Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebzehntes Kapitel.

Als Quentin das Kloster verließ, konnte er noch sehen, wie eilig der Zigeuner davonlief, dessen dunkle Gestalt fern im Mondlichte zu sehen war. Wie ein gepeitschter Hund schoß er dahin durch die Gasse des kleinen Dorfes und über die Wiese, die dahinter lag. – »Mein Freund hat Eile,« sprach Quentin bei sich selbst, »aber er muß noch schneller rennen, wenn er dem schnellsten Fuße, der jemals Glenhulakins Heide betrat, entkommen will.« – Da der schottische Bergsohn zu gutem Glücke ohne Mantel und Rüstung war, konnte er ungehindert seinem Laufe eine Schnelligkeit geben, die selbst in seinen heimischen Tälern nicht ihresgleichen hatte, und mit der er den Zigeuner trotz seiner schnellen Flucht bald eingeholt haben würde. Er wurde dazu umsomehr bestimmt, je beharrlicher der Zigeuner bei seinem Laufe eine bestimmte Richtung verfolgte; und daß er diese auch dann nicht veränderte, als durchaus kein Grund zu weiterer Flucht mehr vorhanden war, schien anzudeuten, daß sein Lauf einen bestimmteren Zweck habe, als sich von jemand vermuten ließ, der, unerwartet aus einem guten Quartier vertrieben, um Mitternacht sich einen neuen Ruheplatz zu suchen hatte. Er sah sich kein einziges Mal um, so daß Durward ihm unbemerkt folgen konnte. Als er endlich die Wiese hinter sich hatte und an dem mit Erlen und Weiden bedeckten Ufer eines Baches angelangt war, sah ihn Quentin still stehen und hörte, wie er leise ins Horn stieß, worauf in einiger Entfernung ein Pfeifen ertönte.

»Das ist ein Stelldichein,« dachte Quentin; »aber wie soll ich nahe genug herankommen, um zu hören, was vorgeht? Aber beschleichen will ich sie, beim heiligen Andreas, als wenn sie Damhirsche wären – sie sollen erfahren, daß ich nicht umsonst die Weidmannskunst erlernt habe. Dort treffen sie zusammen – es sind ihrer zwei, ich sah es an den Schatten – zwei gegen einen – ich bin verloren, wenn ich entdeckt werde, falls ihre Absicht feindlicher Natur ist, was nicht zu bezweifeln steht. Dann aber verliert die Gräfin Isabelle ihren armen Freund! aber hab ich nicht mein Schwert gegen Dunois, den besten Ritter Frankreichs, versucht, und sollte mich vor solchem Landstreichergesindel fürchten? – Pah – Mit Gott und dem heiligen Andreas – sie sollen mich tapfer, aber auch vorsichtig finden.«

Mit diesem Entschlusse und einer Behutsamkeit, die ihn sein Jagdleben gelehrt hatte, stieg unser Freund in das Bett des Baches hinab, dessen Wasser ihm bald bloß den Fuß bedeckte, bald bis an seine Knie reichte. So schlich er den Bach unbemerkt hinab, da seine Gestalt durch das überhängende Gesträuch gedeckt war und seine Tritte wegen des rauschenden Wassers nicht gehört werden konnten. Auf diese Weise war der junge Schotte unbemerkt so nahe gekommen, daß er die Stimmen derer, die er belauschen wollte, deutlich vernehmen konnte, ohne indes ihre Worte verstehen zu können. Er schwang sich behutsam auf den Stamm einer Trauerweide und konnte von diesem Platze aus, ziemlich sicher vor einer Entdeckung, bemerken, daß die Person, mit der sich Hayraddin unterhielt, ein Mann von gleichem Stamme war, wie dieser, ward aber zu gleicher Zeit zu seinem Verdrusse gewahr, daß sie ihr Gespräch in einer ihm völlig unbekannten Sprache führten. Plötzlich ließ sich in der Ferne ein abermaliges Pfeifen vernehmen, das Hayraddin wiederum mit ein paar gedämpften Stößen in sein Horn beantwortete. Gleich darauf erschien ein großer, starker Mann von kriegerischem Wesen, dessen stämmige, muskulöse Gestalt gegen die kleinen, zartgebauten Zigeuner einen starken Kontrast bildete. An einem über seine Schulter hängenden Wehrgehänge trug er ein Schwert, das beinahe quer über seinen ganzen Körper reichte; seine Beinkleider hatten viele Schlitze, in denen Seidenzeug von verschiedenen Farben puffenartig angebracht war; sie waren an das knappe büffellederne Wams, auf dessen rechtem Aermel er einen silbernen Eberkopf, das Wappen seines Anführers, trug, mit mehr denn fünfhundert Bandschleifen gebunden. Ein kleiner Hut saß ihm schelmisch auf dem Kopfe, von dem eine Fülle krauser Haare an dem breiten Gesichte herabfloß, um sich mit einem ebenso breiten, etwa vier Zoll langen Barte zu vermischen. Er hielt eine Lanze in der Hand; und seine ganze Ausstaffierung kündigte einen jener deutschen Abenteurer an, die, unter dem Namen Lanzknechte bekannt, einen furchtbaren Teil des Fußvolks der damaligen Zeit bildeten. Diese Söldlinge waren ein übermütiges, raublustiges Soldatenkorps; und da unter ihnen die Sage ging, daß ein Lanzknecht wegen seiner Frevel und Verbrechen nicht in den Himmel, und wegen seines Hanges zu Händeln, Meuterei und Zügellosigkeit nicht in der Hölle zugelassen werde, so handelten sie auch ganz so, als ob sie weder jenen suchten, noch diesen fürchteten.

»Donner und Blitz!« war seine erste Begrüßung, in einer Art von deutsch-französischem Kauderwelsch, das sich nicht wohl nachahmen läßt, »warum habt Ihr mich diese drei Nächte vergebens warten lassen?« – »Ich konnte Euch nicht eher sehen, mein Herr,« antwortete Hayraddin sehr demütig; »da ist ein junger Schotte, der hat ein Auge auf mich, wie eine wilde Katze, und belauert meine kleinsten Bewegungen. Er hat bereits Verdacht, und sollte er diesen bestätigt finden, ich wäre auf der Stelle ein Mann des Todes, und er führte die Weiber wieder nach Frankreich zurück.« – »Was, Henker!« sagte der Lanzknecht, »wir sind unserer drei, – wir greifen sie morgen an und entführen die Weiber, ohne ihnen länger zu folgen. Ihr sagtet, die zwei Diener wären Memmen – die könnt Ihr und Euer Kamerad schon auf Euch nehmen, und der Teufel soll mich holen, wenn ich nicht mit Eurer schottischen Wildkatze fertig werde.« – »Da werdet Ihr ein hartes Stück Arbeit finden,« versetzte Hayraddin; »denn abgesehen davon, daß wir uns eben nicht zum besten aufs Fechten verstehen, hat dieser Fant sich mit dem besten Ritter Frankreichs gemessen und ist mit Ehren davon gekommen – ich habe Leute gesehen, die Augenzeugen waren, wie er dem Dunois hitzig zu Leibe ging.« – »Hagel und Wetter! Eure Feigheit spricht aus Euch,« versetzte der andere; »aber fechten ist einmal nicht meine Sache. – Wenn Ihr Euch da einstellt, wo es verabredet ist, so ist es gut; wo nicht, geleite ich sie sicher in den Palast des Bischofs, und wenn Wilhelm von der Mark nur halb so stark ist, als er vor einer Woche noch zu sein behauptete, so mag er sich ihrer dort mit Leichtigkeit bemächtigen.« – »Potz tausend!« sagte der Soldat, »wir sind so stark und noch stärker; aber wir hören von hundert Lanzen aus Burgund – das macht – seht Ihr – fünf Mann auf die Lanze, fünfhundert Mann, und dann, hol mich der Teufel, tun sie besser daran, uns aufzusuchen, als wir sie; denn der Bischof hat selbst eine hübsche Mannschaft auf den Beinen – – ja, wahrhaftig!« – »Es muß also beim Hinterhalte am Kreuze der drei Könige bleiben, oder Ihr müßt das Abenteuer ganz aufgeben,« sprach der Zigeuner. – »Aufgeben – das Abenteuer mit der reichen Braut für unseren edlen Hauptmann aufgeben – Teufel! ich wollte es eher mit der Hölle selbst aufnehmen! Meiner Seel! wir werden alle noch Prinzen und Herzöge, die man hier Ducs nennt! da gibt's genug Schnaps im Keller, und alte französische Kronentaler die schwere Menge und schmucke Dingerchen noch obendrein, wenn der mit dem Barte ihrer überdrüssig ist.« – »Es bleibt also beim Hinterhalt am Kreuze der drei Könige?« sagte der Zigeuner. – »Mein Gott, ja doch! Ihr schwört mir, sie dahin zu bringen; wenn sie dann auf den Knien vor dem Kreuze liegen, und von den Pferden runter sind, wie alle Leute tun, außer schwarzen Heiden, – dann über sie her, und sie sind unser.« – »Ja; aber ich versprach diesen Streich notwendiger Schurkerei bloß unter einer Bedingung,« sagte Hayraddin. »Dem jungen Manne darf kein Haar gekrümmt werden. Wenn Ihr mir dies bei Euern drei toten Männern zu Köln schwört, so schwör ich Euch bei den sieben nächtlichen Wanderern, daß ich Euch im übrigen treulich dienen will. Brecht Ihr diesen Eidschwur, so sollen die sieben nächtlichen Wanderer Euch sieben Nächte lang zwischen Nacht und Morgen aus dem Schlafe wecken, und in der achten erwürgen und verschlingen.« – »Aber Donner und Hagel, was liegt Dir denn soviel an dem Leben dieses Burschen, der doch weder Dein Verwandter noch von seinem Stamme ist?« fragte der Deutsche. – »Tut nichts, ehrlicher Heinrich; manche Leute finden Vergnügen daran, Hälse abzuschneiden und andern sie sitzen zu lassen. – So schwöre mir denn, ihm kein Leid zu tun, weder am Leben noch an Gliedern, oder – bei dem glänzenden Stern Aldeboran, es soll weiter nichts in dieser Sache geschehen. – Schwöre bei den drei Königen von Köln, wie Du sie nennst. – Ich weiß schon, aus einem andern Schwure machst Du Dir nichts.« – »Du bist ein komischer Kerl,« sagte der Lanzknecht, »so schwör ich denn.« – »So nicht,« fiel der Zigeuner ein – »den Kopf herum, braver Lanzknecht, und nach Osten geschaut! Sonst möchten Dich die Könige nicht hören.«

Der Soldat leistete den Eid auf die vorgeschriebene Weise und erklärte dann, daß er zur Hand sein wolle, wobei er bemerkte, der Ort sei gut gelegen, da er kaum fünf Meilen von ihrem jetzigen Lager entfernt sei. »Aber wäre es nicht sicherer, ein Fähnlein auf der andern Landstraße links vom Wirtshause aufzustellen, für den Fall, daß sie jenen Weg nehmen sollten?«

Der Zigeuner besann sich einen Augenblick und erwiderte dann: »Nein – die Erscheinung dieser Truppen könnte die Besatzung von Namur in Alarm bringen und dann würde es ein zweifelhaftes Gefecht statt eines sicheren Erfolges geben. Ueberdies sollen sie auf dem rechten Ufer der Maas hinziehen; und ich kann sie führen, welchen Weg ich will; so pfiffig auch sonst dieser Bergschotte ist, so hat er doch über den Weg noch niemand außer mir gefragt. Ohne Zweifel ward ich ihm von meinem zuverlässigen Freund empfohlen, dessen Worten niemand mißtraut, bis man ihn ein wenig näher kennen lernt.«

»Hört, Freund Hayraddin,« sagte der Soldat, »ich wollt Euch noch etwas fragen. Ihr und Euer Bruder gebt Euch für große Sterndeuter und Geisterseher aus. – Wie, zum Henker, kam es denn, daß Ihr nicht voraussähet, daß er gehangen werden würde?« – »Das will ich Euch gleich sagen, Heinrich,« versetzte Hayraddin; »wenn ich gewußt hätte, daß mein Bruder ein solcher Tor sein würde, Ludwigs Anschläge dem Herzoge von Burgund zu verraten, so hätte ich ihm seinen Tod ebenso gewiß vorhersagen können als schönes Wetter im Monat Juli. Ludwig hat Ohren und Hände am Hofe von Burgund, und Karls Räte lieben den Klang des französischen Goldes ebenso sehr, wie Du das Geklapper der Weinflaschen. – Nun aber lebe wohl, und sei pünktlich zur Stelle. – Ich muß meinen frühwachen Schotten einen Bogenschuß weit außerhalb des Eingangs zu der Höhle des faulen Schweins dort erwarten, sonst würde er mich im Verdacht haben, daß ich auf einer Streiferei begriffen sei, die dem Erfolge seiner Reife eben nicht besonderes Glück weissage.« – »Erst einen Trunk zur Herzensstärkung,« fügte der Lanzknecht, ihm eine Flasche hinhaltend, »doch ich vergesse, daß Du dumm genug bist, nichts als Wasser zu trinken, wie alle die elenden Sklaven von Mohammed und Termagaunt.« – »Du selbst bist ein Sklave der Weinkanne,« entgegnete der Zigeuner, »ich wundere mich nicht, daß man Dir das gewaltsame, blutige Geschäft der Ausführung dessen überträgt, was bessere Köpfe ausgedacht haben. Wer die Gedanken anderer erraten und die seinigen verbergen will, darf keinen Wein trinken. Doch warum predige ich Dir, der ja einen ewigen Durst hat, wie die Sandhügel Arabiens? – Leb denn wohl! – Nimm meinen Kameraden Tuisko mit Dir! seine Erscheinung in der Nähe des Klosters könnte Verdacht erregen.«

Die zwei Ehrenmänner trennten sich nun, nachdem sie sich gegenseitig nochmals angelobt hatten, bei dem Stelldichein am Kreuze der drei Könige sich pünktlich einzufinden.

Quentin wartete, bis sie ihm aus dem Gesichte waren, und stieg dann aus seinem Verstecke herab, indem ihm das Herz bei dem Gedanken schlug, daß er und seine schöne Schutzbefohlene mit genauer Not einem so tief angelegten Plane von Schurkerei entgangen wären, wenn dies ihnen andern noch gelingen sollte. Da er fürchtete, bei seiner Rückkehr nach dem Kloster auf Hayraddin zu stoßen, so machte er einen langen Umweg auf rauhen Pfaden und gelangte auf einer ganz andern Seite wieder an das Kloster. Unterwegs ging er ernstlich mit sich zu Rate, was nun für ihn am klügsten und sichersten wäre. Als er zuerst Hayraddin seine Verräterei gestehen hörte, hatte er den Entschluß gefaßt, ihn, sobald die Unterredung beendigt wäre und seine Gefährten sich entfernt hatten, zu töten; da der Zigeuner aber sich so sehr für die Rettung seines Lebens bemühte, fühlte er, daß es ihm schwer werden würde, die Strafe, die seine Verräterei verdient hatte, in ihrer ganzen Strenge an ihm zu vollziehen. Er beschloß deshalb, sein Leben zu schonen und sich, soviel wie möglich, noch seiner Dienste als Wegweiser zu bedienen, jedoch mit Beobachtung aller Vorsichtsmaßregeln, damit die Sicherheit seiner ihm so teuren Schützlinge, deren Erhaltung er sein ganzes Leben zu widmen bereit war, nicht gefährdet werde. Aber wohin sollten sie sich wenden? – Die Gräfinnen konnten weder Zuflucht hoffen in Burgund, aus dem sie geflohen, noch in Frankreich, aus dem sie gewissermaßen verstoßen waren. Die Heftigkeit des Herzogs Karl in dem einen Lande war kaum mehr zu fürchten als die kalte, tyrannische Politik König Ludwigs in dem andern. Nach reiflichem Hin- und Herdenken konnte Durward keinen besseren und sicherern Plan für ihre Rettung finden, als mit Umgehung des Hinterhalts den Weg nach Lüttich am linken Ufer der Maas einzuschlagen und sich, wie es die Damen anfänglich beabsichtigt hatten, unter den Schutz des Bischofs von Lüttich zu begeben.

Das Ergebnis aller dieser Betrachtungen Quentins, die, wie gewöhnlich, nicht ohne einige Beziehung auf selbstsüchtige Zwecke blieben, war, daß er, den Ludwig kaltblütig dem Tode oder der Gefangenschaft preisgegeben hatte, dadurch aller Verbindlichkeiten gegen die Krone von Frankreich enthoben sei, weswegen er sich auch gänzlich von demselben lossagen wolle. Der Bischof von Lüttich, so beschloß er, brauche doch auch Soldaten, und durch die Verwendung seiner schönen Freundinnen, die ihn, besonders die ältere Gräfin, mit vieler Vertraulichkeit behandelten, könne er vielleicht eine Befehlshaberstelle oder wohl gar den Auftrag erhalten, die Gräfinnen von Croye an irgend einen sichereren Ort zu bringen, als es die Nachbarschaft von Lüttich war. Endlich hatten die Damen, wenngleich fast nur im Scherz, davon gesprochen, der Gräfin Vasallen aufzubieten und, wie andere in jenen stürmischen Zeiten taten, ihr Schloß dergestalt in Verteidigungszustand zu setzen, daß er jedem Angriffe trotzen konnte; sie hatten im Scherz Quentin gefragt, ob er das gefährliche Amt ihres Seneschalls übernehmen wolle, und als er es mit Freudigkeit und Eifer zusagte, in derselben Stimmung ihm erlaubt, ihnen für die Ernennung zu dieser, großes Vertrauen voraussetzenden, ehrenvollen Anstellung die Hand zu küssen. Ja er glaubte sogar bemerkt zu haben, daß die Hand der Gräfin Isabelle, eine der wohlgebildetsten und schönsten, die je von einem Vasallen geküßt ward, ein wenig zitterte, als seine Lippen einen Augenblick länger auf ihr verweilten, als die Zeremonie es sonst zu erfordern schien, und daß, als sie solche zurückzog, auf ihren Wangen und in ihren Augen einige Verwirrung sichtbar ward. Etwas konnte aus dem allen doch hervorgehen; und welcher brave Mann in Quentins Alter hätte nicht gerne bei den Gedanken, die dadurch erweckt wurden, verweilen und dadurch zu Betrachtungen veranlaßt werden sollen, die auf seine Handlungen einen bestimmten Einfluß äußern mußten?

Nachdem er über diesen Punkt ins reine gekommen war, hatte er zu überlegen, inwieweit er von der ferneren Führung des treulosen Zigeuners Gebrauch machen sollte. Er war von seinem ersten Gedanken, ihn in dem Walde zu töten, zurückgekommen; nahm er aber einen andern Führer, und ließ er diesen leben, so würde er dadurch den Verräter in Wilhelm von der Marks Lager gesandt und diesen von allen ihren Bewegungen in Kenntnis gesetzt haben. Er dachte auch daran, den Prior in sein Geheimnis zu ziehen und ihn zu ersuchen, den Zigeuner mit Gewalt solange festzuhalten, bis sie Zeit gewonnen hätten, das Schloß des Bischofs zu erreichen. Allein bei reiflichem Nachdenken wagte er es nicht, ihm einen solchen Vorschlag zu machen; denn er war ein furchtsamer alter Mann und ein Mönch dazu, für den die Erhaltung und Sicherheit seines Klosters die wichtigste Pflicht sein mußte, und der schon bei dem bloßen Namen des Ebers der Ardennen zitterte. Endlich entwarf Durward einen Operationsplan, auf dessen Gelingen er besser rechnen durfte, da die Ausführung einzig nur von ihm selbst abhing; und im gegenwärtigen Falle fühlte er sich zu allem fähig; und gerade als er mit diesem Manne im reinen war, erreichte er das Kloster.

Auf ein leises Klopfen am Tore wurde ihm durch einen Bruder, den der Prior ausdrücklich dahin gestellt hatte, das Tor geöffnet und zugleich gemeldet, daß sich die Brüder sämtlich bis zu Tagesanbruch im Chore befänden, um den Himmel anzuflehen, daß er der Brüderschaft die mancherlei Aergernisse vergeben möchte, die an diesem Abend in ihrer Mitte stattgefunden hätten. Der ehrwürdige Bruder erteilte Quentin die Erlaubnis, an ihrer Andacht teilzunehmen; aber seine Kleider waren so durchnäßt, daß er diese Einladung ablehnen und um die Erlaubnis bitten mußte, sich an das Küchenfeuer niederzusetzen. Es war ihm besonders daran gelegen, daß der Zigeuner, wenn sie wieder mit ihm zusammenträfen, keine Spuren von seiner nächtlichen Streiferei an ihm entdeckte. Der Klosterbruder gestattete ihm nicht nur sein Gesuch, sondern leistete ihm sogar Gesellschaft, was denn auch Quentin sehr erwünscht war, da er über die zwei Straßen, deren der Zigeuner in seinem Gespräch mit dem Lanzknechte erwähnt hatte, gern genauere Auskunft erhalten hätte. Der Mönch, dem oft Geschäfte außerhalb des Klosters aufgetragen wurden, konnte ihm die gewünschte Auskunft geben; doch machte er ihm bemerklich, daß die Damen, die Durward geleitete, als echte Pilgrime verpflichtet wären, ihren Weg nach dem rechten Ufer der Maas, bei dem Kreuze der drei Könige vorbei, zu nehmen, wo die gebenedeiten Reliquien Kaspars, Melchiors und Balthasars (wie die katholische Kirche die drei Weisen nennt, die mit ihren Gaben aus dem Morgenlande nach Bethlehem kamen) viele Wunder getan hätten.

Quentin erwiderte, die Damen wären entschlossen, alle diese heiligen Andachtsorte mit der größten Pünktlichkeit zu besuchen, und würden unfehlbar entweder auf ihrer Hinreise nach Köln oder, von da zurückkehrend, an dem Kreuze ihre Andacht verrichten, allein sie hätten in Erfahrung gebracht, daß die Straße auf dem rechten Ufer des Flusses gegenwärtig durch die Soldaten des wilden Wilhelm von der Mark unsicher gemacht würde.

»Möge der Himmel verhüten,« sprach Vater Franziskus, »daß der wilde Eber der Ardennen wieder so nahe bei uns sein Lager nimmt! – Indessen wird die breite Maas in diesem Falle zwischen ihm und uns eine gute Scheidewand bilden.«

»Aber zwischen meinen Damen und diesem Räuber bildet sie keine Scheidewand, wenn wir über den Fluß gehen und auf dem rechten Ufer desselben unsere Reise fortsetzen,« sagte der Schotte.

»Der Himmel wird die Seinen schützen, junger Mann,« versetzte der Bruder; »denn es ist kaum zu glauben, daß die Könige dort in der gebenedeiten Stadt Köln, die nicht einmal gestatten, daß ein Jude oder Ungläubiger die Ringmauern ihrer Stadt betritt, es zulassen sollten, daß ihre Verbrecher, die als treue Pilger zu ihrem Schreine kommen, von einem solchen ungläubigen Hunde, wie diesem Eber der Ardennen, geplündert und mißhandelt werden.«

So sehr auch Quentin, als guter Katholik, auf den besonderen Schutz Melchiors, Kaspars und Balthasars vertrauen mochte, so hielt er es doch für klüger, die Damen so schnell als möglich aus jeder Gefahr zu bringen. In der Einfalt seines Glaubens gelobte er selbst eine Pilgerschaft zu den drei Königen von Köln, wenn diese vernünftigen, königlichen und heiligen Personen seine Schützlinge das ersehnte Ziel sicher erreichen ließen. Um jedoch diese Verpflichtung mit aller Feierlichkeit zu übernehmen, ersuchte er den Klosterbruder, ihn in eine der verschiedenen Kapellen zu weisen, in welche man von dem Hauptgebäude der Klosterkirche trat, und wo er auf seinen Knien mit inbrünstiger Andacht das Gelübde bekräftigte, das er in seinem Innern getan hatte. Daß der Gegenstand der Andacht Quentins nicht der rechte war, war nicht seine Schuld; und da ihr Zweck rein und lauter gewesen, so läßt sich wohl annehmen, daß sie der Gottheit wohlgefällig war, der die aufrichtige Andacht eines Heiden lieber ist, als die scheinheilige Heuchelei des Pharisäers.

Nachdem Quentin sich und seine hülflosen Gefährtinnen dem Schutze der Heiligen und dem Beistande der Vorsehung anbefohlen hatte, begab er sich endlich zur Ruhe und verließ den Klosterbruder, sehr erbaut durch die Inbrunst und Aufrichtigkeit seiner Andacht.


 << zurück weiter >>