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Sechzehntes Kapitel.

Während Quentin mit den Damen sprach, bemerkte er, daß der Mann nicht allein seinen Kopf zurückbog, um nach ihnen hinzusehen, sondern sich auch mit außerordentlicher Gewandtheit, die mehr der eines Affen denn eines Menschen glich, auf dem Sattel so herumdrehte, daß er beinahe seitwärts auf dem Pferde saß, um, wie es schien, desto genauer beobachten zu können. Quentin, dem diese Bewegung nicht besonders wohlgefiel, ritt auf den Zigeuner zu und sagte, als er plötzlich wieder seinen gehörigen Sitz auf dem Pferde einnahm: »Mich dünkt, Freund, Ihr werdet nur ein blinder Führer sein, wenn Ihr mehr nach dem Schweife als nach den Ohren des Pferdes seht.« – »Und wäre ich auch blind,« erwiderte der Zigeuner, »so wollt ich Euch doch durch jede Gegend des Königreichs Frankreich oder der Nachbarstaaten führen.« – »Ihr seid aber doch kein geborner Franzose,« versetzte der Schotte. – »Nein,« antwortete der Führer. – »Was für ein Landsmann seid Ihr denn?« fragte Quentin. – »Ich bin aus keinem Lande,« erwiderte der Zigeuner. – »Aus keinem Lande?« – »Nein,« sprach der Zigeuner. »Ich bin ein Zingaro oder Zigeuner, oder Aegypter, oder wie immer die Europäer unser Volk nennen mögen; ich habe kein Vaterland.« – »Seid Ihr ein Christ?« fragte der Schotte. – Der Zigeuner schüttelte den Kopf. – »Hund,« sagte Quentin (denn in dem Geiste damaliger Zeit lag wenig Toleranz), »so verehrst Du also Mahommed?« – »Nein,« war die gleichgültige und bündige Antwort des Führers, der durch des jungen Mannes Heftigkeit weder überrascht noch beleidigt zu sein schien. – »Seid Ihr denn ein Heide, oder was seid Ihr?« – »Ich habe keine Religion,« antwortete der Zigeuner.

Durward fuhr zurück; denn ob er gleich von Sarazenen und Götzendienern gehört hatte, so war es ihm doch noch nie in den Sinn gekommen, zu glauben, daß es irgend eine Menschenseele gebe, die gar keine Gottesverehrung kenne. Als er sich wieder von seinem Erstaunen erholt hatte, fragte er seinen Führer, wo er gewöhnlich wohne.

»Wo ich gerade bin,« erwiderte der Zigeuner. »Ich habe keine Heimat.« – »Wie bewahrt Ihr Euer Eigentum?« – »Außer den Kleidern, die ich trage, und dem Pferde, das ich reite, habe ich kein Eigentum.« – »Und doch seid Ihr stattlich gekleidet und wohl beritten,« sagte Durward. »Wovon lebt Ihr?« – »Ich esse, wenn mich hungert, trinke, wenn mich dürstet, und habe keine andern Mittel für meinen Unterhalt, als die mir der Zufall in den Weg wirft,« erwiderte der Landstreicher. – »Unter wessen Gesetzen lebt Ihr?« – »Ich leiste niemand Gehorsam, außer insoweit es mir gefällt,« sagte der Zigeuner. – »Wer ist Euer Anführer und befehligt Euch?« – »Der Vater unsres Stammes, wenn ich für gut finde, ihm zu gehorchen,« antwortete der Führer, »sonst habe ich niemand, von dem ich Befehle annehme.« – »So geht Euch also,« fuhr voll Verwunderung der Fragende fort, »alles das ab, was andere Menschen verbindet? – Ihr habt kein Gesetz, keinen Anführer, keinen festen Erwerbszweig, kein Haus und keine Heimat. Ihr habt, der Himmel erbarme sich Eurer, kein Vaterland, und, möge der Himmel Euch erleuchten und vergeben, keinen Gott! Was bleibt Euch noch übrig, wenn Ihr keine Regierung, keine häusliche Glückseligkeit und keine Religion habt?« – »Die Freiheit!« sagte der Zigeuner, »Ich beuge mich vor niemand, gehorche niemand, achte niemand. Ich gehe, wohin ich will, lebe, wie ich kann, und sterbe, wenn meine Stunde schlägt.« – »Ihr könnt aber plötzlich hingerichtet werden, wenn es dem Richter gefällt.« – »Dem sei so,« erwiderte der Zigeuner, »so sterb ich um so früher.« – »Ihr könnt auch eingekerkert werden,« sagte der Schotte, »und wo ist dann Eure gepriesene Freiheit?« – »In meinen Gedanken,« sprach der Zigeuner, »die durch keine Bande gefesselt werden können, während die Eurigen, auch wenn Eure Glieder frei find, durch Eure Gesetze, Euern Aberglauben, Eurer phantastischen Träume von Anhänglichkeit an den heimatlichen Boden und bürgerliche Zucht gefesselt bleiben. Leute, wie ich, sind frei, auch wenn unsere Glieder Fesseln drücken, – Euer Geist ist gefangen, wenn auch Eure Körper sich in voller Freiheit befinden.« – »Aber die Freiheit Eurer Gedanken,« versetzte der Schotte, »erleichtert den Druck der Fesseln an Euern Gliedern nicht.« – »Eine kurze Zeit läßt sich das schon ertragen: und wenn ich dann mich nicht selbst losmachen oder von meinen Kameraden befreit werden kann, so kann ich immer sterben, und der Tod ist die vollkommenste Freiheit.«

Es herrschte eine Weile tiefe Stille, die Quentin endlich durch weitere Fragen unterbrach.

»Wie ist Dein Name?« fragte Durward. – »Mein eigentlicher Name ist bloß meinen Brüdern bekannt; die Leute jenseits unserer Zelte nennen mich Hayraddin Maugrabin, das ist: Hayraddin, der afrikanische Mohr.« – »Du sprichst zu gut für einen, der immer unter Deiner schmutzigen Horde gelebt hat,« sagte Durward. – »Ich habe einiges von den Wissenschaften dieses Landes gelernt,« versetzte Hayraddin. – Als ich noch ein kleiner Knabe war, wurde unser Stamm gejagt von den Jägern nach Menschenfleisch. Ein Pfeil flog meiner Mutter durch den Kopf und sie starb. Ich hing in Windeln gewickelt ihr auf dem Rücken und ward von den Verfolgern mit fortgenommen. Ein Priester erbat sich meine Person von den Bogenschützen des Profosses und erzog mich zwei oder drei Jahre in fränkischer Gelehrsamkeit.« – »Und wie wurdet Ihr wieder voneinander getrennt?« fragte Durward. – »Ich stahl ihm Geld – den Gott selbst, den er anbetete,« erwiderte Hayraddin mit der größten Gleichgültigkeit; – »er entdeckte es und schlug mich; ich stieß ihn mit meinem Messer nieder, floh in die Wälder und kam so wieder zu meinem Volke.« – »Elender!« rief Durward, »und Du konntest Deinen Wohltäter morden?« – »Wer hieß ihn seine Wohltaten aufdringen? Der Zigeunerknabe war kein im Hause auferzogener Hund, um seinem Herrn auf den Fersen zu folgen, und sich um der wenigen Bissen Brotes willen unter seinen Schlägen zu krümmen. Er war ein junger, eingefangener Wolf, der bei der ersten Gelegenheit seine Ketten zerbrach, seinen Herrn zerriß und wieder in seine Wildnis zurückkehrte.«

Es entstand abermals eine Pause; dann fragte der junge Schotte, um mit dem Charakter und den Absichten dieses verdächtigen Führers noch näher bekannt zu werden, Hayraddin wieder: ob es denn wahr sei, daß sein Volk, bei all seiner Unwissenheit, doch eine Kenntnis der Zukunft zu besitzen glaube, die den Weisen, Philosophen und Gottesgelehrten gebildeter Völker nicht verliehen sei?« – »Das behaupten wir,« versetzte Hayraddin, »und zwar mit Recht.« – »Wie mag es denn aber kommen, daß eine so hohe Gabe einem so verworfenen Geschlecht zuteil ward?« fragte Quentin. – »Weiß ich das selbst?« antwortete Hayraddin – »erklärt zuvor, warum der Hund die Fußstapfen eines Menschen aufspürt, indes der Mensch, das edlere Tier, nicht imstande ist, die eines Hundes zu verfolgen? Dies Vermögen, das Euch so wunderbar erscheint, ist instinktmäßig bei unserem Geschlecht. Aus den Linien des Gesichts und der Hand können wir das zukünftige Schicksal derer, die uns befragen, ebenso gewiß vorhersagen, als Ihr an der Blüte des Baumes im Frühling erkennt, welche Früchte er im Herbste tragen wird.« – »Ich bezweifle Eure Kenntnis und fordere Euch zu einer Probe auf.« – »Tut das nicht, Herr Knappe,« sagte Hayraddin; »ich könnte Euch sonst sagen, trotz allem, was Ihr von Eurer Religion behaupten mögt, daß die Göttin, welche Ihr anbetet, in unserer Gesellschaft reitet.« – »Still!« rief Quentin erstaunt; »bei Deinem Leben nicht ein Wort weiter, als was ich Dich frage. Kannst Du treu sein?« – »Ich kann's – alle Menschen können's,« sprach der Zigeuner. – »Aber willst Du es auch sein?« – »Werdet Ihr mir mehr glauben, wenn ich darauf schwöre?« versetzte Margrabin lächelnd. – »Dein Leben ist in meiner Hand!« sagte der junge Schotte. – »Stoß zu! und sieh, ob ich zu sterben fürchte,« antwortete der Zigeuner. – »Kann Geld Dich zu einem treuen Führer machen?« – »Wenn ich es nicht ohne dasselbe bin, nein,« entgegnete der Heide. – »Was kann Dich also binden?« fragte der Schotte. – »Liebe,« erwiderte der Zigeuner. – »Soll ich schwören, sie Dir zu erweisen, wenn Du uns auf dieser Pilgerfahrt ein treuer Führer sein willst?« – »Nein,« versetzte Hayraddin, »das hieße ein so seltenes Gut töricht verschwenden, und Dir bin ich schon verpflichtet.« – »Wie denn das?« rief Durward noch mehr verwundert aus. – »Erinnere Dich der Kastanienbäume an den Ufern des Cher! Das Schlachtopfer, das Du dort abschnittst, war mein Bruder Zamet Maugrabin.« – »Und dennoch,« sagte Quentin, »finde ich Dich in Verbindung mit eben diesen Unterbeamten, durch die Dein Bruder ums Leben kam; denn es war einer von ihnen, der mir angab, wo ich Dich finden sollte – derselbe ohne Zweifel, der Dich zum Führer jenen Damen bestellte.« – »Was können wir tun?« antwortete Hayraddin mit düstrer Miene – »diese Menschen verfahren mit uns wie die Schäferhunde mit den Schafen: sie beschützen uns eine Weile, treiben uns nach ihrem Belieben bald dahin, bald dorthin, und endigen immer damit, uns zur Schlachtbank zu führen.«

Durward verließ den Führer und wandte sich zu dem übrigen Gefolge, eben nicht sehr zufrieden mit dem Charakter Hayraddins und wenig vertrauend den Beteuerungen der Dankbarkeit gegen seine Person, die er ihm gemacht hatte. Er begann, die beiden andern, ihm zu Begleitern gegebenen Männer auszuholen, und fand zu seinem Verdrusse, daß sie dumm und ebenso unfähig waren, ihm mit gutem Rate an die Hand zu gehen, als sie sich bei dem letzten Angriffe abgeneigt gezeigt hatten, von ihren Waffen Gebrauch zu machen.

»Um so besser,« sprach Quentin bei sich selbst, indem sein Mut sich bei den gefürchteten Schwierigkeiten seiner Lage hob; »diese liebenswürdige junge Dame soll alles einzig nur mir zu verdanken haben. Was ein Arm und ein Kopf vermögen, darauf, denk ich, kann ich mich kühn verlassen. Ich habe meines Vaters Haus in Feuer, ihn und meine Brüder tot in den Flammen gesehen, und ich bin keinen Fuß breit gewichen, sondern habe gefochten, bis alle umgekommen waren. Jetzt bin ich zwei Jahre älter und habe die beste und schönste Aufforderung, die je eines braven Mannes Brust entflammte, mich wacker zu halten.«

Auf diese Weise reisten sie länger als eine Woche auf Nebenstraßen durch unbesuchte Gegenden und auf Umwegen, um große Städte zu meiden. Es stieß ihnen nichts Merkwürdiges auf, obgleich sie hin und wieder herumziehenden Zigeunerbanden begegneten, die sie unangetastet ließen, da sie unter der Führung eines von ihrem Stamme reisten; auch zerstreute Soldaten oder vielmehr Banditen trafen sie, die ihren Trupp für zu stark hielten, um einen Angriff darauf zu machen, auch wohl Abteilungen der Maréchaussee, wie man die jetzt nennen würde, welche Ludwig, der die Wunden des Staates mit Feuer und Schwert zu heilen suchte, zur Aufhebung der zügellosen Banden, die das Land unsicher machten, gebrauchte. Die letztern ließen sie unangefochten ihres Weges ziehen, sobald Quentin das Losungswort aussprach, das ihm vom Könige selbst mitgeteilt worden war.

Ihre Ruheplätze waren vornehmlich Klöster, von denen die meisten vermöge ihrer Ordensregel verpflichtet waren, Pilgrime, in welcher Eigenschaft die Damen reisten, gastfrei, und ohne belästigende Nachfrage nach Rang und Stand aufzunehmen, weil die meisten Personen bei Vollziehung ihrer Gelübde solches zu verbergen wünschten.

Am zehnten oder zwölften Tage ihrer Reise, nachdem sie Flanderns Grenze betreten, näherten sie sich der Stadt Namur. Alle Anstrengungen Quentins, die Folgen des Aergernisses, das sein heidnischer Führer gab, abzuwenden, waren fruchtlos gewesen. Der Schauplatz war ein Franziskanerkloster von sehr strenger und erneuerter Observanz, und der Prior ein Mann, der nachmals im Geruche der Heiligkeit starb. Nachdem die gewöhnlichen Bedenklichkeiten gegen die Beherbergung des Zigeuners überwunden waren, hatte derselbe endlich in einem Außengebäude, das ein Laienbruder bewohnte, ein Unterkommen gefunden. Die Damen hatten sich in ihre Gemächer zurückgezogen, und der Prior, der zufällig einige entfernte Verwandte und Freunde in Schottland hatte und gern Fremde von ihrer Heimat erzählen hörte, lud Quentin, dessen Aeußeres und Benehmen ihm zu gefallen schien, zu einem einfachen, klösterlichen Mahle in seine Zelle ein. Da Quentin in dem Pater einen einsichtsvollen Mann fand, so war ihm diese Gelegenheit erwünscht, indem er sich mit dem Stande der Dinge im Lütticher Lande bekannt machen konnte. »Das Volk von Lüttich,« sagte der Prior, »bestehe aus reichen Bürgern, die feist und stolz geworden wären. Durch den großen Reichtum und ihre Privilegien übermütig geworden, hätten sie mit dem Herzog von Burgund, ihrem Lehnsherrn, über Abgaben und Freiheiten schon mehrere Streitigkeiten angefangen, die zu wiederholten Malen in offenen Aufruhr ausgebrochen wären; deshalb sei der Herzog, ein Mann von hitzigem und feurigem Temperament, so gegen sie aufgebracht, daß er beim heil. Georg geschworen habe, bei dem nächsten Anlaß die Stadt Lüttich gleich Babylon und Tyrus zu zerstören und sie zum Gespötte und zur Schmach für ganz Flandern zu machen.

»Und er ist, nach allem, was man hört, ein Fürst, der Wort zu halten weiß,« sagte Quentin; »die Lütticher werden daher wohl auf ihrer Hut sein müssen, um ihm dazu keine Veranlassung zu geben.«

»Das steht offen,« sagte der Prior, »und ist auch der Wunsch aller Guten im Lande, die nicht wollen, daß Menschenblut wie Wasser vergossen werde, und daß sie als Auswürflinge umkommen mögen, bevor sie noch ihren Frieden mit dem Himmel gemacht. Der gute Bischof arbeitet auch Tag und Nacht an Erhaltung des Friedens, wie es einem Diener des Altars geziemt; denn es heißt in der Schrift: Selig sind die Friedfertigen, aber« – hier stockte der gute Prior mit einem tiefen Seufzer.

Quentin machte ihm mit Bescheidenheit bemerklich, wie wichtig es für die Damen, die er geleite, sei, einige zuverlässige Auskunft über den innern Zustand des Landes zu bekommen, und wie es ein Werk christlicher Liebe sein würde, wenn der würdige und verehrte Vater ihnen über diesen Gegenstand einige Aufklärung geben wollte.

»Das ist ein Punkt,« versetzte der Prior, »über den niemand gern spricht; denn das Ueble, das man selbst innerhalb der vier Wände von den Mächtigen redet, kann leicht Flügel finden und vor ihre Ohren gelangen. Indessen will ich Euch, der Ihr ein gutdenkender Mann zu sein scheint, und Euern Damen, die als fromme Seelen auf seiner Pilgerfahrt begriffen sind, alle die geringen Dienste erweisen, die in meiner Macht stehen, und ganz offen mit Euch sprechen.«

Er sah hierauf behutsam rings um sich her und sprach dann, als ob er fürchte, behorcht zu werden, mit gedämpfter Stimme: »Die Lütticher werden zu ihren häufigen Meutereien insgeheim durch Belialsbuben aufgehetzt, die, wie ich indes hoffe, fälschlich vorgeben, von unserem allerchristlichsten König dazu beauftragt zu sein, der seinen Namen wohl besser zu verdienen wissen wird, als damit, daß er den Frieden in einem Nachbarstaate stören sollte. Aber wahr ist es, daß die, welche die unzufriedenen Lütticher aufreizen und unterstützen, seinen Namen unverhohlen zur Schau tragen. Ueberdies haust hier im Lande noch ein Adeliger von hoher Abkunft und großem Kriegsruhme; sonst aber, sozusagen ein Stein des Anstoßes für die Lande Burgund und Flandern. Sein Name ist Wilhelm von der Mark.«

»Genannt Wilhelm mit dem Barte,« fiel der junge Schotte ein, »oder der Eber der Ardennen.«

»Und mit Recht, mein Sohn,« versetzte der Prior; »weil er ganz dem wilden Eber des Forstes gleicht, der alles mit seinen Klauen zertritt und mit seinen Hauern zerreißt. Er hat eine Bande von mehr als tausend Mann um sich versammelt, alle, wie er selbst, Verächter bürgerlicher und geistlicher Gewalt; er hält sich unabhängig von dem Herzoge von Burgund und ernährt sich und seinen Anhang durch Raub und Unrecht, das er ohne Unterschied an Weltlichen und Geistlichen verübt. Er hat seine Hände gelegt an die Gesalbten des Herrn, uneingedenk des Wortes, das da geschrieben steht: »Tut meinen Propheten kein Leid.« Selbst von unserem armen Hause verlangte er Summen Goldes und Silbers, als Lösegeld für unser Leben und das unserer Brüder; allein wir haben ihm eine lateinische Bittschrift zurückgesandt, worin wir ihm unsere Unfähigkeit vorstellten, sein Begehren zu erfüllen, und ihn mit den Worten des Predigers ermahnten: »Trachte nicht Böses gegen Deinen Freund, wenn er Zutrauen zu Dir hat.« Gleichviel erwiderte dieser Wilhelm von der Mark, ebenso unerfahren in humanioribus, als in der Humanität selbst, daß er sich daran nicht kehren, sondern uns den Hahn aufs Dach setzen wolle, wenn wir nicht blechen wollten.« »Es nimmt mich Wunder,« sagte Quentin, »daß der Herzog von Burgund, der ein so mächtiger und gewaltiger Fürst ist, diesen Eber nicht hetzt, von dessen Verheerungen ich schon soviel vernommen habe.« – »Ach, mein Sohn,« versetzte der Prior, »er ist jetzt in Peronne und versammelt seine Hauptleute von Hunderten und von Tausenden, um gegen Frankreich Krieg zu führen, und so wird, während der Himmel Zwietracht in die Herzen dieser mächtigen Fürsten säet, das Land von solchen untergeordneten Unterdrückern gequält. Aber zur bösen Stunde vernachlässigt der Herzog die Heilung dieses innerlichen Krebsschadens; denn dieser Wilhelm von der Mark ist noch ganz kürzlich in offene Gemeinschaft mit Rouslaer und Pavillon, den Häuptern der Unzufriedenen in Lüttich, getreten, und es ist zu fürchten, daß er sie bald zu einem verzweifelten Unternehmen aufreizen wird.« – »Aber der Bischof von Lüttich,« fragte Quentin, »hat doch wohl noch Macht genug, diesen unruhigen, aufrührerischen Geist zu beschwören, nicht wahr, guter Vater? – An Eurer Antwort auf diese Frage liegt mir viel.« – »Der Bischof, mein Kind,« versetzte der Prior, »hat sowohl das Schwert, als die Schlüssel des heiligen Petrus. Er hat Gewalt als ein weltlicher Fürst und genießt des mächtigen Schutzes des Hauses von Burgund; als Prälat ist er im Besitz geistlicher Autorität, und beides unterstützt er mit einer ansehnlichen Truppenmacht. Dieser Wilhelm von der Mark ward an des Bischofs Hofe erzogen und ist ihm durch manche Wohltaten verpflichtet. Allein auch dort ließ er seiner grausamen, blutdürstigen Gemütsart freien Lauf und ward wegen eines Todschlags, verübt an einem der ersten Hausbeamten des Bischofs, vom Hofe desselben verwiesen. Seit dieser Zeit nun ist er stets ein unversöhnlicher Feind desselben gewesen, und jetzt, es tut mir leid, es zu sagen, hat er seine Lenden gegen ihn gegürtet und sein Horn gegen ihn gewetzt.« – »Ihr haltet demnach die Lage des würdigen Prälaten für gefährlich?« fragte Quentin sehr besorgt. – »Ach, mein lieber Sohn,« erwiderte der gute Franziskaner; »was oder wer ist in dieser betrübten Zeit nicht mit Gefahr bedroht? Aber der Himmel behüte, daß ich behaupten sollte, dem ehrwürdigen Prälaten sei die Gefahr so nahe schon. Er hat ansehnliche Schätze, treue Ratgeber und tapfere Soldaten; und überdies hat ein Bote, der gestern ostwärts hier durchging, ausgesagt, daß der Herzog auf Ansuchen des Bischofs hundert Bewaffnete abgesandt habe, welche mit dem zu jeder Lanze angehörigen Gefolge stark genug sein werden, es mit Wilhelm von der Mark, – dessen Name verflucht sei – aufzunehmen! Amen.«

Hier ward ihre Unterhaltung durch den Sakristan unterbrochen, der mit einer vor Zorn fast erstickten Stimme den Zigeuner anklagte, daß er sich die abscheulichsten Verführungskünste unter den jüngern Brüdern erlaubt habe. Er habe beim Abendessen in ihre Becher berauschende Tropfen getan, zehnmal stärker als der allerstärkste Wein, deren Genuß auch mehrere Brüder unterlegen seien, und obgleich er, der Sakristan, ziemlich kräftig sei, um der Wirkung derselben noch widerstehen zu können, so möge man es doch an seinem erhitzten Gesichte und der schweren Sprache bemerken, daß auch er, der Ankläger, von diesem unheiligen Getränke einigermaßen angegriffen sei. Ueberdies habe der Zigeuner Lieder voll weltlicher Eitelkeit und unreiner Lust gesungen, habe den Strick des heiligen Franziskus verspottet, mit seinen Wundertaten Spott getrieben, seine Geweihten Narren und elende Tagediebe genannt. Endlich habe er noch aus der Hand gewahrsagt und dem jungen Pater Cherubim prophezeit, er werde von einer schönen Dame geliebt, die ihn zum Vater eines schmucken Jungen machen werde.

Der Vater Prior hörte diese Klagen einige Zeit schweigend an, als ob das ungeheure Verbrechen in ihm einen stummen Schauder errege. Als der Sakristan geendet hatte, erhob er sich, stieg in den Klosterhof hinab und befahl den Laienbrüdern unter Androhung der härtesten Strafen, falls sie nicht Gehorsam leisteten, Hayraddin mit ihren Besenstielen und Karrenpeitschen aus den heiligen Mauern auszutreiben.

Der Urteilsspruch wurde sogleich in Gegenwart Quentin Durwards vollzogen, der, so unangenehm ihm auch der Vorfall war, doch wohl einsah, daß seine Vermittlung hier nicht mehr helfen könnte. Die über den Verbrecher verhängte Strafe war jedoch, ungeachtet der Ermahnungen des Superiors, mehr belustigend als furchtbar. Der Zigeuner rannte auf dem Hofe hin und her unter dem Geschrei von Stimmen und dem Geräusche der Schläge, von denen die meisten ihn gar nicht trafen, weil man absichtlich fehlschlug; anderen, die seiner Person wohl bestimmt waren, entging er durch seine Gelenkigkeit und Schnelligkeit, und die wenigen, die auf seinen Rücken und seine Schultern fielen, nahm er ohne Klage und Widerrede hin. Der Lärm und der Aufruhr waren um so größer, als die unerfahrenen Strafvollstrecker, zwischen denen Hayraddin gleichsam Spießruten lief, öfter sich selbst als ihn schlugen, ja daß endlich der Prior, um einem mehr ärgerlichen als erbaulichen Schauspiele ein Ende zu machen, das Pförtchen am Tore öffnen ließ, durch welches der Zigeuner mit Blitzesschnelle entschlüpfte; um bei dem Scheine des Mondlichts auf und davon zu laufen.

Während dieses Auftritts drang sich Durward ein schon früher gefaßter Verdacht mit vermehrter Stärke auf. – Hayraddin hatte ihm an dem nämlichen Morgen gelobt, sich bescheidener und anständiger zu betragen, als es bisher der Fall gewesen war, wenn sie auf ihrer Wanderung in einem Kloster einkehrten, und doch hatte er sein gegebenes Versprechen nicht gehalten, ja sich widerspenstiger als jemals gezeigt. Etwas lag wahrscheinlich darunter verborgen; denn, was auch immer die Fehler des Zigeuners sein mochten, an Verstand, und wenn er wollte, auch an Selbstbeherrschung fehlte es ihm nicht. War es also nicht denkbar, daß er entweder mit seiner eigenen Horde oder mit sonst jemand Rücksprache nehmen wollte, woran er den Tag über durch die Wachsamkeit Quentins verhindert war, und daß er zu dieser List seine Zuflucht genommen hatte, um aus dem Kloster zu entkommen? Dieser Verdacht war nicht sobald in Quentins Seele aufgestiegen, als er schnell, wie er in allem war, was er unternahm, beschloß, seinem durchgeprügelten Führer so heimlich wie möglich nachzugehen und zu beobachten, was er nun beginnen würde. Als demnach, wie schon erwähnt, der Zigeuner aus dem Klosterpförtchen entwischt war, setzte Quentin in Eile dem Prior die Notwendigkeit auseinander, daß er auf seinen Führer ein wachsames Auge haben müßte, und folgte ihm auf dem Fuße nach.


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