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Elftes Kapitel.

Mit einer Geduld, welche die meisten andern Fürsten unter ihrer Würde gehalten hätten, und nicht ohne im stillen sich daran zu weiden, erwartete Frankreichs Monarch, bis sein Leibgardist seine starke jugendliche Eßlust befriedigt hatte. Man darf jedoch voraussehen, daß Quentin Verstand und Einsicht genug besaß, die königliche Geduld auf keine zu lange und ermüdende Probe zu stellen; er wollte auch wirklich zu mehreren Malen seine Mahlzeit beschließen, ehe Ludwig es ihm gestattete. »Ich lese in Deinen Augen,« sagte er, »daß Dein Mut noch nicht zur Hälfte gebrochen ist. Vorwärts – bei Gott und dem heiligen Denis! – noch einmal angegriffen! Ich sage Dir, Essen und Messe« (hier bekreuzte er sich) »sind noch nie einem guten Christen bei seinem Berufe hinderlich gewesen. Vergiß auch das Trinken nicht, aber sei vorsichtig mit der Weinflasche – das ist ein Fehler Deiner Landsleute und der Engländer, die, diese Schwachheit abgerechnet, die besten Soldaten sind, die je eine Rüstung trugen. Und nun wasche Dich schnell – vergiß nicht Dein Benedicite, und folge mir.«

Quentin gehorchte und folgte dem Könige durch verschiedene labyrinthartige Gänge in die Rolandshalle.

»Merke Dir's,« sprach der König in einem gebieterischen Tone, »Du hast diesen Posten nicht zu verlassen! Laß dies Deine Antwort an Deinen Oheim und Deine Kameraden sein, – und um Dir dies recht ins Gedächtnis zu prägen, gebe ich Dir diese goldene Kette« (er warf ihm eine solche von bedeutendem Werte über den Arm). »Wenn ich mich auch selbst nicht schmücke, so haben doch die, denen ich vertraue, die Mittel, es mit den Besten aufzunehmen. Sollten aber dergleichen Ketten eine schwatzhafte Zunge zu fesseln imstande sein, so hat mein Gevatter Tristan ein Amulett für die Kehle, ein Heilmittel, das seine Wirkung nie verfehlt. Nun höre weiter! – Kein Mann, außer Oliver oder mir selbst, betritt diesen Abend dies Gemach; aber Damen werden entweder von dem einen oder dem andern Ende der Galerie, vielleicht von beiden, hierherkommen. Wenn sie Dich anreden, kannst Du antworten; da Du aber Dienst hast, so müssen Deine Antworten kurz sein; Du selbst darfst sie nichts fragen, noch Dich in ein längeres Gespräch mit ihnen einlassen. Aber horche auf das, was sie sagen. Deine Ohren, sowie Deine Arme gehören mir jetzt an, – ich habe Dich mit Leib und Seele erkauft. Hörst Du etwas von einem Gespräch, so mußt Du es im Gedächtnis behalten, bis es mir mitgeteilt worden, und dann vergessen. Doch jetzt fällt mir etwas Besseres ein! Es wird am klügsten sein, Du stehst für einen schottischen Rekruten, der gerade vom Gebirge kommt, und unsere allerchristliche Sprache noch nicht versteht. – Recht so! wenn sie Dich dann anreden, so antwortest Du nicht; das überhebt Dich so aller Verlegenheit und veranlaßt sie, ohne Rücksicht auf Deine Gegenwart, sich miteinander zu unterhalten. Du verstehst mich, leb wohl. Sei klug, und Du hast einen Freund.«

Der König hatte kaum ausgesprochen, als er hinter den Tapeten verschwunden war, Quentin seinen Gedanken über das Geschehene und Gehörte überlassend. Der Jüngling war in einer von jener Lagen, in welcher man lieber vorwärts als rückwärts schaut; denn der Gedanke, daß er gleich einem Schützen, der im Dickicht dem Hirsch auflauert, aufgestellt gewesen war, um im Notfall dem Grafen Crevecoeur das Leben zu nehmen, hatte eben nicht viel Ehrenvolles in seinen Augen. Des Königs Maßregel war allerdings nur zur Vorsicht und Verteidigung genommen, aber wer stand ihm dafür, daß er nicht im nächsten Augenblick Befehl erhielt, sich über einen seiner Mitmenschen herzumachen? Er kehrte jedoch seine Gedanken von diesem Gegenstande mit dem weisen Troste ab, zu dem so oft die Jugend bei drohenden Gefahren ihre Zuflucht nimmt, daß es noch Zeit sei, zu bedenken, was zu tun wäre, wenn der Fall wirklich einträte, und daß da jeder Tag seine eigne Plage habe.

Quentin überließ sich dieser beruhigenden Betrachtung um so lieber, als ihn die letzten Befehle des Königs an etwas Angenehmeres als seine eigene Lage denken ließ. Die Dame mit der Laute war sicherlich eine von denen, welchen seine Aufmerksamkeit gewidmet sein sollte; und er nahm sich im Geiste vor, dem einen Teile des königlichen Befehls aufs genaueste nachzukommen, auf jedes Wort nämlich, das über ihre Lippen käme, zu lauschen, damit er sich überzeugen könne, ob der Zauber ihrer Unterhaltung dem ihrer Musik gleich käme. Allein ebenso aufrichtig gelobte er sich auch, daß kein Teil ihrer Rede dem Monarchen hinterbracht werden sollte. Indessen war nicht mehr zu besorgen, daß er auf seinem Posten einschlummern würde. Jede Zugluft, die durch das offene Gitterfenster strich und die alte Tapete bewegte, klang ihm wie die Annäherung des schönen Gegenstandes seiner Erwartung. Kurz, er fühlte all die geheimnisvolle Unruhe, die sehnsuchtsvolle Ungeduld, die stets die Begleiterin der Liebe ist und zuweilen großen Anteil an ihrem Entstehen hat.

Endlich knarrte und pfiff eine Tür (denn damals drehten sich selbst in den Palästen die Türen nicht so geräuschlos, wie heutzutage), aber leider nicht von der Seite, von welcher die Laute gehört worden war. Sie öffnete sich und herein trat eine weibliche Gestalt, begleitet von zwei andern, welchen sie ein Zeichen gab, zurückzubleiben, während sie selbst weiter vor in die Halle trat. An dem wankenden, ungleichen Gang, durch den sie sich nicht zum besten ausnahm, als sie durch die lange Galerie hinschritt, erkannte Quentin sogleich die Prinzessin Johanna, und mit der ihrem Stande ziemenden Ehrfurcht stellte er sich in Positur und senkte, salutierend, sein Gewehr. Sie dankte für diese Höflichkeit durch ein huldvolles Kopfnicken, und er bekam Gelegenheit, ihr Gesicht genauer zu betrachten, als er es diesen Morgen vermocht hatte.

Es lag wenig in den Zügen dieser unglücklichen Prinzessin, das für die Mängel in Gestalt und Gang hätte entschädigen können. Ihr Gesicht war an und für sich nicht unangenehm, ermangelte aber eigentlicher Schönheit, und ein sanfter Ausdruck leidender Hingebung lag in den großen, blauen Augen, die sie gewöhnlich auf den Boden heftete. Allein außerdem hatte sie eine äußerst blasse Gesichtsfarbe, ihre Haut war von kränklichem Gelb; und obgleich ihre Zähne weiß und regelmäßig waren, so waren ihre Lippen schmal und blaß. Die Prinzessin hatte eine Fülle blonden Haars, aber von so lichter Farbe, daß es beinahe ins Bläuliche spielte; und ihre Kammerfrau, die die reichen Flechten wahrscheinlich als eine Schönheit betrachtete, hatte die Sache eben nicht dadurch besser gemacht, daß sie dieselben rund um ihr blasses Gesicht in Locken ordnete, so daß sie ihm einen beinahe geisterhaften Ausdruck gaben, Um das Ganze noch schlimmer zu machen, hatte sie ein blaßgrünes, seidenes Kleid gewählt, wodurch sie im ganzen ein unheimliches und gespensterhaftes Ansehen erhielt.

Während Quentin diese sonderbare Erscheinung mit Augen verfolgte, in denen eine Mischung von Neugier und Mitleid lag, denn jeder Blick und jede Bewegung der Prinzessin schien letztere Empfindung hervorzurufen, traten von dem obern Ende des Gemaches zwei Damen ein.

Die eine von diesen war die junge Dame, die ihn auf Ludwigs Geheiß mit Früchten bedient hatte, als Quentin sein merkwürdiges Frühstück im Gasthof »zur Lilie« einnahm. Angetan mit all der geheimnisvollen Würde, die der Nymphe vom Schleier und von der Laute gebührte, und überdies, wenigstens Quentins Ueberzeugung nach, nunmehrige hochgeborene Erbin einer reichen Grafschaft, machte sie durch ihre Schönheit einen zehnmal tieferen Eindruck auf ihn denn damals, als er in ihr noch die Tochter eines elenden Dorfwirts und die Aufwärterin eines reichen und launenvollen Bürgers erblickte. Er wunderte sich nun, durch welch einen Zauber ihm ihr wahrer Stand habe verborgen bleiben können. Ihr Anzug war beinahe so einfach, wie früher, und bestand in einem Kleide tiefer Trauer ohne allen weiteren Schmuck.

Als Kopfputz diente ihr bloß ein Kreppschleier, ganz nach hinten zurückgeschlagen, so daß man ihr Gesicht vollständig sehen konnte, und einzig die Kenntnis ihres eigentlichen Ranges war es, die Quentin in ihrer Gestalt neue Zierlichkeit, in ihrem Gange eine vorher unbeachtete Würde erblicken ließ, sowie er in der Regelmäßigkeit ihrer Züge, ihrer blendenden Gesichtsfarbe, in ihren bezaubernden Augen ein Bewußtsein eignen Adels fand, das ihre Schönheit noch zu erhöhen schien.

Und hätte Todesstrafe darauf gestanden, so hätte Durward dieser Schönheit und ihrer Begleiterin dieselbe Ehrenbezeugung erweisen müssen, die er der königlichen Prinzessin dargebracht hatte. Sie nahmen sie mit einer Miene an, als wären sie an die Unterwürfigkeit geringerer Leute gewöhnt, und erwiderten sie mit Artigkeit; allein er glaubte zu bemerken, – vielleicht nur mit den Augen verliebter Jugend – daß die Dame leicht errötete, die Augen zu Boden schlug und unmerklich verlegen ward, als sie seine kriegerische Begrüßung erwiderte. Dies konnte nur darin seinen Grund haben, daß sie sich des vermessenen Fremdlings in dem benachbarten Türmchen in dem Gasthofe »zur Lilie« erinnerte; aber drückte diese Verlegenheit nicht Mißfallen aus? Diese Frage vermochte er sich nicht zu beantworten.

Die Begleiterin der jungen Gräfin, ebenso einfach und gleich dieser in tiefe Trauer gekleidet, stand in dem Alter, in welchem die Frauen noch am meisten den Ruf einer Schönheit zu erhalten suchen, mit der es schon seit Jahren auf die Neige geht. Indessen waren immer noch Reste genug vorhanden, um zu zeigen, wie groß die Macht ihrer Reize einst gewesen sein mußte, und deutlich sah man aus der Art ihres Benehmens, daß sie, früherer Triumphe sich erinnernd, immer noch ihre Ansprüche auf künftige Eroberungen geltend zu machen suchte. Sie war schlank und anmutsvoll, obgleich etwas stolz in ihrem Benehmen, und erwiderte Quentins Gruß mit einem Lächeln gnädiger Herablassung, wobei sie im nächsten Momente ihrer Nachbarin etwas ins Ohr flüsterte. Darauf wandte diese sich gegen den Krieger, als ob es auf eine Weisung der älteren Dame geschähe, jedoch ihr antwortete, ohne ihre Augen aufzuschlagen. Quentin konnte nicht umhin, zu vermuten, daß diese der jungen Dame zugeflüsterte Bemerkung sich auf sein gutes Aeußere bezöge; und er war (ich weiß nicht, warum) entzückt bei dem Gedanken, daß die fragliche Partei nicht für nötig fand, ihn nochmals anzuschauen, um sich von der Wahrheit der gemachten Bemerkung zu überzeugen. Wahrscheinlich dachte er, daß sich zwischen ihnen bereits eine Art geheimnisvollen Wechselgefühls, das der unbedeutendsten Kleinigkeit Gewicht verlieh, auszubilden beginne.

Diese Bemerkung war indessen das Werk eines Augenblicks; denn seine Aufmerksamkeit wurde sogleich von dem Zusammentreffen der Prinzessin mit diesen fremden Damen in Anspruch genommen. Sie war bei ihrem Eintreten stehen geblieben, um sie zu empfangen, vielleicht weil sie wußte, daß ihre Haltung im Gehen ihr nicht vorteilhaft anstehe. Da sie etwas Verlegenheit zeigte in der Art, wie sie den Gruß der Damen empfing und erwiderte, so veranlaßte dies die ältere Fremde, die den Rang derjenigen, an die sie sich wandte, nicht kannte, sie so zu begrüßen, als ob sie durch diese Unterredung mehr Ehre erzeigte, als empfinge.

»Es freut mich,« sprach sie mit einem Lächeln, das zugleich Herablassung und Ermutigung ausdrücken sollte, »daß es uns endlich vergönnt ist, die Gesellschaft einer so achtbaren Person, wie Ihr zu sein scheint, genießen zu dürfen. Ich muß sagen, daß meine Nichte und ich eben nicht viel Ursache haben, dem Könige Ludwig für seine Gastfreundschaft vielen Dank zu wissen. Ei, Nichte, so zupft mich nur nicht am Aermel! – Ich bin gewiß, – ich lese in den Augen dieser Dame Mitgefühl für unsere Lage. Seitdem wir hierher gekommen, schöne Dame, wurden wir um weniges besser, denn als Gefangene behandelt, und nach tausend Aufforderungen, unsere Sache und unsere Personen unter den Schutz Frankreichs zu stellen, hat uns der allerchristliche König eine elende Dorfschenke zu unserem Aufenthalt, und nun einen Winkel seines verwitterten Palastes angewiesen, aus dem wir erst gegen Sonnenuntergang hervorkriechen dürfen, als ob wir Fledermäuse oder Eulen wären, deren Erscheinung beim Tageslicht für eine üble Vorbedeutung gehalten wird.« – »Es tut mir leid,« sprach die Prinzessin, verlegen ob der unangenehmen Lage, in welche die Unterhaltung sie versetzte, »daß wir bisher nicht imstande waren, Euch nach Würden aufzunehmen. – Eure Nichte ist, wie mir scheint, etwas mehr zufriedengestellt.«

– »Mehr, – mehr, als ich auszudrücken vermag,« antwortete die junge Gräfin. »Ich suchte bloß Schutz und habe Einsamkeit und Zurückgezogenheit zumal gefunden. Die Abgeschiedenheit unseres früheren und die noch größere Einsamkeit des uns jetzt angewiesenen Aufenthalts erhöhen in meinen Augen noch die Gnade, die der König uns Unglücklichen angedeihen ließ.«

– »Schweig, einfältiges Mühmchen,« entgegnete die ältere Dame, »und laß uns sprechen, wie wir's fühlen, da wir endlich mit einer Person unsers Geschlechts allein sind. – Ich sage allein, denn der schöne, junge Soldat ist ja eine bloße Bildsäule, da ihm der Gebrauch seiner Glieder, und wie man mir auch sagte, auch der seiner Zunge, wenigstens in einer gebildeten Sprache zu fehlen scheint. – Da uns also niemand, als diese Dame zu verstehen vermag, so gestehe ich offen, daß ich nichts so sehr bedaure, als hierher nach Frankreich gereist zu sein. Ich erwartete einen so glänzenden Empfang, Tourniere, Ringelrennen, Bankette und Festlichkeiten, und fand statt dessen lediglich Abgeschiedenheit und Verborgenheit; und die beste Gesellschaft, die der König bei uns einführte, war bis jetzt noch ein herumstreichender Zigeuner, durch den wir mit unseren Freunden in Flandern in Briefwechsel treten sollten. – Vielleicht,« fuhr die Dame fort, »ist es gar sein Plan, uns hier absterben zu lassen und beim Erlöschen des alten Hauses von Croye sich unserer Lande zu bemächtigen. Der Herzog von Burgund war nicht so grausam; er bot meiner Nichte einen Gemahl an, wenn's gleich ein schlechter war.« – »Ich dächte,« sprach die Prinzessin, die mit Mühe Gelegenheit fand, ein Wort dazwischen zu sprechen, »einem schlechten Ehegemahl müßte der Schleier immer vorzuziehen sein.« – »Man will wenigstens die Wahl haben, Madame,« versetzte die redselige Dame. »Der Himmel weiß es, ich spreche nur für meine Nichte; was mich betrifft, so habe ich es längst aufzugeben, mich mit dem Gedanken an die Möglichkeit der Veränderung meiner Lage zu befassen. Ich seh Euch lächeln, aber bei allem, was heilig ist, ich rede reine Wahrheit; – allein dies entschuldigt den König nicht, dessen Benehmen, wie sein Aufzug, mehr dem des alten Michaud, des Geldmaklers zu Gent, als dem Nachfolger Karls des Großen gleicht.« – »Still!« sprach die Prinzessin, »bedenkt, daß Ihr von meinem Vater sprecht!« – »Von Eurem Vater!« erwiderte die burgundische Dame erstaunt. – »Von meinem Vater,« wiederholte die Prinzessin mit Würde. »Ich bin Johanna von Frankreich. – Aber seid ohne Furcht, Madame,« fuhr sie in dem ihr eigenen milden Tone fort, »Ihr habt keine Beleidigung zur Absicht gehabt, und ich habe auch keine gefunden. Verfügt über meinen Einfluß, Euch und dieser liebenswürdigen jungen Dame Euer Exil erträglicher zu machen. Leider vermag ich nur wenig; allein, was ich vermag, steht Euch gerne zu Diensten.«

Tief und demütig war die Verbeugung, womit die Gräfin Hameline von Croye – so hieß die ältere Dame – das verbindliche Anerbieten der Prinzessin annahm. Sie hatte lange an Höfen gelebt, war der Sitten, die man sich dort aneignet, völlig mächtig und hielt die von den Hofleuten aller Zeiten befolgte Regel hoch, die, wenn sie auch die Fehler und Schwächen ihrer Gebieter, sowie etwa erlittene Beleidigungen und Hintansetzungen zum Gegenstand ihrer Privatunterhaltung machen, doch in Gegenwart des Fürsten oder seiner Familie niemals auch nur einen diesbezüglichen Wink fallen lassen würden.

Die Dame war deshalb über den Mißgriff, in Gegenwart der Tochter Ludwigs so unziemlich gesprochen zu haben, äußerst beschämt. Sie hätte es an Entschuldigungen und Abbitten sicher nicht fehlen lassen, hätte die Prinzessin ihr nicht Stillschweigen auferlegt und sie beruhigt, indem sie sie in dem freundlichsten Tone, der aber in dem Munde einer Tochter von Frankreich das volle Gewicht eines Befehls hatte, bat, nichts Weiteres mehr zur Entschuldigung oder Rechtfertigung vorzubringen.

Die Prinzessin Johanna nahm sich dann mit einer Würde, die ihr wohl anstand, einen Sessel und nötigte die beiden Damen, sich zu ihren Seiten zu setzen, was denn auch die jüngere mit ungekünstelter, achtungsvoller Schüchternheit, die ältere aber mit großem Aufgebot von tiefer Ehrfurcht und Demut tat. Sie sprachen zusammen, aber in so leisem Tone, daß die Schildwache nichts von ihrem Gespräche verstehen konnte.

Die Unterredung hatte noch keine Viertelstunde gedauert, als am andern Ende der Halle die Tür sich öffnete und ein Mann, in einen Reitermantel gehüllt, eintrat. Eingedenk der Befehle des Königs, und entschlossen, sich nicht zum zweiten Male lässig finden zu lassen, schritt Quentin sogleich auf den Eintretenden zu, stellte sich zwischen ihn und die Damen und forderte ihn auf, sich sogleich wieder zu entfernen.

»Auf wessen Befehl?« fragte der Fremde im Tone hochmütiger Verwunderung. – »Auf Befehl des Königs,« erwiderte Quentin mit Festigkeit, »ich stehe hier, ihn zu vollstrecken.« – »Nicht gegen Ludwig von Orleans,« sprach der Herzog, seinen Mantel abwerfend.

Der junge Mann zögerte einen Augenblick, aber wie sollte er den Befehl gegen den ersten Prinzen von Geblüt, der dem allgemeinen Gerüchte zufolge im Begriff stand, mit des Königs Familie selbst in Verwandtschaft zu treten, geltend machen?

»Ew. Hoheit Willen,« sprach er, »vermag ich nichts entgegen zu setzen. Ich hoffe, Ew. Hoheit wird es mir bezeugen, daß ich meine Schuldigkeit getan habe, soweit es Euer Wille mir erlaubt hat.« – »Laß es gut sein, junger Mann, es soll Dir nichts zur Last gelegt werden,« sagte Orleans und begrüßte, einen Schritt vortretend, die Prinzessin mit einem Ausdruck von Gezwungenheit, der jedesmal, so oft er sich an sie wandte, bei ihm bemerklich wurde. – »Er habe,« sagte er, »bei Dunois gespeist, und wie er da gehört, daß in der Rolandshalle Gesellschaft sei, habe er gewagt, die Zahl der Mitglieder durch seine Gegenwart um eins zu vermehren.«

Die Röte, welche die bleichen Wangen der unglücklichen Johanna überzog und ihren Zügen für den Augenblick einen gewissen Reiz verlieh, zeugte davon, daß dieser Zuwachs der Gesellschaft ihr keineswegs gleichgiltig war. Sie stellte den Prinzen sogleich den beiden Gräfinnen von Croye vor, die ihn mit der seinem hohen Range gebührenden Ehrerbietung empfingen, und ersuchte ihn, auf einen Sessel deutend, an ihrer Unterhaltung teilzunehmen.

Der Herzog lehnte das Anerbieten ab, in solcher Gesellschaft einen Sessel einzunehmen, zog dagegen ein Kissen von einem der Sessel, legte es zu den Füßen der schönen Gräfin von Croye und ließ sich auf dasselbe nieder.

Anfangs schien es, als ob dieses Benehmen die ihm bestimmte Braut mehr freute als kränke. Sie munterte den Herzog in seinen Artigkeiten gegen die schöne Fremde auf und schien sie als eine ihr selbst erwiesene Gefälligkeit anzusehen. Aber der Herzog, obgleich gewohnt, dem strengen Joche seines Oheims, des Königs, sich in dessen Gegenwart zu fügen, hatte doch fürstlichen Sinn genug, um seinen Neigungen zu folgen, wenn dieser Zwang nicht vorhanden war, und da sein hoher Rang ihm ein Recht gab, sich über die gewöhnlichen Förmlichkeiten hinwegzusetzen und sogleich in einen vertrauteren Ton überzugehen, wurde sein Lob der Schönheit der Gräfin Isabelle am Ende so feurig und floß mit so rücksichtsloser Freiheit von den Lippen, vielleicht unter besonderem Einflusse des Weins, den er bei Dunois, der eben kein Feind des Bacchusdienstes war, in zu reichlichem Maße zu sich genommen hatte, daß er zuletzt ganz in Leidenschaft geriet und die Anwesenheit der Prinzessin so gut wie ganz vergessen hatte. Der Ton der Schmeichelei, den er sich erlaubte, gefiel indes nur einer einzigen Person in dem Kreise; denn die Gräfin Hameline sah schon im Geiste eine glänzende Verbindung des ersten Prinzen von Geblüt mit ihrer Nichte voraus, deren Geburt, Schönheit und große Besitzungen solch einen ehrgeizigen Plan keineswegs unmöglich machten, wenn die Pläne Ludwigs XI. hätten außer Berechnung bleiben dürfen. Die jüngere Gräfin hörte des Herzogs Schmeicheleien mit Aengstlichkeit und Verlegenheit an und warf dann und wann einen bittenden Blick auf die Prinzessin, als wollte sie dieselbe ersuchen, ihr zu Hilfe zu kommen. Allein die Empfindsamkeit und Schüchternheit Johannas von Frankreich ließen es zu keinem Versuch kommen, der Unterhaltung eine allgemeinere Richtung zu geben.

Aber ich darf nicht vergessen, daß noch eine dritte Person, die unbeachtete Schildwache, zugegen war, die ihre schönen Träume wie Wachs an der Sonne schmelzen sah, als der Herzog in dem warmen Tone seiner leidenschaftlichen Aeußerungen ungestört fortfuhr. Endlich machte die Gräfin Isabelle von Croye einen entschlossenen Versuch, einem Gespräche, das ihr, und zwar besonders dadurch, daß das Benehmen des Herzogs die Prinzessin sichtbar kränkte, unerträglich wurde, ein Ende zu machen. Sie wandte sich an letztere und sagte bescheiden, aber mit einiger Festigkeit, daß die erste Gnade, welche sie von dem ihr versprochenen Schutz erbitten müßte, die sei, daß sie den Herzog von Orleans zu überzeugen suchen möchten, daß die Damen von Burgund, obgleich sie an Geist und gefälligen Sitten denen von Frankreich nachständen, doch nicht so ausgemachte Törinnen seien, um an keiner andern Unterhaltung, als an ausschweifenden Lobeserhebungen, Geschmack zu finden.

»Es tut mir leid, Madame,« versetzte der Herzog, einer Antwort der Prinzessin zuvorkommend, »daß Ihr in einer und derselben Rede der Schönheit der Damen von Burgund und der Aufrichtigkeit der Ritter Frankreichs spottet. Wenn wir zu leidenschaftlich und auf übertriebene Art unsre Bewunderung an den Tag legen, so kommt dies daher, daß wir lieben, wie wir fechten, ohne kalter Berechnung Raum zu geben, und uns ebenso schnell der Schönheit ergeben, als wir den Tapfern bekämpfen.«

»Die Schönheit unserer Landsmännin,« sagte die junge Gräfin mit einem schärferen Tone, als sie sich bisher gegen ihren erlauchten Verehrer erlaubt hatte, »ist nicht imstande, auf solche Triumphe Anspruch zu machen, so wenig, als die Tapferkeit der Burgunder sie einzuräumen fähig ist.«

»Ich ehre Eure Vaterlandsliebe,« entgegnete der Herzog, »und will den letzten Teil Eures Satzes solange nicht bestreiten, bis ein burgundischer Ritter die Lanze einlegt, um ihn gegen mich zu verfechten. Was aber die Ungerechtigkeit betrifft, die Ihr gegen die Reize, die Euer Vaterland spendet, begeht, so appelliere ich von Euch an Euch selbst. – Schaut her,« fuhr er fort, auf einen großen Spiegel deutend (ein Geschenk der Republik Venedig, und zur damaligen Zeit von der höchsten Seltenheit und Kostbarkeit), »und sagt mir, wo ist das Herz, das den Reizen widerstände, die sich hier im Abbilde zeigen?«

Die Prinzessin, unfähig, die Vernachlässigung ihres Geliebten länger zu ertragen, sank in ihren Sessel zurück mit einem Seufzer, der auf einmal den Herzog aus dem Lande der Schwärmerei zurückrief und die Gräfin Hameline veranlaßte, zu fragen, ob sich Ihre Hoheit nicht wohl befände.

»Ein plötzlicher Kopfschmerz ergriff mich,« erwiderte die Prinzessin, indem sie zu lächeln versuchte, »doch wird es bald vorübergehen.«

Ihre zunehmende Blässe indessen widersprach ihren Worten, und Gräfin Hameline rief um Hilfe, denn die Prinzessin war wirklich im Begriff, ohnmächtig zu werden.

Der Herzog biß sich in die Lippen und verwünschte die Torheit, seine Zunge nicht im Zaume gehalten zu haben; dann eilte er, die Frauen der Prinzessin, die sich im Nebenzimmer befanden, herbeizurufen; und als sie mit den gewohnten Belebungsmitteln herzukamen, konnte er als Kavalier und Mann von Ehre nicht umhin, zu ihrer Unterstützung seinen Beistand anzubieten. Seine durch das Mitgefühl und die Vorwürfe, die er sich machte, beinahe zärtlich gewordene Stimme war das kräftigste Mittel, die Prinzessin wieder zu sich zu bringen; und gerade in dem Augenblicke, in welchem die Schwäche vorüber war, trat der König selbst in das Zimmer.


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