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Siebzehntes Kapitel.

Erzählung von Darsie Latimer.

Unsre Geschichte muß nun, wie die alten Romandichter zu sagen pflegen, »aufhören zu erzählen« von den Nachforschungen Allan Fairfords, und unsre Leser von den Abenteuern Darsie Latimers unterrichten, den wir in dem Gewahrsam seines sich so nennenden Vormunds, des Lairds der Seen vom Solway, verließen, nach dessen Willkür er sich in dem Augenblick zu richten nöthig fand. In Folge des klugen Entschlusses, und obgleich er nicht ohne ein Gefühl von Scham und Erniedrigung eine solche Verkappung anlegte, erhielt Christal Nixon von Darsie die Erlaubniß, über sein Gesicht eine von jenen seidenen Masken zu befestigen, welche Damen gewöhnlich trugen, um ihre Gesichtsfarbe zu schützen, wenn sie auf langen Reisen zu Pferde der Luft ausgesetzt waren. Etwas heftiger stritt er gegen den langen Reitrock, welcher seine Person von der Mitte des Leibes an in weibliche Kleidung hüllte, aber er mußte auch hierin nachgeben.

Die Metamorphose war nun vollendet, denn die schöne Leserin muß wissen, daß die Damen in jenen rohen Zeiten, wenn sie der männlichen Kleidung durch Anlegung eines Theils derselben eine Ehre erwiesen, gerade dieselben Hüte, Röcke und Westen trugen, als die männlichen Thiere selbst, und noch nichts von jenem eleganten Mittelding zwischen männlicher und weiblicher Kleidung wußten, das jetzt par excellence den Namen habit erhalten hat. Possierlich genug müssen unsre Mütter ausgesehen haben in den langen, viereckig geschnittenen Röcken ohne Kragen mit Westen, deren ungeheure Taschen in der Mitte des Leibs weit hinabreichten. Doch hatten sie einen Vortheil in den glänzenden Farben, den Tressen und der schönen Stickerei, welche die männliche Kleidung jener Zeit erlaubte, und wie es in vielen Fällen zu geschehen pflegt, die Feinheit des Stoffes gab einen Ersatz für den Mangel an Symmetrie und Schönheit der Form in den Kleidungen selbst. Doch dieß ist eine Abschweifung.

Im Hofe des alten Gebäudes, das halb Edelsitz, halb Pachterhaus, oder vielmehr ein verfallener Edelsitz war, der zu einem Aufenthaltsort für einen cumberländischen Pächter umgewandelt worden, standen mehrere gesattelte Pferde. Vier oder fünf derselben waren von Dienern oder niederern Pächtern bestiegen, welche alle mit Schwert, Pistolen und Karabinern wohl bewaffnet waren. Zwei davon waren aber für Frauenzimmer gesattelt; das eine davon trug einen Quersattel, das andere blos ein Kissen hinter dem Sattel.

Darsie's Herz schlug lebhafter, denn er begriff leicht, daß eines von diesen für ihn bestimmt sei, und er nährte die Hoffnung, das andre würde von dem schönen Grün-Mantel bestiegen werden, welche er nach gewohnter Praxis zur Königin seines Herzens erkoren hatte, wenn gleich die Gelegenheiten, wo er mit ihr hatte zusammen sein können, sich das eine Mal auf ein stilles Abendessen, das andere Mal auf einen stillen Tanz beschränkten. Dieß war indessen bei Darsie Latimer keine ungewohnte Art, sich zu verlieben, denn Cupido triumphirte über ihn nur nach Art eines marattischen Eroberers, der die Provinz mit der Schnelligkeit des Blitzes überfällt, sie aber auch nur auf kurze Zeit behaupten kann. Diese neue Liebe war indessen etwas ernsthafter, als die leichten Ritzwunden, welche sein Freund Fairford lächerlich zu machen gewohnt war. Die junge Dame hatte eine aufrichtige Theilnahme an ihm bezeugt, und das geheimnißvolle Wesen, womit dieser Antheil verschleiert war, gab ihr bei ihrer lebhaften Einbildungskraft den Charakter eines wohlwollenden und schützenden Geistes, eben so wohl als den eines schönen Weibes.

In früheren Zeiten war der Roman seiner kurzen Neigungen stets sein eigenes Werk gewesen, und war verschwunden, je näher er der Person kam, die der Gegenstand desselben war. Bei dieser Gelegenheit floß er wirklich aus den äußern Umständen, von denen auch ein weniger reizbares Gefühl und minder lebhafte Einbildungskraft ergriffen worden wäre, als der junge, unerfahrene und schwärmerische Darsie Latimer besaß.

Er wartete daher ängstlich, zu wessen Dienst der Zelter mit dem Damensattel bestimmt sei. Ehe aber eine Frau erschien, denselben einzunehmen, wurde er selbst aufgefordert, auf dem Kissen hinter Christal Nixon seinen Sitz zu nehmen unter dem Grinsen seines alten Bekannten, Jan, der ihm auf's Pferd half, und dem unaufhaltsamen Lachen Cicely's, welche bei dieser Gelegenheit eine Reihe Zähne zeigte, welche dem Elfenbein den Rang hätten streitig machen können.

Latimer war in einem Alter, worin es ihm nicht gleichgültig war, der Gegenstand eines allgemeinen Gelächters zu sein, wenn auch nur für Bauern und Milchmädchen, und er wünschte sehnlich, seine Reitpeitsche ein paar Mal auf Jan's Schultern herumtanzen zu lassen. An eine solche Beruhigung seiner Gefühle war aber in diesem Augenblicke nicht zu denken, und Christal Nixon machte seiner unangenehmen Lage sogleich ein Ende, indem er den Reitern aufzubrechen befahl. Er selbst hielt die Mitte des Trupps, zwei Mann ritten vor und zwei hinter ihm, deren Auge, wie es Darsie vorkam, stets auf ihn gerichtet war, um jedem Versuch zur Flucht zuvorzukommen. Von Zeit zu Zeit – wenn die gerade Linie des Wegs oder ein Hügel es ihm gestattete, konnte er bemerken, daß drei oder vier andere Reiter in der Entfernung von ungefähr einer Viertelmeile ihnen folgten; unter diesen konnte er die schlanke Gestalt Redgauntlet's unterscheiden, so wie das mächtige Ausgreifen seines gewaltigen schwarzen Rosses. Er zweifelte kaum, daß der Grün-Mantel mit dabei sei, obgleich er ihre Gestalt von den andern nicht unterscheiden konnte. Auf diese Weise ritten sie von 6 Uhr Morgens bis beinahe 10 Uhr, ohne daß Darsie mit irgend Jemand ein Wort gewechselt hätte, denn ihm widerte der bloße Gedanke, sich in eine Unterredung mit Christal Nixon einzulassen, gegen den er eine instinktartige Abneigung fühlte; auch war die düstere und unfreundliche Gemüthsart dieses Dieners nicht von der Art, daß er dadurch zu einer Annäherung ermuthigt worden wäre, wenn er auch Lust dazu gehabt hätte.

Endlich hielt man in der Absicht, sich zu erquicken, und auszuruhen; wie man aber bisher alle Dörfer und bewohnte Oerter auf dem Wege vermieden hatte, so machte man auch jetzt bei einer jener großen verfallenen hochländischen Scheunen Halt, die man manchmal auf den Feldern findet in einiger Entfernung von den Pachthäusern, wozu sie gehören. Doch waren an diesem einsamen Orte einige Vorbereitungen zu ihrem Empfang gemacht worden. Am Ende der Scheune befanden sich Raufen mit Futter für die Pferde, und eine Menge Lebensmittel für die Menschen wurden unter Strohbündeln hervorgezogen, unter welchen die Körbe versteckt waren, welche die Lebensmittel enthielten. Die besten davon wurden von Christal Nixon ausgewählt und bei Seite gestellt, während die Leute über die übrigen herfielen, die er ihnen preisgegeben hatte. Wenige Minuten nachher traf auch der Nachtrab ein, stieg ab, und Redgauntlet selbst trat mit dem Mädchen im grünen Mantel an der Seite in die Scheune. Er stellte sie Darsie mit den Worten vor: »Es ist Zeit, daß ihr Beide einander kennen lernt. Ich versprach Euch mein Vertrauen, Darsie, und die Zeit ist gekommen, mein Wort zu lösen. Zuerst aber wollen wir frühstücken, und dann, wenn wir wieder im Sattel sind, will ich Euch sagen, was Euch zu wissen nöthig ist. Darsie, grüßt Lilias.

Der Befehl war schnell und überraschte Latimer, dessen Verwirrung durch die volle Unbefangenheit und Leichtigkeit stieg, womit Lilias ihm ihre Wange und ihre Hand bot, und die seinige drückte, welche sie mehr ergriff, als die ihrige gab; dann sagte sie freimüthig: »Theuerster Darsie, wie erfreut bin ich, daß unser Oheim endlich uns gestattet hat, mit einander bekannt zu werden!« Darsie's Kopf schwindelte, und es war vielleicht gut, daß Redgauntlet ihn aufforderte, sich niederzusetzen, denn gerade diese Bewegung diente ihm dazu, seine Verwirrung zu verbergen. Es gibt ein altes Lied:

»– – – Wenn Frauen sind zu willig,
So steht der Mann nur wie ein Thor.«

Eine gute Darstellung und Darsie Latimers Blicke bei dieser unerwarteten Unbefangenheit beim Empfang würden eine bewunderungswerthe Vignette geben zur Erläuterung dieser Stelle. »Theuerster Darsie,« und so ein bereitwilliger Gruß mit Lippe und Hand! – Das war Alles recht angenehm ohne Zweifel, und hätte mit Dankbarkeit aufgenommen werden sollen; aber so wie unsers Freundes Temperament war, konnte sich nichts weniger mit seiner Denkart vertragen. Hätte ihm ein Eremite angeboten, eine Kanne Bier mit ihm auszustechen, so würde die Täuschung über seine Heiligkeit nicht wirksamer vernichtet worden sein, als die göttlichen Eigenschaften des Grün-Mantels vor der übel angebrachten Unbefangenheit dahin schwanden. Durch ihr Entgegenkommen unangenehm überrascht und ärgerlich, daß er sich noch einmal so betrogen hatte, konnte Darsie nicht umhin, die zwei Zeilen des Liedes vor sich hin zu murmeln, das wir schon einmal angeführt haben:

»Die Frucht, die ohne Schütteln fällt,
Ist gar zu süß für mich!«

Und doch war es schade um sie, – sie war ein recht artiges junges Frauenzimmer, seine Phantasie hatte sie in der Hinsicht kaum überschätzt, und die leichte Unordnung der schönen braunen Locken, welche in natürlichen Ringeln unter dem Reisehute hervor schlüpften, verbunden mit der Röthe, welche die Anstrengung des Ritts auf ihren Wangen hervorgerufen hatte, machte sie noch reizender als sonst. Redgauntlet selbst milderte die Strenge seines Blicks, wenn er sich zu ihr wandte, und sein Ton, wenn er sie anredete, war weit sanfter, als sein gewöhnlicher tiefer Baß. Selbst die starren Züge Christal Nixon's erheiterten sich, wenn er sie bediente, und sein misanthropisches Gesicht drückte dann, wenn je einmal, ein Mitgefühl mit der übrigen Menschheit aus. »Wie kann sie doch,« dachte Latimer, »so wie ein Engel aussehen, und doch nur eine Sterbliche sein? So viel Entgegenkommen, wenn sie äußerst zurückhaltend sein sollte? Wie läßt sich ihr Betragen mit der Anmuth und Leichtigkeit ihres sonstigen Benehmens vereinen?«

Diese verworrenen Gedanken, welche Darsie's Einbildungskraft beschäftigten, gaben seinen Blicken ein verstörtes Ansehen, und das Nichtbeachten der Speise, die ihm vorgesetzt wurde, verbunden mit seinem Schweigen und seiner Geistesabwesenheit, brachten Lilias dahin, ihn mit dem Ausdruck der Bekümmerniß zu fragen, ob nicht die Unpäßlichkeit zurückkehre, woran er kürzlich gelitten hatte. Bei dieser Frage erhob Mr. Redgauntlet, welcher ebenfalls in seine Betrachtungen verloren schien, seine Augen, und forschte gleichfalls mit einem Anschein von Theilnahme nach seinem Befinden. Latimer erklärte Beiden, daß ihm vollkommen wohl sei.

»Gut, daß es so ist, denn das, was wir vorhaben, leidet keinen Aufschub durch Unpäßlichkeit, – wir haben, wie Hotspur zu sagen pflegte, keine Zeit, krank zu sein.«

Lilias ihrer Seits bemühte sich, Darsie zu bewegen, von den Speisen zu kosten, die sie ihm mit der freundlichen, liebevollen Artigkeit anbot, welche mit dem warmen Antheil übereinstimmte, den sie bei ihrem Zusammentreffen gezeigt hatte; diese Artigkeit war aber so natürlich, unschuldig und rein, daß auch der eitelste Geck sie nicht hätte für Koketterie nehmen, oder als den Wunsch auslegen können, einen so werthgeschätzten Preis als seine Zuneigung zu gewinnen. Darsie, welcher nur den gewöhnlichen Theil von Selbstgenügsamkeit besaß, welchen junge Leute gewöhnlich haben, die sich dem einundzwanzigsten Jahre nähern, wußte sich ihr Benehmen nicht zu erklären.

Manchmal war er versucht zu glauben, seine eigenen Verdienste hätten während der kurzen Augenblicke, in denen sie einander gesehen hatten, ihm so sehr die Anhänglichkeit einer jungen Person gesichert, welche wahrscheinlich in Unkenntniß der Welt und ihrer Formen erzogen worden war, daß sie ihre Vorliebe nicht zu verbergen vermöchte. Manchmal argwohnte er, daß sie nach ihres Vormunds Befehl handle, welcher bemerkt hatte, daß er, Darsie, ein beträchtliches Vermögen anzusprechen habe, was ihn vielleicht bewog, diesen kühnen Streich zu thun, eine Heirath zwischen ihm und einer so nahen Verwandten zu Stande zu bringen.

Keine von diesen Vermuthungen aber war auf den Charakter der betreffenden Personen anwendbar. Miß Lilias Benehmen, obgleich sanft und natürlich, entfaltete in seiner Leichtigkeit und Beweglichkeit eine bedeutende Bekanntschaft mit den Gebräuchen der Welt. In den wenigen Worten, die sie während des Frühstücks sagte, lag so viel Verschlagenheit und Verstand, wie ihn kaum ein Frauenzimmer haben konnte, das die einfältige Rolle eines liebesiechen Mädchens so ungeschickt spielte. Was Redgauntlet anlangte mit seinem stolzen Gange, seiner düstern Stirne und seinem drohenden und befehlenden Blicke, so konnte ihn Darsie unmöglich im Verdacht haben, daß er einen Plan hege, der nur aus sein eigenes Interesse berechnet wäre; eben so wohl hätte er glauben können, Cassius habe Cäsars Taschen ausleeren wollen, statt den Dolch gegen den Diktator zu ziehen.

Während er so seinen Gedanken nachhing, unfähig zu essen, zu trinken, oder Lilia's Artigkeit zu erwidern, hörte auch sie bald auf, zu ihm zu sprechen, und saß schweigend da, wie er selbst.

Sie waren fast eine Stunde an ihrem Ruheplatze geblieben, als Redgauntlet laut sagte: »sieh hinaus, Christal Nixon, wenn wir nichts von Fairladies hören, so müssen wir unsere Reise fortsetzen.«

Christal begab sich vor die Thüre, kehrte aber sogleich zurück, und sagte zu seinem Herrn mit einer Stimme so rauh wie seine Züge: »Gilbert Gregson kommt, sein Pferd ist ganz weiß vom Schaume, als wenn es der böse Feind geritten hätte.«

Redgauntlet warf den Teller von sich, von dem er eben gegessen hatte, und eilte nach der Thüre der Scheune, durch welche der Bote im nämlichen Augenblick eintrat; ein munterer Bursche mit einer schwarzsammtnen Jagdmütze und einem breiten Gürtel um den Leib, woran seine Botentasche hing. Der Koth, womit er vom Kopf bis zum Fuß bespritzt war, zeigte an, daß er auf einem schlechten Wege einen raschen Ritt gemacht habe. Er überlieferte an Mr. Redgauntlet einen Brief mit einer ehrerbietigen Verbeugung, und zog sich dann an das Ende der Scheune zurück, wo die andern Diener auf dem Stroh saßen oder lagen, um einige Erfrischungen zu sich zu nehmen. Redgauntlet erbrach hastig den Brief und las ihn mit Blicken, worin sich einige Aengstlichkeit und Unruhe spiegelte. Beim zweiten Durchlesen schien sein Mißvergnügen zu wachsen, seine Stirne verfinsterte sich, und deutlich war das unglückliche Zeichen seiner Familie und seines Hauses darauf gezeichnet. Noch nie hatte Darsie auf seiner Stirne ein so treffendes Bild jenes Zeichens bemerkt, das die Sage derselben beilegte.

Redgauntlet hielt den offenen Brief in der einen Hand, und stieß mit dem Zeigefinger der andern darauf hin, indem er zu Christal Nixon halblaut, aber unwillig sagte: »Gegenbefehl! – Wir sollen abermals gegen Norden! – Nordwärts, wenn alle unsere Hoffnungen gegen Süden liegen, zum Zweitenmal nach Derby zu, wo wir dem Ruhme den Rücken wandten, und unserem Sturz entgegengingen!«

Christal Nixon nahm den Brief, überlas ihn rasch, und gab ihn dann seinem Herrn mit der kalten Bemerkung zurück: »Weiblicher Einfluß herrscht vor.«

»Aber er soll nicht länger vorherrschen,« sagte Redgauntlet; »er soll schwinden, wie der unserige sich am Horizont erhebt. Unterdessen will ich voraus, und Ihr, Christal, bringt die Leute an den im Brief bezeichneten Ort. Den beiden jungen Leuten könnt Ihr nun gestatten, daß sie sich ungehindert unterhalten; merkt nur darauf, daß Ihr den jungen Mann genau beobachtet, um sein Entfliehen zu verhindern, wenn er Pinsel genug sein sollte, es zu versuchen; aber reitet nicht so nahe, um ihre Unterhaltung belauschen zu können.«

»Ich kümmere mich gar nichts um ihr Gespräch,« sagte Nixon verdrießlich.

»Ihr hört meine Befehle, Lilias,« sagte der Laird, indem er sich zu der jungen Dame wandte. »Ihr könnt nun von meiner Erlaubniß und meiner Autorität Gebrauch machen, um ihm von unsern Familien-Angelegenheiten so viel zu entdecken, als Ihr selbst wißt. Bei unserer nächsten Zusammenkunft werde ich das Geschäft der Enthüllung vollenden, und ich hoffe, ich werde noch einen Redgauntlet dem Schooße seiner Familie zurückgeben. Laßt Latimern, wie er sich selbst nennt, allein ein Pferd besteigen; er muß noch eine Zeitlang seine Verkappung beibehalten. – Mein Pferd, mein Pferd!«

In zwei Minuten hörten sie ihn von der Thüre der Scheune hinwegreiten, eilig gefolgt von zwei bewaffneten Leuten aus der Truppe. Die Befehle Christal Nixons brachten unterdessen alle Uebrigen in Bewegung, aber der Laird selbst war ihnen lange schon aus dem Gesichte, als sie in Bereitschaft waren, ihre Reise fortzusetzen. Als sie endlich aufbrachen, wurde Darsie mit einem eigenen Pferde versehen, so daß er nicht mehr nöthig hatte, seinen Platz auf dem Kissen hinter dem verabscheuten Nixon einzunehmen. Er war indessen gezwungen, seinen Reitrock zu behalten und die Maske wieder vorzunehmen. Trotz dieses unangenehmen Umstandes, und obgleich er bemerkte, daß sie ihm das schwerste und langsamste Pferd auswählten, und daß er zur bessern Vorsorge gegen eine Flucht auf jeder Seite nahe bewacht wurde, so war doch der Umstand, daß er in Gesellschaft der artigen Lilias ritt, ein Vortheil für ihn, der diese Unbequemlichkeiten überwog.

Wahr ist es, diese Gesellschaft, nach der er diesen Morgen noch wie nach einem Strahl vom Himmel aufgeschaut haben würde, hatte jetzt, da sie ihm so unerwartet vergönnt wurde, weit weniger Reiz für ihn, als er erwartet hätte. Vergebens bemühte er sich, um die günstige Lage, seiner romantischen Stimmung freien Lauf zu lassen, gehörig zu benützen, den angenehmen Traum einer glühenden und zärtlichen Leidenschaft wieder zurückzuschmeicheln; er fühlte nur eine solche Ideenverwirrung, wenn er den Unterschied zwischen dem Wesen seiner Phantasie und der Person, die sich ihm in der Wirklichkeit darstellte, erwog, daß es ihm schien, als wirke Zauberei auf ihn ein. Was ihn am meisten in Erstaunen setzte, war, daß diese plötzliche Flamme so rasch entschwunden sein sollte, trotzdem, daß des Mädchens körperliche Schönheit größer war, als er erwartet hatte, und ihr Benehmen, wenn es gleich in Beziehung auf ihn zu freundlich schien, so anmuthsvoll und geziemend, als er sich in seinen heitersten Träumen hatte einbilden können. Es wäre zu hart von ihm geurtheilt, wenn man annehmen wollte, daß die Meinung allein, er habe ihre Zuneigung leichter gewonnen, als er erwartete, die Ursache seiner undankbaren Herabsetzung eines zu leicht gewonnenen Preises gewesen sei, oder daß seine flüchtige Neigung nur um sein Herz gespielt habe, wie der flimmernde Strahl der winterlichen Sonne, der auf eine Eisscholle fällt, und sie zwar auf einen Augenblick zu erleuchten, aber nicht zu schmelzen vermag. Nichts von Allem dem war genau sein Fall, obgleich eine solche Unbeständigkeit der Stimmung wohl auch ihren Einfluß in die Wagschale legen mochte. Die Wahrheit ist vielleicht die, daß das Vergnügen eines Liebhabers, wie das eines Jägers, in der Jagd besteht, und daß die glänzendste Schönheit, wie die schönste Blume ihren Duft, zur Hälfte wenigstens ihren Reiz verliert, wenn die begehrliche Hand sie gar zu leicht erreichen kann. Da muß noch Zweifel, da muß noch Gefahr, – da muß noch Schwierigkeit sein; und wenn, wie der Dichter sagt, der Strom der glühendsten Leidenschaft niemals sanft dahinfließt, so ist dieß vielleicht darum, daß ohne den Eintritt von Hindernissen das, was man das Romantische in der Liebe nennt, in seinem hoch-poetischen Charakter und Glanze sich vorfinden kann; eben so wenig, als in einem Fluß eine heftige Strömung sein kann, wenn er nicht durch steile Ufer eingeengt oder durch entgegenstehende Felsen zurückgestoßen wird. Indessen dürfen Diejenigen, welche eine Verbindung für das Leben eingehen ohne diese Hindernisse, welche einem Darsie Latimer oder einer Lydia Languisch in Sheridan's »Nebenbuhlern« Vergnügen bereiten mögen, und welche vielleicht nothwendig sind, um in minder festern Gemüthern, als die ihrigen, eine schwärmerische Neigung zu erzeugen, keine üble Vorbedeutung für ihr künftiges Glück fassen, weil ihre Verbindung auf eine ruhigere Weise geschlossen wurde. Gegenseitige Neigung, eine genaue Kenntniß des beiderseitigen Charakters, den man in ihrem Falle unverhüllt von den Nebeln einer parteiischen Leidenschaft erblickt, – ein passendes Verhältniß in Hinsicht auf Rang und Vermögen, in Geschmack und Lebensansichten, – werden weit häufiger in einer Verstandesehe gefunden, als da, wo die Verbindung auf eine romantische Zuneigung sich gründet; wo die Einbildungskraft, welche die Tugenden und Vollkommenheiten, womit sie den geliebten Gegenstand ausstattete, wahrscheinlich erst erschuf, nachher häufig angewendet wird, um die quälenden Folgen der eigenen Täuschung zu vergrößern, und die Stacheln verfehlter Hoffnung noch tiefer einzudrücken. Die, welche dem Panier der Vernunft folgen, gleichen den wohldisciplinirten Linientruppen, welche einfachere Uniform tragen, und deren Anblick weniger glänzend ist, als die leichten Truppen, die von der Einbildungskraft befehligt, einer größern Sicherheit, ja auch einer bessern Laune in den Kämpfen des Lebens genießen. – Alles dieß ist jedoch unsrem jetzigen Zwecke fremd.

Ungewiß, wie er Diejenige anreden solle, deren Nähe er vor Kurzem noch so heiß herbeigewünscht hatte, und verlegen über ein tête-à-tête, welchem seine eigene furchtsame Unerfahrenheit einen gewissen Ernst gab, hatte Darsie den Trupp schon eine gute Strecke dahinziehen lassen, ehe er den Muth faßte, seiner Gefährtin zu nahen, oder auch nur sie anzusehen. Indessen fühlte er das Unschickliche seines Schweigens und wandte sich, um mit ihr zu sprechen; da er trotz ihrer Maske bemerkte, daß etwas wie getäuschte Erwartung und Niedergeschlagenheit in ihrem Wesen lag, so machte er sich selbst Vorwürfe über seine Kälte, und eilte, sie im freundlichsten Tone anzureden, den er finden konnte.

»Ihr müßt mich für höchst undankbar halten, Miß Lilias, daß ich so lange schon in Eurer Gesellschaft gewesen bin, ohne Euch für den Antheil zu danken, den es Euch gefallen hat, an meinen unglücklichen Angelegenheiten zu nehmen.«

»Ich freue mich, daß Ihr endlich gesprochen habt,« sagte sie, »obgleich ich gestehen muß, daß es kälter ist, als ich es erwartete. – Miß Lilias! Antheil zu nehmen gefallen hat! – An wem, theurer Darsie, kann ich Antheil nehmen, als an Euch? Und warum stellt Ihr diese Scheidewand des Ceremoniels zwischen uns, welche die Ungunst der Umstände schon lange genug getrennt hatte?«

Darsie war abermals in Verwirrung über diese Ueberoffenheit, wenn wir uns dieses Ausdrucks bedienen dürfen, – dieses freien Geständnisses. – »Man muß die Rebhühner sehr lieben,« dachte er, »wenn man sie noch annehmen kann, da sie einem so in's Gesicht geworfen werden; wenn das sich nicht deutlich erklären heißt, so weiß ich nicht mehr, was man so nennen soll.«

In Verlegenheit gesetzt durch solche Betrachtungen, und von Natur in hohem Grade, ja bis zum Ekel delikat, konnte er bloß damit antworten, daß er einen Dank für die Güte seiner Gefährtin hervorstammelte.

Sie antwortete in einem Tone von Kummer und Ungeduld, und wiederholte in unwilligem Nachdruck die einzigen bestimmten Worte, die er hatte hervorbringen können: »Güte! Dankbarkeit! – O, Darsie, sollten solche Worte zwischen Euch und mir stattfinden! – Ach, ich bin nur zu gewiß, daß Ihr auf mich unwillig seid, obgleich ich nicht einmal vermuthen kann, weßwegen; vielleicht denkt Ihr, ich sei zu frei gewesen, daß ich den Besuch bei Eurem Freunde wagte. Aber erinnert Euch doch, daß es um Euretwillen geschah, und daß ich keinen bessern Weg wußte, Euch vor den Unfällen und der Gefangenschaft zu warnen, die Ihr erduldet habt, und noch erduldet.«

»Theure Lady,« – sagte Darsie, seine Erinnerung erweckend, und in der Vermuthung, daß er sich vielleicht in seiner Befürchtung geirrt habe, – eine Vermuthung, welche seine Art, Lilias anzureden, dieser sogleich mitzutheilen schien, denn sie unterbrach ihn. –

» Lady! Theure Lady! um's Himmelswillen, für wen oder was haltet Ihr mich denn?«

Wäre die Frage in einem bezauberten Palaste im Feenlande an ihn gerichtet worden, wo man auf alle mit der größten Aufrichtigkeit antworten muß, so hätte Darsie gewiß erwidert, »er halte sie für die frechste und ultraliberalste Dirne, welche je gelebt, seit Mutter Eva den Apfel aß, ohne ihn zu schälen.« Da er aber noch auf der schlichten Erde war, und Freiheit hatte, sich ein wenig artiger auszudrücken, so antwortete er trocken, »er glaube, die Ehre zu haben, mit der Nichte Mr. Redgauntlets zu sprechen.«

»Allerdings,« erwiderte sie; »aber wäre es nicht eben so leicht gewesen, wenn Ihr gesagt hättet, mit Eurer eigenen einzigen Schwester

Darsie fuhr auf in seinem Sattel, als hätte ihn eine Kugel getroffen.

»Meine Schwester!« rief er aus.

»Und Ihr wußtet dieß nicht?« sagte sie, »ich fand Euern Empfang kalt und gleichgültig!«

Eine recht herzliche Umarmung fand jetzt zwischen den beiden Verwandten statt, und Darsie war jetzt so leichten Sinnes, daß er sich in der That erleichterter fühlte, der Verlegenheit der letzten halben Stunde los zu sein, während welcher er sich in Gefahr glaubte, von der Neigung einer zudringlichen Dirne verfolgt zu werden, als er betroffen wurde, durch das Verschwinden so manchen Traumes, dergleichen er am hellen Tage während der Zeit, wo der Grünmantel der Gegenstand seiner Verehrung gewesen war, ausgebildet hatte. Er war schon von seinem romantischen Pegasus heruntergeworfen worden, und war glücklich genug, sich selbst mit unzerbrochenen Beinen zu finden, obwohl er auf dem Boden lag. Er war überdieß bei allen seinen Grillen und Thorheiten ein edelmüthiger, gutherziger Jüngling, und freute sich, eine so schöne und liebenswürdige Verwandte entdeckt zu haben, und ihr in den wärmsten Ausdrücken seine innigste Zuneigung und in Zukunft seinen Schutz zu versichern, sobald sie aus ihrer jetzigen Lage befreit sein würden. Lächeln und Thränen mischten sich auf Lilias Wangen, wie Regengüsse und Sonnenschein beim Aprilwetter.

»Fern sei es von mir,« sagte sie, »daß ich so kindisch sein sollte, mich über das zu beklagen, was mich so wahrhaft glücklich macht! denn, Gott weiß, Familienliebe ist es, nach der mein Herz am längsten sich gesehnt hat, und der ich am fremdesten geblieben bin. Mein Oheim sagt, daß Ihr, Darsie, und ich nur eine halbe Redgauntlets seien, und daß das Metall, woraus unsres Vaters Familie geformt worden wäre, in den Kindern unsrer Mutter bis zum weibischen Wesen weich geworden sei.«

»Ach,« sagte Darsie, »ich weiß so wenig von unsrer Familiengeschichte, daß ich fast zweifelte, zum Hause Redgauntlet zu gehören, ob mich gleich das Oberhaupt der Familie selbst es ziemlich deutlich hat ahnen lassen.«

»Das Oberhaupt der Familie!« sagte Lilias, »Ihr müßt in der That sehr wenig von Eurer eigenen Abkunft wissen, wenn Ihr meinen Oheim damit meint. Ihr selbst, mein theurer Darsie, seid der Erbe und Repräsentant unsres alten Hauses, denn unser Vater war der ältere Bruder, jener tapfere und unglückliche Sir Henry Darsie Redgauntlet, der im Jahre 1746 zu Carlisle hingerichtet wurde. Er verband den Namen Darsie mit dem seinigen von unsrer Mutter, der Erbin einer cumberländischen Familie von großem Vermögen und hohem Alterthum, zu deren großen Ländereien Ihr der unbezweifelte Erbe seid, obgleich die Eures Vaters in der allgemeinen Confiscation mitbegriffen waren. Aber Alles dieses muß Euch nothwendig unbekannt sein.«

»In der That, ich höre es zum Erstenmal in meinem Leben,« antwortete Darsie.

»Und Ihr wußtet nicht, daß ich Eure Schwester sei?« fragte Lilias. »Nun ist's kein Wunder, daß Ihr mich so kalt empfingt. Für was für eine seltsame, wilde und freche Dirne müßt Ihr mich gehalten haben, – daß ich mich in das Schicksal eines Fremden einmischte, den ich ein einziges Mal gesprochen hatte, daß ich es wagte, mit ihm durch Zeichen zu verkehren. – Guter Gott! was müßt Ihr von mir gedacht haben?«

»Und wie sollte ich zur Kenntniß unserer Verwandtschaft gelangt sein?« sagte Dar sie. »Ihr müßt bemerkt haben, daß ich nichts davon wußte, als wir zu Broken-Burn miteinander tanzten.«

»Ich sah das mit Betrübniß, und gern würde ich Euch gewarnt haben,« antwortete Lilias; »aber ich war genau bewacht, und ehe ich eine Gelegenheit finden oder herbeiführen konnte, um mit Euch zu einer vollen Erklärung über den beunruhigenden Gegenstand zu gelangen, mußte ich das Zimmer verlassen. Was ich sagte, war, wenn Ihr Euch erinnert, eine Warnung, die südliche Gränze zu verlassen, denn ich sah voraus, was sich ereignen würde. Seit Ihr aber in der Gewalt meines Oheims Euch befunden habt, zweifelte ich nicht mehr, daß er Euch unsre ganze Familiengeschichte mitgetheilt habe.«

»Ich sollte sie von Euch erfahren, Lilias; und ich versichere Euch, daß ich es mit weit mehr Vergnügen von Euren Lippen höre, als von den seinen. Ich habe keinen Grund, mit seinem Benehmen gegen mich zufrieden zu sein.«

»Darüber,« sagte Lilias, »werdet Ihr besser urtheilen, wenn Ihr gehört habt, was ich Euch zu sagen habe,« und sie begann ihre Mittheilung in folgender Weise.


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