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Fünftes Kapitel.

Der Ritter, der auf Quentin Durward in dem Zimmer wartete, wo derselbe gefrühstückt hatte, gehörte jenem berühmten Bogenschützenkorps der schottischen Leibgarde an, die von Karl VI., Ludwigs Vorgänger, errichtet worden war, und in dessen Händen, wie man dreist sagen konnte, das Schicksal Frankreichs lag, denn ihm war die unmittelbare Wache über die Person des Königs anvertraut. Es waren verschiedene Umstände, die diesen frühern König von Frankreich zu diesem Schritt bestimmt hatten, vor allem die schwankende, unsichre Treue des Lehnsadels, der wohl die Oberherrschaft des Königs anerkannte, sonst aber in einem fort bestrebt war, seine besonderen Rechte nicht bloß zu behaupten, sondern möglichst zu mehren. Solchem Adel seine Person zum Schutz zu überantworten, wäre unpolitisch und auch gefährlich gewesen. Dagegen war das schottische Volk gewissermaßen der Erbfeind Englands und demzufolge Frankreichs alter und, wenigstens dem Anschein nach, auch natürlicher Bundesgenosse. Es war ein armes, aber mutiges und treues Volk, und da kein andres Volk in Europa so reich war an kühnen und tapfern Abenteurern, ließ sich damit rechnen, daß sich solche Garde immer aus seinen Söhnen neu rekrutieren ließe. Da ferner der schottische Adel sehr alt war und fast durchgängig bis zum Alter der Kreuzzüge, wenn nicht noch höher, hinaufreichte, stand ihm ein besonderes Anrecht darauf zu, näher an die Person des Monarchen herangezogen zu werden, als jeder andre Adel, den französischen nicht ausgeschlossen. Und was schließlich auch noch, und zwar nicht zum geringsten, in Betracht kam bei den damals so äußerst unruhigen Zeiten, war der Umstand, daß ihre geringe Zahl sie verhinderte, sich in Meuterei einzulassen und Gelüste zur Herrschaft zu bekommen, wo sie nur Anspruch auf eine dienende Rolle hatten.

Jeder Bogenschütze hingegen stand an Rang und Ehre den Edelleuten des Landes gleich, und ihre ständige Berührung mit dem Landesherrscher verlieh ihnen in jedermanns Augen einen gewissen Nimbus, der durch die prächtige Tracht, die sie trugen, und die vortreffliche Bewaffnung, sowie das Recht, sich einen Knappen, einen Diener, einen Pagen und einen oder auch ein paar Trabanten zu halten, nicht wenig erhöht wurde. Kein Wunder, daß solcher Bogenschütze als eine Respektsperson galt, und da die in dem Korps frei werdenden Stellen nie anders ausgefüllt wurden, als aus den Reihen der Pagen oder Knappen, so geschah es nicht selten, daß vornehme schottische Geschlechter ihre jüngern Söhne zu einem befreundeten oder verwandten Angehörigen dieses Korps sandten, in dessen Diensten er dann solange blieb, bis eine Vakanz eintrat, in die er dann eintreten konnte.

Quentin Durwards Oheim, Ludwig Lesley, oder wie er im Laufe dieser Erzählung nach der ihn kennzeichnenden Narbe zumeist genannt werden wird, Balafré, war ein Mann von annähernd 6 Fuß Länge, und von muskulöser, untersetzter Gestalt. Seine an sich rauhen Gesichtszüge wurden durch die erwähnte große breite Narbe, die von der Stirn zum rechten Auge hinunter und an diesem entlang, über den von ihr bloßgelegten Backenknochen bis zum Ohrläppchen hinlief, bald scharlach-, bald purpurrot, bald blau aussehend, ja nicht selten sich dem Schwarz nähernd, noch erheblich verunschönt und verdüstert. Diesen Eindruck konnte auch die kostbare Rüstung nicht mildern, die er trug, und die aus Halskragen, Armstücken und Handschuhen aus feinstem Stahl, kunstvoll mit Silber ausgelegt, aus einem funkelnden Panzerhemd, darüber einem weiten Oberkleid aus blauem Samt bestand, das, an den Seiten wie ein Heroldsgewand offen, nach vorn und hinten zu durch ein großes, weißes, in Silber gesticktes Kreuz geteilt wurde. Knie und Schenkel waren durch eiserne Beinschienen geschützt, die sich in Stahlschuhen fortsetzten; an der rechten Seite seines Panzerhemds hing ein starker, breiter Dolch, »der Gottsgnadendolch« genannt, über der Schulter das Wehrgehänge seines zweihändigen Schwertes, ebenfalls reich gestickt, und auf dem Haupte trug er die schottische Nationalmütze, die mit einem Federbusche und einem Bilde der Jungfrau Maria aus gediegenem Silber verziert war.

Quentin Durward, von Jugend auf nach schottischem Brauche an die Führung der Waffen gewöhnt, stand trotzdem unter dem Eindruck der Meinung, einen Kriegsmann mit solch mustergültiger Ausrüstung und Bewaffnung noch nie vor Augen gehabt zu haben, wie diesen Oheim von mütterlicher Seite, und vor dem grimmigen Gesicht, mit dem ihn derselbe willkommen hieß, schreckte er im ersten Augenblick förmlich zurück. Erst als ihn der bärbeißige Mann nach Neuigkeiten von Schottland fragte, verschwand bei dem Jüngling die unangenehme Empfindung, die dieser erste Eindruck bei ihm geweckt hatte.

»Viel Gutes, Herr Oheim, wüßte ich da leider nicht zu melden,« erwiderte Quentin Durward auf diese Frage; »aber gefreut hat's mich, von Euch so schnell erkannt worden zu sein.« – »Junge, ich hätte Dich auf der Stelle zwischen den Heiden von Bordeaux herausgekannt,« erwiderte der Krieger mit der Narbe, »wenn ich Dich dort als Storch auf Stelzen hätte laufen sehen. Aber setz Dich doch! Hast Du was Trauriges zu berichten, so steht Wein hier, der wird's uns tragen helfen. Heda, Alter! noch einen Humpen vom besten! aber gleich!«

Im Nu stand eine Flasche der besten Champagner-Marke vor ihnen, denn in den Schenken von Plessis kannte man die Bogenschützen zu gut, um sie auch nur eine Sekunde warten zu lassen. Quentin nippte jedoch, weil er heut morgen schon einmal Wein getrunken hatte, an dem Humpen, während der Oheim einen derben Zug daraus tat ... »Säß Deine Schwester an Deiner Statt hier, dann möcht ich solche Entschuldigung gelten lassen,« erwiderte Balafré, »so aber rate ich Dir, vor einem Weinkruge Dich nicht so zimperlich zu benehmen, denn ich denke doch, Du willst auch mal einen Bart bekommen und ein tapfrer Soldat werden. Also flink heran! das Felleisen herunter! und dann los mit den Neuigkeiten, die Du von unserm Glenhulakin weißt. Was macht meine Schwester?« – »Die ist gestorben, lieber Ohm!« – »Was? gestorben,« wiederholte Balafré, mehr im Tone der Verwunderung als des Mitgefühls, »wie kann das sein? sie war doch fünf Jahre jünger als ich, und wohler als sie hab ich mich doch mein Lebtag nicht befunden ... Soso! gestorben also ist sie? also hat sich doch Dein Vater schon wieder verheiratet?«

Ehe aber der Jüngling noch eine Antwort auf diese weitere Frage gefunden hatte, fiel ihm der Oheim schon mit der Frage dazwischen: »Was? nicht wieder verheiratet? Ich lese Dir die Antwort ja in den Augen, Junge! und ich hätte doch Gott weiß was wetten mögen, daß Allan Durward nicht ohne Frau werde leben können ... Ordnung in seinen vier Pfählen ging ihm doch über alles, und ein hübsches Weib hatte er immer gern vor den Augen. Wie kann er das haben, ohne verheiratet zu sein? Ich mach mir dagegen aus all den Bequemlichkeiten nicht sonderlich viel, sehe wohl auch ganz gern mal ein Frauenzimmer, aber deshalb gleich ans Sakrament der Ehe zu denken, ist nicht mein Fall. Dazu fehlt's mir an der nötigen Heiligkeit.« – »Aber, lieber Oheim, die Mutter war ja schon ein ganzes Jahr Witwe, denn die Ogilvies waren in Glenhulakin eingefallen, und dabei ist der Vater mit den beiden Oheimen und meinen beiden ältern Brüdern, auch noch sechs von unsern Leuten, dem Harfner und dem Arbeitsvogt, umgekommen. Bei uns in Glenhulakin raucht kein Herd mehr, und kein Stein steht mehr auf dem andern.« – »Beim Kreuze des heiligen Andreas!« rief Balafré, »das muß ja bös hergegangen sein! so eine Niederlage ist ja bald noch nicht dagewesen. Freilich, die Ogilvies waren immer schlimme Nachbarn. Du, sage mal, wann ist denn die unglückliche Affäre passiert?« – Als ihm der Neffe sagte, es sei am Sankt-Judasfeste gewesen, nahm Balafré einen tüchtigen Schluck und schüttelte dann mit großem Ernste das Haupt ... »Da siehst Du's, Neffe,« sagte er, »es ist nun mal im Kriege alles Zufall. Bald hat's an dem, bald an dem gelegen. Ich bin am selben Tage mit zwanzig Berittnen gegen Schloß Rochenoir ausgezogen und hab's mit Sturm genommen, und hatte es mit einem gar schlimmen Gegner zu tun, mit Amaury, dem Eisenarme, von dem Du doch sicher schon gehört haben wirst. Den hab ich vorm Portale niedergehauen und hab in dem Schlosse soviel Gold erbeutet, daß ich mir die güldene Kette hab schmieden lassen, die noch zweimal so lang war, wie jetzt ... da fällt mir übrigens ein, daß ich einen Teil davon auf ein frommes Gelübde verwenden muß. He, Andreas! Andreas!«

Sein Trabant dieses Namens trat in die Stube, fast genau wie der Bogenschütze selbst gekleidet, bloß die Beinschienen fehlten ihm, und die Rüstung war weit gröber gearbeitet, auf der Mütze fehlte der Federstutz und sein Oberkleid war weniger weit, und statt aus Samt nur aus Sersche und grobem Tuch. Balafré nahm die Goldkette vom Halse, biß mit seinen unverwüstlichen Zähnen etwa zwei Zoll davon ab und gab das Stückchen dem Trabanten. »Da, Andreas! trag das zu meinem Gevatter, dem fidelen Pater Bonifaz, nach Sankt-Martins hinüber, bestell ihm einen Gruß und sag ihm, ich trüg ihm nicht weiter mehr nach, daß er nach unserer letzten Kneiperei ohne Adieu sich von mir gedrückt hätte. Dann sag ihm auch, mein Bruder und meine Schwester und die ganze Glenhulakiner Sippe seien tot, und er solle so gut sein, für ihre Seele ein paar Messen zu lesen. Was ich ihm durch Dich von meiner goldnen Kette schickte, würde schon als Kirchenlohn für das bißchen Messelesen ausreichen. Sag ihm auch, meine Sippe in Glenhulakin hätte immer einen gottesfürchtigen Wandel geführt, und wenn er daraufhin vielleicht meinte, sie könnten schon ohne Messe aus dem Fegefeuer heraus sein, so soll er das Geld auf einen Fluch gegen das hundsföttische Gesindel dieser Ogilvies verwenden ... auf welchem Wege, soll ihm überlassen bleiben, aber er soll denjenigen wählen, auf dem ihnen am besten beizukommen ist ... Verstanden, Halunke?« – Der Trabant nickte. »Hüte Dich aber,« rief Balafré noch, »daß sich ja nicht etwa ein Glied von dem abgebissenen Kettenstück ins Wirtshaus verirre! denn dann machst Du Bekanntschaft mit Steigriemen und Sattelgurt, und zwar solange, bis Deine Haut aufspringt ... Ich merke schon, Kerl, Du hast schon wieder mal Durst? Na, dann nimm einen tüchtigen Schluck, ehe Du Dich auf den Weg machst.« Mit diesen Worten reichte er ihm einen vollen Humpen. Der Trabant leerte ihn auf die Neige. Dann entfernte er sich, um dem Pater den Auftrag zu bestellen.

»So, Neffe,« wandte sich nun Balafré wieder an Quentin Durward, »nun sag mir, wie Du eigentlich bei der Affäre mit blauem Auge davongekommen bist?« – »Ich stand mit den älteren und stärkeren zusammen in Reih und Glied gegen die feindlichen Ogilvies,« erwiderte Durward, »und hab mitgekämpft, bis wir schließlich unterlagen. Ein böser Schlag streckte mich nieder, und ich trug eine schlimme Wunde davon.« – »Das ist mir vor 10 Jahren nicht besser gegangen,« erwiderte der Oheim, »wie sie mich damals herausgeputzt haben, das kannst Du mir ja heute noch ansehen.« Bei diesen Worten wies er auf die dunkelrote, tiefe Furche, die sein Gesicht in der Quere schnitt; »dergleichen Risse hat noch kein Schwert eines Ogilvie gezogen!« – »Zerrissen haben die Ogilvies gerade genug,« versetzte Quentin, »aber sie hatten schließlich ihren Blutdurst gestillt und gaben mich auf Bitten meiner Mutter los. Es war gerade ein Mönch von Aberbrothock in der Nähe, und dem erlaubten sie, mich zu verbinden; ich mußte jedoch, zusammen mit der Mutter, geloben, Mönch zu werden.« – »Du, und Mönch?« rief Balafré, »so was ist ja noch nicht dagewesen! Mich hat noch nie jemand, auch im Traume nicht, in eine Mönchskutte zu stecken gewagt; daß ich wenigstens nicht wüßte! . . und doch muß ich mich eigentlich, wenn ich darüber nachdenke, wundern, denn ich hätte doch ganz sicher keinen schlechten Pater abgegeben. Aber mag es drum stehen, wie es wolle, mir hat's bis jetzt niemand zugemutet, einen solchen Berufswechsel vorzunehmen; und Dir ist das zugemutet worden, Neffe? Warum denn bloß, um alles in der Welt?«

»Damit unser ganzes Geschlecht aus der Welt getilgt werde!« erklärte Quentin Durward, »wenn nicht im Grabe, so doch im Kloster!« – »Hm, nun verstehe ich,« erwiderte Balafré, »diese Ogilvies sind doch ganz infame Halunken! und doch hätten sie sich damit betrügen können! wie war's denn mit dem Probste Robsart? der fällt mir gerade ein! er hatte doch auch die Weihen bekommen, war aber dann aus dem Kloster gewichen und Hauptmann bei einer Freikompagnie geworden. Der hat sich ein allerliebstes Kebsweib genommen und mit ihr drei Jungen gezeugt. Dem Mönchsvolk, lieber Neffe, ist nun mal nicht über den Weg zu trauen, ein Mönch wird Soldat und Vater von Kindern, ehe man sich's versieht. Aber erzähle weiter von Deinen Glenhulakiner Geschichten!« – »Da gibt's nicht viel mehr zu erzählen, Oheim,« antwortete Durward, »ich mußte eben ins Kloster, wurde Novize, mußte nach den Klosterregeln leben und sogar lesen und schreiben lernen.« – »Lesen und schreiben, sagst Du?« rief Balafré, der zu den Leuten gehörte, die alle Kenntnisse, die das Maß des eignen Wissens übersteigen, für Wunderdinge ansehen, »so was ist ja noch nicht dagewesen! Das kann man doch nicht glauben! welcher Durward hätte wohl vor Dir seinen Namen schreiben können? und ein Lesley doch auch nicht! ich bin der letzte von den Lesleys und kann so wenig schreiben wie fliegen! Aber, beim heiligen Ludwig! wie haben sie es denn bloß angestellt, daß sie Dir das beigebracht haben?« – »In der ersten Zeit war's freilich ein bißchen schwer,« sagte Durward, »dann ist's aber leichter geworden. Wie bei allem im Leben, kommt's hier eben auf die Uebung an. Ich war infolge des starken Blutverlustes schwach zum Umfallen, und wollte meinem Retter, dem Pater Peter, kein Herzeleid bereiten. Drum gab ich mir auch alle Mühe, aufzupassen, und dann ist die Mutter auch krank geworden und gestorben, und da hat sich's in einem günstigen Augenblick mal gefügt, daß ich's dem Pater gestehen konnte, daß ich zum Mönchsstande gar keine Neigung hätte, sondern lieber in die Welt hinaus möchte, mein Glück zu versuchen, und so wurde denn vereinbart, daß es den Anschein haben sollte, als wenn ich aus dem Kloster geflohen wäre, damit den Ogilvies nicht ein Grund geboten würde, ihre Rache an meinem Wohltäter zu kühlen; und aus diesem Grunde habe ich auch den Falken des frommen Paters mit auf den Weg genommen. Entlassen aber bin ich unter der Hand in aller Form Rechtens aus dem Kloster, wie ja das Siegel und die Handschrift des Abtes beweisen.«

»Na, das ist ja im Grunde auch besser,« meinte Balafré, »wenn auch schließlich König Ludwig nicht viel danach früge, ob Du gemaust hast oder nicht, so kann er es doch nicht leiden, wenn sich einer gegen ein Kloster vergangen hat. Darauf kann ich aber wetten, Junge, daß Dir alles mögliche fehlt zu einem anständigen Unterhalte?« – »Nun, ja Oheim,« erwiderte der Jüngling, »Dir kann ich's ja gestehen: dazu ist mir weiter nichts nötig, als das nötige Kleingeld.« – »Eine schlimme Sache, wenn die Dinge so stehen,« meinte Balafré, »ich spare ja auch nichts vom Solde, denn so leicht ist's eben auch nicht, mit Ehren solchen Stand zu wahren; aber was ich brauche, habe ich schließlich doch immer, und wenn es mal Matthäi am letzten wird, na, sieh, dann muß eben mal die goldne Kette herhalten. Du wirst aber fragen, Neffe, wie ich zu solchen schönen Dingen komme? Na, sie wachsen ja freilich nicht wie die Narzissen auf dem Felde, aus denen die Bauerndirnen sich Ketten drehen; aber Du kannst sie Dir ganz ebendort her holen wie ich, nämlich vom guten Könige von Frankreich! denn wer Schätze zu suchen ein Herz hat, der findet sie dort, wenn auch hie und da mit Lebensgefahr; aber er findet sie eben doch!« – »Ich dächte aber, die Leute hätten mir gesagt,« erwiderte Quentin, »der Herzog von Burgund hielte einen bessern Hofstaat als der König von Frankreich? und unter seiner Fahne sei mehr Ehre zu gewinnen?« – »Du redest wie ein Tor, Neffe,« sagte darauf Balafré, »aber man kann's Dir nachsehen, denn als ich den Fuß nach Frankreich gesetzt hatte, redete ich gerade so dumm und albern wie Du; ich hatte auch keine andre Vorstellung von einem König als einem höhern Wesen, das den ganzen Tag unter einem Thronhimmel säße, mit seinen obersten Paladinen von früh bis spät schmause, die goldne Krone nie vom Haupte nähme, oder an der Spitze seiner Truppen dem Feinde entgegenrücke, wie etwa Robert Bruce oder der Wilhelm in unsrer eignen Vaterlandsgeschichte. Im Vertrauen gesagt, Neffe! Politik ist die richtige Kunst, die sich für die Könige schickt, und diese Kunst hat der König Ludwig von Frankreich so recht eigentlich für sich gepachtet, die versteht er wie kein andrer Monarch in ganz Europa! Du darfst mir, weiß Gott! glauben, Ludwig ist der klügste von allen Fürsten, der je den Purpur trug! und doch habe ich ihn noch kaum ein einziges Mal auf seinen Schultern gesehen, so lange ich schon in seinem Dienste bin. Viel öfter aber habe ich ihn herumlaufen sehen in seinem Schlosse und seinem Lande in einer Kleidung, wie sie sich kaum für unsereinen schicken möchte!« – »Aber, Oheim,« wandte der Jüngling ein, »Ihr erwidert ja gar nichts auf meinen Einwand? wenn ich einmal in fremdem Lande dienen muß, so möchte ich es doch gern da tun, wo mir der größte Vorteil winkt, wo ich mich am ehesten und hervorragendsten auszeichnen könnte!« – »Das verstehe ich schon, lieber Neffe,« versetzte Balafré, »aber es fehlt Dir in solchen Dingen noch am richtigen Urteil. Der Burgunder Herzog ist ein Brausekopf, ein eisenfester Wagehals, der sich an der Spitze seiner Mannen selbst ins Gefecht stürzt, und wenn wir, Du oder ich, uns bei ihm befänden, meinst Du, wir könnten's dort weiter bringen, als er selber und alle seine Adelinge? wollten wir nicht gleichen Schritt mit ihnen halten, dann wäre doch sicher der Herr burgundische Generalprofoß nicht weit von uns, und täten wir's anderseits ihnen gleich, nun, dann wär's eben gut, und es hieße, wir hätten eben unsern Sold verdient. Höchstens hieße es einmal, wenn wir was ganz Besonderes verrichtet hätten, aus herzoglich burgundischem Munde: Ha! brav gemacht! sehr brav – gebt ihm einen Gulden, Seneschall, daß er mal auf unser Wohl einen guten Schluck trinken kann! Aber von Rang, Land oder Schätzen kommt in seinem Dienste an einen, der nicht Burgunder ist, kein Tüttelchen: das laß Dir gesagt sein, denn was der zu verschenken hat, kommt bloß an Landeskinder!« – »Dann sagt mir aber, Ohm,« erwiderte Quentin, »wohin soll ich mich um einen Dienst wenden?«

»Zu demjenigen Fürsten,« antwortete Balafré, »der die Landeskinder fein säuberlich zur Arbeit anhält und Schotten einstellt, sie und ihr Land zu schützen, und ihnen dafür keine andern Lasten aufbürdet, als für ihren Sold aufzukommen! ... Franzosen, sagt König Ludwig, eignen sich nun einmal nicht zur Kriegführung, das haben die Tage von Crécy und Azincourt bewiesen, und wer ihm was gegen seine Ansicht sagen will, dem kommt er gleich mit diesen beiden Schlachten entgegengerückt, die für die französischen Ritter in so großem Maße unglücklich verliefen. Na, siehst Du nun ein, lieber Neffe, wo unser Weizen blüht, und wo Du, wenn Du reich werden willst, schließlich noch die allerbesten, wenn nicht die einzigen Aussichten dazu hast?« – »Ich glaube, den Sinn Eurer Worte richtig zu erfassen, Oheim,« versetzte Quentin Durward, »aber mir scheint, viel Ehre ist bei diesem Könige denn doch nicht zu holen! denn ich sehe nicht ein, wo es bei ihm Gefahren gibt. Mir kommt der Dienst bei ihm, verzeiht mir den Ausdruck, Ohm, so recht vor wie ein Schlaraffendienst. Was hat denn ein alter Mann, dem doch niemand was zu leide tut, soviel Wachen vonnöten? wem kann denn was dran liegen, Sommer und Winter auf seinen Festungswerken herumzulungern oder in einem eisernen Käfige zu stecken? ist das etwa viel Ehre, unter dem ewigen Verdachte des Ausreißers zu stehen? Ich komme mir da wirklich nicht anders vor, wie ein Falke, der auf seiner Stange hocken muß, ohne nur ein einziges Mal auffliegen zu dürfen.«

»Na, das muß man sagen,« rief Balafré, »Mut und Feuer stecken in dem Jungen; es steckt was von Lesleyschem Geist in ihm; so war ich selber, und keinen Deut anders. Aber jetzt heißt meine Parole: Vivat König Ludwig! lang lebe der König von Frankreich! denn bei ihm vergeht fast kein Tag, an welchem es nicht einen Auftrag gibt, bei dessen Ausführung was für unsereinen kleben bleibt! Meine bloß nicht, als ob die schwierigsten Stückchen immer bei hellem Tage ausgeführt würden! ich könnte Dir manches erzählen, wie Schlösser gestürmt, Gefangene eingebracht wurden, und wo einer, wenn auch keinen großen Namen, so doch größere Gunst zu gewinnen vermag, als all die Wagehälse zusammengenommen im Dienste des wagehalsigen Herzogs von Burgund! und wenn es unserm Könige beliebt, sich im Hintergrunde aufzustellen und uns bei unserm Tun zu beobachten, so hat er doch ganz gewiß bessere Gelegenheit zu gerechtem Abwägen von jedes einzelnen Verdienste, als wenn er sich selbst mit in dem Kampfe getummelt hätte. Nein, nein! da hilft kein Redens! König Ludwig ist ein gar scharfblickender Herr! und ein politischer Herrscher, wie wir keinen andern haben neben ihm!«

Quentin Durward schwieg eine Weile, dann sagte er, minder laut als bisher, aber nicht minder ausdrucksvoll: »Der gute Pater Peter meinte hin und wieder zu mir, es sei freilich durch manche Tat, bei der nicht viel Ehre zu holen sei, mancherlei Vorteil zu gewinnen; und ich brauche Euch wohl nicht zu sagen, Oheim, daß meines Vermutens solche geheim erteilten und heimlich auszuführenden Aufträge nicht immer besonders ehrenvoll sein mögen.« – »Wofür, Neffe, hältst Du mich denn?« fragte Balafré finster; »ich bin allerdings in keinem Kloster erzogen worden, kann auch weder lesen noch schreiben; aber ich bin ein ehrlicher Lesley und bin der Bruder Deiner seligen Mutter. Meinst Du, ich wollte Dir etwa Unwürdiges aussinnen? Der beste Ritter Frankreichs, Guesclin selbst, könnte, wenn er noch am Leben wäre, stolz sein auf solche Taten, wie ich sie vollführt habe.« – Ihr seid der einzige Ratgeber, Oheim,« sagte Quentin Durward, »den mir ein unseliges Geschick aufbewahrt hat, und Zweifel in Eure Worte zu setzen, steht mir wahrhaftig nicht zu. Aber trifft es denn zu, was gerüchtweise verlautet, daß der König von Frankreich hier in Plessis solch dürftigen Hof halte? es soll keiner von seinen Edeln hier sein, keiner von seinen großen Vasallen und Hofleuten in seiner Nähe weilen, kein Kronbeamter zu seiner Verfügung sein? außer ein paar einsamen Ausflügen, an denen bloß die Leibdiener teilnehmen, außer ein paar geheimen Sitzungen, zu denen bloß geringe Personen zugezogen werden, wie beispielsweise sein Barbier, soll nichts hier vorgehen, was an eine königliche Hofführung erinnert? wenn sich das wirklich so verhält, dann scheint mir doch wenig von den Bräuchen und Sitten jenes edlen Königs Karl, seines Vaters, auf König Ludwig übergegangen zu sein, und dabei hatte doch bereits dieser das zur Hälfte von England eroberte Königreich wieder durch Krieg an sich gebracht!«

»Du schwatzest wie ein Kind,« erwiderte Balafré, »und leierst wie ein Kind die alten Noten auf neuen Saiten. Wenn König Ludwig seinen Barbier Oliver Dain zu Dingen braucht, die dieser besser versteht, als alle Pairs in seinem Lande, hat nicht dann sein Königreich den Gewinn davon? und wenn er seinem martialischen Generalprofossen Befehl gibt, den oder jenen aufrührerischen Bürger in Haft zu nehmen oder den oder jenen Edelmann beiseite zu schaffen, dann geschieht's doch eben ohne viel Federlesens. Aber nicht der Fall wäre es, wenn er solchen Auftrag einem Herzog oder Pair seines Landes erteilen wollte, da könnte er sich von hundert in neunzig Fällen darauf gefaßt machen, daß er den Auftrag mit einer Herausforderung zurückbekäme, auf die Ausführung aber fein säuberlich warten könnte. Oder spricht's etwa nicht von königlicher Weisheit, wenn Ludwig Balafré mit einem Auftrag bedacht wird, der beim Großconnetable vielleicht ganz und gar nicht in den richtigen Händen gewesen wäre? Ist solcher Monarch nicht gerade für Leute wie uns der richtige? ... Du kannst mir schon glauben, Neffe, König Ludwig versteht's, sich die rechten Leute für seine Befehle auszusuchen, und mißt, wie man wirklich sagen kann, jedem genau zu, was er tragen kann. Aber, höre! da schlägt die Glocke von Sankt Martins! die ruft mich zurück ins Schloß. So leb denn wohl und nimm Dich recht zusammen! sei um acht Uhr früh an der Zugbrücke und frage die Schildwache nach mir! aber sieh Dich vor, daß Du nicht vom richtigen Wege abgerätst, sobald Du Dich dem Portale näherst, denn es könnte Dich, wenn Du das außer acht läßt, leicht ein Glied von seinem Leibe kosten, und das büßt doch niemand gern ein! Ich sage Dir, Neffe, Du sollst den König Ludwig sehen, und sollst dann selbst über ihn urteilen. Na, und nun Adjes für heute!«

Mit diesen Worten eilte Ludwig Balafré hinweg und vergaß in der Eile, den Wein zu bezahlen, den er bestellt hatte. Bei Personen seines Kalibers ist solche Vergeßlichkeit keine Seltenheit, und der Wirt mochte sich vor dem wehenden Federbusch nicht getrauen, ihn aufmerksam zu machen. Von Quentin Durward hätte man nun, als er sich allein sah, erwarten können, daß er sich wieder in sein Turmzimmer begeben hätte, um den süßen Tönen weiter zu lauschen, die seine Morgenstunde so herrlich aufgeheitert hatten. Aber sein Oheim hatte ihn zu derb vor die Wirklichkeit gestellt, und so hatte er jetzt keinen Sinn mehr für Romantik, sondern unternahm einen Spaziergang an dem Ufer des wild strömenden Cher, hatte sich aber zuvor noch sorgsam erkundigt bei dem Herbergswirte, ob in dieser Gegend etwa auch Fußangeln gelegt seien, die zu besonderer Vorsicht nötigten. Der Wirt hatte ihm nach dieser Richtung hin die beruhigendsten Versicherungen geben können, und so suchte er nun am Ufer des wilden Flusses seine wirren Gedanken zu sammeln und Pläne für sein zukünftiges Leben zu schmieden, das ihm durch die Unterhaltung mit seinem Oheim nach mancher Seite hin zweifelhaft geworden war.


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