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Achtzehntes Kapitel

Je näher bekannt Waverley mit den Verhältnissen am Hofe des Chevaliers wurde, desto weniger fand er Veranlassung, sich wohl an ihm zu finden. Aehnlich der Eichel, die in ihren Keimen alle Spuren künftiger Ausgestaltung zum Baume trägt, so barg auch dieser Hof schon alle Anfänge von Ränken und Intrigen, und zwar in einem Umfange im Schoße, wie sie jedem wirklichen Hofe hätten zum Ruhme gereichen können. Jeder Mensch, der sich halbwegs was zu sein dünkte, verfolgte sein besondres Ziel, und zwar mit einem Eifer, den Waverley der Sache selbst höchst unangemessen fand, und ebenso hatte jede Person Grund zu Mißvergnügen, am meisten von allen freilich der Baron von Bradwardine, der sich nicht für sich, sondern für das allgemeine Wohl abmühte.

»Die Mauerkrone,« sagte er zu Waverley, als sie mit einander eines Morgens am Fuße des Schlosses zusammen auf und ab gingen, »werden wir wohl schwerlich ersteigen. Wie Euch wohl bekannt ist, ist sie aus Gräsern und Pflanzen entstanden, die auf dem Boden wuchsen, auf dem wir jetzt nach ihrem Besitze ringen. Bei dieser Berennung, wie gesagt, werden wir sie wohl nicht in unsern Besitz bringen.«

Waverley fühlte kein besondres Verlangen, sich mit solcher Frage zu befassen, die ihm unleidlich war, weil er die ganze Belagerung als ein verfehltes Unternehmen ansah, sondern eilte, sich von dem Baron loszumachen, um, einer getroffnen Abrede gemäß, Fergus in seinem Quartier zu erwarten, wohin derselbe aus dem Holyroodpalaste zu kommen vorhatte.

»Morgen bin ich,« war das letzte Wort des Häuptlings, »zu besondrer Audienz bei Hofe befohlen. Ihr müßt mich begleiten, Waverley, denn Ihr müßt mir zu dem, was mich erwartet, auf der Stelle gratulieren.«

Als der Morgen kam, erschien der Fähndrich des Häuptlings, unser alter Bekannter Evan Dhu Maccombich, um Rapport über die Fortschritte der Belagerungsarbeiten zu erstatten. Bald war die zornige Stimme des Häuptlings zu vernehmen, der auf die Treppe getreten war.

»Callum-Beg! Callum-Beg! Callum-Beg!«

Mit allen Zeichen heftigster Wut kam er herein. Es wird nur wenige Menschen geben, in denen sich Zorn und Ingrimm so gewaltig zum Ausdruck brachten, wie auf dem Gesichte des Bergschottenhäuptlings Fergus, des letzten Sprossen der Mac-Ivor. Die Adern der Stirn schwollen ihm dann mächtig, die Nüstern weiteten sich, die Wangen glühten, die Augen schossen Blitze, und sein Blick gewann den stieren Ausdruck des Wahnsinnigen. Kaum im Zimmer, so warf er Schwert und Klinge von sich, daß die beiden Stücke in einen Winkel flogen.

»Ich wüßte nicht,« schrie er, »was mich noch abhielte, einen feierlichen Eid zu leisten, dies Schwert nie wieder für seine Sache zu ziehen. Lade mir meine Pistolen, Callum, auf der Stelle!«

Callum, der sich durch nichts aus dem Gleichgewicht bringen ließ, lud sie kaltblütig. Evan Dhu, dessen Stirn die gleichen Spuren von drohendem Grimm zu zeigen begannen, denn er merkte an diesem Gebaren seines Häuptlings auf der Stelle, daß derselbe eine Beleidigung erlitten hatte, trat vor in einer Haltung, wie wenn Mitteilung erwarte, gegen wen der Pfeil der Rache gerichtet werden solle.

»Ihr da, Waverley?« rief der Häuptling nach einer Weile, als er sich ein wenig beruhigt hatte; »ach richtig, ich bat Euch ja, Zeuge meines Triumphs zu sein! Ha, und nun seid Ihr Zeuge meiner zertrümmerten Hoffnungen!«

Evan Dhu reichte ihm den schriftlichen Rapport, aber Fergus warf ihn grimmig auf den Boden.

»Mord und Brand!« schrie er, »ich wollte, das alte Nest bräche zusammen über den Köpfen der Strohköpfe, die es belagern, und der Schufte, die es verteidigen. Ich seh's Euch an, Waverley, Ihr meint, ich sei von Sinnen? ... Evan, laß uns allein, doch bleib in der Nähe, daß Dich mein Ruf erreicht.«

»Ich weiß, Waverley,« nahm der Häuptling wieder das Wort, nachdem Dhu der Fähndrich aus dem Zimmer war, »daß Euch der Rotrock dahin gebracht hat, daß Ihr die Verbindung mit uns ein Dutzend Mal am Tag verflucht! Leugnets nicht, denn ich bin im Augenblick grade so weit wie Ihr und verfluche meine eignen Beziehungen zu dieser Schwefelbande. ... Ha, werdet Ihrs glauben? Zweierlei Gesuche trug ich heute morgen dem Prinzen vor, und beide hat er mir abgeschlagen!«

»Wie kann ich mich dazu äußern, bevor ich weiß, was Eure Anliegen betrafen?«

»Mensch! was kanns drauf ankommen, was meine Gesuche betrafen!« schrie, wieder wie außer sich, der Häuptling. »Sage ich Euch denn nicht, daß mein Mund sie an ihn richtete? daß ich sie ihm vortrug, ich, dem er doch hundertmal mehr verdankt, als all dieser Bande von Speichelleckern, die sich an seine Rockschöße heftet? Ich hab ihm das ganze Unternehmen möglich gemacht, ich hab die Mannschaft in Perthshire geworben ... und ich suche doch ganz gewiß nichts Unbilliges nach ... und wenn es der Fall gewesen, dann hätte ja ein Punkt gestrichen werden können. Aber beides? beides! Doch Ihr sollt alles wissen, Waverley, da ich nun wieder freier atmen kann. ... Ihr erinnert Euch, was ich Euch gesagt habe über mein Grafenpatent, das schon um Jahre zurückreicht und vertagt worden ist. Die Dienste, um deren willen es mir in Aussicht gestellt wurde, haben sich in der Zwischenzeit doch wahrlich nicht verringert. Nun, Waverley, vor der Komödie mit der Grafenkrone habe ich so wenig Respekt, wie Ihr oder sonst welcher Mensch, der philosophischen Sinnes ist, denn ich bin der Meinung, daß jeder Clan im hochschottischen Lande weit über jedem Grafen steht. Aber ich hatte besondern Grund zu dem Wunsche, dieser Tage den Lumpentitel zu führen. Ihr müßt nämlich wissen, Waverley, daß es mir zufällig zu Ohren kam, daß der Prinz dieser Tage dem alten verrückten Bradwardine damit in den Ohren gelegen hat, seinen männlichen Erben neunzehnten oder zwanzigsten Gliedes zu enterben, weil er ein Kommando im Heere des Kurfürsten angenommen hat, und statt seiner seine Tochter, Eure schmucke kleine Freundin, als Erbin einzusetzen. Und damit, scheint der alte Herr auch einverstanden zu sein.«

»Aber was wird dann aus der Lehnspflicht?«

»Diese vermaledeite Lehnspflicht! ...« rief Fergus. ...

»Ich glaube, daß Rosa der Königin am Krönungstage den Pantoffel ausziehen soll, oder was sonst für eine Lappalie im Werke sein mag. Nun, Waverley! Rosa Bradwardine wäre immerzu für mich eine schickliche Partie gewesen, hätte sich, der verrückte alte Baron nicht immer mit seiner verrückten Vorliebe, für einen männlichen Erben so kreuzgefährlich gehabt! Jetzt aber blieb mir kein Hindernis weiter als der Umstand, daß der Baron Bradwardine seinem Schwiegersohne gegenüber darauf bestanden hätte, daß er den Namen Bradwardine annähme und weiter führe. ... Das ist nun aber, wie Ihr wißt, in meinen Verhältnissen ein Ding der Unmöglichkeit. Dagegen hätte es sich vermeiden lassen, wenn mir der Grafentitel verliehen wurde, auf den ich doch so begründete Ansprüche habe. Wäre sie dann, nach ihres Vaters Heimgang, Baroneß Bradwardine geworden, so war das ja um so besser. Wenigstens hätte ich nichts dagegen gehabt.«

»Aber, Fergus,« sagte Waverley, »ich habe ja bisher gar keine Ahnung gehabt, daß Ihr Neigung für Miß Rosa fühlt? Ich habe aus Eurem Munde doch immer bloß Lästerworte über den Baron, ihren Vater, vernommen.«

»Ich fühle für Miß Bradwardine grade so viel Zuneigung, mein Lieber, wie sie mir für die künftige Gebieterin meines Hauses und für die Mutter meiner Kinder als nötig erscheint. Rosa ist ein sehr hübsches, verständiges Mädchen und stammt ganz ohne Zweifel aus einem unsrer ersten Adelsgeschlechter des Unterlands. Sie wird auch, vorausgesetzt, daß Flora sich ihrer ein wenig annimmt eine ganz gute Figur spielen. Ihr Vater ist zwar ein Original, und noch dazu ein ziemlich abgeschmacktes, aber er hat doch dem verblichnen Laird Balmawhapple eine so derbe Lektion erteilt, daß niemand über ihn ein Lächeln wagt. Wie gesagt, jedes irdische Hindernis wäre ausgeschlossen gewesen, und in meinem Kopfe lag die Geschichte schon ganz klar.«

»Aber hattet Ihr denn schon mit dem Baron oder mit Rosa Rücksprache über diese Herzensangelegenheit genommen?«

»Rücksprache? wozu denn?« fragte Fergus. »Hätte ich mit dem Baron vorher sprechen wollen, ehe mir der Grafentitel verliehen worden war, so wäre das nur als eine Anmaßung erschienen und hatte wegen des Namenswechsels bloß zu unliebsamen Erörterungen geführt. Als Graf Glennaquoich dagegen war für mich jede Erörterung hierüber dasselbe, was sie vorhin für den Baron gewesen wäre, eine Anmaßung, und das eben ists, was mich in solche Wut versetzt hat! Denn Rosa, was hätte die wohl vernünftigerweise einzuwenden gehabt?«

»Vielleicht dasselbe, was Eure Schwester gegen mich einzuwenden hatte?«

Bei diesem Vergleich machte Fergus große Augen, aber er unterdrückte behutsam die Antwort, die ihm schon auf der Zunge schwebte.

»O, ich meine, das hätte sich wohl bald gegeben! ... Bleiben wir aber bei den persönlichen Anliegen, die ich an den Chevalier stellte. Im Verfolg derselben suchte ich um eine geheime Audienz beim Prinzen nach, die für heute vormittag anberaumt wurde, und wollte Euch eigentlich mitnehmen, damit Ihr mir gleich hättet Brautwerber sein sollen. Indessen trieb mich die Unruhe, ich hätte die anberaumte Zeit versäumen können, früher hinweg. Nun war es auch so gut, denn wenn auch meine Ansprüche nicht verneint oder abgewiesen wurden, so wurde ich doch abermals vertröstet mit dem Hinweis auf die Eifersucht des und des und des ... ich erbiete mich, die schriftliche Einwilligung dieser Vogelscheuchen zu erbringen, mit denen man mir »Männchen macht« ... ich gebe die Versicherung, daß sie mir ohne weitres erteilt werden müsse, da ich ja doch die ältern Ansprüche habe ... ich schwöre, daß ich sie beschaffen wolle, und müßte es mit Gewalt meines Schwertes geschehen ... aber nun kam die nackte Wahrheit an den Tag! der Prinz nimmt sich heraus, mir ins Gesicht zu sagen, daß mein Patent zunächst noch in der Schwebe bleiben müsse, aus Furcht vor einem nichtswürdigen Halunken und Tagediebe, dem Nebenbuhler um die Häuptlingswürde in meinem eignen Clan der kein bessres Anrecht auf solche Würde hat als ich auf den chinesischen Kaiserthron, aber sich schurkischerweise geweigert hat, ins Feld zu rücken, unter dem erbärmlichen Vorwande, der Prinz hege für mich eine solch parteiische Vorliebe, daß es zwischen ihm und mir zu Reibereien schließlich kommen müsse. Und um solchem elenden Wicht nicht nahe zu treten, verlange der Prinz von mir, ich solle meine gerechten und billigen Ansprüche vertagen? Hol der Teufel alles Vertrauen auf Fürstenwort!«

»Und damit war die Audienz zu Ende?«

»Keineswegs! ich war mir auf der Stelle schlüssig, ihm nicht den geringsten Vorwand für seinen Undank zu lassen, und eröffnete ihm mit aller Fassung, deren ich mächtig war, denn Ihr könnt wohl denken, daß ich mich vor Wut nicht kannte, ... die besondern Gründe, um deren Willen ich den Wunsch hegen müsse, daß mir königliche Hoheit den Weg zeigen möchte, wie ich meine Ergebenheit und Pflichttreue noch energischer betätigen solle, da mir mein Lebensplan etwas, was min zu jeder andern Zeit eine Lappalie gewesen sei, zu einer sehr schwer zu lösenden Aufgabe mache ... und nun entwickelte ich ihm all meine Pläne.«

»Und die Antwort des Prinzen lautete?«

»Antwort? ... O, es ist ein Glück, daß es geschrieben steht in der Schrift: Fluche dem Könige nicht! niemals, auch nicht im Herzen! ... Seine Antwort lautete, daß er sich außerordentlich freue, von mir mit solchem Vertrauen beehrt zu werden, weil er in der Lage sei, mir eine noch schmerzlichere Enttäuschung zu ersparen, denn er könne mir auf sein fürstliches Wort versichern, daß Miß Rosa Bradwardine ihre Herzenswahl bereits getroffen habe ... daß er sich bereits anheischig gemacht habe diese Wahl, so weit es an ihm sei, zu fördern ... »und somit,« schloß mein gnädiger Prinz, »wird es ja, wie Ihr wohl zugestehen werdet, mit der Grafenwürde um so weniger Eile haben, als eine Heiratsfrage ja nicht dabei in Betracht tritt ...« Dann noch ein allergnädigstes Lächeln ... und dann war mein allergnädigster Prinz verschwunden und ließ mich stehen, wie die Kuh vorm neuen Tore!«

»Und Ihr, Fergus, was tatet nun Ihr?«

»Ich will Euch sagen, Waverley, was ich in diesem Augenblick getan hätte .. dem Teufel oder dem Kurfürsten von Hannover hätt ich mich in diesem Augenblick verkauft, demjenigen von beiden, der mir die gründlichste Rache versprochen hätte! ... Aber jetzt bin ich wieder ruhig geworden. Ich weiß, er gedenkt das Mädel mitsamt der Baronie an einen seiner irischen oder fränkischen Hunde zu verkuppeln, aber ich halte die Augen offen, und wer sich einbildet, mich ausstechen zu wollen, der soll sich in acht nehmen ... bisogna caprirsi, Signor

Nach ein paar weiten Worten, die für uns aber unerheblicher Natur sind, verabschiedete sich Waverley von Fergus, der nun grimmige Rache brütete, und begab sich in sein Quartier zurück, kaum imstande, sich über all die Empfindungen Rechenschaft abzulegen, die sein Herz nun bestürmten infolge dieser neuen Mitteilung erschütternder Natur.


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