungskraft, und die Phantasie malt ihm die Lage gar nicht so grausig aus, wie sie ist. Aber Bartek glaubt, daß man ihn totschlagen wird und vertraut diesen Gedanken Wojtek an.

»Wenn sie einen Tölpel töten, wird im Himmel kein Loch sein!« antwortet Wojtek mit gereizter Stimme.

Diese Worte beruhigen Bartek sehr. Es konnte scheinen, als handelte es sich ihm hauptsächlich darum, ob im Himmel kein Loch entstehen wird? In dieser Beziehung beruhigt, steht er geduldig, verspürt nur eine schreckliche Hitze, und Schweiß bedeckt sein Gesicht. Mittlerweile wird das Feuer so schrecklich, daß die Reihen in den Augen zusammenschmelzen. Es ist niemand mehr da, um die Getöteten und Verwundeten wegzuschaffen. Das Röcheln der Sterbenden vermengt sich mit dem Pfeifen der Geschosse und dem Krachen der Salven. An der Bewegung der dreifarbigen Fahnen ist zu merken, daß die im Weingarten verborgene Infanterie immer näher rückt. Kartätschenschwärme dezimieren die Reihen, deren sich Verzweiflung zu bemächtigen beginnt.

Aber im Widerhall dieser Verzweiflung ist ein Gemurmel der Ungeduld und der Wut herauszufühlen, wenn man sie vorrücken hieße, würden sie dahinrauschen. Sie können nur nicht unbeweglich auf dem Flecke stillstehen. Irgendein Soldat reißt plötzlich die Mütze vom Kopfe, schleudert sie aus Leibeskräften zu Boden und sagt:

»Einmal kommt über die Ziege der Tod.« Polnisches Sprichwort.

Bei diesen Worten verspürt Bartek eine solche Erleichterung, daß er beinahe aufhört zu fürchten. Denn wenn die Ziege einmal sterben muß, so handelt es sich schließlich um nichts Großes. Es ist dies eine Bauernphilosophie, besser als jede andere, wenn sie Zuversicht einflößt. Bartek wußte übrigens, daß der Tod einmal über die Ziege kommt, es war ihm aber lieb dies zu hören und volle Gewißheit zu haben, insbesondere, da die Schlacht sich in eine vollständige Niederlage zu verwandeln begann. Das Regiment war, ohne einen Schuß abgefeuert zu haben, schon um die Hälfte zusammengeschmolzen. Soldatenhaufen von andern zersprengten Regimentern rennen an ihm in Unordnung vorüber, nur diese Bauern aus Pognebin und Umgebung, von der eisernen preußischen Disziplin zusammengehalten, stehen noch fest. Aber auch in ihren Reihen spürt man schon ein gewisses Wanken. Bald werden die Bande der Disziplin reißen. Der Boden unter ihren Füßen wird schon von Blut weich und glitschig, und dessen scharfer Geruch vermengt sich mit dem Rauchgestank. An manchen Stellen können die Glieder nicht zusammenrücken, denn die Leichen bilden Berge. Zu Füßen der Mannschaften, die noch stehen, liegt die andere Hälfte im Blute, im Röcheln, in Konvulsionen, im Sterben oder schon in Todesstille.

Manchen gebricht es schon an Luft. In den Reihen entsteht ein Gemurmel.

»Man hat uns zur Schlachtbank geführt.«

»Niemand wird mit dem Leben davonkommen.«

»Still, polnisches Vieh!« läßt sich die Stimme eines Offiziers vernehmen …

»Er ist hinter meinem Kragen gut daran …«

»Steht der Kerl da!«

Plötzlich beginnt irgendeine Stimme zu sagen:

»Unter deinen Schutz …«

Bartek fängt es sofort auf:

»Flüchten wir uns, heilige Muttergottes!«

Und bald ruft ein Chor polnischer Stimmen auf diesem Felde des Verderbens zur Schutzpatronin Polens: »Geruhe unsere Bitten nicht zu verachten!« und Stöhnen: »O Maria, Maria!« bilden die Begleitung. Und sie wurden augenscheinlich erhört, denn in diesem Momente kommt auf schäumendem Rosse ein Adjutant herangesprengt, und das Kommando: »Gewehr zum Angriff! hurrah! vorwärts!« erschallt. Die Bajonette werden jäh gefällt, die Glieder dehnen sich in einer langen Linie aus und stürmen gegen die Anhöhen, die Feinde, welche die Augen nicht erblicken konnten, mit dem Bajonette aufzusuchen. Aber unsere Mannschaften sind noch gegen zweihundert Schritte vom Fuße der Anhöhe entfernt, und diese Strecke müssen sie unter mörderischem Feuer zurücklegen, werden nicht alle fallen, oder zurückweichen? Fallen können sie, zurückweichen aber werden sie nicht, denn das preußische Kommando weiß, was für Melodie diesen polnischen Bauern zur Attacke aufspielen zu lassen. Inmitten des Kanonendonners und Kleingewehrfeuers, inmitten des Pulverrauches, der Verwirrung und des Stöhnens, blasen die Trompeten, alles übertönend, die Hymne: »Noch ist Polen nicht verloren!« daß jeder Blutstropfen in ihrer Brust hüpft. »Hurrah!« erwidern die polnischen Mannschaften. Begeisterung ergreift sie, ihre Gesichter flammen! Sie rücken wie ein Sturm über die gefallenen Menschen- und Pferdeleiber, über die Granatensplitter vor. Sie fallen, bewegen sich aber schreiend und singend vorwärts. Sie erreichen schon den Weingarten, verschwinden im Gebüsch. Nur der Gesang erschallt, manchmal blitzt ein Bajonett auf. Oben wütet ein immer schrecklicheres Feuer. Unten schmettern fort die Trompeten. Die französischen Schießsalven werden hastiger, fieberhaft und jäh.

Plötzlich verstummen sie.

Unten steckt der alte Kriegswolf Steinmetz seine Porzellanpfeife in Brand und sagt mit einem Tone der Zufriedenheit:

»Ihnen hat man nur das aufzuspielen, die Mordkerle sind oben!«

Und bald darauf hüpft eine der stolz flatternden dreifarbigen Fahnen in die Höhe, senkt sich dann und verschwindet.

»Sie spaßen nicht!« sagt Steinmetz.

Die Trompeter spielen wieder dieselbe Hymne. Das zweite Posener Regiment geht dem ersten zu Hilfe.

Im Dickicht tobt ein Kampf mit Bajonetten. Singe jetzt, Muse, meines Helden, damit die Nachwelt weiß, was er vollbracht. In seinem Herzen sind Schrecken, Ungeduld, Verzweiflung in ein Gefühl der Wut zusammengeflossen; und als er jene Musik vernahm, spannte sich in ihm jeder Nerv wie Eisendraht. Sein Haar sträubte sich, die Augen sprühten Funken. Er vergaß an die Welt, daran, daß »der Tod einmal über die Ziege kommt,« und den Karabiner mit seinen mächtigen Tatzen umfassend, stürmte er mit den andern vorwärts. Die Anhöhe erreichend, stürzte er gegen zehnmal zu Boden, zerschlug sich die Nase, beschmierte sich mit Erde und Blut, das aus seiner Nase rann, und stürmte weiter, wütend, schnaubend, mit offenem Munde Luft schnappend. Er riß die Augen weit auf, um im Strauchwerk irgendeinen Franzosen zu erblicken und gewahrte schließlich ihrer drei um eine Fahne. Es waren Turkos. Glaubt ihr aber, Bartek wich zurück? Nein! Er hätte jetzt selbst Luzifer bei den Hörnern gefaßt! Er rannte auf sie zu, und sie warfen sich heulend ihm entgegen, zwei Bajonette berühren schon wie Stacheln seine Brust, da packte Bartek den Lauf seines Gewehres und fuchtelte mit dem Kolben darauf los. Nur ein Heulen und ein Röcheln antwortete ihm, und zwei schwarze Leiber begannen am Boden konvulsivisch zu zucken.

In diesem Momente kamen dem dritten, dem Fahnenträger, gegen zehn Kameraden zu Hilfe. Bartek stürzte sich wie eine Furie auf alle zusammen. Sie gaben Feuer, es blitzte auf, krachte, und gleichzeitig erscholl im Rauchqualm Barteks heiseres Brüllen.

»Ihr habt fehlgeschossen!«

Und abermals beschrieb der Karabiner in seiner Hand einen schrecklichen Bogen, und den Hieben antwortete wieder Stöhnen. Beim Anblicke dieses wutschnaubenden Recken wichen die Turkos entsetzt zurück, und mag nun Bartek überhört oder sie etwas auf arabisch gerufen haben, genug, daß es ihm deutlich vorkam, als entstiege ihren breiten Lippen der Schrei:

»Magda! Magda!«

»Nach Magda gelüstet es euch!« brüllte Bartek und mit einem Sprunge war er inmitten der Feinde. Zum Glücke kam man ihm in diesem Momente zu Hilfe. Inmitten des Weinrankengebüsches entspann sich ein Handgemenge, das vom Knallen der Karabiner, dem Pfeifen der Nüstern und dem fieberhaften Atmen der Kämpfenden begleitet war. Bartek raste wie ein Orkan. Rauchgeschwärzt, blutbedeckt, einem Tiere ähnlicher als einem Menschen, an nichts denkend, warf er mit jedem Kolbenschlage Leute um, zerbrach Karabiner, zerschmetterte Köpfe. Seine Hände bewegten sich mit der schrecklichen Schnelligkeit einer Maschine, Verheerung verbreitend. Den Fahnenträger erreichend, umklammerte er mit den eisernen Fingern seine Kehle. Die Augen des Fahnenträgers traten aus den Höhlen, das Gesicht schwoll an, er röchelte und seine Hände ließen die Fahnenstange los.

»Hurrah!« schrie Bartek und die Fahne aufhebend, schwang er sie in die Luft.

Diese sich erhebende und senkende Fahne hatte General Steinmetz von unten gesehen.

Er konnte sie aber nur einen Augenblick sehen, denn im zweiten zerschmetterte Bartek mit derselben Fahne irgendeinen mit einem Käppi mit Goldschnur bedeckten Kopf.

Unterdessen waren seine Waffengenossen schon vorangestürmt.

Eine Weile blieb Bartek allein. Er riß die Fahne herunter, steckte sie hinter den Waffenrock und den Schaft mit beiden Händen ergreifend, eilte er den Kameraden nach.

Scharen von Turkos, unmenschlich brüllend, flohen jetzt gegen die auf dem Gipfel der Anhöhe aufgestellten Kanonen, und unsere Mannschaften jagten ihnen nach, schreiend und mit Gewehrkolben und Bajonetten dreinschlagend.

Die bei den Geschützen stehenden Zuaven begrüßten die einen und die anderen mit einem Gewehrfeuer.

»Hurrah!« schrie Bartek.

Die Soldaten waren bei den Kanonen angelangt. Es entspann sich ein neuer Kampf mit blanker Waffe. In diesem Momente kam auch das zweite Posener Regiment dem ersten zu Hilfe. Die Fahnenstange in Barteks mächtigen Tatzen verwandelte sich in einen höllischen Dreschflegel. Jeder Schlag machte in den enggeschlossenen französischen Reihen eine Lücke. Der Zuaven und Turkos begann sich Entsetzen zu bemächtigen. Dort, wo Bartek kämpfte, stoben sie auseinander. Bald saß Bartek als erster rittlings auf einer Kanone wie auf einer Pognebiner Stute.

Ehe die Soldaten aber Zeit hatten, ihn auf ihr zu erblicken, saß er schon auf einer zweiten, bei welcher er wieder einen Fahnenträger mit einer Fahne niedergestreckt hatte.

»Hurrah, Bartek!« wiederholten die Soldaten.

Der Sieg war ein vollständiger. Alle Kartätschenkanonen wurden erobert. Die fliehende Infanterie, auf der andern Seite der Anhöhe auf ein neues preußisches Regiment stoßend, streckte die Waffen.

Während der Verfolgung erbeutete Bartek noch eine dritte Fahne.

Man mußte ihn sehen, wie er müde, schweiß- und blutbedeckt, wie ein Blasebalg schnaufend, jetzt mit den andern die Anhöhe hinabmarschirte, auf den Schultern drei Fahnen tragend. Was machte er sich jetzt aus den Franzosen! Neben ihm ging Wojtek mit leichten Kontusionen bedeckt, und Bartek meinte:

»Was hast du gesagt? Das ist ja ein Gewürm! Hat weder Kraft noch Mark in den Knochen. Sie haben mich und dich wie junge Katzen zerkratzt, sonst aber nichts. Und wie ich auf jemanden dreinhaute, sank er sogleich zu Boden …«

»Wer wußte, daß du so grimmig bist« erwiderte Wojtek, der Barteks Taten gesehen hatte und ihn mit ganz anderen Augen anzuschauen begann.

Wer aber hat diese Taten nicht gesehen? Die Geschichte, das ganze Regiment und die Majorität der Offiziere. Alle sahen jetzt diesen riesigen Bauer, mit dem schütteren, fahlgelben Haare und den Glotzaugen mit Bewunderung an. »Ach! Sie verfluchter Pollake!« sagte zu ihm der Major selbst und zog ihn beim Ohre, und Bartek zeigte ihm vor Freude gar seine Backenzähne. Als das Regiment wieder am Fuße der Anhöhe stand, zeigte der Major ihn dem Obersten und der Oberst dem General Steinmetz selbst.

Dieser besichtigte die Fahnen, ließ sie fortnehmen, dann begann er Bartek zu mustern. Dieser steht wieder straff wie eine Saite, präsentiert das Gewehr, und der alte General betrachtet ihn und schüttelt zufrieden das Haupt. Schließlich beginnt er etwas zum Obersten zu sprechen.

Man vernimmt deutlich das Wort: Unteroffizier.

»Zu dumm, Exzellenz!« antwortet der Major.

»Versuchen wir es,« sagt die Exzellenz, und das Pferd wendend, nähert er sich Bartek.

Bartek selbst weiß nicht mehr, was mit ihm vorgeht. Es ist dies eine in der preußischen Armee unerhörte Sache. Ein General wird sich mit einem Gemeinen unterhalten. Seiner Exzellenz wird dies um so leichter fallen, als sie polnisch kann. Übrigens hat dieser Gemeine drei Fahnen und zwei Kanonen erbeutet.

»Woher bist du?« fragt der General.

»Aus Pognebin,« antwortet Bartek.

»Gut. Dein Name?«

»Bartek Slowik.«

»Mensch …« übersetzt der Major.

»Mens!« wiederholt Bartek.

»Weißt du, warum du die Franzosen schlägst?«

»Ich weiß, Zellenz …«

»So sag!«

Bartek beginnt zu stottern: »Weil … weil …« Plötzlich kommen Wojteks Worte ihm glücklich in den Sinn, und so platzt er schnell heraus, um sich nicht zu irren.

»Denn es sind auch Deutsche, nur eine schlechtere Brut!«

Das Gesicht der alten Exzellenz beginnt so zu zucken, als hätte sie Lust in ein Lachen auszubrechen. Nach einer Weile aber wendet sich Seine Exzellenz an den Major und sagt: »Sie haben recht gehabt.«

Bartek, mit sich zufrieden, steht fortwährend stramm wie eine Saite.

»Wer hat heute die Schlacht gewonnen?« fragt der General wieder.

»Ich, Zellenz!« antwortet Bartek, ohne zu zaudern.

Das Gesicht der Exzellenz beginnt wieder zu zucken.

»Ja, ja, du! Und hier hast du eine Belohnung …«

Hier nestelt der alte Krieger das eiserne Kreuz von seiner eigenen Brust, dann bückt er sich und heftet es Bartek an. Die gute Laune des Generals prägt sich auf ganz natürlichem Wege auf den Gesichtern des Obersten, der Majore, Hauptleute und selbst der Unteroffiziere aus.

Nach dem Wegreiten des Generals gibt der Oberst seinerseits Bartek zehn Taler, der Major fünf und so weiter. Alle wiederholen lachend, er habe die Schlacht gewonnen, infolge dessen Bartek im siebenten Himmel ist. Sonderbar. Nur Wojtek ist mit unserem Helden nicht sehr zufrieden.

Abends, als beide sich am Bivakfeuer niederließen und Barteks edles Gesicht mit Erbsenwurst vollgestopft war, ließ sich Wojtek im Tone der Resignation vernehmen:

»O, du Bartek, bist du aber ein Narr!«

»Wieso?« sagt Bartek durch die Wurst hindurch.

»Was hast du Mensch dem General von den Franzosen vorgeschwatzt, sie seien Deutsche?«

»Du hast es doch selbst geplappert?«

»Du hättest dich aber darauf besinnen sollen, daß der General und die Offiziere auch Deutsche sind.«

»Nun was ist weiter dabei?«

Wojtek begann etwas verlegen zu werden.

»Das, wenn sie auch Deutsche sind, man ihnen dies nicht sagen muß, denn das ist doch immerhin nicht schön …«

»Ich habe es doch auf die Franzosen, und nicht auf sie gesagt.«

»Eh, denn siehst du …«

Wojtek brach jäh ab, er wollte offenbar selbst etwas anderes sagen, er wollte eben Bartek erklären, daß man vor Deutschen nichts Schlechtes von Deutschen reden soll, aber seine Zunge schien sich verwirrt zu haben …


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