Willy Seidel
Der Tod des Achilleus
Willy Seidel

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VII

Nach langer, langer Zeit gaben die Lippen des Patroklos, wie ein fernes Echo, den Namen zurück.

Auf der Wand seiner verschwimmenden Erinnerung stand ein goldenes Funkeln, das schmerzte.

Achilleus beugte sich zu seinen stammelnden Lippen nieder und versuchte ihn aufzurütteln. Es ging wie ein Zucken durch Patroklos' Gestalt. Er sprach auf einmal und brachte seine Augen prüfend an die des Freundes:

»Nenne den Namen nicht. – Nenne ihn nicht.«

Aber Achilleus schüttelte ihn weiter. »Er schoß mir in die Ferse. Ich kann es nicht vergessen. Ich kann das Licht nicht vergessen. Das Licht. Phoibos ist im Licht. Er will uns nicht; dich nicht und mich nicht. Er hat uns von sich gestoßen. Selbst – Thetis erkannte mich nicht ...« Er stand auf und zog den Freund empor; dieser folgte, federleicht aufschwebend. »Patroklos«, fragte er auf einmal mit ungeheurer Eindringlichkeit, »sind wir wie diese hier?« Und er wies auf die Schatten, die wogend ohne Plan und Ziel die Wiese und die Wände der Zypressen belebten ...

»Ja«, hauchte Patroklos. »Ja. – Du hättest den – Namen nicht nennen sollen. Denn man erträgt es nicht, an ihn zu denken.«

»Was tun wir nun? Was tun wir?«

»Ich weiß es. – Komm.«

Achilleus folgte dem Voranschwebenden, dessen Gewand wie winkend wallte. Im Hirn des Peliden war ein Schmerz, ein peinigender, langsam wachsender; zusehends trat, wie unter einem unabwendbaren Zwang, auch bei ihm ein goldenes Blitzen hervor, ein Lodern wie aus hoher Bläue. Ihm war, als schmelze sein innerstes Mark. Er sah einen flimmernden Pfeil, auf die Sehne eines Gottes gelegt, und der Pfeil jagte, über Wellen tanzend, geradeswegs auf ihn zu.

»Hilf mir, Patroklos«, stöhnte er. »Hilf mir. Ich kann nicht an ihn denken.«

»Komm«, tönte es zurück. »Ich werde dir helfen. Uns beiden werde ich helfen. Ich werde auch dich von allem befreien.«

»Was wirst du tun? Sie sitzen droben im Licht. Sie lachen unserer!«

»Warte, Pelide ... warte ...«

Sie waren am Ende der Lichtung. Achilleus sah ein unendliches Gedränge von Schatten wie schwärzlichen Dunst, der sich weithin erhob; entstellte Gesichter, die ihn bekannt dünkten – auch nie erschaute, leere; einmal tauchte auch eines auf, das glich dem Cheiron, der ihn als Knaben auf dem Pelikon betreut ... Wehmut kam ihn an; doch schon ging das felsfarbene Gesicht des Zentauren unter im Gewimmel der anderen. Ein Becken tat sich auf mit dunklem Spiegel, und da lagen sie im Kreis über der Brüstung, Kopf an Kopf, und schlürften. Ständig wechselten sie; einer schien dem andern den Platz zu neiden...

Noch einmal wandte Patroklos sich um und sprach: »Wir müssen ihn löschen...«

– und er faßte an seine Stirn und deutete dann, mit rührendem Lächeln, an die des Freundes; denn da drinnen lohte es ja noch, das goldne Funkeln, die brennende Sehnsucht nach Phoibos; der ungeheure Groll, von ihm verworfen zu sein – dann beugten sie sich, ohne einander weiteres zu sagen, gemeinsam nieder zum Wasser des Vergessens.


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