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Neunzehntes Kapitel.

Erzählung von Darsie Latimer.

(Fortsetzung.)

Seinen eigenen Betrachtungen überlassen, war Darsie nicht nur über die Veränderung seines eigenen Standpunkts, sondern auch über den Gleichmuth erstaunt, womit er über diesen ganzen Wechsel hinblickte.

Sein Fieberanfall von Liebe war wie ein Morgentraum hinweggeschwunden, und ließ nur ein peinliches Gefühl von Scham zurück, und den Entschluß, künftig vorsichtiger zu sein, ehe er sich solchen romantischen Visionen hingäbe. Seine Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft war gänzlich verändert; aus einem umherwandernden, Niemand angehörenden Jüngling, an welchem nur die fremden Menschen, von welchen er erzogen worden war, einen Antheil zu nehmen schienen, war er der Erbe eines edeln Hauses geworden, und in den Besitz eines solchen Einflusses und eines so großen Vermögens gekommen, daß es wahrscheinlich von seinem Entschluß abhing, ob gewisse wichtige politische Ereignisse ihren Fortgang haben oder aufgehalten werden sollten. Eben diese plötzliche Erhebung, welche jene Wünsche mehr als erfüllten, die ihn unruhig umhergetrieben hatten, seit er im Stande war, darüber Wünsche zu hegen, wurde von Darsie bei seinem Leichtsinn nur mit der Regel befriedigter Eitelkeit betrachtet.

Es ist wahr, seine gegenwärtige Lage bildete ein bedeutendes Gegengewicht gegen diese hohen Vortheile. Der Gefangene eines so entschlossenen Mannes, wie sein Oheim, zu sein, war keine angenehme Betrachtung, wenn er bedachte, auf welche Weise er am besten seinem Willen entgegentreten und seine Mitwirkung bei der gefährlichen Unternehmung versagen könne, welche jener im Schilde zu führen schien. Selbst geächtet und verzweifelt, hatte sein Oheim zweifelsohne Menschen um sich her, die Alles zu thun fähig waren; durch persönliche Rücksichten ließ er sich nicht zurückhalten, und es hing daher ganz allein von seinem Gewissen ab, welchen Grad von Zwang er bei seinem Neffen anwenden, und wie weit er gehen werde, um dessen Hartnäckigkeit zu strafen, wenn er die Sache der Jacobiten nicht zu der seinigen machte; und wer konnte für die Gewissenhaftigkeit eines solchen Schwärmers stehen, der eine Widersetzlichkeit gegen die von ihm ergriffene Partei für Verrath an der Wohlfahrt seines Landes hielt? Nach wenigen Augenblicken gefiel es Christal Nixon, einiges Licht auf den Gegenstand zu werfen, der ihn beunruhigte.

Als dieser finstere Trabant ohne weitere Ceremonien dicht an Darsie's Seite ritt, fühlte dieser aus Abscheu eine Art Fieberschauer, so wenig war er im Stande, seine Gegenwart zu ertragen, seit Lilias durch ihre Erzählung seinen instinktartigen Haß gegen ihn noch vermehrt hatte. Seine Stimme tönte dabei wie Eulengekrächz, als er sagte: »so, mein junger Hahn aus dem Norden, Ihr wißt nun Alles, und wisset es vermuthlich Eurem Oheim Dank, daß er Euch zu einer so ehrenvollen That anspornte.«

»Ich werde meinen Oheim mit meinen Gesinnungen über diesen Gegenstand bekannt machen, bevor ich mit irgend Jemand darüber spreche,« sagte Darsie, und war kaum im Stande, diese wenigen Worte auf eine höfliche Art herauszubringen.

»Hum,« murmelte Christal zwischen den Zähnen, »zähe wie Wachs, sehe ich, und vielleicht nicht ganz so biegsam. Aber nehmet Euch in Acht, artiger Junker,« setzte er verächtlich hinzu, – »Hugo Redgauntlet wird ein tüchtiger Reiter sein, und weder Sporen noch Peitsche sparen, das verspreche ich Euch.«

»Ich habe schon gesagt, Mr. Nixon, daß ich über die Gegenstände, wovon mich meine Schwester in Kenntniß gesetzt hat, mit Niemand Anders, als mit meinem Oheim sprechen will.«

»Aber ein freundlicher Rath könnte Euch nicht schaden, junger Herr,« erwiderte Nixon. »Der alte Redgauntlet ist rascher mit der Faust als mit dem Wort, – er beißt vielleicht, ehe er bellt; er ist der rechte Mann dazu, Euch für's Erste niederzuschlagen, und dann zu bitten, ihm Stand zu halten. – So dünkt mich, eine kleine gut gemeinte Warnung wegen den Folgen könnte nicht schaden, damit diese nicht unvorbereitet über Euch kommen.«

»Wenn die Warnung wirklich gut gemeint ist, Mr. Nixon,« sagte der junge Mann, »so werde ich sie mit Dank anhören; ist sie es nicht, so muß ich doch darauf hören, ich mag wollen oder nicht, weil ich jetzt weder die Wahl der Gesellschaft, noch der Unterredung habe.«

»Nun, ich habe nur wenig zu sagen,« sagte Nixon, indem er seinem düstern und lauernden Wesen den Anstrich ehrlicher Einfalt zu geben sich bemühte; »ich bin so wenig als Einer dazu gemacht, meine Worte wegzuwerfen. – Hier ist aber die Frage, wollt Ihr mit Herz und Hand Euch mit Eurem Oheim verbinden oder nicht?«

»Und wenn ich nun ja sage?« fragte Darsie, entschlossen, wo möglich seine Gesinnung vor diesem Manne zu verbergen.

»Nun dann,« sagte Nixon, ein wenig verwundert über die rasche Antwort, »dann wird Alles gut gehen, – Ihr werdet an dieser edeln Unternehmung Theil nehmen, und wenn sie gelingt, – vertauscht Ihr Euern offenen Helm vielleicht mit einer Grafenkrone.«

»Und wie, wenn es mißlingt?« sagte Darsie.

»Dann geht's, wie es gehen mag,« – sagte Nixon; »wer mit Kugeln spielt, muß sich auf Hiebe gefaßt machen.«

»Nun, nehmt aber einmal an, ich hätte eine närrische Vorliebe für meine Kehle, und ich sagte: nein, wenn mein Oheim mir den Vorschlag machte, sie daran zu wagen, – wie dann, Mr. Nixon?«

»Nun, dann mögt Ihr für Euch selbst sorgen, junger Herr; es gibt in Frankreich scharfe Gesetze gegen widerspenstige Pupillen, – lettres de cachet sind leicht zu erhalten, wenn solche Leute bei der Sache interessirt sind, wie die, mit denen wir in Verbindung stehen.«

»Wir sind aber nicht in Frankreich,« sagte der arme Darsie, den bei dem Gedanken an ein französisches Gefängniß ein kalter Schauer durchrieselte.

»Ein schnell segelnder Lugger bringt Euch bald hinüber, tief genug verpackt unter den Verdecken, wie ein Faß, das man beim Mondlicht ladet.«

»Aber die Franzosen sind im Frieden mit uns,« sagte Darsie, »und würden nicht wagen – – »

»Wer würde denn je von Euch hören,« unterbrach ihn Nixon; »glaubt Ihr denn, man würde Euch offen vor Gericht laden, und das Urtheil der Einkerkerung in den Courier de l'Europe setzen, wie man es zu Old Bailey macht? – – Nein, nein, junger Herr, die Thore der Bastille, von Mont Saint Michel und des Schlosses von Vincennes laufen in verdammt leichten Angeln, wenn sie Leute einlassen, – auch nicht das leiseste Knarren hört man. Da gibt es kühle Behältnisse für hitzige Köpfe, so still, ruhig und dunkel, als Ihr sie im Tollhause wünschen könnt, und die Entlassung kommt, wenn der Tischler des Gefangenen Sarg bringt, nicht eher.«

»Gut, Mr. Nixon,« sagte Darsie mit einem Tone von Heiterkeit, die er durchaus nicht fühlte; »mein Fall ist schlimm, ich befinde mich in einer bittern Wahl, das werdet Ihr zugestehen, denn ich muß entweder meine eigene Regierung beleidigen, und dann ist mein Kopf in Gefahr, oder ich muß in die Gefängnisse eines fremden Landes wandern, dessen Gesetze ich nie beleidigte, da ich nie seinen Boden betrat. – Sagt mir, was würdet Ihr an meiner Stelle thun?«

»Das werde ich Euch sagen, wenn ich in dem Falle bin,« sagte Nixon, wandte sein Pferd und ritt zum Nachtrabe des kleinen Zugs zurück.

»Es ist offenbar,« dachte der junge Mann, »daß der Schurke glaubt, ich sei vollkommen in der Schlinge, und vielleicht die rasende Unverschämtheit hat, anzunehmen, daß meine Schwester eventuell in die Besitzungen eintreten muß, welche den Verlust meiner Freiheit veranlaßt haben, und daß sein eigener Einfluß auf das Schicksal unserer Familie ihm den Besitz der Erbin sichern könne; eher aber soll er von meiner Hand sterben. Ich muß nun frisch daran, und meine Flucht in's Werk setzen, wo möglich, ehe man mich gewaltsam einschifft; der blinde Willie wird mich, denke ich, nicht verlassen, ohne einen Versuch für mich zu wagen, besonders wenn er hört, daß ich der Sohn seines ehemaligen, unglücklichen Schutzherrn bin. Wie seltsam ist mein Schicksal! Als ich weder Rang, noch Vermögen besaß, lebte ich sicher und unbekannt unter dem Schutze der gütigen und achtbaren Freunde, deren Herzen der Himmel zu mir gewandt hat. – Jetzt, da ich das Haupt eines ehrenwerthen Hauses bin, und Unternehmungen der kühnsten Art auf meine Entscheidung harren, und Anhänger und Vasallen bereit scheinen, sich auf meinen Wink zu erheben, beruht meine Sicherheit hauptsächlich auf der Zuneigung eines umherziehenden Blinden!«

Während er dieß überdachte, und sich zu einer Unterredung mit seinem Oheim vorbereitete, welche nur stürmisch sein konnte, sah er Hugo Redgauntlet langsam zurück- und ihnen entgegenreiten, ohne einen einzigen Diener. Christal Nixon ritt voraus, als er sich näherte, und als sie zusammentrafen, richtete er einen forschenden Blick auf ihn.

»Der einfältige Crakenthorp, sagte Redgauntlet, »hat Fremde in sein Haus aufgenommen; Einige von seinen Schmugglerkameraden, glaube ich. Wir müssen langsam reiten, um ihm Zeit zu lassen, sie so bald wie möglich wieder fortzuschicken.«

»Saht Ihr einige Eurer Freunde?« fragte Christal.

»Drei, und ich habe Briefe von vielen andern. Sie sind einstimmig über den bewußten Gegenstand, und der Punkt muß ihnen gestattet werden, oder die Sache geht nicht weiter, so weit sie auch schon gegangen ist.«

»Ihr werdet den Pater schwerlich dahin bringen, sich dem Willen seiner Heerde zu fügen,« sagte Christal mit höhnischer Miene.

»Er muß und wird!« antwortete Redgauntlet kurz. »Reite einmal vor, Christal, – ich möchte mit meinem Neffen sprechen. – Ich hoffe, Sir Arthur Redgauntlet, Ihr werdet zufrieden sein mit der Art, wie ich mich der Pflicht gegen Eure Schwester entledigt habe?«

»Ihre Sitten und ihre Denkart sind untadelhaft,« sagte Darsie; »ich bin glücklich, eine so liebenswürdige Verwandte kennen gelernt zu haben.«

»Das freut mich,« antwortete Redgauntlet; »ich verstehe mich nicht sonderlich auf die Eigenschaften der Weiber, und mein Leben ist einem großen Gegenstande gewidmet gewesen, so daß sie wenig Gelegenheit hatte, sich weiter auszubilden, seit sie Frankreich verließ. Ich habe sie indeß so wenig als möglich den Unannehmlichkeiten und Entbehrungen meines wandernden und gefahrvollen Lebens ausgesetzt. Von Zeit zu Zeit ist sie Wochen und Monate lang bei angesehenen und achtungsvollen Familien geblieben, und ich freue mich, daß sie nach Eurer Meinung die Sitten und das Benehmen hat, die ihrem Stande geziemen.«

Darsie drückte seine vollkommene Zufriedenheit damit aus, und es entstand eine kleine Pause, welche Redgauntlet unterbrach, indem er sich feierlich an seinen Neffen wandte.

»Auch für Euch, mein Neffe, hatte ich gehofft, nicht weniger thun zu können, aber die Schwäche und Furchtsamkeit Eurer Mutter entriß Euch meiner Sorge, denn sonst würde es mein Stolz und mein Glück gewesen sein, den Sohn meines unglücklichen Bruders auf den Pfad der Ehre geleitet zu haben, auf welchem unsere Ahnherrn stets gewandelt sind.«

Nun kommt der Sturm, dachte Darsie bei sich selbst, und begann seine Gedanken zu sammeln, wie der vorsichtige Schiffsherr seine Segel einzieht, und sein Schiff dicht verschließt, wenn er den herannahenden Sturm bemerkt.

»Das Benehmen meiner Mutter kann gemißdeutet werden,« sagte er, »aber es war aus die besorgteste Liebe gegründet.«

»Ganz gewiß,« sagte sein Oheim, »und ich will keinen Flecken auf ihr Andenken werfen, obgleich ihr Mißtrauen so viel Unrecht, ich will nicht sagen mir, sondern der Sache meines unglücklichen Vaterlandes gethan hat. Ihre Absicht war, wie ich glaube, Euch zu einem elenden Zungendrescher zu machen, welchem man noch zum Spotte den einst achtungswerthen Namen eines schottischen Advokaten gibt, zu einem jener Zwittergeschöpfe, welche vor einem fremden Gerichtshof kriechen müssen, um die Endurtheile in ihren Streitsachen einzuholen, anstatt sie vor dem unabhängigen und ehrwürdigen Parlament ihres eigenen Königreichs zu vertheidigen.«

»Ich studirte die Rechte ein oder zwei Jahre lang,« sagte Darsie, »aber ich fand, daß ich weder Geschmack daran, noch Talent dazu hatte.«

»Und verließet es ohne Zweifel mit Verachtung,« sagte Redgauntlet. »Gut, so will ich denn Euch, mein theuerster Neffe, einen würdigern Gegenstand des Ehrgeizes vorhalten. Blicket östlich, – seht Ihr dort ein Denkmal auf der Ebene, nahe an jenem Dorfe?«

Darsie antwortete bejahend.

»Das Dorf heißt Burgh–upon Sands (Flecken auf dem Sande) und das Monument dort ist dem Andenken des Tyrannen Eduards I. errichtet. Die gerechte Hand der Vorsehung erreichte ihn an dieser Stelle, als er eben seine Banden zur vollständigen Unterjochung Schottlands führte, dessen bürgerliche Uneinigkeiten unter seiner fluchenswerthen Politik begannen. Bruce's ruhmvolle Bahn würde in ihrem Beginnen aufgehalten, das Feld von Bannockburn ein blutloses Moor geblieben sein, wenn Gott nicht im Augenblick der Entscheidung den listigen und blutigen Tyrannen aus dem Wege geräumt hätte, der so lange schon Schottlands Geißel gewesen war. Eduards Grab ist die Wiege unserer Nationalfreiheiten. Im Angesicht dieses großen Malzeichens unserer Freiheit schlage ich Euch ein Unternehmen vor, das an Ehre und Wichtigkeit keinem nachsteht, seit der unsterbliche Bruce den Red-Comyn niederstieß, und mit der noch blutigen Hand nach der unabhängigen Krone Schottlands griff.«

Hier erwartete er eine Antwort, aber Darsie, überwältigt durch sein energisches Benehmen, blieb stille, weil er nicht durch eine hastige Darlegung seiner Sinnesart sich in Verlegenheit setzen wollte.

»Ich will nicht annehmen,« sagte Hugo Redgauntlet nach einer Pause; »daß Ihr so einfältig seid, die Wichtigkeit meiner Worte nicht zu begreifen, oder so feige, durch meinen Vorschlag zurückgeschreckt zu werden, oder endlich so ausgeartet von dem Blut und der Sinnesart Eurer Väter, um meine Aufforderung nicht anzuhören, wie das kriegerische Roß den Klang der Trompete.«

»Ich will mich nicht stellen, Sir, als mißverstände ich Euch,« sagte Darsie, »aber ein Unternehmen, das gegen eine jetzt seit drei Regierungen befestigte Dynastie gerichtet ist, erfordert in Hinsicht auf Gerechtigkeit und Ausführbarkeit starke Beweggründe, um es Männern von Gewissen und Klugheit zu empfehlen.«

Mit Augen, die vor Unwillen glühten, sagte Redgauntlet: »Ich will kein Wort von Euch hören gegen die Gerechtigkeit einer Unternehmung, nach der Euer unterdrücktes Land mit der Stimme einer Mutter ruft, die ihre Kinder um Hilfe anfleht, – oder gegen die edle Rache, die Eures Vaters Blut fordert aus seinem entehrten Grabe. Sein bleicher und modernder Schädel steht noch auf Rikargate, und befiehlt Euch, ein Mann zu sein. Ich frage Euch im Namen Gottes und Eures Landes, wollt Ihr Euer Schwert ziehen, und mit mir nach Carlisle gehen, wäre es auch nur, um Eures Vaters Haupt, jetzt die Ruhestelle der Eulen und Krähen, und der Spott jedes elenden Bauern, in geweihte Erde zu legen, wie es dem Alterthum seiner Familie gebührt?«

Unvorbereitet, eine so leidenschaftliche Aufforderung zu beantworten, und überzeugt, daß eine bestimmte Weigerung ihn seine Freiheit oder sein Leben kosten würde, schwieg Darsie abermals.

»Ich sehe,« sagte sein Oheim in ruhigerem Tone, »daß nicht Mangel an Muth, sondern die niedrigen Gewohnheiten einer beschränkten Erziehung unter der armseligen Menschenklasse es sind, mit der Ihr leben mußtet, welche Euch zum Schweigen bringen; Ihr haltet Euch noch selbst kaum für einen Redgauntlet; Euer Puls hat noch nicht den ächten Schlag gelernt, der den Anforderungen der Ehre und Vaterlandsliebe entspricht.«

»Ich hoffe,« sagte Darsie endlich, »daß der Ruf von beiden mich nie gleichgültig finden wird; allein um ihm wirksam zu entsprechen, – auch wenn ich jetzt überzeugt wäre, daß sie in mein Ohr tönten, muß ich bei dem verzweifelten Unternehmen, worein Ihr mich verwickeln wollt, eine vernünftige Hoffnung des Gelingens sehen. Ich blicke um mich her, und sehe eine fest begründete Regierung, eine anerkannte Autorität, einen geborenen Briten auf dem Throne, und die Hochländer, auf denen allein die Hoffnung der verbannten Familie beruhte, in Regimenter versammelt, die nach den Befehlen der bestehenden Dynastie handeln. Frankreich ist durch die schrecklichen Lehren des letzten Krieges ganz entmuthigt, und wird schwerlich einen neuen beginnen wollen. Alles innerhalb und außerhalb des Königreichs ist einem so hoffnungslosen Kampf entgegen, und Ihr allein scheint Willens, ein so verzweifeltes Unternehmen zu wagen.«

»Und ich würde es wagen, wäre es auch zehnmal verzweifelter, und ich habe es begonnen, als sich zehnmal größere Hindernisse entgegenthürmten. – Habe ich meines Bruders Blut vergossen? – Kann ich – darf ich das Vaterunser beten, da ich meinen Feinden und den Mördern nicht vergeben habe? – Gibt es einen Kunstgriff, den ich nicht angewandt, – eine Entbehrung, der ich mich nicht unterzogen habe, um die Krisis herbeizuführen, die ich jetzt eingetreten sehe? – Habe ich nicht Alles geopfert, da ich jeder Gemächlichkeit des gesellschaftlichen Lebens, da ich sogar den Uebungen der Religion entsagte, wenn ich in meinem Gebet meinen Fürsten und mein Vaterland nicht nennen durfte, und dieß alles nur, um der edlen Sache Anhänger zu erwerben? – Habe ich alles dieß gethan, nur um jetzt auf einmal Alles aufzugeben?«

Darsie war im Begriffe, ihn zu unterbrechen, aber er legte ihm die Hand liebevoll auf seine Schulter, und gebot ihm, oder bat ihn vielmehr um Stillschweigen. – »Stille,« sagte er, »du Erbe des Ruhms meiner Ahnen, – Erbe aller meiner Hoffnungen und Wünsche, – stille, Sohn meines erschlagenen Bruders. Ich habe dich gesucht, und um dich getrauert, wie eine Mutter um ihr einziges Kind. Laß mich dich nicht in diesem Augenblicke wieder verlieren, wo du meinen Hoffnungen zurückgegeben bist. Glaube mir, ich vertraue meinem heftigen Temperamente so sehr, daß ich als um das wertheste Geschenk bitte, es in dieser Krisis nicht aufzuwecken.

Darsie erwiderte mit Freude, daß die Ehrfurcht vor seinem Oheim ihn bestimmen werde, Alles anzuhören, was er ihm zu sagen habe, ehe er einen Entschluß fasse über die wichtigen Gegenstände des Bedenkens, die er ihm vorschlage.

»Des Bedenkens!« wiederholte Redgauntlet ungeduldig, »und doch ist der Ausdruck nicht unpassend! Ich wünsche, die Erwiderung wäre wärmer gewesen; allein ich muß mich erinnern, daß ein Adler, der in einem Falkenhause erzogen wurde, und mit der Kappe bedeckt war, nicht beim ersten Blicke fest in die Sonne sehen kann. Höre mich, mein theuerster Arthur, der Zustand dieser Nation zeigt eben so wenig Glück an, als die blühende Farbe eines Fieberkranken Gesundheit. Alles ist falsch und hohl, – der scheinbare Erfolg von Chathams Administration hat das Land tiefer in Schulden gestürzt, als alle die dürren Gefilde Canadas werth sind, wären sie auch so fruchtbar wie Yorkshire, – der blendende Glanz der Siege von Minden und Quebeck wurde verdunkelt durch das Mißgeschick des übereilten Friedens, – durch den Krieg gewann England mit ungeheurem Kostenaufwand nichts, als Ehre, und auf diese hat man freiwillig Verzicht geleistet. Viele Augen, früher kalt und gleichgiltig, blicken jetzt nach dem Stamme unserer alten und rechtmäßigen Monarchen, als der einzigen Zuflucht in dem nahenden Sturme, – die Reichen sind beunruhigt, – die Edlen mißmuthig, – das Volk entflammt, und ein Bund von Vaterlandsfreunden, deren Maßregeln um so sicherer sind, je geringer ihre Anzahl ist, ist entschlossen, König Carls Fahne aufzupflanzen.«

»Aber das Militär,« sagte Darsie, »wie könnt Ihr mit einem Haufen unbewaffneter und ungeordneter Insurgenten es wagen, einer regulären Armee entgegenzutreten? Die Hochländer sind jetzt völlig entwaffnet.«

»In großem Maße vielleicht,« antwortete Redgauntlet, »aber die Politik, welche die hochländischen Regimenter errichtete, hat dafür gesorgt. Wir haben schon Freunde unter diesen Truppen, und wir können keinen Augenblick zweifeln, was ihr Benehmen sein wird, wenn einmal die weiße Kokarde aufgesteckt ist; die übrige stehende Armee ist sehr vermindert worden seit dem Frieden, und wir rechnen zuversichtlich darauf, daß Tausende von diesen entlassenen Truppen sich unter unsere Fahnen reihen werden.«

»Wie!« sagte Darsie, »und auf solche unbestimmte Hoffnungen hin, wie die unstäte Laune eines Pöbelhaufens oder einer entlassenen Soldateska, sollen Männer von Ehre ihre Familien, ihr Eigenthum, ihr Leben wagen?«

»Männer von Ehre, Knabe,« sagte Redgauntlet mit Augen, die von Ungeduld glühten, »setzen Leben, Eigenthum, Familie und Alles auf's Spiel, wenn diese Ehre es befiehlt. Wir sind jetzt nicht schwächer, als damals, wo sieben Mann in den Wildnissen von Moidart landeten, den Thron des Usurpators zum Wanken brachten, in zwei regelmäßigen Schlachten siegten, ein Königreich und die Hälfte eines andern durchstreiften, und nur durch Verrath ein Unternehmen scheitern sahen, das ihre kühnen Nachfolger jetzt auf's Neue versuchen.«

»Und ein solcher Versuch wird ernstlich gemacht werden?« fragte Darsie. »Entschuldigt mich, mein Oheim, wenn ich etwas so Außerordentliches kaum glaube. Werden sich in der That Leute von Rang und Einfluß in hinreichender Menge finden, um das Wagstück von 1745 zu erneuern?«

»Ich will Euch mein Vertrauen nicht nur halb schenken, Sir Arthur,« erwiderte sein Oheim, »aber blickt auf diese Rolle, – was sagt Ihr zu diesen Namen? – sind sie nicht die Blüthe der westlichen Grafschaften, – von Wales, – von Schottland?«

»Das Blatt enthält in der That viele große und edle Namen,« erwiderte Darsie, nachdem er es durchlesen hatte, »aber ...«

»Was aber?« fragte sein Oheim ungeduldig; »zweifelt Ihr an der Fähigkeit dieser Edeln, den Beitrag an Mannschaft und Geld zu liefern, zu welchem sie angesetzt sind?«

»Ganz und gar nicht,« erwiderte Darsie, »denn darüber bin ich kein kompetenter Richter, aber ich sehe auf dieser Rolle auch den Namen des Sir Arthur Darsie Redgauntlet, angesetzt zu hundert Mann und mehr, und ich sehe in der That nicht ein, wie er dieß Versprechen erfüllen soll.«

»Für die Mannschaft stehe ich,« antwortete Hugo Redgauntlet.

»Aber, mein theurer Oheim,« setzte Darsie hinzu, »ich hoffe um Euretwillen, daß die andern Männer, deren Namen hier verzeichnet sind, näher mit Eurem Plane bekannt sind, als ich.«

»Für dich und das deinige kann ich selbst haften,« sagte Redgauntlet, »denn wenn du nicht den Muth hast, dich an die Spitze der Macht deines Hauses zu stellen, so soll die Führung in eine andere Hand übergehen, und deine Erbschaft soll dir entgehen, wie Saft und Blätter einem verfaulten Zweige. Was jene ehrenwerthen Männer anbelangt, so knüpfen sie ihre Freundschaft nur an eine leichte Bedingung, so unbedeutend, daß sie kaum der Erwähnung werth ist. Wird von dem, der dabei am meisten betheiligt ist, dieß gestattet, so ist kein Zweifel, daß sie in der Art in's Feld rücken werden, wie es hier angegeben ist.«

Wiederum durchlas Darsie das Papier, und fühlte sich immer weniger zu dem Glauben geneigt, daß so viele Leute von Familie und Vermögen sich so leicht in eine bedenkliche Unternehmung einlassen würden. Es schien, als hätten einige unbesonnene Verschwörer die Namen aller vermeintlichen Jakobiten niedergeschrieben, oder wenn die Unterschriften wirklich von den genannten Leuten herrührten, so vermuthete er, sie möchten eine Entschuldigung im Hintergrund haben, um sich von der geleisteten Verpflichtung los zu sagen. Er hielt es für unmöglich, daß Engländer von großem Vermögen, die sich nicht mit Carln vereinigt hatten, als er an der Spitze einer siegreichen Armee in England einbrach, seine Landung unter weit minder günstigen Umständen begünstigen sollten. Er schloß daraus, die Unternehmung würde in sich selbst zerfallen, und es das beste sein, unterdessen zu schweigen, bis die wirkliche Annäherung einer Krisis, die indeß nie eintreten würde, ihn dränge, die Vorschläge seines Oheims bestimmt zurückzuweisen. Sollte sich aber unterdessen eine Gelegenheit zur Flucht zeigen, so beschloß er bei sich, sie nicht ungenützt vorübergehen zu lassen.

Hugo Redgauntlet beobachtete eine Zeitlang die Blicke seines Neffen, und sagte sodann, gleich als ob er durch einen andern Ideengang auf den nämlichen Schluß gekommen sei; »Ich habe Euch gesagt, Sir Arthur, daß ich nicht in Euch dringe, sogleich in meine Vorschläge einzugehen; auch würden die Folgen einer Weigerung so schrecklich für Euch sein, so sehr alle meine genährten Hoffnungen zerstören, daß ich durch die Ungeduld eines Augenblicks nicht die Hoffnungen meines ganzen Lebens auf's Spiel setzen möchte. Ja, Arthur, ich bin zu dieser Zeit ein büßender Eremit gewesen, zu einer andern der scheinbare Genosse von Geächteten und Verzweifelten, manchmal endlich der untergeordnete Agent von Menschen, denen ich mich in jeder Hinsicht überlegen fühlte, nicht um eines eigennützigen Zweckes, oder um des Ruhmes willen, das erste Werkzeug zur Wiederherstellung meines Königs und Befreiung meines Landes gewesen zu sein. Mein erster Wunsch auf dieser Erde ist diese Wiederherstellung und diese Freiheit, – mein zweiter, daß mein Neffe, der Repräsentant meines Hauses und meines geliebten Bruders, die Vortheile aller meiner Anstrengungen für die gute Sache ernten solle. Aber,« – setzte er hinzu, indem er einen seiner vernichtenden Blicke auf Darsie warf – »wenn Schottland und meines Vaters Haus nicht mit einander bestehen können, dann gehe unter der Name Redgauntlet! Es gehe unter der Sohn meines Bruders, mit jeder Erinnerung an den Ruhm meiner Familie, an die Liebe meiner Jugend, eher als meines Vaterlandes Sache auch nur um ein Senfkorn beeinträchtigt werde! Der Geist Sir Albericks lebt in diesem Augenblick in mir,« fuhr er fort, indem er seine stattliche Gestalt emporrichtete, und aufrecht im Sattel saß, indem er mit dem Zeigefinger seine Stirn berührte; »und wenn Ihr selbst meinen Pfad durchkreuzt, so schwöre ich bei dem Zeichen, das meine Stirne verdunkelt, eine neue That soll geschehen, ein neuer Fluch des Schicksals verschuldet werden.«

Er schwieg, aber seine Drohungen waren in einem so furchtbar entschlossenen Tone ausgedrückt, daß Darsie's Muth sank, wenn er an den Sturm der Leidenschaft dachte, den er zu bestehen hatte, wenn er seinem Oheim Beistand in einer Unternehmung verweigerte, gegen welche ihn Klugheit und Grundsätze gleichmäßig abgeneigt machten. Es blieb ihm kaum eine Hoffnung übrig, als die Zeit zu gewinnen, bis er entfliehen könne, und er beschloß sich dazu des verwilligten Aufschubs zu bedienen. Der düstere, finstere Blick seines Begleiters wurde allmälig milder, er machte der Miß Redgauntlet ein Zeichen, zu ihnen zu kommen, und begann eine gezwungene Unterhaltung über gewöhnliche Gegenstände; im Laufe des Gesprächs bemerkte Darsie das vorsichtige Benehmen seiner Schwester im Sprechen, denn sie wog jedes Wort, ehe sie es aussprach, und überließ es stets ihrem Oheim, den Ton des Gesprächs anzugeben, wenn es auch noch so unbedeutend war. Dieß schien ihm (eine so gute Meinung von dem Verstand und von der Festigkeit seiner Schwester hatte er bereits erhalten) der stärkste Beweis von dem durchgreifenden Charakter seines Oheims, da er sah, daß eine junge Person mit so vieler Nachgiebigkeit sich gegen ihn benahm, obwohl ihr Geschlecht ihr ein Vorrecht gegeben hätte, und es ihr keineswegs an Geist und Entschlossenheit gebrach.

Die kleine Reitergesellschaft näherte sich nun dem Hause Vater Crackenthorps, welches, wie der Leser schon weiß, an der Seite des Solway lag, nicht weit von einem rothen Steindamm, an welchem mehrere Fischerboote lagen, die häufig in verschiedener Eigenschaft benützt wurden. Das Haus des würdigen Zöllners war zu den verschiedenen Geschäften, die er trieb, eingerichtet, denn es bestand aus mehreren, an ein zweistockigtes Haus angebauten Bauernhäusern; die Ausdehnung von Mr. Crackenthorps Handel hatte die Ausdehnung erheischt. Statt des einzelnen großen Wasserkruges, den man stets vor den englischen Wirthshäusern zweiter Klasse findet, sah man hier drei zum Gebrauch für die Soldatenpferde, wie der Wirth sich ausdrückte, wenn Truppen kamen, um sein Haus zu durchsuchen, dabei zeigte er durch einen Seitenblick und ein Kopfnicken an, was für Soldaten er meine. Eine ungeheure Esche vor der Thüre, welche zu einer großen Breite und Höhe herangewachsen war, trotz der Windstöße von dem benachbarten Solway her, überschattete wie gewöhnlich die Bierbank, wie unsere Väter sie nannten, wo, obgleich es noch früh am Tage war, mehrere Bursche, welche Diener von Edelleuten zu sein schienen, Bier tranken und rauchten. Einer oder zwei von ihnen trugen Livreen, welche Mr. Redgauntlet bekannt schienen, denn er murmelte zwischen den Zähnen: »Narren, Narren! wären sie auf dem Wege zur Hölle, sie müßten ihre Schurken in Livree bei sich haben, daß die ganze Welt auch wüßte, wer verdammt wäre.«

Als er so murmelte, hielt er vor der Thüre des Gasthofs an, aus welcher sogleich einige müßige Gäste traten, um aus bloßer Neugier zu sehen, wer angekommen sei.

Redgauntlet sprang vom Pferde, und half seiner Nichte von dem ihrigen, vergaß aber vielleicht seines Neffen Verkappung, und leistete ihm nicht die Aufmerksamkeit, welche sein weiblicher Anzug erforderte.

Die Lage Darsie's war indessen etwas beängstigend, denn Christal Nixon hatte, vielleicht um seine Flucht zu verhindern, die äußersten Falten seines Reitkleids unter seinen Knöcheln und Füßen mit großen Stecknadeln zusammengeheftet. Als er endlich vom Pferde gestiegen war, und keinen genügenden Beistand von Mr. Redgauntlets Diener empfing, stolperte er, und würde ohne Zweifel einen schlimmen Fall gethan haben, wenn ihn nicht ein galanter Herr aufgehalten hätte, der seinerseits vermuthlich ein wenig erstaunt war über die bedeutende Schwere der sich in Verlegenheit befindenden Dame, welche er in seinen Armen aufzufangen die Ehre hatte. Wie sehr mußte dagegen Darsie erstaunen, als er sich auf einmal in den Armen Allan Fairfords fand! Tausend Befürchtungen gingen ihm durch den Kopf, verbunden mit den Regungen der Freude und Hoffnung bei der unerwarteten Erscheinung seines geliebten Freundes in dem, wie es schien, entscheidenden Augenblicke seines Schicksals.

Er war im Begriff, ihm in's Ohr zu wispern, und ihn zugleich zum Schweigen zu ermahnen, aber er zögerte doch ein paar Sekunden, da man die Folgen nicht berechnen konnte, wenn Redgauntlet durch einen plötzlichen Ausruf Allans beunruhigt werden sollte.

Ehe er sich entschließen konnte, was zu thun sei, kehrte Redgauntlet, der schon in's Haus eingetreten war, hastig mit Christal Nixon zurück. »Ich will Euch die Bemühung für diese junge Dame abnehmen, Sir,« sagte er in stolzem Tone zu Fairford, den er vermuthlich nicht wieder erkannte.

»Ich wollte mich nicht aufdringen, Sir,« erwiderte Allan; »die Lage der Dame schien Hülfe zu fordern, – und – aber habe ich nicht die Ehre mit Mr. Herries von Birrenswork zu sprechen.«

»Ihr irrt Euch, Sir,« sagte Redgauntlet, wandte sich schnell ab, machte ein Zeichen mit der Hand gegen Christal, der den widerstrebenden Darsie rasch in das Haus hinein brachte, und ihm in's Ohr wisperte: »Kommt, Miß, wir dürfen keine Bekanntschaft aus den Fenstern machen; Damen von Stande müssen für sich bleiben. – Zeigt uns ein Zimmer, Vater Crackenthorp!«

Mit diesen Worten führte er Darsie in's Haus, indem er sich dabei zwischen die vermeintliche junge Dame und den verdächtigen Fremden stellte, um eine Mittheilung durch Zeichen zu verhindern. Als sie eintraten, hörten sie eine Geige in der gepflasterten und mit Sand wohl bestreuten Küche, durch die sie ihrem dicken Wirthe folgen mußten, und verschiedene Leute belustigten sich, nach ihren Tönen zu tanzen.

»Zum Teufel noch!« sagte Nixon zu Crackenthorp; »warum soll denn die Dame durch den Pöbel des ganzen Kirchspiels gehen? Gibt's denn keinen besondern Weg zu unserem Zimmer?«

»Keinen, der für mich paßte,« antwortete der Gastwirth, und legte seine Hand auf den ansehnlichen Schmeerbauch. »Ich bin nicht Tom Turnpenny, um wie eine Eidechse durch Schlüssellöcher zu kriechen.«

Mit diesen Worten führte er sie durch die lustige Gesellschaft in der Küche, und Nixon hielt Darsie am Arme, scheinbar um die Dame zu unterstützen, wahrscheinlich aber, um jeden Versuch zur Flucht zu verhindern; so arbeitete er sich durch die Menge, die ein sehr buntes Aeußere darbot, denn sie bestand aus Bedienten, Bauerburschen, Seeleuten und anderem müßigem Volk, welche der wandernde Willie mit seiner Musik belustigte.

Noch an einem andern Freund ohne ein Zeichen seiner Gegenwart vorüber zu gehen, wäre wirkliche Kleinmüthigkeit gewesen, und als sie an dem erhöhten Sitze des Blinden vorübergingen, fragte ihn Darsie mit einigem Nachdruck, ob er nicht eine schottische Melodie spielen könne? Des Mannes Gesicht hatte einen Augenblick vorher gar keinen Ausdruck, als er aber Darsie's Stimme hörte, wurde sein Gesicht mit Einemmale glänzend, und bewies den Irrthum derer, welche den Hauptausdruck einer Physiognomie in den Augen finden wollen. Er wandte sein Gesicht nach der Gegend, woher der Ton kam, seine obere Lippe bog sich ein wenig, und bebte vor innerer Bewegung, indeß Erstaunen und Freude ein blühendes Roth auf seine bleichen Wangen brachte. Er vertauschte die gemeinen Stücke des Dudelsacks, die er mit widerstrebendem und nachlässigem Bogen hergedudelt hatte, mit der schönen schottischen Melodie:

»Seid willkommen, Carl Stuart!«

Wie mit Begeisterung ertönte sie von den Saiten, und nach einer Pause der höchsten Bewunderung, wurde sie durch ein Beifallsgeschrei aufgenommen, welches zu zeigen schien, daß der Name sowohl, als die Ausführung allen Versammelten höchst angenehm war.

Indessen hielt Christal Nixon Darsie fest am Arme, folgte dem Wirthe, bahnte sich mit einiger Schwierigkeit durch die gedrängtvolle Küche einen Weg, und trat nun in ein kleines Zimmer an der andern Seite derselben, wo sie Lilias Redgauntlet bereits sitzend fanden. Hier ließ Nixon seinem unterdrückten Unwillen freien Lauf, wandte sich heftig zu Crackenthorp, bedrohte ihn mit dem heftigsten Unwillen seines Gebieters, daß die Sachen in so schlechter Ordnung wären, um seine Familie zu empfangen, da er doch so ausdrücklich ihn hatte wissen lassen, er wünsche allein zu sein. Aber Vater Crackenthorp war nicht vor den Kopf geschlagen.

»Wie! Bruder Nixon, du bist unwillig diesen Morgen,« erwiderte er; »bist mit dem unrechten Fuße heraus, glaube ich. Du weißt so gut, wie ich, daß die meisten Leute da unten von des Squires eigener Wache sind; Edelleute, welche mit ihren Dienern kommen, um ihn auf dem Geschäftsweg zu treffen, wie der alte Turnpenny sagt; der letzte, welcher kam, wurde von Fairladies mit Dickthardoner herübergeschickt.«

»Aber der blinde kratzende Schurke dort,« sagte Nixon, »wie habt Ihr es gewagt, solch' einen Spitzbuben in jetziger Zeit über Eure Schwelle kommen zu lassen? – Wenn es dem Squire nur im Traum einfiele, daß Ihr wanken könntet! Ich spreche nur zu Eurem Besten, Vater Crackenthorp.«

»Wie, seht doch! Bruder Nixon,« sagte Crackenthorp, und drehte seinen Tabak mit vieler Gemächlichkeit im Munde hin und her, »der Squire ist ein sehr würdiger Edelmann, das werde ich nie läugnen, aber ich bin weder sein Diener, noch sein Vasall, und so braucht er mir keinen Befehl zu schicken, bis er hört, daß ich seine Livree angezogen habe. Soll ich aber Leute von meiner Thüre wegweisen, so könnte ich eben sowohl den Bierzapfen ausstoßen, und den Schild herunter nehmen, – was aber das Wanken betrifft, so wird der Squire hier so ehrliche Leute finden, als er nur immer mitgebracht hat.«

»Nun, Ihr unverschämter Talgklumpen,« sagte Nixon; »was wollt Ihr damit sagen?«

»Nichts,« sagte Crackenthorp, »als daß ich das Rauhe so gut herauskehren kann, wie ein Anderer, Ihr versteht mich – s' ist hell genug in meinem obern Stockwerk, ich weiß eine oder zwei Sachen mehr, als die meisten Leute in diesem Lande. Wenn Leute mit gefährlichen Botschaften in mein Haus kommen, so werden sie an Jon Crackenthorp keine Katzenpfote finden. – Ich werde mich rein halten, darauf könnt Ihr Euch verlassen, und Jeder mag für seine eigenen Handlungen stehen! So ist meine Art! Befehlt Ihr etwas, Mr. Nixon?«

»Nein, – ja – geht!« sagte Nixon, den der entscheidende Ton des Wirthes in Verlegenheit gesetzt zu haben schien, und doch wünschte er den Eindruck zu verbergen, den er auf ihn gemacht hatte.

Kaum hatte Crackenthorp die Thüre hinter sich zugemacht, als Miß Redgauntlet sich zu Nixon wandte und ihm befahl, das Zimmer zu verlassen, und an seinen eigenen Ort zu gehen.

»Wie, Madame,« sagte der Mensch finster, doch mit Achtung, »wollt Ihr, daß Euer Oheim mich wegen Ungehorsams gegen seine Befehle todt schießt?«

»Er könnte Euch vielleicht aus einem andern Grunde todt schießen, wenn Ihr nicht dem meinigen gehorcht,« sagte Lilias mit Fassung.

»Ihr mißbraucht Euern Vortheil über mich, Madame, – ich wage es in der That nicht, zu gehen, – ich stehe zur Wache hier wegen dieses andern Fräuleins; und wenn ich meinen Posten verlasse, ist mein Leben keinen Heller werth.«

»Nun, so wacht außen an der Thüre,« sagte Lilias; »Ihr habt, glaube ich, keinen Auftrag, auf unsere Unterredung zu lauschen. Geht, Sir, ohne weiteres Gespräch oder Widerrede, oder ich werde meinem Oheim etwas sagen, das Euch schwer fallen würde, wenn er es wüßte.«

Der Mensch sah sie mit einem sonderbaren Blicke an, worin Bosheit und Unterwürfigkeit sich abspiegelten. »Ihr mißbraucht Euern Vortheil über mich, Madame,« sagte er, »und handelt darin so thöricht, als ich, da ich Euch eine solche Gewalt in die Hände gab. Ihr aber seid ein strenger Herr, und strenge Herren regieren nicht lange.«

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.

»Des Elenden grenzenlose Unverschämtheit,« sagte Lilias zu ihrem Bruder, »hat mir einen großen Vortheil über ihn gegeben. Denn da er weiß, daß mein Oheim ihn mit eben so wenig Gewissensbissen niederschießen würde, als einen Auerhahn, wenn er seine Frechheit gegen mich auch nur ahnete, so wagt er es seit dieser Zeit nicht mehr, jenes ungeziemende Herrscherwesen anzunehmen, wozu ihn der Besitz der Geheimnisse meines Oheims und die Kenntniß seiner geheimsten Plane gegen die übrigen Glieder seiner Familie geführt zu haben scheint.

»Indessen sehe ich mit Vergnügen,« sagte Darsie, »daß der Wirth des Hauses ihm nicht so ergeben scheint, als er befürchtete, und dieß unterstützt die Hoffnung zur Flucht, die ich für Euch und mich selbst nährte. O Lilias, der treueste meiner Freunde, Allan Fairford, ist mir gefolgt, und in diesem Augenblick hier. Ein anderer, zwar niederer, aber ich glaube, ebenfalls getreuer Freund, ist auch innerhalb dieser gefährlichen Mauern.«

Lilias legte den Finger auf die Lippen, und wies auf die Thüre. Darsie verstand den Wink, und unterrichtete sie leise von der Ankunft Fairfords, und daß er glaube, er habe einen Verkehr mit dem wandernden Willie eröffnet. Sie hörte ihm mit der größten Aufmerksamkeit zu, und hatte eben ihre Antwort begonnen, als ein lauter Lärm sich in der Küche erhob, verursacht durch mehrere streitende Stimmen, unter denen Darsie auch die Stimme Allan Fairfords unterscheiden zu können glaubte.

Vergessend, wie wenig seine eigene Lage ihm erlaubte, der Helfer Anderer zu werden, flog Darsie an die Thüre, und da er sie von Außen verschlossen und verriegelt fand, stemmte er sich mit aller Gewalt entgegen, und machte die verzweifeltsten Anstrengungen, sie aufzubrechen, trotz den Bitten seiner Schwester, daß er sich beruhigen und seine Lage bedenken möchte. Die Thüre aber war dazu gemacht, den Angriffen von Accisern, Constabeln und anderen Personen zu wiederstehen, die man als würdig betrachtet, »den Königsschlüssel« zu gebrauchen, um schloßfeste Orte offen und zugänglich zu machen, und trotzte daher allen seinen Bemühungen. Unterdessen dauerte der Lärm außen fort, und wir wollen im nächsten Kapitel unsern Lesern die Ursache desselben anzeigen.


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