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Concert.
Henri Vieuxtemps und Louis Lacombe.

Eine zufällige Vereinigung zweier sehr junger Franzosen, die sich auf ihren Wegen begegneten. – Tout genre est bon, excepté le genre ennuyeux, mithin auch ihrer. Wollte man vom Beifall auf ihre Leistungen schließen, so müßten diese die unerhörtesten sein. Vorneweg beklatscht, in der Mitte zu vielenmalen, am Schluß im Tutti, Henri hervorgerufen – das alles im Gewandhaussaal zu Leipzig.

Freilich thut ein Dutzend klatschender Franzosen etwas und mehr, als ein Saal entzücktschlafender deutscher Beethovener. Bei jenen klatscht jeder Nerv von Kopf zu Fuß: die Begeisterung schlägt sie wie Becken an einander. Die Deutschen gehen vor'm Schluß in Kürze sämmtliche Musikepochen durch und vergleichen selbige flüchtig, obschon gut – da entsteht nun das Mezzo forte, das uns von jeher ausgezeichnet.

An jenem Abend war's anders. Wer sollte sich nicht über ein feuriges Publicum freuen, da es die Knaben überdem verdienten.

Der sich der Welt vorstellt, soll weder zu jung, noch zu alt sein, sondern blühend, nicht allein hier und da, sondern am ganzen Stamm. Bei Henri kann man getrost die Augen zudrücken. Wie eine Blume duftet und glänzt dieses Spiel zugleich. Seine Leistung ist vollständig, durchaus meisterlich.

Wenn man von Vieuxtemps spricht, kann man wohl an Paganini denken. – Als ich diesen zuerst hören sollte, meinte ich, er würde mit einem nie da gewesenen Ton anfangen. Dann begann er und so dünn, so klein! Wie er nun locker, kaum sichtbar seine Magnetketten in die Massen wirft, so schwankten diese herüber und hinüber. Nun wurden die Ringe wunderbarer, verschlungener; die Menschen drängten sich enger; nun schnürte er immer fester an, bis sie nach und nach wie zu einem einzigen zusammenschmolzen, dem Meister sich gleichwiegend gegenüber zu stellen, als Eines vom Andern von ihm zu empfangen. Andere Kunstzauberer haben andere Formeln. Bei Vieuxtemps sind es nicht die einzelnen Schönheiten, die wir festhalten könnten, noch ist es jenes allmälige Verengen, wie bei Paganini, oder das Ausdehnen des Maaßes, wie bei anderen hohen Künstlern. Wir stehen hier unvermuthet vom ersten bis zum letzten Ton wie in einem Zauberkreis, der um uns gezogen, ohne daß wir Anfang und Ende finden könnten.

Was nun Louis anlangt, so lass' ich mir ihn als kleinen, feurigen Clavierspieler, der viel Courage und Talent hat, sehr wohl gefallen. Freilich wird der ältere Künstler weder die physischen, noch psychischen Saiten bis zum Springen treiben, weil sie eben reißen. Was hat es zu sagen, daß das zarte A moll-Concert unter den Händen unsers Kleinen zum ordentlichen Orlando furioso wurde, um den, wie bekannt, wenn er mit den Zähnen klapperte, die Menschen todt zur Erde niederfielen. Diese netten, kleinen Spieluhren liebe ich wenig. Der Ueberfluß an Kraft läuft später von selbst zurück. – Bei den Herz'schen Variationen, die uns glauben machen wollen, sie seien die schwersten, bedeutendsten, fand sich schon alles gehöriger, das heißt brillantirt, starkfarbig, schneidend, wie die Composition verlangt und das Publicum liebt. – Wenn nun auf keine Weise zu läugnen ist, daß beide Sätze sorgfältig einstudirt, überdem im französischen Geist und mit dem Selbstgefühl vorgetragen wurden, das zum Beifall herausfordert, so bitten wir seinen Lehrer, daß er ihn mit einzelnen und namentlich schlecht componirten Stücken nicht zu lange aufhalte. Das macht jungen Sinn todt und thut der sonstigen Bildung Eintrag. Man merkte es recht deutlich an seiner Begleitung zur Violine, die sonderbar gegen das übrige Spiel abstach. Wie sehr man aber den Sinn, ob er geweckt und gebildet sei, nach dem Accompagnement messen könne, wissen wir alle. –

Und so wandert zu, Ihr lieben Kleinen, und fragt, solltet Ihr heute mich nicht ganz verstanden haben, nach Jahren einmal wieder! Es war der erste Ausflug der beiden jungen Franzosen. H. Vieuxtemps hat sich seitdem größeren Ruhm erworben.

F–n.

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