Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundzwanzigstes Kapitel.

Anfang November wurde vom Chevalier beschlossen, in das Herz von England einzumarschieren. An der Spitze von sechstausend Mann wurde das Unternehmen gewagt, trotzdem man im schottischen Lager genau unterrichtet war über die gewaltigen Vorkehrungen, die zum Empfange der Gegner von seiten der englischen Heeresleitung getroffen worden waren. Der Zug wurde begonnen bei einem Wetter, das jedem andern Heere den Vormarsch verleidet hätte; aber die harten Söhne des Gebirgs erblickten in solchem Umstande gerade einen Vorteil für sich, angesichts eines Feindes, der bei weitem weichlicher war und Strapazen bei schlechter Witterung nur mühsam ertrug. Sie hatten sich in ihren Erwartungen auch nicht getäuscht, denn es gelang ihnen, nach kurzer Belagerung Carlisle zu erobern.

Den Vortrab bildete der Clan Mac-Ivors. An der Spitze befanden sich ununterbrochen Fergus und Waverley. Der letztere war jetzt jedem Bergschotten an Ausdauer und Wetterfestigkeit gewachsen. Aber über die Tüchtigkeit ihrer Truppe waren beide sehr verschiedner Anschauung, und über die Fortschritte, die sie inzwischen errungen hatten, nicht minder. Fergus hatte bei seinem feurigen Temperament nur den einen Gedanken, daß ihn jeder Marschtag so und soviel Meilen näher nach London bringe, und war voll Zuversicht in seinen Clan gegen eine ganze Welt von Waffen. Er träumte davon, die Stuarts noch einmal auf den Thron Schottlands und Englands zu führen, und erhoffte sich von ihnen Gnaden über Gnaden.

Ganz anders sah Edward die Dinge an. Ihm als wirklichem Soldaten konnten die Mängel des Schottenheeres nicht entgehen, und als scharfem Beobachter ebenso wenig, daß in allen Ortschaften, wo »König Jakob der Dritte« ausgerufen wurde, kein Mensch »Den König segne Gott« nachrief oder sang. Der Pöbel gaffte und horchte, dumm und blöde, gab aber nur selten ein Zeichen jenes feurigen Sinnes, der ihn sonst so leicht mit fortreißt. Man hatte den Jakobiten weis gemacht, in den Gegenden des nordwestlichen Englands wimmle es von Anhängern der weißen Rose, aber von den reicheren Tories ließen sich nur sehr wenige sehen, manche flohen von ihren Landgütern, andre stellten sich krank, andre unterwarfen sich als verdächtig der Regierung. Von den übrig bleibenden entsetzten sich die Laien über das wilde Aussehen, die rauhe, ungelenke Sprache und die fremden Gestalten und Gesichter der Clansleute, und die klügeren darunter mutmaßten aus der urwüchsigen Bewaffnung, aus der zusammengewürfelten Art baldiges Scheitern der ganzen Affäre und ein Ende mit Schrecken, an dem sich auch nur im geringsten zu beteiligen der helle Wahnsinn sei. So gesellten sich bloß solche Elemente zu den Scharen der Hochländer, die entweder dumm vor Loyalität oder in ihren Verhältnissen so weit herunter waren, daß sie nichts mehr zu verlieren hatten.

Wenn der Baron von Bradwardine gefragt wurde, was er von diesen Zuzüglern hielte, so pflegte er zu sagen, nachdem er eine Prise genommen und zu den Sternen, wie um sich dort Rat zu holen, aufgeschaut hatte: »Er könne, da sie aufs Haupt den Gefährten glichen, die sich an den guten König David in der Höhle Adullam anschlossen, bloß die vorteilhafteste Meinung von ihnen hegen; videlicet, allerlei Volk, das in Schulden war, und allerlei Volk, das mißvergnügt, und allerlei Volk, das, wie es in der Vulgata steht, bittern Herzens war; »und so denke ich denn, sie werden sich handfest und tapfer erweisen und werdens wohl auch müssen, denn ich hab sie schon manchen sauren Stoßseufzer tun hören.«

Fergus jedoch kümmerte sich um keine einzige dieser Rücksichten, sondern bewunderte die herrlichen Landschaften, durch die sie der Weg führte, sowie die Lage der Landsitze, an denen sie vorbeizogen.

»Ist Waverley-Würden auch so groß wie dieses Schloß dort?« so fragte er Waverley einmal.

»Um die Hälfte größer.«

»Ist der Park Eures Oheims auch so schön wie der hier?« fragte er ihn ein andermal.

»Wohl dreimal so groß, Fergus. Sieht er doch schon mehr aus wie ein Wald, denn wie ein Park.«

»Flora wird eine glückliche Gattin werden.«

»Ich hoffe, Floras wartet noch höheres Glück, ein Glück, das mit Waverley-Würden in keinem Zusammenhang steht.«

»So hoffe ich auch. Aber Herrscherin über solchen Platz zu sein, wird doch zur Totalsumme eine kleine Ergänzung bilden.«

»Eine Zugabe, die ohne Frage, wenn sie ausbleiben sollte, auf andre Weise Ersatz finden wird.«

»Wie soll ich das deuten?« rief, kurz abbrechend, Fergus. »Hatte ich das Vergnügen, Mr. Waverley, Eure Worte recht zu verstehen?«

»Vollständig recht, Fergus.«

»Ihr wünschet also nicht länger mehr Beziehungen zu meiner Schwester zu unterhalten?«

»Eure Schwester, Fergus, hat die Beziehungen zu mir ausgeschlagen, nicht allein geradezu und unverblümt, sondern auch durch jene gang und gäben Mittel, deren sich Damen zu bedienen pflegen, wenn sie Körbe austeilen.«

»Mir ist es durchaus unbegreiflich, wie eine Frauensperson es sich einfallen lassen kann, Beziehungen von der Hand zu weisen, die der ihr vom Gesetz gestellte Vormund gutgeheißen hat, und wie in solchem Falle ein Mann sich an solche Faxe einer Frauensperson kehren kann!« rief unwillig Fergus.

»Diesen Punkt, Oberst, müßt Ihr selbst mit Eurer Schwester klar stellen, ich habe mich nicht mehr drein zu mischen, gebe aber zu, daß ich über die hierüber im Hochlande herrschenden Gepflogenheiten nicht unterrichtet bin. Was aber mein persönliches Recht angeht, mich mit einem Korbe zufrieden zu geben, ohne mich in solchem Falle um Euren persönlichen Vorteil dabei zu bekümmern, so erkläre ich Euch rundheraus, ohne übrigens der anerkannten Schönheit und Bildung Eurer Schwester im geringsten nahe treten zu wollen, daß ich die Hand der schönsten Dame und brächte sie mir die Mitgift eines Königreichs, ausschlagen würde, wenn ich sie nicht mir selbst, sondern der Fürsprache von Vormündern oder Eltern verdanken sollte.«

»Ein Engel mit der Mitgift eines Königreichs dürfte,« erwiderte mit einem Anflug von Hohn der Häuptling, »schwerlich einem Junker von ...shire aufgenötigt werden. Aber, Mr. Waverley,« fuhr er in verändertem Tone fort, »wenn auch Flora Mac-Ivor nicht über ein Königreich als Mitgift gebietet, so ist sie doch meine Schwester, und dieser Umstand ist ausreichend, sie vor jeder Behandlung zu schützen, die irgendwie nach Geringschätzung aussieht.«

»Sie ist Flora Mac-Ivor, Oberst, und das ist für mich ein weit wirksamerer Schutz, wenn ich überhaupt im stande wäre, ein Weib geringschätzig zu behandeln.«

Die Stirn des Häuptlings verfinsterte sich ganz, aber Edward fühlte sich von dem unbilligen Tone, den derselbe angeschlagen hatte, so schwer beleidigt, daß er nicht gewillt war, den drohenden Sturm durch Nachgiebigkeit zu bannen. Sie standen beide still, und Fergus schien willens, die Situation durch eine noch schärfere Aeußerung auf die Spitze zu treiben, unterdrückte jedoch, wenn es ihm auch sichtlich schwer fiel, seine Aufwallung. In dumpfem Schweigen schritten sie weiter. So ging es wohl eine Stunde lang. Dann begann Fergus die Unterhaltung wieder in andrer Tonart.

»Lieber Edward, ich bin vorhin wohl etwas warm geworden, aber daran seid bloß Ihr schuld gewesen. Ein sprödes Wort oder ein hochfliegender patriotischer Gedanke Floras hat Euch erzürnt, und nun grollt Ihr wie ein Kind dem Spielzeuge, nach dem Ihr zuvor geschrieen habt, und weil mein Arm nicht bis nach Edinburg reicht, es Euch in die Hand zu legen, so schlagt Ihr mich, Euren getreuesten Beschützer... Aber ich will nach Edinburg reisen und alles wieder ins Gleis bringen, vorausgesetzt natürlich, daß Ihr nichts dawider einzuwenden habt, denn nimmermehr kann ich glauben, daß Ihr Eure gute Meinung von Flora, wenn sie wirklich das ist, als was Ihr sie oft mir gegenüber gepriesen habt, so plötzlich geändert haben solltet.«

Aber Edward war nicht gewillt, sich in einer Sache, die er schon für abgebrochen ansehen mußte, weiter oder schneller fortreißen zu lassen, als er selbst es für gut und angemessen erachtete, und erwiderte deshalb:

»Für die guten Dienste, Obrist Mac-Ivor, die Ihr mir in dieser Sache geleistet, und die für mich ganz ohne Frage sehr ehrbar sind, bin ich Euch aufrichtig dankbar. Da indessen Miß Mac-Ivor die freie Herrin ihres Willens war und meine Aufmerksamkeiten in Edinburg mit rücksichtsloser Kälte aufnahm, kann ich nicht dulden, daß sie um meinetwillen mit dieser Sache noch einmal behelligt werde. Solche Rücksicht bin ich ihr schuldig. Ich hätte Euch das bereits früher gesagt, aber es konnte nicht unbemerkt von Euch bleiben, auf welchem Fuße wir zueinander standen, und trotzdem hätte ich früher das Wort dazu genommen, hätte mich nicht ihr begreiflicher Widerstand davon abgehalten, eine Angelegenheit, die für uns beide so schmerzlicher Natur ist, zu berühren.« »O, recht so, recht so, Mr. Waverley, die Sache ist aus. Meine Schwester einen Manne aufzudringen, habe ich nicht nötig.«

»Und ich meinerseits nicht, mich von einer Dame wiederholt abweisen zu lassen.«

»Aber genau erkundigen muß ich mich doch,« fuhr der Häuptling fort, ohne dieser Unterbrechung Waverleys zu achten, »was meine Schwester zu dem allen sagt, und dann werden wir sehen, ob es in der Tat zu Ende ist.«

»Daß Ihr ob solcher Fragen und Feststellungen tun und, lassen könnt, was Ihr wollt, ist allerdings richtig,« versetzte Waverley. »Indessen kann meines Wissens Miß Mac-Ivor ihre Anschauungen in solcher Sache unmöglich ändern. Sollte jedoch ein solch unglaublicher Zufall sich ereignen, so steht es meinerseits hingegen fest, daß ich an den meinigen kein Jota ändre. Ich erwähne dies nur, um jeder Möglichkeit eines Mißverständnisses von vornherein den Boden zu entziehen.«

An Mac-Ivor lag es wahrlich nicht, den Zwist auf der Stelle zum endgültigen Austrag zu bringen. Seine Augen sprühten Blitze, und er maß Edward von Kopf zu Fuß, wie wenn er die Stelle ermitteln wolle, wo er ihn tödlich verwunden könne. Aber daß man zu einem Zweikampf auf Leben und Tod eines triftigen Vorwands bedürfe, und daß die Abneigung, sich weiter um eine Dame zu bemühen, die sich ablehnend verhält, für Männer solch triftiger Vorwand nicht sei, mußte sich auch Fergus sagen, und so verbiß er die vermeintliche Kränkung mit dem Vorsatze, keine andre Gelegenheit zu verpassen, die sich ihm böte, Rache an Waverley zu nehmen.

Ueber dieses herrische und rücksichtslose Verhalten seines bisherigen Freundes aufgebracht, verließ Waverley die Front und begab sich zum Nachtrab, wo sein Diener mit seinem Rosse sich befand. Er schwang sich darauf und beschloß, den Baron von Bradwardine aufzusuchen, in der Absicht, sich bei ihm als Freiwilliger zu melden und den Zug Mac-Ivors zu verlassen.

Der Baron, der für seine gelehrten Brocken in seiner jetzigen Umgebung keine Ablagerungsstätte mehr fand, und dem daran lag, sie nicht à la Sancho Pansas Witzen verschimmeln zu lassen, ergriff Waverleys Anerbieten mit Freuden; nichtsdestoweniger gab sich der brave Mann alle mögliche Mühe, den Zwist zwischen den beiden jungen Männern gütlich beizulegen, aber Fergus blieb gegen alle Vorstellungen taub, und Waverley sah nicht ein, weshalb er der erste sein sollte, die Hand zu bieten, nachdem der andre sie so böswillig von sich gestoßen hatte. Der Baron meldete den Vorfall dem Prinzen, und dieser, aus Besorgnis, solche Fehde könne Anlaß zu weiterm Umsichgreifen in seinem kleinen Heere werden, versprach, dem Obersten Mac-Ivor über solchen Unglimpf Vorhaltungen zu machen. Aber bei der Eile, mit der der Weitermarsch erfolgte, vergingen ein paar Tage, bis sich ihm Gelegenheit hierzu bot. Inzwischen suchte Waverley die während seiner Dienstzeit bei den Dragonern gewonnenen Kenntnisse bei dem Zuge des Barons zu verwerten und stand demselben in seinem Kommando nach Kräften bei. Wie es im Sprichwort heißt, »ist unter den Blinden ein Einäugiger König«, und so gewann auch Waverley bei der zumeist ans unterländischem Adel zusammengesetzten Kavallerie schnell ein ziemlich hohes Ansehen.


 << zurück weiter >>