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Zweites Kapitel.

 

Nicht die Scene ist's allein; der Mensch, Anselmo,
Er findet Sympathie in diesen milden Wogen
Und der schäumenden See, die schön're Gegend
Und glatt're Wellen ihm versagen.

Altes Schauspiel.

 

Die wenigen Bewohner des Gebietes von Jarlshof hörten mit Besorgniß, daß Jemand von höherem Range seinen Wohnsitz in dem alten Gebäude aufschlagen würde, das sie noch immer das Schloß nannten. In jenen Zeiten (die jetzigen haben sich bei weitem gebessert) war die Gegenwart eines Vornehmen fast unausbleiblich mit schweren Lasten und Erpressungen verknüpft, für welche die Lehensrechte unter dieser oder jener Beschönigung mehr als einen Vorwand darboten, und so nahm Jeder von diesen einen Theil des sauern und mißlichen Erwerbs der Bauern, zum Nutzen des mächtigen Nachbars und Ober-Pächters, oder Tacksman, wie er genannt wurde, hinweg. Die Unter-Pächter fanden indeß bald, daß von Basil Mertoun keine dieser Erpressungen zu fürchten sei. Sein eigenes Vermögen, mochte es nun gering oder bedeutend sein, reichte wenigstens vollkommen zur Bestreitung seiner Ausgaben hin, welche, so weit es seine eigene Lebensweise betraf, höchst mäßig waren. Einige wenige Bücher und einige physikalische Instrumente, die er dann und wann von London erhielt, schienen auf einen Grad von Reichthum hinzudeuten, der auf diesen Inseln ungewöhnlich war; auf der andern Seite aber waren der Tisch und die übrigen Bedürfnisse in Jarlshof um nichts besser, als was man bei einem shetländischen Grundbesitzer der gewöhnlichsten Art finden konnte.

Die Bewohner des Dorfes kümmerten sich sehr wenig um den Stand ihres Obern, sobald sie gefunden hatten, daß seine Gegenwart eher zur Verbesserung als zur Verschlimmerung ihres Zustandes beitrug; und als sie einmal von der Besorgniß befreit waren, daß er sie unterdrücken würde, überlegten sie nur, wie sie ihn durch alle möglichen Kunstgriffe betrügen und übervortheilen könnten, – was sich der Fremde auch eine Zeitlang mit wahrer philosophischer Gleichgültigkeit gefallen ließ. Ein Vorfall, der sich zutrug, zeigte aber seinen Charakter bald in einem neuen Lichte, und that allen weiteren Versuchen zur übermäßigen Uebervortheilung auf einmal Einhalt.

In der Küche des Schlosses entstand nämlich ein heftiger Streit zwischen einer alten Gouvernante, welche bei Mr. Mertoun das Amt einer Haushälterin versah, und Sweyn Erikson, einem so ächten Shetländer, als je einer ein Boot zu dem Haaf-Fischfang D. i. der Fischfang auf offener See, zum Unterschied von der Küstenfischerei. ruderte; und dieser Zank wurde, wie es in solchen Fällen gewöhnlich ist, mit so zunehmender Hitze und solchem Lärm fortgesetzt, daß er sogar bis zu den Ohren des Herrn, wie man ihn nannte, drang, der so eben in einem einsamen Thurme mit genauer Untersuchung eines Packes Bücher von London beschäftigt war, welche, nach langer Verzögerung, nach Hull, von da auf einem Wallfischfahrer nach Lerwick, und so nach Jarlshof gelangt waren. Mit mehr als dem gewöhnlichen Ausbruche von Unwillen, den phlegmatische Leute immer äußern, wenn sie durch irgend eine unangenehme Veranlassung einmal in Bewegung kommen, stieg Mr. Mertoun die Treppe hinab, eilte dem Schauplatze des Streites zu, und that nun so rasche, entschiedene und dringende Fragen, daß die Parteien, trotz aller Ausflüchte, hinter denen sie die Ursache des Streites verbergen wollten, sie am Ende doch nicht läugnen konnten. Sie hatten sich nämlich über den Antheil gestritten, welcher der ehrlichen Gouvernante und dem nicht weniger ehrlichen Fischer an dem Gewinn von hundert Procent zustand, den der Kauf eines Vorraths von Kabeljau, welchen die Erstere von dem Letzteren zum Gebrauche der Familie von Jarlshof erhandelt hatte, abwerfen sollte.

Als Mertoun sich hierüber völlige Gewißheit und das Eingeständniß verschafft hatte, blickte er die Schuldigen mit Augen an, in denen die äußerste Verachtung mit der erwachenden Hitze zu kämpfen schien. Zu seiner Haushälterin sagte er endlich: »Du alte Hexe, meide auf der Stelle mein Haus, und wisse, daß ich dich nicht deßwegen verabschiede, weil du eine Lügnerin, eine Diebin und eine verworfene Undankbare bist – denn diese Eigenschaften kleben dir an, wie der Name Weib – sondern weil du es wagst, in meinem Hause lauter zu sein, als es die Noth erfordert. – Und du Schurke, der du denkst, du kannst einen Fremden so leicht betrügen, wie du einen Wallfisch abstreifst Flinching; so nennt man das Abstreifen des Wallfisches von seinen Rippen., wisse, daß ich mit den Rechten wohl bekannt bin, welche mir dein Herr, Magnus Troil, über dich eingeräumt hat. Reize nur meinen Zorn, und du sollst zu deinem Schaden erfahren, daß ich dich in deiner Ruhe eben so leicht stören kann, als du mich in meiner Muße. Ich kenne die Bedeutung von Scat und Wattle und Hawkhen und Hagales, und jeder andern Bedrückung, womit euch in älterer und neuerer Zeit eure Herren heimgesucht haben, und es soll auch nicht Einer von euch sein, der nicht den Tag bereut, an dem er – nicht zufrieden, mich um mein Geld betrogen zu haben – es wagt, mich in meiner Muße mit seinem schändlichen nordischen Geschrei zu stören, das an Mißklang dem Gekrächze eines Schwarmes von Möven gleicht.«

Sweyn wußte auf diesen derben Verweis nichts Besseres zu entgegnen, als die demüthige Bitte, daß der gnädige Herr doch den Kabeljau umsonst behalten und nichts weiter von der Sache erwähnen möge. Mertouns Hitze war aber jetzt schon zu unbezähmbarer Wuth gestiegen, und während er mit der einen Hand dem Fischer das Geld an den Kopf schleuderte, warf er ihn mit der andern sammt seinen Fischen zum Zimmer hinaus.

Es lag in dem Wesen des Fremden bei dieser Gelegenheit eine so furchtbare und tyrannische Wuth, daß Sweyn sich weder Zeit ließ, das Geld aufzuheben, noch seine Waare zurückzunehmen, sondern in voller Eile nach dem kleinen Dorfe rannte, seinen Kameraden zu erzählen, wenn sie Mr. Mertoun noch mehr aufbrächten, würde er ein wahrer Pate Stuart Wahrscheinlich ist hier Patrik Stuart, Graf von Orkney, gemeint, der wegen der Tyrannei und Bedrückung gegen die Einwohner dieser Inseln zu Anfange des siebzehnten Jahrhunderts hingerichtet wurde.] für sie werden, und ohne Rechtsspruch und Gnade köpfen und hängen lassen. Dahin kam auch die verabschiedete Haushälterin, um mit ihren Nachbarn und Verwandten (denn sie war ebenfalls im Dorfe geboren) zu berathschlagen, was sie thun sollte, um die vortheilhafte Stelle wieder zu erhalten, welche sie so plötzlich verloren hatte. Der alte Ranzellaar des Dorfes, welcher die wichtigste Stimme bei den Berathungen im Dorfe hatte, entschied, nachdem er gehört hatte, was vorgegangen war, dahin: daß Sweyn Erikson offenbar einen zu hohen Preis gemacht hätte, und daß, welches Vorwandes der Tacksman sich auch bedient haben möge, seinem Aerger Luft zu machen, der wahre Grund doch gewiß der gewesen sei, daß man ihm den Kabeljau das Stück zu einem Penny anrechnete, statt nur einen halben Penny zu nehmen; er ermahnte daher die sämmtlichen Bewohner, künftig nie höher als drei Pence auf den Schilling aufzuschlagen, was ihr Herr im Schlosse vernünftiger Weise nicht unbillig finden könnte, da man ja doch aus seiner Aeußerung, ihnen nicht zu nahe treten zu wollen, den natürlichen Schluß ziehen dürfte, daß er ihnen auf jede billige Weise Gutes thun wolle. »Und drei auf zwölf« – sagte der wohlerfahrene Ranzellaar – »ist ein anständiger und mäßiger Gewinn, und wird Gottes und des heiligen Ronalds Segen haben.«

Dem Tarif gemäß, der ihnen auf diese Weise klüglich empfohlen wurde, nahmen also die Bewohner von Jarlshof von Mertoun künftig nur den mäßigen Gewinn von 25 Procent, ein Maaßstab, den sich alle Nabobs, Armee-Lieferanten, Spekulanten in den öffentlichen Staatspapieren, und Andere, die durch neue und schnelle Glücksfälle in den Stand gesetzt worden sind, auf dem Lande eine große Figur zu spielen, als sehr billig von ihren ländlichen Nachbarn gefallen lassen sollten. Mertoun schien wenigstens dieser Meinung zu sein, denn er bekümmerte sich von nun an um seine häuslichen Ausgaben nicht genauer.

Die versammelten Väter von Jarlshof zogen, nachdem sie ihre eigene Angelegenheit in Richtigkeit gebracht hatten, zunächst die Sache der Swertha, der verbannten und aus dem Schlosse vertriebenen Matrone, in Erwägung, die sie, als eine erfahrene und nützliche Bundesgenossin, wo möglich gern wieder in ihr altes Amt eingesetzt gesehen hätten. Hier aber reichte alle ihre Weisheit nicht aus, und Swertha nahm nun in ihrer Noth ihre Zuflucht zu Mordaunt Mertoun's Vermittelung, dessen Gunst sie sich durch ihre Bekanntschaft mit den alten norwegischen Balladen und schauerlichen Erzählungen von den Trows oder Trews (den Zwergen der alten nordischen Barden) erworben hatte, mit denen die abergläubische Vorzeit so manche einsame Höhle und so manches dunkle Thal in Dunroßneß, so wie jeden andern Distrikt in Schottland, bevölkert hatte. »Swertha,« sagte der Jüngling, »ich kann nur wenig für dich thun, wohl aber magst du für dich selbst sprechen. Meines Vaters Zorn gleicht dem Grimme der alten Kämpen, von denen du zuweilen singst.«

»Ja, ja, Fisch meines Herzens« – erwiderte die alte Frau, in erhaben-weinerlichem Tone – »die Berserker! Das waren Kämpen, welche vor der gesegneten Zeit des heiligen Olafs lebten, und sich wie Wüthende in Schwerter, Speere, Harpunen und Musketen stürzten, sie in Stücken brachen, wie ein Wallfisch ein Häringsnetz zerreißt, und sobald der Grimm vorüber war, so schwach und wandelbar waren, wie Wasser.«

»So ist es, Swertha,« sagte Mordaunt. »Mein Vater denkt nie mehr an seinen Zorn, sobald er vorüber ist, und hat so viel von einem Berserker an sich, daß, so aufgebracht er an einem Tage auch gewesen sein mag, er doch am andern nichts mehr davon weiß. So hat er denn auch deine Stelle in der Haushaltung des Schlosses noch nicht wieder besetzt; wir haben keinen Bissen warmes Essen gehabt, seit du weggegangen bist, kein Brod ist gebacken worden, sondern wir haben nur von den kalten Speisen gelebt, die gerade vorräthig waren. Ich bürge dir dafür, Swertha, wenn du ganz dreist auf's Schloß gehst, und deine Geschäfte wie gewöhnlich verrichtest, wird mein Vater dir nicht ein Wort sagen.«

Swertha bedachte sich Anfangs, diesen kühnen Rath zu befolgen. Sie sagte: ihrem Bedünken nach hätte Mr. Mertoun, als er zornig war, eher wie der höllische Feind ausgesehen, als wie ein Berserker, seine Augen hätten Feuer ausgesprüht, und der Schaum ihm auf den Lippen gestanden, und es würde die Vorsehung versuchen heißen, wenn sie sich einer solchen Gefahr abermals aussetzte. Der Sohn sprach ihr indessen Muth ein, und sie entschloß sich endlich, dem Vater wieder unter die Augen zu treten, kleidete sich in ihre gewöhnliche Hauskleidung, was Mordaunt vorzüglich empfohlen hatte, schlich sich auf das Schloß, übernahm ihre verschiedenen und zahlreichen häuslichen Verrichtungen wieder, und schien dabei so angelegentlich beschäftigt, als ob sie nie außer Dienst gewesen wäre.

Am ersten Tage nach ihrer Rückkehr zu ihrem Amte ließ sich Swertha gar nicht vor ihrem Gebieter sehen, sondern glaubte, daß nach einer dreitägigen Nahrung mit kalter Speise eine warme Schüssel, mit all' der Kunst bereitet, welche ihr zu Gebote stand, die beste Empfehlung für sie sein würde. Als Mordaunt ihr sagte, daß sein Vater die Veränderung im Essen gar nicht einmal beachtet hätte, und da sie selbst bemerkte, daß, wenn sie gelegentlich bei ihm vorüberging, ihre Erscheinung auf ihren sonderbaren Gebieter gar keinen Eindruck machte, begann sie zu vermuthen, daß die ganze Sache aus Mr. Mertouns Gedächtniß entschwunden sei. In diesem Glauben wurde sie auch nicht eher wankend gemacht, als bis eines Tages ihre Stimme in einem Streite mit der andern Dienstmagd lauter als gewöhnlich wurde, und ihr Gebieter, der zufällig vorüberging, ihr einen bedeutenden Blick zuwarf, und das einzige Wort » bedenke!« mit einem Tone aussprach, der Swertha's Zunge mehrere Wochen lang im Zaume hielt.

So eigenthümlich Mertoun bei der Führung seines Haushaltes zu Werke zu gehen schien, eben so verfuhr er auch bei der Erziehung seines Sohnes. Nur selten zeigte er väterliche Zuneigung gegen ihn, und doch schien Mordaunts Erziehung das wichtigste Geschäft seines Lebens zu sein. – Er besaß Bücher und Kenntnisse genug, ihm in den gewöhnlichen Zweigen des Wissens Unterricht zu ertheilen, war dabei pünktlich, ruhig und genau, und forderte von seinem Zöglinge, nicht ohne Strenge, die Aufmerksamkeit, durch die allein er Fortschritte machen konnte. Bei dem Studium der Geschichte, auf welche die Aufmerksamkeit Beider sich oft lenkte, so wie bei dem der klassischen Schriftsteller, kamen oft Thatsachen oder Gesinnungen zur Sprache, welche einen augenblicklichen Eindruck auf Mertouns Gemüth machten, und plötzlich das herbeiführten, was Swertha, Sweyn und selbst Mordaunt, seine schwarze Stunde zu nennen pflegten. Gewöhnlich fühlte er deren Herannahen selbst, und zog sich dann in ein inneres Gemach zurück, welches selbst Mordaunt nicht betreten durfte. Hier brachte er Tage, ja selbst Wochen lang in Abgeschiedenheit zu, und kam nur zu unbestimmten Zeiten heraus, die Nahrung zu nehmen, die man in seine Nähe gestellt hatte, und wovon er nur äußerst wenig genoß. Zu andern Zeiten, und besonders um die Winter-Sonnenwende, wo beinahe Jedermann die Zeit im Hause unter Schmausen und Lustbarkeit zubringt, pflegte der unglückliche Mann, in einen dunkelfarbigen Schiffermantel gehüllt, an dem stürmischen Gestade, oder auf der öden Haide umherzuwandeln, seinen düstern und wilden Träumereien unter dem unfreundlichen Himmel nachzuhängen, und dieß um so lieber, da er dann sicher war, Niemanden zu begegnen, und von Niemanden beobachtet zu werden.

Als Mordaunt älter wurde, lernte er die besondern Anzeichen, welche diesen Anfällen der Verzweiflung vorangingen, genauer kennen, und die Vorkehrungen treffen, welche seinen unglücklichen Vater vor jeder unzeitigen Störung (die ihn unausbleiblich zur Wuth trieb) sichern konnten, während auf der andern Seite alles Nöthige zu seinem Unterhalt in Bereitschaft gehalten wurde. Mordaunt bemerkte, daß die Anfälle des Trübsinns von bei weitem längerer Dauer waren, wenn er sich dann zufällig seinen Augen zeigte. Aus Ehrerbietung gegen seinen Vater, so wie aus der Liebe zu rascher Bewegung und zum Vergnügen, welche diesen Jahren so eigen ist, pflegte Mordaunt dann das Schloß von Jarlshof und selbst den Bezirk ganz zu verlassen, überzeugt, daß sein Vater, wenn die finstere Stunde in seiner Abwesenheit vorübergegangen war, sich wenig darum kümmern würde, wie er seine Mußestunden zugebracht, wenn er nur sicher sein konnte, daß er ihn selbst nicht in seinen schwachen Augenblicken belauscht habe, eine Sache, die er mit der möglichsten Vorsicht zu verhüten suchte.

Zu solchen Zeiten waren also dem jüngeren Mertoun die Quellen des Vergnügens, welche die Gegend darbot, geöffnet, und in diesen freien Zwischenräumen überließ er sich auch den Regungen seines kühnen, thätigen und unternehmenden Charakters. Oft zog er mit den jüngeren Männern des Dorfes auf jene gefährlichen Unternehmungen aus, gegen welche, »das furchtbare Gewerbe des Meerfenchelsammlers,« ein Spaziergang auf ebenem Boden ist; oft nahm er Theil an den mitternächtlichen Ausflügen auf die Abhänge der steilen Klippen, um die Eier oder die Jungen der Seevögel auszunehmen, und zeigte bei diesen kühnen Abenteuern eine Behendigkeit, Geistesgegenwart und Gewandtheit, welche bei einem so jungen und nicht im Lande geborenen Manne selbst die ältesten Jäger in Erstaunen setzte.

Zu andern Zeiten begleitete Mordaunt den Sweyn und andere Fischer auf ihren langen und gefährlichen Fahrten auf die offne hohe See, und lernte unter ihrer Führung das Boot regieren, worin sie es jedem andern Eingeborenen des brittischen Reiches gleich, oder vielleicht noch zuvorthun. Diese Fahrten hatten aber, außer dem Fischfange, noch etwas besonders Anziehendes für Mordaunt. Es waren damals noch die alten norwegischen Sagas sehr im Andenken, und wurden oft von den Fischern erzählt, welche unter sich noch immer die alte norwegische Sprache beibehielten, die ihre Vorväter geredet hatten. In dem Düster-Romantischen dieser skandinavischen Erzählungen lag etwas ungemein Anziehendes für ein jugendliches Ohr, und die abenteuerlichen Legenden von den Berserkern, den Seekönigen, Zwergen, Riesen und Zauberern, welche er von den eingeborenen Shetländern hörte, standen, nach Mordaunts Meinung, den klassischen Geschichten des Alterthumes um nichts nach, wenn sie ihnen nicht gar vorzuziehen waren. Oft zeigten ihm die Erzähler die Gegend um ihn her als den Schauplatz dieser wilden Dichtungen, wenn diese – halb gesprochen, halb gesungen von Stimmen, die zwar nicht so tobend, aber eben so dumpf wie die der Wellen klangen, über die sie hinglitten, – die Bucht, in der sie so eben hinfuhren, als den Ort selbst angaben, wo ein blutiges Seegefecht vorgefallen; oder wenn sie den kaum sichtbaren Haufen von Steinen, der sich auf einem hinausragenden Vorgebirge erhob, als den Dun oder das Schloß eines mächtigen Grafen oder Piraten, – den entfernten und einsamen grauen Stein auf dem wüsten Moor als das Grab eines Helden, – und die wilde Höhle, in welche die See, in gewaltigen, hohen und ungebrochenen Wellen hineintoste, als die Wohnung einer bekannten Zauberin bezeichneten.

Auch der Ocean hatte seine Geheimnisse, deren Wirkung noch durch das matte Dämmerlicht erhöht wurde, in welchem man ihn über die Hälfte des Jahres nur undeutlich erblickte. Seine bodenlosen Tiefen und geheimnißvollen Höhlen enthielten, nach den Erzählungen Sweyns und Anderer, welche in den Sagen und Legenden bewandert waren, Wunder, welche neuere Schifffahrer mit Verachtung verwerfen. In der ruhigen, vom Monde beleuchteten Bucht, in der die Wellen sich am Ufer sanft kräuselten, sah man noch immer das Meerfräulein im Mondlicht dahingleiten, und hörte es, die Stimme mit dem seufzenden Winde vermählend, von unterirdischen Wundern singen, oder künftige Ereignisse verkünden. Der Kraken, dieses gewaltigste aller lebenden Dinge, ruhte, ihrem Glauben nach, noch immer in der Tiefe des nördlichen Oceans, und oft, wenn eine Nebelwand das Meer in der Entfernung bedeckte, sah der Blick des erfahrenen Bootsmanns die Fühlhörner des ungeheuren Leviathan in den Nebelwolken auftauchen und schwanken, und schonte dann weder Ruder noch Segel, damit nicht die plötzliche Strömung, welche das Hinabsinken der ungeheuren Masse zum Meeresgrunde verursachte, auch seinen gebrechlichen kleinen Nachen in den Bereich seiner mannigfach gestalteten Arme hinabziehen möge. Auch die Seeschlange war ihnen wohlbekannt, wie sie, aus der Tiefe des Meeres emporsteigend, ihren ungeheuren, mit einer Mähne, wie die eines Streitrosses, bedeckten Hals bis zu den Wolken hinaufreckt, und mit ihren großen, glänzenden Augen mastenhoch emporragend, sich nach Beute oder Opfern umsieht.

Daneben gab es aber auch sanftere und weniger beschwerliche Vergnügungen, welche für Mordaunts Alter besser zu passen schienen, als die wilden Erzählungen und die rauhen, körperlichen Anstrengungen, deren wir eben erwähnten. Der Winter, während dessen wegen der Kürze der Tage die Arbeit unmöglich wird, ist in Shetland die Zeit der Lustbarkeiten, der Feste und des Vergnügens. Was der Fischer im Sommer erworben hat, wird ausgegeben, ja verschwendet, um die Fröhlichkeit und Gastfreundschaft an seinem Herde zu erhalten, während die Landeigenthümer und vornehmen Gutsbesitzer auf der Insel ihrer Neigung zur Geselligkeit und Gastfreundschaft doppelt frei den Zügel schießen lassen, zahlreiche Gäste in ihre Häuser laden, und der Strenge der Jahreszeit durch Scherz, Lust, Gesang und den Klang der Becher zu begegnen suchen.

Bei den Lustbarkeiten dieser fröhlichen, obwohl strengen Jahreszeit zeigte Niemand mehr Lebendigkeit, als der junge Mertoun. Sobald seines Vaters Gemüthszustand seine Abwesenheit gestattete, oder vielmehr erforderte, ging er von Haus zu Haus, überall ein willkommener Gast, und lieh seine willige Stimme zum Gesange und seinen Fuß zum Tanze. Ein Boot – oder wenn das Wetter dieß nicht erlaubte, wie es oft der Fall war – eines der zahlreichen Pferde, welche in Heerden auf den Mooren herumlaufen, und zu Jedermanns Gebrauch frei stehen – brachte ihn von der Wohnung eines gastlichen Shetländers zu der andern. Niemand that es ihm in dem kriegerischen Schwerttanze zuvor, eine Art von Vergnügung, welche noch von den Gewohnheiten der alten Norweger stammte. Er konnte auf dem Gue und der gewöhnlichen Geige die vaterländischen melancholischen und leidenschaftlichen Weisen spielen, und mischte, um die Einförmigkeit weniger fühlbar zu machen, oft die lebendigeren Lieder aus dem Norden Schottlands ein, die er mit vielem Geist und großer Fertigkeit vortrug. Wenn eine Gesellschaft verlarvt, oder wie man es in Shetland nennt, als Guizards, einem benachbarten Laird oder Udallar einen Besuch abstattete, so war es eine gute Vorbedeutung für die Unternehmung, wenn Mordaunt Mertoun bewogen werden konnte, das Amt des Skudler oder Anführers des Haufens zu übernehmen. Bei diesen Gelegenheiten führte er voll Scherz und Fröhlichkeit sein Gefolge von Haus zu Haus, brachte Freude mit, wo er erschien, und hinterließ Bedauern, wenn er schied. So wurde Mordaunt überall bekannt, und wußte sich beliebt zu machen, wohin er kam. Die häufigsten Besuche stattete er aber in dem Hause des Wirthes und Beschützers seines Vaters ab, des Mr. Magnus Troil.

Es war nicht allein die herzliche und aufrichtige Bewillkommung des alten Magnaten, noch die Rücksicht darauf, daß er in der That seines Vaters Gönner war, was diese häufig wiederholten Besuche veranlaßte. Die Hand, welche den Jüngling bewillkommte, wurde von diesem eben so freudig ergriffen, als sie aufrichtig dargereicht ward, während der alte Udallar, sich in seinem gewaltigen Stuhle erhebend, – dessen innere Seite mit wohlgegerbten Seehundsfellen ausgefüttert, und dessen Gestell von festem Eichenholz von dem rohen Eisen eines Hamburger Zimmermanns gearbeitet war – ihm sein Willkommen mit einer Stimme entgegenrief, welche in alten Zeiten die Rückkehr des Yul, des größten Festes der Gothen, gefeiert haben könnte. – Es gab aber hier anderes Metall, das kräftiger anzog, und jüngere Herzen, deren Willkommen, wenn auch nicht so laut, doch eben so freundlich war, als das des fröhlichen Udallars. Doch dieß ist ein Gegenstand, den wir nicht am Ende eines Kapitels erörtern können.


 


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