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16

Wir kamen noch vor neun Uhr auf der Insel an, und da Herr Wohland, den die Strapazen des Tages bei seinem leidenden Zustande doch wohl etwas erschöpft hatten, schon zu Bett gegangen war, so lud mich Mamsell Kallmorgen ein, mit ihr und ihrem Beschützer das Abendbrot in ihrer schimmernden Küche einzunehmen. In dieser Geschichte ist schon recht oft von gutem Essen die Rede gewesen, wohl hauptsächlich darum, weil Mamsell Kallmorgen ohne dies überhaupt nicht darzustellen ist, hier aber hatten Zuneigung und Dankbarkeit einen Tisch gedeckt, der selbst in meiner Heimat, dem gelobten Lande der kalten Küche, mit Ehren seinen Platz behaupten konnte. Während die Gastgeberin am Herde noch etwas Duftendes schmorte oder briet, was mit behaglichem Prätzeln die Küche durchsummte, saß Mudrach da, hatte die Hände über den Magen gefaltet und sah mit Augen, deren gärend Drachengift sich in lauter Milch der frommen Denkart verwandelt hatte, wohlwollend über den Tisch hin. Sein zärtlicher Blick streichelte mit gleicher Liebe den schneeweißen sauren Aal in schimmerndem Gelee, sowie den Spickaal, der sich im Goldglanz edelsten Fettes stattlich dahinstreckte. Er glitt beifällig dahin über die halben weichen Eier, zierlich mit Sardellen belegt, und über den zart geäderten Querschnitt des purpurnen Rauchfleisches, umspielte die köstliche Mettwurst mit dem Ausdruck der Vorfreude eines wohlbekannten Göttergenusses, ruhte mit Hochachtung auf den rotglänzenden, petersilienbekränzten Rücken stattlicher Edelkrebse, die in der Mitte des Tisches zu einer verlockenden Kuppel aufgebaut waren, und ließ auch die heimatliche Delikatesse des ersten Sommermonats, den gelblichen Schafkäse, nicht außer acht. Ein unbeschreiblicher Zug wollüstigen Vorgenusses lag um seinen Mund, und zuweilen schluckte er, wie man an dem Emporhüpfen seines vorstehenden Adamsapfels deutlich bemerken konnte. Dann nahmen seine Augen wieder jenen merkwürdigen Fernblick an, aber sie leuchteten in mildem Glanze, als schauten sie in eine liebliche Zukunft voller Rosen, Spickaal und Vergißmeinnicht.

Dann kam Mamsell Kallmorgen vom Herde mit einem großen Teller, auf dem gebratenes Kartoffelmus wie ein goldbrauner Kuchen verlockend dampfte, und setzte es auf den Tisch.

»So,« sagte sie, »gebratne Musgetoffel, die smecken allerwägt schön ßu. Un nu gehn Sie man düchtig bei, Herr Mudrach, bei was Sie wollen, bloß bei die Krebse nich un bei den Schafkees nich, die kommen ßuletzt.« Mamsell Kallmorgen war sehr aufgeräumt, und da sie sich damit wohl an Mudrach nicht heranwagte, probierte sie an mir den uralten Witz, der, wie ich mir denke, mit dem ersten Schafkäse zugleich auf die Welt gekommen ist. »Reinharding,« fragte sie, »magst du Schafkees?« Wenn man diese Frage bejaht, so sitzt man an der Angel und erhält die Gegenfrage: »Du Schaf magst Käse?« Ich aber war gewitzigt und antwortete: »Ja, Schafkäse mag ich,« wodurch, wenn man die nötige Kommapause an der richtigen Stelle macht, der beleidigende Name des nützlichen Vierfüßlers auf den vorwitzigen Frager zurückgewälzt wird.

»Der Jung is ßu schlau!« sagte Mamsell Kallmorgen wohlgefällig, »der läßt sich nich auffe Nas' spielen.«

Mudrach, der sich zunächst über den sauren Aal hergemacht und ein ungeheures Stück dieser butterweichen, auf der Zunge zerschmelzenden Köstlichkeit bewältigt hatte, wobei er, damit auch die Augen etwas hätten, diese liebevoll auf dem Spickaal ruhen ließ, benutzte die Pause nach dem letzten Häppchen, um einzufügen: »Ein Knabe von krimineller Begabung mit fysiologischem Scharfblick – so was ist quasi angeboren, sozusagen, gerade wie die Kochkunst. Alabonnöhr, Mamsell Kallmorgen, der saure Aal! Das ist ja ein Ideal, sozusagen. Wenn der Spickaal auch so ist?«

»Was 'n Ide-Aal is, Herr Mudrach,« sagte sie, »das weiß ich nich, diese sünd aus der Bäk aus Müller Robzin sein'n Aalkasten un sünd heut erst geräuchert. Ich sag ümmer, was so'n richtigen Spickaal is, wenn einer ihn den Kopf absneid't un schüttelt ihn denn an'n Swanz, denn muß ihn von selbst rausflutschen aus sein Fell. Na, das tut ja nu keinen, das is man, daß'n so sagt. Sie müssen sich aber 'n Mittelstück nehmen, Herr Mudrach, wo der Aal eben wieder rund rum ßu is, das is das beste.« Das tat Mudrach auch, denn er war ein weiser Mann und verständigem Rat jederzeit zugänglich. Als er nun damit fertig war und mit verklärten Zügen die Hand auf den Magen legte und der Gastgeberin eine Verbeugung machte, sagte diese zu ihm: »Kennen Sie die Geschicht von die Aalmutter?« Mudrach verneinte und ließ die Blicke prüfend über den Tisch schweifen. »Nu rat ich Sie ßu so'n kleinen Hahn,« sagte Mamsell Kallmorgen, und er zeigte sich wiederum wohlgemeintem Rat zugänglich.

»Na, also die Aalmutter. As ein Bote kam un sagte, deine Kinder sünd gefangen, da sagte sie: ›Schad't nich, sie werden schon wiederkommen.‹ Nu kamen aber ümmerßu Boten, un den einen sagte: ›Sie sünd auf'n Markt verkauft,‹ un den andern: ›Sie sünd inne Küch, und die Käksch schlachtet ihnen!‹ un denn wieder ein andern: ›Sie sünd schon in'n Kochkessel!‹ abersten die Aalmutter sagte ümmer dasselbe. Un das sagte sie auch noch, as wieder ein Bote kam un sagte: ›Nu sünd sie aufgetragen mit Peterßiliensoße in eine sülwerne Schüssel.‹ Da aber kam noch einen, der sah aus as so'n Leichenbitter un sagte: ›Nu sünd sie aufgegessen, un die Leut' haben Branntwein drauf getrunken.‹ ›O, meine armen Kinder,‹ sagte da die Aalmutter, ›nu is es vorbei!‹ Un wissen Sie, was diese Geschichte besagt, Herr Mudrach, daß der Aal so'n furchbar ßähes Läbent hat, un erst, wenn einer Branntwein da auf getrunken hat, denn is er würklich tot.«

Damit füllte sie ein Spitzglas aus einer vierkantigen Flasche mit vortrefflichem alten Korn, schob es dem Gaste hin und sagte: »Wenn ich Sie raten darf, Herr Mudrach, dann machen Sie das auch so, das is gut for die Darmen.«

Nun, Mudrach ließ sich raten und war gehorsam wie ein artiges Kind.

»Abersten Sie haben sich ja sonst noch gar nich eingeschänkt, Sie scharnieren sich doch woll nich, Herr Mudrach. Nehmen Sie sich doch 'n Glas von den guten Schatoh, der paßt ßu den Hahn. Oder wollen Sie lieber weißen? Das is Szohtern, un wenn ich mal 'n Glas Wein trink, dann nehm ich von den, den roten is mich ßu sauer. Das kommt abersten man selten vor, ich halt mir an mein selbstgemachtes Bier, das bekäme mich ja auch ümmer so gut.«

»Aber heute doch, eventualiter,« sagte Mudrach, »wo doch quasi ein Festtag ist, sozusagen. Natürellemang, nicht wahr?« und näherte sich ihr mit der Sauternesflasche.

»Ach ja!« antwortete sie mit gefühlvollem Seufzer und verschämtem Lächeln, »aber man halb voll, der Wein is staark!«

Mudrach füllte ihr und mein Glas bis zum Rand, was sie mit Entsetzen und ich mit milderen Gefühlen bemerkte, er selbst zog den »Schatoh« vor, den er wohl für das männlichere Getränk hielt.

Dann erhob Mamsell Kallmorgen ihr Glas und sagte: »Auf dem Wohle meiner lieben Gäste!« und trank uns wohlwollend zu, worauf Mudrach eine fulminante Gegenrede hielt, in der er die Vorzüge dieser distinktiven Dame in ein blendendes Licht rückte und die Aufgabe, eine so vollendete Sammlung seltener Vorzüge zu hüten, zu schützen und zu bewachen, als des besten Mannes würdig hinstellte. Dabei ließ er seine Augen über die noch unberührten Schätze des Tisches schweifen und schien aus ihrem Anblick immer aufs neue die Kraft zu kühnen Bildern und schwungvollen Ausdrücken zu saugen. Darauf leerte er sein Glas bis auf den Grund, nicht ohne es gleich sorgfältig wieder zu füllen.

Mamsell Kallmorgen schwamm in verschämtem Wohlgefallen. »O, Herr Mudrach,« sagte sie, »das kann ich ja gar nicht verlangen. Un wo Sie das allens herhaben! Un was das for 'n Duktus hat! Abersten von das andere, da sprechen wir woll nachher, nich bei's Essent.«

Die Mahlzeit war für sie offenbar, gleich dem Rosengarten der Sage, mit einem seidenen Faden umzäunt, über den nichts Unholdes in den geheiligten Kreis dringen durfte.

Mudrach war es zufrieden und wandte sich mit ungeschwächten Kräften den guten Dingen wieder zu. Er ließ nichts vorübergehen und bediente sich von allem reichlich. Wo er damit blieb, in seinem langen, dünnen Leibe, noch dazu, da er auch das gebratene Kartoffelmus nicht schonte und Mamsell Kallmorgen ihm eine Brotscheibe nach der anderen mit köstlicher Butter bestrich, das war ein Geheimnis, das in seinem Innern die Organe einer Boa constrictor vermuten ließ. Nur einmal bemerkte ich, wie er heimlich mit seinen langen Fingern in der am meisten bedrängten Gegend zwei Knöpfe seines Rockes lockerte, Mamsell Kallmorgen dagegen, die ich zum ersten Male essen sah, nippte nur wie ein Vögelchen und war mäßig wie ein Weiser, der sich aus Überzeugung der Askese ergeben hat, so daß es selbst dem so ausgiebig beschäftigten Mudrach auffiel und er darüber eine verwunderte Frage tat.

»Der liebe Gott segnet es mich ja,« sagte sie, »ich brauch nich mehr. Wenn einer selbsten kocht, denn wird er schon satt von's Probierent un von den Geruch. In den Geruch von gutes Essent, da sticht die meiste Kraft ein.«

Wahrlich, da lebte sie ja wie weiland die unsterblichen Götter, deren ätherische Nahrung aus lieblichem Opferduft bestand. Mudrach aber ließ sich dadurch nicht zur Nachahmung verleiten und sich bei den Krebsen, deren anatomische Verhältnisse und feste Panzerung ihm sichtlich unlösbare Rätsel aufgaben, gar gerne ihre Hilfe gefallen. Es war hübsch zu sehen, mit welcher Geschicklichkeit sie die auch im Tode noch wehrhaften Tiere nach allen Regeln der Kunst ihrer Panzer entkleidete und die mundgerechten Bissen ihrem Gegenüber zuschob. Dabei strahlte ihr breites, gutmütiges Antlitz in der artistischen Genugtuung, eine Kunst auszuüben, die Übung und Geschicklichkeit erfordert und nicht von jedem beherrscht wird.

So ging denn schließlich die Mahlzeit zu Ende; Stina kam und deckte ab und setzte zwei Flaschen von Mamsell Kallmorgens berühmtem Bier auf den Tisch, nebst den nötigen Gläsern. Mudrach aber zog es vor, bei dem Schatoh zu bleiben; er wärme den Magen so schön aus, meinte er.

Als wir wieder allein waren, entstand zunächst eine kleine Stille. Mudrach saß zurückgelehnt in seinem Ehrenlehnstuhl und rauchte eine von Herrn Wohlands stattlichsten Zigarren, die er seltsam steif zwischen den gespreizten langen Fingern hielt, deren Asche er von Zeit zu Zeit mit Kennerblicken betrachtete und deren duftenden Rauch er zu verdoppeltem Genusse zuweilen mit der anderen Hand an seine Nase winkte. Sein sonst etwas erdiges Gesicht blühte, seine Augen schwammen in Wohlgefallen, seine langgestreckte Nase und zwei Flecke unter den Tränensäcken leuchteten in sanftem Purpur, und um den Mund lagerten Behagen und Befriedigung wie zwei Hündlein, die zusammengerollt am Kaminfeuer von glücklichen und ergiebigen Jagden träumen. Mamsell Kallmorgen aber sah ernst und sinnend aus, als wende sie im Geiste die Blätter des Buches der Vergangenheit um und suche darin nach Anknüpfungen für die brennenden Fragen der Gegenwart. »Herr Mudrach,« sagte sie plötzlich, »wovon wissen Sie eigentlich, daß ich Christiane heiß?«

Mudrach sah sie sinnend an: »Davon ist mir so quasi gar nichts bewußt,« sagte er, »aber es ist ein schöner Name, er hat so was Religiöses an sich. Nämlich sozusagen.« Mamsell Kallmorgen wurde plötzlich rot, und da sie das fühlte, wurde sie dunkelrot und schnappte nach Luft, denn mit einem Male kam ihr zum Bewußtsein, daß sie im Begriff war, ihren Traum zu verraten, in dem Mudrach als ein Engel mit Flügeln und einem feurigen Säbel zu ihr gesagt hatte: »Christiane, ich wache for dir!« Sie geriet in Verwirrung, verlor aber den Gedankengang, der sie zu dieser Frage veranlaßt hatte, nicht aus dem Auge, trank zur Stärkung ein Schlückchen von ihrem Lebenselixir, strich sich die Schürze glatt und nahm mutig einen neuen Anlauf zu dem gewünschten Ziel: »Snurrig, wie ich da auf komm,« sagte sie, »aber ich dacht würklich, Sie wüßten ihm. Abersten das wissen Sie doch woll, was ein Mann von furchbar viel Kurakter, ßu den ich Szuvertrauent hab, was den gesagt hat: Ich bün ümmer da un ümmer bereit un ümmer derjenige welcher!«

Mudrach fuhr mit dem Finger tief in seine hohe, enge Halsbinde, als wolle er sie lockern, damit sie einer längeren Rede kein Hindernis entgegensetze, und rieb sich dann nachdenklich den langen, schmalen Strich seiner Nase, als wolle er dadurch seinen Geist elektrisch machen; dann erhob er dozierend den Zeigefinger und sagte:

»Posito, gesetzt den Fall, meine hochverehrte Dame, das heißt, nehmen wir sozusagen an, Sie hätten das Desiderium, in das bewußte und Ihnen genannte Logis stantepede einzuziehen, so muß ich Ihnen leider die Konklusion machen, daß dieses Logis temporär für Sie ein Desideratum ist.«

Mamsell Kallmorgen hörte mit großer Hochachtung diesen geschwollenen Satz an, von dem sie nichts begriff, ebenso wie sich zwei hochgelehrte Professoren nicht verstehen, wenn sie lateinisch reden und der eine ein Deutscher, der andere ein Engländer ist. Sie bat ihn fast weinerlich, sich ferner nicht der kriminellen Sprache, sondern ihres geliebten Hochdeutsch zu bedienen. Mudrach paßte sich denn auch milde ihrer Fassungskraft an und teilte ihr mit, daß die beiden Schüler ja in die Ferien gingen und nach den Ferien ausquartiert werden könnten, darin läge das Hindernis nicht; aber es hätten dort seit Jahren schon Schüler gewohnt, und da diese zwar geringe Ansprüche machten, durch ihre urwüchsigen Gewohnheiten aber dazu beitrügen, daß diese Ansprüche von Jahr zu Jahr auf eine tiefere Stufe herabsinken mußten, so wäre das Logis für eine Dame von dem Bildungsstande und den vornehmen Gewohnheiten der Mamsell Kallmorgen zurzeit absolutemang unmöglich. Da müßte was geschehen, da müßte tapeziert, gemalt und gestrichen werden, und darüber könnten ganz gut vierzehn Tage hingehn, oder aber es könnte eventualiter auch noch länger dauern. Das würde ihm natürellemang bedeutende pekuniäre Opfer auferlegen, aber für eine Dame wie Mamsell Kallmorgen wäre sozusagen das Teuerste gerade gut genug.

»Nee, Herr Mudrach,« sagte diese eifrig, »wenn das extra for mir gemacht wird, denn beßahl ich das auch, das is mich lieber so. Un denn därf ich mich doch auch woll die Tapfeten aussuchen un den Maler die Färbe sagen, wo allens mit gemalen werden soll. Die Fensters natürlich weiß un die Fußbödens mit feinem sülwergrauen Lack. Un denn hab ich früher mal eins 'ne Tapfete gesehn, da war Jelängerjelieber auf un Rankrosen un Schmetterlings un kleine süße Piepvögels, die in ihre Nesters saßen, wenn ich in eine Stube mit solche Tapfete wohnen könnt, das wär fein.«

Mudrach meinte, das dürfe er nicht verlangen, das ginge zu weit, die Kosten könnten ja am Ende auf die Miete geschlagen werden.

»Nee, nee,« sagte Mamsell Kallmorgen, »das wollen wir nu man so lassen. Un mit die Miete, das kommt später. Sie sünd ein furchbar anständigen Mann un sünd bei's Gericht angestellt, Sie werden mich doch woll nich mehr abnehmen, as recht is. Abersten« – und nun nahm ihre Stimme den Ton wehleidiger Klage an, »wo bleib ich denn nu man bloß in diese Szeit? Hier bleib ich nich, das kann ich nich un kann ich nich.«

Auch das hatte Mudrach sich bereits überlegt. Er sagte, er wüßte nicht weit von seinem Hause ein sehr nettes kleines Hotel, da wäre sie gut aufgehoben. Er käme dort alle Tage ein paarmal vorbei und würde immer ein Auge auf sie haben, wobei er die Kraft seiner Gesetzesaugen mächtig spielen ließ. Mamsell Kallmorgen aber meinte, sie wäre nicht für solche feine Hotels, wo immer Kellner mit Schniepeln um einen herumständen und sich grienten, wenn einer was sagte. »Na,« meinte Mudrach, es wäre ja auch eigentlich kein Hotel, sondern ein sehr netter Gasthof, sauber und ordentlich und nicht teuer. Da kehrten die wohlhabenden Bauern ein und Musterreiter, die keine großen Spesen machen wollten, die wüßten immer, wo es gut und billig ist, und besonders die Holländer Holländer heißen die Milchpächter auf den großen Gütern. aus der ganzen Gegend hätten da ihr Absteigequartier.

Als Mamsell Kallmorgen das Wort Holländer hörte, leuchteten ihre Augen. »Das is'n andern Snack,« sagte sie, »meine Swester is auch an'n Holländer verheurat. Holländer sünd orntliche Leute. Da ßieh ich hin.«

Somit war auch diese Frage gelöst, aber nun folgte eine so endlose Reihe von Verhandlungen über die Einzelheiten des morgigen Umzuges und alle möglichen Fragen, die dabei in Betracht kommen konnten, alles mit feierlicher Breite von beiden Seiten entsprechend seiner ungeheuren Wichtigkeit behandelt und untermischt mit Klagen Mamsell Kallmorgens, daß ein widriges Geschick sie zwänge, eine solche Stellung zu verlassen, die, was den Szalehr beträfe und die Freiheit, nach eignem Ermessen zu handeln, ihres Gleichen nicht im Lande hätte.

»Geld spielt ja gar keine Rolle nich bei Herrn Wohland,« sagte sie, »un ob was einen Dahler kost oder ßehn Dahler, das is ihn ganz egal, wenn's man gut is, ümmer von's Beste. Un wenn ich was verschenken will auße Wirtschaft, denn verschenk ich das; Herrn Wohland is allens recht, er gibt womöglich noch was ßu. Ja, was das angeht, is es ja hier wie in's Paradies, bloß daß kein Engel mit'n feurigen Säbel ...« hier verstummte sie und wurde dunkelrot ... »bloß die Angst, die ewige Angst. Un wän schon einmal beinah ein'n Knebel in'n Mund gestochen is, wo einer doch versticken muß, der durch die Nas' keine orntliche Luft kriegen kann, der wird die Angst nich los sein Läblang nich. Igittegittegitt!«

Mudrach sprach dann beruhigende Worte von dem Schutze, den die Fittiche des Gesetzes gewähren, und von dem starken Arm der Gerechtigkeit, der sich über sie strecken würde, und sah mit einem Blick in der Küche herum, daß die Fliegen wie vergiftet von den Wänden fielen und sich konvulsivisch auf dem Rücken herumdrehten. Und dann redeten sie wieder davon, wann der Wagen, der auf dem Nachbargut bestellt werden sollte, kommen müßte, und Mamsell Kallmorgen bestand darauf, daß Fischer Mussehl selber kommen müßte mit seine große Boot, die nich so wiwagt, un wie sie da woll rein käme, un wie sie da woll wieder raus käme, un wenn sie erst glücklich über das gräßliche Wasser wär, dann wär ja allens gut, un sie wollt' ihren Schöpfer auf den Knien danken, bloß daß sie denn man so schlecht wieder inne Höchte kommen könnt.

So ging es endlos weiter, bis mir die Augen zufielen und ich das Gerede nur noch wie aus ganz weiter Ferne hörte und erst wieder zu mir kam, als ich bei meinen mannhaften Kämpfen mit dem Dämon des Schlafes einen solchen Vorstoß auf ihn gemacht hatte, daß ich beinah vom Stuhle gefallen wäre.

Ich benutzte eine Pause des Gespräches, um den Wunsch auszusprechen, gute Nacht sagen zu dürfen.

»Schon unterschießen unter die Bettdeck, mein Reinharding,« sagte Mamsell Kallmorgen, und ihre Augen schweiften zur Küchenuhr, worauf sie einen Schreck bekam: »O du mein Mieskätzing!« rief sie, »die Klock is jewoll all vittel vor elw? Denn is es ja auch die höchste Szeit. Stina! Stina!« Diese brachte die Leuchter und zündete die Lichter an. »Herr Mudrach,« sagte Mamsell Kallmorgen, »Sie slafen wieder in die kleine blaue Stube, wo Sie damals mit Püttelkow ... ach nee, Sie haben da ja gar nich geslafen, indem daß Sie doch wachten mußten bei die gräßlichen Einbrechers. Igittegittegitt, wenn ich da bloß an denk. Na, Stina bringt Ihnen ja hin, un diese Nacht, da wollen wir alle fein slafen, un das kann ich nu ja auch, denn ich weiß ja, es is ein Mann da, der ümmer bereit is un ümmer derjenige welcher. Haben Sie auch die Eisens bei sich, Herr Mudrach?«

Dieser klopfte sanft auf seine hintere Rocktasche, wo es leise klirrte, und aus seinen Augen strahlte die Strenge des Gerichtes. Mamsell Kallmorgen vernahm den leisen Ton der Handschellen, die für sie die Symbole des gesetzlichen Schutzes und der bürgerlichen Sicherheit waren, mit wollüstigem Grausen und sagte: »Na, das is man schön!« Dann wünschten wir uns feierlich gute Nacht, und ein jeglicher zog mit seinem Lichte an den Ort, wo ihm das Bett bereitet war.

Am andern Morgen war plötzlich Onkel Simonis da, der am Tage vorher von seiner Reise zurückgekehrt war, und kam, um mich abzuholen. Er wußte schon von den Wirren und Ereignissen des gestrigen Tages, denn auch auf dem Lande laufen die Gerüchte mit Siebenmeilenstiefeln. Ich begegnete ihm zufällig vor der Tür, wo er gerade Stina beauftragte, ihn bei Herrn Wohland zu melden. »Pack deine Siebensachen ein, mein Junge,« sagte er, »und bringe sie gleich herunter zum Landungsplatz. Da liegt Heinrich Trilk mit dem Albatros. Jetzt bist du hier doch nur im Wege, ausschließlich nur im Wege, mein Sohn. Ich will mich hier gar nicht aufhalten, nur Herrn Wohland begrüßen. Dann kommst du wieder und sagst Adieu – in einer Stunde fahren wir, verstehst du, in einer Stunde spätestens. Siehst übrigens gut aus, Reinhard, fein herausgefuttert. Siehst aus, als hättest du die ganze Zeit mit den Vorderfüßen im Fliegenschrank gestanden, wie Onkel Klüssendorf zu sagen pflegte. Dein bißchen Griechisch wird wohl schon alles wieder durch den Schornstein geflogen sein. Na, wart nur, in den Ferien haben wir ja Zeit genug, da wird frisch aufgefüllt.«

Mit dieser freundlichen Verheißung, die meinen sonnigblauen Ferienhimmel gar schändlich mit grauen Wolken betüpfelte, entließ er mich.

Als ich bald darauf mit meiner Reisetasche an den Strand kam, fand ich dort isern Hinrich auf dem Landungsstege, wo er, die Hände in den Hosentaschen, mit wiegendem Schritt auf und ab ging und dazu gar lieblich durch die Zähne pfiff, wahrscheinlich in Erinnerung an die Tatsache, daß er im vorigen Jahre an derselben Stelle, bei ähnlicher Gelegenheit, diese ihm bis dahin versagte Kunst plötzlich erfaßt hatte. Obwohl er nun bei unserer letzten Trennung von der zwischen uns gebräuchlichen wunderlichen Begrüßungsart feierlich Abschied genommen hatte, so kam er doch wie immer auf mich zu und hielt mir den ausgestreckten Oberarm entgegen.

» Go on!« sagte er.

Da ich nun sah, daß er es so haben wollte, so tat ich ihm den Gefallen und gab ihm mit den Knöcheln der verwendeten Hand einen tüchtigen Schlag auf den Bizeps.

» I don't feel it!« sagte er verächtlich und fügte hinzu: » Encore une fois

Ich tat ihm den Gefallen noch einmal, um die wegwerfende Antwort zu erhalten: » Cela ne fait rien

Da er nun aber ein Vierteljahr lang aus der Übung war, so mochte er wohl ein wenig von seiner heroischen Fühllosigkeit eingebüßt haben, denn als er sich kurz darauf einmal unbeobachtet glaubte, sah ich, wie er die betroffene Stelle des Oberarmes mit den Fingern knetete und ein Gesicht dazu machte, als überlege er sich, ob eine bloße Gelegenheit, seine Sprachkenntnisse zu zeigen, mit indianischen Martern nicht zu teuer erkauft sei. Zunächst aber zeigte er heitere Gelassenheit und verlangte Auskunft über die neuesten Abenteuer, die offenbar in romantischer Verklärung zu ihm gedrungen waren. Ich mußte ihn auf später vertrösten, da ich jetzt keine Zeit hätte, denn ich war ja zum Abschiednehmen kommandiert. »Na,« sagte er dann, »weit denn dei Ollsch, dat ick dor bün?« Damit meinte er Mamsell Kallmorgen, die doch noch in dem jugendlichen Alter von einundvierzig Jahren stand. Da ich dies bezweifelte, so bat er mich, ihr das mitzuteilen. »Ick müch tau girn weiten,« sagte er, »wat sei woll werre sonne feine Mettwust hett, as donn, un sonnen mojen baschen Kees, dei wir so masig un so fett, dor lickmünd't mi noch ümmer na.«

Ich versprach ihm das, und als ich mich nach einer guten halben Stunde mit Onkel Simonis dort wieder einfand, saß er auf dem Stege, baumelte mit den Beinen, hatte einen leeren Teller und eine Flasche neben sich und kaute mit Hingebung und Genuß an dem letzten Rest eines Butterbrotes. »Von den baschen wir dat nich, äwer Schaapkees,« flüsterte er mir zu, »dat's ok kein Meß.«

So versäumte Mamsell Kallmorgen, von der ich eben gerührten Abschied genommen hatte, auch in den bedrängtesten Umständen nicht die Pflichten der Gastlichkeit, und auch Onkel Simonis hatte sich im Hinblick auf seinen schwachen Magen nur mit Aufbietung all seiner sittlichen Kraft der Darbietung eines gewaltigen Frühstücks erwehren können.

»In diesem Punkt,« sagte er, »ist das Weib ja eine Megäre, wenn ich die zur Wirtschafterin hätte, die hätte mich längst zu Tode genudelt. Dreimal hätte sie das.«

» All people on board!« sagte isern Hinrich, und wir stiegen in den Albatros; er ruderte, und ich mußte erzählen. So kann ich denn von den ferneren Ereignissen des Tages nicht mehr als Augenzeuge berichten, weder von dem großen Verhör, das Mudrach mit dem Späukenkieker anstellte, der eben über den See gerudert kam, als wir abfuhren, wobei er ihn mit Kreuzfragen und juristischen Ausdrücken bis aufs Blut ängstigte und seine Glaubwürdigkeit als Zeuge aufs tiefste erschütterte, noch von dem feurigen Eifer, mit dem Mamsell Kallmorgen die Sachen, die sie zunächst mitnehmen wollte, fertig packte, und trotzdem ein wunderbares Mittagessen zustande brachte, zusammengesetzt aus Herrn Wohlands bevorzugten Lieblingsgerichten, wodurch sie sich offenbar einen Abgang sichern wollte, der noch einmal sie und alle ihre Vorzüge in elektrischer Beleuchtung zeigte, umspielt von den schmunzelnden Genien der Kochkunst und des Wohlgeschmacks. Dann kam der dramatische Abschied von Herrn Wohland, bei dem sie »den Szalehr« für die letzten Wochen begeistert zurückwies, das Geld aber nehmen mußte, worauf sie den unglücklichen Mann mit einer solchen Fülle von Redensarten überschwemmte, daß er in seiner Qual keine andere Hilfe fand, als sie durch ein mehrfach wiederholtes: »Ab! ab!« förmlich hinauszuwerfen. Und sie ging wie eine Niobe, die der Schmerz versteint hat, deren Augen aber dennoch von Tränen überfließen.

Wie sie dann von drei starken Männern in Fischer Mussehl seinen größten Kahn gewuchtet wurde und nachher wieder hinaus, unter gellenden Schreien der Angst und unzähligen »Igittegittegitts«, und wie sie trotz ihrer Verheißung doch aus wohlerwogenen Gründen nicht auf ihre Knie sank, als das gräßliche Wasser endlich hinter ihr lag, und wie sie dann endlich im Leiterwagen auf dem Sack saß, dessen eines Ende sie tief herunterdrückte, während neben ihr der hagere, zugeknöpfte Mudrach auf dem anderen hoch emporgehobenen Ende wie ein Ausrufungszeichen in die Luft ragte, und wie sie bei dem plötzlichen Anziehen der mutigen Pferde alle beide hintenüber ins »Krett« fielen, das alles habe ich ja leider auch nicht selbst gesehen, kann aber nach dem einwandfreien und einstimmigen Zeugnis ehrenwerter Männer, die dabei waren, versichern, daß es ein Anblick war.

In Steinhusen war es natürlich herrlich. Mein Freund Adolf war schon da, und ein fröhlicher Genoß, Ferien und Erntezeit, üppige Gärten, Wälder, Wiesen und Felder, ein Segelboot und ein stattlicher See zur freien Verfügung, und um uns lauter Menschen, die uns wohl wollten, was will man mehr; da diente die eine Stunde Griechisch täglich, zu der mich Onkel Simonis ohne Gnade heranzog, auch nur dazu, den Glanz des übrigen Tages zu erhöhen und zu vermehren.

Nur eine wollte uns nicht wohl, das war Tante Malchen, die es uns nicht verzeihen konnte, daß wir uns auch in der Residenz nicht im mindesten hatten von der Kultur belecken lassen; denn das Leben in einer Quarta und das Indianertum üben in dieser Hinsicht keinerlei veredelnden Einfluß aus, und den bildenden Umgang mit den Gebrüdern Köhnke und ihrer Tante Clementine hatten wir ja leider gänzlich vernachlässigt, ja wir hatten sie nicht ein einziges Mal besucht. Das verzieh sie uns nicht und beträufelte uns bei jeder Gelegenheit mit Redensarten, gemischt aus süßem Honig und Rattengift, und malte unsere gesellschaftliche Zukunft mit dem tiefsten Schwarz einer wolkenverhangenen Neumondnacht. Doch das war am Ende zu ertragen, und wenn wir auch manchmal die Neigung hatten, zu sagen: »Du, geh da mal 'raus aus das Fenster!« so unterdrückten wir sie doch heldenmütig und standen am Marterpfahl mit dem indianischen Gleichmut eines echten Comanchen.

Doch die guten Tage laufen mit Siebenmeilenstiefeln; so sausten auch die Ferien nur zu schnell vorüber, und wir mußten wieder in die Stadt übersiedeln.

Nach einiger Zeit suchte ich Mamsell Kallmorgen auf. Sie wohnte schon bei Mudrach, und es war dort alles nach ihren Wünschen hergerichtet worden. Der Fußboden ihres Wohnzimmers war richtig mit silbergrauem Lack gestrichen, und auf der Tapete zeigten sich viel wunderschöne Blumen, zwischen denen sich reichlich Vögel und Schmetterlinge herumtrieben, wie sie niemals in der Natur vorkommen, sondern ausschließlich in der ausschweifenden und rücksichtslosen Phantasie eines Tapetenmalers. »Na, un die Decke,« sagte Mamsell Kallmorgen, »die hat den Maler doch mal nüdlich gemalen. As ich abersten diese Wohnung ßuerst ßu sehen kriegt, da wurd mich ganz slimm. Harre meines, hatten die Harren Jungs ihr eingeaast. Ich sag dir, mein Reinharding, das war ...« hier beugte sie sich nahe an mein Ohr, sah sehr geheimnisvoll aus und flüsterte eindringlich »... ein Färkenstall war das. Un ein Färkenstall, wo in Jahren – ne, was sag ich – in Jahrendén nichs nich gemacht war, bloß ümmer von frischen wieder neu eingeaast. Na, un wie nüdlich un apptietlich süht es nu hier aus – nich? Un denn hab ich ja doch meine schönen alten Möbels. For eigne Möbels bün ich ümmer gewesen, un schon auf'n Uhlenberg, da hab ich kein Stück von Herrn Wohland gehabt, das war all mein eigen, was ich mich so sachten ßusammengearbt hatt. Na, un den gelben Birkenszicketehr mit die alte Uhr auf, macht sich den hier nich fein? Un die alte Kommode mit die Messinghenken un das Glaseckbort, die hab ich von mein Lenetanten gearbt, un den Roßhaarsofa und die beiden Lehnstühl mit die schönen blanken Nagels un den Magahonitisch mit die vigelette Plüschdeck, die stammen von mein Onkel Christian, die hat er mich extra vermacht, weil daß ich doch sein Pät bün. Un in das Eckbort, da stehen meine Pozzelansachen in un mein sülwerne Szuckerdos' un mein sülwernen Rohmguß un meine wunderschönen Tassen. Sieh mal, die beiden mit die Henkels un mit die dicken Rosen auf mit goldene Blätter, un einwendig ganz mit echten Gold vergold't, da haben meine Eltern ümmer aus getrunken, abersten bloß an die hohen Festtage, sonst haben sie sich das nich spendiert un haben man aus gewöhnliche getrunken. Un ich kriegte denn diese Tasse da mit den goldnen Engel, der in eine Tulpe sitzt, un mein Vater sagte ümmer: Dirn, wenn du die inßwei machst, denn gibt's was auf die vier Buchstaben! Ach ja, er mochte so furchbar gärn manchmal 'n kleinen Witz machen. Un Szucker, den war damals so furchbar teuer, den gab's bloß Sonntags un denn auch man 'n klein Stück Kandies, das nahm einer inne Mund und trank da an vorbei, daß da ümmer so sachte 'n bischen von absüßte.«

So redete sie und zeigte mir alle ihre Schätze und ließ mich auch einen Blick in ihr Schlafzimmer tun, in dem es weiß und jungfräulich schimmerte. »Ja,« sagte sie, »da slaf ich nu in mein eigen schönes Bett auf die feinsten Gänsedunen so schön, wie ich auf die gräßliche Insel, seit da die schauderhafte Einbrecherei passiert is, auch nich eine Nacht geslafen hab. Un wenn ich denn auch einmal aufwach, denn hab ich doch nich gleich sonne gräßliche Angst, denn ich weiß ja, Herr Mudrach släft grad unter mir. Un wenn sich das denn auch manchmal anhören tut, as wenn da unten einen Holz sägt, weil daß doch Herr Mudrach manchmal 'n bischen das Snorken kriegt, so is mich das bloß tröstlich, denn ich weiß doch, das kommt von ein Mann, der ümmer da is un ümmer bereit un ümmer derjenige welcher, der wacht for mir. Na, un was das Kochent betrifft, das hab ich mich gleich übernommen. Ich hab hier ja oben auch so'n klein Kabuff, was sich Küch nennt, mit'n Herd ein as für 'ne Puppenstub', da sollt ich mich ümmer mein einsames Essent in kochen. Da hab ich abersten ßu Herrn Mudrach gesagt: ›Nee, Herr Mudrach, das is kein'n richtigen Plan nich. Da will ich Sie mal was sagen. Geben Sie mich alle Monat das, was Sie un Ihre Alwine so in'n pohlschen Bogen inne Wirtschaft verbraucht haben, un das übrige leg ich ßu, un denn besorg ich das, da kommen wir alle beide besser bei weg, denn das Kochent aus'n großen Topf is profitlicher as aus'n kleinen. Un so koch ich denn nu unten in Herr Mudrach seine Küch un mach die ganze Wirtschaft, un was Alwine is, die geht mich bei die Hand. Das kann ich woll sagen, das geht hier nich aus'n großen Geldbeutel wie bei Herrn Wohland, un is meist man ßusammengekochtes Essent – abersten es smeckt sie. Zu's Kochent gehört Schenie, un wenn einer den hat, denn lickmünden die Leute nach sein ßuzammengekochtes Essent, un wenn einer den nich hat, denn wird es Drank. Was nu Alwine is, die hat den Schenie nich, varleicht lernt sie ihm noch, Müh geb ich mir ja genug. Un as die jungen Dirns in das Alter manchmal sünd, sie eßt nich, un ich möcht ihr doch so gern in'n richtigen Futterßustand kriegen, die Dirn die is ja bloß aus Knochen un Augen. Ja, un was nu den Futterßustand anbetrifft, da fällt mich das Swein ein. Sie haben da so'n klein hochbeintes Swein, un das futtert un futtert sich nich, un seine Rippen kucken ihm 'raus, as ob's Tründelbänder übergesluckt hätt. Nu frag ich bloß, woßu braucht'n Swein Rippen? Nachher für den Rippenbraten, da sünd sie ja ganz schön, abersten, wenn einer ihnen von draußen sehn kann, denn is es ein kummervollen Anblick. Wenn ich das alte Postür nich noch ßurecht gefuttert krieg, denn wird's slimm ßu'n Winter, denn gibt's Schinkens as sonne Keul' von'n drehkranken Hammel, un Speckseiten – ach du mein Mieskätzechen – un wenn ich bloß an die Mettwurst denk, denn kommt mich das Heulent an. Ja, in Sweine, da bün ich würklich 'n bischen verwöhnt.« So floß der Strom ihrer Rede unaufhaltsam weiter, und sie ereiferte sich über die Torheit, einen Hühnerstall »mit ohne Hühner« zu besitzen, wie Herr Mudrach, was aber nicht allzulange mehr dauern solle; sie erwog weitläufig die wirtschaftlichen Vorteile, die sich daraus ergeben würden, wenn sie zum Ersatz der Ausfälle, die das Kummerschwein ergeben würde, im Herbst eine Anzahl Gänse fett machte, wo Herr Mudrach doch für Spickgans sein Leben ließe, und entwickelte den kühnen Plan, im Hause eine eigene kleine Räucherkammer einzurichten, »indem daß die Slachters doch ümmer so slechten Rauch nehmen, und welche, die hängen die Schinkens jawoll man bloß an eine Leiter un smieren ihnen mit Holzessig ein. Igittegittegitt!«

In dieser ganzen Zeit hatte ich kein einziges Wort gesprochen, sondern nur zuweilen, wie ein luftschnappender Karpfen, meinen Mund zu einer nach meiner Ansicht passenden Bemerkung geöffnet, die aber stets von dem unaufhaltsamen Redestrome wieder weggespült wurde, und als nun plötzlich die alte Uhr mit den Alabastersäulen auf dem gelben Sekretär in behaglich heiserem Tone sieben schlug, sah sie sich fast erschrocken und verwundert nach ihr um und sagte: »Harre meines, ich versnack hier jawoll die Szeit ßu's Abendbrot. Ja, das kömmt davon, mein Reinharding – mit dich kann'n sich auch ßu un ßu schön unterhalten. In meinen Läben hab ich noch keinen Menschen getroffen, mit den sich so schön snacken läßt. Abersten nu hab ich keine Szeit mehr. Es gibt ja man bloß Pellgetoffels mit Häring, das muß aber doch ßurecht gemacht werden. Un was welche auch sagen, es is'n fein Gericht. Noch ßu, wo der Kaufmann an'n Mark sonne wunderschöne Flohmhärings hat un gar nich so teuer un denn neue Getoffels von die krummen langen, wo die Pell so fein von is, daß'n ihr beinah mit essen kann, un daßu son'n rechten schönen krausen Speckstipp mit Zwiebels, na, ich sag man. Sollt'st bloß mal sehn, was Herr Mudrach davon wegpackt. So'n ganzen großen Flohmhäring un daßu so'n Stücker dreißig von die langen Getoffels un'n ganzen Schüguß voll Speckstipp ßu. Wo er das läßt in seine ranke Maag, das weiß ich nich, abersten es is ein Vargnügent ßu sehn. Un Alwine? Szwei! höchstens drei un son'n kleinen Szippel vom Häringsswanz, un denn stöhnt das noch von voll. Das is ja'n Jammer.« Dann entließ sie mich mit den besten Segenswünschen un nochmaligem Dank für meine unvergleichliche Unterhaltungsgabe und begleitete mich die Treppe hinab bis an die Haustür, deren Glocke beim Öffnen das gewohnte Zetermordio erhob. »Ne prachtvolle Klock!« rief sie mir noch nach, als ich schon auf der Straße war, »wenn hier einer ins Haus kommt, das merkt'n doch. Adjö, adjö!«

* * *

Was in den Sternen geschrieben stand, hat sich erfüllt, die historische Entwicklung ging ihren Gang; Seelen, die sich längst gefunden hatten, sehnten sich nach Vereinigung, Gegensätze nach Ausgleich, die Hagerkeit nach der Fülle und umgekehrt, das rauhe Polizistenherz nach dem weichen, milden der freundlichen Kochkünstlerin, und es kam wie das Volk sagt: »Min Hart un din Hart soll sin ein Backs!« Im Herbst war die Hochzeit.

Ich bin dabei gewesen und kann wohl sagen, es war ein schönes Fest und fand viel Beachtung bei der Bevölkerung. Als zwei Wagen vor der Tür des Hauses in der Scharfrichterstraße hielten, hatte sich dort eine Korona angesammelt, die mit brennender Teilnahme dem Schauspiel der Abfahrt beiwohnte. Viel Beifall fand das Brautpaar, als es unter furchtbarem Gezeter der wachsamen Glocke der Haustür entschwebte, insonderheit die Braut, die ihr neues glänzendes Schwarzseidenes trug, über das die Wolke eines duftigen weißen Schleiers bis zu den Füßen hinabwallte. Unter dem Myrtenkranz hervor, den sie sich durch die Stürme eines tatenreichen Lebens hindurch bewahrt hatte, leuchtete ihr Antlitz von Gutmütigkeit, Festesfreude und lächelnder Rührung, wie die Sonne. Der Bräutigam dagegen in seiner neuen Stadtdieneruniform war ganz und gar zugeknöpfte Autorität und Würde, und aus seinen Augen strahlte auch heute nur die eiserne Strenge des Gesetzes, die sich nur milderte, wenn ein Abglanz seiner Sonne auf ihn fiel. Denn diese leuchtete so, daß man glauben konnte, die wirkliche Sonne wäre es, die des langen ehelosen Standes müde, sich entschlossen hätte, mit der einzigen ihr zur Verfügung stehenden standesgemäßen Partie, dem Mann im Monde, eine Verbindung einzugehen. Als sie im Wagen verschwand, wurde die Welt sichtlich dunkler, doch kostete es einige Mühe, sie in dem engen Raum sachgemäß zu verstauen, und der Bräutigam konnte es als ein Glück betrachten, daß seine geringe räumliche Ausdehnung es ihm möglich machte, an ihrer Seite noch so eben mit unter zu kommen. So ist es immer gut, wenn Ehegatten sich ergänzen und ausgleichen.

Weniger Beifall fand das zweite Paar. Es bestand aus einem jungen Freunde des Hauses in einem Frack und glänzenden Zylinder, bei deren Bauart man die Körperformen des Jünglings nicht in genügender Weise berücksichtigt hatte, und der Brautjungfer Alwine, deren Führer er war. Konnte man die glückstrahlende Braut mit einem stattlichen, wohlbehäbigen Festbraten vergleichen, so glich die Brautjungfer Alwine der üblichen Knochenbeilage, die man gar sauber in weißen Mull eingewickelt hatte. Auch wurden unter den Umstehenden Zweifel laut, ob eine Tochter die Brautjungfer der eigenen Mutter sein dürfe. Aber ein weiser Mann, der einen Küster zum Vetter hatte und sich deshalb in solchen Dingen als Autorität fühlte, entschied: »Wenn diese Tochter nich die würkliche Tochter von ihre Mutter is, denn geht es.«

Obwohl die Trauung in dem geräumigen Dom stattfand, war die Kirche doch ziemlich gefüllt, denn außer daß der Bräutigam eine stadtbekannte Persönlichkeit war, besaß der Umstand, daß sich auf die wohlbehäbige Braut ein spätes Glück herabsenkte, für viele eine große Anziehungskraft, und man sagt, es hätten von jenen jungen Damen vorgeschrittenen Alters, die die Hoffnung auf ein ähnliches abendrotes Glück noch nicht aufgegeben hatten, nur wenige gefehlt. Unterdessen aber hatte sich vor dem Ausgang die Blüte der Straßenjugend des Reviers unter Führung ihrer Koryphäen versammelt, ja manche waren zu diesem Schauspiel aus entfernten Stadtteilen herbeigeeilt, und als nun Herr und Frau Mudrach vor der Kirche erschienen, um wieder in ihren Wagen zu steigen, da erscholl ringsum der allbekannte Warnungsruf: »Mudrach! Mudrach!« aber ohne daß sich die Rufer zur Flucht wandten, denn sie wußten sehr wohl, daß der eifrige und gefährliche Verfolger zurzeit durch die jungen und darum umso kräftigeren Bande der Ehe gefesselt war, wie Herkules von Omphale oder Simson von Delila, und gedachten sich an den Ausbrüchen seiner ohnmächtigen Wut zu weiden. Da aber machte Kollege Püttelkow plötzlich einen Vorstoß aus dem Hinterhalt, und obwohl er mit seinen stämmigen kurzen Beinchen zu einer wirksamen Verfolgung ungeschickt war, so zersprengte er doch wenigstens die Schar der jugendlichen Widersacher und trieb sie in die Flucht. Diese aber wandten sich dem Wege zu, den der Wagen auf der Rückfahrt nehmen mußte, stellten sich an den verschiedenen Straßenecken auf und begrüßten den Vorüberkommenden jedesmal mit jauchzendem Zuruf. Daß die Fenster dieses Wagens nicht von den fürchterlichen Blicken, die Mudrach auf solchen Auswurf der Menschheit warf, in tausend kleine Stücke zersprangen, ist als ein Wunder anzusehen. Dazu klagte er mit gebrochener Stimme über seine auf ewig erschütterte Autorität: »Gestern abend, das war sozusagen ein Mißgriff. Daß diese notorische Bande sich so benimmt, das sind kausaliter die Relikten von gestern. Aber ich will mich schon wieder restituieren, in integrum sozusagen. Mit Skorpionen will ich sie züchtigen. Die Visagen von dieser Delinquentenbande hab' ich mir wohl gemerkt. Adi Piepenbrinck kann sich auf was gefaßt machen. Ja, nämlich sozusagen.«

Die junge Frau Christiane Mudrach suchte ihn vergeblich zu beruhigen, das gelang erst der köstlichen Fleischbrühe des Hochzeitsmahles, die der Knochenbeilage ihre Kraft verdankte, und dem stattlichen Kalbsbraten, der das Ebenbild seiner Schöpferin war.

Am Polterabend hatte nämlich Mudrach harte Prüfungen zu bestehen gehabt. Zwar nicht durch die Aufführungen, Reden und Scherze der bewährten Freunde des Hauses, denn diese hatten sein Wohlgefallen erregt. Insonderheit machte es ihm Vergnügen, als Adolf und ich in gräßlichen Masken als die schauderhaften Einbrecher Puttfarken und Driebenkiel auftraten und diese sich rühmten, das liebende Paar zuerst zusammengeführt und den Bund ihrer Herzen veranlaßt zu haben. Ihr grausamer Verfolger habe sie in Eisen gelegt, sie aber in edler Rache und Selbstlosigkeit hätten dazu geholfen, daß ihn die sanften Rosenketten der Liebe gefesselt hätten. Wo da der größere Edelmut zu suchen sei, das wäre unschwer zu erkennen.

Alwine hatte sich in schwere Unkosten gestürzt und sich von dem Stadtgelegenheitsdichter Gottlieb Kriesche für einen ganzen Taler ein langes, gefühlvolles Gedicht eigens für diesen Zweck anfertigen lassen, bei dessen Vortrag sie dreimal stecken blieb und wobei ihr die Augen derart aus dem Kopfe quollen, daß man glauben konnte, sie würden niemals wieder den Rückweg in ihre Höhlen finden. Eine geheimnisvolle heisere Stimme aber, die unter der Tischdecke hervorkam und offenbar dem jungen Mann mit dem nicht für ihn erbauten Frack zugehörte, half ihr immer wieder zurecht. Gottlieb Kriesche hatte, wie jeder wirkliche Dichter, seine literarischen Gegner, und gelber Neid sowie eine seichte Kritik entblödeten sich nicht, an seinen Erzeugnissen zu mäkeln.

In der gelesensten Zeitung hatten sogar einmal zwei Verse gestanden, als Inserat natürlich, denn anders hätte dieses Gift wohl keine Aufnahme gefunden, die lauteten:

»Kriesche, lat dat Dichten wäsen!
Vör dine Vars' dor ward mi gräsen!«

Hier aber fand seine gemütvolle Poesie Beifall, auf den stattlichen Wangen der Braut war großes Perlenwettrennen, und der Bräutigam schnob am Schluß heftig in sein rotbuntes Taschentuch, und in seinen Heldenaugen schwamm es.

Ähnlichen Beifall ernteten die altbewährten Scherze und rührseligen Sentimentalitäten, wie sie bei solchen Anlässen gebräuchlich sind, kurz, es war ein schöner Abend. Dazu hatte Mamsell Kallmorgen einen Punsch gebraut, sanft wie Öl und feurig wie die Hölle, nach Herrn Wohlands bewährtem Rezept, und in der Küche war eine Tafel gedeckt, besetzt mit den köstlichsten kalten Gerichten, in die sie ihre ganze Seele gelegt, an die sie ihre ganze Kunst gesetzt und bei denen sie keine Kosten gescheut hatte. »Polterabend hat'n meist man einmal in's Läbent, das muß denn auch sein' richtigen Schick haben,« sagte sie.

Aber wovon hat dieser geräuschvolle Abend seinen Namen? Heimlich im Dunkel der Nacht schlich das Unheil heran. War es Kabale, war es Verschwörung? Es ging das Gerücht, die vielen jugendlichen Freunde, die sich der Bräutigam durch die gewissenhafte Ausübung seines Berufes in der ganzen Stadt geschaffen hatte, seien schon seit Wochen tätig gewesen, überall zerbrochenes Geschirr, gesprungene Töpfe und ausgediente Schalen zusammenzubetteln oder auf irgend eine andere Art in ihren Besitz zu bringen, um durch die angemessene Verwendung dieser zusammengesparten Schätze diesen Abend besonders festlich zu gestalten. Die Straßenbeleuchtung, noch dazu in den abgelegenen Nebenstraßen, war noch sehr mangelhaft, nur in weiten Abständen schwankte eine trübe Ölfunzel an einer von Haus zu Haus gespannten Kette über der Straße und hatte, wenn sie brannte, nur den Erfolg, daß sie die Tiefe der herrschenden Dunkelheit besser erkennen ließ; in Nächten aber, wo der Kalender Mondschein vorschrieb, pfuschte man diesem, der das Geschäft der nächtlichen Beleuchtung schon seit Äonen von Jahren zur allgemeinen Zufriedenheit besorgt hatte, nicht ins Handwerk. Heut war nun eine solche Mondnacht, aber der himmlische Laternenmann hatte sich hinter einen dichten Wolkenvorhang zurückgezogen und saß wahrscheinlich mit dem Fuhrmann, dem Wassermann, dem Orion oder sonst einem trinkfesten Himmelsgestirn beim duftenden Grog. Aus der dichten Wolkenverhüllung aber ging ein sachter Fisselregen hernieder, und die Straße war dunkel, naß, einsam und still. Da schlich es vorbei auf der anderen Seite, dicht an den Häusern entlang, ein dunkler Schatten, den man nur bemerkte, wenn ein Lichtschimmer durch eine Ladenritze auf die Straße fiel oder wenn er sich von einem matt beleuchteten Fenstervorhang abhob. Gegenüber dem Mudrachschen Hause machte der Schatten Halt. Es lag trotz seines festlichen Innern ziemlich dunkel da, nur in dem kleinen Fenster über der Haustür zeigte sich ein matter Schimmer, und aus den geschlossenen Fensterläden leuchteten zwei herzförmige Ausschnitte als ein liebliches und passendes Symbol. Das festliche Getöse drang aber besser nach außen als die Beleuchtung, man hörte in schöner Abwechslung Gläserklingen, rauschendes Gespräch, Gesang, Gelächter und zwischendurch köstliche Musik, denn Kollege Püttelkow war ungemein musikalisch und spielte die Treckfiedel wie ein Gott. Aber alles dies verstummte plötzlich, denn der finstere Schatten erhob seinen Arm, es sauste etwas über die Straße und zersprang an der Mudrachschen Haustür mit einem Geräusch, das Wilhelm Busch, der große Onomatopoet, so vortrefflich mit »Klickeradums« wiedergegeben hat, daß ich mich nicht vermesse, Besseres zu erfinden. Ein schnell sich entfernender Laufschritt war alles, was von dem geheimnisvollen Schatten noch zu bemerken war.

Die feindlichen Mächte, die im Dunkeln schlichen, hatten nun offenbar erwartet, daß auf dieses Signal hin die Mudrachsche Haustür mit fürchterlichem Gezeter den unermüdlichen Verfolger ausspeien würde, allein da nichts dergleichen geschah und alles stille blieb, so schöpften sie Verdacht auf tückischen Hinterhalt, und es dauerte einige Zeit, bis sich neue Poltergeister heranwagten. Endlich aber nahten von der anderen Seite der Straße gleich drei Schatten mit einmal. Es war Adi Piepenbrinck mit seinen beiden rotnasigen Myrmidonen, die dem Helden gleichsam als Waffenträger dienten und ihm die weithintreffenden Geschosse zureichten. In dem finsteren Winkel einer Quergasse hatten sie einen ganzen Handwagen voll tönernen und anderen Gerümpels stehen, zu der die ganze Straße, die Adi Piepenbrinck seine Straße nannte und deren König er zu sein behauptete, in manchen Fällen wissentlich, aber zum bei weitem größeren Teile unwissentlich beigetragen hatte. Adi Piepenbrinck verfeuerte die ihm zugereichte Munition zielbewußt und fachgemäß und zog sich dann bescheiden zurück, während seine Gehilfen Neues aus dem Vorrat holten. Fünf Helden nahten dann wieder von der anderen Seite und gaben nach dem Kommando des Führers zwei Salven ab, die von furchtbarer Wirkung waren. Dann war Adi wieder gerüstet und machte Schnellfeuer, so gut er konnte, und schließlich kam die Sache so in Zug, daß kaum eine Sekunde ohne Krach verging und die von allen Seiten herbeigeschleppte Munition bald verschossen war. Ja, auch die Scharfrichterstraße ließ sich nicht lumpen, bald hier, bald da öffnete sich eine Tür, ein Schatten schlüpfte vorsichtig heraus und opferte ein Töpfchen, ein Schälchen, ein Kännchen oder auch nur ein Täßchen auf dem allgemeinen Scherbenberge. Zuletzt, als sich alle Teile schon verschossen hatten, kamen noch zwei begeisterte Knäblein gelaufen mit einem ungeheuren Topf, beinah so groß, wie sie selber. Sie waren ohne Furcht, denn was sie alle die Größeren tun sahen, hielten sie für erlaubt und ein verdienstliches Werk und gingen ganz nahe hinzu, erhoben mit gemeinsamer Kraft das Monstrum und ließen es auf den Scherbenhaufen fallen. Aber es gelang ihnen nicht, den Topf zu zertrümmern. Adi Piepenbrinck, der eben seine letzte invalide Bierkruke verschleudert hatte, lief herzu – denn edel sei der Mensch, hilfreich und gut – um ihnen beizuspringen. »Dei Pott is jo noch gor nich twei!« sagte er verwundert. »Schadet das was?« fragte das älteste Knäblein.

»Na, schaden dauhn deiht dat nix nich,« sagte Adi, »un nu paßt mal up!« Damit erhob er den Topf und schleuderte ihn auf die Steinschwelle, daß er in tausend Stücke sprang. Ein freudiges Jauchzen entrang sich den Lippen der Knäblein. Das war der letzte Schuß, der in diesem Scherbenkriege fiel.

Adi Piepenbrinck aber, reicher Erfahrung und langjähriger Weisheit voll, sagte bedeutungsvoll: »Nu juchzt dat noch. Nahst, wenn't wat vör den Blanken gifft, denn is dat anners.«

Die beiden Knäblein, die sich im Rausche über das niegesehene Schauspiel eiligst aus der mütterlichen Vorratskammer den schönsten und größten Topf geholt hatten, der zu finden war, um auch das Ihre zu diesem Freudenfeste beizutragen, gingen trüber Ahnungen voll nach Hause.

Mudrach aber hatte wilde Qualen der Hölle ausgestanden. Bei dem ersten Krach hatte er sich aufgebäumt wie das Schlachtroß beim Klang der Kriegsdrommete, seine Augen weiteten sich kampfesfroh, er fuhr nach dem Riegel, wo seine Mütze hing, und nach der Ecke, wo sein Stock, das Symbol seiner Macht, aufbewahrt wurde, und wollte eben mit riesigen Schritten hinaus, als ihn Mamsell Kallmorgen noch rechtzeitig beim Fittich ergriff und zurückhielt.

»Mudrach, laß ihr doch!« rief sie, »das hört'n mit ßu, Ein'n Polterabend ohne Poltern, das is ja gar kein Polterabend nich.«

»Christiane, das verstehst du nich,« rief er, »das ist ja sozusagen quasi Untergrabung der Autorität. Mein Renommeh, Christiane, wo bleibt mein Renommeh? Das Auge des Gesetzes darf sich doch nicht auf der Nase spielen lassen. Ja, nämlich sozusagen!«

Er beruhigte sich allmählich, als es eine ganze Weile still blieb, und gewann sichtlich die Hoffnung, es möchte bei diesem Einzelfalle bleiben. Mamsell Kallmorgen entwand ihm sanft die Mütze und den Stock und trug sie weg. Dann führte sie ihn an den Tisch in der Küche, schenkte ihm ein Glas Punsch ein und schob alle Gerichte, von denen sie wußte, daß er ihnen nicht widerstehen konnte, in seine Nähe und sagte: »Püttelkow, nu spielen Sie mal: Freut euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht!« Und Püttelkow tat es, und alle sangen, immer wieder die erste Strophe, denn weiter wußte niemand das Lied. Püttelkow aber, als ein pietätloser Spaßmacher, sang immer: »Flicket die Hose, eh sie verblüht!«

Draußen ging es aber plötzlich wieder: Bumm, Rack, Bumm, Rack, Klickeradums! in mehrfacher Wiederholung. Mudrach war nicht zu halten, er fuhr empor und suchte vergeblich Mütze und Stock. Dann stand er in furchtbarer Fechterstellung da wie ein gemalter Wüterich und rief: »Christiane, meine Mütze, Christiane, mein Stock. Ich muß! Mein Renommeh! Meine Reputation! Die gehn ja sozusagen ganz hin!« Mamsell Kallmorgen schob ihn in eine Ecke, wo sie ihm mit ihrer geräumigen Persönlichkeit den Ausweg verdeckte, und während der nun folgenden Salven, die ihn zusammenzucken ließen wie ein gesporntes Roß, redete sie eindringlich zu ihm und weitläufig, in der Hoffnung, ihn dadurch möglichst lange an den sicheren Ort zu fesseln. »Mudrach, du hast es mich gesworen, daß du mir liebst, du hast gesworen, daß du mir auf deine Hände tragen wollt'st, natürlich nich in Würklichkeit, das kann ich ja gar nich verlangen, abersten, wie einer so sagt in seine furchbar dolle Liebe, un das glaub ich ja auch, un nu ßeig' mich das auch mal un tu mich den einzigsten Gefallen un laß ihr doch, wenn es sie Vargnügen macht. Mich macht es auch Vargnügen. Wo nich ornlich düchtig gepoltert wird, das is gar keine richtige Hochzeit nich. Scherben bringen Glück, sagt das Sprüchwort. As meine Swester ihren Holländer geheurat't hat, da haben sie nachher drei Schiebkarren voll Pottschören weggefahren, un Pozzelan war da auch mit mang. Un was haben die nachher for ein glückliches Läbent gehabt. Allens is sie geglückt, und sie sitzen in's Fett.«

So redete sie unablässig mit ihm und kämpfte mit ihm und hatte einen schweren Stand, denn wenn die Salven kamen oder ein anhaltendes Schnellfeuer, da war er kaum zu halten und schrie nach seiner Dienstmütze und seinem Stock, die aber durchaus nicht zu finden waren, und ohne diese beiden Abzeichen seiner Macht ging er nun einmal nicht unter das rebellische Volk, weil er sich seiner Würde entkleidet fühlte. Er mußte sich begnügen, mit fürchterlichen Augen die Fensterläden anzustieren, hinter denen sich das Unsägliche, das Fürchterliche begab und Unbotmäßigkeit und Aufruhr ihre Orgien feierten. Doch eben aus dem Grunde, daß gar nichts geschah, ging draußen alles schneller zu Ende, auch trug wohl der stärker werdende Regen dazu bei, den Feind, der seine Munition bald verschossen hatte, zu vertreiben. Nur noch ein letztes, grausiges Klickeradums, und es ward still draußen. Mudrach aber war gebrochen, und sein Inneres mit Wermut gefüllt. Er mußte viel Punsch in sich hineinschütten, um diesen soweit zu verdünnen, daß nur noch ein angenehmes Bitter von ihm zurückblieb. Als er das aber erreicht hatte, überwältigten ihn die Aufregungen und Anstrengungen des Tages in Verbindung mit dem starken Getränk, so daß er in seinen Ehrenlehnstuhl zurücksank und mitten unter den fröhlichen Gesängen und der köstlichsten Treckfiedelmusik einschlief und anzuschnarchen fing, daß das Haus in seinen Grundfesten erschüttert wurde. Wie es weiter wurde, kann ich nicht sagen, denn Adolf und ich, da unsere Zeit gekommen war, verließen das schöne Fest, trotz alledem sehr befriedigt von seinem Verlauf.

Das Poltern hat aber doch seine günstige Wirkung getan, und es ist eine sehr glückliche Ehe geworden, in der auch das Fett durch Frau Mudrachs angenehmes kleines Vermögen nicht ganz fehlt. Auch äußerlich zeigt es sich dadurch, daß Mudrachs Röcke in allen Garnituren zu enge geworden sind, und seine Bewegungen behäbiger. Selbst bei Alwine gibt es schon allerlei liebliche Rundungen, wo sonst nur Kanten und Ecken zu finden waren. Auch das Haus hat sich innen und außen zu seinem Vorteil verändert. Es ist mit einer sanften Rosenfarbe neu angestrichen, und Tür und Fensterläden prangen in dem vergnügten Grün des ersten Frühlings. Inwendig ist der erlesene Geschmack Frau Mudrachs für reich belebte Tapeten, lackierte Fußböden und gemalte Decken ausgiebig zum Ausdruck gekommen, und die gute Stube, die jetzt alle ihre besten Möbel enthält, ist nun wirklich eine gute Stube und keine Schreckenskammer mehr. Wie hübsch der gelbe »Szicketehr« mit der alten Uhr darauf und das Eckbort mit den Rosentassen sich dort macht, ist nicht zu sagen. Über dem Sofa hängt aber neben dem Bilde des Hausherrn nicht mehr die selige Frau Mudrach, sondern die neue Frau Mudrach, die auch selig ist und »labendig« dazu. Krempelsetzer hat sie unter scharfer Aufsicht gemalt für ganze zwei Taler und zwei Flaschen Kümmel und hat sich selbst übertroffen. Er hat eine Gattin des Überflusses und des Wohlwollens in einer Haube mit rosa Bändern zustande gebracht, wie sie ihm noch nie gelungen ist und ihm auch wohl niemals wieder gelingen wird.

Auf dem Boden aber ist eine einsame Kammer, die nicht gebraucht wird, dort hängt die selige Frau Mudrach mit ihrem Brautkranz und über ihr Napoleon mit dem Mörderblick und zur Seite der Brand von Moskau und das Erdbeben von Lissabon, darunter aber Puttfarken und Driebenkiel. Man sagt, keine Maus wage sich jemals in diese Kammer, und das Fensterbrett ist mit gestorbenen Fliegen und Schmetterlingen bedeckt. Nur Mudrach verrichtet dort zuweilen den ruhmreichen Erinnerungen vergangener Tage eine stille Andacht. Frau Mudrach betritt diesen Ort niemals, wenn sie aber an ihn denkt, kommt ein leises, schauderndes »Igittegittegitt« über ihre Lippen. An das furchtbare Schnarchen ihres Mannes hat sie sich längst gewöhnt, obwohl es nun aus allernächster Nähe an ihr Ohr dringt, und nur, wenn er an einem besonders knastreichen Baumstamm herumsägt, wacht sie wohl einmal davon auf und hört ihm mit Behaglichkeit und Seelenruhe ein Weilchen zu. Denn sie weiß ja, das kommt von einem Mann, der immer da ist und immer bereit und immer derjenige, welcher, der wacht für sie.

* * *


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