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11

Die Zusammenkünfte an dem tief eingeschnittenen Mönkweder See, dem Glimmerglas, wie wir ihn nannten, fanden wöchentlich zweimal statt, am Montag und am Donnerstag von 5 bis 7½ Uhr etwa, und wir nahmen von nun ab an allen diesen Sitzungen teil. Dieser Ausdruck ist nicht ohne Absicht gewählt, denn es zeigte sich, daß die guten alten Sitten schon ziemlich dahin waren und der geschäftliche Teil, also die Waffenübungen und Kampfspiele, kurz das eigentliche Indianerwesen, eine immer geringere Rolle spielten. Die Sitzungen um den großen Stein bei dem Wigwam, mit Kaffeekochen, Eierkuchenbacken und Knackwurstschmäusen, und das Rauchen von Friedenspfeifen wurden die Hauptsache. Der pomadige Waschbär brachte sogar, schon das zweite Mal, als wir teilnahmen, einen schwarzbraunen Bitterschnaps mit, den er nach einem berühmten Rezept in seinen chemischen Retorten destilliert hatte. Der furchtbare Geschmack dieses teuflischen Mördertrankes verhinderte, daß durch ihn größeres Unheil angerichtet wurde, denn jeder, der davon trank, hatte seinen ganzen Männerstolz und das volle Maß seines indianischen Gleichmutes nötig, die Gefühle zu verbergen, die dieses grausame Getränk in ihm erzeugte. Es zog den Mund zu einem schraubenförmigen Gebilde zusammen und füllte die Augen mit Tränen. Als die beiden berühmten wirklichen Indianerhäuptlinge, »die blutige Hand« und »der geriebene Fuchs«, einmal in Washington an einem Diner teilnahmen, sahen sie, wie zum Roastbeef eine Schüssel mit einem gelblichen Brei herumgereicht wurde, von dem sich alle nur sehr wenig nahmen. Sie hielten dies darum für ein sehr kostbares Gericht und füllten sich davon ordentlich auf ihre Teller. Der geriebene Fuchs verhielt sich abwartend, die blutige Hand aber führte sofort einen Eßlöffel voll der kostbaren Delikatesse zum Munde. Da diese nun aber aus dem schärfsten englischen Senf bestand, so waren seine Gefühle unbeschreiblich, und er mußte seine ganze indianische Kraft in der Ertragung von Körperqualen aufbieten, um seinen Gleichmut zu bewahren, konnte jedoch nicht verhindern, daß einige große Tränen an seinen Wangen herabliefen. »Mein Bruder, warum weinst du?« fragte der geriebene Fuchs mit lauernder Miene. »Es war das Lieblingsgericht meines Vaters,« sagte die blutige Hand mit Gefühl, »und ich mußte dabei seiner gedenken, der vor einem Jahre im Arkansas ertrank.«

Der geriebene Fuchs ließ sich betölpeln und nahm ebenfalls einen Löffel voll des teuflischen Breies. »Mein Bruder, warum weinst du?« fragte nach einer kurzen Weile die blutige Hand. »Ich weine darum, weil es mich schmerzt, daß du damals nicht mit ihm im Arkansas ertrunken bist.«

Mehr oder weniger mit ähnlicher Würde benahmen sich die Comanchen, besonders die offene Hand. Er goß den fürchterlichen Saft hinter, versuchte mit Glück, der unwillkürlichen Schraubenbewegung seines Mundes den Ausdruck inniger Befriedigung unterzulegen, sah sinnend vor sich hin und sagte, als er die Herrschaft über seine Sprachwerkzeuge wieder erlangt hatte: »Melodisch!« Aber obwohl dies in allen Geschmacksachen sein höchstes Urteil bedeutete, verlangte er nicht nach einem zweiten. Der borstige Igel, der sich anderswo zu tun gemacht hatte, war zufällig der letzte, der dran kam. Er goß das Getränk mannhaft hinab, und als er endlich so weit war, die Lippen wieder aneinanderpressen zu können, sagte er natürlich: »P!« und fuhr nach einer kleinen Erholungspause fort ... »Das ist noch gar nichts. Mein Onkel Emil hat einen, der ist noch hundertmal bitterer. Den trinkt er, wenn er Hamburger Aalsuppe gegessen hat, oder wenn ihm sonst mal nicht so recht extra ist. Das ist ein Männergetränk und furchtbar gesund. Aber auf einem Bein kann der Mensch nicht stehen!« Damit hielt er sein Glas zum zweiten Male hin, und der pomadige Waschbär schenkte ihm schmunzelnd wieder ein. Uns stand aber heute noch eine zweite Überraschung bevor, denn der zappelnde Wieting wickelte aus einem sehr feuchten Packpapier jene schmierige tropfende Zigarrenkiste aus, die uns schon bei der letzten Zusammenkunft aufgefallen war, und setzte sie auf den Tisch oder vielmehr auf den Stein des Hauses.

»Was ist denn das?« fragte jemand. »Anchovis!« sagte schamhaft der Wieting, »selbstgemachte!« Es stellte sich heraus, daß er in ein paar Tagen diese Weißfische zusammengeangelt und sauber mit viel Salz, Pfeffer und Lorbeerblättern in einer Zigarrenkiste eingemacht hatte. Die offene Hand nahm den Deckel ab. »Na, aussehen tun sie ganz richtig,« sagte er billigend. Dann witterte er mit der Nase drüber hin; es roch nach Pfeffer, Lorbeerblatt und Zigarrenholz und gab daneben einen eigentümlichen Duft von sich, den man wohl, milde ausgedrückt, pikant nennen konnte.

»Es war ein bißchen warm in den letzten Tagen!« sagte die offene Hand ahnungsvoll. Der zappelnde Wieting verstand ihn nicht ganz und meinte, die oberen wären vielleicht noch nicht ganz durch, die unteren hätten aber schon länger gezogen, die müßten schon ganz echt sein. Er holte die Gabel und den Teller herbei, denn diese Geräte kamen nur in der Einzahl vor, räumte die oberen Fische ein wenig beiseite, holte die Ungeheuer der Tiefe hervor und legte sie auf den Teller. Der pikante Duft mehrte sich und stieg empor wie eine Opferwolke für den Gott der Fliegen. Der Teller ging herum, aber niemand wollte heran an das scharfe Gericht, was den zappelnden Wieting tief betrübte. Nur dem borstigen Igel, der unterdes in seinem törichten Großmannsdusel schon den dritten großen Bittern mit der heuchlerischen Miene der Genußsucht hinunter gegossen hatte und einen Duft von sich gab, wie eine Apotheke, war der Geruchs- und Geschmackssinn so betäubt, daß er ohne weiteres einen der verhängnisvollen Fische am Schwanze ergriff und ihn tapfer kauend hinuntergleiten ließ. Er hatte sich aber fast zu viel zugetraut, denn da das Tierchen mit der schärfsten Salzlake getränkt und ganz in Pfeffer gehüllt, aber inwendig noch ganz roh und, wie gesagt, schon ein wenig sehr pikant war, so hatte er seine ganze Kraft und seinen ganzen Männerstolz nötig, es hinunterzuwürgen. Und schrie: »Das Biest ist noch nicht tot, es beißt noch. Es muß ertränkt werden. Auf drei Beinen kann der Mensch nicht stehen!« Und ließ sich den vierten Bittern einschenken. Als er diesen hinter sich hatte, sagte er: »P! Pikant ist noch ganz was anderes!«

Dem zappelnden Wieting aber wurde aufgegeben, seine Delikatessen wieder in die Zigarrenkiste zu tun und sie an einer möglichst entlegenen Stelle zu begraben, an einem Ort, wohin weder Sonne noch Mond scheint. Zuvor aber wurde ihm die Wahl gestellt, entweder drei dieser Fische selber zu essen oder eine halbe Stunde am Marterpfahle zu stehen. Er wählte ohne Besinnen den Marterpfahl und zog traurig ab, seine Toten zu begraben.

Der borstige Igel war unterdes ganz still geworden; er druckste vor sich hin und sah krampfhaft in die Ferne. Zuweilen, wenn er sich nicht beobachtet glaubte, zog sich sein Mund gewaltig in die Breite, und er schauderte zusammen, als ob seltsame und traurige Gefühle in ihm wach würden. Endlich ließ er sich eins der mit Wasser gefüllten Tönnchen reichen und trank es in einem Zuge fast leer. »Der Fisch muß ersäuft werden!« stammelte er dann. »P! Pikant ist noch ganz anders. Mein Onkel Emil ...« Und dann erhob er sich ohne jeglichen Grund, aber sehr blaß und schwankte davon.

»Aber abseits, wer ist's?
Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad,
Hinter ihm schlagen
Die Sträuche zusammen.
Das Gras steht wieder auf,
Die Öde verschlingt ihn.
Ach, wer heilet die Schmerzen
Des, dem Balsam zu Gift ward.«

Als er nach längerer Zeit wieder zurückkehrte, war sein Wesen gedämpft und elegisch, und seine Züge trugen den Ausdruck der sanften Schwermut eines, der um einer guten Sache willen leidet.

An dem folgenden Nachmittage am Anfang des Junis ward das Stiftungsfest des Stammes begangen. Um diese Zeit vor zwei Jahren hatten sich einige unternehmende Quintaner, deren einzelne noch jetzt »aktiv« waren, hier den ersten Wigwam erbaut und diese Jagdgründe in Besitz genommen. Reden sollten am Beratungsplatz gehalten werden, ein Wettschießen und Kampfspiele sollten stattfinden, und den Beschluß sollte eine festliche Orgie bilden mit Brauselimonade, Eierkuchen und Knackwürsten. Da dies natürlich einige Kosten machte, so war eine Umlage ausgeschrieben von acht Schillingen für jeden Krieger, was bei den trübseligen Taschengeldverhältnissen der meisten nur in den ersten Tagen des Monats zu ermöglichen war und auch wohl auf die Lage dieses Festes einigen Einfluß ausgeübt hatte. Der kunstreiche Bieber kam mit seinem Lieblingsvorschlage, den Abend durch eine ungeheure Kanonade zu beschließen. Er habe schon für die Kanonenschläge ein Dutzend geschnürte Hülsen, mit geleimtem Bindfaden umwickelt, so allmählich fertig gemacht, es fehle nur die Pulverfüllung und die Lunten. »Na, und wie das knallen wird zwischen den hohen Ufern!«

Dieser Gedanke hatte natürlich etwas Berauschendes, und einen würdigeren Abschluß solcher Feier konnte man sich nicht denken. Doch die Besonnenen waren dagegen, denn diese geräuschvolle Unternehmung hätte allzusehr die Aufmerksamkeit auf unser schon sowieso bedrohtes Paradies gelenkt und den Feinden einen erwünschten Grund gegeben, uns gänzlich daraus zu vertreiben. Erst vor kurzem hatten wir von unserem Wigwam aus eine Unterredung des weißen Teufels mit dem Feldhüter angehört, worauf dieser zum See hinabgestiegen war und überall die Gegend durchsucht hatte, natürlich ohne unseren geheimen Schlupfwinkel zu entdecken, zumal da wir uns mäuschenstill verhielten. Schließlich, nachdem er die Umgegend mit beleidigenden Redensarten erfüllt hatte, zog er unverrichteter Sache wieder ab. Wir wagten aber an diesem Abend nicht, diesen Ort an der gewohnten Stelle zu verlassen, sondern machten uns einen großen Umweg am See entlang bis zu dem Dorfe Mönkwede, wo wir den öffentlichen Bahnübergang benutzten und auf der Chaussee zur Stadt zurückkehrten, denn wir fürchteten, anders in einen Hinterhalt zu fallen. Auch wurde beschlossen, von jetzt ab immer diesen beschwerlichen Umweg zu wählen, um unbemerkt und unbeobachtet von Bleichgesichtern und Genossen an Ort und Stelle zu gelangen.

Am Nachmittage des festlichen Tages boten die tapferen Krieger der Comanchen einen sehr friedlichen Anblick dar, als sie einzeln und in kleinen Trupps, die sich unterwegs zusammengefunden hatten, die Chaussee nach Mönkwede entlang wanderten. Eine Neigung zu der friedlichsten aller Wissenschaften schien sie alle gleichmäßig zu beseelen, denn ein jeglicher war mit einer stattlichen Botanisierkapsel ausgerüstet. War das doch die unausfälligste Art, den nötigen Proviant, vor allem den »Schaumwein des weißen Mannes«, nämlich die Brauselimonade, zu befördern. Es darf nicht verschwiegen werden, daß auch an diesem geheiligten Tage das eigentliche Indianerwesen jämmerlich zu kurz kam. Zunächst wurde der zappelnde Wieting verurteilt, acht Tage lang den Namen »der duftende Anchovis« zu führen, und dann, an den Marterpfahl gebunden, seine Strafe zu verbüßen. Doch nach einem kleinen Kriegstanz um ihn herum, mit Tomahawkschwenken, wurde diese ihm, zur Feier des Tages, in Gnaden erlassen. Die Reden am Beratungsplatz waren zwar sachgemäß, aber kurz und ohne Feuer; die Friedenspfeife ging nur einmal herum. Das Wettschießen und das Lanzenwerfen nach dem Ziel wurde mit Nachlässigkeit betrieben und die Kampfspiele ohne rechten Ernst. Diese litten offenbar darunter, daß das Kriegsgeheul untersagt war, und ohne dieses sind indianische Kämpfe wie eine Suppe ohne Salz und ein Hahn ohne Schwanz, der nicht krähen kann. Zudem verloren wir durch den doppelten Umweg über eine Stunde der kostbaren Zeit, und auch dies trug dazu bei, daß alle diese Formalitäten in Hast und Eile erledigt wurden. Endlich saßen und lagerten wir alle wieder um den großen Stein herum, und bei jedem stand die invalide Tasse oder das henkellose Töpfchen, die heute zu dem hohen Range von Schaumweinkelchen erhoben waren. Um jede Störung zu vermeiden, war allen aufgegeben worden, sich der gedämpften Rede zu befleißigen, was der ganzen Sitzung etwas Geheimnisvolles, Feierliches und Verschwörermäßiges gab. Leider mußten wir heute auch des festlichen Lagerfeuers entbehren, denn der pomadige Waschbär traute sich nicht zu, die heutige Leistung ohne Rauchentwicklung zu bewältigen, und hatte darum eine große Flasche voll Spiritus mitgebracht, aus der er mit dem Kaffeemaß immer so viel in einen Blumentopfuntersatz gab, als für einmal nötig war. Es war sehr hübsch zu sehen, mit welcher Feierlichkeit und Abgemessenheit er abwechselnd Mehl und Wasser in die große Kaffeekanne gab und mit dem einzigen Holzlöffel durcheinander rührte, wie er dann mit Geschicklichkeit die Eier am Rande der Kanne anklopfte und ihren Inhalt hineinschlüpfen ließ, wie er weiter mit der nachdenklichen Miene eines Weisen und fühlenden Fingerspitzen das Salz hinzu tat und schließlich triumphierend einen mitgebrachten Quirl hervorzog und die Masse kräftig durcheinander wirbelte. Sein Gehilfe, das weiße Kaninchen, saß unterdes mit nicht minderem Gefühl seiner Wichtigkeit da und schnitt Speck in schöne, weiße und gleichmäßige Scheiben. Und welch ein köstlicher Duft erhob sich, als dieser in der sehr schwarzen und fettglänzenden Pfanne freundlich prätzelte, und ward noch schöner, als sich mit verheißungsvollem Geschrei der weiße, flüssige Teig aus der braunen Kanne über die schwarze Pfanne verbreitete, sich sofort an den dünnen Rändern lieblich bräunend. Wenn sämtliche Mäuse aus der ganzen Umgegend jetzt ihre Schnüffelnäschen unter dem Gebüsch hervorgestreckt hätten, würde sich niemand gewundert haben, so schön roch es. Als der erste Speckpfannkuchen nun gewendet und fertig war, ließ ihn der pomadige Waschbär auf den Teller gleiten, und das weiße Kaninchen brachte ihn dem Häuptling dar. Dieser teilte ihn mit Weisheit und Gerechtigkeit in acht Teile, und jeder nahm sich von dem wandernden Teller das seine, indem er sich seiner ihm angeborenen fünfzinkigen Gabel mit Geschicklichkeit bediente. Dann ging das weiße Kaninchen herum und legte auf jeden Platz eine Knackwurst von dem berühmten Garschlachter Wildau in der Schmiedestraße und füllte die Tassen und Töpfchen mit dem köstlichen, schäumenden Trank. Dazu zirpten die Eierkuchen des fleißigen Waschbären in der Pfanne, ringsum sangen die Grasmücken im Gebüsch, die Ammern am Feldrand und die Lerchen aus der Höhe. Die Rohrdrossel am Seeufer warf ihr knarrendes: »Karre, karre, karre, karre, kiek, kiek!« dazwischen, die Zweige und Blätter flüsterten im leichten Wind und ließen runde Sonnenkringel zwischen ihren Schatten auf dem flachen Steine tanzen, und die drei schwarzen Eingänge der Wigwamshöhlen starrten wie die geöffneten Rachen hungriger Ungeheuer auf uns hin. Der pomadige Waschbär war bald genötigt, die Kaffeekanne zum zweiten Male mit dem köstlichen Teige zu füllen, und als er dann wieder zu backen begann, trat ein Zwischenfall ein, der uns anfangs mit Besorgnis erfüllte, denn auf der Höhe über uns, bei dem großen Holunderbusch, ließen sich Stimmen vernehmen. Wir beruhigten uns aber bald, denn aus dem Gespräch der beiden ging hervor, daß es wahrscheinlich zwei Tagelöhner waren, die auf dem Felde bis zur Dunkelheit zu tun hatten und nun im Begriff waren, im Schatten des Holunderbusches ihr Vesperbrot zu verzehren. Sehen konnten wir sie nicht, aber der zappelnde Wieting oder vielmehr der duftende Anchovis, der alle Schliche dieser Gegend kannte, wand sich wie eine Schlange zwischen und unter dem Buschwerk an dem Abhang empor bis an einen undurchdringlichen Dornstrauch, der aber durch eine Lücke unter ihm einen Blick hinter den Holunderbusch werfen ließ. Er kam bald wieder herunter und bestätigte unsere Vermutung. »Ich war so dicht heran,« sagte er, »daß ich den einen mit einem kurzen Stock hätte pieksen können. Die wissen übrigens von nichts.«

Die beiden Männer hatten sich eine Weile stillschweigend mit ihrem Speck und Brot beschäftigt; da sagte der eine plötzlich: »Du, wo rükt dat hier einmal nach Pannkauken, Pussehl, rükst du dat nich?« »Ja, wat du seggst, Vadder Milhahn, na Pannkauken rükt dat.«

»Un richtigen Speckpannkauken is dat, seggst du nich ok, dat is Speckpannkauken?«

»Ja, den'n Geruch na is dat Speckpannkauken, Vadder Milhahn.«

»Nu frag ick man, wo kann dat hier na Pannkauken rüken. Dei Sak is nich richtig. Segg mal, glöwst du an dei Ünnerirdschen?«

»Ja, dat is nu so'n Sak, uns' Pastor will dat jo nich lieden. Un dor segg ick man: Kann sien, kann nich sien, kann äwer ok doch sien. Vertellt ward dor jo naug von.«

»Du weißt doch, ick bün ut Teschow, un diße Geschicht hett min oll Mudder oft naug vertellt. Dei hett dei beiden Knechts noch kennt, as sei 'ne lütt Diern wäst is. Dor is up't Feld so'n lütten Barg mit grote Stein un Durnbüsch up, dei heit dei Kläterbarg. Un mang dei Stein sünd son'n Löcker as Voslöcker, dor säten dei Ünnerirdschen noch hüt in wahnen. Dor sünd nu mal twei Knechts wäst, dei hebben dor pläugt, un wenn sei üm den lütten Barg rümkamen sünd, denn hett dat dor ümmer so schön na Pannkauken raken. Un as dei ein Knecht dor nu werre ran kümmt, un em dei Geruch inne Näs sticht, dor hett hei so för sick hen seggt: ›Ach, wenn'k doch ok so'n Pannkauken harr!‹ Un as hei nu ganz ran is, dor steiht dor'n Töller mit ein'n wunderschönen Pannkauken up. Dor hett hei dacht, wat kann dor sien, un hett em upäten, un hett em ok tau un tau schön smekt. Un hett seggt: ›Ick bedank mi ok välmals!‹ un hätt'n Schilling ute Tasch krägen un em up den Töller leggt. As nu nahst dei anner Knecht dor vörbi kamen is, hett dor richtig werre'n Töller mit'n Pannkauken stahn. Na, hei nich ful un frett em up. Na, nu is dei Slag, wo sei pläugt hebben, jo'n Braakslag wäst, un dor sünd bet tauletzt dei Käuh up gahn. Un dei Knecht is jo nu'n Snäsel wäst un hett sick so'n andrögten Kauhpannkauken upsöcht un den'n up den Töller leggt. Un hett ›Prost!‹ seggt un hett sick hägt, wat dat för'n feinen Witz wir. Is em äwer hellschen slecht bekamen un is em gahn as den afnähmen Mand un hett allerhand Suchten krägen, un tauletzt is hei so sachten indrögt. Den annern Knecht is dat äwer gahn as den taunähmen Mand un hett'n Kopp krägen as 'ne Körbs, un Kraasch as'n Bull, un mit'n Sack Weiten is hei tau Bähn danzt, as wenn't Kaff wir. Pannkaukens hebben bei Ünnerirdschen äwer nich eins werre hinsett'. – Ne, wo dat einmal blot schön rükt, ick krieg ollig'n Jieper up Pannkauken.«

Als sich diese Geschichte dem Ende näherte, unterhielten wir uns pantomimisch. Ich hatte den Anfang gemacht, und alle ahmten es nach. Man deutete auf den Eierkuchen, der sich gerade seiner Vollendung entgegenbräunte, dann auf den Teller, dann auf den duftenden Anchovis, und dann ließ man die deutende Hand den Abhang emporsteigen bis zu dem Orte, wo die beiden Leute saßen. Der duftende Anchovis begriff, und seine Augen funkelten. Er deutete auf den Eierkuchen, den Teller und sich und kroch dann symbolisch den Abhang hinauf. Allgemeines heftiges Kopfnicken belohnte seine Findigkeit. Und als nun oben der brave Pussehl, um auch seine Kenntnisse in diesem Fach zu beweisen, die schöne Geschichte von dem einbeinigen Unterirdischen erzählte, der so gewaltig schnell laufen konnte, schlängelte sich unser Abgesandter mit seiner Liebesgabe wie ein Aal den Abhang hinauf und schob durch die kleine Lücke in den dornigen Zweigen den Teller auf den Rasenfleck, wo die Leute saßen. »Ich mußte mich so lang machen wie 'ne Made,« sagte er nachher. Dann verkroch er sich dort.

Pussehl aber erzählte gerade: »Un dat Gedränk in den schönen Kraug smeckte den Buern ok tau schön. Un as hei nu seeg, wat för lütte, korte Beinen de Ünnerirdsche man harr, dat Krötending wir jo man drei Kees hoch, dor dacht hei: ›Ach wat, du neihst em ut mit den schönen Kraug!‹ Un reet ut as Schaaplerre. Dor makt dat lütt Wruck äwer ein grugeliges Geschricht, un dor keemen dei annern rut ut den Barg as so'n Immenswarm un all achter em an. Mit sin langen Schinken künnen sei äwer kein'n Stich hollen, blot ein wir dorbi, dei harr man ein Bein un sär tau sin Bein: ›Ein Bein, loop!‹ Un donn hüppt hei los as so'n Flöh, un't duert ok nich lang, donn is hei em dicht up dei Hacken. Dei annern äwer schreegen ämmer: ›Einbein, loop doch! Einbein, loop doch!‹«

Der zappelnde Wieting aber, dem die Geschichte zu lange dauerte, raschelte und knisterte in dem Gebüsch und pfiff durch die Zähne wie eine Maus, worauf sich Vater Milhahn plötzlich umsah und die spannende Geschichte seines Genossen mit dem Ausruf unterbrach: »Den Dunder, wat's dit! Dor steiht jo'n Pannkauken!«

Tiefe Stille folgte für uns diesem Ausruf, und selbst der zappelnde Wieting konnte nichts verstehen, da sich die beiden guten Leute, durch dies geheimnisvolle Wunder bedrückt, nur im Flüstertone miteinander verständigten. Endlich kroch er leise wieder näher und sah durch das Loch. Der Teller war verschwunden, und da für ihn von den beiden Leuten nur der untere Teil des Rückens sichtbar war, so konnte er nicht sehen, womit sie sich beschäftigten. Nach einer Weile hörte er das leichte Klappern eines kleinen Geldstückes und zog den Kopf weg wie eine Schildkröte, die sich in ihre Schale verkriecht. Als er aufs neue hinzusehen wagte, stand der Teller wieder da, aber ohne Pfannkuchen. Er wartete noch ein Weilchen, dann schob er sich sachte vor, und es gelang ihm, den Teller fast lautlos wegzunehmen. Es lag ein Schilling darauf, den er mit lautlosem Kichern in seine Westentasche steckte.

Als er sich nun sachte zurückzog, mußte er doch wohl ein kleines Geräusch dabei gemacht haben, denn plötzlich sagte die eine Stimme: »Warraftig, dei Töller is weg! Pussehl kumm, mi is dat hier tau grugelich. Will'n Enning wiere gahn, bet an dei Iserbahn, un uns dor upp dat Äuwer setten. Dor ward sick dat Kropptüg doch woll nich hen trugen. Ne, sowat! An'n hellen, lichten Dag! Na, nu sall mal einer kamen un seggen, dat gift kein Ünnerirdschen mihr«. Damit gingen sie schwerfällig davon, und der zappelnde Wieting rutschte vergnügt, so schnell er konnte, den Abhang hinab.

»Zappelnder Wieting,« sagte der Häuptling feierlich und mit gedämpfter Stimme, »sei uns gegrüßt! Der duftende Anchovis ist versenkt für ewige Zeiten im Glimmerglas, wo er am tiefsten ist. Räudiger Hund soll der heißen, der dich je wieder so nennt. Also haben wir beschlossen in feierlichem Rat. Ich habe gesprochen!«

»P!« wollte der borstige Igel schon sagen, allein er besann sich und ertränkte seine Bemerkung in Brauselimonade. Die anderen aber erhoben ihre Schaumweinkelche und murmelten: »Zappelnder Wieting, sei uns gegrüßt!«, tranken ihm zu und benutzten die wieder aufsteigende Kohlensäure, um sehr eindrucksvoll: »Hugh!« zu sagen.

Da wir nun durch den großen Umweg, den wir zu machen hatten, so viel Zeit verloren, so konnte zum Abschluß der Orgie nur noch eine Friedenspfeife geraucht werden, dann räumten wir alles beiseite und wanderten mit unseren Botanisierkapseln, in denen nur noch leere Flaschen klapperten, am Seeufer entlang nach Hause.

Am nächsten Zusammenkunftstage fand in der Schule vormittags in der Freiviertelstunde ein großes Palaver statt, denn der pomadige Waschbär, der zuweilen auch der pomadige Vernunftskasten genannt wurde, hatte den Vorschlag gemacht, dieses Fest als einen Abschluß zu betrachten und den Stamm der Comanchen aufzulösen. Oder man solle diese so unerträglich behinderten und jetzt auch schwierig zu erreichenden Jagdgründe aufgeben und in eine andere Gegend ziehen, wo eine Störung durch verdammungswürdige Bleichgesichter nicht zu befürchten sei. Der Redekampf wogte in einer Ecke des Schulhofes, während alle dabei zwischendurch heftig in ihre Frühstücksbrote bissen und ihre Meinungen mit vollem Munde von sich gaben, heftig hin und her, bis der Häuptling den Ausspruch tat, diese Frage könne nur nachmittags an Ort und Stelle entschieden werden, und eine große Beratung in Aussicht stellte. Dann läutete die Schulglocke und trieb uns alle in die Räume des alten Klosters zurück.

Am Nachmittag fanden wir uns auf dem Wege schon zufällig alle zusammen und kamen gemeinsam auf dem Beratungsplatze an. Wir beschlossen aber, heute gleich zu Anfang das Wigwam aufzusuchen und an diesem sicheren und verborgenen Orte unsere Beratungen abzuhalten, denn ein seltsames Gefühl der Unsicherheit beherrschte uns alle seit den letzten Ereignissen. Der zappelnde Wieting in seinem Feuereifer war wie gewöhnlich voran, wir jüngeren Krieger folgten auf dem Schleich- und Kriechwege, und zuletzt kamen die Bedächtigeren, am Schluß der Häuptling. Als Adolf und ich uns dem Wigwam näherten, sahen wir den zappelnden Wieting dort stehen, die Hände zum Himmel erhoben, als flehe er die Götter um Rache an. »Hugh!« sagten wir beide einstimmig, als wir sahen, was sein Herz also bewegte, und: »Hugh!« rief das weiße Kaninchen, das uns folgte. Ja, da zeigte es sich so recht, daß wir alle echte Indianer waren, denn alle, die da kamen, sagten weiter nichts als: »Hugh!« und starrten dann schweigend auf das Entsetzliche.

Nur der borstige Igel war wie immer nicht befriedigt. Doch, als er begann: »P! Das ist noch gar nichts! Mein Onkel Emil ...« da ward er gleich niedergezischt und ihm mit dem Marterpfahl gedroht. »P!« sagte er und schwieg verächtlich.

Unser Wigwam war nicht mehr. Oben von dem Holunderbusch her hatte der Feind den Abhang herab einen Gang durch das Gebüsch gehauen, und man sah an den verwelkten Blättern der Zweige, daß dies schon vor einigen Tagen geschehen sein mußte. Dann hatte er dort vandalisch gehaust. Unsere kunstreich geflochtenen Hütten im Gebüsch waren auseinandergerissen und die Dächer herabgezerrt worden. Dabei hatte man die Verstecke mit unseren Waffen und Geräten gefunden. Unsere trefflichen Tassen oder Schaumweinkelche und die altehrwürdige Kaffeekanne lagen in Scherben auf dem großen Stein verstreut, und in den weißlichen Aschenresten eines aus allem Verbrennlichen errichteten Scheiterhaufens waren die traurigen Reste unserer Bogen, Tomahawks, Schilder und sonstigen Waffen zu erkennen, sowie die unverbrennlichen Augenschutzgitter unserer vortrefflichen Federkronen. Ein Attila und ein Peter Arbues hatten sich verbündet, unser Heiligtum zu vernichten und zu schänden. Einer plötzlichen Eingebung folgend lief der zappelnde Wieting nach einem Dornbusch, unter dessen überhängenden Zweigen eine kleine Höhle in den Abhang gegraben war, in der die größten Kostbarkeiten aufbewahrt wurden. Er wälzte den Stein beiseite, der sie unauffällig verschloß, und zog mit einem halb unterdrückten Freudenschrei den Sack mit der Friedenspfeife und dem echt indianischen Tabaksbeutel, sowie den vortrefflichen Kaffeetrichter hervor. Freude malte sich auf allen Gesichtern, daß wenigstens diese Heiligtümer und Kostbarkeiten gerettet waren. Nun konnten wir unsere letzte Beratung wenigstens unter den gebräuchlichen Formen abhalten. Doch nicht an diesem Ort der Zerstörung, der einem neuen Einbruch des Feindes wehrlos offen stand, sollte sie stattfinden, nicht im Anblick der Trümmer ruhmreicher Waffen und anderer Zeichen einstmaligen Glanzes, nein, wir zogen uns auf die Mitte unseres Schleichweges zurück, wo es ein kleines, freies Plätzchen gab, von allen Seiten geschützt und gedeckt und nur dem Kenner geheimnisvoll verborgener Pfade zugänglich. Wir hockten dort im Kreise, und mit feierlicher Wehmut ward die Friedenspfeife entzündet und ging herum. Vergänglichkeit alles Irdischen bedeutete ihr Rauch. Was sind Hoffnungen, was sind Entwürfe! sprachen die leichten Wölkchen, die sich durch das Laubdach kräuselten und in dem unendlichen Meere der Luft spurlos verschwanden. Unterdes redeten die Comanchen mit gedämpften Stimmen, teilten sich Beobachtungen mit, sprachen Vermutungen aus und häuften Beleidigungen auf die Häupter der Feinde. Dann hielt der Häuptling eine schöne Rede. Er sprach von dem alten Ruhm des Stammes, von der Fülle seiner Taten und der Tapferkeit seiner Krieger. »Wo sind die Pawnees?« fragte er dann. »Sie schmolzen hinweg vor der Macht unseres Stammes, und was erblickt nun die Sonne, die auf jene herrlichen Jagdgründe schaut? Wogende Wipfel und wehendes Gras, aber die Pawnees sieht sie nicht. Ihre Lagerfeuer sind erloschen, ihre Pfeife dampft nicht mehr, und ihre Spuren sind verweht. Sollen auch wir dahinschwinden vor der Tücke und der Macht ruchloser Bleichgesichter? Comanchen, tapfere Krieger, sagt, was soll geschehen?«

Ein dumpfes, unbestimmtes Gemurmel erhob sich, nur der borstige Igel war gleich bei der Hand: »P!« sagte er, »das ist doch ganz einfach! Rrrache! fürchterliche Rache!«

»Die Macht des Feindes ist groß!« sagte ernst der Häuptling, »und hinter ihm steht das finstere Ungeheuer, der herzlose Dämon der Bleichgesichter, den sie das Gesetz nennen. Auch wißt ihr es: der große Geist will uns nicht wohl, und die höheren Mächte werden nicht mit uns sein. Ich habe gesprochen!«

Das war allerdings sehr richtig, denn unter dem großen Geist wurde der Direktor verstanden, dem das ganze Indianerwesen ein Greuel war, und unter den höheren Mächten die Väter, die von der Pflege indianischer Tugenden bisher sehr wenig Vorteile gesehen hatten.

»Ascher pack in, dei Markt is ut,« sagte der pomadige Waschbär, nüchtern wie immer. »Gah na Hus, min Jung, di früst, gah na Hus, min Jung, un warm di! Wat nich is, dat is nich!«

Mit diesen drei landläufigen Redensarten traf er allerdings den Kern der Sache, doch fand die Rede wenig Beifall. Der kunstreiche Biber hatte aber schon längst mit den listigen Äuglein gefunkelt, und nun rief er dazwischen: »Ich denk', nun wär' es Zeit!« »Wozu wäre es Zeit, kunstreicher Biber?« fragte der Häuptling würdevoll.

»Nun, zum Bombardement von Sebastopol!« sagte der kunstreiche Biber. »Zwölf Kanonenschlaghülsen hatte ich schon fertig, und gestern habe ich die dreizehnte gemacht, die ist 'mal so groß wie die andern, von dicker Pappe und mit Sacksband umwickelt und doppelt geleimt. Die ist für den Schluß, wenn der Malakow in die Luft springt. Na, das wird ballern! Es fehlt nur noch das Pulver.«

»Wie denkst du dir das, kunstreicher Biber?« fragte der Häuptling.

»Na, wenn ich das Pulver hab' – für 'n Dahler gehört da aber woll zu – denn füll' ich die Hülsen und mach' an jede eine Lunte – ich kann welche machen, die ganz langsam brennen – und die sind alle verschieden lang, so daß die Schläge nach und nach losgehen, wenn die Lunten auch alle zugleich angesteckt werden. Und dann werden sie so rund herum gelegt, daß die Lunten alle in einem Punkt zusammentreffen wie die Schwänze von so'n Rattenkönig. Und auf die Stelle, wo all die Luntenenden übereinander liegen, wird Pulver geschüttet und das wird aufgebluckt, dann brennen sie alle mit einem Mal. Und wer das angesteckt hat, macht, daß er wegkommt. Dann dauert es eine Viertelstunde oder zwanzig Minuten, bis der erste Schuß losballert, und er kann schon weit weg sein. Und hier, wo wir sitzen, ist ein wunderschöner Platz dazu. Und übermorgen Abend kann's losgehen, aber wo kriegen wir nur das Pulver her?«

In dem Grislybären, genannt die offene Hand, regte sich der Mäzen. Auch diesen letzten Abschiedsgruß an eine widerwärtige, feindselige Welt sollte der Stamm der Comanchen ihm zu verdanken haben, und der Taler in seiner Westentasche brannte ihm schon. Er warf ihn auf einen Stein, der im Grase lag, daß es klang, und rief: »Pulver genug, die Erde gegen den Mond zu sprengen! Nun, kunstreicher Biber, tu das Deine!«

Allgemeines Beifallsgemurmel lohnte diese edle Tat, und verschiedene Finger krabbelten zaghaft in verschiedenen Westentaschen herum. Sie kamen zum Teil unter dem Seufzen ihrer Inhaber leer wieder zum Vorschein, doch klimperten immerhin noch einige Schillinge zimperlich auf den Stein. Der zappelnde Wieting stiftete sogar Vater Milhahns fettigen Pfannkuchenschilling, den er sich eigentlich zum Andenken hatte aufheben wollen.

»Es langt reichlich!« sagte der kunstreiche Biber und steckte das Geld schmunzelnd ein, »aber wer hilft mir nun dabei? Machen will ich die Dinger gern, aber das Legen? Mich kennen sie hier alle wie einen bunten Hund, und wenn mich einer dabei sieht? Der weiße Teufel und das andere Bleichgesicht wissen sogar, wie ich heiße. Es ist solche Sache!«

Ich stieß Adolf an, und er nickte mir zu. Wir erboten uns dann als die jüngsten, den Bleichgesichtern noch unbekannten Krieger, die in der kurzen Zeit, die sie dem Stamme angehörten, noch wenig Gelegenheit zu ruhmreichen Taten gefunden hätten, dieses Abenteuer zu bestehen. Wir wären zwar junge Comanchen, aber alte, erfahrene Krieger – ein Murmeln des Beifalls ging durch die Runde – und würden dem Stamme Ehre machen.

So war denn diese Angelegenheit zur allgemeinen Zufriedenheit erledigt, und es schien mir fast, als wenn sich niemand zu dieser Ehre gerade drängte, besonders nicht der kunstreiche Biber, der, zwar an Anschlägen reich, bei der Ausführung immer gern im Hintergrunde blieb, und ebenso wenig der pomadige Waschbär, der überhaupt nichts für den Plan übrig hatte und immer nur murmelte: »Das schöne Geld, das schöne Geld, für so'n Unsinn.«

* * *

Wir haben später erfahren, daß der Pfannkuchen der Unterirdischen der Tropfen gewesen war, der den Zorn der uns feindlich gesinnten Bleichgesichter zum Überlaufen gebracht hatte. Die beiden Arbeiter hatten ihr wundersames Abenteuer noch am selben Abend dem Bahnwärter erzählt, und der Feldhüter war darüber zugekommen. Was uns nun aber als ein feiner Spaß erschienen war, hatten sie als einen gemeinen dummen Streich aufgefaßt, und ihren freien, aufgeklärten Geistern hatte es höchlichst mißfallen, daß wir mit dem Aberglauben dieser einfachen Leute ein nach ihrer Meinung frevelhaftes Spiel getrieben hatten. »Na, dei Oart Ünnerirdschen kenn ick!« hatte der Feldhüter gesagt. »Dat is nu äwer dat letzte Mal wäst. Dor ward morgen 'n Sticken vör stäken!« Am anderen Tage hatte er sich ein Handbeil mitgebracht und war mit dem Bahnwärter in unser Wigwam eingebrochen.

Mit unseren Jagdgründen war es nun für immer vorbei, aber dafür, daß wir nicht klanglos von ihnen schieden, sorgte der kunstreiche Biber in emsiger Tätigkeit. Wie er sich die nötige Menge Pulver verschafft hatte, war sein Geheimnis, aber als wir ihn nach der Verabredung am Tage der Tat, mit unseren Botanisierkapseln ausgerüstet, in seiner Wohnung aufsuchten, war alles bereit. Er führte uns in eine Kammer im Hofgebäude, die seine Werkstatt war, denn er war ein Basteler, der alles konnte und alles machte, und hier hatte er ganz sein Reich für sich. Dort lagen die Kanonenschläge auf einem Tische sauber bereit, ein jeder mit dem aus ihm hervorkommenden Zündfaden umwickelt, daneben ein Schächtelchen mit losem Pulver. Ehe der kunstreiche Biber dies alles in unsere Kapseln verstaute, legte er soweit wie möglich von dem Tische entfernt ein übriges Stück Zündfaden auf den Fußboden und schüttete auf beide Enden ein wenig Pulver. »So, nun seht mal nach der Uhr und paßt auf, wie lange es brennt, dies Stück ist gerade so lang wie der Zündfaden des ersten Kanonenschlages, und so lange er brennt, so lange habt ihr Zeit, um möglichst weit wegzukommen von dem Ort.« Damit zündete er das eine Häufchen Pulver an, und der Faden begann sachte zu glimmen. Während er einpackte, sagte er dann: »Die Schläge sind alle mit Rotstift numeriert. In dieser Reihenfolge legt ihr sie und, so weit es geht, auseinander und die Fäden so, daß sie alle auf einen Punkt zusammentreffen, na, ihr wißt ja. Du hast Nummer eins bis sieben, und du hast Nummer acht bis dreizehn. Und dann paßt mal auf, wie Nummer dreizehn ballern wird. Ich habe gestern noch eine Lage Sacksband drumgeleimt. Wenn die Bleichgesichter den hören, fallen sie auf den Rücken.«

Wir empfanden alle die geistige Vorfreude dieses Genusses mit hoffnungsreicher Seele und widmeten uns dann der Beobachtung des glimmenden Funkens, der wie das langsam kriechende Verderben auf das Pulverhäufchen an seinem Ende zuschlich. Zehn Minuten waren bereits vergangen, und die Mitte des Weges war überschritten. »Die Sache funktioniert, was?« sagte der kunstreiche Biber. »Jetzt könntet ihr schon wieder dicht bei Mönkwede sein.« Dann verkürzte er uns die Langeweile, auf das schleichende Fünkchen zu warten, durch immer wiederholte Anweisungen und Mahnungen, unsere Sache gut zu machen. »Und seht zu, daß ihr vor dem Regen fertig werdet, denn heut abend kommt ein Gewitter, gegen das können wir nicht anballern, und die Lunten könnten auch auslöschen.« So schwatzte er, bis endlich nach achtzehn Minuten das kleine Pulverhäufchen aufbluckte. »Fein berechnet, was?« sagte er. »Jetzt könnt ihr schon gut in Mönkwede sein und nachher harmlos auf der Chaussee spazieren gehen und zu den anderen Comanchen stoßen, die dasselbe tun. Und wir sind alle aus Krivitz und wissen von nichts, wie es in der Geschichte heißt von Krischan Kiwitt.«

Unsere Zeit war gekommen, und zwei harmlose Jünger der Botanik wanderten sittig die Chaussee entlang und neben dem Dorfe Mönkwede an den See hinab, scheinbar voller Begier, die Geheimnisse seiner Uferflora gründlich zu erforschen.

Es war ein schwüler, heißer Nachmittag; die zwischen den hohen Ufern eingeschlossene Luft lag träge über dem See, und die Sonne stach wie mit glühenden Messern. An dem gegenüberliegenden Ufer hatten sich Wolken über Wolken zu einem schimmernden Gebirge getürmt und sahen lauernd über die Hügel, die Schmetterlinge taumelten verschlafen umher, die Vögel sangen wie im Traum, und dicht über dem Seespiegel schwangen sich unzählige Schwalben hin und wieder, zuweilen die Brust ins Wasser tauchend und im Fluge einen Trunk nehmend. Ferne Geräusche, wie das Rollen eines Wagens oder Hundegebell, schallten zuweilen mit seltsamer Deutlichkeit herüber, und doch wußte man, es war weit ab. Eine lauersame Stimmung hatte sich überall verbreitet, die Welt wartete auf etwas.

Wir hielten uns tapfer dazu, und als wir den Teil des hohen, buschbewachsenen Ufers erreicht hatten, den wir unsere Jagdgründe nannten, eilten wir auf unseren verborgenen Pfaden, so schnell wir konnten, an den bestimmten Ort. Wir packten in fieberhafter Tätigkeit unseren künstlichen Kanonendonner aus, wickelten die Zündschnüre ab und suchten alles nach Vorschrift zu legen, so gut wir konnten. Das hatte wegen des beschränkten Raumes seine Schwierigkeiten, aber wir brachten es fertig. Die Enden der Zündschnüre wurden sauber übereinandergelegt, das Pulver aus dem kleinen Schächtelchen darauf geschüttet, und nun konnte es losgehen. »Wo sind die Schwefelsticken?« fragte Adolf hastig, »hast du die Schwefelsticken?« »Nein!« rief ich, »hast du sie nicht?« Wir waren in Verzweiflung. Im letzten Augenblick sollte der so sorgfältig angelegte Plan zu Schanden werden. Wir durchsuchten noch einmal die Botanisierkapseln, fanden aber nichts, wir bohrten krampfhaft in allen Taschen herum, obgleich wir genau wußten, daß keine Streichhölzer darin sein konnten, natürlich vergeblich. Wir grübelten in fliegender Hast nach Möglichkeiten, uns schnell Feuer zu verschaffen. Wir hatten jeder ein Taschenmesser, dessen Rücken als Stahl dienen konnte, und Feuersteinsplitter gab es genug in der Gegend. Adolf war schon fort, um einen zu suchen, und kam bald damit zurück – aber der Zunder fehlte. Da fiel mein Auge auf die Zündfäden am Boden. Ich stieß ein unterdrücktes »Ha!« aus und schnitt schnell mit dem Messer von einer der Lunten ein Endchen ab, legte es mehrfach zusammen, um die Zündfläche zu vergrößern, und drückte es mit dem Daumen auf den Stein. Dann pinkte ich, daß die Funken flogen, einmal, zweimal, dreimal, viermal, da glimmte es auf, und ein leichtes Räuchlein stieg empor. Nun hinauf damit auf das Pulver. »Flubb!« ging es in die Höhe. Wir überzeugten uns, daß sämtliche Zündfäden Feuer gefangen hatten, brachen dann gleichzeitig in ein fast lautloses Gelächter des Stolzes und des Triumphes aus, das den Magen wie ein Erdbeben hin und her schüttelte, und machten, daß wir weg kamen.

Als wir eilig den Abhang hinabstiegen, hörte ich bei der schnellen Bewegung ein leichtes Klappern in meiner Botanisierkapsel. Wie man bei solchen aufregenden Gelegenheiten auf das Nächstliegende nicht zu kommen pflegt, so war es auch hier, und als ich das kleine, besonders verschlossene Nebenfach der Kapsel öffnete, lagen die Streichhölzer wohl in Papier gewickelt darin. Wir mußten wieder ungeheuer lachen, verfehlten dabei aber nicht, unseren Weg eifrig fortzusetzen. Die größte Schwierigkeit lag für uns darin, eine gemessene Gangart beizubehalten. Wäre es nach uns gegangen, wir hätten uns eines fördersamen Trabes bedient, doch das hätte Verdacht erregt, wenn uns jemand gesehen hätte. Wir schweiften sogar von Zeit zu Zeit in möglichst kühler Gelassenheit vom Wege ab, rupften heuchlerischerweise beliebiges Unkraut aus, das uns gar nichts anging, und stopften es in unsere Kapseln. Es war noch immer unerträglich schwül, obwohl die Sonne von dem aufsteigenden Wolkengebirge bereits verschlungen worden war und seine blaugrauen Massen mit schimmernden Kanten säumte; die Vögel schwiegen, und es war eine große Stille, als hielte die Welt erwartungsvoll den Atem an. Sie wurde nur unterbrochen, wenn in dem spiegelglatten, bleifarbigen See zuweilen ein Fisch sprang oder aus der fernen Wolkenbank ein leises Murren kam, gleich dem warnenden Knurren eines bösen Hundes.

Adolf hatte nach der Uhr gesehen, als der zündende Funke fiel; es waren seitdem zwölf Minuten vergangen. Wir näherten uns jetzt dem Dorfe. Wir beschlossen, nicht den gewöhnlichen Fußsteig zu benutzen, der hier auf Mönkwede zuführte, sondern im Schutze des Ufers am See entlang bis hinter das Dorf zu gehen und einen zweiten Fußsteig zu wählen, der von der entgegengesetzten Seite hineinführte; das konnte am Ende nicht schaden. Fünfzehn Minuten waren vergangen, als wir diesen Weg erreichten. Diese grausame Stille schärfte die Aufregung unserer gespannten Erwartung in peinlicher Weise. Hätten doch der Wind gebraust und die Bäume gerauscht; wir waren ja schon dankbar für den Ton unserer eigenen Schritte. Sechzehn Minuten waren um, als wir mit einer gewissen Erleichterung das Dorf erreichten. Die Wolkenwand war noch höher gestiegen und rückte mit ihrem dunkelblaugrauen Kern und den helleren Rändern langsam vor, wie ein Riesenungeheuer, bereit, die Welt zu verschlingen; der Himmel hatte sich mit leichtem, faserigen Dunst bedeckt, und ein zorniges, lang andauerndes Brummen ließ sich vernehmen, wie das eines gereizten Bären. Unter der Tür eines alten Bauernhauses standen ein uralter Mann, eine ebenso alte, verhutzelte Frau und einige flachsköpfige Kinder, um ins Wetter zu schauen. »Kamt rin, Jungs! Kamt rin! Gliek is dat Wäre dor, un denn ward't ji gruglich natt. Kamt rin!« rief der gutmütige Alte. Schon um nicht aufzufallen, folgten wir ihm, auch gab das ein gutes Alibi, wie der gerichtskundige Mudrach gesagt haben würde. »Dat gift'n Wäre, dat gift'n Wäre!« sagte der Alte, als wir hinter ihm auf der Diele standen, »wenn't blot nich insleit.«

»Bumm!« sagte in diesem Augenblick der erste Kanonenschlag, und ein lang nachhallendes Echo donnerte, von Ufer zu Ufer und von Bucht zu Bucht springend, über den See hin. Adolf sah nach der Uhr. »Neunzehn Minuten, fein!« flüsterte er mir zu. Die beiden Alten fuhren zusammen. »Dat's mal'n snurrigen Dunner!« sagte der Mann verblüfft, »un garnich dor, wo dat Wäre steht.« Er beugte sich vor nach der Richtung, woher der Knall gekommen war, aber dort sah er noch klaren Himmel. »Snurrig is dat!«

»Bumm! Bumm!« ging es wieder, und ich erinnerte mich, daß es der dritte Zündfaden gewesen war, den ich um ein Endchen verkürzt hatte. Die Sache wirkte ja prachtvoll, und Adolf kniff mich vor Wonne so ins Bein, daß ich fast laut aufgeschrien hätte. »Dat sünd jo gorkien Dunners,« sagte der Alte, »dat sünd jo Kanons. Wat isse denn los? Dit's 'n Dunner!« rief er dann, als aus der Wolkenwand, schon etwas lauter als vorher, ein langanhaltendes Rumoren losging. Man konnte auf dem dunklen Grunde schon deutlich die Blitze niederfahren sehen, und ein zuckender Widerschein erhellte zuweilen die sanften Wolkenberge. »Bumm!« sagte es plötzlich wieder.

»Du, Grotvadder«, sagte der älteste Flachskopf, »weißt wat? dor is gewiß werre 'n lütten Prinz geburen, dat knallt doch ok ümmer so.«

»Ach, bu Dummbüdel,« sagte der Alte, »dei letzt' is doch ierst 'n vittel Johr her. So fix geiht dat nich.«

»Ja, äwer bi 'n Großherzog!« sagte der Junge.

»Ach wat, dor ward ok kein Utnahm makt!« »Bumm!« ging es wie zur Bestätigung. Der Alte wandte sich an uns: »Is denn hüt wat los inne Stadt? Dat sei scheiten up'n ollen Goren? Äwer up'n ollen Goren is dat nich, dat's neger!« Wir schüttelten mit dem Kopf und waren aus Krivitz und wußten von nichts. Unterdes rollten und grollten die Donner unaufhörlich in der Ferne, das Gewitter schien zu stehen. Bei unserer Batterie war offenbar etwas in Unordnung gekommen, vielleicht hatten die Funken des letzten Kanonenschlages die Zündfäden an anderer Stelle in Brand gesetzt, denn plötzlich ging es: »Bumm! Bumm! Bumm!« kurz hintereinander, und die Echos grollten mit dem Donner in die Wette über den See hin. Die alte Großmutter rief: »Huch!« und warf die Hände hoch. »Vadder!« rief sie, »dat sünd dei Franzosen! Eben hebben's sick ierst mit dei Russen wrangt, as du mi vertellt hest, dor bi'n Bastenpohl, un nu kamm wi an. Dei Natschon höllt jo kein' Frär nich. Weißt noch donn, as ehr Napoljohn noch leben dehr un wi noch jung' Lür wiren, dor hett dat ebenso ballert. Un weißt noch bei Inkwartierung? Luter so'n lütt gäle Taters, un dei futerten un zausterten as unklauk, wat kein Minsch verstahn künn. Un dat schöne Swartsuer wull'n sei nich äten un hebben 't up'n Meß schürrt!«

Der Alte suchte sie zu begütigen, sie aber ließ sich nicht beirren und schwelgte weiter in ihren Erinnerungen: »Un donn sünd's hengahn un hebben unsen Hahn un all uns besten Häuhners den Hals ümdreiht, un dei hew'k ehr braden möst. Ach, du leiwer Gott, dat wirrn jo Swinkierls!« »Bumm!« sagte es wieder nach längerer Pause, und die alte Großmutter schrie wieder: »Huch!« und schlug die Hände vors Gesicht.

Mit den vorletzten drei Schüssen ging es schneller, sie folgten in kurzen Zwischenräumen auf einander, das Gewitter nahte jetzt rasch heran, die Donner verstärkten sich und reihten sich zu Ketten. Wir hatten die Schüsse gezählt, und als es nun eine Weile still war, bis auf das unablässige Rollen im Gewölk, warteten wir mit unbeschreiblicher Spannung und nicht geringem Herzklopfen auf den Schluß. »Bautz!« ging es mit einem Male, es war ein ganz fürchterlicher Knall, den man als Erschütterung des Fußbodens zu spüren glaubte, und ein Echo wälzte sich hinter ihm her wie eine Herde Elefanten, die durch den Urwald brechen.

»Dat hett inslan!« rief der Großvater, »dat wir kein Kanon, so kann jo kein Kanon ballern!« »Dei Franzosen, dei Franzosen!« kreischte die Großmutter, »nu is den Großherzog sin Sloß inne Luft flagen!« Aber die Aufmerksamkeit wurde bald abgelenkt, denn das Gewitter kam plötzlich heran. Aus dem dunklen Grunde, in dem die Blitze zuckten, löste sich ein Halbkreis heller, zerfaserter Wolken und sauste herbei, den Himmel schnell mit dichtem Dunst überziehend. Staubwolken liefen die Wege entlang, die Bäume beugten sich, eine riesige Silberpappel griff mit wilden grünen Armen in die Luft, ungeheure Regentropfen pufften in den trocknen Sand der Dorfstraße, und dann war der Gewittersturm heran und trieb uns mit einer Wolke von Staub und zersprühten Regentropfen auf das Innere der Diele zurück. In der Dunkelheit des fensterlosen Raumes leuchteten und zuckten grausam die Blitze, und endlose Donner rollten furchtbar dahin. Die Kinder schlugen die Hände vor's Gesicht und schrien, und die alte Großmutter zeterte unablässig von den Franzosen. Sie schien in angstvoller Begriffsverwirrung auch dieses Naturereignis der grausamen Tücke des Erbfeindes zuzuschreiben. Der Alte aber murmelte immer nur: »Wenn 't blot nich insleit, wenn 't blot nich insleit. Paßt up, dat sleit noch in!« Seine Furcht war wohl nicht unbegründet, und wer wie ich nach einem Gewitter auf einem Hügel neben dem Dorfe gestanden hat und es ringsum im ganzen Gesichtskreis hat brennen sehen, der weiß, was ein Gewitter auf dem Lande zu bedeuten hat.

Der Wind hatte aufgehört, und der Regen brauste in dicken Strähnen lotrecht hernieder. Immer schneller aber folgten die kurzen, scharfen Donner den Blitzen, und zuweilen war es, als ob sie dort oben einem ungeheuren Wasserbottich den Boden ausschlügen, mit so vermehrter Gewalt sausten nach einem solchen nachhallenden Krach die Wassermassen hernieder. Wir konnten durch die geöffnete Kleintür des großen Dielentores gerade auf die große Silberpappel sehen, die im Regenschleier dastand und mit allen Blättern die wohltätige Feuchtigkeit aufsog. Da plötzlich ging etwas wie eine blendende Feuerkugel an ihr nieder, zugleich den Dielenraum mit grellem Lichte füllend, und fast zugleich geschah ein furchtbarer scharfer Knall, dem ein kurzes, schmetterndes Krachen folgte, als stürze ein Gerüst aus eisernen Schienen ein, und bei dem Nachzucken eines schwächeren Wolkenblitzes sah man, wie ein weißlicher Wasserdampf an dem Stamme emporstieg.

Der Alte war verstummt und horchte nur angstvoll in den unsäglich herabstürzenden Regen hinaus, die Großmutter hatte die Hände gefaltet und murmelte alle Gebete, die sie wußte, vor sich hin, die Kleinen hatten die Hände vors Gesicht gelegt, um die Blitze nicht zu sehen, denn fast allen Kindern ist der Donner viel weniger schrecklich als das scharfe Leuchten des furchtbaren Himmelslichtes. Auch uns war, wenn ich es offen bekennen soll, mindestens etwas eigentümlich zumute, ungefähr so, wie damals in dem Hexenhause, als Jochen Nehls die Leiter nach dem Heuboden suchte, wo wir uns verborgen hatten. Aber bis auf das Rauschen des Regens und entferntes Donnergerolle blieb es, wie oft nach einer so starken elektrischen Ausgleichung, eine Weile ganz ruhig. Dann kam wieder ein Blitz, der den ganzen Raum durchleuchtete, und da ich mich meiner jungen Wissenschaft erinnerte, daß der Schall die Freundlichkeit hat, in einer Sekunde die bequeme Zahl von tausend Füßen zu durchlaufen, so fing ich an zu zählen. Ich kam bis sechs, als der polternde Donner anfing, durch die Wolken zu rollen.

»Dat Wäre treckt af!« sagte ich beruhigend zu dem Alten. »Nich verraupen, nich verraupen!« sagte der Großvater. »Dei Oart kümmt werte. Äwern groten See, dor kann dat nich, un denn kiehrt dat mennigmal werre üm.«

Wieder ein Blitz, schwächer als der vorige; ich zählte, und diesmal kam ich bis zehn. »Dat treckt würklich af,« sagte ich. »Schsch!« machte der Alte, »aftäuben!« Na, wir »täuwten« auch noch eine Weile, aber immer schwächer wurden die Blitze, und immer ferner rollten die Donner. Der Regen verrauschte, und in der Türöffnung stand eine große Helligkeit. Und mit einem Male war die Sonne da, sandte einen Strom von Licht bis in die fernsten Winkel des Raumes und ließ draußen die schrägen Perlenschnüre des Regens wie einen Vorhang fallender Funken niedergehen. Da hielt es uns nicht länger, wir mußten doch alle sehen, wie es der alten Silberpappel drüben auf der anderen Seite der Straße am Eingang des Dorfes ergangen war. Der alte Großvater schlürfte hinterdrein, und die Großmutter hatte sich den Rock über den Kopf genommen und kam auch mit, und die Kinder pantoffelten hinterher, unter großer Teilnahme für die ungeheuren Wasserlachen, die sich auf der Dorfstraße angesammelt hatten.

Der Blitz hatte vom höchsten Ast, den Stamm hinunter bis zum Boden, von dem Baume einen breiten Streifen Rinde abgeschält, in den gelblich weißen Splint eine schmalere Rinne gegraben und ein tiefes Loch in den Boden geschlagen. Weißliche Späne und Rindenstücke lagen rings umher. Die Kinder nahmen daran wenig Anteil. Sie saßen bald auf einem Stein und zogen sich die Strümpfe aus, die Knaben krempten sich die Hosen auf, das Mädchen hob sein Röckchen auf, und bald waren sie eifrig beschäftigt, die Tiefe sämtlicher Pfützen sehr gründlich auszumessen. »Täuw, täuw!« sagte die Großmutter, »wenn Vadder un Mudder tau Hus kamen vonne Butenwisch, denn gift dat Schacht!« »Dorför gift nix!« sagte der Älteste zuversichtlich und offenbar berauscht von der Tatsache, daß ihm das Wasser der prachtvollen Pfütze, die er gerade vor hatte, bis über das Knie ging.

»Lat ehr doch!« sagte der Großvater, der den Baum unterdessen genau besichtigt hatte. Dann fuhr er fort: »Dei Bom hett uns rerrt. Harr ebensogaud bi uns inslan künnt.« Dann sahen wir uns um. Der Regen hatte aufgehört, es ging ein frischer Wind, und die blaugraue Gewitterwand stand leise rumorend, aber unschädlich für uns in der Ferne und ließ sich den breiten Rücken geduldig mit einem doppelten Regenbogen bemalen. Der Alte hatte dann die Umgegend gemustert, die Hand über den Augen, und plötzlich sagte er: »Min Gott, dor brennt dat jo! Mudder, sühst du den Rook?« Diese wimmerte und sprach die Vermutung aus, daß die Franzosen dort wohl schon beim Sengen und Brennen wären. »Ach du, mit din dwatschen Franzosen! Inslan hett bat! Dor liggt Kirch-Stülow, dat kann äwer ok Hundörp sin. Min Gott, wat'n Rook, dat's 'n grot Füer!« Wir sahen hinter einem bewaldeten Hügel eine Rauchsäule aufsteigen, die sich vom Winde gedrückt in schweren Wolken seitwärts wälzte und sich allmählich in dem klaren Himmel verlor.

»Wo is dat Füer?« fragten wir. »Dat kann in Stülow up'n Hof sin, dat kann ok sin, dat dat wo anners is. Dei Utsicht na is dat 'ne Schün, un väl Stroh is dor ok bi, süß künn' dat gor nich so dull brennen!« »Wo wiet is dat bet Stülow?« fragte ich. Wir hatten uns schon mit den Augen über einen gemeinsamen Gedanken verständigt. »Na, bei Scheseh lang, 'ne lütt Piep Tobak!« sagte der Alte. Das bedeutete im allgemeinen eine halbe Stunde, während »'ne gaur Piep Tobak« für eine ganze Stunde zu rechnen war. »Na, Adschüs un schön Dank ok!« sagte ich, »wi möten nu na Hus.« Wir gingen eilig durch das Dorf, wo sich überall die flachsköpfige Jugend auf der überschwemmten Straße mit wissenschaftlichem Ernst und nackten Beinen sorgfältigen Tiefenmessungen hingab, und als wir die Chaussee erreicht hatten, setzten wir uns in Trab und eilten in fördersamem Dauerlauf der Rauchsäule zu, emsig bestrebt, »dei lütt Piep Tobak« in eine »ganz lütte« zu verwandeln. Nach zwanzig Minuten hatten wir das erreicht und sahen nun die gewaltig brennende Scheune frei vor uns liegen. Das Feuer war wirklich auf dem Gutshofe von Kirch-Stülow, und wir bewunderten das sichere Urteil des alten Großvaters, denn die Glut war dadurch ungeheuer verstärkt worden, daß eine gewaltige Strohmiete, die sich haushoch hinter der Scheune aufbaute, mit in Brand geraten war und nun im brausenden Windzuge riesige Flammenzungen und qualmenden Rauch emporsendete und über das halb niedergebrannte Scheunendach, dessen glimmende Sparren, von kleinen Flämmchen beklettert, in die Luft starrten, einen unsäglichen Funkenregen dahinsausen ließ. Als wir auf den Gutshof kamen, herrschte dort ein fieberhaftes Treiben. Quer über den Hof fegte der unablässige Strom der Funken und beschoß das gegenüberliegende Viehhaus. Die Kühe waren zwar auf der Weide und kamen darum nicht in Gefahr, aber das stattliche, mit Stroh gedeckte Gebäude enthielt auch den Kornboden, und auf ihm lagerte noch fast die ganze vorjährige Ernte, viele tausend Taler an Wert, die törichter- und leichtsinnigerweise nicht versichert war. Kein weiteres Gebäude auf dem Hofe war gefährdet, nur gerade dieses, und als der Gutsherr das erkannte, hatte er einen Preis von 300 Talern ausgesetzt zur Verteilung an seine Knechte und Tagelöhner, wenn es ihnen gelänge, das Viehhaus zu retten. Diese arbeiteten nun natürlich wie die Wahnsinnigen. Schon war fast das ganze Dach mit allen vorhandenen Rappslaken bedeckt, und lange Leitern waren gegen die schräge Fläche gelehnt, auf denen Ketten von Knechten und Tagelöhnern die gefüllten Feuereimer von Hand zu Hand gehen ließen, um die deckende Leinwand stets feucht zu erhalten. Andere waren auf dem weniger geschützten Teile des Daches auf der Funkenjagd und eifrig bemüht, jeden Brandkeim eilig zu ersticken. So arbeiteten sie dort in sprühenden Funken und Rauch und heißem Gluthauch. Auf dem Hofe aber jagten die mit vier Pferden bespannten, auf Schlittenkufen stehenden Feuertonnen von der Scheune zum Teich und vom Teich zur Scheune, leer mit hohlem Gepolter und gefüllt mit hochaufspritzendem Wasserüberschuß. Der Gutsbesitzer stand, der besseren Übersicht wegen, auf einem Leiterwagen und donnerte mit Löwenstimme seine Befehle, und der Inspektor rannte überall herum, um deren Ausführung zu veranlassen und zu überwachen.

Wir kamen in einem verhängnisvollen Augenblick auf den Hof, denn eben war das brennende Strohdach der Scheune niedergeschossen, umgab das halb niedergebrannte Gebäude wie ein flammender Wall und sprühte zugleich eine wahre Hölle von Funken aus. Zugleich fast war einer der Knechte, vom sogenannten »Stich« befallen, vom Pferde gesunken, hielt sich totenblaß die Seite und war zu jeglichem unfähig. Ein Arbeiter hielt die stampfenden Pferde. »Krischan möt von't Dack kamen!« rief eine Stimme, »ore Hinnerk von'n Diek!« »Dor sünd alle Mann nötig«, rief ein anderer, »un denn mit Jochen sin Pier kann hei man allein farig warden, dat sünd Deubels.«

Adolfs Augen leuchteten. Das war sein Fall. Er war auf seines Vaters Gut noch mit jedem Gespann fertig geworden. Er warf seine Kapsel von sich, drückte die Mütze fester, nahm die Peitsche auf, die dem Knechte entfallen war, und dem Arbeiter die Zügel aus der Hand, und ehe es sich jemand versah, saß er auf dem Sattelpferde. »Kemm!« rief er, und fort stürmten die feurigen Tiere. Ich hatte einen der ledernen Feuereimer ergriffen und lief ihm eilig nach. Hinter mir her wurzelte der etwas krummbeinige Inspektor und schrie mich an, da Adolf schon zu weit voraus war: »Was ist das für'n Jung? Hat jawoll den Deubel im Leibe.« »Das ist Adolf Martens,« rief ich, »Sohn von Martens-Steinhusen!« »Alabonnöhr!« rief der Inspektor, »wenn er sein'n Vater sein Sohn is, denn mag's ja gehen.« »Und du?« »Reinhard Flemming!« sagte ich und wollte eben meine näheren Familienverhältnisse hinzufügen, als er mich unterbrach. »Ihr seid es!« sagte er und legte die Hand an seine Mütze, »na denn man los! Aber neugierig bin ich doch.« Das war ungeheuer ehrenvoll. Selbst bis hierher war unser Ruhm gedrungen. Unterdessen hatte Adolf den Teich erreicht, jagte bis zur Mitte hinein und lenkte dann die Pferde in schönem Bogen herum, daß sie wieder der Einfahrt zugewendet waren, und hielt. Die Pferde standen wie eine Mauer und nickten nur schnaubend mit den Köpfen. Ich war ihm gleich wieder nachgelaufen, rannte nun ebenfalls in den Teich und schloß mich den Leuten an, die in eiliger Hast bestrebt waren, mit ihren Eimern die stattliche Tonne so schnell wie möglich zu füllen. Das war eine Arbeit, die warm machte, obwohl man bis an den Leib im kühlen Wasser stand, denn kaum war Adolf mit seiner Wasserkufe davongejagt, kam schon eine zweite herbei gepoltert, und manchmal waren sogar zwei gleichzeitig zu bedienen. So ging es eine ganze Weile, und jedesmal, wenn Adolf wieder herankam, nickte er mir zu und sagte: »Fein! Was?«

Die Wut des Feuers ließ endlich nach. Die gewaltige Strohmiete war bis auf den Grund niedergebrannt, der Wall des herniedergeschossenen Strohdaches war bereits glimmende Asche, von der Scheune waren beide Giebel eingestürzt, und es standen nur noch die niedrigen Umfassungsmauern, inwendig mit einer gewaltigen Glut gefüllt. Zugleich hatte sich der Wind gelegt und der Himmel neu mit Wolken bezogen, aus denen ein leiser Regen herniederging.

Aus allen diesen Gründen hatte sich der Funkenregen gänzlich gelegt, das gefährdete Dach stand verlassen, und nur auf jeder Leiter hockte noch für alle Fälle eine Feuerwache. Alle anderen hatten sich mit den vorhandenen Spritzen und Feuereimern und einigen von den nächsten Dörfern herbeigeeilten Hilfsmannschaften dem Brandherde zugewandt und waren bestrebt, ihn mit soviel Wasser als möglich zu überschütten. Aufsteigende weißliche Wasserdämpfe zeigten an, daß diese Bestrebungen nicht ohne Erfolg blieben. Ich hatte Adolf schon seit einiger Zeit vermißt und wunderte mich darüber, da sah ich ihn plötzlich am Rande des Teiches stehen und mir winken. Ich lief zu ihm hin, und er sagte: »Es ist nun ein anderer Knecht frei geworden und hat mich abgelöst. Du bist auch nicht mehr nötig. Und der Gutsbesitzer hat mir die Hand geschüttelt und hat gesagt, ich wäre ein verdeuwelter Bengel und du auch, und wir sollten ihn doch mal besuchen. Im Juli, wenn die Kirschen reif sind. Und nun wollen wir machen, daß wir nach Hause kommen, es wird schon dunkel!«

Auf der Chaussee setzten wir uns wieder in Dauerlauf und trabten durch den Regen dahin, während es in unseren Schaftstiefeln, die bis oben mit Wasser gefüllt waren, anmutig dazu qwutschte. Als wir an den Punkt gekommen waren, wo man zum letzten Male die Scheune frei liegen sehen konnte, blickten wir uns um. Aus den niedrigen Mauern stieg grauweißlicher Dampf empor, von unten rot durchleuchtet. Aus dem Menschengewimmel ringsum kamen die Bogenlinien des Wassers aus den ausgeschwenkten Feuereimern hervor, und über dem Ganzen schwebten die stetigen Strahlen der Feuerspritzen. Wir benutzten diese Pause, uns jeder auf einen Chausseestein zu setzen und das Wasser aus unseren Stiefeln zu schütten. Dann trabten wir um einiges erleichtert weiter. Der strömende Regen machte uns nicht viel aus, denn nasser, als wir schon waren, konnten wir kaum werden. Adolf meinte, ob es wohl was setzen würde, wenn wir so spät und in einem Zustande wie unausgewrungene Wäsche nach Hause kämen. »Dafür gibt's nichts!« sagte ich zuversichtlich. »Vater freut sich, wenn er hört, warum, und Mutter? Na, trocknes Zeug müssen wir anziehen, darauf mach' dich nur gefaßt.«

»Na,« sagte Adolf, »freuen wird mein Vater sich ja auch, aber Schacht gibt's doch. Und Mutter wird gräßlich schelten. Und Tante Malchen nun erst? Horre!«

Wir kamen im Dunkeln nach Hause und wurden, wie ich vorhergesagt hatte, aufgenommen wie die verlorenen Söhne. Wir mußten uns in ein trockenes Festgewand hüllen, und wenn auch kein gemästetes Kalb geschlachtet wurde, so kochte meine Mutter doch einen großen Topf voll Eierbier, und dazu verzehrten wir ungemein viel Abendbrot und mußten dabei von unseren Taten erzählen. Darüber geriet die von uns gefürchtete Frage nach der seltsamen Kanonade, die man in der ganzen Welt gehört hatte, in Vergessenheit. Das kurze, aber starke Gewitter mit seiner mächtigen Naturgewalt hatte unseren kleinen künstlichen Donner gleichsam nachträglich übertäubt. Auch in der Stadt hatte der Blitz eingeschlagen, einmal in eine uralte, riesige Weide am Seeufer und einmal in einen Kirchturm, doch ohne zu zünden. Er war unschädlich am Blitzableiter niedergefahren, und nur an einer Stelle, wo dieser beschädigt und unterbrochen war, hatte der überspringende Funke ein großes Stück aus einem Mauerpfeiler herausgerissen. So kam das Gewitter uns gleichsam zu Hilfe an diesem Abend, Fragen zu verhindern, die wahrheitsgemäß zu beantworten für uns einige Schwierigkeiten hatte.


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