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*

An diesem Abend kam der alte Anton in grosser Aufregung in die Hasenmühle.

Bei den Arbeiten an der neuen Landstrasse war ein Topf mit Münzen gefunden worden.

Er hatte in der Nähe im Geschwätz mit einem Arbeiter gestanden, als man den Fund ans Licht beförderte. Es war noch nicht abzuschätzen, welchen Reichtum dieses kupferne Gefäss barg. Einstweilen hatte den Schatz der Lehrer der Nachbargemeinde in Obhut genommen, und da man in der Erde noch mehr Kostbarkeiten vermutete, wollte der Graf selber an Ort und Stelle sich von den Funden überzeugen.

Das berichtete Anton. Er beugte sich zu der Frau und zu dem Brandmajor und, nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Wirt ihnen keine Beachtung schenkte, holte er aus der Tasche eine Münze hervor, die er in der Nähe gefunden haben wollte.

Es war ein sogenannter Sterbetaler, eines jener leichten, schlechtgeschlagenen Münzstücke, wie sie in Notzeiten in dem Lande früher einmal geprägt worden waren.

Die Frau bat, das Geld in die Hand nehmen zu dürfen.

Anton gab es ihr widerwillig.

Einen Augenblick ruhte die Münze, die jahrzehntelang und länger vergessen unter Felsen gelegen hatte, in ihrer Hand, blind, verbogen und mit grünlichem Schimmer, aber in ihrer Vorstellung wuchs sie und wuchs, war ein Goldbarren geworden, leuchtend, begehrenswert.

Ach, es ist Wahrheit, in dem Land in den Bergen funkelt das Silber, in den Höhlen versteckt liegen die Reichtümer und versunken in mählich sich lösendem Fluch schlafen die edlen Steine.

Sie streichelte die Münze, sie liebkoste sie. Nein, sie würde nicht mit leeren Händen vor dem Kapitän einmal stehen.

Aber Anton riss ihr die Münze fort und versenkte sie hastig in seine Tasche. Der Köhler war in die Stube getreten und der alte Bergmann wollte wohl nicht von seinem Funde Aufhebens machen.

»Es soll ja ein goldener Topf gefunden sein«, lachte der Köhler. »Da kommen schon die Geister von allen Seiten und wollen ihren Teil haben. Ich traf auf Schikane. Sie schrie und raufte sich die Haare. Man hatte sie unter Schlägen weggejagt, sie behauptete, der Schatz gehöre ihr. Sie war ganz von Sinnen.«

Später kam der Schindelhauer. Er war mit seinen Arbeiten fertig geworden und wollte nun weiterziehen. Vor dem nächsten Jahre würde er nicht wieder in der Hasenmühle einkehren.

»Jetzt, wo hier das Geld auf der Strasse liegt, muss ich fort«, scherzte er bärbeissig.

So kamen sie wieder auf den Schatz zu sprechen.

Anton liess sich umständlich aus über das, was er wusste. Der Köhler gab seine Kenntnisse dazu. Auch der Schindelhauer hatte Schikane gesehen.

»Es gehört alles dem Grafen«, sagte Anton.

Der Brandmajor lachte höhnisch auf.

»Die Sterbetaler«, sagte er, »soll er sie haben!«

Die Arbeiter aus dem Schieferbruch mischten sich in das Gespräch.

»Es wurden auch Halsketten und Ringe gefunden«, sprach der eine.

»Güldenes Geschmeide«, fügte der andere hinzu.

Sie wollten den goldenen Topf mit eigenen Augen gesehen haben.

»Es war ein Kessel, gut fünf Spannen im Durchmesser und sechs Spannen hoch«, berichtete der erste.

Der zweite wollte andere Masse festgestellt haben, und sie stritten sich darum.

»Was habt ihr davon?« sagte der Schindelhauer, »fünf Spannen oder sechs Spannen! In eure Taschen fliesst es nicht.«

»Was in der Erde liegt, gehört dem Grafen«, sagte Anton.

Der Brandmajor schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Die Knochen und Schädel!« schrie er.

Er sprang auf und verliess die Schenke.

Der alte Bergmann machte ein verdutztes Gesicht. Da hatte er nun seine Schnäpse vertrieben. Er stand kleinlaut am Tisch.

Die anderen hatten Karten hervorgezogen und spielten.

Anton hätte gerne seine Kehle mit einem Tropfen genetzt, aber es kümmerte sich niemand um ihn. Er holte die verschabte Münze aus der Tasche und überlegte, ob der Wirt ihm dafür wohl ein paar Gläser einschenken würde.

Die Frau legte ihm die Hand auf den Arm, zog das Geldstück näher und betrachtete es begehrlich.

»Zehn Glas«, sagte er schnell.

Sie nickte lebhaft und nahm ihm die Münze aus der Hand. Sie knotete sie in ihr Taschentuch.

Nun hatte der alte Bergmann zu trinken. Das Glas zwischen den Fingern, trat er zu den Spielenden und sah ihnen in die Karten. Er begann dazwischen zu reden. Er plapperte und wollte immer wieder verkünden, dass der Graf den Schatz persönlich in Augenschein nehmen würde.

Die Männer aus dem Schiefer wurden ärgerlich.

»Bleib uns mit deinem Grafen vom Halse«, sagten sie, »halt endlich dein Maul von dem Topf.«

Der Köhler merkte, wie der Alte sich ein Glas nach dem andern vom Schanktisch holte.

»Hast wohl auch was in deiner Tasche gefunden?« sagte er.

Anton kicherte:

»Geld in der Tasche, Geld in der Erde.«

»Geld in deinen Hals«, schrie der eine Arbeiter, »dass du dran erstickst! Lass uns in Ruh!«

Anton duckte sich und trat zu der Frau an den Tisch.

»Sie wollen's nicht wissen«, flüsterte er, »aber ich sag Ihnen, die Erde steckt voll Geld. Ich weiss Bescheid.«

Er stiess mit der Hand mehrmals nach dem Boden.

»Ich habe da unten gelebt.«

Er rückte dicht zu der Frau heran.

»Einmal haben wir auf der Zeche mildes Erz gefunden. Das konnte man zwischen den Fingern zerkrümeln. Es war von bläulicher Farbe und fühlte sich an wie Ton. Das Stollenwasser, darin es lag, versilberte die Bergflechten. Ich habe selbst einen silbernen Halm gefunden. Er hatte harte rostige Knospen. Inwendig aber waren sie pures Silber.«

Anton holte sich ein neues Glas.

Ja, an diesem Tage schien der Branntwein in Strömen zu fliessen. Es war wohl eine frische Quelle aufgebrochen.

»Ich war da unten bei der Schiffahrt«, sagte er zu der Frau. »Es war eine gefährliche Sache. Oft konnte ich die Hand vor Augen nicht sehen. Ich musste den Kurs genau im Kopf haben. Ich musste meinen Kahn durch lange finstere Gänge steuern.«

Er wusste nicht, ob die Frau seine Worte hörte. Sie starrte vor sich hin und schien ihre eigenen Gedanken zu haben. Er rüttelte sie und sprach auf sie ein.

»Plötzlich war eine überirdische Helligkeit. Ich musste die Augen schliessen. So brannte das Silber in sie hinein. Ja, ich will kein Glas mehr anrühren, wenn nicht alles von giltigen Erzen funkelte.«

Die Frau horchte aus ihren Gedanken auf.

»Millionen«, sagte Anton, »Millionen haben die Gruben damals gebracht. Fünfhundert Taler zahlte man für eine einzige Stufe. Achthundert und mehr.«

»Millionen?« fragte die Frau.

»Millionen«, bestätigte er, »so wahr ich hier sitze.«

»»Warum aber habe ich nichts gefunden?« sagte die Frau. »Es waren zwei leere Stuben. Nein, sie hatte nicht einmal Möbel. Die Villa war lange schon verkauft. Ich habe davon gar nichts gewusst. Ich fand nur einen Beutel, aber es war nicht viel darin.«

»Wer weiss, wo sie es versteckt hat«, lachte Anton. »Sie sind gerissen, die Leute von heutzutage. Manche nehmen es sogar mit unter die Erde. Sie gönnen einem nichts.«

Die Frau seufzte.

»Sie hat mir nichts gegönnt. Sie hat grosse Reisen gemacht. Ja, sie ist überall in der Welt gewesen. Sie hat mich nie mitgenommen. Einmal hat sie mir einen Pelz geschenkt, einen Silberfuchs. Das war aber auch alles. Da sind die Frauen über mich hergefallen. Denken Sie nur, sie haben mich mit Fischen geworfen, mit toten Fischen.«

Anton starrte sie an.

»Solche Menschen«, stotterte er.

»Sie konnten mich nicht leiden«, erzählte die Frau. »Ich sah aus wie eine Miss. Da haben sie mir allerhand angehängt. Schliesslich ist der Kapitän fortgegangen. Damals lebte ein Maler bei uns. Er hat mich auch gemalt. Ich trug ein gelbes Seidenkleid. Er sagte, ich sähe wie eine Königin aus.«

Anton gluckste vor sich hin.

»Wir waren flotte Burschen«, lallte er, »wir haben manchen Kirmes begraben.«

Er zeigte auf den Schindelhauer.

»Frag den. Wie lange kennen wir uns, hä?« Er torkelte auf den Schindelhauer zu und schlug ihm die Karten aus der Hand.

»Damit hält dich der Teufel am Schlafittchen«, krakeelte er.

Die anderen schimpften auf ihn ein. Er hatte den Schindelhauer umgefasst und tatschte ihm ins Gesicht.

»Flotte Burschen«, krächzte er.

Er klammerte sich an den Schindelhauer und stelzte mit den Füssen. Er gröhlte den Marschierwalzer:

»Komm zu mir, komm zu mir!«

Er gröhlte. Er bekam den Schluckauf.

Der Schindelhauer machte sich ärgerlich frei und gab ihm einen Stoss, dass er sich platt auf den Boden setzte.

Der Köhler und die Arbeiter aus dem Schieferbruch lachten.

Der Alte krabbelte mühsam empor.

Sie hatten ihren Spass daran. Der Köhler hielt ihm ein volles Glas hin. Wenn der Alte danach griff, plumpste er jedesmal wieder um.

Schliesslich fasste der Schindelhauer zu und bugsierte ihn auf einen Stuhl.

»Wir haben manchen Kirmes begraben«, krähte Anton.

Er hatte sich durch den Zwischenfall nicht in seinen Erinnerungen stören lassen.

»Wir werden noch manchen – – –«, prahlte er, aber er verstummte, denn im Flur war die ärgerliche Stimme des Brandmajors.

»Lass mich in Ruh mit deinem Gewäsch«, rief er. »Närrisches Geschöpf! Scher dich, pack dich davon!«

Die Männer horchten auf.

Der Wirt lief an die Tür. Sie hörten eine Frau draussen weinen.

Der Brandmajor polterte zornig herein.

»Schikane«, sagte er, »welche Verrücktheit.«

Der Wirt war hinausgegangen, um sie aus dem Haus zu jagen, aber während er draussen nach ihr suchte, kam sie schluchzend herein.

»Hat man dir den Schatz nicht gegeben?« fragte der Köhler.

Tzigane wandte sich an ihn.

»Lieber Herr«, flehte sie.

Der Wirt kam zurück und wollte sie hinauswerfen.

Der Köhler beruhigte ihn.

»Ich will die Tattersch nicht im Haus haben«, drohte der Wirt.

»Sie wird dir keinen Stuhl davontragen«, sagte der Köhler.

Der Brandmajor hatte sich inzwischen verschnauft, sein Zorn begann zu verfliegen.

Er hatte unter der alten Eiche gesessen, als Tzigane ihn ansprach. Er war über ihre plötzliche Gegenwart erschrocken gewesen. Bis zum Haus hin hatte sie ihm mit ihren Klagen im Ohr gelegen. Es wäre ihr Schatz, beteuerte sie immer wieder. Er gehöre dem Alten, und nun, wo er tot wäre, sei es ihr Eigentum.

Jetzt stand sie da und jammerte in der Schenke.

»Der Alte?« krakelte Anton. »Ich bin der Alte!«

Er wollte sich in die Brust werfen und stiess ein Glas um. Er kehrte ihr die Scherben vor die Füsse. Sie wurde wild und spie vor ihm aus. Es gab ein Gelächter.

»Was will sie eigentlich?« fragte der Schindelhauer.

Tzigane suchte bei der Frau Schutz, die unbeweglich den Vorgang beobachtete. Sie rückte scheu vor dem Zigeunerweib zur Seite, dann aber schien dessen Klage sie zu rühren und sie liess es zu, dass Tzigane ihre Hand ergriff.

Der Köhler erzählte noch einmal, dass Schikane sich schon am Nachmittage so fassungslos gebärdet hätte.

»Sie ist sonst gutherzig«, sagte er. »Man konnte ihr auch noch niemals einen Diebstahl nachreden. Aber da muss sie sich wirres Zeug in den Kopf gesetzt haben.«

»Wen meint sie denn mit dem Alten«, erkundigte sich der Schindelhauer.

»Ach, sie ist mal mit einem verrückten Professor herumgelaufen«, knurrte der Brandmajor.

»Der Schlapphut?« fragte der Schindelhauer. »Ich hab ihn ein paarmal zu Gesicht bekommen.«

»Ja ja«, bestätigte der Brandmajor gereizt. »Er sollte dem Grafen das Jagdschloss ausmalen. Der Kantor hielt grosse Stücke auf ihn. Er ist ein Schaumbläser, hab ich immer gesagt. Hatte auch recht. Aber man soll den Toten nichts nachreden. Es wird überall Schaum geblasen.«

Der Köhler wollte wissen, wie Tzigane mit dem Professor zusammengekommen wäre. Er sah das Weib mitleidig an.

»Eine Liebschaft kanns wohl nicht gewesen sein«, versuchte er dann zu scherzen.

»Er ist tot. Basta!« sagte der Brandmajor.

Inzwischen hatte Tzigane der Frau eine verworrene Geschichte erzählt.

Ja, eines Tages hätte sie den alten Mann im Walde getroffen. Er wäre schon damals unterwegs gewesen nach dem Schatz. Er hätte sich von ihr die Zukunft sagen lassen. Dann wären sie übereingekommen, den Schatz gemeinsam zu heben. Aber der Alte hätte das Versprechen vergessen. Da wäre sie dann allein weitergewandert. Überall hätte sie nach dem versunkenen Schatz gesucht. Der Alte aber sei in einem Schloss gestorben.

»Es stand in seiner Hand«, schluchzte Tzigane.

Der Brandmajor fuhr ihr grimmig dazwischen.

»Lassen Sie sich den Kopf nicht vollschwatzen«, warnte er die Frau.

Tzigane begann von neuem zu schreien.

Dem Wirt wurde es zuviel. Er nahm sie am Arm und schob sie aus der Türe.

Anton hatte sich das zehnte Glas zu Gemüte gezogen. Von seinem Tisch her krähte er immer wieder:

»Ich bin der Alte.«

Darüber schlief er endlich ein.

Der Wirt schüttelte ihn, aber bekam ihn nicht munter. Schliesslich liess er ihn auf der harten Holzbank liegen.

Der nächste Tag war voller Ereignisse. Solange die Hasenmühle stand, hatte sie kaum solche Aufregungen erlebt.

Dabei begann der Tag nicht anders als jeder. Der Brandmajor frühstückte vor dem Hause. Die Frau sass bei ihm und später kam noch Anton hinzu, nachdem der Wirt ihn kurz entschlossen mit einer schallenden Ohrfeige wieder ins Leben expediert hatte.

Nun schenkte ihm der Brandmajor eine Tasse Kaffee ein und schob ihm von seinem Brot hin. Der Alte schmatzte behaglich und fühlte sich wohl. Gewöhnt daran, alle kärglichen Genüsse, die seinen Lebensabend ein wenig aufzuhellen vermochten, sich durch kleine Verschmitztheiten erschleichen zu müssen, verlegte er sich jetzt auf eine Strafrede, die er seinem verlotterten Adam hielt.

»Alter Saufaus«, sagte er und schlug sich gegen die Brust. »Führst ein Luderleben wie ein Graf. Pfui Teufel.«

Er schielte zu dem Brandmajor hin, und während er das Messer am unteren Tellerrande sorgfältig schliff, rief er:

»Sie sind alle wie einer, und dem einen sollte man –«

»Ruhe«, donnerte der Brandmajor. Er entschuldigte sich bei der Frau, die erschrocken zusammengezuckt war.

Anton machte ein verdriessliches Gesicht und verwandte nun alle Aufmerksamkeit auf das Essen. Der Käse schien ihm besonders zu munden und als er mit dem Vorrat zu Ende war, erhob er sich, um eine neue Portion zu holen.

Doch er stand plötzlich käsebleich in der Türe und winkte zappelnd dem Brandmajor.

Er stürzte zu ihm und tuschelte an seinem Ohr.

»Der Graf«, ächzte er und zeigte auf das Haus.

Frühzeitig schon war der Graf aus seinem Jagdschloss Montbrillant aufgebrochen, um den Fund, von dem er sofort unterrichtet worden war, und die Fundstelle zu besichtigen, um, falls es aussichtsreich erschien, weitere Grabungen zu veranlassen.

Es war ein prachtvoller Sommermorgen, und das Fräulein hatte darauf bestanden, den Grafen zu begleiten. Herr Dachs, der ehemalige Leibkutscher, wollte es sich nicht nehmen lassen, den gräflichen Wagen selbst zu kutschieren.

So waren sie quer durch den Wald auf der alten Strasse entlanggefahren und erblickten dann hinter dem Teiche die Hasenmühle.

Das Fräulein interessierte sich für das alte Gemäuer. Der Graf wusste einige Sagen, die im Volke über diese Mühle umgingen, und so wurde man neugierig und beschloss, die Gebäude zu besichtigen. Herr Dachs musste also von der Strasse abbiegen und durch das rückwärtige Tor in den Hof fahren.

Der Wirt kam angelaufen, um den hohen Besuch zu begrüssen. Die Dienstmagd mit hochgesteckten Röcken starrte verbiestert durch die offene Küchentüre.

Als der Graf und das Fräulein, vom Wirte geleitet, im Hause verschwunden waren, näherte sie sich mit ängstlicher Neugier dem kurzen wohlbeleibten Manne, der einen langen schwarzen Mantel trug und einen hohen runden Hut auf dem Kopfe hatte, und der ungeachtet seiner vornehmen Tracht die Pferde versorgte. Aber mit ein paar bellenden Lauten verscheuchte Herr Dachs das neugierige Mädchen. Es stolperte mit klappernden Holzpantinen flüchtend davon und wagte kaum noch, einen Blick durch das offene Fenster zu werfen.

Nachdem er die Magd in die Flucht geschlagen hatte, ging Herr Dachs befriedigt ins Haus und setzte sich in die leere Schenke, um geduldig zu warten, bis es dem Grafen gefiele, das Zeichen zum Aufbruch zu geben.

Währenddessen musste der Wirt die erlauchten Gäste durch alle Gelasse der Mühle führen. Er tat es ungern, denn nicht jeder Raum wies jene Sauberkeit auf, die man von einer Gaststätte wohl hätte verlangen können.

Er bemühte sich daher, den Grafen und das Fräulein recht schnell weiter zu bringen, und erst in dem alten massiven Steinkeller verweilte er länger mit ihnen.

Hier also war der geizige Müller umgegangen. Hier hatte der Pumphut sein Wesen getrieben.

Das Fräulein Hess sich das alles noch einmal berichten.

Herr Dachs hatte ein Weilchen in der leeren Wirtsstube vor sich hingedöst. Dann fiel sein Blick durch das Fenster, und er sah den gedeckten Tisch auf der Wiesenseite des Grundstücks. Er hatte Verlangen nach etwas Gesellschaft, denn er liebte es, seine Stimme zu hören, und so erhob er sich und ging hinaus, in der klugen Voraussicht, dass an einem gedeckten Tisch guten Endes auch ein Mensch sitzen müsste.

Er hatte sich nicht getäuscht. Er fand den alten Anton und den Brandmajor in einem heftigen Wortwechsel.

»Schlaf dich aus«, schrie der Brandmajor, »du siehst Gespenster. Der Schnaps rumort dir noch im Kopf.«

»Wenn ich es Ihnen sage«, beteuerte Anton, »mit diesen meinen Augen habe ich ihn leibhaftig gesehen.«

Der Brandmajor schlug ein barsches Lachen an.

»Der Graf liegt noch in den Federn. Solche Herrschaft hat das Bett noch auf dem Buckel, wenn es sich vor das Mittagbrot setzt.«

Herr Dachs traute seinen Ohren nicht. Die Lästerung verschlug ihm jedes Wort. Er stand sprachlos da.

Anton bemerkte ihn, kniff den Brandmajor in die Schulter und rief:

»Da ist ein Stück von ihm!«

Jetzt überwand Herr Dachs seine Erstarrung. Er trat zornig an den Tisch und vor Erregung aufgebracht blubberte er:

»Ein Stück, schönes Stück. Er ist ein Stück, ein Stück Malheur!«

Er wollte noch mehr loslassen, verhaspelte sich aber, stotterte, stockte und endete mit einem wütenden Schnaufer.

Der Brandmajor musterte ihn von Kopf zu Fuss, stemmte sich drohend am Tische hoch, stand einen Augenblick Auge in Auge mit Herrn Dachs, schob ihn dann mit einer lässigen Handbewegung beiseite, reckte sich auf und ging trotzig in das Haus.

Anton konnte diesem stolzen Abgange seine Zustimmung nicht versagen. Er lachte Herrn Dachs mitten ins Gesicht.

Herr Dachs beachtete ihn aber nicht weiter. Er tupfte sich die Erregung von der Stirne, legte dann die Hand an den Hut und fragte die Frau, ob es genehm wäre.

Er meinte mit dieser Frage, ob sie ihm gestatten würde, sich einen Augenblick zu setzen, denn der Ärger war ihm in die Knie gefahren.

Als er sich einigermassen erholt hatte, wollte er ein Gespräch mit der Frau anknüpfen, aber der alte Anton Hess es nicht dazu kommen. Er kniff ein Auge zu, blinzelte mit dem anderen Herrn Dachs an und hinter der vorgehaltenen Hand sagte er lauernd über den Tisch:

»Der Schatz gehört Schikane!«

Herr Dachs blickte ihn verwundert an. Er wurde aus diesen Worten nicht klug, doch Anton nickte lebhaft und wiederholte hartnäckig:

»Jawohl, Schikane!«

Herr Dachs wandte sich achselzuckend an die Frau, schüttelte den Kopf und fasste sich an die Stirn.

Nun sagte auch die Frau zustimmend:

»Schikane hat es behauptet.«

Herr Dachs schlug sich auf die Knie und Hess die Hände breit darauf liegen. So sass er ein Weilchen. Dann fuhr er sich mit der rechten Hand über den Mund und hinter dem breiten Handrücken gurgelte er hervor:

»Hat sie gesagt!«

Darauf lachte er unbändig.

Die Frau rückte bestürzt etwas zurück. Der alte Anton aber hob seinen Zeigefinger und während er damit ununterbrochen in die Luft stiess, erzählte er dem verdutzten Dachs, dass Schikane Anspruch auf den Goldfund erhebe, indem er nämlich ihr Eigentum und ihr von einem alten Manne zugesprochen wäre.

»Hoppla, hoppla«, sagte schliesslich Herr Dachs.

Er legte die Hände auf den Tisch und führte aus, dass solcher Einspruch ein glatter Unsinn sei, denn alles, was auf gräflichem Gebiet die Erde berge, gehöre von vornherein dem Herrn Grafen.

»Da gibt es kein Mucken«, sagte Herr Dachs und pochte mehrmals heftig auf das Holz.

Anton erhitzte sich.

»Der Graf will alles fressen. Der Brandmajor sagt es auch. Schädel und Knochen gehören ihm, hat er gesagt. Jawohl, soll er sich die herausklauben.«

Er blickte beifallheischend die Frau an.

»Hat man solche Rebellion schon gehört?« donnerte nun Herr Dachs. »Wir werden dich ins Kittchen stecken lassen!«

Anton lachte ihn aus und fuchtelte ihm mit der Hand vor der Nase.

»Sachte«, rief er, »sachte!«

Er hing jetzt weit über den Tisch.

»Da wollen wir mal ein Wörtchen miteinander reden«, sagte er. »Jawohl, unser Brandmajor, das ist ein Kerl! Da kann dein Graf einpacken. Jetzt möcht ich mal Mäuschen spielen. Er geigt nämlich deinem Grafen den Marsch. »Was sagst du nun?«

Herrn Dachs blieb jedes Wort weg. Verständnislos starrte er die Frau an. Er hatte den Mund offen und den breiten Handrücken daran.

Anton zwinkerte. Er wies mit dem Daumen auf das Haus.

»Hast du gesehen, wie er hineingegangen ist? Nun ist der Augenblick da. Darauf hat er seit Jahr und Tag gelauert. Euer Graf! Nun will er der armen Schikane den Goldtopf wegnehmen!«

Herr Dachs atmete gewaltig, blies die Backen auf und brachte dann hervor:

»Also ich versteh nichts!«

Anton feixte:

»Der Fisch stellt sich stumm. Er weiss von nichts. Dabei hab ich's ihm erklärt.«

Er wiederholte nun alles, was er vom Abend zuvor von Tziganes Erzählung noch wusste.

Herr Dachs unterbrach ihn:

»Der Schlapphut«, lachte er dröhnend, »der verrückte Professor! Haha, der Schlapphut!«

Er beruhigte sich nur langsam. Dann sagte er zu der Frau:

»Ich habe ihn gekannt. Er ist bei uns im Schloss gestorben. Er hatte Hirsche und Rehe an die Wände gemalt. Er verstand sich lobenswert darauf. Ein anerkannter Maler soll er gewesen sein. Aber hier oben nicht ganz richtig. Nun, jeder hat da seine kleine Passion. Er hatte schon solchen verdrehten Namen.«

Herr Dachs blies lachend durch die Zähne:

»Er hiess Stiwenhack!«

Die Frau neben ihm schrie leise auf.

Herr Dachs hatte es überhört. Er war mit seiner Erzählung beschäftigt.

Eines Abends spät wäre der Maler nach Montbrillant gekommen im Auftrage des Grafen, um das Schloss zu renovieren.

»Bei Nacht und Nebel«, berichtete Herr Dachs, »ich hatte gerade einmal rumgeschlafen, da stand er da. Wir haben die Nacht noch tüchtig einen getrunken.«

Am nächsten Tage hätte der Maler gleich mit seiner Arbeit begonnen. Aber dann wäre der Nachbar gekommen.

»Ach so«, sagte Herr Dachs, »Sie wissen nicht, wer der Nachbar ist?«

»Der Handelsmann«, rief Anton dazwischen. »Er hat mich ein paarmal mit seinem Planwagen mitgenommen. Jetzt hat er sich lange nicht mehr sehen lassen.«

Herr Dachs schnitt ihm das Wort ab. Also da wäre der Nachbar gekommen und der Maler wäre für ihn nach Juliusbad gefahren.

»Nach Juliusbad?« wiederholte die Frau tonlos.

»Ja, nach Juliusbad«, sagte Herr Dachs, »was er da sollte, weiss ich auch nicht.«

Er wäre erst spät abends wiedergekommen, und tags darauf sei es dann passiert. Das Fräulein wäre gerade da gewesen.

»Sie sind kaum bis zum Waldweg geritten«, sagte Herr Dachs, »da ging sein Pferd hoch. Er ist in der Nacht gestorben.«

Herr Dachs legte den Finger an die Nase.

»Halt mal«, sagte er, »da hatte sich doch Schikane herumgetrieben. Richtig. Um sie ist es überhaupt passiert.. Sie war dem Pferd in den Weg gelaufen. Diese verfluchte Tattersch!«

»Was haben Sie denn, liebe Frau?« fragte er plötzlich.

Sie lehnte bleich und verfallen im Stuhl.

Die beiden Männer sahen sich hilflos an.

Nach einer Weile hatte die Frau sich wieder erholt.

»Ich habe ihn gekannt«, flüsterte sie. »Vor vielen Jahren. Er kam eines Tags zu uns, in das Strandschloss. Wir hatten ein Haus an der See. Mein Mann war Kapitän.«

»Kapitän!« rief Herr Dachs. »Davon hat er ja immer erzählt. Ich erinnere mich haargenau. Wann läuft einem schon mal solch verrückter Mensch zwischen die Finger! Da behält man sich jede Kleinigkeit. Natürlich! Davon hat er erzählt. Der Kapitän, richtig!«

»Er hat von dem Kapitän gesprochen?« fragte die Frau zaghaft.

»Na, und von der Frau erst!«

Herr Dachs schlug sich auf den Schenkel.

»Ein Bild von Schönheit, hat er gesagt. Aber – erlauben Sie mal, liebe Frau, das müssten doch Sie dann gewesen sein?«

Herr Dachs war etwas verlegen geworden.

»Ja, das bin ich«, sagte die Frau einfach.

»Das ist doch – –«, haspelte Herr Dachs. »Weiss Gott, die Welt ist klein.«

Er war aus dem Konzept geraten. Er schwieg und betrachtete die Frau verstohlen von der Seite.

Anton wandte sich bissig an ihn.

»Stimmt's?« rief er. »Du siehst doch, es stimmt. Warum wollt ihr Schikane den Goldtopf nicht geben?«

Er kam von diesem Gedanken nicht los. Er drohte und schrie:

»Der Brandmajor wirds euch schon stecken!«

Er war obenauf, weil Herr Dachs so verdattert da sass. Er wandte sich um und sah triumphierend nach dem Haus. Aber sein Gesicht erlosch plötzlich.

Er sah, wie der Brandmajor dem Grafen die Hand gab. Ja, die beiden standen in dem offenen Flur. Es fiel kein lautes Wort.

Da bekam es Anton mit der Angst. Was hatte er dem gräflichen Kutscher nicht alles ins Gesicht gesagt. Er sah scheu zu ihm hinüber, doch Herr Dachs beachtete ihn gar nicht.

Da glitt der alte Anton vorsichtig aus dem Stuhl und machte sich schnell davon.

Jawohl, der Brandmajor hatte dem Grafen die Hand gegeben.

In dem Hausflur waren sie aufeinander gestossen. Der Brandmajor wollte ohne Gruss vorbeigehen, aber der Graf hielt ihn an.

»Hier haben Sie sich also einlogiert?« fragte er unbekümmert. »Ein romantischer Winkel, ich glaube, hier lässt es sich aushalten.«

Er hielt dem Brandmajor die Hand hin.

»Lassen Sie es sich gut gehen«, sagte er freundlich.

Nein, der Brandmajor war kein Gegner mehr, den er zu fürchten hatte.

»Lassen Sie es sich gut gehen!«

Der Brandmajor war so überrumpelt, dass er zu gar keinem Gedanken kam.

Er legte seine Hand in die des Grafen. Dann zog er sie hastig zurück und stürzte fort.

Der Graf hörte mehrere Türen heftig zuschlagen. Er lachte belustigt.

Der Wirt hatte dem Fräulein noch das Gastzimmer gezeigt, die alte Mühlenstube. Nun war alles in Augenschein genommen.

Der Graf gab das Zeichen zum Aufbruch. Herr Dachs beeilte sich. Er warf einen letzten Blick auf die Frau, die in sich versunken dasass.

Dann lüftete er den Hut.

Das alles war am Vormittage geschehen.

Um die Mittagszeit kamen viele Kinder in die Hasenmühle. Der kleine Kantor führte sie.

Die Dienstmagd musste die alten Bänke heraustragen, die in der Remise aufgestapelt lagen.

Dann wickelten die Kinder ihre Stullen aus und begannen zu essen.

Der Kantor fragte nach dem Brandmajor.

»Der ist fortgegangen«, sagte der Wirt. »Ich weiss nicht wohin.«

Er erzählte nun von dem Besuch des Grafen und des Fräuleins.

»Ich musste ihnen jedes Fleckchen zeigen«, sagte der Wirt verdriesslich. »Die hohen Herrschaften stecken ihre Nase in alles.«

»Da hätte ich ihn gerne herumgeführt«, entgegnete der Kantor lebhaft. »Es hätte mir wohl Freude bereitet, die alte Mühle einmal zu durchstöbern.«

Er sah die Frau vor dem Hause sitzen.

»Ein Gast?« fragte er.

Der Wirt gab ihm missmutig Auskunft. Sie wäre nicht ganz bei sich, behauptete er.

Der kleine Kantor wurde neugierig, ging zu der Frau und begrüsste sie.

»Ich hörte vom Wirt, dass Sie hier wohnen. Wie gefällt es Ihnen? Ja, die Hasenmühle ist ein gesegnetes Stückchen Natur.«

Die Frau sah ihn verwundert an. Er nickte.

»Ich bin der Kantor«, sagte er. »Das sind meine Schulkinder. Wir haben einen Ausflug gemacht. Er wird mein letzter Schulausflug sein. Ich trete zum Herbst in den Ruhestand. Da habe ich mir gedacht, zeigst den Kindern nochmal die Hasenmühle. Bei der Gelegenheit siehst du sie selber noch einmal. Früher, als meine liebe Frau noch lebte, sind wir öfter hergekommen. Es ist eine hübsche Wanderung.«

Er hatte sich am Tisch der Frau niedergelassen. Der Wirt stellte ihm das Bier hin.

Er trank der Frau zu und nahm einen bedächtigen Schluck.

»Ich glaubte auch, ich würde meinen alten Freund, den Brandmajor treffen. Aber er ist ausgegangen, sagte mir der Wirt. Nun, wir werden uns ein Stündchen hier aufhalten. Vielleicht kommt er bis dahin zurück.«

Die Frau sass teilnahmslos dabei. Der kleine Kantor Hess sich dadurch aber nicht in seiner Rede beirren.

»Ich hörte auch, dass der Graf hier gewesen ist. Ich habe viel mit ihm zu tun. Ich halte seine Bibliothek in Ordnung. Er hat eine sehr wertvolle Sammlung in seinem Schloss in Erwinsrode. Da ist auch ein kleines Museum. Viele Altertümer sind da aufgestellt. Man hat mir erzählt, dass hier in der Nähe Ausgrabungen gemacht worden sind. Nun, die wird man auch in das Museum überführen. Sie haben sicher auch von dem Schatz vernommen. Die ganze Gegend spricht ja davon.«

»Er gehört nicht dem Grafen«, sagte die Frau rasch.

Der kleine Kantor lächelte erstaunt.

»Nicht dem Grafen? Wem sonst?«

»Es ist Stiwenhacks Gold«, antwortete die Frau.

Der kleine Kantor fuhr hoch. Er starrte sie fassungslos an.

»Ja, alles gehört Stiwenhack«, sagte sie. »Ich weiss es genau. Er hat mir schon vor vielen Jahren davon erzählt. Ich habe mir alles überlegt. Er hat schon einmal davorgestanden. Aber die hundert Jahre waren noch nicht um.«

Der kleine Kantor hatte sich etwas gefasst.

»Sie kannten den Maler Stiwenhack?« fragte er stockend.

Sie lächelte.

»Ja, ich kannte ihn.«

»Wollen Sie mir nicht Näheres erzählen?« bat der kleine Kantor.

Die Frau nickte lebhaft.

»Er kam vor vielen Jahren zu uns. Er hatte die ganze Welt bereist. – Was er nicht alles vorbrachte!« Sie lachte leise.

Der kleine Kantor bekam traurige Augen.

»Es ist mit ihm bergab gegangen. Das passiert oft mit solchen Talenten. Ich entsinne mich an sein wehmütiges Lied. Er sang es oft. »Es gibt nichts zu essen, Halleluja.«

Die Frau machte eine hastige Handbewegung.

»Wir haben Fasanen gegessen«, sagte sie. »Der Konsul war dabei. Wir sind Schlitten gefahren. Er war ein Kavalier.«

»Das ist wohl schon lange her«, fragte der Kantor. »Als ich ihn kennen lernte, sah er wie ein Landstreicher aus. Aber er hatte ein gutes Herz.«

»Es war in Thorde«, sagte die Frau.

»In Thorde?« wiederholte der Kantor und senkte den Kopf.

»Ja, damals war der Kapitän noch da. Er ist jetzt unterwegs. Er kommt bald«, sagte die Frau.

Sie sah den Kantor bittend an.

»Es wird ihm nichts zugestossen sein. Ich wäre auch nicht von Haus weggefahren, wenn nicht der Brief gekommen wäre. Ja, eine Frau schrieb uns, dass sie im Sterben läge. Da musste ich nach Juliusbad reisen. Aber nun ist alles gut. Vielleicht ist er schon da. Er ist vor vielen Jahren fortgegangen.«

»Vor vielen Jahren«, sagte der kleine Kantor erschüttert.

Er führte sein Taschentuch an die Augen.

»Darum also bin ich in die Hasenmühle gekommen«, sagte er leise. Er brauchte lange Zeit, bis er sich gefasst hatte.

Die Frau sass währenddessen still neben ihm.

Er fasste ihre Hände. Er streichelte sie.

»Ja, er wird wiederkommen«, beteuerte er. »Sie dürfen nicht den Glauben verlieren. Er kommt zurück. Ich schwör es Ihnen. Ich will ihn suchen. Es könnte sein, dass ich ihn bald fände. Sie müssen hier bleiben, in der Hasenmühle. Ich schicke ihn her ...«

»Nein«, sagte sie. »Ich muss erst die Millionen finden. Er darf mich nicht mit leeren Händen sehn. Er glaubt sonst, es wäre alles nur Lug und Trug.«

Der Kantor wollte sie unterbrechen, aber sie liess ihn nicht zu Wort kommen.

»Sehen Sie«, sagte sie hastig. »Er ist damals fortgefahren, um die Millionen zu holen. Ja, er fuhr deswegen nach Juliusbad. Aber das Gold war nicht da. Sie haben es versteckt, sagte der alte Anton. Er hat recht. Sie hat mir nie etwas gegönnt. Sie ist durch aller Herren Länder gereist. Sie hat mich niemals mitgenommen. Sie sagte immer, das ginge nicht, weil sie doch eine Künstlerin wäre. Nun ist sie tot. Aber das Gold war nicht da. Ich denke mir, er wird davongegangen sein, um es zu suchen. Er wird es nicht finden. Stiwenhack wusste, wo es lag. Nein, der Kapitän findet es nicht. »Was wird er sagen, wenn ich es habe. Nein, ich will nicht mit leeren Händen vor ihm stehen.«

Die Frau lächelte vor sich hin.

Der Kantor war erschrocken über ihre verstörten Worte. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Er überlegte, ob es gut wäre, der Frau von dem Nachbar zu erzählen. Er hub vorsichtig an:

»Ich werde den Nachbar fragen«, sagte er.

Die Frau schüttelte den Kopf.

»Er weiss es nicht. Er ist bloss der Handelsmann. Was sollte er wohl wissen. Er weiss nichts von dem Kapitän.«

»Er weiss vieles«, antwortete der Kantor. »Aber ich habe ihn lange nicht gesehen. Man müsste ihn suchen.«

Er erhob sich rasch. Er war auf einmal in Eile.

»Leben Sie wohl, liebe Frau«, sagte er. »Es wird alles gut werden. Verlassen Sie sich darauf.«

Er hielt ihre Hand.

»Bleiben Sie in der Hasenmühle«, bat er. »Gehen Sie nicht von hier fort. Tun Sie es um Gottes willen nicht.«

Er rief die Kinder zusammen. Er zählte sie. Es fehlte keines.

Sie mussten sich paarweise anstellen.

Der Wirt und die Dienstmagd standen in der Türe. Der Kantor lief zu ihnen.

»Haben sie Obacht auf die Frau«, sagte er dringend. »Man muss den Nachbar verständigen. Man muss alles daran setzen. Bitte, lassen Sie die Frau nicht aus den Augen.«

Er lief zu den Kindern zurück.

Der Wirt blickte ihm verständnislos nach.

Die Kinder zogen singend davon.

Ihnen voran, mit grossen Schritten, ging der Kantor. Sein Freund, der Brandmajor, war ihm ganz aus dem Kopf.

Erst am Nachmittage kam der Brandmajor wieder.

»Wir wollen abrechnen«, sagte er zu dem Wirt. »Ich gehe fort.«

Der Wirt nahm diese Nachricht mit Bedauern auf. Der Brandmajor hatte ihm manchen Taler eingebracht.

Die Dienstmagd musste es ausbaden. Der Wirt jagte sie mit heftigen Worten in die Küche.

»Scher dich an deine Arbeit, alte Schlampe«, schrie er. »Du vertreibst mir bloss die Gäste.«

Dann setzte er sich verärgert hin und stellte die Rechnung auf.

»Was soll mit der Frau werden?« fragte er unwirsch.

»Die Frau? Ja, was soll mit ihr werden?« antwortete der Brandmajor. »Ich brauche jetzt auch jeden Pfennig.«

Er zog den Wirt näher heran.

»Ich wills ihm heimzahlen, dem Grafen. Jawohl, lieber Freund. Er meint, mich nicht ernst nehmen zu brauchen. Ich werde mich ihm auf die Nase setzen. Ich gehe wieder nach Erwinsrode!«

»Nicht doch«, sagte der Wirt.

»Ich tu es. Und wenn sie mich alle auslachen. Ich pfeife darauf. Der Graf hat mich reingelegt. Er hielt mir die Hand hin. Ich war nicht vorbereitet. Ich hätte ihm die Hand verweigern müssen. Aber es war nur eine Sekunde. Ja, er hat mich überrumpelt. Er tut es nicht zum zweiten Mal. Er hat über mich gelacht. Er hat recht gehabt. Ich war ein feiges Luder. Ich hatte das Feld geräumt. Nun soll er Augen machen. Ich komme wieder.«

Der Brandmajor packte den Wirt an die Schulter.

»Ich komme wieder. Basta.«

»Da kann man nichts zu sagen«, erwiderte der Wirt wortkarg und machte sich von dem Griff des Brandmajors frei.

»Braucht auch keiner«, schrie der Brandmajor. »Ich will jedenfalls nicht in der Ewigkeit einmal wie ein Lodrian vor dem Mann mit dem Regenbogen stehen.«

Der Wirt lachte kurz auf.

»Larifari«, sagte er wegwerfend.

Der Brandmajor wollte sich auf ihn stürzen. Seine Hand war dem Wirt schon an den Kragen gefahren, aber dann hielt er sich zurück, griff in die Tasche und warf dem Wirt das Geld vor die Füsse. Dann stieg er langsam die Treppe empor.

Der Wirt suchte das Geld vom Boden auf.

Über die Frau hatten sie nicht mehr gesprochen.

Nach einer Weile sah er den Brandmajor davongehen, einen Ranzen auf dem Rücken, mit Stock und langschäftigen Stiefeln, so wie er einmal gekommen war.

Später drückte sich dann der alte Anton in die Türe. Er sah recht besorgt aus und war von grosser Unruhe. Anscheinend hatte er die Furcht vor den Folgen seiner mutigen Rede noch nicht überwunden. Er erschrak aufs tiefste, als er hörte, dass der Brandmajor der Hasenmühle Valet gesagt hätte.

»Er kommt nicht wieder?« fragte er bestürzt.

»Wir sind den Faselhans los, Gottseidank«, antwortete der Wirt.

Anton stand niedergeschlagen am Schanktisch. Er kramte in seiner Tasche nach ein paar Pfennigen, fand aber nichts und blickte trostlos drein.

»Ist die Frau noch da?« erkundigte er sich mit leiser Hoffnung.

»Gut, dass du mich dran erinnerst«, sagte der Wirt.

Er ging hinaus zu der Frau.

»Sie müssen nun alles selber bezahlen«, fuhr er sie an. »Wie ists damit?«

Die Frau verstand ihn nicht gleich.

Er machte ihr klar, dass der Brandmajor davon wäre und kein Geld für sie zurückgelassen hatte.

»Oh, natürlich«, sagte sie und holte einen Beutel aus dem Rock.

Es stellte sich heraus, dass die Geldstücke nicht zulangten.

Der Wirt regte sich auf.

Anton war hinzugekommen, hielt es aber für geraten, aus einiger Entfernung den Vorgang zu beobachten.

»Hier ist noch ein Schein«, sagte die Frau zögernd. Sie griff tiefer in den Beutel und holte einen zusammengefalteten Geldschein hervor.

Der Wirt warf nur einen flüchtigen Blick darauf.

»Gaunerei!« schrie er.

Die Frau hielt den Schein hilflos in der Hand. Anton kam nun doch neugierig näher.

»Er ist ungültig«, brüllte der Wirt, »längst verfallen.«

»Sie will mich zum Narren halten«, sagte er giftig zu Anton, »sie hats hinter den Ohren, die Hexe.«

»Mein Geld«, schrie er und packte die Frau an.

Wer weiss, was geschehen wäre, aber in diesem Augenblicke hatte Anton einen Einfall.

»Vielleicht hat sie noch was im Koffer«, beschwichtigte er. »Sie ist doch mit einem Koffer gekommen. Ich habs gesehen.«

Richtig, der Koffer.

Der Wirt stürzte davon. Er wollte retten, was zu retten war. Er rannte die Dienstmagd um, die sich im Hausflur zu schaffen machte. Er sprang keuchend die Treppe hinauf.

Die Frau barg den Geldschein wieder in den Beutel. Es war ihr nicht klar, warum der Wirt sich so zornig gebärdet hatte. Sie begriff nur, dass er den Schein nicht haben wollte.

Sie steckte den Beutel wieder in den Rock.

»Ohne Geld ist nichts«, sagte Anton. »Man möchte schon ein Dukatenmacher sein.«

Er dachte an den entschwundenen Brandmajor und seufzte.

»Das werden nun trockene Zeiten werden«, sagte er vorwurfsvoll.

Er wollte sich neben der Frau niederlassen, aber er stutzte plötzlich, starrte die alte Strasse entlang und zitterte am ganzen Körper. Er setzte die Füsse trippelnd vor, er wollte wohl davonlaufen, doch waren ihm die Beine bleischwer und er konnte sich nicht von der Stelle rühren.

»Der Graf«, flüsterte er furchtsam.

Die alte Strasse entlang kam die gräfliche Kutsche gefahren. Näher und näher kam sie. Herr Dachs sass würdevoll auf dem Bock. Kerzengerade hielt er die Peitsche.

Das Fräulein hatte sich an den Grafen gelehnt. Sie war ermüdet von der langen Fahrt.

Der Graf hielt ein Gefäss auf den Knien. Er hielt es sorgsam. So fuhren sie vorüber.

Anton war fahl geworden, als hätte er ein Gespenst zu Gesicht bekommen. Er fürchtete, dass die Kutsche halten, dass man ihn in Fesseln legen und mitschleppen könnte. Jetzt erst erschrak er über alles, was er über den Grafen gesagt hatte.

Aber die Kutsche rollte vorüber und keiner der Insassen kümmerte sich um ihn.

Da war Anton wieder obenauf. Er tippte die Frau an und zeigte hinter dem Wagen her.

»Haben Sie gesehen?« sagte er aufgeregt, »der goldene Topf. Der Graf hatte den Goldtopf auf dem Schoss!«

Die Frau sass einen Augenblick erstarrt.

»Das Gold«, flüsterte sie.

Anton nickte.

»Schikanes«, gab er leise zurück.

Da schrie die Frau auf.

»Stiwenhacks Gold«, schrie sie.

Sie schrie auf und lief davon. Sie lief dem Wagen nach, schreiend lief sie dem Wagen nach. Er verschwand schon in der Ferne. Sie lief und schrie. Der Wagen war verschwunden.

Da rannte sie sinnlos in den Wald hinein.


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