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Viertes Kapitel

Am andern Morgen nach dem Frühstück verabschiedete sich Earnscliff von seinen gastfreundlichen Bekannten, mit dem Versprechen, sich zu dem Wildpretschmause, zu dem er seine Jagdbeute gespendet, pünktlich einzufinden.

Hobbie tat so, als ob er sich an der Tür von ihm verabschiede, schlich ihm aber nach und gesellte sich auf dem Kamm des Hügels zu ihm.

»Ihr wollt hin, Herr Patrik? Meine Urahn mag sagen was sie will, so mag ich doch Euch nicht im Stich lassen. Es erschien mir als das einfachste, mich still zu entfernen, damit sie von unserm Vorhaben nicht erst was merke. Ärgern durch Ungehorsam dürfen wir Kinder sie nicht. Dieses Versprechen hat uns der Vater noch auf dem Sterbelager abgenommen.«

»Auf keinen Fall dürfen wir das, Hobbie,« erwiderte Earnscliff »Eure Urahn verdient Achtung und Liebe.«

»Das muß man sagen: in solcher Angelegenheit würde sie sich um Euch genau soviel sorgen wie um mich. Aber eine Frage, Earnscliff: seid Ihr wirklich der Meinung, daß wir keines Übermuts uns schuldig machen, wenn wir uns wieder aufs Moor hinaus wagen? Eine zwingende Verpflichtung dazu haben wir ja, wie Ihr wißt, nicht!«

»Dächte ich so wie Ihr, Hobbie,« meinte der junge Gutsherr, »so würde ich mich um die Sache schließlich nicht weiter bemühen. Da ich aber der Ansicht bin, daß von übernatürlichen Erscheinungen entweder niemals was auf der Welt vorhanden gewesen oder zum wenigsten zu unserer Zeit nicht mehr die Rede sein kann, will ich einen Fall nicht unerforscht lassen, in welchem mir ein armes wahnsinniges Wesen eine Rolle zu spielen scheint.«

»Meinetwegen, wenn das nun einmal Eure Ansicht ist,« versetzte Hobbie mit zweifelnder Miene – »sicher wohl ist ja, daß sich grade die Feen, die sich einstmals auf allen grünen Hügeln gegen Abend zeigten, in unsern Tagen nicht halb so oft sehen lassen. Daß ich selber jemals auch nur eine Fee gesehen, könnte ich nicht beschwören; aber gepfiffen hat es mal hinter mir im Moor, so wie ein Strandpfeifer pfeift, genau so! Mein Vater dagegen hatte manche Fee gesehen, wenn er spät abends, mit benebeltem Kopfe vom Jahrmarkt heim kam, der gute Mann!«

Earnscliff konnte sich ein Lächeln über diese letzte Äußerung nicht verhalten, die als ungefähres Kennzeichen für den langsamen Rückgang des Aberglaubens von einer Generation zur andern gelten konnte. Die jungen Männer blieben bei dem gleichen Thema, bis sich die granitne Säule wieder vor ihren Blicken erhob.

»Ihr könnt mir glauben,« rief Hobbie, »das Geschöpf schleicht noch dort herum; aber es ist jetzt Tageslicht; Ihr habt Euer Gewehr, ich meinen Dolch mitgebracht; wir dürfen uns also, meine ich, heranwagen.«

»Sicher,« versetzte Earnscliff, »aber um Jesu Christi willen, was treibt das Wesen dort?«

»Es baut aus den Graugänsen, wie man die großen über die Heide verstreuten Steinblöcke nennt, einen Damm! Wahrlich! So etwas hat man noch nicht erlebt!«

Als sie näher kamen, mußte Earnscliff, der sich des Staunens nicht erwehren konnte, seinem Kameraden Recht geben. Das seltsame Wesen, das sie am Abend zuvor erblickt hatten, schichtete langsam und mühsam Stein auf Stein, scheinbar zu einer Mauer. An Material dazu war Überfluß; die Arbeit war aber schwer, weil die meisten Steine von mächtiger Größe waren. Daß solch ein Wesen sie von der Stelle schaffen konnte, schien staunenswert; von manchen, die den Grund zu seinem rohen Bauwerk bildeten, schien man es kaum für möglich halten zu können. Als die beiden Jünglinge herantraten, war er eben unter schweren Anstrengungen bemüht, einen mächtigen Block vom Flecke zu rühren, und die Arbeit nahm ihn dermaßen in Anspruch, daß er die Jünglinge nicht eher sah, als bis sie dicht vor ihm standen. Er entwickelte dabei ein solches Riesenmaß von Kraft, daß sich die beiden Jünglinge voll Staunen fragten, in welch übernatürlichem Verhältnis dasselbe zu dem Größenmaße seiner ganz ohne Frage verwachsenen Gestalt stände. Seine Körperstärke mußte, nach den bereits vollbrachten Leistungen zu schließen, mit der des Herkules wetteifern können, denn manche der von ihm bewältigten Blöcke nahmen ganz ohne Frage doppelte Manneskraft in Anspruch.

Als Hobbie Zeuge solch übernatürlicher Körperkräfte wurde, fing sich sein Argwohn wieder an zu regen.

»Mir scheint es fast wie sicher, daß in diesem Wesen der Geist eines Maurers steckt,« flüsterte er, »seht doch nur, Earnscliff, was für eine Grundmauer er aufgeführt hat! Sollte es hingegen doch ein menschliches Wesen sein, so muß man sich wohl wundern, was er mit solchem Damme im Moore bezweckt! Zwischen Cringlehope und den Wäldern ist solches Ding eher zu brauchen ... Wackerer Mann!« rief er, die Stimme verstärkend, »Ihr baut hier ein recht standfestes Werk!«

Gespensterhaft starrten die Augen des seltsamen Geschöpfs, an das sich diese Worte richteten, das sich jetzt aus seiner gebückten Haltung aufrichtete und mit aller ihm angeborenen, widerwärtigen Häßlichkeit dastand. Der Kopf von ungewöhnlicher Größe war bewachsen mit dichtem, schon stark ergrautem Borstenhaar; über einem Paar kleiner, dunkler Augen von durchdringender Schärfe, die wahnsinnsprühend wild und wüst in tiefen Höhlen rollten, starrten ziemlich kerzengrade struppige Brauen vor. Die Züge seines Gesichts zeigten ein rauhes, grobes, wie aus Stein gemeißeltes Gepräge; ihr Ausdruck war wild, unregelmäßig, fremdartig, wie man ihn häufig sieht auf Gesichtern von Menschen mit mißgestaltetem Körper. Sein Rumpf, dick und vierschrötig, im Umfange dem eines Mannes von mittlerer Größe gleichend, ruhte auf zwei mächtigen Füßen, aber Beine und Schenkel schien die Natur vergessen zu haben, oder sie waren so kurz, daß sie durch die Schöße des Kamisols, das über den Rumpf reichte, verdeckt wurden. Seine langen, fleischigen Arme, mit zottigem, schwarzem Haar bedeckt, setzten sich in einem Paar großer kräftiger Hände fort mit langen, durch starke Knochen und Gelenke ausgezeichneten Fingern. Das ganze Bild, welches dieses seltsame Wesen bot, dessen gedrängter Wuchs mit den langen Armen und Füßen in gar keinem Verhältnis stand zu der riesenhaften Körperstärke, weckte den Eindruck, als habe die Natur die einzelnen Teile dieses Körpers geschaffen, um einen Riesen zu formen, sie aber dann, einer wunderlichen Grille folgend, einem Zwerge zugewiesen.

Sein Anzug bestand aus einer Art von Kamisol mit langem Schoße von grobem Gewebe brauner Farbe, das durch einen Riemen aus Seehundsfell um den Leib gehalten wurde. Auf dem Kopf, die mürrischen Züge mit dem boshaften Ausdruck halb überschattend, saß eine Kappe aus Dachsfell oder einer andern, nicht genau kenntlichen Pelzart, von so wunderlicher Form, daß sie die Wirkung der ganzen Erscheinung um ein beträchtliches steigerte.

Dieser wunderliche Zwerg heftete auf die beiden still vor ihm stehenden Jünglinge einen grimmigen Blick, bis Earnscliff versuchte, ihn durch die Worte: »Freundchen! Bei so harter Arbeit erlaubt Ihr Wohl zu helfen?« milder zu stimmen.

Zusammen mit Hobbie Elliot hob er den schweren Block auf die bereits geschaffene Grundmauer.

Der Zwerg stand daneben, ganz in der Haltung eines seine Arbeiter überwachenden Aufsehers. Durch Zeichen des Verdrusses gab er seiner Ungeduld Ausdruck über die hierbei von ihnen gebrauchte Zeit. Dann zeigte er auf einen zweiten Stein. Auch diesen hoben sie auf die Grundmauer, auch einen dritten und vierten noch, gefügig den Launen des Zwerges, aber nicht frei von Verdruß, denn er mutete ihnen, offenbar aus böswilliger Absicht, die schwersten Blöcke zu, die in der Nähe herumlagen.

»Hm, Freundchen,« meinte nun aber Elliot, als der Zwerg einen Stein bezeichnete, der um vieles größer war als alle bislang von ihnen bewältigten, »mag Earnscliff tun was ihm gefällt, mir aber soll, möget Ihr ein Mensch sein oder was Schlimmeres, der Teufel die Finger krumm ziehen, wenn ich mir den Rücken noch länger krumm ziehe wie ein Lastvieh mit diesen Steinblöcken, ohne auch nur ein »Schön Dank« für solche Plackerei zu bekommen!«

»Schön Dank!« rief da der Zwerg mit einer Gebärde höchster Verachtung; »da habt Ihr, was Ihr wollt und mästet Euch dran! Nehmt ihn, meinen »Schön Dank«, daß er Euch gedeihe, wie er mir gediehen ist! wie er jedem sterblichen Wurm gedieh und gedeiht, der ihn jemals vernahm aus dem Mund eines kriechenden Mitwurms! Schert Euch! Wer nicht arbeiten will, hat hier nichts verloren! Schert Euch!«

»Ein schöner »Schön Dank«, Earnscliff, den wir dafür erhalten, daß wir dem Teufel ein Tabernakel aufrichten halfen und unsre eignen Seelen dadurch in Gefahr setzten! Denn wissen wir, was hier im Schwange ist?«

»Unsere Gegenwart steigert, scheint mir, seine Raserei,« versetzte Earnsliff; »es wird richtiger sein, wir lassen ihn allein und schicken jemand her mit Speise und Trank und was ihm sonst vonnöten!« So taten sie. Der Dienstbursch, den sie sandten, fand wohl den Zwerg, der noch immer an seinem Steindamm arbeitete, aber es gelang ihm nicht, dem seltsamen Wesen das geringste Wort zu entwinden. Im Aberglauben des Landes befangen, gab sich der Bursch keine Mühe weiter, dem Zwerg Rat oder Hilfe aufzudrängen, sondern legte, was er hergetragen, in einiger Entfernung auf einen Stein nieder, dem Menschenhasser zur Verfügung.

Tag für Tag setzte der Zwerg sein Werk fort mit einer Emsigkeit, die fast übermenschlich erschien. An einem Tage vollbrachte er oft die Arbeit von zwei Männern. Bald gewann sein Bau die Umrisse einer Steinhütte, von zwar kleinem Umfange, aber zufolge des verwandten Materials ungewöhnlicher Festigkeit, trotzdem die Fugen, statt mit Mörtel, bloß mit Rasen verstopft waren. Earnscliff, der das Treiben des Zwerges aufmerksam verfolgte, hatte den Zweck, den derselbe verfolgte, kaum erkannt, als er ihm Balken, zum Dache geeignet, ins Moor hinaussandte. Aber seiner Absicht, ihm an andern Tage Zimmerleute zu senden, die ihm helfen sollten, das Dach aufzurichten, kam der Zwerg zuvor, indem er die ganze Nacht hindurch bis zum frühen Morgen mit solcher Anspannung aller Kräfte und so raffinierter Ausnützung aller verfügbaren Mittel arbeitete, daß die Dachsparren fast sämtlich gelegt waren, als Earnscliff am Morgen sich einfand.

Nun schnitt er Binsen im Moor als Füllmaterial für die Zwischenräume zwischen den Sparren, eine Aufgabe, die er mit großer Gewandtheit vollbrachte. Da er von fremder Hilfe nichts wissen mochte, den gelegentlichen Beistand von Leuten, die der Weg vorbeiführte, ausgenommen, beschränkte sich Earnscliff darauf, ihm geeignetes Material zu besorgen, das er im Moore nicht finden konnte, und Werkzeug, in dessen Gebrauch er sich äußerst geschickt zeigte. So zimmerte er sich Tür und Fenster und eine Bettstatt, auch Gesimse an den Wänden. Mit der Mehrung seiner Bequemlichkeit schien seine Bitternis zu schwinden.

Nun zog er einen Zaun um die Steinhütte, trug Dammerde herbei und fing an das eingezäunte Stück Land zu bebauen. Selbstverständlich muß bei dem allen die Voraussetzung gelten, daß, wie schon bemerkt wurde, dieser einsiedlerische Zwerg gelegentlich Beistand erhielt von Leuten, die ihr Weg über das Moor führte oder Neugierde herbeilockte. Wer eine menschliche Gestalt, beim ersten Anblick so wenig geeignet für solch schwere Arbeit, mit solch unverdrossenem Eifer bei solch seltsamem, aber tüchtigem Werke sah, konnte nicht anders als stehen bleiben und zusehen und Beihilfe anbieten oder versuchen. Da aber anderseits niemand von solcher Beihilfe anderer etwas sah oder hörte, ging dem schnell fortschreitenden Werke an Wunderbarkeit nichts verloren. Aber nicht bloß das Werk selber, sondern auch die überlegene Geschicklichkeit, die der Zwerg in allen mechanischen Fertigkeiten an den Tag legte, weckte bei den anwohnenden Nachbarn Argwohn, daß es bei all diesem Treiben nicht mit rechten Dingen zugehe. Allgemein hieß es, wenn der Zwerg kein Kobold sei – denn seit man wußte, daß er ein Wesen von Fleisch und Bein sei, fiel solche Meinung von selber – so könne es doch nicht anders sein, als daß er in enger Beziehung zur unsichtbaren Welt stände und sich solch abgelegenen Platz ausgesucht habe, um den Verkehr mit Geistern ungestört pflegen zu können. Weiter hieß es, wenn auch in anderm Sinne als Philosophen den Satz anwenden: daß der Zwerg niemals weniger allein sei als wenn er allein sei; denn von den Höhen um das Moor herum hätten Vorübergehende zuweilen mit diesem Bewohner der Einöde eine Gestalt arbeiten sehen, die stets verschwinde, sobald sich jemand der Hütte nähere. Man hätte die Gestalt auch mit ihm zusammen an der Tür sitzen, im Moore wandern, auch ihm beim Quell Wasser tragen helfen sehen. Earnscliff war der Meinung, was solche Leute gesehen haben wollten, sei bloß der Schatten des Zwerges gewesen. Aber Hobbie Elliot war der Meinung nicht.

»Den Teufel von Schatten hat er,« meinte dieser ungläubige Thomas, der ganz auf seiten der allgemein herrschenden Spukansicht stand, »viel zu tief hat er sich eingelassen mit dem Gottseibeiuns, daß er noch einen Schatten haben könnte. Hat denn übrigens,« folgerte er zutreffend, »jemals jemand von einem Schatten gehört, der zwischen Körper und Sonne tritt? Mag es sein was es will: soviel steht fest, daß es dünner war und länger als der Körper selber und daß es mehr denn einmal zwischen dem Körper und der Sonne gesehen worden ist.«

Solcher Argwohn, der zu damaliger Zeit in anderm Landesteile Ursache zu Verfolgung und Prozeß von bedenklichem Ausgang hätte werden können, weckte hier bloß ehrfürchtige Scheu. Zeichen hierfür bei Leuten, die ihr Weg zufällig vorbeiführte, ängstliche Blicke, auf seine Person und Hütte geheftet, eilige Schritte, um rasch aus der Nähe solcher Örtlichkeit zu gelangen, schienen dem zwerghaften Wesen nicht unangenehm zu sein. Nur wer Mut im Leibe hatte, wagte es, seine Neugier durch einen hastigen Blick über den Gartenzaun zu stillen, und wenn er merkte, daß ihn der Zwerg gesehen, einen bescheidenen Gruß zu sprechen, den dieser dann, wenn er nicht grade zu knurrig war, durch ein Nicken oder ein Wort erwiderte. Aber in ein Gespräch mit ihm zu kommen, erwies sich als unmöglich, über seine Verhältnisse sowohl wie über irgendwelchen Gegenstand sonst, trotzdem sein Menschenhaß an Wildheit nachgelassen zu haben schien, auch die Wahnsinnsanfälle, aus seinem Menschenhaß entspringend, minder häufig aufzutreten pflegten. Nie konnte ihn Earnscliff, der selten über das Moor ging, ohne sich nach dem einsamen Bewohner desselben zu erkundigen, überreden zur Annahme anderer als solcher Dinge, die für die einfachsten Bedürfnisse reichten. Und nicht bloß von Earnscliff, sondern auch anderen Nachbarn – von Earnscliff aus Barmherzigkeit und Mitleid, von den andern aus abergläubischer Furcht – wurden ihm Gaben weit über seine Bedürfnisse geboten. Für die Gaben der Nachbarn dankte er durch ärztlichen Rat, wenn solcher, für Mensch und Vieh, bei ihm eingeholt wurde: und den Zwerg als nützlichen Arzt in Anspruch zu nehmen, bürgerte sich mit der Zeit in der ganzen Gegend ein. Zumeist half er den Leuten selber durch Arzneien aus, er schien nicht allein Arzneien zu haben, aus Kräutern des Landes destilliert, sondern auch solche fremdländischen Ursprungs. Leuten, die zu solchem Zweck in seiner Hütte vorsprachen, bedeutete er, daß er Elshender der Klausner heiße; im Volksmunde aber hieß er der kluge Elshie oder der Weise vom Mucklestane-Moor.

Manche baten ihn auch um Auskunft in andern als ärztlichen Dingen und auch hierin bewies er sich als scharfsinniger Berater, eine Eigenschaft, die die Meinung von seinen übernatürlichen Fähigkeiten verstärken mußte. Als Lohn für solchen Rat wurde gemeinhin auf einen Stein ein Stück weit von der Hütte eine Gabe niedergelegt. Bestand sie in Geld oder Dingen, die er nicht mochte, so warf er sie weg oder ließ sie, ohne sie zu benützen, einfach liegen. Er war und blieb der grobe, ungesellige Patron, wie er Earnscliff und Hobbie das erste Mal gegenüber getreten war. Kein Wort weiter nahm den Weg über seine Lippen, als notwendig war, seine Meinung auszudrücken. Jede Silbe zuviel war ihm ein Greuel. War der Winter vorbei, so beschränkte er sich auf die Kräuter und Gemüse als Nahrung, die ihm sein Garten brachte. Ein paar Ziegen, die er auf dem Moore weiden ließ und die ihn mit Milch versorgten, nahm er aber von Earnscliff an.

Daraufhin stattete ihm Earnscliff wieder seinen Besuch ab.

Der alte Graubär saß am Gartentür auf einem breiten, flachen Steine, seinem gewöhnlichen Platze, wenn er Kranke oder Ratsuchende bei sich vorzulassen gewillt war. In seine Hütte oder seinen Garten hinein ließ er niemand; diese Orte sollte offenbar kein Tritt eines menschlichen Wesens stören. Hatte er sich in seine Hütte eingeschlossen, so konnten ihn keine Bitten bewegen, sich sehen zu lassen oder jemand Gehör zu geben.

Earnscliff hatte in einem kleinen, fernen Bache geangelt. In der Hand trug er die Angelrute, auf der Schulter einen mit Forellen gefüllten Korb. Er setzte sich auf einen Stein gegenüber von dem Zwerge, dem seine Gegenwart schon nicht mehr ungewohnt war und der sich infolgedessen durch ihn kaum noch stören ließ, sondern bloß den großen, ungefügen Kopf erhob, um ihn anzustarren, gleich darauf aber, als wenn er in tiefer Denkarbeit sich befände, wieder auf die Brust sinken ließ.

Earnscliff sah sich um. Er bemerkte, daß der Zwerg seinen Hausbestand durch einen Schuppen für die beiden Ziegen erweitert hatte.

»Elshie,« redete er das seltsame Wesen an, von dem Wunsche erfüllt, in ein Gespräch mit ihm zu treten, »Ihr vollbringt schwere Arbeit!«

»Arbeit,« versetzte der Zwerg, »ist das geringste Übel in einem so kläglichen wie dem Menschenlose! Es ist besser zu arbeiten gleich mir, statt zu jagen gleich Euch.«

»Ich kann vom Standpunkte der Menschlichkeit unserm gewöhnlichen Zeitvertreibe das Wort nicht reden, Elshie – und dennoch ...«

»Und dennoch,« fiel ihm der Zwerg ins Wort, »ist dieser Zeitvertreib noch immer besser als Euer sonstiges Tun und Lassen; besser, Ihr übt aus Eitelkeit und Übermut Grausamkeit an Fischen als Euren Mitmenschen. Warum aber sage ich das? Warum soll sich das Menschengeschlecht nicht zertrampeln, zerfleischen, verschlingen, bis es ausgerottet ist bis auf den letzten Strunk eines feisten Behemoth-Ungetüms? Hat sich der vollgefressen an seinen Mitmenschen und deren Gebein abgeknaupelt bis auf die letzte Fleischfaser, so mag er dann, wenn ihm Beute mangelt, tagelang brüllen nach Nahrung, um schließlich zu verhungern und Zoll um Zoll von unten abzusterben! Das wäre ein Ende mit Schrecken, ein Untergang würdig dieser Großsippe von Scheusalen und zweibeinigen Krokodilen!«

»Euer Tun, Elshie, ist besser denn Euer Reden,« entgegnete Earnscliff. »Denn Ihr gebt Euch Mühe, das Geschlecht zu erhalten, das Euer Menschenhaß schmäht.«

»Freilich Wohl! Aber hört mir zu, weshalb! Ihr seid einer von denen, auf die ich mit weniger Widerwillen blicke. Es kommt mir Eurer törichten Blindheit gegenüber nicht darauf an, meiner Gewohnheit zuwider Worte zu verschwenden. Kann ich denn nicht, wenn sich Krankheit bei den Menschen und Pest unter Herden nicht finden lassen, zum gleichen Ziele gelangen, indem ich das Leben solcher, die dem Zerstörungswerk gleich wirksam dienen, verlängere? Wenn Alice von Bower im Winter gestorben wäre, hätte dann der junge Ruthven vergangnes Frühjahr erschlagen werden können um der Liebe willen zu ihr? oder: wem kam, als Westburnflat, der rote Räuber, auf seinem Todesschragen liegen sollte, der Einfall, seine Herde unter dem Turm in die Hürden zu treiben? Meine Geschicklichkeit hat ihn geheilt, meine Arznei ihn gerettet! Wer traut sich jetzt, seine Herde ohne Hüter auf dem Felde zu lassen oder sich schlafen zu legen, bevor er den Schweißhund losgelassen?«

»Ich kann nicht sagen,« antwortete Earnscliff, »daß Ihr der Menschheit durch diese letzte Eurer Kuren einen großen Dienst erwiesen hättet; zum Ausgleich des Übels hat aber Eure Geschicklichkeit meinen Freund Elliot, den ehrlichen Hobbie von Heughfoot, letzten Winter von einem Fieber gerettet, an dem er Wohl hätte sterben können.«

»So glauben in ihrem Unwissen die Kinder aus Ton!« versetzte mit boshaftem Lächeln der Zwerg, »und so reden sie in ihrer Torheit! Habt Ihr das Junge einer gezähmten Wildkatze beobachtet: wie munter, wie spielerisch, wie niedlich und zierlich es ist? Jagt Ihr es aber auf Euer Wild, auf Eure Lämmer, auf Euer Geflügel, flugs bricht die im Blute steckende Wildheit hervor! Flugs packt es die Beute, schlägt sie, zerreißt sie, verschlingt sie!«

»Das ist des Tiers Instinkt,« versetzte Earnscliff, »was aber hat hiermit Hobbie zu tun?«

»Es ist des Hobbie Bild!« entgegnete der Klausner, «jetzt ist er zahm, ruhig, gewöhnt an friedliche Sitte, weil es ihm an Gelegenheit fehlt, die angeborene Neigung auszuüben. Laßt aber die Kriegstrompete tönen, laßt den jungen Bluthund Blut riechen, und er wird blutgierig sein gleich dem wildesten seiner Vorfahren unter den Grenzern, der jemals eines hilflosen Kossäten Hütte in Brand steckte. Vermögt Ihr in Abrede zu stellen, daß er Euch oftmals drängt, Blutrache zu nehmen um einer Missetat willen, die an Eurer Sippe verübt wurde, als Ihr noch Kind, waret?«

Earnscliff stutzte. Der Klausner schien seine Überraschung, nicht zu bemerken, sondern fuhr fort:

»Und tönen wird die Trompete! Und Blut wird lecken der junge Hund, und lachen wird Elshie und sagen: aus keinem als diesem Grund habe ich dich gerettet!« Er schwieg. Erst nach einer Pause sprach er weiter: »Solcher Art sind meine Kuren! Fortpflanzen sollen sie die Masse Elend, und selbst in dieser Einöde spiele ich die Rolle, die mir gefällt und beschieden ist in der großen Tragödie dieser Welt. Und wenn auch Ihr läget auf Eurem Krankenbette, so könnte ich Euch einen Becher voll Gift senden aus Barmherzigkeit oder Mitleid.«

»Vielen Dank, Elshie, vielen Dank!« rief Earnscliff, »und bei solch froher Zuversicht auf Rat und Beistand werde ich sicherlich nicht unterlassen, Euch darum anzugehen.«

»Schmeichelt Euch aber nicht zu stark mit der Hoffnung,« versetzte der einsiedlerische Zwerg, »daß ich unter allen Umständen der Schwäche des Mitleids weichen werde. Weshalb sollte ich einen törichten Menschen wie Euch, der so recht geschaffen ist, die Jämmerlichkeiten des menschlichen Lebens zu ertragen, retten von dem Elend, das eigne Träumerei und irdische Erbärmlichkeit ihm bereiten? Weshalb sollte ich zur Rolle des barmherzigen Hindu greifen, der dem Gefangnen das Gehirn mit dem Schlachtbeil einschlägt? Weshalb sollte ich die Verästelung meiner Sippe in dem Augenblick zerstören, da die Fackel in Brand gesteckt wird, die Zangen glühen, der Kessel wallt und die geschärften Messer bereit liegen? da alles in Bereitschaft gesetzt ist zum Zerreißen, Sengen, Sieden, Zerstückeln des Schlachtopfers?«

»Ihr zeichnet mir ein schreckliches Bild vom Leben, Elshie; allein es schreckt mich nicht,« antwortete hierauf Earnscliff, »zwar sind wir in die Welt gesetzt, um zu ertragen und zu dulden, aber hierzu nicht allein, sondern auch um zu wirken und zu genießen. Jeder Tag hat seine Abendruhe und auch einem Leiden in Gedulde wird Linderung durch das tröstliche Bewußtsein erfüllter Pflicht.«

»Diese sklavische Lehre tierischen Ursprungs verachte ich,« rief der Zwerg und in seinen Augen blitzte die Wut des Wahnsinns, »sie ist des Viehes würdig, das krepiert! Aber ich mag nicht weitere Worte an Euch verschwenden.«

Hastig stand er auf. Ehe er aber in seine Hütte trat, ergänzte er mit Heftigkeit seine Worte durch die folgenden:

»Damit Ihr indes nicht meinet, als entsprängen die Wohltaten, die ich der Menschheit scheinbar erweise, aus jener einfältigen sklavischen Quelle, die man Liebe unsrer Mitmenschen nennt, so wisset: wenn es einen Menschen gäbe, der meiner Seele liebste Hoffnung zerstörte, der mir das Herz in Stücke risse, das Hirn zu Atomen von Asche versengte und dessen Vermögen und Leben so ganz in meine Gewalt gegeben wäre wie hier dieses Stück Ton «–er ergriff einen in der Nähe stehenden irdenen Napf – » so würde ich ihn nicht so in Scherben zerschmeißen wie das« – er schleuderte wütend den Napf an die Wand – »nein, nicht also würde ich tun an ihm!« sprach er mit höchster Bitterkeit, aber gefaßter, ruhiger – »nein, nicht also, sondern pflegen und hätscheln würde ich ihn, mit Reichtum und Macht überschütten würde ich ihn, auf daß seine wilden Leidenschaften sich entflammen, sein böses Schicksal sich erfülle! Kein Mittel, Laster zu befriedigen und Schurkerei zu frönen, sollte ihm fehlen! In einem Wirbel ewig siedenden Feuers sollte er sich drehen, dessen Bereich sich kein Boot, kein Schiff nähern könnte, ohne hineingerissen zu werden und zu zerschellen! Zum Vulkan sollte er werden, der die Stätte, wo er steht, erschüttert und überschüttet mit alles vernichtender Lava, der alle Menschen, die ihm nahe stehen und nahe kommen, freundlos und freudlos, verstoßen und elend macht, wie mich!«

Das unglückliche Geschöpf rannte in seine steinerne Hütte, warf die Tür hinter sich ins Schloß und verriegelte sie, wie wenn er dem ganzen ihm verhaßten Geschlechte der Menschen, das seine Seele in solchen Wahnsinn gejagt hatte, den Zutritt sperren wollte.

Mit einer Empfindung halb Mitleid halb Schauder verließ Earnscliff das Moor. Welch seltsame, traurige Ursache mußte es sein, die diesen Menschen, dessen Sprache einen Rang und Bildung verriet, weit überlegen dem niederen Volk, in solch unglücklichen Gemütszustand versetzt hatte! Und nicht minder erstaunlich war es, daß ein Mensch nach so kurzem Aufenthalt in der Gegend und bei solch abgeschlossenem Leben solch genaue Kenntnis besaß von dem Leben und von den Gewohnheiten seiner Mitmenschen.

»Kein Wunder schloß er seine Gedankenfolge, »daß solcher Krüppel mit solchem Gemüt bei solchem Wissen und solchem Leben beim Volk für ein Wesen gilt, das mit dem Urfeind des menschlichen Geschlechts in Verbindung steht und Verkehr pflegt!«


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