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Musikfest in Zwickau.

Am 12ten Juli 1837.

»Bester Capell- und andrer Meister«, sagte ich auf der Hinfahrt zum Fest, »hätt' ich doch nie gedacht, daß dieses kleine Zwickau trotz seiner alphabetischen Auszeichnung, eine der letzten Städte im Cannabich zu sein, beim Himmel vielleicht die sechste in der Welt ist, die den Paulus aufführt, und nicht etwa halb oder zwei Siebentel, wie Berlin, sondern ganz, wie es echten Zwickauern ziemlich«. Und wie denn die ganze Gegend heiter und gesprächig stimmt, so vollends Einen, der einige Augenblicke gewiß einmal ihr jüngster Bewohner war, d. h. der in selbiger Feststadt zu seiner Zeit geboren; daher man in diesen Zeilen vergebens auf scharfe Kritik passen mag, sondern auf die lindeste, hingebendste, die je ein Musikfest veranlaßt, was viel sagen will.

Die Aufführung geschah also zum Besten der Sanct Marienkirche, in der sie auch Statt fand. Eines der merkwürdigsten Gebäude in Sachsen, dunkel und etwas phantastisch von Aussehen, ist es wenn auch nicht im reinsten Styl gehalten, doch von einem nicht gemeinen Meister, theilweise von einem großartigen Sinn erdacht worden. Ein Schiff mit hohen sich in die Decke ausweitenden Säulen, ein großer Altarplatz mit Bildern von Lucas Cranach, auf dem das Orchester aufgerichtet war, rechts und links allerhand Gemälde und kirchliche Seltenheiten, vergoldete Schnitzarbeiten, alte aufbewahrte Fahnen aus Kriegszeiten. – Alles weniger überladen als vielleicht vernachlässigt und hier und da wohl mit mächtiger Spinnewebe überzogen, so daß eine Ausputzung und Verschönerung der Kirche an der rechten Zeit scheint. Wie aber der Ort, wo wir Musik hören, von größtem Einfluß auf Stimmung und Empfänglichkeit ist, so durfte ich das nicht unerwähnt lassen.

Viele Jahre liegen dazwischen von heute bis dahin, wo der Berichterstatter in der nämlichen Kirche eine Aufführung des »Weltgerichts« stehend accompagnirte am Clavier und er mitten im Getümmel der Instrumente keine Zeit hatte zu untersuchen, wie sich die Musik in diesen Hallen ausnähme; heute aber, kaum war der Choral begonnen, fiel ihm die ruhige wellenförmige Ausbreitung des Tones ganz besonders auf, und ich wüßte in Sachsen keine für Musik günstiger gebaute.

Der Hauptschmuck des Festes war Mad. Bünau, unter dem Namen Grabau wohl Allen bekannt. Vielleicht daß hauptsächlich ihre Gegenwart Mitwirkenden wie Zuhörern eine Theilnahme einflößte, ohne welche das Ganze weniger glücklich von Statten gegangen wäre. Ihr zur Seite war ihr Bruder, Hr. Grabau, Organist aus Förthen ohnweit Bremen, ein sehr gewandter Musiker, der die Tenorpartieen übernommen hatte, und Dlle. Pilsing, die letzten Winter zweite Concertsängerin in Leipzig. Den Paulus gab ein Dilettant, in die andern Partieen hatten sich ebenfalls angesehene Dilettanten und Dilettantinnen getheilt. Dirigent war Hr. Cantor H. B. Schulze, der gute und sichere Tempo's angab und für die Mühe langen Einstudirens durch Aufmerksamkeit des gegen 200 starken Personals sich belohnt fühlen wird.

Was Mad. Bünau sang, war natürlich alles trefflich, namentlich die Arie »Jerusalem«, die vom Componisten für sie wie besonders geschrieben scheint. Eine Stelle, die freilich auch mittelmäßig ausgeführt ihre Wirkung niemals verfehlen kann, die Musik nämlich bei den Worten: »Siehe, ich sehe den Himmel offen«, kam so gut heraus wie irgend bei der Aufführung in Leipzig; ebenso der Chor: »Siehe, wir preisen selig die, die erduldet«. Worin aber die Zwickauer der Leipziger völlig gleichkam, wenn nicht sie übertraf, das war im Choral: »Wachet auf, ruft uns die Stimme« mit seinen höchst feierlichen Zwischenspielen der Trompeten und Posaunen, wie denn der dortige Stadtmusikus seit Jahrzehnden im Rufe steht, die besten Messingbläser der Gegend gebildet zu haben. Dagegen hatte der Chor der Frauenstimmen, da wo die Stimme vom Himmel den Saul anredet, nicht die Wirkung, die von dieser eigenthümlich-schaurigen Musik zu erwarten war. Im Uebrigen waren die Chöre, sieht man von strengster Präcision und namentlich von Deutlichkeit der Aussprache ab, wohl eingeübt und immer auf dem Platze.

Vom Eindruck auf das Publicum zu reden, das aus ungefähr 700 Köpfen, meistens Fremden, bestand, so schienen besonders die einfachen Choräle zu ergreifen. Im Uebrigen kann man sich denken, daß viel von »Gelehrtheit der Musik, strengem Generalbaß« und endlich von der »großen Länge« die Rede war, in welchem letztern Punkt ihnen auch nicht gerade zu widersprechen, worüber zu reden aber an einen andern Ort gehört.

Nach dem Schluß, Abends 7 Uhr, holte der Dirigent Mendelssohn's Bild aus seiner nahen Wohnung, das schnell von Hand zu Hand ging, und man gedachte des Meisters mit den höchsten Lobsprüchen.

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