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Zehntes Kapitel

Verdrossen über die Kälte, mit der, seiner Ansicht nach, eine ihn so nahe angehende Sache von seiner Sippe behandelt wurde, hatte Hobbie Elliot sich von ihr getrennt und war jetzt auf einsamem Heimritt begriffen.

»Fahr' der Satan dir ins Gebein!« brummte er, indem er sein müdes Tier, das kaum noch weiter konnte, mit den Sporen traktierte, »du bist wie alle andern Geschöpfe! Gehegt und gepflegt hab' ich dich und aufgefüttert mit eigener Hand, und jetzt willst du stolpern, da ich dich gerade am meisten brauche, und mir den Hals brechen? Aber lauf! Du bist wie die andern! Alle sind sie mir verwandt, durchweg Vettern, wenn auch zuweilen erst zehnten Grades: aber ich würde ihnen dienen Tag und Nacht und mit meinem besten Blute. Sie aber erweisen dem Räuber von Westburnflat mehr Rücksicht als ihrem eignen Fleisch und Blut! ... Weh mir!« fuhr er fort, überwältigt von den ihm zuflutenden Erinnerungen: »jetzt sollte ich sie sehen, die Lichter in Heugh-foot! Wär' nicht die Urahn und wären die Schwestern nicht ... und wär nicht« (nur ein wildes Schluchzen entrang sich der mannhaften Kehle) ... »wär nicht die arme Grace, dann könnt' mich die Lust befallen, das Tier zu spornen und den Abhang hinunter ins Wasser zu springen, daß alles, alles ende!«

In solch untröstlicher Stimmung wandte er den Zügel seines Rosses der Hütte zu, in welcher die Urahn mit seinen Schwestern Zuflucht gefunden hatte.

Der Tür nahe, drang ihm Flüstern und Lachen der Schwestern entgegen.

»Der Satan ist unter dem Weibsvolk!« sprach der arme Hobbie, »wiehern würden sie, auch wenn ihr liebster Freund als Leiche daläge! Und doch wieder freut es mich, daß sie die Herzensfreudigkeit behielten, die armen, lieben, dummen Dinger! Sicher, sicher! Das Böse kommt ja über mich, nicht über sie!« Also mit sich im Gespräch, unterzog er sich der Arbeit, sein Pferd im Schuppen anzubinden... »Kannst dich heut mal ohne Gurt und Decke behelfen, Schlingel,« sprach er zu dem Tiere, »wir sind beide gleich herunter, armes Vieh! Du und ich! Es wär' uns beiden besser, wir lägen im tiefsten Teiche von Tarras!«

Da kam die jüngste der Schwestern gesprungen und störte ihn aus seinem sich selbst feindlichen Grübeln. Mit gezwungener Stimme, gleichsam beflissen, eine Erregung, die in ihr stürmte, niederzukämpfen, rief sie ihm zu:

»Hobbie, Hobbie! Was treibst du Kurzweil mit deinem Gaul? Schon eine Stunde lang harrt jemand aus Cumberland deiner! O, seit länger schon denn einer Stunde! Schnell, schnell ins Haus, Mann! Ich will dem Tier den Sattel abgürtenl«

»Jemand aus Cumberland?« schrie Elliot, der Schwester den Zaum zuwerfend und mit einem Sprung in der Hütte ... wo ist er? Wo?« rief er, schnell blickend nach allen Seiten und, als er bloß Frauen sah, fragend: »Hat er Kunde gebracht von Grace?«

»Keinen Augenblick mehr möchte er warten, der Ungeduldige!« meinte mit unterdrücktem Lachen die älteste Schwester.

»Still, ihr Mädchen!« erwiderte die Urahn, sie zurechtweisend, aber mit so sichtlicher Frohlaune, daß der Verweis eher sich wie ein Sporn anhörte so fortzufahren … »so solltet ihr euren Bruder, den armen Hobbie, nicht peinigen! Sieh dich um, Hobbie, sieh dich um nach jemand, der heut morgen nicht hier war, als du von uns schiedest.«

Mit Eifer blickte Hobbie sich um.

»Ihr seid da, Urahn,« sprach er, »und meine drei Schwestern!«

»Ei! hast du zählen verlernt?« rief da lachend die jüngste, die jetzt hereintrat … »ich zähl' unser vier!«

Im andern Augenblick hielt Hobbie Grace im Arm, die, in einen Mantel der Schwestern gehüllt, im ersten Moment nicht von ihm bemerkt worden war.

»Wie konntest du mir solches tun?« fragte mit schmerzlichem Vorwurfe Hobbie.

»Nicht mich trifft die Schuld, Hobbie, nicht mich!« erwiderte Grace, bemüht, mit den Händen sich das Gesicht zu verdecken und ihr Erröten zu verbergen, zugleich sich dem Sturm von herzlichen Küssen zu entziehen, durch die ihr Bräutigam ihre einfache List strafte – »nicht mich, Hobbie! Jenny solltest du küssen und die andern, denn sie haben es so eingerichtet!«

»Das kann ich auch und tu ich gern!« rief Hobbie überglücklich lachend und küßte die Schwestern und die Urahn wohl an die hundertmal, während alle im Übermaß ihrer Freude abwechselnd lachten und weinten. »Ich bin der glücklichste Mensch unter der Sonne!« rief Hobbie und sank erschöpft in einen Stuhl, »der glücklichste unter der Sonne!«

»Dann, mein Kind! Sohn meines Sohnes!« sprach die fromme Urahn, die keine Gelegenheit vorbeigehen ließ, die das menschliche Herz zur Aufnahme der Lehren der Religion bereitete, zu Mahnung an Gott und sein Walten, »dann singe und preise Ihn, der Weinen in Lachen und Gram in Freude wandelt, gleichwie er Licht schuf aus Finsternis und die Welt erstehen machte aus Nichts! Waren es nicht Worte aus meinem Munde, daß, wenn du sprechen wolltest, dein Wille geschehe, Herr! dir auch Ursach' werden würde zu rufen: »Gepriesen, o Herr! sei dein Name!«

»So war es! Und also habt Ihr gesprochen, Urahn! Herrgott, dich preise ich,« rief Hobbie, übermannt von Glückseligkeit, »für deine Gnade! Dich, preise ich, daß du mir eine Mutter ließest, als du mir die leibliche nahmst!« und mit innigem Druck zog er die Hand der Greisin an sein Herz. Dann hob er die Hand auf: »Deiner, o Herr, will ich hinfort gedenken in Unglück und Glück!«

Eine feierliche Pause trat ein, geweiht der Übung frommer Andacht, dem Dankgebet eines in christlicher Demut lebenden Hauses zu Gott, daß Er ihm ein Glied wieder zugeführt hatte, das schon für verloren gehalten war.

Die ersten Fragen, die Hobbie nun stellte, richteten sich auf die Zeit, die Grace fern von ihnen gelebt, auf die Schicksale, die die sie währenddes betroffen hatten. Sie wurden umständlich erzählt, waren aber in Kürze die folgenden:

Durch den Lärm, den die einbrechenden Räuber verursachten, war sie geweckt worden, hatte sich flugs in die Kleider geworfen und war die Treppe hinunter geeilt. Hier sah sie Leute vom Gesinde im Kampf mit maskierten Männern, die des Gesindes schnell Herr wurden. Aber dem einen von ihnen wurde im Getümmel die Maske vom Gesicht gerissen; sie hatte Westburnflat erkannt; hatte ihn angerufen und um Gnade gefleht; er aber hatte ihr im Nu einen Knebel in den Mund geschoben hatte sie aus dem Haus geschleppt und zu einem seiner Helfershelfer aufs Pferd geworfen.

»Den Hals hätt' er brechen müssen!« rief Hobbie.

Von den Räubern, die das Vieh vor sich her trieben, erzählte Grace weiter, sei sie südwärts der Grenze zu geschleppt worden. Da sei ein Vetter Westburnflats zu ihnen herangesprengt und habe dem Räuber, der über den Trupp das Kommando geführt, die Meldung gebracht, sein Vetter habe aus sicherer Quelle gehört, der Raub werde üblen Ausgang für ihn nehmen, wenn er das Mädchen nicht ihren Verwandten wiederbringe. Es sei eine Zeitlang hin und her verhandelt worden. Dann habe der Truppführer sich einverstanden erklärt. Man habe sie auf ein andres Pferd gesetzt, ihr einen andern Begleiter gegeben. Dann sei es still und in höchster Hast nach Heugh-foot zurückgegangen auf einem der schwächstbesuchten Pfade, und ehe der Abend herniedergekommen, habe der Mann sie absteigen lassen und, erschreckt und abgespannt, sei sie nun inne geworden, daß sie sich kaum eine Viertelstunde von Heugh-foot befände.

Aufrichtige Glückwünsche kamen ihr nun von allen Seiten. Aber als die erste Freude sich gelegt hatte, fingen minder frohe Gedanken an sich einzustellen.

»Eine elende Unterkunft ist euch die Hütte«, sprach Hobbie, sich umsehend; »für mich selber ist ja schließlich wohl, wie schon manche Nacht auf den Bergen, Platz genug neben meinem Gaule. Aber wie ihr hier allesamt Unterkunft sollt finden können, ist mir unverständlich. Und, was für mich noch das Schlimmere ist, ich vermag es nicht zu ändern! Ja, es kann morgen und übermorgen kommen, bevor es sich ändern, bevor sich Besseres für euch schaffen läßt!«

»Feige war es und grausam,« rief eine der Schwestern, »eine ganze Familie solcher Weise zu plündern, daß ihr nichts bleibt als die kahlen Wände solch ärmlicher Hütte!«

»Und ihr weder Kalb noch Kuh, weder Lamm noch Mutterschaf zu lassen«, sprach der jüngste der Brüder, der jetzt hereinkam.

»Noch irgend was, das Gras frißt oder Körner«, stimmte der andere ein. »Hätten sie im Zwist gelegen mit uns,« fuhr er fort, »so wären wir doch bereit gewesen, vor allen andern, ihn auszufechten! Bei Gott! Wären wir daheim gewesen, so hätte es Willie Gräme an einer Morgensuppe nicht fehlen sollen. Aber sie wird ihm doch noch eingebrockt, Hobbie! Nicht wahr!«

»Die Nachbarn haben einen Tag in Castleton anberaumt, sich mit ihm im Angesicht der Menschen zu vergleichen«, sprach Hobbie mit finsterer Miene; »sie bestanden drauf, daß verfahren werde auf solche Weise, sofern ich ihres Beistands versichert bleiben wolle.«

»Wir uns vergleichen mit ihm?« riefen die Brüder wie aus einem Munde ... «und nach solchem Überfall und Raub, wie er im Lande seinesgleichen nicht gehabt seit den alten Kriegszeiten?«

»Recht habt ihr, Brüder, und auch mir kochte das Blut ... aber – daß ich Grace wieder vor Augen habe, das gibt mir Ruhe!«

»Doch unsre Herden, Hobbie?« hielt ihm John Elliot vor, »wir sind völlig zugrunde gerichtet! Ich bin mit Harry ausgeritten, zu sammeln, was in der Nähe noch vorhanden sei: kaum eine Klaue mehr zu finden! Was wir anfangen sollen, das weiß Gott! Es wird uns allen nichts anderes bleiben, als in den Krieg zu ziehen, hat doch Westburnflat, wenn er selbst wollte, gar nicht die Mittel zum Ausgleich unsers Verlustes! Was für anderer Entschädigung sollen wir uns von ihm versehen als seine Knochen uns bieten? Außer dem elenden Klepper, den er reitet, und der durch das nächtliche Handwerk, dem sein Herr obliegt, an Kräften wahrlich nicht zunimmt, besitzt er doch an Vierfüßlern nichts! – Nein, Hobbie, wir sind völlig zugrunde gerichtet! Bis auf Stumpf und Stiel!«

Betrübten Auges blickte Hobbie auf Grace, die mit schwachem Seufzer antwortete.

»Seid nicht mutlos, Kinder!« sprach die Urahn; »noch haben wir Freunde, die sich von uns nicht abwenden werden im Unglück! Sir Thomas Kittleloof, ein Vetter von mir mütterlicherseits im dritten Grade, hat des Silbers viel erworben und ist zum Ritter und Baronet erhoben worden, weil er bei der Union der beiden Königreiche gute Dienste getan als Kommissär.«

»Der rettet uns mit keinem Heller vom Hungertod!« meinte Hobbie, »und sollte er es wollen, Urahn, so bliebe mir jeder Bissen Brot von seinem Gelde in der Kehle stecken bei dem Gedanken, daß es seinen Ursprung hat in dem Judasgroschen, um welchen Schottlands Krone und Unabhängigkeit an England verkauft worden!«

»Dann der Gutsherr von Dundee aus einem der ältesten Geschlechter in Tiviotdale?«

»Der sitzt im Schuldturm, Mutter, in Edinburg, um tausend Mark willen, die er von Saunders Vyliecoat, dem Ratsschreiber, geliehen hat!«

»Der Ärmste!« rief die Urahn, »können nicht wir ihm was schicken, Hobbie?«

»Ihr vergeßt, Mutter, daß wir vorerst uns selber helfen müssen!« versetzte Hobbie nicht ohne Verdruß.

»Fürwahr! Das vergaß ich!« rief die wackre Greisin, »aber es ist doch nur natürlich, daß man früher als an sich an seine Blutsverwandtschaft denkt! ... Der junge Earnscliff?«

»Der hat von seinem Eigentum nur wenig noch übrig! Wollten wir ihm in unserm Elend zur Last fallen, so wär's eine Schande für uns, für uns alle! Glaubt mir, Mutter! Daß Ihr dasitzt und von Bekannten, Verwandten, Vettern sinnt, als läge in ihrem Namen ein Zauber geborgen, uns aus dem Elend zu helfen, ist nutzloses Beginnen! Die Vornehmen haben unser vergessen, und die uns gleich gestellt sind, haben selber kaum soviel, daß sie durchkommen. Auf Verwandte bauen, daß sie uns die Herden wieder ins Pachtgut schaffen, heißt schwächer denn auf Sand bauen!«

»Dann müssen wir bauen auf Ihn, Hobbie, der bewirken kann, daß Freunde und Vermögen, wie es im Worte heißt, aufsteigen aus nacktem Moore!«

Hobbie sprang auf.

»Fürwahr. Mutter!« rief er, »ich kenne jemand auf nacktem Moore, der uns helfen will und helfen kann. Des heutigen Tages Wechselfälle haben mir den Kopf verdreht. Auf dem Mucklestane-Moor ließ ich heut soviel Geld unangetastet, daß Haus und Hof in Heugh-foot doppelt gefüllt werden können, und Elshie, des bin ich überzeugt, wird uns nicht gram sein, wenn wir uns dieses Geldes bedienen, uns wieder aufzuhelfen.«

»Elshie?« fragte die Urahn verwundert – »was meint Ihr für einen Elshie?«

»Wen anders als Elshie, den Weisen vom Mucklestane-Moor!«

»Da sei Gott vor, Sohn meines Sohnes!« rief die Greisin feierlich und faltete die Hände, »daß du Wasser schöpfest aus zertrümmerten Cisternen oder Hilfe wirbst bei solchen, die mit dem Bösen Verkehren! Niemals war Glück in ihren Gaben oder Gnade auf ihren Pfaden, und das ganze Land weiß, daß Elshie ein Mensch ist, des Leben nicht auf Erden wandelt! Herrschte jenes Gesetz bei uns im Lande, durch welches Königreiche blühen, läge unseres Landes Verwaltung in solch gerechter Hand, wie sie Bedingung ist für gleiches Maß von Recht und Unrecht: dann würde seinesgleichen nicht leben dürfen! Zauberer und Hexen sind der Abscheu im Lande und das Unheil für das Land!«

»Fürwahr, Mutter!« entgegnete Hobbie, «Ihr mögt sprechen was Ihr wollt: meine Meinung ist und bleibt, daß Hexen und Kobolde nicht die Hälfte der Gewalt mehr haben als ehedem; zum wenigsten bin ich überzeugt, daß, wer böse Pläne schmiedet gleich dem alten Ellieslaw, oder Böses verübt gleich dem verdammten Schuft von Westburnflat, ein weit größeres Unheil für ein Land ist und weit größern Abscheu verdient als ein ganzes Heer der tollsten Hexen, die je auf Besenstielen saßen oder den Zauber am Pfingstdienstag bewirkten! Bis mir Elshie Haus und Scheuer überm Kopf angesteckt hätte, hätten wir lange mit Ruhe warten können! Jetzt aber bin ich des festen Willens zuzusehn, ob er was tun will, mir Haus und Scheuer wieder aufbauen zu helfen!«

»Verzieh mit der Ausführung des Entschlusses, mein Sohn!« bat die Urahn, »und besinne dich, daß Wohltaten aus seiner Hand noch niemand Gedeihen brachten. Joch Howden starb, als das Laub fiel, an der nämlichen Krankheit, von welcher ihn Elshie zu heilen vorgab, und Lambsides Kühe kurierte er wohl, doch herrschte dann unter Lambsides Schafen die Klauenseuche ärger als je. Auch ist mir zu Ohren gekommen, daß er die menschliche Natur mit Worten schmähe, die eine Lästerung der göttlichen Vorsehung seien. Besinne dich deiner eignen Worte, als du ihn zum erstenmal sahest: er gleiche, sagtest du, einem Kobolde eher als einem Wesen voll menschlichen Lebens!«

»Haltet ein, Mutter!« erwiderte Hobbie, »solch schlechter Wicht ist Elshie nicht! Freilich sieht er greulich genug aus für einen Krüppel und hat eine grobe Zunge; aber ein Wort, das wir von unsern Hunden im Lande sagen, ließe sich auch von ihm sagen: solche, die viel bellen, die beißen nicht! Hätte ich bloß was zu essen, denn noch hat heute kein Bissen den Weg über meine Kehle gefunden, dann streckte ich mich ein paar Stunden neben mein Roß und ritte mit dem ersten Frühlicht zum Mucklestane-Moor herüber!«

»Warum nicht heut nacht, Hobbie?« fragte Harry Elliot, »ich ritte mit!«

»Mein Pferd ist müde,« antwortete Hobbie.

»Dann nimm meins!« sagte John.

»Ich bin auch selber müde!«

»Du und müde?« rief Harry wieder, »schäme dich! Ich hab dich doch vierundzwanzig Stunden hintereinander im Sattel gesehen, Hobbie, ohne daß dir die geringste Spur von Ermattung anzusehen war!«

»Die Nacht ist pechfinster,« versetzte Hobbie nach einem Blick durch das Fensterloch der Hütte; »und soll ich die Wahrheit reden, so möchte ich, dem Satan zu schaden, doch lieber das Tageslicht um mich haben, wenn ich zu Elshie reite, trotzdem er wirklich ein ehrlicher Kerl ist.«

Dies freimütige Bekenntnis machte den Auseinandersetzungen ein Ende. Hobbie stärkte sich, nach diesem Ausgleich zwischen des Bruders Hast und der Urahn fürsichtiger Weisheit, an solcher Speise, wie die Hütte sie bot, verabschiedete sich bei Urahn und Braut und Schwestern aufs herzlichste und legte sich im Schuppen neben seinem treuen Roß aufs Stroh. Die Brüder suchten Unterschlupf für die Nacht in dem Stalle, der sonst der Kuh der alten Kindsmagd zum Aufenthalt gedient hatte. Die Frauen begaben sich in der Hütte zur Ruhe. Mit dem ersten Frühlicht war Hobbie auf den Beinen, putzte und sattelte hurtig sein Pferd und galoppierte zum Mucklestane-Moor hinüber. Einen der Brüder mitzunehmen unterließ er, weil er der Ansicht war, daß, wer allein zu dem Zwerge komme, ihn am leichtesten versöhnlich stimmen könne.

»Ob er Wohl aus seinem Felsenloch herausgeguckt hat, zu sehen, was aus dem Beutel voll Silber geworden? Ob er ihn aufgenommen hat?« dachte er während des Rittes – »nun, falls er's nicht getan, so ist das ein seiner Fund gewesen für den, den der Weg im rechten Augenblick vorbeiführte – Und ich hätte dann den Kürzeren gezogen! ... Hopp, hopp, Tarras!« rief er dem Pferde zu und drückte ihm die Sporen in die Flanken – «hopp, hopp! Wir wollen, wenn irgend möglich, die ersten auf dem Felde sein!«

Er ritt jetzt auf der Heide, die mählich von den Strahlen der aufgehenden Sonne erhellt wurde. Die sanft abfallende Böschung, die nach dem Moore hinunterführte, ließ ihn die steinerne Hütte des Klausnerzwergs schon aus beträchtlicher Ferne erkennen. Das Tor der Hütte tat sich auf, und Hobbie erblickte nun mit eignen Augen eine Erscheinung, von der er schon oft im Lande gehört hatte: nicht eine, sondern eine Doppelgestalt trat aus der Hütte, die sich außerhalb derselben von einander löste, so daß der Klausnerzwerg dastand und neben ihm eine schlankere Gestalt, die sich, wie wenn sie was aufhöbe, zur Erde bückte. Dann traten beide ein paar Schritte vorwärts. Dann blieben sie, wie im Gespräch begriffen, stehen. Als Hobbie dies Bild sah, wurde aller Aberglauben von neuem in ihm wach. Daß der Zwerg seine Hütte einem menschlichen Gaste öffnen sollte, war ganz ebenso unwahrscheinlich, wie daß ihm ein Mensch freiwillig dort nächtlichen Besuch abstatten werde. Fest überzeugt, gesehen zu haben, wie der Zauberer mit seinem Famulus gesprochen habe, riß Hobbie sein Roß zurück und hielt den Atem an; er mochte weder beim einen noch beim andern dadurch Unwillen wecken, daß er sich vorschnell in ihre Unterredung mischte. Aber offenbar war seine Annäherung bemerkt worden, denn kaum hatte er gehalten, als auch der Zwerg in seine Hütte zurücktrat, während die schlankere Gestalt, die mit ihm herausgetreten war, um den Gartenzaun eilte und den Blicken des staunenden Hobbie zu entschwinden schien.

»Sah jemals solches ein Sterblicher?« dachte Elliot bei sich, »aber ich befinde mich in einem Falle verzweifelter Art, und wäre der Zwerg Beelzebub selber, so will ich mich doch die Böschung hinunter wagen!«

Aber alles Mutes ungeachtet, den er sich einsprach, ritt er doch nur langsam näher ... Auf einmal sah er, fast auf demselben Fleck, wo er die schlanke Figur bemerkt hatte, einen Gegenstand von geringem Umfang, rauh von außen, etwa einem Dachse gleichend, unter dem langen Heidekraute.

»Daß der Zwerg einen Hund habe, davon hab ich doch nie was gehört!« dachte Hobbie bei sich, »Wohl aber, daß er manchen Teufel bei der Hand habe! ... Verzeih mir Gott, daß ich solches denke! ... Das Ding, gleichviel was es sei, halt fest an seinem Patze; ich glaube: es ist ein Dachs, ... Aber wer weiß, was für Gestalten alles die Kobolde annehmen, jemand zu erschrecken? Wer weiß, am Ende springt's auf wie ein Leu oder schnappt wie ein Krokodil, wenn ich herankomme? Ich will doch lieber erst mit einem Steine danach werfen, denn nimmt's andre Gestalt an, wenn ich mich nähere, dann hält schließlich Tarras nicht stand und sollt ich mit dem und dem Teufel zugleich zu schaffen bekommen, dann wäre es doch am Ende zuviel für mich!«

Vorsichtig warf er einen Stein nach dem Dinge.

»Etwas Lebendiges ist es nicht,« dachte er weiter bei sich, je näher er kam, »aber der große Geldbeutel, den der wunderliche Zwerg gestern aus dem Fenster warf, und den das andre seltsame Wesen mir noch ein Stück entgegengebracht hat.« Mit diesen Worten hob er eine schwere, ganz mit Gold gefüllte Geldkatze von der Erde auf. »Gott steh mir bei!« rief er, zwischen Freude und Argwohn wankend – »so etwas anzufassen, das noch eben in jemands Klauen gesteckt hat, mit dem es nicht ganz geheuer ist, ist keine Kleinigkeit! Ich kann den Glauben nicht loswerden, daß hierbei, Satansblendwerk im Schwange ist! Aber mich als ehrlicher Mann und guter Christ zu benehmen, komme was wolle, in diesem Entschlüsse will ich mich nicht wankend machen lassen!«

Er trat zum Tore, klopfte wiederholt, ohne indes Antwort zu erhalten, und rief zuletzt durch den Spalt: »Elshie! Vater Elshie! Ihr seid zu Haus und wach! Ich weiß es, denn ich sah Euch vor der Tür, als ich die Höhe hinunter kam. Kommt doch heraus und vergönnt jemand, der Euch viel zu danken hat, ein paar Worte!« Als sich nichts in der Hütte rührte, richtete er sich auf, daß seine Stimme das Fenster erreichen mußte, und rief weiter: »Elshie, alles ist wahr, was Ihr mir gesagt habt vom Westen: aber Westburnflat hat Grace sicher und unversehrt zurückgegeben: drum ist das Unglück schließlich nicht größer als sich ertragen läßt! ... Wollt Ihr denn nicht vor die Tür treten, Elshie, oder mir wenigstens ein Zeichen geben, daß Ihr mir zuhört?« Er wartete eine Weile. »Nun denn,« fuhr er fort, »da Ihr mir nicht Antwort geben mögt, will ich mit meiner Erzählung fortfahren. Seht, Elshie, ich dachte: für zwei junge Leute, wie Grace und mich, sei's doch eine schlimme Sache, jahrelang mit der Heirat zu warten, wenn ich außer Landes ginge, um, was zur Gründung eines Hausstands vonnöten, zu erringen. Im Kriege darf ja, wie es heißt, soviel Beute nicht mehr gemacht werden wie ehedem, und sonderlich hoch ist der Königliche Sold auch nicht! Viel sparen läßt sich davon schwerlich – dann kommt auch das Alter von meiner Urahn in Betracht, und meine Schwestern würden auch weinend um den Kamin herumhocken, wenn ich ihnen fehlen sollte – und dann könnte doch Earnscliff oder einer von den Nachbarn mal eine kräftige Hand gebrauchen können – vielleicht auch Ihr selber gar, Elshie – und schade wäre es auch, wenn in Heugh-foot die alte Heimstatt so ganz in Trümmern bleiben sollte – drum, Elshie, hab ich gemeint – aber der Teufel soll mich holen,« rief er plötzlich, sich Einhalt gebietend, »wenn ich weiter rede und jemand um etwas angehe, der mir mit keinem Worte Bescheid tut, der mir nicht einmal sagen will, daß er mich hört oder anhört!«

»Redet was Ihr wollt und macht was Ihr wollt,« rief der Zwerg, aus dem Innern seiner Steinhause heraus, »aber schert Euch und laßt mich in Ruhe!«

»Schon gut, Vater Elshie!« begann Elliot aufs neue, »ich will, da ich weiß, daß Ihr mich hört, die Sache so kurz machen wie möglich! – Ich bin's zufrieden, daß Ihr mir soviel Geld leihen wollt, wie ich brauche, mir in Heugh-foot wieder aufzuhelfen, denn ich darf sagen, daß das Geld in andern Händen kaum so sicher ruhen wird, wie in meinen. Denn wenn Ihr es so ins Moor werfen wollt, daß es sich jeder Schelm aufheben kann, setzt Ihr ja nicht bloß Euer Eigentum in Gefahr, sondern auch Euch selber! An bösen Nachbarn wird's schließlich auch Euch nicht fehlen, die durch Türen dringen und hinter Türen plündern. Nehmt doch bloß mich zum Exempel! – Da Ihr so freundlich seid, Euch unser anzunehmen, werden wir Euch einen Schuldschein ausstellen: die Urahn soll ihn unterschreiben mit meinen Brüdern außer mir, in Form eines erblichen Pfandbriefs und den Zins werden wir halbjährlich an Euch zahlen; Saunders Wyliecoat mag den Schein ausfertigen, und die Gebühren bezahlen wir.«

»Laßt Euer Geschwätz und laßt mich ungeschoren!« sagte der Zwerg, »die vielen Worte über Eure Ehrlichkeit sind mir Ohrenplage! Schert Euch, sage ich! Auch Ihr gehört zu den zahmen Sklaven, deren Wort so gut ist wie die Unterschrift. Behaltet Geld und Zins so lange, bis ich es wieder fordere,«

»Aber, Vater Elshie,« beharrte der Grenzer in seiner Ehrlichkeit, »es ist ja bloß wegen Leben und Sterben! Darum ist's besser, solch Abkommen wird schwarz auf weiß gemacht. Aber ich sehe, daß mein Reden Euch müde macht, und auch ich bin des Redens müde, das ohne Antwort bleibt. Drum will ich gehen. Aber ein Stück vom Hochzeitskuchen bring ich Euch herüber, vielleicht auch Grace, daß sie Euch sehe und danke. So hart Ihr auch sein mögt, Vater Elshie! Grace Armstrong zu sehen möchte auch Euch eine Freude sein – Gott!« unterbrach er sich, »war das ein klägliches Stöhnen! Elshie, Vater Elshie! Ihr fühlt Euch doch wohl! Jesus, was mag ihm angekommen sein! Von Grace Armstrong, Klausner, sprach ich; ob er den zweiten Namen überhört hat und gemeint hat, ich spräche von der göttlichen Gnade? Das Wortspiel zwischen dem englischen Namen Grace und dem englischen Wort Grace für »Gnade« läßt sich im Deutschen nicht wiedergeben. E. W. Aber sei es wie es sei! Gegen mich ist er ein gütiger Herr gewesen, so gütig, als wäre ich sein Sohn – aber einen Vater hätte ich, war dies der Fall, von absonderlichem Aussehen!«

Hobbie befreite nun seinen Wohltäter von seinen Reden und seiner Gegenwart und ritt fröhlich nach Hause, um seinen Schatz zu zeigen und um mit den Seinigen Rat zu halten, wie sich der Schaden am besten und schnellsten auswetzen ließe, den sein Vermögen durch den Überfall des rohen Banditen erlitten hatte.


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