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Neuntes Kapitel.

Nach diesem Rückblick auf das zwischen dem König von Frankreich und dem Herzog von Burgund bestehende Verhältnis zur Zeit, als Ludwig wohl nicht zum wenigsten durch seinen Glauben an die Macht der Gestirne, vielleicht aber auch durch das Bewußtsein seiner geistigen Ueberlegenheit über Karl bewogen, den außerordenlichen, auf andere Weise durchaus unerklärlichen Entschluß gefaßt hatte, sich selbst der Treue und dem Glauben eines stolzen und erbitterten Feindes zu überantworten, wollen wir dem weiteren Gange unserer Erzählung folgen. Herzog Karl, von Natur rauh, stolz, ungestüm und hart, fand es nicht für nötig, dem Könige mehr Höflichkeit zu erweisen, als die Gesetze der Gastfreundschaft ausdrücklich forderten; andererseits aber legte er auch durchaus keine Absicht an den Tag, ihre geheiligten Schranken zu verletzen. Am nächsten Morgen nach des Königs Ankunft wurde eine allgemeine Heerschau der burgundischen Truppen veranstaltet, die so zahlreich und so trefflich ausgerüstet waren, daß es ihm vielleicht ganz recht war, sie seinem großen Nebenbuhler vorzuführen. Während er seinem Souverän das Vasallenkompliment machte, daß diese Truppen nicht ihm, sondern dem Könige gehörten, verriet das Zucken seiner Oberlippe und der stolze Blick seines Auges, daß diese Worte bloße Höflichkeit seien, und daß dieses schöne stattliche Heer auf seinen Befehl direkt gegen Paris vorrücken werde, ohne sich im geringsten an den König von Frankreich zu kehren. Das mußte Ludwig um so angenehmer berühren, als er unter den Burgundern allerhand französische Fähnlein erblickte, die aus mancherlei Gründen des Mißvergnügens mit dem Herzog von Burgund gemeinschaftliche Sache gemacht hatten.

Seinem Charakter getreu, schien indes Ludwig von diesen Reisläufern aus seinen Provinzen kaum Notiz zu nehmen, während er hin und her auf Mittel dachte, wie er sie Burgunds Fahnen abwendig machen und sie seinen eigenen wieder einverleiben könnte. Zu diesem Behufe beschloß er, durch Oliver und andere Agenten insgeheim die Gesinnung der Vornehmsten unter ihnen ausforschen zu lassen.

Er selbst bestrebte sich angelegentlich, jedoch mit großer Vorsicht, sich unter den vornehmsten Beamten und Räten des Herzogs beliebt zu machen, und während einer Eberjagd fand Ludwig, ungehindert durch Karls Gegenwart, der in diesem Sport so völlig aufging, daß er für nichts andres Sinn hatte, Mittel und Wege, einzeln und insgeheim sich mit manchen von Karls Edeln zu besprechen, unter welchen Hymbercourt und Argenton nicht vergessen wurden.

Einen einzigen Mann vermißte der König, den er vor allen andern gern für sich gewonnen hätte, nämlich Graf Crevecoeur, dessen Festigkeit als Abgesandter in Plessis, weit entfernt, Ludwigs Unwillen zu erregen, ihm vielmehr lebhaft imponiert hatte. Es war ihm nicht besonders angenehm, zu hören, daß der Graf an der Spitze von hundert Lanzen an die Grenzen von Burgund aufgebrochen sei, um den Bischof gegen Wilhelm von der Mark zu unterstützen.

Der Hof speiste, wie es bei allen großen Jagdpartien Brauch war, im Forste; was diesmal dem Herzog besonders angenehm war, da er sich der formellen Feierlichkeit, womit er den König Ludwig sonst hätte empfangen müssen, enthoben sah. Indessen mußte die Abendmahlzeit infolgedessen mit desto größerer Feierlichkeit gehalten werden, und bei der Rückkehr nach Peronne fand König Ludwig ein Bankett mit einem Glanze und einer Pracht zubereitet, wie man es bei dem Reichtum eines gefürchteten Vasallen, der im Besitze der ganzen Niederlande, damals des reichsten Landes in Europa, sich befand, nur immer erwarten konnte. Oben an der langen Tafel, die unter der Last des goldnen und silbernen Tischgeräts fast brach und bis zum Ueberfluß mit den ausgesuchtesten Leckerbissen besetzt war, saß der Herzog, ihm zur Rechten auf einem etwas höheren Sitze sein königlicher Gast. Hinter ihm stand auf einer Seite der Sohn des Herzogs von Geldern, als sein Obervorschneider, auf der andern Seite sein Hofnarr le Glorieux, der ihm selten von der Seite kam; denn, wie die meisten Leute von seiner heftigen und rohen Gemütsart, trieb Karl den allgemeinen Geschmack dieses Zeitalters an Hofnarren und Possenreißern aufs äußerste und fand an ihrer Sonderbarkeit und ihren wunderlichen Einfällen ein Vergnügen, das sein schärfer blickender Nebenbuhler freilich nicht teilte. Heute versäumte Ludwig jedoch nicht, dem Lieblingsnarren des Herzogs seine Aufmerksamkeit zu widmen und seinen Einfällen Beifall zu schenken. Tiel Wetzweiler, gemeiniglich le Glorieux genannt, war übrigens durchaus nicht ein Spaßmacher von der gewöhnlichen Art, sondern ein großer, wohlgebildeter Mann, der sich in manchen Leibesübungen auszeichnete, die sich mit geistiger Minderwertigkeit insofern nicht vertragen hätten, als zu ihrer Uebung Geduld und Ausdauer nötig waren. Er folgte dem Herzoge gewöhnlich sowohl auf der Jagd als in die Schlacht, und als dieser bei Monthlery in großer persönlicher Gefahr schwebte, war er dem Ritter, der seinen Herzog bedrohte, gar kraftvoll zu Leibe gegangen und hatte nicht eher geruht, als bis er ihn aus dem Sattel geworfen hatte. Bei dieser Gelegenheit erwarb er sich auf die Dauer seines Lebens den Beinamen »le Glorieux« (Prahlhans).

An diese wichtige Person des burgundischen Hofes wandte sich Karl und nach seinem Beispiele auch Ludwig zu wiederholten Malen während des Mahles, und beide schienen durch ein herzliches Lachen ihre Freude an seinen Antworten an den Tag zu legen.

»Für wen sind jene leeren Sitze dort bestimmt?« fragte Karl den Spaßmacher. – »Einer davon wenigstens sollte vermöge des Rechts der Erbfolge mir gehören,« antwortete der Narr. – »Wieso, närrischer Kerl?« fragte Karl. – »Sie sind für die Herren Hymbercourt und Argenton bestimmt, die, um ihre Falken fliegen zu lassen, sich soweit entfernt haben, daß sie ihr Abendessen darüber vergaßen. Wer lieber einen Habicht in der Luft, als einen Fasanen auf der Schüssel sieht, ist der Gevatter des Narren, und er sollt' ihnen auf ihrem Stuhle am Tische, als einem Teil ihrer beweglichen Habe, succedieren dürfen.« – »Das ist ein schaler Witz, Freund Tiel,« sprach der Herzog, »aber – Narren oder Weise – hier kommen die Säumigen,«

Wie er so sprach, traten Argenton und Hymbercourt in das Gemach und nahmen, nachdem sie den beiden Fürsten ihre Ehrfurcht bezeigt hatten, stillschweigend die für sie leer gelassenen Plätze ein. – »Nun, ihr Herren,« rief ihnen der Herzog zu, »eure Jagd muß entweder sehr gut oder sehr schlecht gewesen sein, da sie euch so weit führte und so lange ausbleiben ließ. Herr Philipp von Comines, Ihr seid ja recht niedergeschlagen, – hat etwa Hymbercourt gegen Euch eine bedeutende Wette gewonnen? – Ihr seid doch aber Philosoph und dürft Euch ein Unglück nicht so zu Herzen nehmen ... Beim heiligen Georg, Hymbercourt sieht ganz ebenso sauer drein als Ihr ... Was soll das, meine Herren? Habt ihr kein Wild gefunden, oder sind euch eure Falken drauf gegangen? Bei meiner Ehre, ihr seht aus, als ob ihr zu einem Leichenzuge und nicht zu einem Feste kämet ...« Aller Augen waren auf Hymbercourt und Argenton gerichtet, denn man war von ihnen nicht gewöhnt, sie so zu sehen. »Was bedeutet euer Stillschweigen, meine Herren?« fragte der Herzog, seine von Natur rauhe Stimme verschärfend; »wenn ihr kein vergnügtes Gesicht schneiden könnt, so wäre es klüger gewesen, im Sumpfe zu bleiben und Reiher oder Schnepfen und Nachteulen zu pirschen.« – »Gnädigster Herr!« sagte Argenton, »gerade als wir aus dem Forste heraustraten, trafen wir den Grafen Crevecoeur.« – »Wie?« sagte der Herzog, – »ist er schon aus Brabant zurück? Er hat doch alles gut angetroffen?« »Der Graf wird Euer Gnaden sogleich Bericht erstatten,« sagte Hymbercourt, »wir haben ihn nur deshalb gehört.« – »Aber wo bleibt denn der Graf?« fragte der Herzog. – »Er wechselt bloß die Kleider, um Ew. Hoheit aufzuwarten,« antwortete Hymbercourt. – »Mord und Brand!« rief der ungeduldige Fürst. »Was gehen mich seine Kleider an? ich glaube, ihr habt euch verschworen, mich toll zu machen!« – »Oder vielmehr, um es gerade herauszusagen,« fiel Argenton ein, »er läßt Euch bitten, was er zu melden hat, Euch in Privataudienz zu melden.« – »Teufel auch, mein Herr König,« rief Karl, »so machen es unsere Räte mit uns, – wenn sie etwas haben, das sie als recht wichtig für unsere Ohren erachten, so sehen sie so ernsthaft drein und sind so stolz auf ihre Last, wie der Esel auf einen neuen Packsattel ... Graf Crevecoeur soll sogleich vor uns erscheinen; er kommt von der Lütticher Grenze, wo wir wenigstens (er legte auf das Wort wieder einigen Nachdruck) keine Geheimnisse haben, die wir nicht der ganzen Welt offenbaren dürfen.«

Der Herzog, dessen ungestümer Sinn durch den vielen Weingenuß erheblich gesteigert worden war, blickte unaufhörlich nach der Tür, als ob er das, was da kommen sollte, nicht erwarten könnte, und die Gäste hefteten beklommen die Augen auf die Tafel, als ob sie ihre Neugier und ihre Aengstlichkeit zu verbergen suchten. Ludwig allein behielt seine vollkommene Fassung und setzte abwechselnd mit dem Obervorschneider und dem Spaßmacher seine Unterhaltung fort. Endlich trat Crevecoeur ein, von seinem Herrn mit der hastigen Frage empfangen: »Nun, Herr Graf, was gibt's Neues in Lüttich und Brabant? Das Gerücht von Eurer Ankunft hat Lust und Freude von unserer Tafel verscheucht. Eure Gegenwart wird sie uns hoffentlich wieder zurückbringen.« – »Mein Herr und Gebieter,« antwortete der Graf in einem festen, aber schwermütigen Tone, »die Neuigkeiten, die ich bringe, eignen sich mehr für eine Ratsversammlung als für eine festliche Tafel.« – »Heraus damit, Mann, und kämen sie vom Antichrist,« rief der Herzog, »aber ich kann sie schon erraten – die Lütticher sind wieder im Aufstande begriffen.« – »Allerdings, mein Gebieter,« antwortete Crevecoeur sehr ernst.« – »Seht doch, ich habe es gleich erraten, was Du so ungern mir mitteilen wolltest. Aber das paßt sich ja insofern gut, als uns Herr Ludwig, unser Oberlehnsherr, sagen kann, wie man mit solchen Meuterern am besten umspringt. Hast Du noch mehr Neuigkeiten in Deinem Bündel? Heraus damit, und dann verantworte Dich, warum Du nicht vorgerückt bist, um dem Bischof beizustehen?« – »Mein Fürst, es wird schwer, Euch die weitern Nachrichten mitzuteilen, die Euch sehr erschüttern werden. – Weder ich noch die ganze lebende Ritterschaft hätte dem trefflichen Bischof helfen können. Wilhelm von der Mark hat in Verbindung mit den empörten Lüttichern sein Schloß Schönwald genommen und ihn in seiner eigenen Halle ermordet.«

»Ermordet!« wiederholte der Herzog mit tiefer, gedämpfter Stimme, die man jedoch von einem Ende der Halle bis zum andern vernehmen konnte. »Du hast Dich von irgend einem schrecklichen Gerüchte täuschen lassen, Crevecoeur – es ist nicht möglich!« – »Leider, gnädigster Herr!« versetzte der Graf, »hab ich es aus dem Munde eines Augenzeugen, eines Bogenschützen von der schottischen Garde des Königs von Frankreich, der in der Halle war, als der Mord auf Wilhelm von der Marks Befehl verübt wurde.« – »Und der ohne Zweifel bei dieser schrecklichen und gotteslästerlichen Tat den Helfershelfer und Aufreizer machte,« sagte der Herzog, indem er aufsprang und mit solcher Wut mit dem Fuße stampfte, daß er den Schemel vor ihm in Stücke zertrat. »Verriegelt die Saaltüren, Ihr Herren, verschließt die Fenster, – laßt keinen Fremden bei augenblicklicher Todesstrafe sich von der Stelle bewegen! – »Ihr meine Hofkavaliere, zieht Eure Schwerter!« Und nun wandte er sich zu Ludwig und legte die Hand langsam und entschlossen an den Griff seines Schwertes, indes der König, ohne die mindeste Furcht zu zeigen oder sich zur Wehr zu setzen, bloß die Worte sprach: »Diese Neuigkeiten, mein lieber Vetter, haben Euren Verstand verwirrt.« – »Nein!« rief der Herzog in einem furchtbaren Tone, »aber sie haben ein gerechtes Gefühl der Rache in mir erweckt, das ich nur zu lange durch eitle Rücksicht auf Ort und Umstände in mir habe unterdrücken lassen. Mörder Deines Bruders! Rebell gegen Deinen Vater! Tyrann gegen Deine Untertanen! Verräterischer Bundesgenosse! Meineidiger König! Mann ohne Ritterehre! Du bist in meiner Gewalt und ich danke Gott dafür!« – »Dank's vielmehr meiner Torheit,« sprach der König; »denn als wir uns unter gleichen Verhältnissen bei Monthlery trafen, dünkt mich, wünschtet Ihr Euch viel weiter von mir entfernt, als wir jetzt sind.«

Der Herzog hielt die Hand noch immer am Griffe seines Schwertes, aber ohne es aus der Scheide zu ziehen, weil sich Ludwig auf keine Weise zum Widerstande rüstete. Im Saale herrschte ein beispielloser Wirrwarr. Die Türen waren auf des Herzogs Befehl verschlossen worden, und einige von dem französischen Adel sprangen von ihren Sitzen auf und rüsteten sich zur Verteidigung ihres Gebieters. Ludwig hatte weder mit Orleans noch mit Dunois ein Wort gesprochen, seit sie aus ihrer Haft in Loches entlassen worden waren. Gleichwohl war Dunois' Stimme die erste, die das Getümmel übertönte. »Herr Herzog,« rief er, »habt Ihr vergessen, daß Ihr ein Vasall von Frankreich seid, und daß wir, Eure Gäste, Franzosen sind? Erhebt Ihr Eure Hand gegen unsern Monarchen, werden wir uns ebenso in Burgunds Blute sättigen, wie wir's in seinem Weine getan haben ... Mut, Herr Herzog von Orleans! ... und ihr, Ritter und Edle Frankreichs, sammelt euch um Dunois, und tut, was er tut!«

In einem solchen Augenblick kann ein König erkennen, auf wen er sich verlassen darf. Die wenigen unabhängigen Edeln und Ritter in Ludwigs Begleitung, die fast sämtlich nur Beweise von Kälte und Ungnade von ihm erhalten hatten, scharten sich, ohne sich durch die unendlich überlegene Macht im geringsten schrecken zu lassen, um Dunois und drängten sich unter seiner Leitung nach dem obern Ende der Tafel, wo die beiden streitenden Fürsten saßen. An ihrer Spitze stand der ehrwürdige Lord Crawford, der sich mit einer Gewandtheit, die niemand von seinen Jahren erwartet hätte, zwischen den König und den Herzog warf, seine Mütze, unter der sein weißes Haar in aufgelösten Flechten herabfloß, auf die Seite rückend, während sich seine bleichen Wangen und seine welke Stirn färbten. Sein altes Auge sprühte noch ganz das Feuer eines jungen Kriegers, der eine verzweifelte Tat vollbringen will; sein Mantel hing über die Schultern und seine Bewegungen deuteten an, daß er bereit sei, ihn zum Schutze um den linken Arm zu wickeln, indes er mit der Rechten sein Schwert entblößte. »Ich habe für seinen Vater und für seinen Großvater gefochten!« rief er, »und beim heiligen Andreas, die Sache ende, wie sie wolle, ich verlasse ihn nicht in dieser Not!«

Der Herzog von Burgund, noch immer mit der Hand am Schwerte, schien jeden Augenblick das Zeichen zu einem allgemeinen Angriff geben zu wollen, der notwendigerweise mit der Niedermetzelung des schwächeren Teils endigen mußte; da drang plötzlich Crevecoeur vor und rief mit einer Stimme, laut wie eine Trompete: »Mein Lehnsherr von Burgund, bedenkt, was Ihr tut! Dies ist Eure Halle – Ihr seid des Königs Vasall, – vergießt nicht das Blut Eures Gastes an Eurem Herde! nicht das Blut Eures Souveräns an dem Throne, den Ihr ihm selbst errichtet habt und den er unter Eurem Geleite bestiegen hat. Um der Ehre Eures Hauses willen, rächt nicht einen schrecklichen Mord durch einen zweiten noch schrecklicheren!« – »Aus dem Wege, Crevecoeur!« rief der Herzog, »laß meiner Rache freien Lauf! Aus dem Wege, sag' ich! Der Zorn der Könige ist furchtbar, wie der des Himmels!« »Nur dann, wenn er, wie der des Himmels, gerecht ist,« antwortete Crevecoeur mit Entschlossenheit; »laßt Euch bitten, mein Gebieter, die Heftigkeit Eures Gemüts zu bezähmen, wenn Ihr auch mit allem Rechte Euch beleidigt fühlt ... Und Ihr, Ihr französischen Kavaliere, vergeßt, wo Widerstand nichts helfen kann, alles, was zu Blutvergießen führen möchte.« – »Er hat recht,« sagte Ludwig, dessen Kaltblütigkeit ihn auch in diesem furchtbaren Augenblick nicht verließ; »Vetter Orleans, lieber Dunois, und Ihr, mein treuer Crawford, führt nicht durch voreilige Erbitterung Verderben und Blutvergießen herbei! Unser Vetter, der Herzog, ist durch die Nachricht von dem Tode eines nahen und geliebten Freundes entrüstet, dessen Ermordung wir ebenso tief beklagen, als er. Aeltere und unglücklicherweise auch neuere Mißverständnisse verleiten ihn zu dem Verdacht, als hätten wir einem Verbrechen Vorschub getan, das unser Herz verabscheut. Sollte unser Gastfreund uns auf dieser Stelle ermorden – uns, seinen König und Verwandten, auf die Beschuldigung hin, als hätten wir bei dieser unglücklichen Geschichte mitgewirkt, so wird unser Schicksal durch Euern Widerstand nicht erleichtert, sondern im Gegenteil nur noch verschlimmert werden. – So tretet denn zurück, Crawford! – und wäre es mein letztes Wort, ich spreche es als König zu seinem Offizier und verlange Gehorsam – tretet zurück und gebt, wenn es verlangt wird, Eure Schwerter ab. Ich befehle Euch, also zu tun, und Euer Eid legt Euch Gehorsam auf.«

»Wahr, sehr wahr, mein Gebieter,« sprach Crawford, indem er zurücktrat und die halbgezogene Klinge in die Scheide zurückstieß, »das mag alles ganz wahr sein, aber bei meiner Ehre, ständ ich an der Spitze von siebenzig meiner braven Leute, statt mit ebenso vielen Jahren belastet zu sein, so wollt ich versuchen, ob ich nicht gegen diese Herren da mit ihren goldenen Ketten und verbrämten Mützen, mit den bunten Farben und Sinnsprüchen daran, Recht erhalten könnte.«

Der Herzog stand lange Zeit, die Augen auf den Boden geheftet, da und sprach endlich im Tone bittern Spotts: »Ihr habt recht, Crevecoeur, und unsere Ehre fordert es, daß wir unsere Verpflichtungen gegen diesen großen König, gegen unsern geehrten und lieben Gast, nicht so schnell aus den Augen setzen, als wir es im ersten Ausbruch unseres Zornes beschlossen hatten. Wir wollen so handeln, daß ganz Europa die Gerechtigkeit unseres Verfahrens anerkennen soll, – »Ihr Herren aus Frankreich, ihr müßt eure Waffen meinen Offizieren abgeben! Euer Herr hat den Waffenstillstand gebrochen und kann fernerhin keine Ansprüche auf dessen Wohltaten machen. Indes aus Rücksicht auf euer Ehrgefühl, – und aus Achtung für den Rang, den er entehrt hat, fordern wir unserm Vetter Ludwig sein Schwert nicht ab.« – »Keiner von uns wird seine Waffen abgeben,« rief Dunois, »oder diese Halle verlassen, bis uns wenigstens zugesichert wird, daß unserem Könige an Leib und Leben kein Leid geschieht.« – »Auch kein Mann von der schottischen Leibwache legt die Waffen nieder, wenn nicht der König von Frankreich oder sein Großconnetable es befiehlt,« rief Crawford. »Wackerer Dunois,« sprach Ludwig, »und Ihr, mein treuer Crawford! Euer Eifer wird mir mehr schaden als nützlich sein ... Ich vertraue,« setzte er mit Würde hinzu, »mehr meiner gerechten Sache als vergeblichem Widerstand, der nur meinen besten und wackersten Untertanen das Leben kosten würde. – Gebt eure Schwerter ab! Ich befehle es euch!«

So zeigte Ludwig in diesem furchtbaren Moment jenen Scharfblick, der allein sein Leben retten konnte. Er vermied es zwar, den Zorn des Herzogs bis zur tobenden Wut zu steigern, allein er ließ sich weder zu Bitten herab, noch schien er den Zorn zu fürchten, sondern blickte dem Herzoge fortwährend fest und ruhig ins Auge, wie ein wackerer Mann, die drohenden Gebärden eines Wahnsinnigen betrachtet, überzeugt, daß Festigkeit und Fassung unmerklich, aber mächtig, auch die Wut der Tollheit hemmen.

Crawford warf auf des Königs Befehl Crevecoeur sein Schwert hin mit den Worten: »Nehmt es! und möge es Euch der Teufel segnen – es ist für den rechtmäßigen Besitzer keine Schande, es abzugeben, denn es galt keinen rechtlichen Kampf.«

»Halt, ihr Herren!« rief der Herzog mit schwerer Zunge, wie wenn ihn die Leidenschaft deren Gebrauchs beraubt hätte, »behaltet eure Schwerter! Mir genügt euer Versprechen, sich ihrer nicht zu bedienen, – Ihr aber, Ludwig von Balois, müßt Euch als mein Gefangener betrachten, bis Ihr Euch von dem Verdachte gereinigt habt, Mord und Schändung des Heiligtums angestiftet zu haben. Bringt ihn nach dem Schlosse – nach dem Hubertusturm; er soll sechs Herren seines Gefolges zu seiner Bedienung haben, die er sich selbst wählen mag. – Lord Crawford, Eure Wache muß das Schloß verlassen und soll anderswo ehrenvoll untergebracht werden. – Zieht alle Zugbrücken auf und laßt die Schutzgatter herab. – Laßt die Stadttore dreifach besetzen, – die schwimmenden Brücken auf das rechte Ufer bringen. – Meine schwarzen Wallonen umringen das Schloß, und die Schildwachen werden auf jedem Posten verdreifacht! Ihr, Hymbercourt, sorgt dafür, daß Streifwachen zu Pferde und zu Fuß, während der Nacht halbstündlich, und stündlich am folgenden Tage, um die Stadt die Runde machen, falls noch nach Tagesanbruch eine solche Bewachung nötig sein sollte; denn wir gedenken, die Sache schnell zu Ende zu bringen. Habt acht auf die Person Ludwigs, so lieb Euch Euer Leben ist!« Hier erhob er sich voll Zorn und Unmut von der Tafel, warf einen Blick tödlicher Feindschaft auf den König und stürmte aus dem Gemache.

»Ihr Herren,« sprach der König, indem er mit Würde um sich blickte, »der Kummer über den Tod seines Bundesgenossen hat eurem Fürsten den Verstand verwirrt. Ihr kennt hoffentlich eure Pflicht als Ritter und Edle besser, als daß ihr ihn in seiner verräterischen Gewalttat an der Person seines Lehnsherrn unterstützen solltet.« In diesem Augenblicke hörte man auf den Straßen Trommelschlag und Hörnerklang, die die Soldaten nach allen Richtungen hin auf ihre Posten riefen. – »Wir sind Untertanen von Burgund,« versetzte Grevecoeur, der das Marschallamt an des Herzogs Hofe versah, »und müssen als solche tun, was unseres Dienstes ist; unsere Hoffnungen und Bitten, sowie alle unsere Bemühungen sollen dahin gehen, Friede und Eintracht zwischen Ew. Majestät und unserm Lehnsherrn zu stiften. Vor der Hand müssen wir seinen Befehlen Gehorsam leisten. Diese andern Herren und Ritter werden es sich zur Ehre rechnen, für die Bequemlichkeit des erlauchten Herzogs von Orleans, des tapfern Dunois und des wackern Lord Crawford, Sorge zu tragen. Ich selbst muß Ew. Majestät Kämmerer sein und Euch nach Euern Zimmern begleiten, die anders beschaffen sind, als ich wohl wünschen möchte, wenn ich Eurer Gastfreiheit zu Plessis gedenke. Ihr habt freie Wahl Eurer Diener, deren Zahl des Herzogs Befehl auf sechs beschränkt hat.« – »Nun denn,« sprach der König, indem er umherblickte und sich einen Augenblick bedachte – »so wünsche ich Oliver le Dain, einen Mann meiner Leibwache, Balafré genannt, der, wenn Ihr wollt, unbewaffnet sein mag, Tristan l'Hermite nebst zweien seiner Leute, und meinen ergebenen, treuen Philosophen, Martius Galeotti, bei mir zu haben.« – »Ew. Majestät Wille soll in allen Stücken erfüllt werden,« versetzte Crevecoeur; »Galeotti,« setzte er hinzu, »speist, wie ich höre, jetzt eben in einer lustigen Gesellschaft zu Nacht; es soll aber gleich nach ihm geschickt werden. Die übrigen werden auf der Stelle zu Eurer Majestät Befehlen sein.« – »Nun, vorwärts denn, nach der neuen Wohnung, die die Gastfreundschaft unseres Vetters für uns bereit hat,« sagte der König. »Sie ist, wie wir wissen, fest, und wir wollen bloß hoffen, daß sie ebenso sicher sein möge.«

»Habt Ihr die Wahl gehört, die König Ludwig unter seinen Leuten getroffen hat?« fragte le Glorieux beiseite den Grafen Crevecoeur, als sie Ludwig aus der Halle begleiteten. – »Allerdings, mein lustiger Gevatter,« versetzte der Graf, »was hast Du denn da dagegen einzuwenden?« – »Nichts, gar nichts! Ich bewundere nur die seltene Wahl! – Ein spitzbübischer Barbier, – ein gedungener, schottischer Gurgelabschneider, – der oberste Krawattenschneider nebst seinen beiden Adjutanten und ein diebischer Marktschreier. – Ich will mit Euch gehen, Crevecoeur, und eine Lektion in der Schurkerei nehmen, wie auch Eure Geschicklichkeit bei Einführung dieser Schufte in ihre Wohnung beobachten. Der Teufel selbst hätte keine bessere Synode zusammengebracht, noch einen besseren Präsidenten dabei abgeben können.«

Der Possenreißer, der sich alles erlauben durfte, faßte demzufolge vertraulich Graf Crevecoeur und ging ihm zur Seite, während dieser den König unter starker Bedeckung, ohne jedoch gegen die Ehrerbietung zu verstoßen, nach seiner neuen Wohnung geleitete.


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