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Dreizehntes Kapitel.

Auf Schloß Ellieslaw waren große Vorbereitungen für die Beherbergung und Bewirtung der zahlreichen Gäste getroffen worden, die zu diesem großen Tage dort erwartet wurden. Nicht bloß die in diesem Landesteil durchweg zur jakobitischen Partei gehörigen Standesherren, sondern auch allerhand Leute minder hohen Ranges, die aus allerhand Ursache, ungünstige wirtschaftliche Lage, Lust am Neuen, Haß gegen England, in das regierungsfeindliche Lager und zur Teilnahme an solch gefährlicher Unternehmung getrieben wurden, Männer von wirklich hohem Rang und Vermögen befanden sich jedoch im Grunde nicht viele darunter. Die großen Grundbesitzer blieben fern, und der niedere Adel, wie auch die Bauern, welche die Landmiliz stellten, waren zur sogenannten presbyterianischen oder reformierten Kirche gehörig, also schon aus diesem Grunde, so unzufrieden sie mit der Union an sich waren, zur Beteiligung an einer jakobitischen Verschwörung nicht geneigt. Ausnahme hiervon bildeten ein paar Landedelleute, die sich teils aus traditionellem Parteihange wie Mareschal auf Wells, teils aus persönlichem Ehrgeiz wie Laird Ellieslaw, zu den Grundsätzen, welche die Verschwörung verfolgte, bekannten. Was sonst von der Bevölkerung in den Bahnen derselben wandelte, waren Personen niederen Ranges und schlechter Vermögenslage, schon damals zum Aufstande bereit, der später, Anno 1715, unter den Führern Forster und Derventwater zum Ausbruch gelangte, als ein Grenzedelmann des Namens Douglas für das Haus Stuart in Waffen trat.

Eine lange Tafel war in der weiten Halle des Schlosses aufgeschlagen, das noch ganz die baulichen Einrichtungen früherer Jahrhunderte aufwies. Die »Halle« war also noch, wie zu jener frühen Zeit, ein langer, finsterer Raum mit Schwibbogen aus Bruchstein über weit ausgekragten Figuren, die solch wunderlich-groteske Formen aufwiesen, wie der Phantasie eines gotischen Baukünstlers nur jemals entsprungen sein mögen, und füllte die ganze eine Schloßseite aus. Der Bankettsaal erhielt sein Licht durch lange schmale Fenster, die, zu beiden Seiten befindlich, mit bunten, den Schein abdämpfenden Scheiben durchsetzt waren, über dem Sessel, in welchem Laird Ellieslaw als Leiter der Verhandlungen seinen Sitz hatte, wehte ein Banner, der bestehenden Überlieferung nach den Engländern in der Schlacht bei Sark entwunden, gleichsam berechnet darauf, den Mut der versammelten Schloßgäste durch die Erinnerung an früher errungene Siege über ihre reisigen Nachbarn zu entzünden. Der Laird selbst, eine stattliche Gestalt mit stolzen, trotz ihres finstern Ausdrucks schönen Zügen, zum vorhandenen Anlaß in standesgemäßer Tracht, spielte die Rolle des Baronets aus der alten Feudalzeit ganz vorzüglich. Ihm zur Rechten hatte Sir Frederick Langley, ihm zur Linken Sir Mareschal auf Wells seinen Platz. Am oberen Ende der Tafel saßen mit ihren Brüdern und Vettern mehrere Herren von Rang und Ansehen, unter ihnen auch Sir Ratcliffe. Unterhalb des Salzfasses aus massivem Silber, das in der Mitte der Tafel stand, saß »der Schwarm«, Leute mit geringem und auch ohne Namen, die eine Befriedigung ihrer Eitelkeit auch in dem untergeordneten Platze fanden, der ihnen hier angewiesen wurde, Repräsentanten eines »Unterhauses«, bei dessen Zusammensetzung keine »strenge Hand gewaltet« hatte: denn zu ihnen gehörte sogar »kein geringerer« mit als Willie von Westburnflat. Für dieses Menschen Unverfrorenheit, sich in dem Hause eines Edelmanns zu zeigen, dem er eben erst einen solch eklatanten Schimpf angetan, ließ sich bloß eine Erklärung finden: daß derselbe nämlich nicht im geringsten sich darüber im unklaren war, daß seine Rolle bei des Mädchens Entführung ein Geheimnis sei, das bei ihm selbst, wie auch ihrem Vater sicher ruhe.

Dieser zahlreichen, an sich recht gemischten Gesellschaft war ein reiches Essen aufgetragen worden, ein Essen so reich an soliden, aus Erzeugnissen von Schottlands Erde bereiteten Speisen, daß, wie man sich gern auszudrücken pflegt, »der Tisch krachte«. Aber die Fröhlichkeit stand zu der großartigen Bewirtung nicht im richtigen Verhältnis: am unteren Teile der Tafel fühlten sich die Gäste bedrückt durch den Zwang, den sie sich als Gäste solches Hauses, als Tafelgenossen solcher illustren Gesellschaft Wohl oder übel auferlegen mußten. Ähnlich erging es dem, »Herrn Küster«, der, wie er sich ausdrückte, »in Ehrfurcht erstarb«, als er den Psalm in Anwesenheit so hochgestellter Herrschaften, wie z. B. des »allweisen Herrn Lokal- und Friedensrichters Freeman«, der »lieben, gnädigen Frau Johnes« und des »vielvermögenden Herrn Sir Thomas Truby« anstimmen mußte. Erst als die Becher zu kreisen anfingen, wich in diesen »untern Regionen« die zeremoniöse Kälte der Fröhlichkeit; erst dann fing es an, dort in allmählicher Steigerung erst gesprächig, dann laut, zuletzt geräuschvoll zu werden.

Anders an den oberen Plätzen, wo die kältende Erregung, die häufig beim Menschen eintritt, wenn er sich, in Umstände versetzt, die ein Vorwärts ebenso erschweren wie ein Rückwärts, gezwungen sieht, verzweifelte Entschlüsse zu fassen. Je näher sie dem Rande des Abgrundes rückten, desto tiefer und gefährlicher erschien ihnen sein Schlund, und alle warteten voll Scheu, wer zuerst von ihnen den Sturz hinunter wagen würde. Diese Empfindung von Furcht, gepaart mit Widerstreben, wirkte je nach den Gewohnheiten und dem Charakter der anwesenden Gäste verschieden: der eine schnitt ein ernstes, der andre ein einfältiges Gesicht; ein dritter blickte mit ängstlicher Besorgnis auf die leeren Sitze am oberen Ende der Tafel, wo solche fehlten, welchen politischer Eifer noch nicht alle Klugheit, sich im letzten Augenblick fern zu halten, geraubt hatte. Noch andre schienen sich die Chancen derjenigen, welche fehlten, im Vergleich zu den Chancen derjenigen, welche anwesend waren, zu überschlagen.

Sir Frederick Langley zeigte eine finstere, friedlose Miene und ein zurückhaltendes Wesen; Laird Ellieslaw gab sich, aber mit viel Gezwungenheit, allerhand Mühe, den Mut der Versammelten anzuspornen, war aber nicht imstande, den Eindruck, als fehle es ihm selber am meisten an Mut, zu verwischen. Ratcliffe überschaute das Bild, das sich ihm bot, mit wachsamem Auge, aber mit der Miene eines völlig unbeteiligten Gastes, Mareschal allein wahrte seine ungebundene Fröhlichkeit und durch nichts zu beirrende Zuversichtlichkeit, aß und trank, scherzte und lachte und schien sogar an der Beklommenheit, die sich der Versammlung bemächtigte, an der Schwüle, die im ganzen Räume herrschte, »sein Gaudium zu haben«.

»Was hat euern heut morgen noch so blendenden Mut so dämpfen können?« rief er aus. »Es nimmt ja den Anschein, als seien wir hier zu einem Begräbnis versammelt, bei welchem die Leidtragenden kaum atmen dürfen, während« – dabei blickte er auf die untere Tafel – »die gedungenen Weh- und Klageleute lärmen wie beim wüsten Gelage. Wann wollt Ihr mit der Debatte beginnen, Ellieslaw? Was hat die hochtrabenden Hoffnungen des Ritters von Langley-Dale so verkümmert?«

»Ihr sprecht gleich einem Narren,« versetzte Ellieslaw barsch, »seht Ihr denn nicht, wieviele fern geblieben sind?«

»Was will das sagen?« erwiderte Mareschal, »war es Euch denn nicht vorher klar, daß die Hälfte der Menschheit mit dem Maule flinker ist als mit der Hand? Was mich persönlich angeht, so fühle ich mich eher ermutigt als entmutigt insofern, als ich doch wenigstens zwei Drittel unsrer Freunde in unsrer Halle anwesend sehe. Freilich scheint mir zu dem Argwohn, daß die Hälfte von allen bloß gekommen sei, schlimmstenfalls ein Mittagessen zu schnorren, mancherlei Ursache vorhanden zu sein.«

»Es ist keinerlei Kunde von der Küste herübergekommen, die uns über die Landung des Königs Verläßliches meldet«, bemerkte ein anderer in jenem Halbton beklommenen Geflüsters, der auf Mangel an Klarheit und Entschlossenheit deutet.

»Kein einziges Wort vom Grafen D–! Kein einziger Mann von der südlichen Grenze!« bemerkte ein Dritter.

»Wer hat Begehr nach Mannen noch mehr von englischem Boden und Grund?« rief Mareschal im affektierten Heldenton.– »Laird Ellieslaw, Ihr Vetter mein! Dann zeigt ihn mir flink, den Hund – und sollte der Tod uns beschieden sein –«

»Um Gottes und Schottlands willen, Vetter,« unterbrach ihn Ellieslaw, »bloß jetzt keine Torheiten, Mareschal!«

»Wohlan denn!« versetzte der Vetter, »so will ich statt ihrer Euch von meiner Weisheit zum besten geben was ich besitze. Sind wir vorwärts gegangen wie Narren, so wollen wir nicht rückwärts gehen wie Memmen! Genug, den Verdacht der Regierung uns auf den Hals zu laden, haben wir getan. Ein Zurück gibt es für uns nicht mehr, solange wir nicht was getan haben, das einen Grund und ein Recht dazu gibt! Was? Will keiner das Maul auftun? Nun, so will ich als erster den Sprung über den Graben wagen!« Er sprang auf, goß einen Humpen voll Rotwein, erhob denselben und gebot allen, seinem Beispiel zu folgen und sich von den Sitzen zu erheben.

Alle gehorchten: die Gäste höhern Standes gewissermaßen in passivem Gehorsam, die andern voll Begeisterung.

»Freunde! Kameraden!« rief Mareschal wieder, »vernehmt die Parole des Tages: Schottlands Unverletzlichkeit und unsers rechtmäßigen Königs Jakobs des Achten Gesundheit! Gelandet ist Seine Majestät soeben in Lothian und zurzeit schon, wie ich traue und glaube, wieder im unbeschränkten Besitz seiner Hauptstadt!« Er trank den Humpen leer bis auf die Neige und schleuderte ihn über sein Haupt mit dem Rufe: »Nimmer soll er entweiht werden durch geringeren Spruch.«

Alle folgten seinem Beispiel und verbürgten ihr Wort beim Krachen der Gläser, und unter den Zurufen der Gesellschaft, mit den Grundsätzen ihrer Partei, wie ihr Trinkspruch sie gekündet hatte, zu stehen und zu fallen.

»Den Sprung über den Graben habt Ihr getan unter Zeugenschaft!« sprach Ellieslaw beiseite zu Mareschal, »indessen glaube ich, daß es auch so zum besten führen werde. Jedenfalls habt Ihr recht mit der Rede, daß es kein Zurück mehr für uns gibt. Ein Mann« – er blickte auf Ratcliffe – »hat die Teilnahme am Spruch verweigert. Aber dies nur beiläufig!«

Hierauf erhob er sich und sprach zur Versammlung Worte bitterer Schmähung gegen die Regierung und ihre Anordnungen, vornehmlich aber gegen die Union: die er ein Abkommen hinterhältigster Art nannte, durch das Schottland um seine politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit betrogen und als gefesselter Sklave seinem Nebenbuhler England zu Füßen geworfen worden sei, gegen dessen Usurpation schottischer Macht und schottischen Rechts es sich jahrhundertelang mit Blut und Ehren in so mancher Gefahr gewehrt habe.

Hiermit war ein Ton angeschlagen, der in der Brust aller Anwesenden eine mächtig klingende Saite anschlug.

»Unser Handel ist vernichtet!« schrie der alte John Newcastle, ein Schleichhändler aus Jadburgh, am untern Ende der Tafel.

»Unser Ackerbau ist zugrunde gerichtet!« rief der Gutsherr von Broken-Girth-flow und Eigentümer von Land, das seit Adams Zeiten nichts als Heidekraut und Schwarzbeeren getragen hatte.

»Unsre Religion ist mit Stumpf und Stiel ausgerottet!« jammerte der rotnasige Pastor von Kirkwhistle.

»Ohne Gutschein vom Kirchenältesten und Sprengel-Rendanten werden wir bald kein Reh mehr schießen und keine Dirne mehr küssen dürfen«, rief Mareschal auf Wells.

»Und ohne Gutschein vom Steueramtsschreiber bald keinen Krug Bier mehr an kalten Wintertagen mehr brauen dürfen«, rief der Schleichhändler.

»Und in keiner finstern Nacht mehr über Moor und Heide reiten,« ergänzte Westburnflat, »ohne Gutschein vom englisch gesinnten Friedensrichter à la Earnscliff! Ha! Waren das schöne Zeiten an der Grenze, als von Frieden und Friedensrichtern noch keine Rede war!«

»Gedenken wir des bittern Unrechts von Darieu und Glencoe!« hub Laird Ellieslaw wieder an, »und ergreifen wir die Waffen zum Schutz unsrer Rechte, unserer Habe, unseres Lehns und unsrer Sippe!«

»Gedenket der rechten bischöflichen Weise, ohne die es keine recht- und gesetzmäßige Priesterschaft geben kann!« sprach der Pfarrer.

»Gedenket des Seeraubes, der von Green und den englischen Dieben an eurem ostindischen Handel begangen wurde!« rief William Willieson, Eigentümer zur Hälfte und alleiniger Kapitän einer Brigg, die zwischen Cockpool und Whitehaven jährlich vier Fahrten machte.

»Gedenket eurer Freiheiten!« hub Mareschal wieder an, einem Schelm von Jungen gleich, der die Schleusen eines Mühldammes geöffnet und nun am Geklapper der Räder sich weidet, von boshafter Freude erfüllt über all diese Äußerungen einer von ihm künstlich geweckten Begeisterung – »hole der Teufel die Steuern samt allen Steuerbeamten und allem Andenken an den alten Simpel von Willie, der solchen Fluch unserm Lande gebracht hat!«

»Verdammt sei dieser Aichmeister der Union!« schrie der alte John Newcastle – «mit eigener Hand will ich ihn spalten!«

»Verdammt seien Friedensrichter und Gerichtsbüttel!« schrie Westburnflat – »noch vor Tagesgrauen will ich ihnen gefeite Kugeln auf den Pelz brennen!«

»Wir alle, die wir hier versammelt sind,« sprach Ellieslaw, als der Lärm nachgelassen hatte, »sind also des einmütigen Willens, solchen Zustand der Dinge nicht länger mehr zu dulden!«

»Sämtlich stehen wir ein, daß es anders werden müsse im Lande!« riefen die Versammelten wie aus einem Munde.

»Nicht ganz!« verwahrte sich Sir Ratcliffe; »wenn ich auch nicht hoffen darf, die heftige Aufregung zu dämpfen, die sich der Versammlung so plötzlich bemächtigt zu haben scheint, so bitte ich doch, soweit die Meinung eines einzelnen Mitgliedes der Versammlung Geltung finden kann, gelten zu lassen: daß ich nicht in völliger Übereinstimmung stehe mit der Reihe von Beschwerden, die soeben ausgesprochen worden sind! sowie daß ich gegen die wahnwitzige Maßregel zur Abstellung der vermeintlichen Mißstände Protest erhebe, zu deren Annahme die Versammlung geneigt zu sein scheint. Freilich kann ich verstehen und will ich gelten lassen, daß vieles von dem hier Verlautbarten seine Begründung finden mag in der Erregtheit der Zeit, vielleicht auch nur im Scherz so gemeint worden ist! Indessen gibt es Scherze auf solchem Gebiete, die Wohl leicht laut, aber nicht leicht verdaut werden, Und die Herren dürften gut tun, nicht unvergessen zu lassen, daß schon häufig auch steinerne Mauern Ohren gehabt haben!«

»Es mögen freilich, auch steinerne Mauern ihre Ohren haben!« versetzte mit einem Blicke sieghafter Bosheit Laird Ellieslaw, »aber Spione im Innern der Häuser, Sir Ratcliffe, haben bequemere Wege, vornehmlich solche, die ihren Aufenthalt in Familien nehmen, ohne daß sie gerufen wurden, und ohne Erlaubnis verlängern! die es aber, wenn sie solchen Wink nicht verstehen und nützen, erleben können, daß sie das Haus, in das sie sich eingeschlichen haben, verlassen in der Rolle des an der Nase geführten Schurken!«

»Sir Vere!« versetzte Ratcliffe mit Ruhe, aber um so größerer Verachtung, »ich bin mir recht wohl bewußt, daß meine Gegenwart hier im selben Verhältnis, wie sie Ihnen immer verhaßt war, für mich unsicher wird im selben Moment als sie Ihnen nicht mehr von Nutzen ist. Einen Schutz und zwar einen recht starken, habe ich; denn es wird Ihnen nicht eben genehm sein, wenn ich vor diesen Herren und Männern von Ehre die absonderlichen Umstände offenbare, unter welchen unsre Beziehungen ihren Ursprung fanden. Im übrigen freue ich mich über die Beendigung unseres Verhältnisses, und wenn mir, was ich wohl annehmen darf, Herr Mareschal im Verein mit einigen anderen Herren für die Dauer der Nacht Sicherheit verbürgt für Ohren und Hals (für den ich besonderen Grund zu Besorgnissen haben zu sollen meine), so werde ich vor morgen früh, Laird Ellieslaw, Ihr Schloß nicht verlassen.«

»Sei es so!« versetzte dieser, »Eure Inferiorität, die gesellschaftliche sowohl als andere, schützt Euch vor meiner Rache, nicht aber die Scheu vor Offenbarung meiner Privatverhältnisse, nichtsdestoweniger gebe ich Euch in Eurem Interesse den Rat, Euch davor zu hüten. Einem Mann, der alles gewinnen oder alles verlieren muß, je nachdem in dem nunmehr bevorstehenden Kampfe Recht und Gesetz oder rechtswidriger Raub von Krone und Thron den Sieg erringen, kann Eure Geschäftsführung und Vermittlung nur von geringem Wert sein. Drum lebt Wohl, Herr!«

Ratcliffe stand auf und warf dem Laird einen Blick zu, dem derselbe nur mühsam standzuhalten schien. Dann verbeugte er sich vor der übrigen Gesellschaft und schritt aus der Halle.

Den peinlichen Eindruck, welchen dieses Zwiegespräch bei vielen Anwesenden hervorrief, suchte Ellieslaw durch die Eröffnung der Debatte über die Tagesordnung zu verwischen. Dieselbe wurde in beschleunigtem Tempo geführt. Sie bezog sich in der Hauptsache auf die sofortige Organisation des Aufstands. Ellieslaw, Mareschal und Frederick Langley wurden zu Anführern ernannt und mit der Vollmacht, alle notwendigen Maßregeln anzuordnen, ausgestattet. Es wurde ein Treffort vereinbart, wo sich am andern Morgen jeder Anwesende mit soviel Begleitern einzufinden gelobte, als sich in seiner Umgebung für die Verfechtung der hier zu Recht erklärten Forderungen finden lassen würden.

Einige von den Gästen begaben sich, um die erforderlichen Vorbereitungen zu treffen, zu sich nach Hause. Laird Ellieslaw entschuldigte sich bei den andern, die mit Westburnflat, dem Wegelagerer, und John Newcastle dem Schleichhändler, noch beim guten Trunke verweilten, daß er die Tafel, so früh verlasse aus Rücksicht auf die Verhandlungen, die er mit den ihm zur Seite gegebenen Führern noch pflegen müsse. Solche Entschuldigung wurde für um so willkommener erachtet, als mit ihr die Aufforderung verbunden wurde, sich an den Erfrischungen, welche die Keller des Schlosses boten, noch weiterhin gütlich zu tun.

In dem Gemache, wohin sich die drei Rädelsführer zurückgezogen, blickte zunächst einer den andern nicht ohne einen gewissen Grad von Beklommenheit an. Während sich dieser Ausdruck auf Sir Fredericks finsterm Antlitz zu mürrischer Verdrossenheit wandelte, brach Mareschal zuerst das Schweigen durch helles Lachen.

»Wohlan!« rief er, »jetzt haben wir die Schiffe hinter uns verbrannt! Jetzt heißt's: Schwimmen!«

»Für diesen jähen Tauchersprung müssen wir Ihnen Dank sagen,« meinte Ellieslaw.

»Hm! Ob mir euer Dank aber noch sicher ist, wenn ich euch das Schreiben hier zeige, das mir zur Zeit behändigt wurde, als wir uns zur Tafel setzten, weiß ich nicht recht. Mein Knappe brachte mir das Schreiben mit dem Bescheide, es sei ihm von einem Manne zur Weitergabe an mich überantwortet worden, den er nie vorher im Leben gesehen habe und der, sobald er sich des Auftrags entledigt habe, weitergaloppiert sei und ihm bloß noch ans Herz gelegt habe, das Schreiben ohne Säumen an mich zu bestellen.«

Voller Ungeduld entfaltete Laird Ellieslaw das Schreiben und las:

Edinburg – Werter Herr! Da mich gegen Eure Sippe Verpflichtungen fesseln, die hier nicht erörtert zu werden brauchen, und mir eben bekannt wird, daß Ihr in enger Verbindung mit den Spekulanten steht, die für das Haus Jakob u. Co., früher in London, jetzt in Dünkirchen seßhaft, arbeiten, halte ich es für geboten. Euch die noch wenig bekannten Mitteilungen zu machen, daß die von denselben erwarteten Schiffe von der Küste abgetrieben wurden, bevor sie ihre Ladung oder auch nur einen Teil derselben löschen konnten; und daß sich die Geschäftsfreunde im Westen dahin verständigt haben, ihre Namen aus der Firma zu scheiden, weil hinfort alle Geschäfte bloß noch mit Verlusten entriert werden könnten.

In der lebhaften Hoffnung, daß Euch diese Nachricht rechtzeitig zu Händen kommen und nützen und Euch instandsetzen, auch dazu bereit finden möge, alle Maßregeln zu treffen, die Euch vor Schaden schützen können, verbleibe ich Euer untertäniger Diener

Nihil Anonymus.

An Herrn Ralf Mareschal auf und zu Mareschal-Wells. Sofort zu bestellen.

Sir Frederick ließ das Kinn bis zu den Knieen hängen, als der Brief zu Ende war, und sein Gesicht legte sich in die finstersten Falten, als Wieslaw nun rief:

»Das betrifft die eigentliche Sprungfeder unserer Unternehmung. Ist die französische Flotte mit König Jakob an Bord durch die englische Flotte verjagt worden, wie aus diesem vermaledeiten Gekritzel, wie es scheint, geraten werden soll, so frage ich: wie und wo stehen wir nun?«

»Genau so und genau dort, meiner Ansicht nach, wie heute morgen!« entgegnete Mareschal, nach wie vor lachend.

»Verzeiht, Mareschal, aber Eure Lustigkeit erscheint übel angebracht und bleibt besser beiseite: Heute morgen hatten wir uns öffentlich noch nicht bloßgestellt, wie jetzt zufolge Eures tollkühnen Benehmens, um so tollkühner, man darf sagen verrückter, als Ihr doch das Schreiben in der Hand hattet, das uns von der Aussichtslosigkeit unseres Beginnens in Kenntnis setzt!«

»Freilich! Daß Ihr solches sagen würdet, darauf bin ich und war ich gefaßt. Fürs erste aber kann Freund Nihil Anonymus mitsamt seinem Schreiben eine Farce sein; sodann wollte ich Euch den wirksamsten Beweis dafür liefern, daß ich einer Partei überdrüssig bin, die abends kühne Pläne schmiedet und sie über Nacht verschläft! Heute ist die Regierung noch unversorgt mit Munition und Truppen; binnen wenigen Wochen wird sie an beidem mehr denn Überfluß haben. Heute steht das Land gegen sie in Feuer und Flammen; morgen wird Eigennutz, Furcht und Lauheit die Gemüter kälter gestimmt haben wie das Wetter um Weihnachten. Ich meinesteils aber bin entschlossen, alles auf einen Trumpf zu setzen. Deshalb habe ich dafür Sorge getragen, daß Ihr ganz ebenso hoch spielt wie ich. Gleichgültig hierbei ist, ob ich Euch zu offener Erklärung gezwungen habe oder nicht: Ihr steht jetzt mitten drin im Moore und müßt durch, wenn Ihr nicht drin versinken wollt!«

»Ihr irrt Euch, Herr Mareschal, betreffs eines von uns!« sprach Sir Frederick Langley, zog die Klingel und befahl dem eintretenden Diener, seinen Leuten zu melden, daß sie sich zu sofortigem Aufbruch zu rüsten hätten.

»Auf solche Weise verlassen dürft Ihr uns nicht, Sir,« verwahrte sich Ellieslaw, »wir müssen doch zuvörderst unsere Musterrollen durchsehen!«

»Ich will noch heut nacht fort, Sir Vere,« entgegnete Sir Frederick, »und euch meine Absichten in dieser Angelegenheit, sobald ich zu Hause bin, schriftlich bekannt geben.«

»So, so!« spottete Mareschal, »und wollt uns das Schreiben mit einem berittenen Trupp aus Carlisle übermitteln und uns gefangen nehmen lassen? Hütet Euch, Sir Frederick! Ich wenigstens mag mich weder aufs Trockne setzen noch hinters Licht führen noch verraten lassen! Wollt Ihr heut nacht noch aus Ellieslaw weg, so findet Ihr den Weg bloß über meine Leiche!«

»Schämt Euch, Mareschal!« rief Sir Vere, »wie könnt Ihr unserm Freunde im Handumdrehen solch schlimme Absicht unterschieben? Ich bin fest überzeugt, daß Sir Frederick nur im Scherze spricht. Wären wir nicht zu ehrenhaft, um je an einen Verzicht auf unsere Pläne denken zu können, so müßte er doch bedenken, daß wir den vollen Beweis für seinen Beitritt zu der Verschwörung und seine eifrige Förderung derselben in Händen haben. Zudem muß er sich dessen bewußt halten, daß die Regierung die erste Anzeige gern registrieren und dankbar erkennen wird und daß wir ihm doch, wenn die Sache darauf hinauslaufen soll, leicht ein paar Stunden abgewinnen können, um die Vorhand zu spielen!«

»Ihr solltet hier von Euch nur sprechen, nicht von uns, wenn Ihr von Vorhand bei solch verräterischem Rennen sprecht!« sagte Mareschal, »denn was mich angeht, so ist mir mein Roß zu schade, um es zum Zweck solcher Schurkerei zu besteigen!« Zwischen den Zähnen flüsternd, setzte er hinzu: »Ein famoses Schurkenpaar, um in seiner Gesellschaft den Hals zu riskieren!«

»Ich brauche niemand, mir zu soufflieren, was zweckmäßig für mich sei, was nicht!« erwiderte Langley, »mein erster Schritt soll sein hinaus aus Schloß Ellieslaw und weg von Laird Ellieslaw, dem mein Wort zu halten schon um deswillen kein Grund für mich vorliegt, weil er mir das seinige nicht gehalten hat.«

»Und worin hätte ich Euch, Sir Frederick, mein Wort nicht gehalten?« fragte Ellieslaw, dem Vetter durch eine Gebärde sein Ungestüm verweisend.

»In meinem empfindlichsten und im zartesten Punkte des Herzens – Ihr habt mir was von einer Heirat vorgeschwatzt, die, wie Euch recht gut bekannt ist, als Pfand für unsere politische Unternehmung gesetzt war! Den Raub und die Rückkehr Eurer Tochter und all Eure entschuldigenden Worte für die mir von Eurer Tochter bereitete kalte Aufnahme halte ich für leere Ausflüchte, zu dem Zweck erhoben, die ihr von Rechts wegen gehörigen Güter in Eurem Besitz zu behalten, mich hingegen unterdessen als Werkzeug bei Eurem verzweifelten Unternehmen zu benützen und dafür mit Hoffnungen abzuspeisen, die sich durch Euch niemals verwirklichen lassen, zu deren Verwirklichung Ihr überhaupt nicht gesonnen seid!«

»Sir Frederick! Bei allem, was heilig ist, versichere ich Euch –«

»Ich mag nichts mehr von Beteuerungen und Versicherungen hören! Man hat mich schon zu lange getäuscht –«

»Wenn Ihr uns im Stiche laßt, Sir Frederick,« sagte Ellieslaw, »dann müßt Ihr damit rechnen, daß Euer Untergang gleich dem unsrigen außer Zweifel steht! Jetzt hängt alles nur vom Zusammenhalten unsrer Kräfte ab.«

»Laßt mich für mich allein sorgen!« versetzte der Ritter. »Sprächet Ihr aber die Wahrheit, dann würde ich lieber umkommen als mich länger zum Narren halten lassen!«

»Kann Euch nichts von meinem aufrichtigen Willen überzeugen?« fragte nicht ohne Beunruhigung Laird Ellieslaw. »Heute morgen hätte ich Euren ungerechten Verdacht als Schimpf zurückgewiesen; aber in unserer gegenwärtigen Lage –«

»In der gegenwärtigen Lage«, fiel ihm Sir Frederick ins Wort, »fühlt Ihr Euch zur Aufrichtigkeit gezwungen? Wollt Ihr, daß auch ich dies glaube, dann könnt Ihr nur auf einem einzigen Wege mich davon überzeugen, indem Ihr Eure Tochter bestimmt, mir noch heute abend ihre Hand zu reichen!«

»So schnell?« versetzte Sir Vere, »das geht unmöglich! Bedenkt den Schrecken des Mädchens und unser gegenwärtiges Unternehmen!«

»Mir gilt nichts anderes mehr für gewiß als ihr Jawort am Altar! Ihr habt im Schloß eine Kapelle. Der Pfarrer weilt bei der Tafelgemeinschaft. Gebt mir noch heute abend diesen Beweis Eures ehrlichen Willens, und wir sind wieder durch Herz und Hand verbunden. Weigert Ihr mir aber mein Gesuch in einem Augenblicke, wo seine Gewährung Eurem Nutzen und Vorteil so angemessen ist, wie soll ich Euch dann am andern Tage vertrauen, nachdem ich mich bloßgestellt habe und wenn jedes Zurück für mich ausgeschlossen ist?«

»Kann ich darauf bauen, daß unsre Freundschaft die alte bleibt, wenn Ihr heut abend mein Schwiegersohn seid?« fragte Laird Ellieslaw.

»Unfehlbar!« versetzte Sir Frederick, »und unabänderlich!«

»Dann meine Hand darauf,« rief Sir Vere, »daß meine Tochter, so vorschnell und so unzart und ungerecht gegen meinen Charakter Euer Vorgehen auch ist, heut abend Euer Weib sein soll.«

»Heute abend – nicht anders!« betonte Sir Frederick.

»Heute abend, nicht anders!« beteuerte Ellieslaw, »noch ehe die Glocke zwölf Uhr geschlagen, sollt Ihr ins Ehebett steigen.«

»Mit Verlaub und Willen jedoch der edlen Dame!« nahm jetzt Mareschal das Wort – »nicht anders! Denn das mögen die beiden Herren sich gesagt sein lassen, daß ich nicht zugeben werde – unter keinen Umständen und keiner Bedingung, – daß meiner hübschen Base hierbei auch nur der leiseste Zwang auferlegt werde!«

»Die Pest über den Hitzkopf!« brummte der Laird zwischen den Zähnen, um dann laut fortzufahren: »Wofür seht Ihr mich an, Mareschal, daß Ihr solche Einmischung für nötig erachtet, als Schützer meines Kindes gegen mich, ihren leiblichen Vater? – Verlaßt Euch darauf, Sir Frederick Langley ist ihr nicht unsympathisch!«

»Oder vielmehr wohl«, wandte Mareschal ein, »der Titel Lady Langley? Das letztere bedünkt mich wahrscheinlicher: und dieser Meinung möchten schließlich auch andre hübsche Damen sein! Ich bitte um Verzeihung. Aber solch plötzliche Forderung, gefolgt von solch plötzlichem Zugeständnis, hat mich um meiner hübschen Base willen in gewisse Unruhe versetzt.«

»Mich versetzt einzig und allein die plötzliche Erledigung der Angelegenheit in Unruhe,« nahm Ellieslaw wieder das Wort, »und falls es mir unmöglich sein sollte, die Einwilligung meiner Tochter in solcher Kürze zu erhalten, so wird Sir Frederick zu bedenken haben ...«

»Keine Rede hiervon, Sir Vere! Ich wiederhole: entweder bis heute Mitternacht die Hand Ihrer Tochter – oder ich reise ab, und wäre es um Mitternacht! Dies betrachtet als mein Ultimatum!«

»Angenommen,« sprach Ellieslaw; »ich verlasse Euch jetzt, um meine Tochter auf diese jähe Handlung vorzubereiten; Euch hingegen ersuche ich, alle Vorsorge für kriegerische Eventualitäten zu treffen.«

Mit diesen Worten verließ er die beiden Gefährten.


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