Walter Serner
Der Pfiff um die Ecke
Walter Serner

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Das ominöse Schild

Als Somogyi (aus Agram) nach monatelanger Abwesenheit gegen acht Uhr morgens die steinerne Wendeltreppe eines schmalen Hauses in der Via Mazzini emporstieg, um bei seinem Gelegenheits-Kumpan Bazzo sich zu verbergen, blieb er im zweiten Stock vor einer Tür stehen, an der ein schmutziggrauer Karton hing mit der schwarz gedruckten Aufschrift: ›Servizio latrina cent. 30‹.

Somogyi, das bevorstehende schwierige Wiedersehen im Kopf, wollte schon weitergehen, als er fühlte, daß er die Gelegenheit benützen könnte; und während er bereits mit der Linken vorne an seiner Hose nestelte, öffnete er mit der Rechten die Tür.

Er hatte noch kaum recht gesehen, als ihm auch schon ein durchdringender Schrei entgegenscholl: mitten im Zimmer stand in einem großen Blech-Lavabo eine nackte Frau, in der einen Hand einen nassen Schwamm, in der andern ein Stück Seife.

Somogyi war so verdutzt, daß er völlig vergaß, wo seine Linke sich befand.

»Porco cane! Maledetto porco!« schrie die Frau, die Knie schließend und die Seife auf ihre Scham pressend. Ihr Gesicht gebärdete sich, als griffen ein Skorpion und eine Maus sie gleichzeitig an.

Somogyi, seine Linke immer noch an der gewissen Stelle, grinste jetzt langsam, aber außerordentlich sanftmütig. Infolgedessen übersah er, wie der rechte Arm der Frau ausholte und den Schwamm gegen ihn schleuderte.

Der Schwamm ging fehl. Er platschte, hart neben Somogyis Kopf, an die Wand, von der er, nachdem er einen dunkelbraunen Fleck von der Form Südamerikas zurückgelassen hatte, mit einem saftigen Glucksen auf die Steinfliesen fiel.

»Aiuto!« zeterte die Frau, nach diesem Mißerfolg noch wütender, und schüttelte drohend die Faust. »Aiuto!«

Aber Somogyi hatte die Tür bereits hinter sich geschlossen. Nicht zuletzt, weil sein geschultes Ohr in der Ausführung des jüngsten Hilfeschreies eine gewisse Mattigkeit wahrgenommen zu haben glaubte. Er näherte sich zögernden Schrittes, mit seinen pfaublauen Augen unentwegt auf die gleißende Leibesfülle der Badenden glotzend. »La prego di scusarmi, signorina . . . Aber das Schild an der Tür gab mir immerhin eine gewisse Berechtigung . . .«

»Was für ein Schild, Madonna!« keifte die Frau mit 29 unwahrscheinlicher Weinerlichkeit. »Packen Sie sich jetzt endlich oder . . .« Sie holte mit der Seife aus.

Die Situation war in höchstem Maße kritisch.

Somogyi erkannte es. Er machte schnell kehrt, öffnete die Tür und knüpfte das Schild los. Diese Beschäftigung beanspruchte ihn jedoch mehrere Minuten, so daß die Badende Zeit fand, aus dem Lavabo zu steigen und sich in ein rosafarbenes Leintuch zu hüllen.

Somogyi trat gravitätisch wieder ein, schloß unbemerkt die Tür ab und stelzte hierauf, das Schild steif vor sich hinhaltend, auf die überaus verwundert Dreinblickende zu.

Diese las alsbald. Las immer wieder. Mit bebenden Lippen. Mit torkelnden Augen.

Somogyi weidete sich mit bemerkenswerter Niederträchtigkeit an dem psychisch parterren Zustand seines Opfers, das erst nach Sekunden hervorzugurgeln vermochte: »Madonna . . . Madonna . . . Cos' è questo? Che . . .«

»Dieses Schild hing an Ihrer Tür. Sie konnten sich soeben selbst davon überzeugen und werden deshalb endlich begreifen, weshalb ich hereinkam, ohne anzuklopfen. Aber nur dadurch ist meine Haltung zweideutig geworden.« Somogyi ließ das Schild sinken, es dezent umwendend.

»Madonna . . .« entrang es sich, wenn auch um vieles schwächer, der Kehle der nunmehr bloß Verwirrten. »Aber wie kommt dieses Schild an meine Tür? Ich wohne doch schon zwei Jahre hier.«

»Vielleicht ebendeshalb«, entfuhr es Somogyi in unverantwortlichem Übermut. Um es zu annullieren, stellte er sich vor: »Somogyi. Nikolaus Somogyi.«

Es ist wohl eine der unerklärlichsten Erscheinungen, daß der unmöglichste Mensch, sobald er sich vorstellt, irgendwie an Boden gewinnt. Zudem hatte Somogyis freche Antwort, da sie unverstanden blieb, sogar imponierend gewirkt. Und so geschah es, daß Somogyi miteins den Namen »Eletta« gehaucht vernahm.

Augenblicks ließ er das Schild fallen, riß Elettas noch feuchte Hand an seine Lippen und küßte sie voll Inbrunst. Diese Unternehmung hatte die einigermaßen vorherzusehende Folge, daß Somogyi erwog, wie er die Besitzerin dieser genußreichen Finger auch mit ihren restierenden Körperteilen seiner Lust dienstbar machen könnte. Er erwog nicht lange. Wußte er doch wie das Alphabet, daß auch die Prüdeste stets den Rüdesten erträumt.

Dennoch hielt er es für ratsam, sonderlich in Anbetracht der jüngst gemachten Erfahrungen, speziell überraschend vorzugehen. 30 Deshalb stieß er im selben Moment, da er ihre Hand freiließ, seine Faust so heftig zwischen Elettas Brüste, daß sie mit einem gebrochenen Aufschrei in ein niedriges Fauteuil plumpste, von dem Somogyi sie jedoch, um die Wirkung voll zu verwerten, an den Füßen zu Boden zog. Und zwar auf einen ehemaligen Gebetteppich, bei welchem Transport das rosafarbene Leintuch bis unter die Brüste sich schob, so daß Eletta, als ihre Bewegung zum Stillstand kam, gebrauchsfertig hingestreckt war. Ihr halbes Schreien vernichtete Somogyi, nachdem er sich über sie gestürzt hatte, durch einen wohl angelegten Kuß . . .

Als Somogyi bereits aufrecht im Zimmer stand und Eletta, leise und sehr wirkungslos vor sich hinjammernd, unweit hinter ihm über dem Blech-Lavabo ihrer Toilette oblag, rüttelte es an der Türklinke.

Vier Hände hielten indigniert inne.

Eletta empfand es trotz allem angenehm, daß sie sich berechtigt wissen durfte, über Somogyi zu verfügen. »Schau mal nach, wer es ist.«

Somogyi schaute nach. Legte aber sogleich die Tür geräuschlos ins Schloß und blickte bleich auf Elettas schon wieder eifrige Hände, über deren säubernden Griffen es machtvoll hin und her wogte.

»Was ist denn los? Wer ist es denn?« Elettas Finger machten angesichts der enormen Ratlosigkeit Somogyis abermals halt.

»Er hat mich nicht gesehen. Glücklicherweise.« Somogyis schönes Hundegesicht lächelte unstet.

»Wer denn!« belferte Eletta ungeduldig.

»Still!« wisperte Somogyi, schob sachte den Riegel vor und tänzelte auf den Fußspitzen hinter Eletta. »Kennst du ihn denn?«

»Wen.« Eletta richtete sich teilweise auf.

»Bazzo.«

»Bazzo?«

»Ja.«

»Aber natürlich. Laß ihn nur herein!«

»Ausgeschlossen.«

»Warum?«

Somogyi, der urplötzlich eine Lösung seiner allzu schwankhaften Situation gefunden zu haben hoffte, antwortete sehr ernst: »Diesen venerischen Hengst?«

»Er ist . . . ?« Eletta schnappte. »Aber ich habe . . . du hast . . . er hat . . .«

» . . . und wir haben – keine Zeit zu verlieren.« Somogyi 31 drückte ihr seine Hand auf den Mund, warf sich hierauf zu Boden und rollte sich kurzerhand unter die Ottomane, die vor dem Fenster stand.

An der Tür rüttelte es ungestüm.

»Subito, subito!« heulte Eletta ängstlich. »Ich leg nur etwas um.«

Bazzo eilte lauernd über die Schwelle. Seine Hengstmähne wehte. »Wo ist es hin?« stieß er nervös hervor.

»Was soll hin sein . . .«

»Hast du es weggenommen?« Bazzos Augen flackerten wild.

»Was denn nur . . . Du bist gar nicht so wie sonst.«

Bazzo scharrte erregt mit einem Fuß. »Ich bin weder so noch so. Sondern so, wie ich gerade will.«

»Also ein Charakter. Das hab ich schon immer geahnt.«

Bazzo überhörte es ungern. Sein Blick schoß durchs Zimmer. »Was? Sand auf dem Teppich? Das Lavabo auf dem Boden? Und die Lampe steht nicht schief?«

»Banknoten sind darunter.« Eletta kicherte verächtlich und schlüpfte in ein rotes Seidenhemdchen.

Bazzo sah trotzdem nach: unter der Lampe herrschte Öde. »Ich bitte mir jetzt endlich Ernst aus, Stück Tier du!«

»Mit dir ist es schwer, ernst zu sein. Du siehst alles.«

Da stürzte Bazzo mit einem Mal nach vorn und griff mit zitternden Händen nach dem schmutzigen Schild. »Da ist es ja! Da ist es ja! Hast du es weggenommen?«

»Nein, Somogyi«, sagte Eletta gedankenlos und lachte, als sie es bemerkte.

»Wer ist Somogyi? Vielleicht dieser venerische Hund?«

»Und da fragst du, wer es ist?«

»Verflucht, wirst du mir endlich antworten?«

»Seit zehn Minuten tu ich nichts anderes. Und zwar auf die saublödesten Fragen.«

Bazzo neigte plötzlich lauschend den Kopf. »Hast du nichts gehört?«

»Madonna . . . nein.«

Bazzo beruhigte sich gleichwohl nicht, umklammerte Elettas Oberarm und fauchte ihr speichelspritzend ins Gesicht: »Dieses Schild da habe ich vor einer halben Stunde an deine Tür gehängt.«

»Du?« Eletta bohrte ihm beide Fäuste in den Bauch. »Weg von mir! Unverschämt!«

»Maul halten!« Bazzo griff nach einem zerbeulten Kupferleuchter.

32 Eletta spie darauf.

Bazzo, sofort entmutigt, schmiß ihn zu Boden, auf dem er weiterrollte. Just unter die Ottomane, hart vor Somogyis Nase.

»Ich habe es doch nur an deine Tür gehängt«, jammerte Bazzo jetzt, beinahe schon kleinmütig, »um die Poliziotti irrezuführen.«

»Die Poliziotti?« Elettas Züge spannten sich unsympathisch. Es war unverkennbar, daß sehr Seriöses bei ihr einsetzte. »Ach so. Aber ich verstehe noch nicht . . .«

Bazzo setzte sich konsterniert auf die Ottomane, wobei ihm das Schild aus der Hand fiel und zwischen seine Füße. »Vor zwei Stunden habe ich erfahren, daß sie mich suchen. Da sie mich bei mir nicht finden werden, werden sie mich bei dir suchen, infolge des Schildes aber nicht einmal deine Tür entdecken. Ist das nicht eine großartige Idee?«

»Servizio latrina – eine großartige Idee? Madonna mia . . .!« Trotz dem zweifellosen Ernst der Lage kochte in Eletta von neuem der Zorn hoch.

»Vormittags kommt doch kein Klient zu dir. Und jetzt ist es erst neun.«

»Ein Irrtum. Und außerdem steht ›30 centesimi‹ darauf. Die Polizei ist ja im allgemeinen gräßlich dumm, aber so viel weiß sie doch, daß in einem Privathaus der Servizio latrina gratis ist.« Eletta trällerte höhnisch.

Bazzo schwieg verblüfft und beschämt.

Somogyi, unter ihm, grinste amüsiert. Dann aber packte ihn wiederum der Übermut: er zog einen blauen Bleistift aus der Tasche und strich auf dem zwischen Bazzos Füßen liegenden Schild behutsam die Taxe durch.

Unmittelbar darauf fielen Bazzos verwaschene Blicke auf das Schild. Und schon schwang er es, aufspringend. »Bitte zu lesen! Bitte zu lesen!« Seine Augen wölbten sich jählings voll eitel Siegerjubel.

Eletta machte ein ideal verdrossenes Gesicht. »Du hast eben einen blauen Bleistift. Denn bevor du es aufgehoben hast, war die Taxe noch nicht durchgestrichen.«

»Es steht dir frei, mich zu visitieren.«

»Fällt mir gar nicht ein! Übrigens kannst du ihn ja weggeworfen haben.«

»Visitiere das Zimmer!«

Eletta lächelte seltsam, sich hastig ankleidend. »Die Poliziotti können jeden Augenblick da sein.«

»Ja so.« Bazzo eilte zur Tür und befestigte das Schild neuerdings.

33 Es dauerte mehrere Minuten.

Währenddessen huschte Eletta vor die Ottomane. »Somogyi, hörst du?«

»Ja.«

»Was soll ich mit diesem buffo nur machen?«

»Gar nichts.«

»Wenn aber die Poliziotti . . .«

»Laß sie nur kommen.«

»Aber das Schild ist doch ein Unsinn!«

»Ebendeshalb.«

Die Tür ging auf. Bazzo trat wieder ein. »Jetzt können sie kommen.«

Sie kamen auch. Nach einer Viertelstunde.

Bazzo, der auf der Ottomane saß, ließ sich widerstandslos fesseln und, nach einem schuldbewußten Blick auf Eletta, mit hängender Mähne abführen.

Sogleich kroch Somogyi hervor, den zerbeulten Kupferleuchter in der Hand.

Eletta betrachtete günstig seine Gestalt. »Gib den Leuchter her!«

»Dein Wunsch ist mir ein Kichern.« Somogyi gehorchte freundlich.

»Was willst du jetzt noch, du Hund? Bist du wirklich venerisch?«

»So wenig wie dein verflossener Hengst.«

»Was willst du also?«

»Bazzo würdiger ersetzen.«

»Madonna!«

»O nein.« Somogyi zeigte seine schönen Zähne. »Du mußt mich verbergen.«

»Was?« Eletta ließ den Leuchter fallen. »Dich suchen sie auch?«

»Leider. Aber mich werden sie nicht finden.« Somogyi lief zur Tür und riß das ominöse Schild herunter. Nur noch ein Stückchen blieb hängen. »Der blaue Strich ist von mir.«

Eletta lachte. Es war wie eine Hoffnung. »Seit wann bist du in Verona?«

»Seit drei Stunden.«

»Das ging schnell.« Eletta lachte immer noch.

Somogyi hauchte einen Kuß auf das Schild. »Dank dem Servizio latrina

»Meinetwegen!« 34

 


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