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Elftes Kapitel.

Als Waverley die Stelle im Heereszuge erreichte, die von dem Clan Mac-Ivor ausgefüllt wurde, bewillkommnete ihn das Jauchzen der Clanmänner und ein gewaltiger Sackpfeifentusch. Kannten ihn doch die meisten der Clanmänner von seinem Aufenthalt im Hochlande her! und die Freude, ihn jetzt in Tracht ihres Clans zu erblicken, wollte schier kein Ende nehmen.

»Ihr schreit ja,« sagte einer von den Hochschotten des nebenan marschierenden Clans, »wie wenn der Häuptling selbst erst zu Euch gestoßen wäre.«

»Wenn er nicht selbst der Häuptling ist,« erwiderte Evan Dhu, an den die Worte gerichtet wurden, »dann ist er doch der Bruder vom Häuptling!«

»O, also wohl der Sassenach, der die schmucke Flora zum Weibe haben soll?«

»Kann wohl sein, kann aber auch nicht sein, und geht weder Dich was an noch mich, Gregor!« Jetzt eilte Fergus herbei, um den Freiwilligen zu begrüßen, der sich zu seinem Clan gesellt hatte. Indessen konnte er nicht umhin, gleich einige Worte darüber zu äußern, daß sich sein Clan in einer verhältnismäßig schwachen Anzahl hier vertreten fand. Es seien verschiedene Einzeltrupps schon von ihm abgeordert worden, sagte er; der Hauptgrund aber war, daß ihn der Abfall Donald Bean Leans um einige dreißig Mann gebracht hatte, und daß andre Mannen, die sich zu ihm gehalten hatten, von denjenigen Häuptlingen zum Dienst befohlen worden waren, denen sie in erster Reihe dienstpflichtig waren.

Indessen wurden diese Abgänge dadurch ziemlich wieder wett gemacht, daß die Mannen Fergus Mac-Ivors den besten Truppen des Chevaliers an Drill und Mut die Wage hielten.

Von dem Dorfe Duddingston ab verfolgte das Heer der Schotten die gewöhnliche Poststraße, die von Edinburg nach Haddington führt. Bei Muffelberg wurde der Esk überschritten, und von da wurde, statt durch die niedern Gegenden an der Küste hin zu ziehen, landeinwärts abgeschwenkt. Auf dem Rücken des Caberryhügels, der in der Geschichte von Schottland denkwürdig ist durch die Gefangennahme der Königin Maria durch ihre aufständischen Untertanen, wurde ein festes Lager bezogen. Der Chevalier hatte sich für diese Marschrichtung entschieden, weil durch Kundschafter gemeldet worden war, daß sich die Regierungsarmee westlich von Haddington gelagert habe, um von da aus gegen Edinburg vorzudringen. Von der Kammhöhe aus versprach er sich für den Angriff Vorteile, die ihm in der Ebene entgehen mußten, denn von dem Hügel aus beherrschte der Blick weithin die Ebene, und er bildete eine zentrale Stellung, von der aus Truppen nach jeder Richtung hin beordert werden konnten, wo sich der Feind zeigte.

Während Waverley mit Mac-Ivor den Hügel hinauf zog, sprengte ein Kurier heran, der Fergus Mac-Ivor zu dem Prinzen entbot, bei dem die Meldung eingelaufen war, daß die Vorhut unter dem Baron Bradwardine mit dem Feinde Fühlung bekommen und ein siegreiches Scharmützel bestanden habe, sowie daß die ersten Gefangnen vom Baron bereits gemeldet worden seien.

Waverley ging dem Kommando voraus und bemerkte bald etwa ein halbes Dutzend Berittner, die, mit Staub bedeckt, herangaloppierten, um zu melden, daß der Feind in voller Stärke vom Westen her im Anmarsch sei. Als er noch ein paar Schritte weiter gegangen war, drang plötzlich aus einer Hütte banges Stöhnen zu seinen Ohren. Näher kommend, war es ihm, als unterscheide er Laute im Dialekt seiner Heimat, die sich anhörten, wie wenn jemand das Vaterunser bete.

Waverley war immer bereit zu helfen: Er trat in die Hütte, aber in der Finsternis konnte er auf den ersten Blick nichts weiter sehen, als etwas, wie ein rotes Bündel. Dann sah er, daß er sich einem Dragoner gegenüber befand, dem bis auf seinen Mantel alles geraubt worden war, Waffen wie alle übrigen Monturstücke.

»Wasser! Wasser!« lallte mit ersterbender Stimme der allem Anschein nach schwer verwundete Soldat.

Waverley hob den Mann auf die Arme und trug ihn vor die Tür. Dann reichte er ihm aus seiner Feldflasche einen Trunk Wasser.

Der Mann heftete einen prüfenden Blick auf Waverleys Gestalt, dessen Gesicht ihn irre zu machen schien.

»Nein, nein,« sagte er dann, wie zu sich selbst, »der junge Squire ists doch nicht.«

Das war die Bezeichnung, wie man auf dem Edelsitze von Waverley-Würden den jungen Herrn zu nennen gewohnt gewesen war.

Waverley stutzte. Die Stimme des Mannes weckte tausendfältige Erinnerung in seinem Herzen. Er sann und sann. Plötzlich aber schoß es ihm durch den Sinn, und er rief:

»Houghton! Houghton! bist Du es wirklich?«

»Nie dachte ich wieder eine englische Stimme zu hören,« sprach der Verwundete, dessen Gesicht schon vom Tode gräßlich entstellt war. »Als ihnen klar wurde, daß ich über die Stärke unsres Heeres keine Auskunft zu geben vermochte, haben sie mich hier liegen lassen, ohne sich drum zu scheren, ob ich verhungern oder verdursten müsse. Aber, Squire, wie konntet Ihr bloß so lange weg von der Truppe bleiben und uns diesem Satanskerl von Ruffin in die Schere geraten lassen? Euch wären wir ja doch durch Wasser und Feuer gefolgt!«

»Ruffin? Ruffin? ... « fragte Waverley, »ich versichre Euch, Houghton. Ihr seid schändlich betrogen worden.«

»Habs mir oft so gedacht,« sagte der Verwundete, »wenn sie uns gleich Euer Siegel vorwiesen. So kams denn, daß ein paar von uns erschossen wurden, während sie mich degradierten.«

»Sprich nicht so viel, Houghton,« sagte Waverley, »bleib hier liegen! ich will mich nach einem Wundarzt umsehen.« Eben kam Mac-Ivor aus dem Hauptquartier zurück, wo er einem Kriegsrat beigewohnt hatte.

»Brillante Nachrichten!« rief Fergus dem Freunde entgegen. »In knapp zwei Stunden werden wir aneinander sein. Kommt, Waverley, kommt! der Prinz ist schon zur Front unterwegs.«

»Einen Augenblick nur, Fergus!« erwiderte Waverley, »hier liegt ein armer Gefangner im Sterben. Wo kann man einen Wundarzt finden?«

»Was? Wundarzt?« versetzte Fergus; »wir haben so was nicht! höchstens die französischen Soldaten, die unsre Kanone bedienen. Die sind aber, meines Wissens, auch nicht viel gescheiter als der erste beste Apothekerbub.«

»Aber der arme Mensch verblutet sich ja!«

»Dann wirds ihm halt gehen, wie bis heut abend noch manchem andern. Aber, zum Teufel! darum hält man sich doch nicht auf. Waverley, kommt und verzieht nicht langer! Wir kommen sonst zu spät.«

»Ich kann nicht, Fergus! Erst muß dem armen Menschen geholfen werden.«

»Mord und Brand! was fällt denn Baron Bradwardine bloß ein? uns Leute zu hinterlassen, die bloß halbtot sind und uns solch elende Hudelei machen?« rief Fergus. »Kommt, Waverley, kommt! ich will Callum-Beg zu dem Kerl herschicken. Aber was wollt Ihr Euch drum aufhalten lassen!«

»Fergus, es ist ein Pächterssohn aus Waverley-Würden.«

»So? einer, von den Eurigen also?« versetzte Mac-Ivor, »na, wenn auch! Callum-Beg wird ihn schon wieder in Schuß bringen, wenn noch was mit ihm zu machen ist.«

Callum war alsbald zur Stelle. Aber nach kaum einer Viertelstunde hatte der Aermste ausgelitten. Er bat noch Waverley, wenn es anginge für seine alten Eltern zu sorgen, und beschwor ihn, um alles in der Welt nicht mit diesem wilden Weiberrockgesindel gegen Altengland in den Krieg zu ziehen,

Waverley hatte mit aufrichtigem Schmerze dem Todeskampfe seines einstigen Sergeanten zugesehen, und als der letzte Hauch aus der körperlichen Hülle entflohen war, hieß er Callum den Toten in die Hütte zurücktragen. Der junge Hochländer tat, wie ihm geheißen, unterließ aber nicht, alle Taschen des toten Soldaten zu untersuchen; da dies aber, wie schon erwähnt, andre vor ihm aufs sorgfältigste getan hatten, war seine Mühe umsonst, Aber den Mantel nahm er der Leiche noch ab und versteckte ihn unter einem Busch von Stechginster, wobei er vorsichtig zu Werke ging, wie ein Hund, der den Knochen versteckt, den er nicht auffressen kann, und merkte sich die Stelle genau, weil er seiner Mutter, der alten Elspath, einen Mantel draus zu machen gedachte, falls er mit dem Leben davonkäme.

Es wurde ihnen nicht leicht, die Stelle in der inzwischen weiter marschierten Kolonne wieder zu erreichen, die ihr Clan inne hatte, und erst auf den Höhen oberhalb vom Dorfe Tornent gelang es ihnen. Unterhalb dessen, nach der Meeresküste hin, lag die Straße, die das feindliche Heer ziehen wollte.

Aus den wenigen Worten, die der Sterbende zu Waverley gesprochen hatte, war es demselben klar geworden, daß das von dem Obersten gegen ihn eingeleitete Verfahren sich durchaus auf dem Boden des Rechts bewegt und zufolge der in Edwards Namen unternommenen Schritte, die Schwadron zur Meuterei zu verleiten, ganz unerläßlich geworden war. An den Umstand mit seinem Petschaft erinnerte er sich nun erst wieder, und es fiel ihm ein, daß er es in der Höhle des Räubers Donald Bean Lean eingebüßt hatte. Augenscheinlich hatte es nun dieser durchtriebene Gauner benützt, als ein nützliches Mittel durch Fälschung von Schriftstücken, die er mit dem Petschaft unterstempelt hatte, zu seinem Vorteil Intrigen im Regiment anzuzetteln, die ihm frische und gut brauchbare Mannschaften zuführen sollten. Ganz ohne Frage fanden sich weitere Auskünfte noch in dem Paket, das Alice, die Tochter des Schuftes, in seinen Mantelsack gesteckt hatte, dessen er aber noch immer nicht hatte habhaft werden können. Und immer und immer tönte ihm der schmerzliche Vorwurf in die Ohren: »Ach, Squire, wie konntet Ihr bloß so lange von Eurer Truppe wegbleiben?" ... wie eine Totenglocke klang ihm der Vorwurf in den Ohren. ...


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