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Schwärmbriefe.

»Wahrheit und Dichtung« könnten auch diese Briefe heißen. Sie betreffen die ersten unter Mendelssohns Leitung gehaltenen Gewandhausconcerte im Oktober 1835.

I.
Eusebius an Chiara.

Zwischen all' unsern musikalischen Seelenfesten guckt denn doch immer ein Engelskopf hindurch, der dem einer sogenannten Clara bis auf den Schalkzug um das Kinn mehr als ähnlich sieht. Warum bist du nicht bei uns und wie magst du gestern Abend an uns Firlenzer gedacht haben von der »Meeresstille« an bis zum auflodernden Schluß der B dur-Symphonie!

Außer einem Concerte selbst wüßt' ich nichts Schöneres, als die Stunde vor demselben, wo man sich mit den Lippenspitzen ätherische Melodieen vorsummt, sehr behutsam auf den Zehen auf- und abgeht, auf den Fensterscheiben ganze Ouvertüren aufführt ... Da schlägt's drei Viertel: Und nun wandelte ich mit Florestan die blanken Stufen hinauf. Sebb, sagte der, auf Vieles freu' ich mich diesen Abend, erstens auf die ganze Musik selbst, nach der es einen dürstet nach dem dürren Sommer, dann auf den F. Meritis, der zum erstenmal mit seinem Orchester in die Schlacht zieht, dann auf die Sängerin Maria und ihre vestalische Stimme, endlich auf das ganze Wunderdinge erwartende Publicum, auf das ich, wie du weißt, sonst nur zu wenig gebe ... Bei »Publicum« standen wir vor dem alten Castellan mit dem Comthurgesicht, der viel zu thun hatte und uns endlich mit verdrüßlichem Gesicht einließ, da Florestan wie gewöhnlich seine Karte vergessen. Als ich in den goldglänzenden Saal eintrat, mag ich, meinem Gesichte nach zu urtheilen, vielleicht folgende Rede gehalten haben: Mit leisem Fuße tret' ich auf: denn es dünkt mir, als quöllen da und dort die Gesichter jener Einzigen hervor, denen die schöne Kunst gegeben ist, Hunderte in demselben Augenblicke zu erheben und beseligen. Dort seh' ich Mozart, wie er mit den Füßen stampft bei der Symphonie, daß die Schuhschnalle losspringt, dort den Altmeister Hummel phantasirend am Flügel, dort die Catalani, wie sie den Shawl sich abreißt, da ein Teppich zur Unterlage vergessen war, dort Weber, dort Spohr und manche Andere. Und da dacht' ich auch an dich, Chiara, Reine, Helle, – wie du sonst aus deiner Loge herunterforschtest mit der Lorgnette, die dir so wohl ansteht. Mitten unter den Gedanken traf mich Florestan's Zornauge, der an seiner alten Thürecke angewachsen stand, und in dem Zornauge stand ohngefähr dieses: »daß ich dich endlich einmal wieder zusammen habe, Publicum, und aufeinander hetzen kann ... schon längst, Oeffentliches, wollt' ich Concerte für Taubstumme errichten, die dir zur Richtschnur dienen könnten, wie sich zu betragen in Concerten, zumal in den schönsten ... wie Tsing-Sing solltest du zum Pagoden versteinert werden, fiel' es dir ein, etwas von den Dingen, die du im Zauberland der Musik gesehn, weiter zu erzählen« u. s. w. Meine Betrachtung unterbrach die plötzliche Todtenstille des Publicums. F. Menitis trat vor. Es flogen ihm hundert Herzen zu im ersten Augenblicke.

Erinnerst du dich, als wir des Abends von Padua weg die Brenta hinabfuhren; die italienische Gluthnacht drückte einem nach dem andern das Auge zu. Da am Morgen rief plötzlich eine Stimme: ecco, ecco, Signori, Venezia! – und das Meer lag vor uns ausgebreitet, still und ungeheuer-, aber am äußersten Horizonte spielte ein feines Klingen auf und nieder, als sprächen die kleinen Wellen mit einander im Traume. Sieh, also weht und webt es in der »Meeresstille« Ouvertüre von Mendelssohn. man schläfert ordentlich dabei und ist mehr Gedanke, als denkend. Der Beethoven'sche Chor nach Goethe und das accentuirte Wort klingt beinah' rauh gegen diesen Spinnenwebeton der Violinen. Nach dem Schluß hin löst sich einmal eine Harmonie los, wo den Dichter wohl das verführerische Auge einer Nereustochter angeschaut haben mag, ihn hinabzuziehen, – aber da zum erstenmal schlägt eine Welle höher auf und das Meer wird nach und nach aller Orten gesprächiger, und nun flattern die Segel und die lustigen Wimpel und nun halloh fort, fort, fort ... »Welche Ouvertüre von F. Meritis mir die liebste?« fragte mich ein Einfältiger und da verschlangen sich die Tonarten E moll, H moll und D dur wie zu einem Graziendreiklang, und ich wußte keine bessere Antwort, als die beste »jede«. Der F. Meritis dirigirte, als hätt' er die Ouvertüre selbst componirt und das Orchester spielte darnach; doch fiel mir der Ausspruch Florestans auf: es hätte etwa so gespielt, wie er, als er aus der Provinz weg zum Meister Raro in die Lehre gekommen; »meine fatalste Krisis (fuhr er fort) war dieser Mittelzustand zwischen Kunst und Natur; feurig, wie ich stets auffaßte, mußt' ich jetzt alles langsam und deutlich nehmen, da mir's überall an Technik gebrach: nun entstand ein Stocken, eine Steifheit, daß ich irre an meinem Talent wurde; glücklicherweise dauerte die Krisis nicht lange«. Mich für meine Person störte in der Ouvertüre, wie in der Symphonie, der Tactirstab Die Orchesterwerke wurden in der Zeit vor Mendelssohn, wo Matthäi an der Spitze stand, ohne tactirenden Dirigenten aufgeführt. und ich stimmte Florestan bei, der meinte: in der Symphonie müsse das Orchester wie eine Republik dastehen, über die kein Höherer anzuerkennen. Doch wär's eine Lust, den F. Meritis zu sehen, wie er die Geisteswindungen der Compositionen vom Feinsten bis zum Stärksten vorausnüancirte mit dem Auge und als Seligster voranschwamm dem Allgemeinen, anstatt man zuweilen auf Capellmeister stößt, die Partitur sammt Orchester und Publicum zu prügeln drohen mit dem Scepter. – Du weißt, wie wenig ich die Streite über Temponahme leiden mag und wie für mich das innere Maaß der Bewegung allein unterscheidet. So klingt das schnellere Allegro eines Kalten immer träger, als das langsamere eines Sanguinischen. Beim Orchester kommen aber auch die Massen in Anschlag: rohere, dichtere vermögen dem Einzelnen wie dem Ganzen mehr Nachdruck und Bedeutung zu geben; bei kleineren, feineren hingegen, wie unserm Firlenzer, muß man dem Mangel der Resonanz durch treibende Tempos zu Hülfe kommen. Mit einem Worte, das Scherzo der Symphonie schien mir zu langsam; man merkte das auch recht deutlich dem Orchester an der Unruhe an, mit der es ruhig sein wollte. Doch was kümmert dich das in deinem Mailand und wie wenig im Grund auch mich, da ich mir ja das Scherzo zu jeder Stunde so denken kann, wie ich eben will. Du frägst, ob Maria dieselbe Theilnahme, wie früher, in Firlenz finden würde. Wie kannst du daran zweifeln? – nur hatte sie eine Arie gewählt, die ihr mehr als Künstlerin Ehre, denn als Virtuosin Beifall brachte. Auch spielte ein westphälischer Musikdirector ein Violinconcert von Spohr, gut, aber zu blaß und hager. Daß eine Veränderung in der Regie vorgegangen, wollte Jeder aus der Wahl der Stücke sehen; wenn sonst gleich in ersten Firlenzer Concerten italienische Papillons um deutsche Eichen schwirrten, so standen diese diesmal ganz allein, so kräftig wie dunkel. Eine gewisse Partei wollte darin eine Reaction sehen; ich halt' es eher für Zufall als Absicht. Wir wissen alle, wie es Noth thut, Deutschland gegen das Eindringen deiner Lieblinge zu schützen; indessen gescheh' es mit Vorsicht und mehr durch Aufmunterung der vaterländischen Jugendgeister, als durch unnütze Vertheidigung gegen eine Macht, die wie eine Mode aufkömmt und vergeht. Eben zur Mitternachtsstunde tritt Florestan herein mit Jonathan, einem neuen Davidsbündler, sehr gegen einander fechtend über Aristokratie des Geistes und Republik der Meinungen. Endlich hat Florestan einen Gegner gefunden, der ihm Diamanten zu knacken gibt. Ueber diesen Mächtigen erfährst du später mehr.

Für heute genug. Vergiß nicht, manchmal auf dem Kalender den 13. August nachzusehen, wo eine Aurora deinen Namen mit meinem verbindet.

Eusebius.

*

2.
An Chiara.

Der Briefträger wuchs mir zur Blume entgegen, als ich das rothschimmernde » Milano« auf deinem Briefe sah. Mit Entzücken gedenk' auch ich des ersten Eintritts in das Scalatheater, als gerade Rubini mit der Méric-Lalande sang. Denn italienische Musik muß man unter italienischen Menschen hören; deutsche genießt sich freilich unter jedem Himmel.

Ganz richtig hatt' ich im Programme zum vorigen Concerte keine Reactionsabsicht gelesen, denn schon die künftigen brachten Hesperidisches. Dabei belustigt mich am meisten der Florestan, der sich wahrhaftig dabei ennüyirt und nur aus Hartnäckigkeit gegen einige Händel- und andre -ianer, die so reden, als hätten sie den Samson selbst componirt im Schlafrock, nicht geradezu einhaut in das Hesperidische, sondern es etwa mit »Fruchtdessert« oder »Tizianischem Fleisch ohne Geist« u.dgl. vergleicht, freilich in so komischem Tone, daß man laut lachen könnte, ragte nicht sein Adlerauge herunter. »Wahrlich« (meinte er gelegentlich), »sich über Italienisches zu ärgern, ist längst aus der Mode, und überhaupt warum in Blumenduft, der herfliegt und fortfliegt, mit Keulen einschlagen? Ich wüßte nicht, welche Welt ich vorzöge, eine voll lauter widerhaariger Beethovens, oder eine voll tanzender Pesaroschwäne. Nur wundert mich zweierlei, erstens: warum die Sängerinnen, die doch nie wissen, was sie singen sollen (ausgenommen Alles oder Nichts), warum sie sich nicht auf Kleines capriciren, etwa auf ein Lied von Weber, Schubert, Wiedebein, – dann: die Klage deutscher Gesangcomponisten, daß von Ihrem so wenig in Concerten vorkäme, warum sie denn da nicht an Concert-Stücke, -Arien, -Scenen denken und dergleichen schreiben?« – Die Sängerin (nicht Maria), die etwas aus Torwaldo sang, fing ihr: Dove son? Qui m'aita? mit solchem Zittern an, daß es in mir antwortete: »in Firlenz, Beste; aidetoi et le ciel t'aidera!« Aber dann kam sie in glücklichen Zug und das Publicum in ein aufrichtiges Klatschen. »Hielten sich« (streute Florestan ein), »deutsche Sängerinnen nur nicht für Kinder, die nicht gesehen zu werden glauben, wenn sie sich die Augen zuhalten; aber so stecken sie sich meistens so stillheimlich hinter das Notenblatt, daß man gerade recht aufpaßt auf das Gesicht und nun gewahrt, welch' Unterschied zwischen deutschen und den italienischen Sängerinnen, die ich in der Mailänder Akademie mit so schön rollenden Augen einander ansingen sah, daß mir bangte, die künstlerische Leidenschaft möchte ausschlagen; das letzte übertreib' ich, aber etwas von der dramatischen Situation wünscht' ich in deutschen Augen zu lesen, etwas von Freude und Schmerz in der Musik; schöner Gesang aus einem Marmorgesicht läßt am inwendigen Besten zweifeln; ich meine das so im Allgemeinen«. Da hättest du den Meritis mit dem Mendelssohn'schen G moll-Concert spielen sehen sollen! Der setzte sich harmlos wie ein Kind an's Clavier hin und nun nahm er ein Herz nach dem andern gefangen und zog sie in Schaaren hinter sich her, und als er sie frei gab, wußte man nur, daß man an einigen griechischen Götterinseln vorbeigeflogen und sicher und glücklich wieder in den Firlenzer Saal abgesetzt worden war. »Ein recht seliger Meister seid ihr in eurer Kunst«, meinte Florestan zum Meritis am Schluß und sie hatten beide Recht ... Meinen Florestan, der kein Wort über das Concert zu mir gesprochen; erkannt' ich gestern recht schön. Ich sah ihn nämlich in einem Buche blättern und etwas auszeichnen. Als er fort war, las ich, wie er zu einer Stelle seines Tagebuches »über Manches in der Welt läßt sich gar nichts sagen, z. B. über die C dur-Symphonie mit Fuge von Mozart, über Vieles von Shakspeare, über Einiges von Beethoven« an den Rand geschrieben, »über Meritis, wenn er das Concert von M. spielt«. – Sehr ergötzten wir uns an einer Weber'schen Kraft-Ouverture, der Mutter so vieler nachhinkenden Stifte, desgleichen an einem Violinconcert, vom jungen * * * gespielt; denn es thut wohl, bei einem Strebenden mit Gewißheit vorauszusagen, sein Weg führe zur Meisterschaft. Von Jahr-ein Jahr-aus Wiederholtem, Symphonieen ausgenommen, unterhalt' ich dich nicht. Dein früherer Ausspruch über Onslow's Symphonie in A, daß du sie, nur zweimal gehört, jetzt Tact vor Tact auswendig wüßtest, ist auch der meine, ohne den eigentlichen Grund von diesem schnellen Sich-einprägen zu wissen. Denn einestheils seh' ich, wie die Instrumente noch zu sehr an einander kleben und zu verschiedenartige auf einander gehäuft sind, anderntheils fühlen sich dennoch die Haupt- wie Nebensachen, die Melodieenfäden so stark durch, daß mir eben dieses Aufdrängen des letztern bei der dicken Instrumentencombination sehr merkwürdig erscheint. Es waltet hier ein Umstand, über den ich mich, da er mir selbst geheim, nicht deutlich ausdrücken kann. Doch regt es dich vielleicht zum Nachsinnen an. Am wohlsten befind' ich mich im vornehmen Ballgetümmel der Menuett, wo Alles blitzt von Diamanten und Perlen; im Trio seh' ich eine Scene im Cabinet und durch die oftmals geöffnete Ballsaalthüre dringen die Violinen und verwehen die Liebesworte. Wie? – Dies hebt mich ja ganz bequem in die Adur-Symphonie von Beethoven, die wir vor Kurzem gehört. Mäßig entzückt gingen wir noch spät Abends zum Meister Raro. Du kennst Florestan, wie er am Clavier sitzt und während des Phantasirens wie im Schlafe spricht, lacht, weint, aufsteht, von vorn anfängt u. s. w. Zilia war im Erker, andre Davidsbündler in verschiedenen Gruppen da und dort. Viel wurde verhandelt. »Lachen« (so fing Florestan an und zugleich den Anfang der A dur-Symphonie), »lachen mußt' ich über einen dürren Actuarius, der in ihr eine Gigantenschlacht fand, im letzten Satze deren effective Vernichtung, am Allegretto aber leise vorbeischlich, weil es nicht paßte in die Idee, – lachen überhaupt über die, die da ewig von Unschuld und absoluter Schönheit der Musik an sich reden – (freilich soll die Kunst unglückliche Lebens-Octaven und Quinten nicht nachspielen, sondern verdecken, freilich find' ich in [z. B. Marschner's] Heiligenarien oft Schönheit, aber ohne Wahrheit, und in Beethoven [nur selten] manchmal die letzte ohne die erste). – Am meisten jedoch zuckt es mir in den Fingerspitzen, wenn Einige behaupten, Beethoven habe sich in seinen Symphonieen stets den größten Sentiments hingegeben, den höchsten Gedanken über Gott, Unsterblichkeit und Sternenlauf, während der genialische Mensch allerdings mit der Blüthenkrone nach dem Himmel zeigt, die Wurzeln jedoch in seiner geliebten Erde ausbreitet. Um auf die Symphonie zu kommen, so ist die Idee gar nicht von mir, sondern von Jemandem in einem alten Hefte der Cäcilia (aus vielleicht zu großer Delicatesse gegen Beethoven, die zu ersparen gewesen, in einen feinen gräflichen Saal oder so etwas versetzt) ... es ist die lustigste Hochzeit, die Braut aber ein himmlisch Kind mit einer Rose im Haar, aber nur mit einer. Ich müßte mich irren, wenn nicht in der Einleitung die Gäste zufammenkämen, sich sehr begrüßten mit Rückenkommas, sehr irren, wenn nicht lustige Flöten daran erinnerten, daß im ganzen Dorfe voll Maienbäumen mit bunten Bändern Freude herrsche über die Braut Rosa, – sehr darin irren, wenn nicht die blasse Mutter sie mit zitterndem Blicke und wie zu fragen schiene: »weißt du auch, daß wir uns trennen müssen?« wie ihr dann Rosa ganz überwältigt in die Arme stürzt, mit der andern Hand die des Jünglings nachziehend ... Nun wird's aber sehr still im Dorfe draußen (Florestan kam hier in das Allegretto und brach hier und da Stücke heraus), nur ein Schmetterling fliegt einmal durch oder eine Kirschblüthe fällt herunter ... Die Orgel fängt an; die Sonne steht hoch, einzelne langschiefe Strahlen spielen mit Stäubchen durch die Kirche, die Glocken läuten sehr – Kirchgänger stellen sich nach und nach ein – Stühle werden auf- und zugeklappt – einzelne Bauern sehen sehr scharf in's Gesangbuch, andre an die Emporkirchen hinauf – der Zug rückt näher – Chorknaben mit brennenden Kerzen und Weihkessel voran, dann Freunde, die sich oft umsehen nach dem Paare, das der Priester begleitet, die Eltern, Freundinnen und hinterher die ganze Dorfjugend. Wie sich nun Alles ordnet und der Priester an's Altar steigt und jetzt zur Braut und jetzt zum Glücklichsten redet, und wie er ihnen vorspricht von den Pflichten des Bundes und dessen Zwecken, und wie sie ihr Glück finden möchten in Eintracht und Liebe, und wie er sie dann fragt nach dem »Ja«, das so viel nimmt für ewige Zeiten, und sie es ausspricht fest und lang – laßt es mich nicht fortmalen das Bild und thut's im Finale nach eurer Weise« ... brach Florestan ab und riß in den Schluß des Allegretto. und das klang, als würfe der Küster die Thüre zu, daß es durch die ganze Kirche schallte ...

Genug. Florestans Deutung hat im Augenblick auch in mir etwas erregt und die Buchstaben zittern durcheinander. Vieles möcht' ich dir noch sagen, aber es zieht mich hinaus. Und so wolle die Pause bis zu meinem nächsten Briefe im Glauben an einen schöneren Anfang abwarten!

Eusebius.

*

Sonaten für Pianoforte.

Felix Mendelssohn Bartholdy,
Werk 6.
Franz Schubert,

Erste große Sonate (in A moll), Werk 42. – Zweite große Sonate (in D dur), Werk 53. – Phantasie oder Sonate (in G dur), Werk 78. – Erste große Sonate zu vier Händen (in B dur). Werk 30. –

Die Davidsbündler haben in verschiedenen Blättern von den neu erschienenen Sonaten berichtet. Sie wüßten diese Kette kaum mit edleren Diamantschlössern zu schließen, als mit den obigen Sonaten, d. h. mit dem Schönsten, was seit Beethoven, Weber, Hummel und Moscheles in diesem ihnen am werthesten Kunstgenre der Pianofortemusik erschienen ist. Hat man sich endlich einmal durchgearbeitet durch den hundertfachen Plunder, der sich unbequem um einen aufhäuft, so tauchen solche Sachen ordentlich wie Palmenoasen in der Wüste hinter dem Notenpult herauf.

Aus dem Kopf könnten wir sie recensiren, da wir sie (wir wollen uns heute des feierlichen Schlusses halber die Plural-Krone des »Wir« aufsetzen) auswendig wissen seit vielen Jahren. Wir brauchen wohl nicht daran zu erinnern, wie diese Compositionen vielleicht schon seit acht Jahren gedruckt und wahrscheinlich vor noch länger componirt sind, denken jedoch beiläufig daran, ob es überhaupt nicht besser, Alles nicht eher als nach so lang verflossener Zeit anzuzeigen. Man würde erstaunen, wie wenig es dann zu recensiren gäbe, und wie schmalleibig musikalische Zeitungen ausfallen würden und wie gescheut man worden. Nur was Geist und Poesie hat, schwingt fort für die Zukunft und je langsamer und länger, je tiefere und stärkere Saiten angeschlagen waren. Und wenn auch den Davidsbündlern die meisten Jugendarbeiten Mendelssohn's wie Vorarbeiten zu seinen Meisterstücken, den Ouvertüren, vorkommen, so findet sich doch im Einzelnen so viel Eigenthümlich-Poetisches, daß die große Zukunft dieses Componisten allerdings mit Sicherheit voraus zu bestimmen war. Auch ist es nur ein Bild, wenn sie sich ihn oft mit der rechten Hand an Beethoven schmiegend, ihn wie zu einem Heiligen aufschauend, und an der andern von Carl Maria von Weber geführt denken (mit welchem letzteren sich schon eher sprechen läßt), – nur ein Bild, wie sie ihn endlich aus dem schönsten seiner Träume, dem »Sommernachtstraum«, aufwachen sehen und wie jene zu ihm sagen: »du bedarfst unserer nicht mehr, fliege deinen eignen Flug«, – indeß es steht nun einmal da.

Klingt also in dieser Sonate auch Vieles an, so namentlich der erste Satz an den schwermüthig sinnenden der letzten A dur-Sonate von Beethoven, und der letzte im Allgemeinen an Weber'sche Weise, so ist dies nicht schwächliche Unselbstständigkeit, sondern geistiges Verwandtsein. Wie das sonst drängt und treibt und hervorquillt! So grün und morgendlich Alles wie in einer Frühlinglandschaft! Was uns hier berührt und anzieht, ist nicht das Fremde, nicht das Neue, sondern eben das Liebe, Gewohnte. Es stellt sich nichts über uns, will uns nichts in Erstaunen setzen; unsern Empfindungen werden nur die rechten Worte geliehen, daß wir sie selbst gefunden zu haben meinen. Sehe man nur selbst zu!

Wir kommen zu unsern Lieblingen, den Sonaten von Franz Schubert, den Viele nur als Liedercomponisten, bei weitem die Meisten kaum dem Namen nach kennen. Nur Fingerzeige können wir hier geben. Wollten wir im Einzelnen beweisen, für wie hochstehende Werke wir seine Compositionen erklären müssen, so gehört das mehr in Bücher, für die vielleicht noch einmal Zeit wird.

Wie wir denn alle drei Sonaten, ohne tausend Worte, geradezu nur »herrlich« nennen müssen, so dünkt uns doch die Phantasiesonate seine vollendetste in Form und Geist. Hier ist alles organisch, athmet alles dasselbe Leben. Vom letzten Satz bleibe weg, der keine Phantasie hat, seine Räthsel zu lösen.

Ihr am verwandtesten ist die in A moll. Der erste Theil so still, so träumerisch; bis zu Thränen könnte es rühren; dabei so leicht und einfach aus zwei Stücken gebaut, daß man den Zauberer bewundern muß, der sie so seltsam in- und gegeneinander zu stellen weiß.

Wie anderes Leben sprudelt in der muthigen aus D dur, – Schlag auf Schlag packend und fortreißend! Und darauf ein Adagio, ganz Schubert angehörend, drangvoll, überschwenglich, daß er kaum ein Ende finden kann. Der letzte Satz paßt schwerlich in das Ganze und ist possirlich genug. Wer die Sache ernsthaft nehmen wollte, würde sich sehr lächerlich machen. Florestan nennt ihn eine Satire auf den Pleyel-Vanhal'schen Schlafmützenstyl; Eusebius findet in den contrastirenden starken Stellen Grimassen, mit denen man Kinder zu erschrecken pflegt. Beides läuft auf Humor hinaus.

Die vierhändige Sonate halten wir für eine der am wenigsten originellen Compositionen Schubert's, den man hier nur an einzelnen Blitzen erkennen kann. Wie vielen andern Componisten würde man einen Lorbeer aus diesem einzigen Werke flechten! – im Schubert'schen Kranz guckt es nur als bescheidenes Reis heraus; so sehr beurtheilen wir den Menschen und Künstler immer nach dem Besten, was er geleistet. –

Wenn Schubert in seinen Liedern sich vielleicht noch origineller zeigt, als in seinen Instrumentalcompositionen, so schätzen wir diese als rein musikalisch und in sich selbstständig ebenso sehr. Namentlich hat er als Componist für das Clavier vor Andern, im Einzelnen selbst vor Beethoven, etwas voraus (so bewundernswürdig fein dieser übrigens in seiner Taubheit mit der Phantasie hörte), – darin nämlich, daß er claviergemäßer zu instrumentiren weiß, das heißt, daß Alles klingt, so recht vom Grunde, aus der Tiefe des Claviers heraus, während wir z. B. bei Beethoven zur Farbe des Tones erst vom Horn, der Hoboe u. s. w. borgen müssen. – Wollten wir über das Innere dieser seiner Schöpfungen im Allgemeinen noch etwas sagen, so wär' es dieses.

Er hat Töne für die feinsten Empfindungen, Gedanken, ja Begebenheiten und Lebenszustände. So tausendgestaltig sich des Menschen Dichten und Trachten bricht, so vielfach die Schubert'sche Musik. Was er anschaut mit dem Auge, berührt mit der Hand, verwandelt sich zu Musik; aus Steinen, die er hinwirft, springen, wie bei Deukalion und Pyrrha, lebende Menschengestalten. Er war der ausgezeichnetste nach Beethoven, der, Todfeind aller Philisterei, Musik im höchsten Sinne des Wortes ausübte. –

Und so sei er es, dem wir, wo die Jahresglocke schon zum letzten Schlag aushebt, noch einmal im Geiste die Hand drücken. Wolltet Ihr trauern, daß diese schon lange kalt und nichts mehr erwiedern kann, so bedenket auch, daß, wenn noch Solche leben wie jener, von dem wir vorher gesprochen, das Leben noch lebenswerth genug ist. Dann sehet aber auch zu, vaß Ihr, wie jener, Euch immer selbst gleichkommt, dem Höchsten nämlich, was von höherer Hand in Euch gelegt. –

*


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