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*

Stiwenhack stand mitten in der leeren Gaststube.

»Heda, Wirtschaft!« rief er. Er trat an den Schanktisch und trommelte auf das Nickelblech.

»Was ist das für ein trostloser Empfang. Eine stolze Silberflotte läuft in den Hafen und kein Böllerschuss wird gelöst. Heda, Wirtschaft! Wo bist du, feister schäbiger Wirt, der um ein paar Schillinge den Landjäger aufbieten will. Hier ist Stiwenhack, der Maler! Er will deinen gierigen Rachen stopfen. Was flattert hier in der Hand? Ein Geldschein, grösser als ein Taschentuch. Heda, Wirtschaft! Sitzt du auf deinen dicken Ohren, Wirt? Hörst du den Generalmarsch nicht? Das Geld ist da! Die Rechnung her! Der Teufel soll dich holen!«

»Ich hörs ja«, schreit der Wirt noch hinter der Tür. »Was für ein Spektakel. Ich komme schon.«

»Generalmarsch, Alarm! Das Geld ist da!«

Der Wirt sieht, dass es Stiwenhack ist. Er sagt mürrisch:

»Ich habe Bier herübergetragen. Drüben ist Tanz.«

Stiwenhack winkt ab.

»Habt Ihr Wein im Keller?« fragt er nobel. »Rheinwein, Mosel, süffiges Zeug?«

Der Wirt sperrt die Augen auf.

»Habt Ihr mich nicht verstanden?« sagt Stiwenhack. »Ich fragte, ob Ihr Wein habt, Wein? Kennt Ihr diesen Göttertrank nicht? Ich habe in Griechenland Wein getrunken. Auf einer Tempelschwelle haben wir gesessen und mit den Göttern angestossen. Was glotzt ihr mich so an? Der grosse Pan hat uns sein Lied gespielt. Ach, Unsinn, was versteht Ihr davon, Herr Kneipier. Mit wem trinkt Ihr? Ha! Mit dem Landjäger trinkst du Bruderschaft. Ich habe mit einem Mönch gezecht! Er war so alt, uralt, dass die Vögel in seinem Bart sich Nester gebaut hatten.«

Stiwenhack setzte sich. Er schob die Beine breit unter den Tisch. Er lehnte sich in den Stuhl zurück. Er liess die Arme hängen. Er singt.

Vive la companeia, singt er.

Der Wirt traut seinen Ohren nicht. Wahrhaftig, der Maler singt. Mit schallender Stimme singt er. Ein Weilchen hört der Wirt es mit an. Es ist viel Verrücktheit in der Welt, warum nicht auch diese? Er hat seine Sorgen. Viel Sorgen hat der Wirt. Nun sitzt vor ihm ein Mensch und singt. Ja, einen Augenblick ist der Wirt gerührt.

Brüderlein klein, singt Stiwenhack.

Er hat keine hässliche Stimme, keine harte und keine grölende. Er hat eine grosse weiche Stimme, wenn er singt.

Brüderlein, singt er.

Einen Augenblick lang möchte der Wirt ihm alles vergeben. Ach, er möchte sich dazusetzen und mitsingen. Ja, das möchte er können. Aber er hat Asthma. Sein Atem ist kurz. Wenn er einen einzigen Ton singen würde, bliebe ihm die Luft fort.

Stiwenhack hat die Melodie gewechselt. Er singt jetzt bloss noch: Wo bleibt der Wein?

Der Wirt hat keinen Wein im Keller. Wer trinkt in Thorde Wein?

Er wird auf einmal zornig. Wohl, weil er keinen Wein im Keller hat. Er schreit:

»Dir würde ich Wein geben! Bezahl erst einmal dein Logis!«

Nun ist es dem Wirt erst klar, was für ein jämmerlicher Kerl da sitzt. Ein Stromer, ein Zechpreller.

»Den Landjäger hol ich«, brüllt der Wirt.

Zu laut hat er geschrien. Er muss nach seinem Herzen greifen. Er setzt sich pustend in den Stuhl.

Stiwenhack lacht.

»Wo ist er, dein Landjäger? Er steht noch vorm Spiegel und seift sich ein und kämmt sich. Er ist die Sauberkeit in Uniform. Nun noch den Schnurrbart gestrichen. Was ist los? Du sollst diesen Lumpen abführen, diesen Zechpreller, diesen räudigen Maler, diesen Vagabund, diesen Landstreicher, diesen Auswurf der Menschheit.«

Stiwenhack sprang auf. Er stellte sich stramm hin. Er nahm die Hacken zusammen und salutierte. Er meldete:

»Nichts da von Auswurf! Besagter Stiwenhack ist Millionär!«

Er griff in die Tasche, er holte den Geldschein heraus.

»Hier ist der Pass. Der Pass, der alle Grenzen öffnet. Präsentiert das Gewehr! Hier ist das grenzenlose Geld!«

Er salutierte noch immer.

Der Wirt wusste nicht, wie ihm geschah. Er traute seinen Augen nicht. Er stotterte:

»Was denn? Geld? Ihr? Geld?«

Stiwenhack beachtete dieses Gestammel nicht. Er reichte dem Wirt den Geldschein und fragte wie ein Grandseigneur:

»Was bin ich schuldig?«

Der Wirt war in Verlegenheit.

»Ich kann den Schein nicht wechseln«, gestand er. »Ich will meine Frau rufen. Sie ist drüben im Saal.«

»Keine Eile«, antwortete Stiwenhack. »Gebt mir erst etwas zu trinken. Was habt Ihr für Wein?«

Nun musste der Wirt zugeben, dass sein Keller leer wäre. Stiwenhack konnte das nicht begreifen:

»Ein Gasthaus ohne Wein, eine Schwalbe ohne Flügel. Das nennt sich Wirtschaft.«

Der Wirt fuhr hoch. Er war beleidigt. Er gab das zurück. Er sagte:

»Das nennt sich Maler. Das schwatzt und prahlt! Wo sind denn die Bilder?«

Stiwenhack sank in einen Stuhl. Man glaubt ihm nicht. Er jammerte. Er war ins tiefste getroffen. Man hatte ihn in seinem Künstlertum angegriffen. Er verdammte die Welt. Er klagte den Himmel an. Auf dem Stuhl sass er und schrie nach einem Blitzstrahl.

»Beruhigen Sie sich doch«, sagte der Wirt. »Es war nicht so gemeint. Sie haben zuerst mein Lokal schlecht gemacht. Nein, wirklich, wir wollen uns nicht zanken.«

Es war ihm peinlich. Er wollte den Gast nicht beleidigen. Diesen Gast, der nun Geld brachte. Er redete ihm gut zu. Stiwenhack liess sich schwer besänftigen. Es gefiel ihm wohl, etwas gestreichelt zu werden.

Er sagte:

»Sie haben mich bis ins Mark erschüttert. Ich will Ihnen verzeihen. Sie kennen meine Bilder nicht. Meine Bilder hängen in den grossen Städten. Ja, in vielen Museen hängen meine Bilder. Nein, Sie haben meine Bilder noch nicht gesehen. Aber Sie haben meine Kunst bezweifelt. Sie haben mein Können bezweifelt. Aber ich werde es unter Beweis stellen.«

Er erhob wieder seine Stimme:

»Ja, ich werde mein Talent unter Beweis stellen. Talent? Genie!«

Er schob den Wirt beiseite und nahm ein Stück Kreide vom Schanktisch.

»Mit dieser ordinären Kreide, mit der Ihr bloss die Zechen an die Tafel kratzt, mit dieser Kreide werde ich Euch ein Kunstwerk hinzaubern.«

Er zerrte einen Tisch heran und begann auf die rohe Holzplatte zu zeichnen.

Einen Fischer zeichnete er, einen Fischer, der eine Nixe oder eine Ertrunkene auf den Armen trug. Mit wenigen Strichen zeichnete er das hin. In Feuereifer war er. Den Hut hatte er zurückgeschoben. Sein wirres Haar hing in die Stirne. Die Kreide schrabte hastig über das Holz. Der Wirt war neben ihn getreten. Er sah zu. Sein Blick war voller Anerkennung. So also entsteht ein Kunstwerk.

Der letzte Strich ist getan. Stiwenhack kneift ein Auge zu. Er ist einen Schritt zurückgetreten. Er nickt. Er ist zufrieden mit seinem Werk. Er wirft die Kreide auf den Tisch, sie zerspringt.

Stiwenhack blickt den Wirt triumphierend an. Er steht breitbeinig da. Er hat die Hände in den Taschen.

Der Wirt ist kleinlaut. Er hat einen Künstler beleidigt. Nun will er das gutmachen. Er sagt ein paar einfältige Worte, tolpatschige Worte der Anerkennung. Er wagt gar nicht, den Maler offen anzusehen.

»Jaja, das ist Kunst«, sagt er.

Dann will er wohl das letzte Missverständnis aus dem Weg räumen. Er geht hinter den Schanktisch und kommt mit zwei Gläsern und einer Flasche zurück:

»Es ist Danziger Goldwasser. Echter Lachs, das Feinste!«

Er stellt ein Glas vor Stiwenhack hin. Aber der Maler beachtet das Glas nicht. Schöpferminuten hat er durchlebt, und der Wirt kommt mit Schnaps.

Stiwenhack knöpft den Mantel zu. Er setzt den Hut zurecht und geht.

Der Wirt will es nicht glauben. Sollte der Künstler unversöhnlich bleiben? Er läuft ihm nach mit Glas und Flasche. In der Türe steht er neben ihm und schenkt das Glas voll. Er hält es bittend hin. Seid mir nicht böse. Aber Stiwenhack öffnet die Türe. Er geht. Wirklich, er geht.

»Das Geld«, ruft der Wirt. »Ich muss Ihnen doch noch herausgeben. Einen Augenblick. Meine Frau soll den Schein gleich wechseln.«

Doch Stiwenhack schreitet davon.

Der Wirt ruft noch, aber der Schritt ist verklungen.

Die Türe ist wieder geschlossen. Der Wirt geht durch das leere Lokal. Er ist ganz durchher. Er sitzt vor seinem Schanktisch. Er hat den Geldschein in der Hand. Was für ein Mensch? wundert er sich.

Der Wirt hat den Tanzsaal vergessen. Er bleibt in Gedanken. Später ruft Frau Wanda ihn, die Wirtin. Er besinnt sich. Er füllt wieder Gläser und trägt sie hinüber.

Zu seiner Frau sagt er im Vorbeigehen:

»Der Maler hat Wort gehalten. Ich hätte es nicht gedacht.«

Frau Wanda atmet auf. Jeden Tag hatte sie anhören müssen, dass ihr der Maler ohne Geld und Pfand durchgegangen war. Nun hat er bezahlt. Die Musik bekommt einen helleren Klang.

Der Wirt war guter Laune geworden. Er drängte sich mit den vollen Biergläsern durch die Tanzenden. Er rief vergnügt:

»Ein Gasthaus ohne Bier, das wäre eine Wirtschaft!«

Drüben in der Gaststube ist er wieder nachdenklich. Er steht vor dem Tisch, darauf Stiwenhack den Fischer gezeichnet hat mit der Frau auf dem Arm. Von dem Gesicht des Fischers ist nicht viel zu sehen. Ein grosser Südwester verdeckt es. Aber da ist der zurückhängende Kopf der Frau. Der Wirt betrachtet dieses Gesicht.

»Es hat Ähnlichkeit«, sagt er, »aber mit wem hat es Ähnlichkeit?«

Er hat die Arme auf den Tisch gestützt und bekommt den Blick nicht los. »Ich meine, ich müsste dieses Gesicht kennen.«

Er bewegt den Kopf.

»Dieses Gesicht«, sagt er, schon ungeduldig.

Er sagt es ein paarmal. Aber es antwortet ihm niemand. Die Gaststube ist leer.

Nein, die Türe geht. Es kommt jemand herein. Der Wirt hat es überhört. Er lehnt noch immer über den Tisch gebeugt.

Jawohl, die Tür war gegangen. Pagel steht in der Gaststube.

Er bringt seinen Gruss an. Er hat eine laute tönende Stimme. Der Wirt blickt auf. Melitta, fällt es ihm ein. Ja. Nun weiss er es. Dieses Gesicht da: Melitta.

Er erwidert Pagels Gruss. Er nimmt den Tisch und stellt ihn in eine Ecke.

»Ein seltenes Gesicht! Das hätte ich mir nicht sagen lassen.«

»Ja, ich dachte, sprichst mal mit vorbei«, antwortet Pagel. »Du hast recht gehabt. Ich bin lange nicht hier gewesen. Ich habe mir das überrechnet nach unserem Gespräch heute vormittag. Gut vier Wochen ist es her, dass ich das letzte Mal hier war. Du hast recht. Als Nachbarn sollte man mehr zusammenhalten. Nun, wir werden uns die Köpfe nicht abreissen gegenseitig. Ja, denke ich, gehst mal vorbei.«

Dem Wirt ist das Gespräch vom Vormittag wieder gegenwärtig. Er war neben Pagel hergelaufen und hatte seine Not geklagt. Doch Pagel hatte nichts darauf geantwortet. Er hatte ihm wohl den Arm gelassen, aber ein Wort war nicht über seine Lippen gekommen. Ihr steckt im Geld, da hat man seine Ohren wo anders, hatte der Wirt gesagt.

Nun war Pagel gekommen. Der Wirt ärgert sich nachträglich. Er schämt sich seines Lamentierens. Er renommiert:

»Wir haben alle Hände voll zu tun. Wanda ist im Tanzsaal. Das ist heute ein Betrieb! Ich muss Bier rüberbringen.«

Er nimmt das grösste Tablett. Er stellt Gläser darauf. Er füllt die Gläser. Er streift schmunzelnd den Schaum ab.

»Eine Stimmung, sag ich dir! Jaja, die Jungen sind auf Draht!«

»Nun, da komme ich heute ungelegen«, sagt Pagel. »Es ist also tüchtig was los. Das freut mich. Da will ich dich nicht aufhalten. Ich komme ein andermal wieder.«

Jetzt ist der Wirt obenauf.

»Noch nicht eine Minute zum Sitzen gekommen«, entgegnet er. »Also ein andermal. Vergiss es nicht. Wirklich, heut passt es schlecht. Nimms nicht übel.«

»Wie werde ich denn«, antwortet Pagel. »Erst kommt der eigene Teller. Schön, also ein andermal. Du kannst Wanda von mir grüssen.«

»Wird bestellt«, sagt der Wirt und nimmt das Tablett. Aber er setzt es wieder hin und sagt:

»Halt! Es ist gut, dass du da bist. Kannst du mir das Geld wechseln?«

Er legt den Geldschein auf den Tisch.

»Soviel?« fragt Pagel. »Nein, soviel habe ich nicht bei mir. Aber drüben, das könnte wohl sein.«

»Stiwenhack hat es gebracht. Ich konnte ihm nicht herausgeben«, erzählt der Wirt. »Vielleicht machst du es mit ihm glatt. Schickst mir morgen mein Geld.«

»So, der Maler hat bezahlt«, erwidert Pagel. »Schön, ich wills mit ihm abmachen. Hier, nimm so lange das, was ich bei mir habe.«

Er zählt dem Wirt Geld hin.

»Es langt schon«, unterbricht ihn der Wirt. Er ist verlegen, dass die Schuld nicht grösser ist. Aber alles muss korrekt zugehen. Wenn man den Pfennig nicht eintreibt, bleibt der Taler aus.

Er gibt Pagel den Schein.

»Du bringst es also in Ordnung«, sagt er und nimmt das Tablett auf. Er trägt das Bier hinüber in den Tanzsaal.

Pagel hat den Schein eingesteckt. Er will gehen. Doch kehrt er um und tritt an den Tisch in der Ecke. Während des Gesprächs ist sein Blick schon ein paarmal dahin abgeirrt. Er betrachtet Stiwenhacks Zeichnung:

Es ist sauber gemalt und deutlich zu erkennen. Ein Schiffer tragt eine Frau. Sie hat wohl im Wasser gelegen. Nun trägt er sie nach Haus. Er hat sie gerettet. Er hat die langen Stiefel an, den Ölmantel und den Südwester. Das Kleid der Frau ist ganz durchnässt. Man sieht ihren Körper. Der Kopf ist ihr zurückgesunken. Die Augen sind geschlossen und der Mund steht etwas auf. Das Haar hängt fast bis auf die Erde. Von dem Gesicht des Seemanns ist nicht viel zu sehen. Aber das Gesicht der Frau.

Pagel sieht sich das Bild lange an. Er betrachtet nur noch das Gesicht der Frau. Er hebt den Blick und starrt in die Luft. Er senkt den Blick wieder. Ja, dieses Gesicht.

Er löst sich von dem Bild. Er macht ein paar Schritte. Er will gehen. Aber er kehrt um und tritt wieder an den Tisch.

Ja, dieses Gesicht.

Er hört die Musik aus dem Tanzsaal. Die Saaltüre ist wohl geöffnet worden. Vielleicht kommt gleich der Wirt.

Pagel geht. Er geht langsam und nachdenklich.

Als der Wirt hereinkommt, ist Pagel schon fort.

Vor vielen Jahren ist einmal in Thorde ein Mann gewesen, der nicht mehr besass als ein Boot und ein Netz. Er hat Fische gefangen und zum Verkauf gebracht einen Tag um den andern. Immer ist er fleissig gewesen und in den Stunden, wo andere zu Bier gingen, hat er mit der Holznadel gesessen und Reusen gestrickt. So wäre es wohl bis an das Lebensende gegangen, wenn dieser Fischer nicht eines Tages am Bootsrand ein silbernes Lachen aus der See gehört hätte. Er wandte den Kopf nach der Stelle und sah einen Fisch, der nicht grösser war als die Hand.

Das Fischlein liess sich in Ruhe betrachten und ansprechen.

»Ei, du kleiner Klingelfisch«, sagte der Fischer, »wann habe ich je ein so süsses Geläute gehört?«

Er griff zu und der Fisch liess sich geduldig fangen.

Die Schuppen des Fisches hatten einen goldenen Glanz. Das Maul war silbern und die Flossen von purpurner Farbe. Die Augen aber waren wie die eines Vögleins sanft und zutraulich.

Der Mann hatte solchen Fisch noch nie gesehen. Er war stolz auf seinen Fang und wünschte, ihn den anderen Fischern zu zeigen. Er legte den Fisch vorsichtig auf das Netz im Boot und ruderte heimwärts.

Das Wasser war ruhig und es wäre keine Schwierigkeit gewesen, das Boot vorwärts zu bringen. Aber mit jedem Ruderschlage ward das Boot schwerer und schwerer.

Der Fischer arbeitete mit aller Kraft seiner Arme, doch kam er nur langsam von der Stelle. Als er das Ufer erreichte, war es die höchste Zeit, denn das Wasser drohte in das Boot einzudringen.

Sollte mir das Fischlein solches angetan haben? dachte der Fischer.

Jedoch der Fisch lag unverändert auf dem Netz, zierlich und nicht grösser als eine Hand.

Der Fischer hob ihn auf und ging heimwärts.

Mit jedem Schritte aber ward das Fischlein schwerer und schwerer. Schliesslich musste der Fischer sich hinsetzen und das Fischlein niederlassen.

Die Nachbarn gingen vorüber und wunderten sich, dass der fleissige Mann träge auf der grasigen Düne sass.

»Ich hatte einen seltenen Fang«, sagte er. »Es ist ein bunter Klingelfisch.«

Die Nachbarn lachten ihn aus, denn sie fanden nichts Sonderliches an seinem Fisch.

Er aber lobte alle Vorzüge:

»Es hat goldene Schuppen und purpurne Flossen und seine Augen sind sanft wie die eines Vogels.«

»Unser Nachbar ist unter die Narren gegangen«, sagten die Fischer.

Der Mann aber wollte sich nicht von seinem Fisch trennen, und er brauchte den Rest seines Lebens dazu, das Fischlein in seine Hütte zu tragen, denn als er mit seiner Last die Türe erreicht hatte, musste er sich vor Müdigkeit auf die Schwelle setzen.

Da kam in der Nacht das Sterben über ihn und die Fischer fanden ihn am Morgen tot neben seinem bunten Fisch.

Diese Geschichte wird von einem Mann erzählt, der in Thorde gewohnt hatte. Viele Jahre sind darüber vergangen, und die Leute von Thorde haben seitdem keinen solchen Fisch mehr gefangen, dessen Gewicht mit jedem Fussbreit wuchs.

In dieser Nacht aber, da Pagel von dem Gasthof nach Hause schritt, deuchte es ihn, als schleppte er so einen Fang.

Er trug nichts bei sich als den Geldschein, den der Wirt ihm gegeben hatte.

In seinen Gedanken war auch nichts anderes als das eben Geschaute, jenes Bild, das von dem Maler Stiwenhack auf die rohe Tischplatte gezeichnet wurde.

Nein, Pagel trug nichts weiter als den Geldschein und in seinen Gedanken das Bild.

Es war auch nicht das Bild, es war nur das Gesicht der Frau, die der Seemann da aus dem Wasser geholt zu haben schien. Ja, diese Frau war es, dieses Bildnis von ihr.

Pagel hatte es erkannt. Er wusste, wem dieser geöffnete Mund gehörte und diese geschlossenen Augen.

Ei du kleiner Klingelfisch, hatte der Fischer in jener Geschichte gesagt, und es hatte ihn weder Hass noch Verzweiflung überfallen darum, dass er an seiner Beute so schwer zu tragen gehabt hatte.

Weder Kummer noch Feindseligkeit stiegen in Pagel auf. Er ging dahin in Verwunderung über das Unbegreifliche einer solchen Zufälligkeit.

Er hatte ein Bild gesehen; ein Mann schleppte seine Frau nach Hause.

Stiwenhack konnte nichts von dem Abend wissen, an dem Pagel die trunkene Melitta getragen hatte. Es war wohl anzunehmen, dass er anderes mit seiner Malerei anzudeuten wünschte. Er wird weder Pagel noch Melitta im Auge gehabt haben, als er die Striche zog.

Es ist nur die Zufälligkeit, denkt Pagel.

Er ist bei Ohlik gewesen, er hat mit dem Wirt gesprochen. Nun geht er nach Haus.

Er ist diesen Weg seit jenem Abend schon öfter gegangen und es ist keine Erinnerung in ihm gewesen an den Verdruss seiner letzten Heimkehr. Heute aber hat jenes Bild das noch einmal zurückgerufen. Ja, diesen Weg hat er damals Melitta getragen.

Wieder steht gross und voll der Mond am Himmel. Jeder Baum, jeder Strauch muss diese Nacht in Helligkeit seinen Schlaf verbringen.

Aber die See ist ruhig. Sie wird keine Fische an den Strand werfen. Es ist auch kein Hund da, der heult. Nur die Fledermaus flattert lautlos ihren Weg ab.

Melitta, denkt Pagel. An dem Abend hattest du zuviel getrunken. Ich musste dich tragen. Ich hatte meine Sorge mit dir. Nein, ich hätte nicht gedacht, dass alles so gut ausgehen würde. Ich könnte dir nichts mehr vorhalten. Du hast seit damals kein Glas mehr angerührt. Nein, ich könnte nichts gegen dich sagen. Ohlik hat recht gehabt. Es ist gut, dass du nicht mehr allein bist.

Ja, es ist gut, dass ich zu Haus geblieben bin, denkt Pagel.

Es ist kein dunkler Gedanke in ihm, aber sein Schritt ist schwer und langsam, als wäre jeder Gedanke mit Finsternis beladen.

Langsam geht Pagel den Weg. Er geht Schritt für Schritt, so, wie er damals Melitta getragen hat. Es ist ihm wohl nicht bewusst, dass sein Gang so schwer ist.

Nein, ich wüsste nichts gegen sie vorzubringen, denkt Pagel. Aber es wäre auch nichts, worüber sie sich zu beklagen hätte. Nein, ich kann mir nichts vorwerfen. Ich habe ihr jeden Wunsch erfüllt. Sie hat es bequem in der neuen Wohnung. Es ist alles zur Hand. Nun ja, es ist ein Fortschritt gegen das Alte. Aber man muss sich in dem Neuen erst eingelebt haben.

Nein, ich bin aus dem Alten schwer fortgegangen, denkt Pagel. Es ist mir hart angekommen. Ich habe meine Kindheit darin gehabt. Nun steht es verlassen da. Wer weiss, was die Frau damit im Sinn hat. Sie ist abgefahren. Sie lässt das Haus unbewohnt stehen.

Mit weissen nackten Fenstern steht es in der Mondhelle. Es sind keine Gardinen mehr daran. Keine Blumen stehen mehr da.

Pagel sieht sich die leeren Scheiben an. Das eine Fenster ist zerschlagen. Es ist noch kein neues Glas eingesetzt. Der Handwerker hatte wohl noch keine Zeit. Ein Plakat ist gegen den Fensterrahmen genagelt, damit der Wind nicht hineinstösst. Es ist der Aushang der Fischfabrik, für die Herr Daudat in Thorde dreimal die Woche den Fang aufkauft. Auf dieser farbigen Anpreisung ist ein Fisch dargestellt, der goldene Schuppen hat, purpurne Brustflossen und ein silbernes Maul. Über dem Fischmaul ist ein breites zufriedenes Männergesicht. Solche Fische verarbeiten wir! schreit sein Mund.

O du bunter Klingelfisch, hatte der Fischer in jener Geschichte gesagt, die man sich noch in Thorde erzählte.

Es ist ein schmaler vielfarbiger Fisch gewesen, kaum anders wohl als dieser papierene dort in dem leeren Fenster.

O du buntes Fischlein von Thorde. Ja, alles kehrt wieder und oft in Verzerrung.

Vor dem alten leeren Hause steht Pagel. Er hat alles betrachtet. Das niedrige Dach mit roten Ziegeln, die jetzt im Mond glänzen, die verlassenen Fenster, die verschlossene Türe, den kleinen kahlen Dezembergarten davor.

Er hat auch die Luke gesehen, in die man früher das Heu hineingab, den Schornstein, daraus der friedliche Rauch stieg. Er hat den Brunnen gesehen neben der Hauswand.

Er ist um das Haus gegangen und hat über den Zaun geblickt. Er sah in den Hof. Er hat den Holzstall gesehen und die Waschküche, den alten verfallenen Backofen und den morschen Baum darüber, dessen verbogene Äste der Mond in silberne Arme verwandelt hatte.

Das alles hat Pagel betrachtet. Er ist wieder zurückgegangen auf die Strasse. Er wirft einen letzten Blick auf das Haus. Alles ist Erinnerung, väterlich und alt vertraut.

In der leeren Fensterhöhle aber leuchtet ein fremder Fisch. Pagels Blick löst sich nur schwer von dieser Erscheinung.

Als der Fischer in jener Geschichte den seltsamen Fisch nach Hause tragen wollte, musste er oft rasten. Zuletzt hatte er sich auf die grasige Düne gesetzt und die Nachbarn waren verwundert gewesen über seine Trägheit.

Auf die leere Bank vor dem alten Haus hat sich Pagel gesetzt. Es ist die Bank, auf der er früher oft gesessen hatte, oft in Gedanken, während Melitta schlief. Nun rastet er wieder dort in dieser schweigsamen Nacht.

Es ist ihm schwer geworden ums Herz. Vielleicht ist es die Erinnerung, vielleicht sind es die Gedanken des Heimweges.

Es ist auf einmal eine unsichtbare Last da. Es ist so, als wären grosse Gewichte an seine Füsse gehängt worden; als hätte man seinen Hals mit einem Ring beschwert.

Viel Fremdes ist in einer Nacht. Das Wenigste nur vermögen wir zu deuten.

Ich hätte das Bild auf dem Wirtshaustische auswischen sollen, denkt Pagel. Nun steht es da auf der Tischplatte anzusehen und jeder Bursche wird seine Augen darüber haben.

Einen Augenblick überlegt Pagel, in den Gasthof zurückzugehen. Es ist kaum eine Stunde vergangen seit seinem Fortgang. Aber er bleibt sitzen und erwägt, was geschah. Es hat sich nichts Sonderliches ereignet. Wie könnte es deswegen das Herze drücken? Es ist nichts geschehen. Nichts weiter als dass er ein Bild sah und dass der Wirt ihm einen Geldschein gab.

Ja, der Wirt hat ihm einen Geldschein gegeben. Der Maler soll ihn gebracht haben.

So hat es also der Armut plötzlich golden in den Topf geregnet.

Er ist ein verschlagener Bursche, der Maler. Er hat nichts von seinem Geld verraten.

Er war fortgestürmt, um Sterne zu malen. Nun hat er derweilen den Schatz gefunden. Ja, er ist ein verschlagener Bursche, der Maler.

Ich habe den Geldschein doch eingesteckt, denkt Pagel.

Er fasst in die Tasche. Er fühlt den Schein, diesen Schein, zerknittert und vielfach geknifft. Solch Schein hatte in der Küche gelegen, damals unter dem Mehlkrug.

In dieser Nacht ist ein Geldschein da. Ja, der Schein ist es wohl, der das Herz bedrückt.

Wie kam dieser Schein in die fremde Hand? Aber ist es der Schein? Der gleiche Schein?

Ach ja, denkt Pagel, er ist es.

Er sitzt allein in der weissen Nacht auf der alten Bank vor dem leeren Haus. Er sitzt allein in der Nacht.

Melitta lag schon lange zu Bett.

Es gehen viele Träume durchs Land. Träume schwarz und Träume blank. Träume dürr und mit hagerem Mund, andere gross wie die Welt und bunt. Wieder welche im Sternenkleid, andere arm wie die Zeitlichkeit. Melitta lag schon lange und schlief.

Es gingen viele Träume vorbei, die dunklen vorbei, die dürren vorbei. Es gingen die armen Träume vorbei. »Was blieb, war ein Traum, vielfaltig und bunt.

Am offenen Fenster stand Stiwenhack. Er stand noch lange in dieser Nacht hinter den offenen Scheiben. Da stand er im grossen Vollmondlicht.


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