Walter Serner
Der Pfiff um die Ecke
Walter Serner

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Der Freund aus Costa Rica

Es war in Innsbruck, in der Leihanstalt. Kaneder wartete gerade auf die Schätzung seiner goldenen Uhr, als ein leises, aber sehr lustiges Lachen ihn zwang, sich umzuwenden.

Ein nettes blondes Fräulein stand hinter ihm. »Habens auch ka Geld?«

»Danke.« Kaneder fühlte eine jähe Hitze. »Bloß Zahlungsschwierigkeiten.«

»I eigentli auch. Mei Freund aus Costa Rica, der mir sonst immer pünktlich am ersten . . .« Sie schien flüchtig zu erröten. »Muß halt der Rubinring da von ihm herhalten.«

»Also Leidensgefährten . . .«

Nach einer halben Stunde saßen sie im Café Maria Theresia.

»O, i hab Ihna no gar net gsagt, wia i heiß.«

Kaneder blickte höflich zur Seite. »Ist doch gleichgültig.« Er las aber doch sofort die Adresse des Briefs, den sie aus ihrem Handtäschchen nahm: ›Ghilaine Lambert, Wien IX, Schulz-Straßnitzki-Gasse 8‹. »Ein seltener Vorname. Zugelegt?«

Sie sah pikiert an ihm vorbei. »Meine Mutter war Französin.«

»Und ihr Vater?«

»Armenier. Ich bin auf einem Schiff zwischen Pera und Neapel geboren.«

»Eine schwankende Geburt«, witzelte Kaneder mit Naturnotwendigkeit.

Sie ging fein lächelnd darüber hinweg. »Was wollns.«

»Darf ich den Brief lesen?« Kaneder zwinkerte pfiffig.

»Aber bitt schön.«

Es war eine Trostspendung ihres Beichtvaters, der sie ermahnte, brav zu bleiben und nicht zu unterliegen. Kaneder juckte sich die Hand. »Wohnen Sie noch in der Schulz-Straßnucki . . . Straßnicki . . .«

»'s is zwar scho in der Näh vom Gürtel, aber a wunderhübsche klane Dreizimmer-Wohnung.«

»Die der Freund aus Costa Rica bezahlt.«

»Was denn!«

Kaneder bemühte sich jetzt, das Datum des Briefes zu entziffern. Als ihm das gelungen war, lächelte er langsam. »Wie lange wohnen Sie schon dort?«

»Wird bald a Jahr.«

124 »So alt ist dieser Brief auch. Dann ist ja alles in Ordnung.«

»Wieso?« fragte sie frech, ein Débâcle ahnend.

»Inzwischen sind Sie jedenfalls doch unterlegen.«

»Herr Kaneder, ich muß Sie ernstlich ersuchen . . .« Sie mußte nun aber über sich selbst lachen. »Wissens, i bin nämlich, das hat mir mei Mutter aufm Sterbebett anvertraut, a natürlichs Kind vom Großfürsten Georg. Der Freund aus Costa Rica is sein Bevollmächtigter in der Alimentensachn. Sie begreifen. Daher kann von an Unterlegensein gar net die Red san.«

»Ich begreife«, versicherte Kaneder, der nichts begriff, als daß es ihm zu bunt wurde. »Wirklich schade, daß ich schon in einer Stunde nach Wien zurück muß.«

»Ja, 's is schad.« Sie neigte bedauernd, aber vielsagend das Köpfchen. »Net wahr, wir wern uns hoffentlich in Wean wiederschaun?«

»Wenn es Ihnen recht ist, heute in acht Tagen im Café Lebman in der Kärthnerstraße.« Kaneder wünschte, rasch fortzukommen.

»Ich geh nie ins Lebman.« Sie hob empört die Hand.

»Also dann im Graben-Café. Um fünf. Abgemacht?«

Sie nickte verheißungsvoll. »Hier habens auf jeden Fall mei Telefon-Nummer.« Sie schrieb sie auf eine Papierserviette, die Kaneder in die Rocktasche steckte . . .

Zwei Wochen später saß Kaneder, der längst dieses kleine Intermezzo vergessen hatte, eines Nachmittags im Café Lebman, als er plötzlich Ghilaine, sorgfältig geschminkt und einen blendenden Weißfuchs um die Schultern, eintreten und einen Herrn lebhaft begrüßen sah. Kaneder versteckte sich schnell hinter einer Zeitung, zahlte und drückte sich grinsend.

Am anderen Morgen erwachte er frühzeitiger als sonst und fand keinen Schlaf mehr. So fiel ihm Ghilaine wieder ein und schließlich bedauerte er, sich nicht den Scherz gemacht zu haben, sie zu begrüßen. Da erinnerte er sich, daß sie ihm ja in Innsbruck ihre Telefon-Nummer aufgeschrieben hatte. Sofort sprang er aus dem Bett zum Schrank und durchstöberte die Taschen des Rocks, den er damals getragen hatte. Überraschender Weise fand sich die Papierserviette noch vor.

Kaneder holte sich den Telefon-Apparat und nahm ihn mit ins Bett. »13 453 . . . Halloh, Fräulein Lambert? . . . Halloh, wer ist dort . . . Halloh, halloh . . . Ja, ich spreche . . . Halloh, Fräulein Lambert? Ja, man hat uns unterbrochen . . . Wie bitte? . . . Halloh . . . Na endlich . . . Hat man Sie vom Apparat weggerufen? . . . Nicht? Umso besser. Wie geht es Ihnen, blonde Schöne? . . . Wer ich eigentlich bin? Aber Sie erinnern sich doch 125 sicherlich noch an meine Stimme . . . Nicht? Na, dann sage ich nur – gestern Nachmittag im Café Lebman . . . Na also . . . Was? Ich bin ein notiger Karpfen, ein zwiderer Kren? . . . Na, also bitte . . . Warum ich eigentlich gestern nicht mitkommen wollte? Sofort. Sagen Sie mir erst, warum Sie so außer sich sind. Sie sind ja atemlos. Sie sprechen ja, als hätten Sie gerade eine Semmering-Besteigung hinter sich . . . Was? Ich fasle? Durchaus nicht. Oder sollte es sich um eine andere Besteigung handeln? Von wo aus sprechen Sie überhaupt? . . . Von Ihrem Schreibtisch aus? Sie sitzen um sechs Uhr morgens an Ihrem Schreibtisch? Sie? Ja, haben Sie denn die Nacht durchgearbeitet? Jedenfalls, denn jetzt höre ich eine Männerstimme . . . Halloh, halloh . . . halloh . . . halloh . . .«

Kaneder stellte den Apparat auf das Nachtkästchen. Dann brüllte er wiehernd auf, legte sich in die Seite und schlief noch einmal ein.

Am Nachmittag dieses Tages betrat Kaneder gegen fünf Uhr das Café Lebman.

Ghilaine saß bereits in einer Ecke und las das Kleine Witzblatt.

Als Kaneder sie begrüßte, staunte sie ihn ratlos lächelnd an.

»Innsbruck!« sagte Kaneder eindringlich.

»D'Hauptstadt von Tirol«, äußerte Ghilaine vergnügt. Mit einem Mal aber schlichteten sich ihre Züge. Es war unzweifelhaft, daß sie sich mit irgendeinem Erinnerungsfetzen herumbalgte.

Das machte Kaneder wagemutig. »Café München«, log er. »Gegen elf Uhr abends. Serenata von Toselli.«

Ghilaines ganzes Gesicht hielt gleichsam im Anlauf inne. Aber es vermochte sichtlich nicht, das Dunkel zu durchdringen. Daraufhin tat sie, als wäre es ihr gelungen: »Aber natürli! Jetzt erkenn i di wieder! Grüß di Gott! Servus! Na, wie gehts allerweil? Was machn die Würscht?«

Kaneder setzte sich, ein einziger Jubel. »Mattes Geschäft.«

»Das sagst immer.« Ghilaine lächelte unbändig. »Aber gut, daß d' da bist. Jetzt kannst mir glei die fufzich Kraneln geben, die i noch zu kriegen hab.«

Kaneder juckte sich die Stirn.

Ghilaine hielt es für richtig, sich zu ereifern. »Was? Bist auch so a notiger Karpfen, so a zwiderer Kren? Wegen fufzich lumpige Kraneln? Schamen sollst di was . . .«

Kaneder war, angesichts dieses dermaßen schütteren Erinnerungsvermögens, davon überzeugt, daß diese Nachforderung ein Kniff sei. »Gut, du sollst sie haben, obwohl ich mich nicht erinnere . . .«

126 »Was? Du erinnerst di net?« Ghilaines Hände flogen umher. »I sag nix als Hotel Kreid, Rudolfstraßn.«

»Und ich sage dir, daß es im Hotel Greif war.« Kaneder war auf der Höhe.

Ghilaine schien flüchtig zu erröten. »Du faselst ja. Außerdem liegt mir das stagelgrün auf. Gibst mir also die fufzich.«

»Ja, aber erst in deiner Wohnung.«

Ghilaine begehrte auf: »Frechheit! Übrigens habe ich jetzt gar keine Zeit.«

»Wir nehmen ein Auto. Auf dem Alsergrund sind wir in zehn Minuten. In einer Stunde kannst du wieder hier sein.«

»Wer sagt dir, daß i aufm Alsergrund wohn?« Ghilaine schlang sich ihren Weißfuchs fester um den Hals und schickte sich an, sich zu erheben. »I wohn in der Josefsstadt. Josefsgassen II. Da gehts no viel gschwinder.«

»Hast du nicht einmal in der Schulz-Straßnucki . . . Straß . . .«

Ghilaine blieb sekundenlang bewegungslos stehen. Die zugehörige Erlebnis-Sphäre hatte sie gestreift. Es kam aber nur zu einem Achselzucken. »Da hat a Freundin von mir gwohnt. I glaub sogar, sie wohnt no dort. Was, hast vielleicht mit der Lambert auch scho gschlafn? Mit der Zwiderwurzen? Heißt net amal so. I wer mi hüten und der Urschl no amal mei Zimmer borgn. Wenn i dann ihre lumpigen drei Löcher amal brauch, hats an Ausred . . . Komm, gemma!«

Als sie im Auto saßen, packte Ghilaine von neuem der Neid.

»Du kennst also die Lambert?«

»Ja.« Kaneder benützte die Gelegenheit. »Sie hat sogar einen Beichtvater. Fromm sein kann man ja schließlich trotzdem.«

Ghilaine schlug die Hände über dem Kopf zusammen, was ihr jedoch nur approximativ gelang. »Das . . . das glaubst, du Zeiserl du? Den Brief hat sie sich do selber gschriebn! Zum Vorzeign. Zum Imponiern. Da fallns gern drauf 'nein, die alten Hofrät. Mir hat sie 'n auch amal borgt.« Sie hielt inne. Die dazugehörige Erlebnis-Sphäre hatte sie gestreift. Es kam aber wiederum nur zu einem Achselzucken. »Übrigens, is das a Lügnerin! I glaub sogar, sie spitzelt. I hab amal bei ihr im Bett Polizeiakten gfundn. Hat sie dir auch von dem Freund aus Costa Rica vorgschwindelt, was?«

»Sie hat mir sogar aufbinden wollen, daß sie auf einem Schiff zwischen Pera und . . .«

»Was?« Ghilaine schüttelte wütend die Hände. »So eine Person! Das hat sie von mir amal ghört aus Hetz und jetzt sagt sie's glei nach. Am End hat sie dir auch gsagt, daß sie a natürlichs Kind . . .«

127 » . . . des Großfürsten Georg . . .«

»Na, was sag i! . . . Und daß der Freund aus Costa Rica bloß . . .«

» . . . der Bevollmächtigte . . . wegen der Alimente . . .«

»I sags ja! . . . Alls macht sie mir nach. I erzähl nämlich gern Gschichtn und mach gern a Hetz und sie macht jetzt gleich alls nach. So a Bisgurn! Wann warst denn 's letzte Mal bei ihr?«

»Vor einem Jahr.«

»Und da hast dir das alls gmerkt?« Ghilaine stutzte, aber ohne Erfolg.

»Ich habe ein sehr gutes Gedächtnis.«

»Ganz wia i.«

»Das habe ich schon bemerkt.«

Während des Restes der Fahrt einigten sie sich über den Preis, den Ghilaine, bereits in scharfer Konkurrenz mit ihrer Rivalin sich fühlend, sehr niedrig ansetzte.

An der Tür von Ghilaines Treppenzimmer las Kaneder: ›Fritzi Klimpfner, Artistin‹.

Das Zimmer war hell und geräumig und eleganter, als Kaneder vermutet hatte. Auf dem Nachtkästchen neben dem Bett stand ein Telefon. Ein Schreibtisch freilich fehlte . . .

Schon während des ersten Sturms klingelte das Telefon.

Fritzi, Kaneder noch am Herzen, griff nach dem Hörer. »Halloh, hier Fritzi . . . Wer is . . .« Sie hielt die Muschel zu. »Was sagst, die Lambert is da.« Sie nahm den Hörer wieder ans Ohr. »Na, wie gehts denn allerweil . . . Na ja, aber ins Kolosseum geh i net . . . Scho gut, machs kurz, i hab jetzt ka Zeit . . . Kommst halt in aner Stund ins Lebman, dann wer i scho sehn . . . Auf Wiederschaun!«

Kaneder empfand eine gewisse Befriedigung darüber, daß in seinem Fall nur eine Dame die Störung vollzog; aber auch darüber, daß Ghilaine Lambert also doch kein Phantom war. »Von wo aus hat sie telefoniert?«

»Aus der Schulz-Straßni . . .« Fritzi gab sich mit Feuereifer ihren Pflichten hin . . .

Als Kaneder zahlte, zog er es vor, auf die Fünfzig-Kronen-Nachforderung zu vergessen.

Fritzi desgleichen, da sie sich immer noch in scharfer Konkurrenz fühlte.

Nachdem Kaneder sie im Auto ins Café Lebman zurückgebracht hatte, fuhr er, einer spontanen Neugierde erliegend, in die Schulz-Straßnitzki-Gasse.

128 Neben der Klingelreihe an der Haustür war unter ›IV. Stock‹ tatsächlich zu lesen: ›Ghilaine Lambert, Private‹.

Kaneder stieg die vier Treppen hoch und klingelte, hörte aber nichts. Hierauf klingelte er noch einige Male, ohne daß man ihm öffnete. Schließlich drückte er, weniger in der Hoffnung, die Tür offen zu finden, als vielmehr ärgerlich auf die Klinke, die, fast zu seinem Schreck, nachgab.

Kaneder trat leise ein, lehnte die Tür an und lauschte. Vom Ende des Korridors her hörte er Stimmen. Er schlich herzu, stellte sich mit einem Mut, den er selber an sich bestaunte, neben die halboffene Küchentür und vernahm die Stimme eines Mannes. »So gehts net. Das beste Mittel, wenn man a Dummheit gemacht hat, is, man betracht sie wie an Schachzug. So mach ichs. Akkurat aso machts auch der Polizeirat. So hat er scho oft Glück ghabt, der alte Schloderer.«

»No ja«, raunzte eine Frauenstimme, »is ja alls recht schön und gut aso, aber fad is, wenn d' amal gsagt hast, daß d' net an Gfühl glaubst, nur an Absichten. Das is mir aso rausgrutscht.«

»Rausgrutscht! Wie oft hab i dir net gsagt, überleg erst, bevorst plauschst. Drehsts jetzt halt aso, als wärn bei dir die Gfühl was so Seltens, daß aner scho an ganz an ernste Absicht mit dir habn muß, bevorst ihm a Gfühl glaubst. Paß auf, das putzt'n. Und amal putzt, kannst ihm dann gschwind einreden, daß er sa Gfühl für di beweisen muß. Dann hast'n so weit.«

»No ja, Maxl, aber . . .«

»Hast die Akten ordentlich glesn? Sonst machst grad noch an Pallawatsch.«

»Aber ja. Kannst sie glei mitnehmen. Ich hols.«

Kaneder rannte auf den Fußspitzen zur Wohnungstür zurück. Im selben Augenblick, da er sie erreichte, hörte er einen erstaunten Ausruf. Er blieb stehen.

Die Lambert kam hastig auf ihn zu.

»Entschuldigen Sie, bitte«, sagte Kaneder rasch. »Die Klingel funktionierte nicht und die Tür war unversperrt.«

»Was wollns denn überhaupt?«

»Ihre Freundin Fritzi läßt Ihnen sagen, daß sie Sie nicht im Café Lebman erwartet, sondern . . .«

»Aber i hab doch gar ka Rendezvous mit ihr.«

»Haben Sie ihr nicht vor einer halben Stunde telefoniert?«

»Aber gar ka Idee! Die soll mir erst amal mein Rubinring zruckgebn, sonst zeig ichs noch an.«

Kaneder wurde sehr unangenehm zumut. »Da muß ein Fehler sein.«

129 »A Fehler? Mir scheint, Sie hats! Oder hams sich vielleicht in der Tür g'irrt?«

Von dem Wortwechsel angelockt, trat Maxl auf den Korridor.

»Du, hörst, Maxl, komm amal her! Der da kommt von der Fritzi und i hab gar ka Ahnung . . .«

Maxl näherte sich spähend. Als er neben ihr stand, sagte sie, mit der Hand auf ihn weisend: »Mein Freund aus Costa Rica.«

Kaneder verfärbte sich. Dann verbeugte er sich unbeholfen. Plötzlich aber machte er wie ein Verrückter kehrt, rannte die Treppe hinunter, sprang in der Porzellangasse in ein Auto und fuhr ins Café Lebman, um sich einen phantastischen Triumph zu holen.

Fritzi war jedoch nicht da. Der Ober konnte ihm bloß mitteilen, daß sie zwar vor einer halben Stunde gekommen, aber sofort wieder mit einem Herrn, der sie erwartet hatte, fortgegangen sei. 130

 


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