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Fünfzehntes Kapitel.

Die Anwesenden verrieten keine geringe Neugierde, den Herold zu sehen, den die aufrührerischen Lütticher an einen so stolzen Fürsten, wie der Herzog von Burgund, abzusenden wagten, während dieser in so hohem Grade gegen sie aufgebracht war. Er war mit einem Wappenrock angetan, gestickt mit dem Wappen seines Herrn, auf dem der Eberkopf sich besonders hervorhob. Seine übrige Tracht war mit Borden und Verzierungen aller Art überladen, und der Federbusch, den er trug, so hoch, als ob er damit die Decke des Zimmers abfegen wollte. Kurz, der gewöhnliche Flitterstaat der Heroldskleidung war hier durch Uebertreibung zur Karikatur geworden.

»Wer bist Du ins Teufels Namen?« war der Gruß, womit Karl der Kühne diesen sonderbaren Abgesandten empfing. – »Ich bin der rote Eber,« antwortete der Herold, »Wappenträger Wilhelms von der Mark, von Gottes Gnaden und durch die Wahl des Kapitels Fürstbischof von Lüttich.« – »Ha!« fuhr Karl plötzlich auf, gab ihm aber, seine leidenschaftliche Aufwallung bekämpfend, ein Zeichen, fortzufahren. – »Und kraft der Rechte seiner Gemahlin, der edlen Gräfin Hameline von Croye, Graf von Croye und Herr von Bracequemont.«

Das Erstaunen Herzog Karls über die grenzenlose Frechheit, mit der diese Titel in seiner Gegenwart angekündigt wurden, schien ihm die Sprache geraubt zu haben; der Herold aber fuhr fort, seine Botschaft auszurichten: »Ich tue Euch kund, Karl von Burgund und Graf von Flandern, im Namen meines Herrn, daß er vermöge einer Dispensation unseres heiligen Vaters zu Rom, die zur Stunde erwartet wird, willens ist, zugleich das Amt eines Fürstbischofs von Lüttich zu übernehmen und seine Rechte als Graf von Croye auszuüben.«

Der Herzog von Burgund stieß bei dieser und anderen Pausen in der Rede des Herolds bloß ein »Ha!« oder einen ähnlichen Ausruf aus, ohne zu antworten; und der Abgesandte fuhr daher kühn und unerschrocken fort: »Im Namen des Fürstbischofs von Lüttich und Grafen von Croye fordere ich Euch, Herzog Karl, hiermit auf, Euch aller Ansprüche und Beeinträchtigungen zu begeben, die Ihr Euch gegen die freie kaiserliche Stadt Lüttich im Einverständnis mit dem verstorbenen Ludwig von Bourbon, dem unwürdigen Bischof derselben, erlaubt habt, und Wilhelm von der Mark als gesetzlich im freien Kapitel gewählten Fürstbischof anzuerkennen.«

»Ha!« rief der Herzog, »seid Ihr zu Ende?« – »Noch eins!« fuhr der Herold fort, »hiergegen ist der edle und hochwürdige Fürst und Graf entschlossen, wenn alle Streitigkeiten zwischen Burgund und Lüttich beseitigt sind, der Gräfin Isabelle eine ihrem Stande gebührende Apanage auszusetzen.« – »Sehr groß»mutig und wohlbedacht,« sprach der Herzog.

»Nun, bei dem Gewissen eines armen Gauchs,« sprach Narr Glorieux beiseite zu dem Grafen Crevecoeur, »ich möchte lieber in der Haut der schlechtesten Kuh stecken, die je an der Seuche gestorben ist, als in dem buntscheckigen Rocke des Menschen dort! Dem armen Manne geht es wie einem Trunkenbold, der immer nur nach dem nächsten Kruge sieht und nicht auf die Zeche, die der Wirt hinter der Tür anschreibt.«

»Seid Ihr nun fertig?« fragte der Herzog den Herold. – »Nur ein Wort noch,« antwortete der rote Eber, »von meinem vorbesorgten edlen und hochwürdigen Gebieter in Betreff seines würdigen und treuen Bundesgenossen, des allerchristlichsten Königs.« – »Ha!« rief der Herzog, heftiger als bisher auffahrend, sich aber sogleich bezwingend. – »Welches allerchristlichsten Königs erhabene Person, wie die Sage geht, Ihr, Karl von Burgund, ganz gegen Eure Pflicht, als Vasall der Krone Frankreichs, und der Treue und dem Glauben zuwider, die zwischen christlichen Fürsten statthaben, in Gefangenschaft haltet. Deshalb verlangt mein besagter edler, hochwürdiger Gebieter durch meinen Mund von Euch, seinen königlichen allerchristlichsten Verbündeten von Stund an in Freiheit zu setzen oder die Aufforderung anzunehmen, die ich Euch zu erklären beauftragt bin.«

»Seid Ihr nun fertig?« sprach der Herzog. – »Ich bin's!« antwortete der Herold, »und erwarte Ew. Gnaden Antwort, – in der Hoffnung, daß sie von der Art sein werde, daß kein Christenblut vergossen wird.« – »Nun, beim Heiligen Georg von Burgund!« rief der Herzog. – Bevor er aber fortfahren konnte, erhob sich Ludwig und fiel mit einem so gebietenden Tone ein, daß Karl ihn nicht unterbrechen konnte ... »Mit Eurer Erlaubnis, lieber Vetter, Wir machen selbst Unser Vorrecht geltend, diesem schamlosen Menschen zu antworten. – Vernimm denn, Herold, oder was Du sonst bist, und bringe dem geächteten Wilhelm von der Mark die Botschaft, daß der König von Frankreich alsbald vor Lüttich erscheinen wird, um den frevelhaften Mörder seines geliebten Verwandten, Ludwigs von Bourbon, zu züchtigen und für die Unverschämtheit, daß er sich seinen Bundesgenossen nennt und seinen königlichen Namen durch den Mund eines niedrigen Boten entehrt, lebendig an den Galgen hängen zu lassen.«

»Setzt von meiner Seite alles übrige hinzu,« sprach Karl, »was ein Fürst einem gemeinen Diebe und Mörder schicklicherweise zu sagen haben kann. – Und nun fort! – Aber halt! – Nie hat ein Herold den Hof von Burgund anders verlassen, als mit der ihm zukommenden Ehrengabe ... Man peitsche diesen Hund bis auf die Knochen!« – »Nicht doch, wenn Ew. Gnaden erlauben,« riefen Crevecoeur und Hymbercourt zugleich, »er ist ein Herold und als solcher unverletzlich.« – »Seid Ihr so blöde, zu meinen,« entgegnete der Herzog, »der bunte Rock mache den Herold aus? Ich sehe an seinem buntscheckigen Anzüge, daß er ein Betrüger ist. Laßt Toison d'Or vortreten und ihn befragen!«

Der Abgesandte des wilden Ebers der Ardennen erblaßte sichtlich. Toison d'Or, der Oberherold des Herzogs, trat mit aller seinem Amte schuldigen Feierlichkeit vor und fragte den andern, auf welcher hohen Schule er die Wissenschaft erlernt habe, zu der er sich bekenne.

»Zu Regensburg als Heroldsknappe,« antwortete der rote Eber, »ward ich erzogen und empfing von der dortigen gelehrten Brüderschaft das Diplom eines Ehrenherolds.« – »Ihr konntet es aus keiner würdigeren Quelle schöpfen,« antwortete Toison d'Or, sich noch tiefer als vorher verbeugend, »aber,« fuhr er fort, indem er ein Stück Pergament aus der Tasche zog, »hier ist eine Rolle, worauf ich zu gewissem Zwecke, soweit es meine geringe Kunst vermochte, ein altes Wappen gezeichnet habe. Ich Dieser Scherz erregte Gelächter, und das kam dem roten Eber insofern zustatten, als es Toison d'Or, der über die Mißdeutung seiner Zeichnung unwillig wurde, zu der Erklärung bewog, es sei das Wappen, das Gildebert, König von Frankreich, angenommen hätte, nachdem er Gandemar, den König von Burgund, zum Gefangenen gemacht, und stelle eine Tigerkatze hinter einem Gitter vor als Sinnbild eines gefangenen Fürsten, nämlich »einen schreienden Tiger im goldenen Felde.« – »Bei meiner Narrenkappe!« versetzte Glorieux, »wenn die Katze Burgund vorstellen soll, so steht sie heutzutage auf der rechten Seite des Gitters.«

»Getroffen, Freund!« rief Ludwig lachend, während die übrigen Anwesenden, Karl nicht ausgenommen, verlegen zu sein schienen: »Du sollst ein Goldstück dafür haben, daß Du eine Sache, die wie bittrer Ernst aussah, in einen Spatz verwandelt hast, worauf es, denk ich, hinauslaufen wird.« – »Still, Glorieux,« sagte der Herzog; »und Ihr, Toison d'Or, tretet ab, denn Ihr seid zu gelehrt, um verständlich zu bleiben. Der Schuft soll vortreten. – Höre, Schurke,« sprach er in seinem rauhesten Tone, »kennst Du den Unterschied zwischen einem silbernen und goldnen Felde?« – »Bloß für den gegenwärtigen Fall,« antwortete der Entlarvte. – »Nun, beim heiligen Georg!« sagte der Herzog, indem er Ludwig von der Seite ansah, »Uns ist kein König, ja kein Edelmann, außer einem, bekannt, der die edle Wissenschaft, auf der Königtum und Adel beruhen, also herabgewürdigt hätte, den König ausgenommen, der an Eduard von England einen Lakaien, als Herold verkleidet, absandte.« – »Eine solche List konnte man sich bloß an einem Hofe erlauben,« sprach Ludwig, »an dem es damals noch keine Herolde gab, und die Sache hatte Eile. Aber wenn dies auch noch bei einem plumpen, kurzsichtigen Insulaner anging, so würde doch niemand, der nicht so durchaus verrückt wie ein wilder Eber ist, darauf gekommen sein, dem gebildeten Hofe von Burgund einen solchen Streich zu spielen.« – »Mag ihn senden, wer da will,« entgegnete der Herzog zornig, »er soll ihm ordentlich heimgeschickt werden. – He da! – schleppt ihn auf den Marktplatz! – peitscht ihn mit Hundekarbatschen, bis ihm der Wappenrock in Fetzen vom Leibe fällt! – Auf also! auf den roten Eber! – Hallo! Hallo!« – Ein halbes Dutzend Hunde nahm den wohlbekannten Ruf auf, womit der Herzog schloß, und fing zu heulen und zu bellen an, als ob der Eber wirklich vor ihnen aus dem Lager aufgetrieben wäre. – »Beim heiligen Kreuze!« rief der König Ludwig, in seines Vetters gefährliche Laune einstimmend, »da der Esel die Eberhaut umgehängt hat, möchte ich ihn auch mit den Hunden wieder aus ihr heraushetzen.« »Vortrefflich!« rief Herzog Karl, dem der Einfall in seiner jetzigen Laune gelegen kam, »das soll geschehen! – man kopple die Hunde los! Heda, Talbot! heda! Beaumont! – wir wollen ihn vom Schloßtor bis zum östlichen Stadttor hetzen!« – »Ich denke, Ew. Gnaden werden mich dann auch wie ein ordentliches Jagdwild behandeln,« sprach der Bursche, zum bösen Spiel eine gute Miene machend, »mir also das Jagdrecht gestatten?« – »Du bist ein Wurm,« sagte der Herzog, »und hast kein Recht, die Weidmannsrechte anzusprechen; indessen sollst Du einen Vorsprung von hundertundsechzig Fuß haben, und wäre es auch nur um Deiner beispiellosen Unverschämtheit willen. Fort, fort, meine Herren! – wir wollen uns die Jagd mit ansehen!« – Und alle beeilten sich, die beiden Fürsten ihnen voran, um das vom König Ludwig angeregte menschenfreundliche Schauspiel voll zu genießen.

Der rote Eber spielte seine Rolle vortrefflich; vom Schrecken beflügelt, und gehetzt von zehn grimmigen Eberhunden, die durch Hörnerschall und Weidruf der Jäger noch wütender gemacht wurden, floh er mit Sturmeseile dahin und würde, hätte ihn sein Heroldsrock, die schlechteste Tracht, die es für einen Läufer geben kann, nicht gehindert, vielleicht wohlbehalten den Hunden entkommen sein; auch machte er mehr als einmal zur großen Zufriedenheit der Zuschauer einen Widerlauf; endlich vermochte ihn seine Schnelligkeit aber nicht länger vor den Fängen seiner Verfolger zu retten: sie packten ihn, rissen ihn zu Boden und hätten ihn wahrscheinlich in Stücke zerrissen, hätte nicht der Herzog gerufen: »Stock dazwischen! macht sie los von ihm! – Er hat sich so wacker im Laufen gezeigt, daß, obgleich die rechte Jagd noch nicht angefangen, Wir ihn doch nicht drauf gehen lassen wollen.«

Mehrere Hofbeamte waren sogleich beschäftigt, die Hunde von ihm loszureißen; man sah, wie sie einige zusammenkoppelten und andere verfolgten, die, durch die Straße laufend, die Fetzen des gestickten Wappenrocks, den der unglückliche Mann zur bösen Stunde angelegt hatte, im Triumph herumschleppten.

In diesem Augenblicke und während der Herzog mit dem, was vor seinen Augen vorging, zu sehr beschäftigt war, als daß er hätte darauf achten können, was hinter ihm geschah, schlich sich Oliver le Dain hinter den König und flüsterte ihm ins Ohr: »Es ist der Zigeuner Hayraddin Maugrabin! Es wäre nicht gut, wenn er mit dem Herzog zu sprechen käme.« – »Er muß sterben,« antwortete Ludwig in demselben Tone. »Tote sagen nichts.«

Einen Augenblick später trat Tristan l'Hermite, welchem Oliver einen Wink gegeben hatte, vor den König und den Herzog und sprach mit dem ihm eigenen Tone: »Mit Ew. Majestät und Ew. Hoheit Wohlvernehmen, dies Stück Wildbret ist mein – ich mache Anspruch darauf – er trifft mein Zeichen – die Lilie ist ihm auf der Schulter eingebrannt, wie jedermann sehen kann. Er ist ein bekannter Bösewicht, hat königliche Untertanen erschlagen, Kirchen beraubt, Jungfrauen geschändet, Wild in dem königlichen Tiergarten erlegt –«

»Genug, genug,« fiel Herzog Karl ein, »er ist aus vielen Gründen meines königlichen Vetters Eigentum. Was will Ew. Majestät mit ihm vornehmen?« – »Wenn er zu meiner Verfügung steht,« sagte der König, »so will ich ihm bloß eine Lektion in der Wappenkunde geben, in der er so unerfahren ist – ihm nur erklären, und zwar praktisch, was ein Kreuzbalken mit herabhängender Schleife zu bedeuten hat.« – »Den er nicht tragen, sondern der ihn tragen soll – laßt ihn unter Eurem Gevatter Tristan die Stufen nehmen, – er ist ein gründlicher Lehrer in solchen Geheimnissen.« So rief der Herzog mit einem grinsenden Gelächter über seinen eigenen Witz; und Ludwig stimmte so herzlich ein, daß sein Nebenbuhler sich nicht enthalten konnte, ihn freundlich anzusehen und zu sagen: »O Ludwig, Ludwig, wollte Gott, Du wärst ein ebenso zuverlässiger Monarch, als Du ein lustiger Gesellschafter bist! Ich muß mich oft noch der fröhlichen Zeit erinnern, die wir zusammen verlebten.« – »Die könnt Ihr wieder zurückbringen, wenn Ihr wollt,« sagte Ludwig; »ich will Euch so gute Bedingungen gewähren, als Ihr in meiner gegenwärtigen Lage nur immer von mir verlangen könnt, und will Euch die Erfüllung auf die heilige Reliquie schwören, die ich immer bei mir trage als ein Fragment des wahren Kreuzes.«

Hier zog er ein kleines goldenes Reliquienkästchen hervor, das er an einer goldenen Kette von seinem Halse herab gleich über dem Hemd hängen hatte, küßte es andachtsvoll und sagte dann: »Nie ward ein falscher Eid auf diese heiligste Reliquie geschworen, ohne daß er noch in demselben Jahre gerächt worden wäre.«

»Wohl denn, Vetter,« antwortete der Herzog, »wollt Ihr mit mir ausziehen, den Mörder von der Mark und die Lütticher zu züchtigen?« – »Ich will,« sagte Ludwig, »mit dem Bann von Frankreich und wehender Oriflamme.« – »Nein, nein,« sagte der Herzog, »das ist mehr, als nötig oder rätlich sein dürfte. Eure schottische Leibwache und zweihundert auserlesene Lanzen dürften hinreichen; ein großes Heer möchte –« – »Mich frei machen, wollt Ihr sagen, lieber Vetter?« sagte der König. »Wohl, Ihr sollt die Zahl meines Gefolges bestimmen.« – »Und um die schöne Unheilstifterin uns vom Halse zu schaffen, so willigt Ihr ein, daß sie sich mit dem Herzog von Orleans vermählt?«

– »Lieber Vetter,« sagte der König, »Ihr seht meine Nachgiebigkeit auf eine harte Probe. Der Herzog ist der verlobte Bräutigam meiner Tochter Johanna. Seid großmütig – gebt diesen Punkt auf, und laßt uns lieber von den Städten an der Somme sprechen.«

»Darüber wird mein Rat mit Ew. Majestät Rücksprache! nehmen; mir selbst liegt eine Gebietserweiterung weniger am Herzen, als erlittene Unbilden wieder gut zu machen. Ihr habt Einverständnis mit Vasallen unterhalten, und es muß Ew. Majestät zum Vergnügen gereichen, über die Hand einer burgundischen Mündel verfügen zu können. Vermählt sie denn mit einem Mitgliede Eurer eignen Familie, da Ihr Euch einmal in die Sache gemischt habt – dann sind wir wieder Vettern und Freunde; andernfalls sind unsere Verhandlungen angebrochen.« – »Danken wir dem Himmel!« sagte Ludwig, »der die Herzen der Fürsten lenkt, sie gnadenvoll zum Frieden und zur Milde hinneigt und das Vergießen von Menschenblut abwendet. – Oliver,« raunte er beiseite seinem Günstling zu, »sage Tristan, er solle mit dem Zigeuner schnell zu Ende kommen!«


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