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Es ist merkwürdig, wie wenig aus der ersten Zeit des Aufenthaltes an dem neuen Wohnort und in der Schule in meinem Gedächtnis haftet. Das mag wohl an der Fülle der Eindrücke liegen, die nicht stark und groß, aber alle neu waren, und wo einer den anderen immer wieder verdrängte. Als die Gebrüder Köhnke nur einen Tag ihren Glanz in unsere ländliche Einsamkeit geworfen hatten, wurden sie uns zu einer Erinnerung für's Leben, hier aber verschwanden die beiden schüchternen und furchtsamen Unzertrennlichen unter mehr als vierzig Mitschülern und waren in den Zwischenpausen, wo doch das Leben einer Schulklasse auf der Höhe schäumt, so gut wie gar nicht vorhanden. Hätten sie sich nicht in den Stunden selbst dadurch unliebsam bemerklich gemacht, daß sie stets präpariert waren, stets alles wußten und immer null Fehler hatten und als Muster aufgestellt wurden, so hätte man gar nichts von ihnen gemerkt. Vor den traurigen Folgen solcher Tugendboldenhaftigkeit schützte sie aber der Umstand, daß der Tyrann der Klasse, ein wohlgenährter Fabrikantensohn, sie als Bildungslückenfüller benutzte und mit diesen beiden fremden Kälbern kräftig pflügte. Es ging die Sage, daß sie alle Arbeiten für ihn machen müßten und dabei die Verpflichtung hätten, andere Wendungen zu wählen, als sie selber hatten, und der höheren Wahrscheinlichkeit halber zwei bis drei Fehler hineinzumachen. Diese Bedingung erfüllten sie mit blutendem Herzen. Dafür aber hielt er seine mächtige Hand über sie und behandelte sie wie frühere Machthaber ihre sogenannten Schutzjuden. Sonst war die Klasse zusammengesetzt aus den Söhnen angesehener Leute der Stadt und der umliegenden kleineren Städte, Pastorensöhnen vom Lande und den Abkömmlingen von Pächtern oder Gutsbesitzern. Diese waren meist, wenn sie auch an derber Gesundheit und erfreulicher Kraftfülle nichts zu wünschen übrig ließen, vom idealen Standpunkte des Schulmeisters aus als ein ziemlicher Ballast zu betrachten, denn in den wenigsten Fällen hatten sie für Humaniora etwas übrig. Sie waren nur unter beträchtlichem Druck und in sehr langsamem Tempo durch die Klassen zu schieben und verschwanden gewöhnlich schon bald nach ihrer Konfirmation, um irgendwo als Landwirtschaftslehrlinge oder, wie wir sagten, als Klutenperrer einzutreten und bei den idyllischen Beschäftigungen des Futterherausgebens und Dungstreuens ihr weniges Latein und ihr geringes Griechisch schleunigst zu vergessen.

Uns ging es auf der Schule zunächst ganz gut, sowohl bei den Lehrern, als bei den Mitschülern. Es zeigte sich, daß uns Onkel Simonis sehr gut vorbereitet hatte, so daß es uns keine Mühe machte, mitzukommen, und von den Anfechtungen, denen die Neulinge von den »Alten« so oft ausgesetzt sind, blieben wir verschont. Denn erstens waren wir beide wehrhafter Natur, und zweitens strahlte um unsere Stirnen das Glanzlicht heldenhaften Ruhmes; wir konnten der Klasse nur zur Ehre gereichen, und man suchte unseren Umgang. Hatten wir doch schon auf einer einsamen Insel ein Robinsonsleben geführt und dabei Abenteuer erlebt, wie sie in den schönsten Indianerbüchern nicht graulicher vorkamen. Wir hatten ein fürchterliches Komplott entdeckt und die Verhaftung zweier ganz prachtvoller Verbrecher herbeigeführt und uns dadurch die Freundschaft des sagenhaften Einsiedlers auf der Insel Uhlenberg erworben, über dessen Vorleben, Reichtum und Sonderbarkeiten phantastische Gerüchte in Menge verbreitet waren. Ja ich hatte sogar den wilden Mubrach gezähmt; sein Herz schlug sanft für mich, und der furchtbare Blick seiner Augen schmolz in eitel Wohlwollen dahin, wenn er auf mir ruhte.

Die Lust an wilden und verwegenen Taten, die den meisten Knaben dieses Alters tief im Blute steckt, stand in dieser Klasse noch in voller Blüte, und Indianergeschichten, Jagdabenteuer und gefährliche Reisen in unentdeckte Länder wurden auch von denen verschlungen, die sonst schwer zu bewegen waren, in ein Buch zu blicken, wenn sie nicht mußten. Die verschlungensten aller Bücher aber waren damals die sogenannten Lederstrumpfgeschichten, eine Bearbeitung und Zusammensetzung jener Cooperschen Romane, deren ständiger Held der brave Natty Bumppo mit der unfehlbaren Büchse, der wunderlichen Philosophie und dem sonderbaren inwendigen Lachen ist. Wer schwärmte nicht für die Abenteuer am See Glimmerglas, wer liebte nicht die letzten der Mohikaner, Unkas und seinen Vater, Chingaggook »die große Schlange«, wen erfüllten nicht die furchtbaren Abenteuer des gealterten, weltflüchtigen Lederstrumpfs in der Prärie mit prachtvollem Grausen! Wer jauchzte nicht, wenn im letzten Augenblick, da einer oder mehrere der Helden schon am Marterpfahl standen, und die Weiber schon mit Messern auf sie losgelassen werden sollten, und der Holzstoß schon glimmte, und die blutgierigen Feinde den lieblichen Sport übten, mit ihren Tomahawks haarscharf an ihnen vorbeizuwerfen, wenn in diesem fürchterlichen Augenblick, wo alles sichtlich unrettbar schief ging, plötzlich der scharfe Knall einer wohlbekannten, unfehlbaren Büchse ertönte und die Rettung da und alles wieder gut war!

Die Cooperschen Erfindungen hielten sich immer noch im Bereich einer gewissen Möglichkeit; doch auch ein anderes Buch, dessen Verfasser, Gabriel Ferry, den bunten Wundervogel seiner südländischen Phantasie unbekümmert schweifen ließ, wie er wollte, fand nicht weniger Beifall. Das Buch hieß »Der Waldläufer« und wimmelte von den prachtvollsten Abenteuern. War das nicht schön, wenn der Kanadier Pepe, Fabian und der arme, frisch skalpierte Gambusino, den sie gerettet hatten, auf der winzigen kleinen Insel im Fluß von den Indianern belagert wurden, die beide Ufer besetzt hielten? Sie hatten diesen zwar im Laufe des Tages durch ihre nie fehlenden Büchsen schon mannigfachen Abbruch getan, einen Nachtangriff, der dem Feinde große Verluste brachte, abgeschlagen und später einen Brander abgewehrt, der die Insel in Flammen setzen sollte. Diese war nämlich so entstanden, daß sich das Treibholz um einen schwimmenden Baum, der sich an der flachen Stelle mit den Wurzeln verankert hatte, ansammelte. Dies hatte sich im Laufe vieler Jahre begrünt und mit Erde bedeckt, Kräuter, Büsche und Bäume waren dort aufgeschossen, doch neues Treibholz hatte sich an der Oberseite der Insel angesammelt, das mit seinen dürren Resten dem Feuer Nahrung geben konnte. In der Nacht bedeckt sich der Fluß mit Nebel, aus dem nur die Wachtfeuer der Belagerer zu beiden Seiten des Flusses undeutlich hervorschimmern. Die Jäger denken an Flucht, denn die Belagerung der übermächtigen Feinde noch einen zweiten Tag zu überstehen, können sie nicht hoffen. Der riesenstarke Kanadier, ein furchtbarer Krieger, aber ganz unbeschreiblich edel, hat eine Idee. Er taucht lautlos unter die schwimmende Insel und findet, daß sie nur von einer starken, aber schon ziemlich morschen Wurzel am Grunde festgehalten wird. Nachdem er dies festgestellt und gehörig Luft geschnappt hat, taucht er zum zweiten Male unter. Nun beginnt unter dem Wasser ein furchtbarer Kampf. Die Insel zittert, bebt und schwankt in ihren Grundfesten, als wolle sie auseinandergehen. Aber die übermenschliche Kraft, mit der der Verfasser den edlen Kanadier ausgerüstet hat, gewinnt den Sieg. Plötzlich ein dumpfer Krach, und der Riese schwingt sich sofort wieder an Bord. Die Insel dreht sich sänftlich um sich selber, schwimmt langsam mit dem Strome davon, und die drei Helden sind gerettet.

Ihr Ziel ist das Goldtal, dessen Geheimnis dem jüngsten der Gesellschaft, Don Fabian de Mediana, von seinem, um der Kenntnis dieses Goldtals willen schmählich ermordeten Vater hinterlassen worden ist. Sie sind in der Nähe dieses Tales und erreichen es noch am selben Tage. Das ist nun aber ein Goldtal, wie es sich sehen lassen kann, da es nie seinesgleichen gehabt hat und auch gar nicht haben kann, weil sich Gold, eines der schwersten Metalle, immer in der Tiefe ansammelt und stets von Sand und Geröll bedeckt ist. Dieses fabelhafte Tal aber ist ganz erfüllt von Goldblöcken jeder Größe, die so gewaltig in der Sonne funkeln, daß einer der Goldsucher das Tal ganz mit Gras, Lianen und Schilf bedeckt, nur damit es nicht so grausam gen Himmel glänzt. Hier entspinnen sich nun neue, fürchterliche Kämpfe und Abenteuer, und Unwahrscheinlichkeiten werden auf Unmöglichkeiten zu Bergen getürmt, wie überhaupt im ganzen Verlauf des im Original vierbändigen Romans, von dem in der Bearbeitung für die Jugend, die wir lasen, allerdings nur die Fettaugen abgeschöpft waren. Aber da er in dieser Hinsicht eine sehr fette Suppe war, so kam schon etwas dabei heraus. Ich will nur noch erwähnen den weißen Renner der Prärien, das Pferd aller Pferde, das mit unbeschlagenen Hufen Funken aus den Kieselsteinen schlägt und für das, um es mit seiner Herde zu fangen, eine ganze Expedition ausgezogen ist. Als sie nun nach langen Vorbereitungen und Mühen die wilden Pferde mitsamt dem weißen Teufel, denn dafür wird es von allen gehalten, in den eigens dafür erbauten Korral eingetrieben haben, da wird der weiße Renner der Prärien ganz ungemein zornig. Er wütet unausgesetzt hin und her und stößt die anderen Pferde um, die ihm in den Weg kommen, bis er sich Raum zu einem Anlauf verschafft hat. Dann bürstet er los und fliegt wie ein weißer Blitz über den Balkenzaun von doppelter Manneshöhe. Das können die anderen Pferde nicht nachmachen, das hat nie ein Pferd gekonnt und wird nie eins wieder können, das kann nur der weiße Renner der Prärien von Gabriel Ferrys Gnaden. Überhaupt ist dieser Autor groß in der Schaffung stark gesteigerter Menschen und Tiere. Der skalpierte Gambusino ist am nächsten Tage schon ziemlich wieder munter, und als er das berühmte Kraut gefunden hat, das für skalpierte Schädel angezeigt ist, nach ein paar Tagen vollständig mobil. Einer der Hauptschufte der Kämpfe am Goldtal macht den edlen Kanadier und den tapferen Pepe dadurch unschädlich, daß er ihnen, die in Deckung liegen und nur ihre Büchsen zeigen, diese in den Händen kaput schießt. Das heißt, unschädlich kann man eigentlich nicht sagen, denn diese tapferen Helden bringen auch ohne Büchse noch eine erkleckliche Anzahl Feinde um, dadurch, daß sie bei einem Gewittersturm einen Ausfall machen und diese unter den flachen, aufgerichteten Steinen zerquetschen, hinter denen sie sich verborgen haben. Wie kann man aber dem Leser einen Begriff machen von der Schönheit der Donna Rosarita? Das geht nur, wenn man ihm rät, Venus, Helena, Kleopatra, Phryne, Ninon de Lenclos, und was es sonst noch für berühmte Schönheiten gibt, zu addieren und die Summe mit sich selbst zu multiplizieren.

Die menschlichen Ungeheuer, die in diesem Buche recht reichlich vorkamen, waren ausdividierte Überscheusale, doch die tapferen Helden, die sie bekämpften, edel bis zum Erbrechen, und ebenso war es mit den Indianern. Man glaubt nicht, aus welch einer Menge von treu- und herzlosen Schuften die feindlichen Stämme zusammengesetzt waren, doch die, die auf der Seite der Helden fochten, trieften von Edelmut. Doch eins hatten sie gemeinsam, für Skalpe schwärmten sie alle mit der Begeisterung eines Sammlers. Ich kann meinen Bericht über dies bemerkenswerte Buch nicht schließen, ohne des fürchterlichen grauen Bären zu erwähnen, der viel größer ist als ein Büffel und so stark, daß, wenn er sich einen solchen gegriffen hat, er diesen im Trabe in seine Höhle schleift. Und wenn man glaubt, daß dieser Trab ein gewöhnlicher Trab ist, da befindet man sich in einem erheblichen Irrtum. Nein, dieser Trab sieht zwar sehr gemächlich aus, aber er schafft so ungeheuer, daß ihm selbst der weiße Renner der Prärien auf die Dauer nicht stand halten könnte. Dieser grausame Bär wohnt auf einer Felseninsel, um die der Fluß sich gabelt, und nimmt dort die selbstgeschaffene Stellung eines Zolleinnehmers ein, indem er keinen Kahn durchläßt, ohne einen oder mehrere seiner Insassen als Tribut zu erheben und kurzfertig aufzuessen. Er ist der Schrecken der Gegend und kann außerdem so brüllen, daß sich der Donner des Himmels schamvoll verkriechen muß. Aber auch er wird durch den »brennenden Strahl«, einen der edelsten Indianer, die je das Skalpiermesser geschwungen haben, besiegt, allerdings nicht eher, als bis die Bestie von anderer Seite einen Pfeil in den Bauch, drei Axthiebe über den Schädel und zwei Kugeln in den Kopf bekommen hat, eine Behandlung, die das Ungetüm nicht wenig zum Zorn gereizt und sein Gemüt verdüstert hat. Aber der »brennende Strahl« besorgt es ihm dann und schneidet sich als Siegeszeichen die mächtige Tatze ab. Er hofft, die Blume der Seen wird lächeln, wenn sie diese unvergleichliche Trophäe sieht. Die Blume der Seen ist aber keine andere, als jene mit sich selbst multiplizierte Schönheitssammlung Donna Rosarita, in die sie alle, rote und weiße edle Helden sowohl, als weiße und rote Überschufte unmäßig verliebt sind.

Obwohl damals die Herstellung von Indianergeschichten noch nicht ganz wie jetzt zu einem Industriezweig geworden war, so gab es noch einige andere Bücher dieser Art mit schönen bunten Bildern, unter denen niemals die Rettung vom Marterpfahl im letzten Augenblick vergessen war. Uns aber stand fest, daß die beiden vorhin genannten Bücher die Perlen ihrer Gattung seien, und der phantastisch mit unglaublichen Gefahren und unmöglichen Abenteuern gespickte Waldläufer hatte fast noch mehr Freunde als der gemäßigtere Lederstrumpf, beide aber regten unwiderstehlich zur Nacheiferung an. Es gab denn auch am Ort verschiedene Indianerstämme, die an einsamen Orten der wald- und wasserreichen Umgegend ihre Wigwams und Jagdgründe hatten, wo sie Büffel und Hirsche jagten, auf den Kriegspfad gingen oder auch mit besonderer Vorliebe die Friedenspfeife rauchten. Das Bestreben nach Echtheit ging bei manchen sehr weit. Sie waren ausgerüstet mit Federkronen, Tomahawks, Bogen und Pfeilen, sie trugen an ihren Wampungürteln Skalplocken und eine Medizintasche und nannten ihre vortrefflichen, auf Zuwachs gemachten Schaftstiefel niemals anders als Mokassins. Auch verstanden sie es, mit Hilfe von Rotstein, Kreide und Kienruß eine Kriegsbemalung herzustellen, die bei zufälliger Begegnung mit holzsammelnden Weiblein abergläubische Furcht und sinnlosen Schrecken bewirkte, und wenn sie versuchten, die bilderreiche Sprache der Indianer nachzuahmen, kam kein vernünftiges Wort mehr aus ihrem Munde.

Auch in unserer Klasse hatte sich der vortreffliche Stamm der Comanchen aufgetan, und wir verdankten es wohl unserer ruhmreichen Vergangenheit, daß wir als »Neue« im Mai, da die Indianersaison schon begonnen hatte, aufgefordert wurden, diesem Stamm beizutreten. Die Jagdgründe der Comanchen lagen gar nicht weit von der Stadt und doch in einer ganz einsamen Gegend an einem etwa zwanzig Meter tief in das mit Kornfeldern bedeckte Hügelland eingeschnittenen schmalen See. Die Ufer waren zu steil, um noch beackert werden zu können, und hatten sich mit allerlei zum Teil undurchdringlichem Buschwerk und niedrigen Bäumen bedeckt, unten am See lief ein schmales Streifchen Vorland hin mit Weiden und Erlen am Rande, und das Wasser säumte ein Gürtel von Rohr, Schilf, Binsen und Pfeilkraut. Dort war man ganz aus der Welt und sah und hörte nichts von ihr. Nur das ebenso steile gegenüber liegende Ufer war sichtbar, der Himmel und der Spiegel des langgestreckten Sees, in der Ferne an seinem Ende von einer Wiese und sanft ansteigenden Hügeln begrenzt. Nur eins mahnte von Zeit zu Zeit an die Nähe der Kulturwelt, wenn nämlich in seltenen Zwischenräumen oben am Rande des Uferabhanges am südlichen Ende des Sees ein Eisenbahnzug vorüberdonnerte. Seltsamerweise trug aber der Umstand, daß dort ein Bahndamm vorüberging, dazu bei, der Umgebung dieses Sees die Einsamkeit zu erhalten, denn von der Stadt führte kein Weg zu ihm, und wollte man ihn erreichen, so mußte man den Bahndamm überschreiten, was verboten war. Das war für tapfere Comanchen auf dem Kriegspfade natürlich kein Hindernis, schreckte aber weniger starke und dabei gesetzesfreudigere Seelen genügend zurück. Es hatte sich die Taktik ausgebildet, sich einzeln und unter möglichster Deckung an diesen Bahndamm heranzupürschen und im geeigneten Augenblick, wenn die Aufmerksamkeit des Bahnwärters abgelenkt war, schnell hinüber zu schlüpfen. Es darf aber nicht geleugnet werden, daß der so tapfere und kriegsgewaltige Stamm der Comanchen dadurch, daß er dem Studium der Gewohnheiten eines Bahnwärters einen so großen Teil seines Scharfsinnes zuwendete, nicht gerade zur Erhöhung seines Ruhmes beitrug. Dieser Mann, gewissermaßen der Hüter unseres Paradieses, hieß, obwohl er gleich dem reichen Bauern Troll eine Gesichtsfarbe hatte »wie das Braun am Brote«, nur »das Bleichgesicht« oder der weiße Teufel, wahrscheinlich, weil er edlen Rothäuten feindlich gesinnt war.

Wir hatten, ohne von diesem Zerberus bemerkt zu werden, glücklich den vorher, wegen des tiefen Einschnittes, in dem er lag, von keiner Seite sichtbaren See erreicht, und als die Comanchen vollzählig waren, ging es an die Besichtigung der Jagdgründe. Der jüngste Krieger, der »zappelnde Wieting« (Weißfisch), brachte aus dem geheimen Arsenal für jeden Waffen herbei, schöne Bogen aus Eschenholz und Köcher aus Rinde mit Pfeilen von Schilfrohr, die an einem Ende durch Eintauchen in geschmolzenes Pech und Umdrehen in Sand beschwert worden waren, und ganz neue Tomahawks mit rot gebeizten Stielen, deren Beilflächen nicht durch Silberpapier, sondern durch Bekleben mit echtem Staniol ihren schimmernden Waffenglanz erhalten hatten, und kleine Schilder von Pappe, am linken Arm zu befestigen. Dazu für jeden einen Kopfreifen mit Federn geschmückt, nach Maß angefertigt und mit dem Indianernamen des Inhabers versehen. Diese Federkronen waren eine Erfindung des »künstlichen Bibers«, der das technische Genie des Stammes vorstellte und diese Waffen und Geräte teils selber herstellte, teils nach seiner Angabe anfertigen ließ. Sie gaben zugleich eine treffliche Schutzwaffe ab, denn ein Stück engen Drahtgeflechtes hing von ihnen hernieder, zum Schutze der Augen vor Pfeilschüssen. Diese Einrichtung erschien manchen als zu sybaritisch, war aber zum unverbrüchlichen Stammesgesetz erhoben worden, als dem »borstigen Igel« durch einen solchen Pfeil einmal eine gefährliche Verwundung am Auge beigebracht worden war. Alle Waffen und Geräte waren ganz neu und ein Geschenk des Häuptlings, der zugleich für den Mäzen des Stammes gelten konnte. Ihm stand, als Sohn eines wohlhabenden Fabrikanten, ein reiches Taschengeld zur Verfügung, das er schon von jeher zum größten Teil für das Wohl des Stammes verwendet hatte. In der letzten Zeit mußten ihm aber wohl noch größere Mittel zugefallen sein, denn seine Freigebigkeit war fürstlich geworden. Man munkelte von einer seltsamen Geschichte. Er sollte in dem großen Garten seines Vaterhauses in diesem Frühling auf einem frisch aufgeworfenen Maulwurfshaufen eine Topfscherbe und einen altertümlichen Taler gefunden haben. Dies habe ihn aufmerksam gemacht, er habe nachgegraben und in geringer Tiefe die Trümmer eines irdenen Topfes und zwischen ihnen einen ganzen Haufen Taler gefunden. Diesen Schatz habe er in einen Beutel getan und ihn in der Höhlung eines alten Birnbaumes verborgen, und dort hole er sich, je nach Bedarf, von Zeit zu Zeit eine Handvoll Taler heraus. Doch das alles war dunkle Sage, und man sprach nur heimlich davon. Auf diese neue freigebige Tat hin war der Stamm zu einer geheimen Beratung zusammengetreten und hatte beschlossen, dem Häuptling zu seinem Namen »der Grislybär« den Ehrentitel »die offene Hand« zu verleihen. Dieser prangte schon an seinem neuen Kopfreifen, der mit richtigen Adlerfedern geziert war, von einem alten, ausgestopften Fischadler, in den die Motten gekommen waren, während wir uns mit Truthahn- und Kapaunenfedern behelfen mußten. Durch diese neuen Reifen erfuhren wir auch die Namen, die man uns zuerteilt hatte, denn sie waren dort angeschrieben. Mich hatte man, wegen meiner auf dem Turnplatz bewiesenen Fertigkeit im Laufen und Springen, den »fliegenden Hirsch« genannt, während Adolf Martens, wegen seiner Körperkraft und der geringen Beugsamkeit seiner starken Glieder, den trefflichen Namen »der eiserne Bock« erhalten hatte. Die Namen waren sowohl ehrenvoll als zutreffend, und wir waren zufrieden.

Dann setzten wir uns unter Führung des Häuptlings in eine Reihe und begaben uns, einer in die Fußtapfen des anderen tretend, auf den Kriegspfad, zuerst auf dem Uferstreifen entlang, zur Linken den See, zur Rechten den steil ansteigenden, mit Gebüsch bewachsenen Abhang. Nach einer Weile betraten wir einen schmalen Fußpfad, der den Abhang hinanführte und auf dessen halber Höhe auf einen langgestreckten freien Platz, von dichtem Buschwerk umgeben, ausmündete. Der Uferabhang hatte hier überall in derselben Höhe eine schmale Terrassenbildung, die darauf schließen ließ, daß in uralten Zeiten das Wasser des Sees bis hierher gestanden hatte, wie man das öfter an solchen Seen findet, die der ausgrabenden Kraft früherer Gletscherströme ihren Ursprung verdanken. Am anderen Ende dieses Platzes stand ein kleiner Baum, ein Feldahorn, der ausnahmsweise nicht buschig gewachsen war, sondern auf einem Einzelstamm seine hübsche runde Krone trug. An diesem Ende aber lag, an der entsprechenden Stelle, ein Steinblock. Um diesen setzten sich alle in feierlichem Schweigen in das Gras, der zappelnde Wieting zog aus einem Sack, den er trug, eine prachtvolle Friedenspfeife hervor, nebst einem grellbunt gestickten Tabaksbeutel, von dem behauptet wurde, daß er echt indianisch sei, und überreichte beides feierlich dem Häuptling. Dieser stopfte die Pfeife mit einem Anstand, als begehe er eine geweihte Handlung, während der zappelnde Wieting neben ihm hockte und mit Stahl und Stein emsig pinkte, um das heilige Feuer zu entzünden. Als der Zunder brannte und eine feine, kleine Rauchsäule von ihm aufstieg, zeigte er ihn feierlichst herum und legte ihn dann mit der wichtigen Miene eines Priesters, der das Opferfeuer bedient, auf den Tabak. Der Häuptling, nicht minder von der Bedeutung dieser Handlung erfüllt, brachte die Pfeife kunstgerecht in Brand und blies dann feierlich einen Strahl von Rauch gen Morgen, einen gen Abend und einen geradeaus, Strahlen, wie sie nur ein großer Häuptling blasen kann. Dann gab er das Heiligtum dem Nachbar, dem »borstigen Igel«, der sein Vertreter und Adjutant war, und dieser tat dasselbe, wobei sein ungebändigter Haarwuchs, der ihm zu seinem Indianernamen verholfen hatte, drohend gen Himmel starrte und sich zwischen den Federn des Kopfschmuckes igelhaft emporwölbte. So ging die Pfeife weiter im Kreise, bis sie an den »kunstreichen Biber«, den »zappelnden Wieting« und an uns beide kam. Bei dieser Gelegenheit betrachtete ich sie mir genauer. Sie hatte einen jener großen, würfelförmigen rohen Meerschaumköpfe, aus der Zeit, als unsere Väter noch jung waren, und dieser war schwarz vom langen Gebrauch und über und über mit eingeschnittenen Namen und Anfangsbuchstaben bedeckt; die ganze Freundschaft des früheren Besitzers hatte sich darauf verewigt. Sie hatte ein Weichselrohr mit Bernsteinspitze und war verziert mit den Federn eines Vogels, den niemand kannte, der aber unbeschreiblich selten sein sollte. Man sagte, er lebe in Wäldern aus Gewürzbäumen, auf einer fernen Insel der Südsee, und habe nur zwei solcher Federn in seinem Schwanz, und an der Pfeife waren vier. Aus einer solchen Pfeife zu rauchen, war schon an und für sich ein Genuß, noch dazu, wenn es eigentlich überhaupt verboten war. Als das kostbare Stück wieder zum Häuptling zurückgekehrt war und seinen zweiten, weniger feierlichen Kreislauf begann, brach der Häuptling endlich das Schweigen: »Comanchen!« sagte er, »zwei junge Krieger haben an unserem Beratungsplatze mit uns die Friedenspfeife geraucht und sind gewillt, unserem Stamme beizutreten. ›Der fliegende Hirsch‹ und ›der eiserne Bock‹ sind jung nach ihren Jahren, aber ihre Herzen sind Männerherzen. In den Wäldern des Ostens singt man ihren Ruhm, und wenn man ihre Namen nennt, zittert ihren Feinden das Herz. In jenen Wäldern bedeutete der Knall ihrer Büchse sicheren Tod, und nie fehlte es ihrem Wigwam an Wild. Schrecklich waren sie auf dem Kriegspfade, Häuptlinge der Bleichgesichter haben sie an den Marterpfahl geliefert, und im Rauche ihres Herdfeuers dörren die Skalpe ihrer Feinde. Sie sind große Krieger, und der tapfere Stamm der Comanchen heißt sie willkommen, denn ihre Ehre ist nun seine Ehre, und ihr Ruhm ist nun sein Ruhm. Der Grislybär, genannt die offene Hand, hat gesprochen!«

»Hugh!« sagten alle Comanchen einstimmig und brachen dann, uns zu Ehren, in ihr Kriegsgeheul aus: »Huihiii! Huihiii!« und »Huihiii! Huihiii!« antwortete das Echo von dem hohen Ufer auf der anderen Seite des Sees. Wir waren fast niedergedrückt durch die hohen Ehren, die uns widerfuhren, obwohl wir gewissermaßen nur als Privatunternehmer gehandelt hatten und vorher nie das Glück gehabt hatten, einem so berühmten Stamme anzugehören. Da Adolf mich fortwährend puffte, ich möchte doch etwas erwidern, so suchte ich alle indianischen Redeblumen zusammen, die an meinem Wege blühten, und dankte in einem Stile ruhmrediger Bescheidenheit und aufschneiderischer Selbstherabsetzung, daß Herkules es nicht bester hätte machen können, als er unter die Götter aufgenommen wurde. Die Rede fand Beifall, und man schien allgemein der Ansicht zu sein, daß der Stamm der Comanchen durch uns eine nicht zu verachtende Bereicherung erfahren habe.

Dann setzte man uns auseinander, daß der Ort, wo wir uns befanden, den Beratungsplatz und zugleich eine Arena für Wettkämpfe darstelle und der Baum am anderen Ende den greulichen Beruf habe, als Marterpfahl zu dienen. Übertretungen der Gesetze des Stammes wurden fast alle mit Marterpfahl bestraft, in vielerlei Abstufungen für Zuspätkommen, unentschuldigtes Ausbleiben, Ungehorsam usw. Die geringste Strafe war, daß man dort eine Viertelstunde mit einer Hand angebunden wurde, am höchsten aber wurde der Verrat von Stammesgeheimnissen geahndet. Dann fesselte man den Sünder mit allen Gliedern an den Baum, doch so, daß der rechte Arm frei blieb. Sämtliche Krieger gaben ihm dann nacheinander ihre Verachtung kund, nannten ihn schwankendes Rohr, jämmerliche Unke, toter Kater, und was dergleichen herabsetzende Bezeichnungen mehr sind. Sodann wurde ein Kriegstanz um ihn ausgeführt, verbunden mit schrecklichen Lufthieben sämtlicher Tomahawks, und zuletzt beschossen ihn alle Krieger aus einer Entfernung von dreißig Schritten mit Pfeilen, wobei er sich seines Schildes an dem freien Arme zur Abwehr bedienen durfte. Außerdem verlor er auf vierzehn Tage seinen Stammesnamen und wurde so lange räudiger Hund genannt. Man sprach die uns ehrende Vermutung aus, daß zwei Krieger wie wir auch mit der geringsten dieser Strafen niemals Bekanntschaft machen würden.

Dann lenkte man unsere Aufmerksamkeit auf den Stein, der in unserem Kreise lag. Es war ein Stück Sandstein, wie man ihn zuweilen unter den Geröllen findet, und der kunstreiche Biber hatte auf seiner Oberfläche die Figur eines Tomahawks eingemeißelt. Dort lag das Kriegsbeil mit dem untergegangenen Stamm der Pawnees begraben. Die Pawnees hatten ihre Jagdgründe auf der anderen Seite des Sees gehabt, von den unseren geschieden durch diesen und die Aue, einen Bach, der den See durchströmte und durch eine schmale Wiese, natürlich eine Prärie, der Stadt zufloß, stark genug, um dort eine große Mühle zu treiben. Der See hieß der Mönkweder See nach einem an seinem fernsten Ende gelegenen Dorfe Mönkwede, bei uns aber wurde er nur wie im Lederstrumpf Glimmerglas genannt, und die Au nie anders, als der Gila. Das war jener Fluß, in dem sich im »Waldläufer« die berühmte schwimmende Insel befand. Eine solche auch hier anzubringen, war der sehnsüchtigste Traum des ganzen Comanchenstammes, leider hatten sich aber alle finsteren Mächte der Wirklichkeit dagegen verschworen. Der kunstreiche Biber hatte zwar einmal, mit Hilfe einiger Genossen, einen am Ufer umgefallenen Baum an der Wurzel mit großen, angebundenen Steinen beschwert, im schmalsten Teile des Sees, nahe vor dem Ausfluß des Baches, mühsam verankert und in die hervorschauende Krone allerlei Strauchwerk und Treibholz, sowie Rohr- und Binsenbündel verflochten. Sie hatten alle zusammen schwimmend und tauchend gearbeitet wie die wirklichen Biber, und die Comanchen sahen mit Stolz und Hoffnung auf dies herrliche Werk. Doch »die Elemente hassen das Gebild der Menschenhand«, und nach einem nächtlichen Gewittersturm war alles spurlos wieder davongetrieben.

Der Stamm der Pawnees war nie sehr zahlreich gewesen, aber er hatte den Comanchen das gewährt, was die schlagenden Studentenverbindungen ein Paukverhältnis nennen. Über den Gila und über den schmalsten Teil des Glimmerglas hinweg hatte man sich mit Pfeilen beschossen und Speere nach einander geworfen, ja einmal hatte eine freiwillige Abteilung der Comanchen den Bach durchschwommen, den Feind auf dem eigenen Jagdgebiet angegriffen, Wunder der Tapferkeit verrichtet und köstliche Siegestrophäen mit nach Hause gebracht. Aber die Pawnees waren vom Unglück verfolgt, und ihr Stamm schmolz zusammen. Einige ihrer Krieger hatten, nicht dem eigenen Triebe, sondern der Gewalt herzloser Väter folgend, ihren Austritt erklären müssen, andere hatten sich freiwillig zurückgezogen, und Füchse traten nicht mehr ein. So bestand der ganze Stamm zuletzt nur noch aus dem Häuptling und zwei tapferen Kriegern. Diese geringe Zahl vermochte den Comanchen keinen Widerstand mehr zu leisten, und so erschienen sie eines Tages, im Herbst des vorigen Jahres, mit grünen Zweigen an den Ufern des Gila und baten um Frieden. Sie setzten über den Bach, und nach einer endlosen Beratung, mit vielen schönen Reden, ward unter feierlichen Zeremonien das Kriegsbeil begraben, und der zusammengeschmolzene Stamm der Pawnees rauchte mit den Comanchen die Friedenspfeife.

Die drei einsamen Krieger haben dann noch einige Zeit dort gehaust, Kämpfe mit eingebildeten Feinden geführt, Kartoffeln und Äpfel in der Asche gebraten, den Ruhm ihrer eigenen Taten gesungen und das Dahinschwinden der guten alten Zeit beklagt. In diesem Frühjahr ist aber niemand wiedergekommen; der Stamm der Pawnees war erloschen.

Die Friedenspfeife war ausgeraucht, und nun ging es an die Arbeit. Der kunstreiche Biber zog aus einem Versteck im Buschwerk eine mannshohe Scheibe hervor, auf die er mit Farben einen sehr gräßlichen Indianer gemalt hatte, und lehnte sie an den Marterpfahl. Der zappelnde Wieting brachte richtig befiederte Pfeile mit eisernen Spitzen herbei und verteilte sie, und nun begann ein kleines Wettschießen, in dem wir zeigen konnten, was wir von dieser Kunst verstanden. Der Häuptling machte den Anfang und schoß mit lässiger Eleganz vorbei. Er habe den Wind nicht genug berücksichtigt, sagte er, obwohl sich kaum ein Blättchen rührte. Der borstige Igel, großartig wie immer, bot einen herrlichen Anblick, wie er dastand, gleich dem fernhintreffenden Apoll, und sein Haar sich noch höher borstete und seine Augen sich siegreich ins Ziel bohrten. Man wußte, wenn dieser gemalte Indianer wirklich war, so war sein Schicksal besiegelt, aber der borstige Igel schoß ebenfalls vorbei. »P!« sagte er, »das war wieder mal einer von den Pfeilen, die um die Ecke schießen! – Schund!« So ging es weiter, niemand traf, und jeder schützte einen anderen Grund vor, nur nicht den Mangel der eigenen Kunstfertigkeit. Dem einen war eine Fliege ins Auge gekommen, der andere meinte, mit einem solchen miserablen Bogen würde selbst Odysseus vorbeischießen, und der kunstreiche Biber, der die Verantwortlichkeit für alle diese Waffen trug, sagte, er habe das Zittern in der rechten Hand, als er ganz großartig vorbeigeschossen hatte. Aber unser Mut wuchs, wir konnten nun nicht mehr verlieren, sondern nur noch gewinnen, und siehe da, das Glück war uns hold, denn wir trafen nicht nur die Scheibe, sondern sogar den Indianer. Vielleicht war es auch noch etwas mehr als Glück, denn wir hatten beide eine sechsjährige Übung im Gebrauch dieser Waffe. Die Comanchen zeigten keine Neigung, das Wettschießen fortzusetzen, und es ward ein kleines Kampfspiel beschlossen, zu dem die Parteien ausgelost wurden. Denn sie mußten in Ermangelung eines Gegners ihre höchst notwendigen Kämpfe jetzt unter sich ausfechten. Beide Parteien marschierten, die unsrige unter Führung des Häuptlings, die andre unter der des borstigen Igels, einer in die Fußtapfen des andern tretend, nach verschiedenen Richtungen davon, um den nötigen Abstand voneinander zu gewinnen. Der Häuptling hatte einen neuen Plan, der sich auf eine Entdeckung des zappelnden Wietings gründete. Dieser hatte einen neuen Weg gefunden, der den steilen Abhang hinauf durch das zum Teil fast undurchdringliche Dorngestrüpp auf das hohe Ufer und an den Feldrand führte; auf diese Weise ward es möglich, die Gegenpartei zu umgehen. Darum verließen wir nach einer Weile den bequemen Weg am Wasser, wo wir heraufwärts marschierten, und wandten uns zur Erkletterung des Abhangs. Der zappelnde Wieting führte. Zuerst ging es ganz leicht, bald aber befanden wir uns in so dichtem Buschwerk von Schlehdorn, Hundsrosen und wildem Schneeball, daß wir nicht aus noch ein wußten. Der zappelnde Wieting aber bog an einer Stelle den wilden Schneeball beiseite, und es öffnete sich ein schmaler Durchweg. So erkletterten wir, uns fortwährend durch neue, unvorhergesehene Lücken windend, von Dornen angehakt und von zurückschnellenden Zweigen ins Gesicht geschlagen, ziemlich schnell den Abhang, und bald leuchtete der Himmel durch die letzten Büsche auf der Höhe. Hier mußten wir alle durch ein enges Loch kriechen und waren oben. Auf dem schmalen Grasrain zwischen Gebüsch und Kornfeld eilten wir dann gebückt und so lautlos wie möglich zurück bis zu jener Stelle unseres gewohnten Einganges zu diesem Tale, wo die Bahn dicht an dem hohen Ufer vorbeiführte. An einer Stelle unterwegs, wo am Rande des Ufers ein mächtiger Holunder aufgeschossen war, deutete der Häuptling abwärts und sagte: »Dort liegt unser Wigwam.« Es war aber nichts Besonderes zu sehen.

Wir stiegen nun gemächlich wieder an das Seeufer hinab und pirschten uns sachte an den Feind heran. Dieser zog, sorglos um seine Rückendeckung, langsam vor uns her, offenbar schon verwundert, unserer gar nicht ansichtig zu werden; zuweilen stieg einer oder der andere ein Stück den Abhang hinauf, um einen freien Ausblick zu gewinnen, aber vor ihm war nichts als das Rasseln des Rohres am See, das Wehen des Grases, das Flüstern der Büsche, der melancholische Gesang der Dorngrasmücken und zuweilen das Geschwätz eines Rohrsängers. Hoch oben am Feldrand spannen die Goldammern ihren fadendünnen Gesang, und verworrener Lerchenjubel tönte vom blauen Himmel herab. Überall war der tiefste Friede. Die Feinde schöpften offenbar Verdacht auf einen Hinterhalt, traten zusammen und sprachen mit leiser Stimme. Rückwärts zu blicken, fiel niemandem ein. Unterdessen waren wir geräuschlos unter Benutzung jeder kleinsten Deckung näher geschlichen in so zerstreuter Schützenlinie, wie der beschränkte Raum es gestattete. Der zappelnde Wieting stand Qualen aus während dieser Operation. Ihn befiel jedesmal bei solcher Gelegenheit ein derartiges Jagd- oder Kriegsfieber, daß er vor Aufregung zitterte und zappelte. Wer weiß wie oft erhob er den Bogen zum Schuß, und nur die eiserne Disziplin und eine dämpfende Handbewegung des Häuptlings hielt ihn zurück von voreiliger Tat. Endlich waren wir dicht genug heran, der Häuptling hob den Arm hoch, wir alle tauchten hinter unserer Deckung ein wenig hervor, und eine Salve von Pfeilen, der sogleich eine zweite folgte, sauste auf den zusammengedrängten und unvorbereiteten Feind. Die Wirkung war bemerkenswert. Der borstige Igel, an einem sehr prall bespannten Körperteil getroffen, bei dem Kriegswunden nicht für besonders ehrenvoll gelten, sprang hoch in die Luft, das Häuflein der Feinde fuhr wild durcheinander, und ehe es kampfbereit war, hatte es schon die zweite Salve, schoß dann, zur Flucht gewendet, hastige und ungezielte Pfeile ab und riß aus, um Deckung zu suchen. Diese fanden sie an diesem Orte nur in dem Buschwerk des Abhanges, und dort trieben wir sie bei der Verfolgung so in die Enge, daß sie weder rück- noch vorwärts konnten. Es war würdigerweise dieselbe Stelle, an der wir vorhin den Aufstieg bewirkt hatten, und so war der Kreis dieses bemerkenswerten Kampfes geschlossen. Die Feinde ließen sich ehrenhalber noch eine Weile »den Schild mit Pfeilen spicken«, wobei sie aber gar nicht spöttlich um sich blickten, und dann zog der borstige Igel die weiße Fahne auf, indem er mit seinem sehr graumelierten Taschentuch um Gnade wehte. »P!« sagte er dann nach dem Friedensschluß, »mit Heimtücke, das kann jeder. So kämpfen Sioux, die Schakale der Prärie. Auge in Auge und Brust gegen Brust, das ist Comanchenart.« Dabei rieb er sich heimlich jene Stelle, wo ihn mein Pfeil getroffen hatte. Adolf behauptete zwar, es sei seiner gewesen, doch das sind Sachen, die man sich leicht einbilden kann, wenn der Wunsch der Vater des Gedankens ist.

Der »Dienst« war damit beendet, und nun ging es zum Wigwam, dessen versteckte Lage zu den Stammesgeheimnissen gehörte, die keinem Fremden verraten werden durften, bei Strafe der höchsten Stufe des Marterpfahls und dem Nachteil, vierzehn Tage lang »räudiger Hund« genannt zu werden. Wir kamen an einen Ort, wo einige jener großen erratischen Blöcke lagen, die sich so vielfach im Lande finden; sie waren zum Teil in den Boden versunken und ragten meist nur mit ihrer Oberfläche daraus hervor. Diese Steine bildeten den Anfang des Weges zu der versteckten Räuberhöhle des Comanchenstammes, denn auf ihrer harten Fläche hinterließ man keine Spuren, und man konnte annehmen, daß der betretene Weg, der zu ihnen hinführte, auch hier ende, denn ringsum war scheinbar undurchdringliches Gebüsch, das an keiner Stelle einen Durchgang zu bieten schien. Der Häuptling aber, der uns beiden als Führer diente, damit wir den Weg kennen lernen sollten, hob den überhängenden Ast eines Baumes, der auf dem ansteigenden Abhang wuchs, empor und schritt über niederes Gestrüpp hinweg auf einen zweiten Stein, der im Gebüsch verborgen lag. »Keine Zweige knicken!« rief er uns zu, ließ den Ast los und war verschwunden. Wir ahmten ihm nach und fanden ihn am Ende des zweiten Steinblocks, wo es ein wenig in die Tiefe ging. Er sprang hinab, wir folgten ihm und gerieten in einen schmalen Gang, der zur Linken von Dornbüschen begrenzt und ganz überwölbt war von den überhängenden Zweigen des Teufelszwirns, der hier an dem steilen, steinigen Abhang in unbeschreiblicher Fülle emporwucherte. Es war fast dunkel dort. »An keiner Stelle«, sagte der Häuptling, »kann man in unseren Weg und in unser Wigwam von oben hineinsehen. Fein! Was?«

»Hugh!« sagten wir einstimmig, denn der Weg gefiel uns.

Am Ende dieses überwölbten Ganges stellte sich uns ein riesenhafter alter Dornbusch in den Weg, der sich aber, wenn man ein wenig den Abhang hinabstieg, seitwärts umgehen ließ; der Häuptling war schnell herumgeschlüpft, und als wir hinter dem Dornbusch auf einem kleinen, freien Platze anlangten, sahen wir niemanden, doch hörten wir, daß uns die übrigen Comanchen in einiger Entfernung folgten. Wir blickten uns ratlos um, bis wir endlich den Flötenruf des Vogels Bülow, den Erkennungspfiff der Comanchen, vernahmen und bemerkten, daß sich ein unterer Zweig des Buschwerks hob und das vergnügte Gesicht des Häuptlings dort hervorlugte.

»Bitte, nur hereinspaziert, meine Herren,« sagte er, »nun kommt der Glanzpunkt.« Wir hoben nun ebenfalls den Deckzweig und fanden einen künstlich mit Baumsäge und Messer hergestellten Gang durch das Buschwerk, das hier rings im Umkreis außerordentlich dicht war. Er war aber nur kriechend oder auf allen Vieren zu begehen, und ich höre noch heute, wie der steife Adolf Martens stöhnend hinter mir herschnaufte und sich über mangelnden Komfort beklagte. Wir kamen hinaus auf einen wieder mit bemoosten Felsblöcken bestreuten Abhang, zwischen denen die Büsche und das Gestrüpp weniger dicht wuchsen, so daß man sich ohne große Mühe dazwischen hindurch winden konnte. Wir stiegen ein wenig höher und gelangten auf eine schmale ebene Fläche, hinter der der höchste Teil des Ufers wieder steil und mit ganz undurchdringlichem Strauchwerk bewachsen aufstieg. Durch die obersten Wipfel sahen wir den hellen Himmel leuchten, und ich erkannte den drüber hervorragenden Holunder, der mir schon vorhin auf unserem Umgehungsmarsche aufgefallen war. Wir gingen auf ebener Fläche ein Stückchen weiter und traten plötzlich auf einen freien Platz, auf dem in der Mitte, wie ein niedriger Tisch, ein großer Felsblock aus dem Boden ragte, während rings die hohen Zweige des stattlichen Buschwerks ihn fast überwölbten. In den Seitenwänden dieser laubigen Halle zeigten sich ringsherum die schwarzen Eingänge dreier Hütten, die höhlenartig in das überwölbende Gebüsch hinein gearbeitet waren und deren dichtes Dach von Binsenbündeln und Schilfrohr auch bei dem stärksten Regenwetter genügenden Schutz gewährte. Ihre Fußböden waren dicht mit trockenen Blättern und Heu bestreut und gaben somit ein behagliches Lager, um nach kriegerischen Abenteuern der Ruhe zu pflegen.

Unterdessen waren auch die übrigen Comanchen herbeigekommen, und nun zeigte sich, daß allerlei künstliche Verstecke vorhanden waren, um die Besitztümer des Stammes unterzubringen. Es ergab sich, daß die geflochtenen Hinterwände der Hütten oder Höhlen doppelt waren; die innere konnte man öffnen, und dann zeigte sich eine Art Schrank, sehr wohl geeignet zur Bergung von Waffen und Geräten, und auch unter den niedrigen Dächern waren allerlei Höhlungen angebracht, die man von außen nicht vermutete. Das waren alles Einrichtungen des kunstreichen Bibers, der sich, wenn er im Lager war, ausschließlich damit beschäftigte, die Dächer noch dichter zu machen, als sie schon waren, das Geflecht der Wände zu verstärken und allerhand neue Erfindungen anzubringen. Er hatte in einem geschützten Winkel des Buschwerks eine ganze Niederlage von Schilfrohr, Binsen, Weidenruten und anderem Holzwerk, womit er so geschickt arbeitete wie ein Vogel, der sein Nest baut. Maßgebend bei der Anlage dieses Wigwams war, außer der verborgenen Lage, der Umstand gewesen, daß nicht weit davon abwärts eine kleine Quelle entsprang, gleich über jener schmalen Terrasse, die, wie schon gesagt wurde, überall in gleicher Höhe an dem Uferhang dahinlief. Der kunstreiche Biber hatte sie in ein Ende Holzrohr gefaßt, das er sich von einem Pumpenmacher erbettelt und mit Lehm und kleinen Steinen in den Abhang vermauert hatte, und darunter war ein Holzkasten eingegraben, in dem sich der feine Wasserstrahl, mit leisem Girren niedergehend, sammelte und, überfließend, weiter hinabrieselte.

Uns, als den jüngsten Mitgliedern des Stammes, wurde nun zur Erweiterung unserer topographischen Kenntnisse aufgegeben, diese Quelle aufzusuchen und Wasser herbeizuschaffen. Wir wurden jeder mit einem Lechel ausgerüstet, jenem hölzernen Tönnchen, in dem die Arbeiter ihr Bier mit zu Felde nehmen, und machten uns auf den wohlbeschriebenen Weg. Er war nicht schwer zu finden, denn als wir uns durch das Buschwerk zwischen den Steinblöcken hinabgewunden hatten bis zu dem schmalen Terrassenstreifen, hörten wir seitwärts schon das klingende Geriesel und brauchten ihm nur nachzugehen. Es dauerte eine Weile, bis unsere Lechel von dem schmalen Strahle gefüllt waren, und als wir zurückkamen, bot sich uns wieder ein neues Schauspiel dar. Eine der geheimen Schatzkammern hatte sich aufgetan, und auf dem großen Steintisch stand ein verbeulter und ungemein schwarzer Blechtopf, der aussah, als sei er vom Müllhaufen aus wieder zu Gnaden gekommen, eine sehr angestoßene Bunzlauer Kaffeekanne ohne Tülle und Deckel und eine ganze Schar von Tasseninvaliden, sämtlich ohne Henkel und sämtlich verschieden. Zwei davon waren in ihrem früheren Beruf offenbar Töpfe gewesen, aber Henkel hatten sie auch nicht. Ein anderer Krieger des Stammes der Comanchen, der sonst wenig hervortrat, war jetzt beschäftigt, auf einem Herde von Steinen kunstgerecht ein Feuer zu entzünden. Der »pomadige Waschbär« war sein Name. Ein stiller Jüngling mit grübelndem Blick, von langsamen Bewegungen und vorsichtigem Tun. Er beschäftigte sich in seinen freien Stunden nicht ohne Geschick mit physikalischen und chemischen Experimenten und war schon damals fest entschlossen, einstmals den ungebräuchlichen Beruf eines Chemikers zu ergreifen. Als Krieger stand er nicht gerade in hohem Ansehen, desto brauchbarer aber zeigte er sich auf jenem Gebiete der angewandten Chemie, das man Kochkunst nennt. Das Feueranmachen nun trieb er mit besonderer Kunst und Sorgfalt, denn es durfte nicht rauchen. Früher, in der guten alten Zeit, hatte man sich wenig darum gekümmert und wahrhaft pomphafte Rauchsäulen zum Himmel aufgesendet. Das hatte aber unerfreuliche Folgen gehabt. Einmal hatte dies einen Feldhüter hergeführt, der oben am Feldrand, wie Zeus aus der Wolke, ohne daß die Comanchen ihn und er sie sehen konnte, schreckliche Beleidigungen ausgestoßen hatte, indem er diese tapferen Krieger durch die Bezeichnung »Rümdriewer« und »infamtige Snäsels« in ihrer Ehre gekränkt und mit der Macht des Gesetzes gedroht hatte, und ein ander Mal war durch dieses Schauspiel das Bleichgesicht oder der weiße Teufel, nämlich der Bahnwärter, von seiner Strecke herbeigezogen worden, der ihnen so wie so nicht grün war, und hatte nicht minder ehrenrührige Worte gebraucht wie »Snappenlicker« und »Bambusen« und allerlei törichte Redensarten von »Anzeigen« und »up'n Puckel kamen« von sich gegeben. Beide aber waren Vertreter der Gesetzesmacht und sehr zu fürchten, deshalb hatte man das Feuerholz jedesmal still auseinander gezerrt, bis der Rauch verschwand, und der pomadige Waschbär hatte die Kunst ausgebildet, Feuer ohne Rauch zu machen. Entbehren konnte man es nicht; denn ein Indianerlager ohne Feuer ist wie ein Messer ohne Klinge und wie eine Rose ohne Duft, kurz ohne jede Poesie.

Als das Feuer nun durch vorsichtiges Drauflegen dünner und allmählich immer stärkerer, ganz trockener Hölzer zu einer stillen, mächtigen Glut gekommen war, füllte der pomadige Waschbär den schwarzen Blechtopf mit Wasser, nicht ohne ein Stückchen Soda hineinzutun, setzte ihn auf einige Steine, die aus der Kohlenglut hervorragten, und beauftragte den Gehilfen, den er angelernt hatte, das Feuer vorsichtig weiter zu unterhalten. Auf dem großen Steintisch hatten verschiedene der Comanchen Papierpäckchen mit gemahlenem Kaffee und Stückenzucker, die sie mitgebracht hatten, niedergelegt, Kolonialwaren, nach deren Herkunft wohlweislich nie gefragt wurde; diese prüfte der pomadige Waschbär mit Kennermiene und schüttete den Inhalt der Päckchen auf zwei Blechteller. Er fand die Menge ausreichend, füllte dann den kunstreichen, auf gemeinsame Kosten angeschafften Kaffeetrichter sorgsam durch eines der kleinen Blechgefäße, die man Lot nennt, weil sie gerade ein Lot des kostbaren Stoffes fassen, und setzte ihn auf die rundliche Madame aus Bunzlau, die, mit einem zufriedenen Glanzlicht geziert, breit und behaglich dastand. Als das Wasser kochte, ergriff er den schwarzen Blechtopf mit zwei bereitliegenden Lumpen an den Henkeln und brühte den Kaffee auf, allmählich nachgießend, alles mit so großer Sorgfalt und pomadiger Wichtigkeit, als hinge das Gelingen eines chemischen Experimentes davon ab, das einen neuen, noch unbekannten, aber ungemein wertvollen Stoff zutage fördern sollte.

Ein lieblicher Geruch nach Kaffee verbreitete sich und malte einen Zug von Behaglichkeit auf die Gesichter der Comanchen, die alle um den großen Stein herumhockten oder lagerten, nachdem sich jeder einer der invaliden Tasten oder Töpfe bemächtigt hatte. Ich vermißte den zappelnden Wieting und fragte nach ihm. »P!« sagte der borstige Igel, »das angelt, das sitzt egal weg am Glimmerglas oder am Gila und angelt Wietings. Manchmal kommt ihm da aus Versehen ein Gründling dazwischen oder ein Rotauge, aber meist sind es Wietings. Darum heißt er ja auch so. Aber schnurrig ist es, wenn er angelt, dann zappelt er gar nicht. ›Sah nach dem Angel ruhevoll, kühl bis ans Herz hinan,‹ wie in dem Gedicht von Schiller steht in unserem Lesebuch.« »Goethe!« wagte ich verbessernd zu bemerken. »P!« sagte der borstige Igel etwas entrüstet, »das ist ganz egal, wie die Kerls heißen, die die Gedichte für unser Lesebuch gemacht haben. Sie hätten das lieber ganz lassen sollen. Nun müssen wir die alten Dinger bloß auswendig lernen.«

Der pomadige Waschbär schickte nun seinen Gehilfen, einen jüngeren Krieger, »das weiße Kaninchen«, herum, den Kaffee einzuschenken, denn mit seiner Würde vertrug sich das nicht. Sahne gab es nicht dazu, denn die Comanchen waren Männer und tranken dies Getränk schwarz. Auch bedeutete es im Grunde gar keinen Kaffee, denn sein offizieller Titel war »Feuerwasser«, weil das indianermäßig klang und weil sowohl Feuer als Wasser bei seiner Bereitung eine erhebliche Rolle gespielt hatten.

Die offene Hand war im allgemeinen behäbig und schweigsam, das Reden besorgte sein Unterhäuptling, der borstige Igel. Da dieser nun aus einer Familie stammte, in der und in deren Bekanntenkreise alles großartiger, feiner und besser war als in irgend einer anderen Familie der bewohnten Erde, da seine Eltern, seine Geschwister, seine Onkel und Tanten, Vettern und Kusinen alle Genies waren und alle, die mit ihnen in Berührung kamen, durch den Glanz ihrer Vollkommenheit blendeten, und da in dieser gottbegnadeten Familie Mann, Weib, Knecht, Magd, Vieh und alles, was ihr war, von Vollendung triefte, sowohl nach der guten als nach der bösen Seite hin, denn man kann nicht allein mit Licht, sondern auch mit Schatten ruhmredig sein, so war er nie in Verlegenheit, was er zu sagen hatte, denn es konnte nichts vorgebracht werden, was nicht von irgend einem Mitgliede oder Freunde oder Vieh seiner Angehörigen schon viel besser gekonnt oder getan worden war. Unterdessen war mit geringerer Feierlichkeit als vorhin die Friedenspfeife wieder in Gang gebracht worden, und während diese herumging und der pomadige Waschbär eine zweite Auflage des Kaffees vorbereitete, entstanden allerhand Unterhaltungen. Das Stadtgespräch bildete zurzeit gerade der Konkurs eines Stückgut- und Materialwarenhändlers, der vor einem Jahre einen Laden aufgetan und durch seine eigentümlichen Geschäftsgewohnheiten eine ungeheure Kundschaft an sich gerissen hatte. In diesem Laden war alles und jedes billiger und dabei ebenso gut oder besser als in irgend einem anderen. Bezaubernde Don Juans bedienten das weibliche Geschlecht, insonderheit die Dienstmädchen, mit unbeschreiblicher Galanterie, das männliche mit unterwürfiger Höflichkeit und die Kinder mit dem Wohlwollen des besten aller Onkel. Bewunderungswürdig durchgebildet und abgestuft war das System der Zugaben in diesem Laden, und niemand verließ ihn, ob er nun für drei Taler oder drei Pfennige gekauft hatte, ohne einen entsprechenden Ehrendank, wobei ausgesprochenen Wünschen ein bereitwilliges Entgegenkommen gezeigt wurde. Einige schworen darauf, wenn man in diesen Laden trete und sich nur erkundige, wieviel die Uhr sei, oder wann der Zug nach Hamburg ginge, oder wieviel ein Brief nach Berlin koste, so gäbe es eine Handvoll Boltjes zu. Ach, ob es wohl noch Boltjes gibt, jene dunkelbraunen, dreieckig pyramidenförmigen Urbonbons, die so bezaubernd nach gebranntem Sirup und nach dem Materialwarenladen schmecken?

Die Inhaber ähnlicher Läden in der Stadt kamen aus Empfindungen, die ein Gemisch von sittlicher Entrüstung mit Ärger über schlechten Geschäftsgang darstellten, gar nicht mehr heraus und waren mit anderen weisen, erfahrenen und kopfschüttelnden Leuten der Meinung: Keinen guten Gang geht das nicht. Sie behielten recht; nach einem großen Schleuderausverkauf zur Erweiterung des Geschäfts ging die Sache glänzend zugrunde, und der Inhaber wurde wegen betrügerischen Bankerotts verhaftet. Das war also das augenblickliche Stadtgespräch, und das weiße Kaninchen, dessen Vater als Advokat in die Sache eingeweiht war, wußte als Neuestes zu berichten, daß es sich um einen Fehlbetrag von vielen Tausenden handle. So etwas wie sittliche Entrüstung malte sich bei dieser Kunde in den Zügen des borstigen Igels, und sein Haar sträubte sich zornig empor: »P!« sagte er mit unbeschreiblicher Verachtung, »das ist gar nichts: Als mein Onkel Emil in Amerika Konkurs machte, da handelte es sich um Hunderttausende, und das waren Dollars. Er hatte sich in Patentmedizin verspekuliert. Hunderttausend Dollars im Jahr gab er allein für Anzeigen aus, und doch ging's schief. Das machte ihm aber gar nichts aus, und nach zwei Jahren war er schon ganz gut wieder auf dem Damme, diesmal mit Glanzwichse. Mein Onkel Emil sagt, nirgends wird so viel Wichse verbraucht wie in Amerika, weil sich die Nigger jeden Morgen den ganzen Leib wichsen lassen, um fein auszusehen, und wenn der Amerikaner nicht Geschäfte macht oder an der Bar steht, läßt er sich egal weg unten die Stiefel wichsen, und oben liest er die Zeitung.«

Dieser Onkel Emil schien mir, wenigstens was die Gewohnheiten der Nigger betrifft, ein Spaßvogel zu sein, allein im Konkursmachen war er den einheimischen Pfuschern jedenfalls überlegen.

Das weiße Kaninchen aber fuhr fort zu erzählen: »Als nun bei Krempelmeier alles so furchtbar billig wurde bei dem Ausverkauf, da hatte mein kleiner Bruder, der noch bei Thiemig in die Vorschule geht, gerade von seinem Paten ein Achtschillingsstück geschenkt gekriegt. Und ging hin und kaufte sich für das ganze Geld Johannisbrot und Stangenlakritzen und Bruchschokolade und Sandzucker und setzte sich auf den Torfboden und aß den ganzen Kram mit einmal auf, denn er wollte mal sehen, wie das tut, wenn man sich von so was satt ißt. Es bekam ihm aber gar nicht schön, denn er kriegte furchtbares Leibweh und wurde ganz krank, und der Doktor mußte kommen und sagte, es wäre gastrisch, und er hätte 39 Grad Fieber. Den hat Krempelmeier auch auf 'm Gewissen, na, heut geht's ihm ja schon wieder besser.«

»P!« sagte der borstige Igel, »so'n bißchen gastrisches Fieber mit 39 Grad, davon spricht man doch gar nicht. Mein ältester Bruder, der jetzt in Berlin ist, hat mal das Nervenfieber gehabt mit 42 Grad, und sie mußten ihn immer in ganz kaltes Wasser stecken, damit er bloß nicht inwendig aufbrannte. Der hat überhaupt alle Krankheiten gehabt. Mit 'ner Augenentzündung kam er schon auf die Welt und mit dreiviertel Jahren wurde er von Zahnkrämpfen so steif wie ein Brett, und mit anderthalb Jahren starb er an der Lungenentzündung. Das heißt, sie glaubten alle, er wäre tot, er hatte aber noch zu viel vor von dieser Art, darum kam er wieder zu sich und kriegte mit drei Jahren die Röteln, mit vier die Masern und mit fünf das Scharlachfieber. Und dann wurde er lahm und konnte nicht ordentlich hören, das gab sich aber wieder. Dann fing es im siebten Jahre mit der Bräune an, und die hatte er bis zu seinem neunten Jahre alle Augenblick mal. Und wenn er eine Erdbeere oder einen Krebs aß, hatte er gleich das Nesselfieber. Einmal hatte er eine Krankheit, die es gar nicht gab. Der Doktor kannte sie nicht und sagte, es müsse eine ausländische Art sein. Der sagte überhaupt immer, wenn er zu was neuem gerufen wurde: ›Na, das hattest du wohl noch nicht in deiner Sammlung?‹ Als er das Nervenfieber kriegte, war er siebzehn Jahre alt, aber vorher hatte er noch dreimal die Grippe und dann das Asthma und dann den Veitstanz. Als er diesen hatte, hat er nach und nach so viel Arsenik eingenommen, daß man vier Gespann Pferde damit hätte vergiften können. Er hat überhaupt oft mehr von Medizin gelebt als von Essen und Trinken. Nach dem Nervenfieber hat er noch ein Vierteljahr gequient, und dann ist er gesund geworden und schön und kräftig, und hat ihm bis jetzt nie wieder was gefehlt. Er ist Kaufmann geworden, und weil er immer für das Elegante war, hat er sich der Tuch- und Seidenbranche zugewendet, hat die Handelsschule in Leipzig besucht und spricht französisch und englisch wie Wasser. Jetzt ist er in dem berühmten Seidenhause von Peter Michel & Co. in Berlin.«

»Was macht er denn da?« fragte das weiße Kaninchen, das offenbar diese Geschichte ebenso wie wir noch nicht kannte.

»Er repräsentiert!« riefen die übrigen Comanchen im Chor, und einige gaben ein törichtes Gelächter von sich.

»P!« machte der borstige Igel entrüstet. »Was der Bauer nicht kennt ... Dummheit lacht! ... Jawohl, er repräsentiert das alte, berühmte, vornehme Geschäft und bedient nur die vornehmste Kundschaft, die Gräfinnen, die Baroninnen und die reichen Bankiersfrauen. Wenn mein Bruder sie bedient, dann kaufen sie alles, was sie sollen, und mehr, als sie wollen. ›Herr Kullerhahn, Sie sind ein Juwel!‹ hat sein Chef erst kürzlich zu ihm gesagt.

In dem Kreise der Comanchen lief wieder ein höchst törichtes Lachen um, zusammengesetzt aus höhnischem Grunzen und ironischem Gemecker, und dazwischen klang es im Chor: »Herr Kullerhahn, Sie sind ein Juwel! Hei, dor sitt'n Brümmer anne Wand, Brümmer anne Wand, Brümmer anne Wand! Herr Kullerhahn, Sie sind ein Juwel!«

Der borstige Igel wurde sehr zornig. »P!« fauchte er und hätte vielleicht noch was hinzugefügt, allein der zappelnde Wieting kam plötzlich aus dem Gebüsch hervor, setzte seine Angelrute und ein flaches, etwas schmieriges und triefendes Zigarrenkistchen beiseite und sagte: »In einer Viertelstunde kommt der Abendzug, es ist Zeit! Als ich dort unten am Gila saß und angelte – die Lachse bissen wie verrückt heute abend – kam das Bleichgesicht, der weiße Teufel, und kuckte über den Uferrand überall herum. Er sah mich nicht, und da ihr auch gerade still wart, merkte er auch nichts von euch. Er schien falsch zu sein – ihr habt ihm wohl wieder seinen Kies vertrampelt. Dann drohte er mit der Hand und sagte was, was ich nicht ganz verstand, aber es klang wie: ›Verfluchtige Bengels ...‹ und ›... anzeigen‹ ›... mal wissen, wat 'ne Hark is ...‹ Wir müssen heut gleich hinter dem Abendzug über die Bahn wutschen, sonst lauert er uns noch auf!«

Man sah das ein, und während der zappelnde Wieting seinen aufgehobenen Kaffee trank, wurde schnell alles weggeräumt und in Ordnung gebracht. Dann schlich sich die ganze Gesellschaft einzeln, auf dem geheimnisvollen Wege, nach dem Ende des Tales und lauerte, vom Gebüsch gedeckt, auf den fälligen Abendzug. Ein vorgeschickter Späher sah, daß der Bahnwärter, bereits mit der Fahne in der Hand, vor seiner entfernten Bude stand, um zur rechten Zeit seines Dienstes zu warten. Ein leises Summen kam aus dem Boden und verstärkte sich allmählich. Dann hörte man über das Feld her ein eiliges Rattern und Pusten, eifrig, hastig und immer lauter, und ehe man es gedacht, sauste mit schmetterndem Donnergeklirr der Zug vorüber. In den hinter ihm auswirbelnden Staub hinein schlüpften wir eilig über die Schienen und ihr niedriges Kiesbett, und ehe der deckende Zug dem Feinde die Aussicht wieder freigegeben hatte, waren wir hinter einer niedrigen Bodenwelle seinen Blicken entschwunden.


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