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7

Wir sollten uns des neuen schönen Segelbootes nicht oft mehr erfreuen, denn der Herbst war stürmisch, und dann trat ein Ereignis ein, das unserem Leben eine ganz andere Wendung geben sollte. Mein Vater wurde als erster Prediger an die Jakobikirche der Hauptstadt berufen und sollte diese Stelle schon im Februar antreten. Meine Mutter und ich und meine jüngeren Geschwister blieben noch bis Ostern in Steinhusen. Adolf Martens kam dann zu uns in Pension und wir beide auf das Gymnasium. Wir freuten uns nicht über solche Umwandlung, denn obwohl das Leben in der Stadt auch wohl etwas Verlockendes hatte, so wußten wir doch, daß wir ein solches »Jungsparadies« wie Steinhusen niemals wiederfinden würden.

Auf Onkel Simonis hatte diese Nachricht eine besondere und für uns wenig erfreuliche Wirkung. »Jungs,« sagte er, »nun müßt ihr 'ran, 'ran müßt ihr. An Tertia ist nicht zu denken, weil ihr noch kein Griechisch gehabt habt, aber für Quarta, wo das Griechische anfängt, müßt ihr reif sein, überreif müßt ihr sein wie ein Apfel, der vom Baum fällt, wenn man ihn nur schief anguckt. Das muß nur alles so flutschen wie geölt. Und ein bißchen Griechisch bring ich euch auch noch bei, so daß ihr die Buchstaben schreiben und lesen könnt und die ersten leichten Sätze im Jakobs übersetzen. Wird euch zu Anfang 'ne Hilfe sein, wenn ihr die krausen Dinger von Buchstaben schon könnt, eine nicht zu unterschätzende Hilfe!« Und schon am nächsten Tage setzte er solches Feuer hinter seinen Unterricht, daß uns die Köpfe rauchten. Wir seufzten.

Isern Hinrich, dem wir gerne zuerst diese Neuigkeit mitgeteilt hätten, war gerade mit seinem Vater in die Hauptstadt gefahren, da dieser dort Geschäfte zu besorgen und Einkäufe zu machen hatte, aber am nächsten Tage war er wieder da, und als wir nach dem Unterricht noch ein wenig durch das Dorf schlenderten, um unsere rauchenden Köpfe auszulüften, und uns dabei melancholischen Betrachtungen über den Wechsel alles Irdischen hingaben, begegnete er uns. Die Umgebung seines linken Auges war blau und die entsprechende Backe ein wenig geschwollen, sonst schien er munter zu sein und streckte uns nach gewohnter Weise den rechten Arm zur Begrüßung entgegen. Wir erzählten ihm die große Neuigkeit in der sicheren Hoffnung, den Zoll seines Erstaunens und seiner Verwunderung zu ernten, allein davon war gar nicht die Rede.

»So?« sagte er, »dor treckt ji hen? Denn ward ji ok woll sonn' Schäulers mit Keesgesichter un bunt' Mützen, dei morns Klock teihn bi Bäcker Henkus inne Friedrichsstrat Appelturten un Blärekauken fräten un sick dei Näs' lang kieken un grienen, wenn s' mal 'n olligen Kierl so as mi tau seihn kriegen dauhn. Un wenn ji henkamt, denn grüßt ok Adi Piepenbrinck.«

»Is dat din Fründ?« sagte ich.

»Wat ick sin Fründ bün? Schönen Fründ, so as bei Hahn von'n Maddick un bei Voß von dei Gaus un bei Kädenhund von'n Snurrer. Na, ick will jug vertellen. Min Oll harr morns tau dauhn, wo hei mi nich bruken künn, un harr dei Spandierbüxen an un geew mi vier Schilling tau'n Verknacken un sär, ick süll mi man dei Stadt 'n bäten anseihn. Na, ick däs' dor jo nu ok in rüm utt kiek mi ok dat Sloß an mit dei välen Thurns un bunten Schosteins. Un ganz hoch baben dor kümmt dor ut so'n Durweg 'n Kierl ruttaurieden; un dat runne Dack baben em is binah ganz von Gold. Dat is äwer keinen labennigen Kierl, hei is blot utstoppt un sall so'ne Oart Grotvadder von'n Großherzog wäst sin. Naast güng ick denn dei Sloßstrat lang un keem an bei Königsstrateneck, un as ick dor nu in Zuckerkanditer Kräwt'n sin Finster kieken dehr, dor würden mi dei vier Schilling in min Tasch doch bannig jäken. Äwer dat seeg mi all so düer un so grotportansch ut mit Speigels un Goldrahms, ick trugt mi nich rin. Un däs' nu wiere dei Königsstrat lang un kiek in dei Ladens un kam tauletzt up den Mark tau stahn. Dor wir jo nu grar Mark, un ick dacht: ›Nu köffst du di ein'n Spickaal tau twei Schilling un bi'n Bäcker ein'n Stuten tau'n Schilling, denn hest du'n fein Frühstück.‹ Äwer Spickaals wiren nich dor. Nu frag ick blot, wotau is denn Mark, wenn dor kein Spickaals sünd. Un as ick nu wiere güng, dor flög dei Klock teihn, un von dei Domschaul her keemen Schäulers, weck in'n Draww un weck ok ganz pomadig un güngen all in ein Dör rin. Un dat wir Bäcker Henkus sin Dör, dei stünn wiet apen. Dor künn ick jo nu nich vörbi un keek dor rin, un ein Damp treckte dor rut, dei rök so fein, as ick mi denk, wat dat in'n Himmel so rüken dauhn deiht. Un dei vier Schilling in min Tasch, dei jäkten mi nich mihr, dei brennten as Füer. Denn dei Ladendiern fett'te grote Platen mit Kaukens up dei Tonbenk, dei keemen äben ut'n Aben un dampten noch. Un ick dacht: ›Wat dei känen, dat kannst du ok noch,‹ un langte in min Tasch, wat woll min vier Schilling noch dor wiren, un drückte mi so sacht achter dei Schäulers rümm in den Laden. ›Woväl gift dat von dei för'n Schilling?‹ fragt ick un wieste up dei Appelturten. ›Ein,‹ sär dei Diern. ›Un von dei?‹ sär ick un wieste up dei Blärekauken. ›Twei,‹ sär dei Diern. Na, ick mak mi jo nu den Plan: du geihst ierst bi dei Appelturten un denn bi dei Blärekauken. Jungedi, fein! segg ick jug. Un weck von dei Schäulers keeken mi an un grienten sick, un ein, dei harr ne Brill up, sär tau dei annern: ›Pisang!‹ Un donn lachten sei sick. Ick dacht äwer: ›Harr ick di man in Steinhusen achter unsen Tun, denn wull ick di woll din Glasfinstern inslan un di gadlich bepisangen.‹ As ick nu all twei Appelturten tau Bost harr un mi nu so'n annern Kauken herlangte, donn sär dei ein von de Schäulers tau mi: ›Segg mal, min Sähn, hest du di denn hüt Morn ok ollich wascht?‹ Dit wir jo nu eine ganz infamtige Frag'. Wascht harr ick mi jo un tworst mit gräun Seip, äwer ick harr dei Dag vörher unsen Hoftun anteert, un dor wir ick ok mit gräun Seip nich recht uppe Grund kamen. Na, up't Mul bün ick nich follen, dat weit't ji jo, un ick sär: ›Ick bün kein Sähn von so'n Keesgesicht, ick bün min Vadder sin Sähn, un glöwst du denn, dat ick so'n Schwein bün, dat ick mi alle Dag' waschen möt?‹ ›Köstlich!‹ sär dei Jung mitte Brill, un dei annern wullen sick dot lachen. ›Na, wenn's mi nu man nich doch tau Liw' gahn?‹ dacht ick, denn dei, dei mi fragt harr, wir hellschen falsch un sär tau dei Ladendiern, sei süll mi rutsetten, äwer dor bimmelt dat von dei Domschaul her, un mit eins wiren sei all rut un makten, dat sei in ehr Schaul keemen. Un dei Ladendiern lacht sick un sär: ›Dat hest du dei Hochsnuten gaud gäben, min Jung; hest du denn äwer ok Geld?‹ Ick smet min vier Schilling up'n Disch un sär: ›Dei will ick noch asäten!‹ un dat dehr ick denn ok. Na, satt wir ick jo nich, äwer ick harr doch so'n schönes Gefäuhl inne Maag, un min vier Schilling jäkten mi nich mihr. Un güng wiere ümme dei Königsstrat lang un bekeek mi dei Ladens, un naast bün ick ok, glöw ick, an din'n Vadder sin niege Kirch vörbi kamen. Tauletzt keem ick an'n See, un in den See swemmten 'n poor dorige Katten ganz as bi uns mennigmal in'n Adelpool. Un güng rechtsch an den See lang, dor leeg 'n groten Holthoff mit hoge Brärehümpels, un in den See swemmten väle Fleeten. Up den Holthoff stünn 'ne Pöppel, un dor wir baben 'n Adborsnest in. Inne Stadt sünd dei Minschen all'n bäten unklauk, un dei Adbors ok. Wo so väl Hüser sünd, bugen s' up'n Boom. Tauletzt keem ick anne Scheseh, un wo dei ut'e Stadt rut keem, dor güng ick werre rin. Dat wir jo nu kein feine Strat, dor wahnten lütt Lür, un dor würr up hölten Tüffel gahn. Un Ladens wiren dor ok nich as man so ganz lütte, blot an dei ein Eck, dor wahnte so'n Hieringskoopmann. Up dei anner Siet von dei Strat stünnen 'n poor Jungs mit rore Näsen un dei Hänn'n inne Taschen un glupten mi an un grienten sick, un ick wunnert mi, dat sei nich inne Schaul wiren. As ick nu wiere güng, dor keem mi 'n annern Jung inne Möt in min Öller un min Grött, dei güng up hölten Tüffel un harr tau lange Büxen an, dei wiren ünnen ümkrempt, un 'ne flickte Jack, dei wir em tau lütt, un dei Klott drög hei in'n Nacken un seeg gruglich utverschamt ut. Un keem up mi los un makte mine Gangort na, so gaut as dat in hölten Tüffel geiht, denn ick harr doch min niegen hogen Sündagsstäwel an, dei up Tauwaß mackt sünd un wo sick dat man hellschen stiefbeinig in gahn dauhn deiht. Un blew breit för mi stahn und spuckt mi up'n Stäwel – ick glöw, dat Farken harr'n Prim in't Mul – un sär: ›Gun Dag dumm Hans von'n Lann', wo geiht di dat?‹

»Donn sär ick: ›Min Nam is Hinrich Trilk, in min Dörp seggen sei Isern Hinrich tau mi, un gahn deiht mi dat gaud.‹ Donn sär hei: ›Klas Wischlappen warden s' woll tau di seggen, un min Nam is Adi Piepenbrinck, un dit is min Strat un in min Strat bün ick König.‹

»Ick sär: ›Straten sünd frie, gah mi ut'n Wäg.‹

»Hei sär: ›Wer in min Strat kümmt un dor nich hengehürt, dei möt Instand geben, süß kriegt hei Schacht.‹

»Instand? dacht ick, dor hett 'ne Uhl säten, min vier Schilling sünd all! Seggen dehr ick äwer: ›Instand? Wist'n Bax hebben? Kannst ok drei kriegen!‹

»›Holl di an'n Tun, dei Himmel is hoch!‹ sär hei. ›Man ümmer bescheiden, so as ick bün, sär dei Pagelun tau'n Kullerhahn. Du sast noch glimplich naug afkamen. Du brukst blot dreimal an minen Tüffel tau rüken, denn kannst du gahn. Wist du dat nich, denn warst du nüscht.‹ Un treckte sick den einen Tüffel af und höll em mi ünner 'ne Näs' un sär: ›Dor rük an! Ick bün'e äben ierst mit in'n Rönnstein wäst, wo hei tau'n fettsten is bi Kaping an'n Zägenmark.‹

»Na, ick würr jo nu falsch un nehm dei Fust un geew em einen ünner dei Snut, dat em dei Tüffel ut dei Hand fallen dauhn dehr, un sär: ›Dor rük du an!‹

»Na, nu güng jo dei Haugerie los. Dat ick Kraasch heww un dat ick Muscheln heww, dat weit't ji jo, un dat duert ok nich lang, dor harr ick sinen Kopp ünner minen Arm un wull nu äben bi, em düchtig tau nüschen, dor schreeg hei: ›Hier her! hier her!‹ un mit eins keemen dei beiden Jungs mit rore Näsen angesett't, un dei ein, so'tt lüttes Krupding, springt mi an dei Waden as so'n Aapkatt un wrümmelt sick mit Arm un Bein dorüm, dat ick mi nich rügen künn, un dei anner boxt mi von hinnen in dei Rippen. Na, minen Fründ Adi müßt ick jo nu loslaten, un dei Haugerie güng wiere. Äwer denkt jug drei gegen einen, un ick harr jewoll noch gor un gor tau väl Schacht trügen, wenn dor nich mit'n Mal wän lurhals bölckt harr: ›Mudrach! Mudrach!‹

»Mit eins lett dat lütt Krätenbing min Bein los, wöltert sick von mi weg un rackt ut, un dei anner Rotsnut em na. Un Adi Piepenbrinck seggt blot noch: ›Kumm du man noch mal in min Strat!‹ sammelt sin hölten Tüffel up un ritt up Söcken ut as Schaaplerre. Dor wir äwer ein langen Kierl in'n eng taugeknöpten Rock üm dei Eck kamen un fohrte mit so lange Schritten up mi los, dat dat ebenso schaffen dauhn dehr, as wenn'n anner Minsch löppt, un drauhte bei Utrieters mit'n Stock un reet dei Ogen so up, dat'n dat Witt up hunnert Schritt wiet seihn künn. Na, ji weit't jo nu all, dat dat Mudrach wäsen dauhn dehr. Hei kreeg mi in'n Rockskragen tau faten un keek mit sin gräsigen Oogen up mi dal un sär: ›Bist hier wohl extra aus dein Dorf hergekommen, um hier sozusagen 'ne Hauerei anzufangen? Was? Aber das Auge des Gesetzes wacht, wacht nämlich sozusagen ganz barbarisch!‹ Un keek up mi dal, as wull hei mi inne Grund kieken. Ick höll jo nu disse Kiekerie ganz gaud ut, wil dat ick von Reinhard weiten dauhn dehr, dat dat gaud wir, un sär: ›Ick wull mi jo nich haugen, sei hebben mi haugt, wil dat ick nich an Adi Piepenbrinck sinen hölten Tüffel rüken wull.‹

»›Hat'n gut Gewissen, der Jung,‹ sär hei, ›hält mein'n Blick aus. Also nämlich Adi Piepenbrinck? Das ist ja doch sozusagen ein ganz inquisitorischer Oberbambuse. Und diese infamtige Holzpantoffelzeremonie hat er sich auch noch nicht abgewöhnt? Und die Schule hat diese notorische Bande natürellemang auch mal wieder geschwänzt. Das kann doch nur enden, wie es mit Puttfarken und Driebenkiel geendet hat. Ich seh schon, ich seh schon, diesen Adi Piepenbrinck werd ich auch noch mal in Eisen legen müssen. Ja, nämlich sozusagen.‹

»›Herr Mudrach,‹ sär ick donn, ›Sei kennen mi woll nich mihr?'

»›Mein Sohn,‹ sär hei, ›ich habe sozusagen ein ganz penetrantes Personengedächtnis. Nämlich, wen ich einmal in meinem Leben gesehen hab, den kenn ich wieder, und wenn es ihm auch sozusagen kein Vergnügen macht. Jetzt komm nur mit, ich will dich noch'n Ende begleiten, bis du aus Adi Piepenbrinck seinem Revier heraus bist. Denn wer meinen Blick aushalten kann, der hat ein gut Gewissen, wer kein gut Gewissen hat wie Puttfarken und Driebenkiel, der hält das nicht aus.‹ Na, ick müßt mi nu jo inwennig lachen, wil dat ick doch wüßt, dat Driebenkiel donn tau em seggt harr, hei süll doch mit sin ollen Glupoogen bei Sparlings ut dei Arsten jagen un olle Wiwer mit grugen maken. So güng ick denn mit em, un an alle Finsterspeigels wiren Gesichter un keeken na mi, un ick wüßt, sei dachten all, Mudrach harr mi verarretiert. As wi nu dicht bi dei Strateneck wiren, dor sär hei tau mi: ›Geh du man langsam weiter. Nämlich um solche Straßenecke, da komm ich immer gern n' bißchen fix, sozusagen plötzlich. Das Auge des Gesetzes muß mit einmal da sein mit so'n gewissen Aweck.‹ Hei suuste nu mit sin langen Schritten af, un mit eins stünn hei mirren up dei anner Strat, breitbeinig un den Stock wiet von sick af, un keek as so'n Stötvagel dat ein Enn lang un denn dat anner. Dor wir nu jewoll Allens in dei Reig, hei keem werre na mi ran un sär: ›Nämlich, was ich sagen wollt, wo haben wir uns das letztemal doch gesehn? Ich kenn dich ja, natürellemang kenn ich dich. Ja, nämlich sozusagen!‹

»Ick sär: ›Ick heww Sei doch äwersett't verläden Harwst na'n Uhlenbarg, wo Sei Driebenkiel fastnahmen hebben.‹ ›Aha,‹ sär hei, ›siehst du wohl, daß ich dich kenne, und du heißt, ja du heißt ...‹ Hinrich Trilk!‹ sär ick. ›Du nimmst mir das Wort aus 'm Mund, natürellemang heißt du so, und ich weiß auch wer du bist, bu bist ...‹ Ick sär: ›Den Kräuger ut Steinhusen sin Sähn.'

»›Ganz richtig,‹ sär hei, ›Krüger Trilk aus Steinhusen sein Sohn Hinrich ... Hat mich damals über den See gesetzt nach der Insel Uhlenberg. Jawohl. Dafür habe ich sozusagen ein penetrantes Gedächtnis. Nämlich, wen ich einmal gesehen hab, den hab ich so fest, als stünde sein Signalemang in den Akten. Das nennt man den kriminellen Blick. Den kann man nicht lernen, der muß angeboren sein. Ja, nämlich sozusagen.‹ Dorbi keek hei mit sin gruglichsten Oogen up mi dal, un ick müßt mi in't Bein kniepen, dat ick em man blot nich in't Gesicht lachen dauhn dehr. Doch mit eins keem in sinen Blick sowat as Gaußmolt un Zirup un üm sinen Mund so'n säutes Grienen, un hei sär tau mi: ›Nämlich, was ich sagen wollt, wie geht es Mamsell Kallmorgen? Ich müßt wohl eigentlich sagen Fräulein Kallmorgen, denn diese ganz famoste Dame hat sozusagen so was Distinktives in ihrer Turnüre und so was Seelenvolles in ihrer Fisionognomie, und kochen kann sie alabonnöhr!‹

»Ick sär em, dat ick Mamsell Kallmorgen sörre dei Tied nich werre seihn harr, un dat würr ehr woll gaud gahn, blot ick harr hört, wat sei sick Dag un Nacht dorför grugen dehr, wenn Driebenkiel ut't Lock werre rut kamen dauhn dehr, un dat hei denn werre up'n Uhlenbarg inbräken würr un ehr den Mund taustoppen un ehr mit sinen Kauhfaut tau Mus haugen würr. Dor lachte Mudrach un sär: ›Dafür sind wir am Ende auch noch da. Und einstweilen sitzt er ja noch seine fünf Jahre fest. Na und wenn du diese distinktive Dame mal wieder siehst, dann paß mal auf, was du denn zu ihr sagst. Nämlich: Herr Kriminalbeamter Mudrach ließe Fräulein Kallmorgen seinen ehrfurchtsvollen Gruß unterbreiten, er mache sein ergebenstes Komplimang und ließe Fräulein Kallmorgen sagen, daß er die Begegnung mit ihr in wohlwollendem Andenken hielte.‹

»Un as ick dat nich glik behollein künn, müßt ick dat utwennig lihren,« sagte isern Hinrich, »un as ick dat künn, dor lär hei mi bei Hand up'n Kopp un sär: ›In Adi Piepenbrinck seine Zukunft da seh ich sozusagen wie in eine schwarze Teertonne, um dich, mein Sohn, aber habe ich keine Bange, du bist ein brauchbares Mitglied der menschlichen Gesellschaft. Bleibe nur immer auf dem Pfade des Gesetzes und ehre die Obrigkeit, so wird es dir wohl gehen. Ja, nämlich sozusagen.‹

»Wi wiren jo nu all werre bi dei Königsstrat ankamen, un dor sär hei mi Adschüs un sär ok noch, ick süll Herrn Simonis grüßen un di, Reinhard, un, dor bebank di för, hei sär, du wirst ein hoffnungsvoller Knabe von krimineller Begabung. Ja, nämlich sozusagen!«

Isern Hinrichs Abenteuer erfreuten uns natürlich sehr, und wir hätten gerne noch mehr von seinen weiteren Erlebnissen in der Stadt gehört, allein auf dem Hofe hatte es längst zum Essen geklappert, und auch unsere Mittagszeit war da. So trennten wir uns denn.

Die Gelegenheit, Mudrachs Gruß an Mamsell Kallmorgen auszurichten, bot sich für isern Hinrich einstweilen nicht, wohl hatten wir aber in der nächsten Zeit Gelegenheit dazu. In den folgenden Tagen trat gelinde Kälte mit starkem Schneefall ein, und nachdem es drei Tage lang fast ohne Aufhören geschüttet hatte, klärte es sich auf, und es gab tags bei blendendem Sonnenschein und nachts bei einem unsäglich funkelnden Sternenhimmel starke Kälte, die lange anhielt und bei der herrschenden Windstille den ganzen See in wenigen Tagen mit einer stahlglänzenden Eisdecke überzog. Dieses günstige Zusammentreffen von vortrefflicher Schlittenbahn mit spiegelglatten Eisflächen ließen wir natürlich nicht unbenutzt.

Wer es nicht weiß, wie köstlich es war, im Schlitten vom Kirchhofsberg hinab und dann die steile Straße entlang bis zum Seeufer zu sausen, der ahnt nicht, was Götterwonne ist.

»Hollt Bahn! hollt Bahn!« riefen wir, auch wenn die Straße menschenleer und einsam war, denn das war ein geheiligter Gebrauch, und am Schluß, wo die Straße einen Bogen machte, ging's mit einem Satz den Abhang hinab bis an den See, und wenn dieser gefroren war, noch weit hinaus auf seine spiegelnde Fläche. Aber vor jeden Genuß haben die Götter die Arbeit gesetzt, und so schnauften wir denn geduldig mit unserem Schlitten wieder den Abhang, die steile Straße und den Hügel hinauf; dann ging's wieder von vorne: »Hollt Bahn! hollt Bahn!«

Zum Schlittschuhlaufen ging es dann zuerst zu den überschwemmten Wiesen am Aubach, denn der See, der nur bei großer anhaltender Kälte sicher und vollständig zufror, war uns so lange verboten, bis der Steinhuser Fischer ihn für sicher erklärt hatte und mit seinen Gehilfen anfing, die Waaken für die Eisfischerei zu schlagen. Dies ereignete sich um Weihnachten, und zugleich kam am heiligen Abend ein Paket für uns an, das zwei Paare echt holländischer Schlittschuhe enthielt und von einem freundlichen Gruße des Herrn Wohland auf der Insel Uhlenberg begleitet war. Jungedi, war das aber wieder einmal fein. Wir übten uns natürlich in den Festtagen mit verzehrendem Eifer auf den neuen Fahrzeugen ein, denn da wir noch Schlittschuhe mit Rillen hatten, die Holländer aber unten glatt waren, so mußten wir uns an diesen Umstand natürlich erst gewöhnen. Wir fühlten uns bald so sicher, daß wir daran denken konnten, Herrn Wohland unseren Dank mit Hilfe seines Geschenkes persönlich zu überbringen. Da wir wußten, daß er die drei Festtage bei seiner Tochter in Borna zu verbringen gewohnt war, so warteten wir bis zum Mittwoch nach Weihnachten und begaben uns gleich nach dem ersten Frühstück auf die Reise.

Die Bahn, die vor uns lag, war herrlich, ein Spiegel jungfräulichen Eises, das in der Sonne des klaren Dezembertages funkelte. Und wie es schaffte auf den neuen vortrefflichen Rennschuhen; wir flogen in großen Bögen wie die Vögel dahin, und Adolf Martens konnte sich nicht enthalten, Herrn Wohland mehrmals für einen ganz famosen Kerl zu erklären. Es dauerte nicht lange, so hatten wir unsere Robinsoninsel zur Seite. Sie steckte tief im blendenden Schnee, und zwischen den Stämmen und dem Astwerk ihrer Bäume lag ein zarter violetter Duft. Die ganze Welt um uns war so glänzend sauber und blank, und wir vernahmen nichts als das zischende Geräusch unserer Schlittschuhe und ein sanftes Hallen, das uns voranlief. Zuweilen kam aus der Ferne ein lang hinhallender Donner, wenn bei der scharfen Kälte eine Spalte in das Eis sprang, und der leichte, seitliche Wind trieb manchmal von den entfernten Stellen her, wo die Fischer Löcher in das Eis gehauen hatten, leichte Eisstückchen klirrend vorüber.

Das waren die einzigen Fahrtgenossen, denen wir begegneten. Plötzlich tauchte in der Ferne vor uns ein Segel auf und wuchs mit großer Schnelle, als es näher kam. »Horre, wie das kitscht!« sagte Adolf, »das kann nur Herrn Wohland sein Segelschlitten sein. Das muß doch zu fein gehen. Richtig so schnell wie der Wind.«

Es dauerte nur ein paar Minuten, da war der Schlitten heran; wir erkannten Herrn Wohland und standen und schwenkten die Mützen, als er vorübersauste. »Schade,« sagte Adolf, »nun ist er nicht zu Hause!« und wir berieten, was wir nun anfangen sollten. Aber schon wendete er, kam zurück und hielt bei uns an. »Feine Bahn!« sagte er. Wir erklärten ihm, daß wir zu ihm hätten kommen wollen, um unseren Dank zu bringen für die Schlittschuhe.

»Keinen Dank!« knurrte er, »mag ich nicht! Nachkommen!« Damit sauste er weiter und ließ uns bald weit zurück. Wir sahen, wie er nach einiger Zeit bei dem Stege der Insel Uhlenberg landete, seine Segel einzog und in das Innere ging. Als wir nach einer Weile dort ankamen, unsere Schlittschuhe abgeschnallt hatten und gerade dabei waren, den Segelschlitten zu betrachten, wobei wir uns einig waren, dieses Fahrzeug für eine der glänzendsten Erfindungen des menschlichen Geistes zu halten, da kam Herr Wohland wieder aus dem winterlichen Walde hervor und winkte uns, ihm zu folgen. Wortkarg wie immer ging er uns voran, bis wir unter den alten Eichen und den riesigen Dornbüschen, die sich schwarz gegen den blendenden Schnee abhoben, auf dem freien Platz vor seinem Hause anlangten, wo die große Nordmannstanne stand und wo er damals die Papageien gefüttert hatte. Er nahm einen Korb mit Sämereien auf, der unter den unteren Zweigen der Nordmannia versteckt schon bereit stand und zog die Glocke. Wir erhofften nun dasselbe Schauspiel, das uns im vorigen Jahre so erfreut hatte, allein es kam anders. Zwar die glänzenden Fasanen mit ihren bescheiden gekleideten Weibchen kamen in gleicher Anzahl geschwebt und getrippelt auf schmalen Steigen, die sie in den Schnee getreten hatten, aber die rauhen Schreie der Papageien waren selten, und nur wenige der schönen Tiere, die sich wie leuchtende Wunderblumen von dem blendenden Schnee abhoben, kamen reißenden Fluges daher und sammelten sich auf den Zweigen der schönen Nordmannstanne. Herr Wohland streute aus den vier Fächern seines Korbes das Futter aus. Da zeigte sich, daß nun im Winter auch andere Gäste teilnahmen, denn von den Zweigen der benachbarten Bäume schossen die verschiedenartigsten Meisen und einige der putzigen Blauspechte herab und entflohen eiligst mit einem Hanfsamen oder einem Sonnenblumenkern, den sie auf einem sicheren Aste zierlich zwischen die Zehen klemmten und mit lächerlichem Eifer aufhämmerten und ausschleckten. Das konnte uns aber keinen Ersatz geben für die vielen fehlenden Papageien, und besonders vermißten wir Lora, den Graupapageien, der uns im vorigen Jahre durch weise Reden und komische Aussprüche erheitert hatte.

»Wo ist Lora?« fragte ich. »Drin. Eingesperrt!« sagte Herr Wohland und deutete mit dem Daumen über die Schulter auf sein Haus. »Will ihn nicht auch noch verlieren. Hab's satt mit den Papageien. Im vorigen Jahre vier verschiedene Paare genistet. In hohlen Bäumen. Zusammen elf Junge. Hatte über dreißig Papageien auf der Insel. War 'ne Pracht. Leider im Herbst Bucheckern und Haselnüsse nicht geraten. Fraßen den Hanf auf und alle Sonnenblumen leer, die ich für sie baue, und gingen auf Reisen. Flogen jeden Tag über den See in fremde Wälder und fremde Felder. Weggefangen und weggeknallt. Natürlich Hauptspaß für die Schießer. Ausgestopft und auf den Gewehrschrank gestellt. Und dann renommiert: Selbst geschossen! In meinem Park! Amazonenpapagei aus Brasilien. Psittacus amazonicus. Der Deubel soll die Kerls frikassieren. Dies ist der Rest. Nun werden keine mehr angeschafft.«

Damit hatte er sein Futter ausgestreut, und wir gingen dem Hause zu. Wir fanden es zwar hart, daß Herr Wohland den Wunsch hegte, ehrsame Gutsbesitzer, Pächter und Inspektoren der näheren Umgegend dem alten Herrn Urian zur Ausübung kannibalischer Kochkünste zu überantworten, konnten aber dennoch seine Empfindungen würdigen und verstehen.

Er führte uns in das große Zimmer, das wir schon kannten, wo an den Wänden die vielen Glasschränke mit den Sammlungen standen und den seltsamen ausgestopften Vögeln darauf. Wir mußten uns setzen und taten dies in so feierlicher Weise mit geradem Rücken und ohne uns anzulehnen, als wenn das Sitzen auf Stühlen die Begehung eines erhabenen Kultus wäre, so daß Adolfs Tante Malchen, die stets vergeblich bemüht war, uns Kultur der Welt und feinen gesellschaftlichen Schliff beizubringen, in die freudigste Verwunderung geraten wäre, hätte sie das mit ansehen können. Herr Wohland stopfte sich eine kleine, kurze Holzpfeife mit gelbem, krausen Tabak, und als er diesen in Brand gesetzt hatte, begann er, während er dabei im Zimmer herumging oder breitbeinig mit den Händen in den Taschen dastand, allerhand zu fragen, wie es Herrn Simonis ginge zum Beispiel. Als wir ihm mitteilten, daß sich dieser, wie es uns scheine, ein wenig zu seinem Nachteil verändert habe und in der Schulzeit tagtäglich mit Eifer und Erfolg bemüht sei, unsere Köpfe zum rauchen zu bringen, damit wir seiner Lehrmethode bei der Übersiedelung auf das Gymnasium keine Schande machten, lächelte er und erfuhr bei dieser Gelegenheit von unserem bevorstehenden Umzuge in die Hauptstadt. »Schade, schade!« sagte er. »Seh' euch gern auf dem See. Oft Ausguck nach euch gehalten, wenn ihr's gar nicht wußtet. Erinnerung an eigene Jugend. War auch so. Habt Mut bewiesen damals. Und Verstand. Driebenkiel mein ich. Ewig dankbar. Nie vergessen!«

Wir konnten zwar beide in unserem Innern niemals die grauenvolle Angst leugnen, die wir damals auf dem Heuboden ausgestanden hatten, besonders da, als Jochen Nehls die Leiter vermißte, allein es tut zu wohl, als ein Held gepriesen zu werden, und so gingen wir bei der Erzählung unserer Abenteuer über diesen Umstand gewöhnlich mit einer eleganten Leichtigkeit hinweg. Wir fühlten schon damals, daß die Welt an ihren erwählten Helden solche Züge nicht liebt, und wenn sie hundertmal der Wahrheit entsprechen. Kleists »Prinz von Homburg« wird niemals volkstümlich werden.

Bei dieser Unterhaltung entging es Herrn Wohland nicht, daß unsere Augen immer wieder zu den Glasschränken wanderten, auf denen ein Sonnenstreif lag, der den funkelnden Glanz der Kristalle und das sanfte Licht farbiger Muscheln zu uns herüberscheinen ließ. Da seine Stärke überhaupt nicht in der Unterhaltungsgabe lag, so beachtete er diesen Finger- oder Augenzeig, schloß die Schränke auf und zeigte uns seine Schätze. Es waren Sammlungen, die der moderne Naturforscher mit einer leisen Verachtung zu betrachten pflegt, denn wissenschaftlichen Wert besaßen sie nicht. Nur die Seltenheit, Schönheit, Merkwürdigkeit oder Kostbarkeit ihres Inhalts war für ihren Sammler entscheidend gewesen. Es waren Raritäten ersten Ranges dabei, wie sie nur von einem reichen Manne zusammengebracht werden können. Alles das ist mir natürlich erst viel später klar geworden, denn damals verstand ich zu wenig davon. Zuerst kamen die Muscheln dran, die offenbar seine Lieblinge waren. Da sah man alles, was schön, seltsam und selten war. Wunderbare Perlmutterschalen mit angewachsenen Perlen darin. Dann die verschiedensten Porzellanschnecken von den zartesten Farben und dem sanftesten Glanz, die so mollig anzufassen waren. Eine der größten mußten wir ans Ohr halten. »Da saust die See noch immer drin,« sagte Herr Wohland. Er horchte dann selber daran und sah eine Weile wie abwesend in die Ferne. Auf einige stattliche Muscheln dieser Art von herrlicher Goldfarbe machte er uns besonders aufmerksam. »Von den Südseeinseln,« sagte er. »Haben dort Goldwert. Schwer zu kriegen.« Auch die Lieblinge der Sammler aus der schöngefärbten Familie der Kegelschnecken waren in reicher Anzahl vertreten. Auf eine davon wies er mit besonderem Stolz hin. » Conus cedonulli,« sagte er. »Hat nicht jeder!« Mein allerdings nur kümmerlich fundierter Gelehrtenstolz machte sich mausig. » Cedo nulli heißt: Ich weiche keinem!« sagte ich. »Braucht sie auch nicht!« antwortete er mit einem kurzen Auflachen.

Von Schmetterlingen und Käfern, auf die Herr Wohland sichtlich nur wenig Wert legte, waren nur einige große Glaskästen gefüllt. Es waren lauter Renommierexemplare, entweder von riesiger Größe oder von unglaublicher Farbenpracht. Natürlich fehlte unter den Schmetterlingen nicht der größte von allen, der riesenhafte Atlas aus der Gattung Saturnia, und selbst der größte deutsche Schmetterling aus dieser Gattung, das Wiener Nachtpfauenauge, war der Aufnahme gewürdigt worden. Reich vertreten waren natürlich die stattlichen Tagfalter der Tropen, die teils in unglaublicher Farbenpracht prangten, teils in Blau, Grün, Rot und Gold unsäglich schillerten.

Bei den Käfern war ähnliches zu finden; wir sahen fast nur seltsam gefärbte und gehörnte und geweihte Ungeheuer vom riesigen Herkuleskäfer herab bis zum einheimischen Hirschkäfer, oder juwelenglänzende Prachttiere, die mit edlen Steinen um die Wette funkelten. Es war merkwürdig: all diese Seltsamkeit und Schönheit weckte nur ein dumpfes Staunen und ließ mich kalt, aber glücklich war ich, als ich unter all dieser Pracht einen unserer schönsten heimischen Käfer, den bescheiden schillernden Puppenräuber Calosoma sycophanta entdeckte. Den hatte ich einst in unserem Garten gefunden und, weil er mir auffiel, Onkel Simonis gebracht, der ihn gleich bestimmte. Nie werde ich die schwelgerische Miene vergessen, mit der er diesen pomphaften lateinischen Namen griechischen Ursprungs mehrfach wiederholte, indem er ihn gleichsam wie eine Auster schlürfte. Dann schloß er nach seiner Weise einen kleinen Vortrag über die Sykophanten an, die im alten Athen das freundliche Gewerbe der Erpressung trieben. Von diesen kam er natürlich auf die Feigen, und da er einige stattliche Feigenbäume in seinem Garten hatte, deren Früchte gerade reif wurden, so schloß sich daran noch eine kleine botanische Abhandlung, die damit endigte, daß er mir eine köstliche Feige schenkte, die Honigtränen weinte, als ich sie verzehrte. Somit ward Calosoma sycophanta für mich zu einer süßen Erinnerung.

Adolf Martens, dem Schmetterlinge und Käfer und »solches Gewürm« nicht viel Teilnahme einflößten, hatte schon immer seitwärts nach dem Schranke mit den Vogeleiern geschielt, und seine Züge belebten sich, als dieser aufgeschlossen wurde. Dort zeigte sich nun manches, was von außen durch die Glasscheiben nicht zu sehen war. So holte Herr Wohland gleich zu Anfang einen Glaskasten von unten herauf, der nur gefüllt war mit Eiern von Vögeln, die auf der Insel Uhlenberg genistet hatten. Es war eine stattliche Anzahl, und mit großem Stolz machte er uns aufmerksam auf die Eier verschiedener Papageienarten, die in goldenen Pappkästchen lagen. Hier war Adolf in seinem Element, denn viele der anderen Eier kannte er oder hatte sie selbst. Zuerst fiel ihm ein Nest ins Auge, das in einer Ecke des Kastens stand und ein Gelege von fünf Eiern enthielt. »Was ist das?« fragte er etwas aufgeregt, denn er hatte einen Verdacht. »Zeisignest«, sagte Herr Wohland schmunzelnd und sah etwas geschwollen aus. »Horre!« rief Adolf mit dem Lieblingsausdruck seiner Ver- und Bewunderung. »Die Eier sind ja so selten. Herr Simonis sagt, das Stück kostet einen Taler. Das Nest soll so furchtbar schwer zu finden sein. Früher hat man geglaubt, der Zeisig kenne einen Stein, der das Nest unsichtbar macht. Den legt er hinein und nimmt ihn erst wieder heraus, wenn die Jungen ausgeflogen sind. Und dann hierzulande, wo man noch nie ein Zeisignest gefunden hat! Horre!«

Herr Wohland erzählte, er habe in einem Jahre, wo die Fichtenzapfen und die Erlensamen besonders gut geraten seien, in dem uralten Fichtengehölz am Ostufer der Insel im Frühling eine Anzahl von Zeisigen bemerkt, und zwar im April, zu einer Zeit, da diese Vögel zu nisten beginnen. Das habe seine Aufmerksamkeit erregt, und er habe stundenlang dort herumgelauert und die Vögel mit dem Fernrohr beobachtet. Da habe er schließlich ein Pärchen beim Nestbau entdeckt, den ungefähren Ort dieses Nestes festgestellt und sich genau gemerkt. Als die Vögel aufgehört hätten zu bauen, habe er noch etwa acht Tage gewartet, damit es sicher belegt sein sollte, und sei dann mit Driebenkiel hinausgegangen, um zu sehen, wie man dieser Seltenheit beikommen könne. Das Nest habe wie immer sehr hoch, etwa vierzig Fuß über dem Erdboden gestanden, nahe der äußersten Spitze eines wagerechten Fichtenzweiges, etwa zwölf Fuß vom Stamm entfernt. Driebenkiel sei nun, an den Füßen mit Steigeisen bewehrt und mit seinen langen Armen wie ein Kletteraffe anzusehn, in den Baum gestiegen, doch als er bei dem Aste angelangt wäre, hätte sich gleich gezeigt, daß es ihm unmöglich sei, das Nest zu erreichen, weil die wagerechten Äste der starken Fichte dort nicht mehr geeignet gewesen wären, sein Gewicht zu tragen. Er hätte dort eine Weile gehockt wie ein nachdenklicher Schimpanse, seinen Mähnenbart mit den langen Fingern ausgezogen und sich dann überall dort oben emsig umgesehen. Dann sei er schnell wieder heruntergeklettert, hätte gesagt: »In annerthalw Stunn' hebben wi dat Nest. Mak ick, mak ick!« Hierauf sei er nach Hause gelaufen und habe sich allerlei Trossen (Seile) zusammengesucht und einen dünnen Baumstamm, ein sogenanntes Schleet, vom Holzhof geholt und sei damit nach einer Stunde zurückgekommen. Er sei dann wieder in den Baum geklettert, habe eine lange Trosse heruntergelassen und damit das Schleet hochgehißt. Ein paar Fuß unter dem langen Ast, in dessen Spitze das Nest sitzen mußte, habe er das Schleet dann wie eine Rahe an den Baum festgemacht und von seinem äußersten Ende eine vorher schon angebrachte Trosse schräg nach oben an den Stamm gezogen und es auch sonst ordentlich verfestigt, so daß es nicht seitlich schwanken konnte. Dann hätte er zunächst Herrn Wohland zugenickt und gegrinst wie ein Pavian, der das große Los gewonnen hat, hätte sich auf das Schleet gesetzt, und, sich an dem Aste festhaltend, wäre er nun sachte unter ihm bis an sein äußerstes Ende gerutscht, bis er sich an der schräg nach oben gespannten Trosse sicher hätte festhalten können. Dann hätte er noch einmal heruntergenickt und gegrinst wie ein vergnügter Orang-Utan und hätte sich darangemacht, das Nest zu suchen. Über zehn Minuten hätte es gedauert, und er hätte es nicht gefunden, bis er endlich darauf verfallen wäre, alle Zweige einzeln auseinander zu legen, und es dann endlich entdeckt hätte. Driebenkiel ist dann vergnügt mit dem Neste in der Hand wieder an den Stamm gerutscht, hat es in sein buntes Taschentuch gebunden und an einem Bindfaden heruntergelassen, hat sein Bauwerk wieder beseitigt und ist herabgestiegen. Herr Wohland hat ihm dann sofort einen Taler geschenkt.

Adolf mußte sich diesen Kasten sehr genau betrachten; hier sah er zum ersten Male beieinander fast alles, was in der Gegend vorkam, und merkte, wie vieles davon er nicht hatte. Doch hatte er auch seinen kleinen Triumph, denn er besaß die Eier der Haubenlerche, die wegen des durchweg fruchtbaren Bodens und der starken Bewaldung als ursprünglicher Steppenbewohner und Vogel des Unlandes auf der Insel nicht nistete.

Herr Wohland ging nun zu den anderen Eiern über, und hier zeigte sich dieselbe Erscheinung wie bei den anderen Sammlungen. Nur das Merkwürdige und Seltsame war hier zusammengespeichert, riesige Straußeneier fanden sich neben den winzigen der kleinsten Kolibri. Er machte uns aufmerksam auf die Eier des Tallegallus-Huhnes aus Australien, die in Mistbeeten ausgebrütet werden, die der Vogel künstlich zusammenscharrt, auf die Eier des Kondors und verschiedener anderen großen Raubvögel und andere wieder von besonders abweichendem Aussehen oder sehr schöner Färbung, deren Namen er zum Teil gar nicht kannte. Ein kleinerer Kasten war fast ganz gefüllt mit sehr großen Eiern von einerlei Art. Er öffnete ihn: »Albatros«, sagte er. »Selbst gesammelt.« Solche Eier legte also der Pate unseres Segelbootes. Er nahm eins der Eier, legte es in Adolfs Hand und sagte: »Da! Schenk ich dir.« Diesem wurden die Ohren rot vor unterdrückter Freude. »Ach, Herr Wohland!« sagte er in seiner Verwirrung, »das kann ich ja gar nicht verlangen. Ich bedank mich auch vielmals!«

Als sich Herr Wohland dann wieder seinen Schätzen zuwandte, hielt mir Adolf das Ei hin, das seine Hand gänzlich anfüllte: »Horre!« sagte er mit unterdrückter Stimme, »fein!« Der Alte hatte unterdes einen kleinen Kasten hervorgezogen, der nur ein einziges, riesengroßes, braungeflecktes Ei enthielt. Mit einem gewissen Triumph hielt er es uns vor und erwartete sichtlich den Zoll unserer Bewunderung. Wir sahen aber weiter nichts, als daß das Ei sehr groß war, und schwiegen. »Achtung«, sagte Herr Wohland, »Riesenalk! 1844 ausgestorben. Kostet jetzt 100 Taler! das war damals. Jetzt (1899) wird es mit 6000 Mark und höher bezahlt. Der Verfasser. Hab's geschenkt bekommen. Als ich noch Seemann war. Von einem Matrosen. Franzmann. Aus der Nähe von Brest. Ei stammt aus Neufundland. Gibt nur siebzig solche Eier in der ganzen Welt. Sagt man.«

Wir bewunderten diesen Schatz gebührend, und da ich mir schnell in der Stille ausrechnete, daß man für das Geld, das dieses Ei kosten sollte, 4800 Apfeltorten kaufen konnte, stieg meine Achtung zu einer schwindelnden Höhe.

Als wir dann zur Besichtigung der Steine übergingen, zeigte es sich, daß diese Sammlung die köstlichsten Schaustücke enthielt. Besonders die herrlichen Kristallbildungen, die in allen Farben schimmerten, die den starren Stein in einem lebendigen, gesetzmäßigen Wachstum zeigten und gleichsam seine leuchtenden Blüten darstellten, versetzten mich in eine Art von Rausch. Sie zeigten, daß auch der scheinbar toten Masse ein geheimnisvolles Leben innewohnte, das sie veranlaßte, aus dunklem Gewirr zu klarer Gesetzmäßigkeit emporzustreben. Es gibt nichts Gewöhnlicheres als den Quarz, der als Bestandteil von Schiefer, Gneis, Granit und Sandstein die mächtigsten Gebirge der Erde aufbaut und sich als gemeiner Feuerstein fast überall findet. Und doch läutert er sich zum Halbedelstein in seinen Kristallbildungen, deren manche als wirkliche Edelsteine gelten würden, wenn sie seltener wären. Das zeigt sich am besten am Opal, der, obwohl er nicht einmal in Kristallform vorkommt, zu den edelsten Steinen gerechnet wird und doch weiter nichts ist als Quarz mit einem Zusatz von Wasser. Von den verschiedenen Formen dieses Proteus waren hier köstliche Stücke zu sehen. Herrliche Drusen von wasserklarem Bergkristall, veilchenblauem Amethyst, goldfarbigem Zitrin und braunem Rauchtopas, und zwar in einer Menge von richtigen Kabinettsstücken, eins schöner als das andere. Daß natürlich der Opal nicht fehlte, köstliche angeschliffene Achatmandeln und andere Schmucksteine aus der Quarzfamilie wie Onyx, Chalzedon, Karneol, Jaspis, Avanturin und Chrysopras, der Lieblingsstein Friedrichs des Großen, ist selbstverständlich. Wir mußten nun noch viele andere Kristallformen von Korund, Beryll, Spinell, Topas, Turmalin und Granaten besehen, schöne Drusen von Kalkspat und zierlich durcheinander gewachsenen wasserklaren Gipssäulchen wie ein Spitzengewebe aus Stein und viele Erzstufen, Blei-, Kupfer-, Eisen- und Silbererze, Magneteisenstein, ein Sprengstück eines vom Himmel gefallenen Meteors und eine Quarzstufe, in die für dreihundert Taler reines Gold eingewachsen war; wir wurden von all dem Flimmer und Glanz und den vielen wechselnden Eindrücken ganz müde und dumm, so daß wir eine Erleichterung empfanden, als Stina eintrat und sagte: Mamsell Kallmorgen ließe die jungen Herren zum Frühstück bitten.

Herr Wohland, der mein Interesse an den Steinen sehr wohl bemerkt hatte, schenkte mir zum Schluß eine wunderschöne Amethystdruse, bei der sich um einen sehr großen Kristall viele kleine gruppiert hatten wie Küken um ihre Glucke, und entließ uns in ein benachbartes Zimmer, wo ein Frühstückstisch gedeckt war.

Als wir an diesem Tische saßen, auf dem eine Schüssel mit Gänseweißsauer stand, ein Block Hamburger Rauchfleisches, dunkelrot und von zierlichem Fettgeäder durchzogen, und die stattlichen Reste eines Hasenbratens, als dann Adolf sein Albatrosei und ich meine Amethystdruse in angenehmer Sichtweite vor uns hingelegt hatten und wir nun der weiteren Entwicklung harrten, da mußten wir uns sagen: »Das Leben ist doch schön!«

Stina trat auf und brachte Fleischbrühe in Tassen und eine Schüssel köstlicher Bratkartoffeln.

»Die sind zu das Weißsauer!« sagte sie. Um Mamsell Kallmorgen herum war eine nahrhafte Gegend. Als wir damit aufgeräumt hatten, erschien diese selbst in ihrer ganzen Pracht und Fülle. Sie reichte uns die wohlgenährte Hand und sagte: »Guten Tag, lieben Jungs, freut mich, daß ich euch mal wieder seh. Na, wie geht's noch von vorig Mal? Ümmer frisch un gesund un fleißig inne Schul?«

Wir seufzten ein wenig und sagten, es ginge uns gut.

»Eigentlich bün ich bös auf euch, von wegen das Eis, daß ihr da rauf geht. Na, Reinharding, wenn dich das deine Mutter erlaubt, denn darf ich ja nichts sagen. Wie sie das aber über's Herz bringt bei ihr vieles Gemüt, das is mich 'n Rätsel.« Dann machte sie sich über das Rauchfleisch her und schnitt einige stattliche Scheiben herunter. »Da geht man orndlich bei,« sagte sie, »das is von das ganz echte Hamburger, das beste Stück aus der Keul läßt sich Herr Wohland ümmer schicken. Un den Hasen hat er selbst geschossen vor acht Tag, als Mondschein war, auf'n Anstand bei unsern Grünkohl. Na ich wußt ja nu schon garnich, daß er noch auf'n Anstand war un war zu Bett, un as das nu mit einmal so ballerte und unser Wasser so schrecklich los boll, da kriegt ich 'n gräsigen Schreck, un ich dacht, Driebenkiel wär wieder da.«

Währenddessen hatte sie einige schöne Rückenstücke von dem Hasen abgeschnitten, schob uns beide Schüsseln und einen Teller mit feingeschnittenen Butterbroten zu und sah erwartungsvoll unseren ferneren Leistungen entgegen. Es lag uns fern, eine so gute Seele zu enttäuschen, was ein sanftes Schmunzeln über ihre geräumigen Züge zauberte.

Dann setzte sie sich und kam wieder auf das Thema, das ihr Herz am meisten zu bewegen schien. »Ja Driebenkiel, ich werd un werd die Angst vor ihn nich los. Un nachts, da krieg ich manchmal das Wachent. Un wenn denn Wasser mit'n Mal so los bellt, dann denk ich: ›Nu schleicht er sich ran!‹ Un wenn allens ganz still is un tot, dann denk ich: ›Nu hat er den Hund schon vergifft.‹ Un denn krieg ich das Horchent. Ach, was einer denn all hört in sonne stille Nacht, das is gräsig. Denn schleicht da was, un denn knackt da was, un denn günst da was. Un manchmal da is es, as wenn da was auf'n Gang tappt oder einer an's Türsloß rumfingeriert. Und denn wieder mit eins schreit sonne Eul, wo sie hier Totenvogel ßu sagen; ich denk aber ümmer ßuerst, da wird einen die Kehl abgesnitten. Igittegittegitt, es is ßu gräsig, un ich kann un kann hier nich bleiben.«

»Aber Driebenkiel sitzt doch,« sagte Adolf beruhigend, »der kann Ihnen doch nichts tun.«

»Na, der un sitzen! Der sitzt bloß, so lang er Lust hat. Was sünd vor den eiserne Gitters un Slösser un ßehn Fuß dicke Mauern. Bei seine fürchterliche Kraasch un infamtige Slusohrigkeit. Der hat seinen Kuhfuß mit in's Gefängnis, das könnt ihr man glauben. In irgend eine Ritze hat er ihm verstochen. Un wenn er da nich mehr sein mag, dann bricht er sich da raus un haut die Gefangenwärters zu Mus un drückt den Gefängnisdirektor die Kehl ßu, un weg is er.

»Na, un wo geht er denn woll zuerst hin? Hä?

»Früher da hab ich inne Szeitung ümmer bloß die Arnongßen gelesen, nammetags bei'n Kaffee, wenn Herr Wohland da all mit fertig is, wer sich verlobt oder verheurat oder sich das entsagt hat oder wo'n kleiner Jung oder 'ne kleine Dirn angekommen is, aber nu muß ich da gleich bei, wenn ihr kommt, un nachsehn, ob Driebenkiel auch schon ausgebrochen is. Mein einzigsten Trost is noch, wenn ich an Herrn Mudrach denk, noch ßu, wo ich neulich mal von ihm geträumt hab. Wo ich doch sonst nie nich träum. Ich hatt wieder lang gewacht un mir geängst, un zuletzt da slief ich doch ein. Un da war da in mein Traum so'n hellen Schein, un in den Schein da stand so'n Engel mit 'n feurigen Säbel, so als in Herrn Wohland seine große Bilderbibel, wo Adam un Eva aus das Paradies rausgejagt werden. Un kam auf mir ßu, un da sah ich, es war Herr Mudrach mit seinen langen ßugeknöpften Rock un hatt ein Paar Flüchten an seine Schultern, die gingen bis auf die Diele. Un kuckte mir an mit seine Augen, wo er so gräsig mit kucken kann, abersten er kuckte furchtbar gemütvoll – mir hat er überhaupt ümmer gemütvoll angekuckt. Ich ängstete mir ja denn auch gar nich, un mir war ganz selig un ruhevoll ßumut. Un hub seinen feurigen Säbel auf un sagte: ›Christiane,‹ sagte er, ›ich wache for dir!‹ Denkt euch mal, wo er doch meinen Vornamen gar nich weiß un wo er doch sonst Sie ßu mich sagt. Un denn kam er ganz dicht auf mir ßu un machte den Mund so spitz, als wollt er mir – na es war ja man ein Traum, un ich bün ßur rechten Szeit aufgewacht.«

Hier war nun endlich der geeignete Zeitpunkt gekommen, einen Keil in den Redefluß der guten Dame zu treiben, und ich sagte darum plötzlich: »Wir sollen Ihnen einen Gruß bringen, Mamsell Kallmorgen, raten Sie mal von wem?« »Na, von dein lieb Mudding natürlich!« sagte sie.

»Ja, von der auch, aber noch einen andern von einem Mann.«

»Na, wer kennt mir denn in Steinhusen. Ach, Herr Simonis. Is mich eine große Ehre.«

»Ja von dem auch. Aber es ist noch ein andrer Mann, einer von dem Sie nachts träumen.«

Sie sah mich starr an: »Ach, meine Ahnung. Darum hat mich heut morgen auch meine Nas' so gejuckt.«

»Isern Hinrich hat ihn in der Stadt getroffen, und da hat er gesagt, er ließe Ihnen seinen ehrfurchtsvollen Gruß unterbreiten und mache sein ergebenstes Komplimang und hielte die Begegnung mit Ihnen in wohlwollendem Andenken.«.

»Gott, wie fein!« sagte Mamsell Kallmorgen, »das is ja, as ob mein Traum gleich in Erfüllung geht un daß er würklich mein Schutzengel is.«

»Ja, das glaubt er auch wohl selbst,« sagte nun Adolf, »denn als isern Hinrich gesagt hat, daß Sie sich noch immer vor Driebenkiel ängstigen, da hat er gelacht und gesagt: ›Dafür sind wir am Ende auch noch da!‹«

»Das hat ihn gesagt? Das is ja ein'n himmlischen Trost for mir.«

»Ja,« fuhr Adolf fort zu erzählen, »und er hat auch gesagt, Sie wären eine ganz famoste Dame und hätten so was Distinktives in Ihrer Turnüre.«

Mamsell Kallmorgen sah an sich herunter und rückwärts über ihre Schulter, was ihr sehr sauer fiel, wurde ganz rot und schnappte ein paarmal nach Luft.

»Das muß ich nu sagen, das klingt ein ganz klein bischen snurrig, un wenn's ein andern gesagt hätt, denn würd ich denken, er wollt mir ein Lack damit anhängen, abersten, wenn Herr Mudrach das gesagt hat, denn is das ganz was Feines. Denn Herr Mudrach is ein gebildeten Mann un ein höflichen Mann un ein geistvollen Mann mit furchbar viel Kurakter. Un wenn er das gesagt hat, denn kann ich da stolz auf sein, un das bün ich auch.«

Adolf rief nun: »Und dann hat er auch noch gesagt, Sie hätten so was Seelenvolles in Ihrer Fisionognomie, und kochen könnten Sie alabonnöhr!«

»Woans heißt das: Viehsio...?« »...nognomie«, sagte Adolf ergänzend.

Mamsell Kallmorgen zog die Stirn in Falten und sah sorgenvoll aus.

»Solche gebildeten Wörter, die lassen doch manchmal ßu komisch. Das soll nu doch woll Gesicht heißen, abersten ich muß da ümmer an'n Sweinskopf bei denken. Na un mit das Kochent ... gesmeckt hat es ihm bei mich, das konnt' ne alte blinde Frau mit'n Stock fühlen. Na, un verwöhnt is er auch woll nich. Er hat mir damals erßählt, daß er'n Wittmann is un daß sein kleine Tochter ihm die Wirtschaft führt, die is erst vierzehn Jahr alt. Na un was so'n Gör ßusammenklarrt, das weiß einer doch, das hat ja keine Einsicht un keine Erfahrung nich. Na, un er is doch noch'n ganzen stattlichen Mann un ein angesehenen Mann un ein gebildeten Mann, un ein Mann, der sein gutes Einkomment hat un später noch mal seine Pangschon kriegt, na, der könnt doch am End noch ganz leicht 'ne andere Frau kriegen, natürlich in gesetzte Jahren, die gut kochen kann un am End auch noch'n bischen was hat. Das hab ich ihn damals auch schon gesagt, aber da hat er das weit von sich gesmissen un hat gesagt, er hätt noch von seine Selige genug, die wär 'n Drache gewesen un hätt ümmer mit die Füße getrampelt un wär ßuletzt an ihr eigen Gift gestickt. Ja, das is nu all so, as das is, un des Menschen Wille is sein Himmelreich, abersten, wo gemütlich könnt es nich for ihn sein, wenn er sein orndliche Abwartung wieder kriegt, un wo glücklich würd nich sonne Frau sein, die in solchen Schutz alle Nacht ruhig slafen kann un die kein Mensch was tun kann, weil ihr Mann doch bei die Polleßei is un schon die gräsigsten Verbrechers mit seine eigene Hand gegriffen hat. Ach ja!« seufzte Mamsell Kallmorgen dann aus vollem Herzen und sagte: »Na, ich bedank mir ja auch vielmals for den schönen Gruß, un wenn ihr Harrn Mudrach mal wieder seht, denn grüßt ihm auch von mich un macht ihm mein Komplimang un sagt ihm, ich müßt ümmer un ümmer an ihm denken, denn er wäre ja mein Retter von Gott gesandt – du auch mein Reinharding, natürlich, un du, mein Adolfing, büst ja auch mit beigewesen – un denn sagt ihm, ich würd sein Andenken bewahren in ein furchbar dankbares Gemüt, so lang ich noch japsen könnt. Ach, wo lang das woll noch dauert, wo ich schon sowieso mannigmal gar kein Luft nich kriegen kann.«

»Sollen wir ihm auch sagen, daß Sie von ihm geträumt haben?« fragte ich.

Mamsell Kallmorgen erschrak sichtlich und wurde rot. Als sie zu ihrer gewöhnlichen Rosenfarbe wieder abgeblaßt war, sagte sie: »Na, ich weiß nich. Es is mich scharnierlich. Un wenn es auch ßu das nich gekommen is, was er wollt, un wenn ich auch ßu gärn wüßt, wovon er mein Vornamen weiß, na, das laßt man liebersten. Das is mich nich mit. Da könnt sich wän an stoßen. Wenn er es denn erßählt, daß ich von ihn träum. Un noch ßu sowas. Ne, ne, ne, das laßt man.«

»Den Gruß«, sagte ich, »können wir aber noch lange nicht bestellen, erst in einem viertel Jahr, wenn wir in die Stadt ziehen.«

»Was,« sagte sie, »ihr wollt inne Stadt ßiehen? Un das sagt ihr mir nu erst?«

Ich teilte ihr dann die Nachricht von der Berufung meines Vaters und die ferneren Zukunftspläne mit, und sie war außer sich.

»Ach du mein Mießkätzing,« sagte sie, »denn wird es hier ja noch einsamer, as es schon is, un ich kann mir doch an dem Einsamen nich gewöhnen. So kriegt ich euch doch manchmal ßu sehen auf'n See, wenn ihr in eure neue Boot fuhrt, un wenn das for mir auch ümmer ein beängsterlichen Anblick war, so sagt ich mir doch: da fahren meine lieben Jungs ein, die sich so nett mit mich was erzählt haben und die mich das Läben gerett't haben; der liebe Gott soll sie beistehn, daß die Boot nich umkippt. Igittegittegitt, manchmal lag sie so gräsig schief. Un denn hört ich doch manchmal was von euch, wenn Wahmkow in Steinhusen gewesen war oder euch auf'n See begegent war, un ihr habt mir denn ümmer grüßen lassen. Dafor bedank ich mir auch noch vielmals. Un ich wußt ja ümmer, wenn ich auf'n Uhlenberg raufsteig, wo die Insel nach heißt un wo die kleine Auskuckhütte is, da könnt ich hinkucken nach Steinhusen un könnt die Häuser sehen, wo ihr wohnt, un wo dein lieb Mudding wohnt, Reinharding. Ich hab ihr früher gut gekannt, sie war ümmer so sanft un so solide un so furchbar gemütvoll. Ich bün da aber noch nie nich raufgestiegen, denn for das viele Gehent und for das Bergsteigent, da hab ich keine Zympathie nich. Abersten, ich hätt's doch gekonnt, wenn ich's gewollt hätt. Un nu szieht ihr weg, da kommt ja'n Loch in die ganze Gegend. Ne, ne, ich bleib hier nich un bleib hier nich, auf diese gräßliche Mörderinsel, wo'n mit keinen Menschen 'n Wort snacken kann, ich ßieh auch nache Stadt un leb mein Geld. Denn ihr müßt nich denken, daß das in den Strumpf, was Driebenkiel mir wegnehmen wollt, mein Ein un mein All war, ne, ich hab ja noch'n bischen Vermögent von meine seligen Eltern her, un denn hab ich von mein Lenetanten auch noch'n paar tausend Talers gearbt. Das Geld hab ich aber nich, das sticht in das Schiff von mein Newöh, der's Kaptän von die Rostocker Bark Christiane – das Schiff heißt nämlich nach mich, weil daß ich doch sein Tanten bün, un weil ich da doch die Parten von hab. Un verlieren kann ich das nich, denn das Schiff steht hoch in die Versicherungskasse, un wenn es untergeht, krieg ich doch mein Geld. Es is ßu snurrig. wo ich doch solche Angst for die Schiffe un for das Wasser hab, daß da nu mein bischen Geld ümmer auf rumswimmen muß. Aber ich krieg da ganze wunderschöne Szinsen von, die kommen all in die Sparkaß, un mein Newöh is ein furchbar ordentlichen Mann un macht schöne Reisen un hat sich sein Schiff schon beinah freigefahren, bloß seine un meine Parten sünd da noch in. Un manchmal schreibt er mich auch'n Brief, der furchbar viel Porto kost – ich freue mir aber doch –, den letzten war aus Montevideo, un einen kam mal aus Valparaiso.«

Mamsell Kallmorgen legte bei beiden Namen einen kraftvollen Ton auf das i und sah sehr stolz und glücklich aus. In diesem Augenblick setzte das Glockenspiel der großen englischen Standuhr in Herrn Wohlands Zimmer ein, und nachdem es seine wechselnden Akkorde beendet hatte, schlug es langsam und feierlich elf. Mamsell Kallmorgen schoß von ihrem Stuhl empor und sagte: »Mit euch, lieben Jungs, kann'n sich ßu schön unterhalten, un ich verschnack hier jawoll noch die Szeit. Ich muß ja Mittag kochen. Wenn Stina man bloß nich schon Unsinn gemacht hat. Un wenn es so'n rechten dollen gewesen is, ›ich dacht‹ sagt sie denn. Un das könnt ihr mir man glauben, mit die denkenden Dienstmädchens is das ein Jammer. Die denken nichs as Unsinn. Na, satt seid ihr jawoll, sonst schneid't euch man noch'n bischen ab. Un denn grüßt auch eure lieben Eltern un Herrn Simonis un – na, ihr wißt schon. Un laßt euch noch mal sehn, eh ihr wegreist. Adjö, adjö!« Wir waren aufgestanden, und nun bekamen wir jeder einen ihrer ungeheuren Küsse, was ich aber diesmal leichter ertrug, weil ich einen Gefährten im Leide hatte.

»Horre!« sagte Adolf, als sie hinaus war, und fuhr sich mit der Hand über den Mund, während ich ihn schadenfroh angrinste.

Wir verabschiedeten uns dann von Herrn Wohland und kehrten sehr befriedigt von unserem Ausfluge nach Steinhusen zurück.


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