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Wm. Sterndale Bennett.

Nach vielem Sinnen, wie ich dem Leser zum Anfang des Jahres 1837 etwas bieten könnte, was auch sein Wohlwollen für uns belebe, fiel mir neben manchem Glückwunsch nichts ein, als daß ich ihm gleich eine glückliche Individualität selbst vorstelle. Es ist dies keine Beethoven'sche, die jahrelangen Kampf nach sich zöge, kein Berlioz, der Aufstand predigt mit Heldenstimme und Schrecken und Vernichtung um sich verbreitet, vielmehr ein stiller. schöner Geist, der, wie es auch unter ihm tobe, einsam in der Höhe wie ein Sternenwärter, fortarbeitet, dem Kreislauf der Erscheinungen nachspürt und der Natur ihre Geheimnisse ablauscht. Sein Name ist der oben angegebene, sein Vaterland das Shakspeare's, wie auch sein Vorname der dieses Dichters. In der That, wär' es denn ein Wunder, wären sich Dicht- und Tonkunst so fremd, daß jenes hochberühmte Land, wie es uns Shakspeare und Byron gab, nicht auch einen Musiker hervorbringen könnte! Und wenn schon durch den Namen Field, dann durch Onslow, Potter, Bishop u. A. ein altes Vorurtheil wankend gemacht wird, um wie viel noch durch diesen Einzigen, an dessen Wiege schon eine gütige Vorsehung gewacht. Haben nämlich große Väter selten Kinder erzeugt, die wieder groß in derselben Wissenschaft, derselben Kunst, so sind doch die glücklich zu preisen, die schon durch die Geburt an ihr Talent gekettet, auf ihren Lebensberuf hingewiesen sind, glücklich also Mozart, Haydn, Beethoven, deren Väter schlichte Musiker waren. Mit der Milch schon sogen sie Musik ein, lernten im Kindestraume; beim ersten erwachenden Bewußtsein fühlten sie sich Glieder der großen Familie der Künstler, in die Andere sich oft erst mit Opfern einkaufen müssen. Glücklich also auch unser Künstler, der wohl manchmal unter der großen Orgel, wenn sie sein Vater, der Organist in Sheffield in der Grafschaft Yorkshire, spielte, und erstaunt und selig gelauscht haben mag. Mit Händel, an dem die Engländer nichts verdrießt als sein deutscher Name, soll keine andere Nation so vertraut sein, als die englische. Man hört ihn mit Andacht in den Kirchen, singt ihn mit Begeisterung bei den Gastmahlen; ja Lipinski erzählte, er habe einen Postillon Händel'sche Arien blasen hören. Auch ein weniger glückliches Naturell hätte sich unter dieser günstigen Umgebung so naturgemäß und rein entfalten müssen. Was eine sorgfältige Erziehung in der königl. Akademie in London, Lehrer wie Ciprian Potter und Dr. Crotch, unausgesetzte eigene Studien noch dazugethan haben mögen, weiß ich nicht, und nur so viel, daß dem Schulgespinnst eine so herrliche Psyche entflogen ist, daß man ihrem Flug, wie sie sich jetzt im Aether badet, jetzt von den Blumen nimmt und gibt, mit sehnenden Armen nachfliegen möchte. Wie aber einem so geflügelten Geiste die Scholle allein, auf der er geboren, nicht für immer genügen konnte, so mochte er sich wohl oft nach dem Lande sehnen, wo die Ersten in der Musik, Mozart und Beethoven, das Licht der Welt erblickt, und so lebt er denn seit Kurzem in unsrer nächsten Nähe, der Liebling des Londoner Publicums, ja der musikalische Stolz ganz Englands.

Sollte ich noch etwas über den Charakter seiner Compositionen sagen, so wäre es wohl das, daß Jedem im Augenblick die sprechende Bruderähnlichkeit mit Mendelssohn auffallen wird. Dieselbe Formenschönheit, poetische Tiefe und Klarheit, ideale Reinheit, derselbe beseligende Eindruck nach Außen, und dennoch zu unterscheiden. Dieses sie unterscheidende Kennzeichen läßt sich in ihrem Spiel noch leichter entdecken, als in der Composition. Das Spiel des Engländers ist nämlich vielleicht um so viel zarter (mehr Detailarbeit), als das Mendelssohn's energischer (mehr Ausführung im Großen). Jener schattirt noch im Leisesten so fein, wie dieser in den herrlichsten Kraftstellen erst noch recht von neuer Kraft überströmt; wenn uns hier der verklärte Ausdruck einer einzigen Gestalt bewältigt, so quellen dort wie aus einem Raphael'schen Himmel hunderte von wonnigen Eugelsköpfen. Etwas Aehnliches gilt auch von ihren Compositionen. Wenn uns Mendelssohn in phantastischen Umrissen den ganzen wilden Spuk eines Sommernachtstraums vorführt, so ließ sich Bennett lieber durch die Figuren der »lustigen Weiber von Windsor« zur Musik anregen Er schrieb eine Ouvertüre zu diesem Stück von Shakspeare.; wenn jener in einer seiner Ouvertüren eine große tiefschlummernde Meeresfläche vor uns ausbreitet, so weilt der Andere am leisathmenden See mit dem zitternden Monde darin. Das Letzte bringt mich gleich auf drei der lieblichsten Bilder von Bennett, die eben nebst zwei andern seiner Werke auch in Deutschland erschienen sind; sie haben die Ueberschriften: the Lake, the Millstream und the Fountain, und sind, was Colorit, Naturwahrheit, dichterische Auffassung betrifft, wahre Claude Lorrains an Musik, lebende, tönende Landschaften, und namentlich die letzte unter den Händen des Dichters voll wahrhaft zauberischer Wirkung.

Noch Manches möcht' ich mittheilen, – wie dies nur kleine Gedichte seien zu Bennett's größern Werken, wie z. B. sechs Symphonieen, drei Clavierconcerten, Orchesterouverturen zu Parisina, zu den Najaden etc. gehalten, – wie er Händel auswendig weiß, – wie er alle Mozart'schen Opern auf dem Clavier spielt, als sähe man sie leibhaftig vor sich, – doch kann ich ihn selbst gar nicht mehr abhalten, der mir schon seit lange über die Schultern sieht und schon zum zweitenmale fragt: Then, what do you write? – Bester, schreibe ich nur noch, wüßtest Du's!

Eusebius.

*

Museum.

Unter dieser Aufschrift erhielten wir vor Kurzem einige Beiträge der Davidsbündlerschaft mit der Anfrage: ob sie nicht eine Sammlung von Abgüssen interessanterer Köpfe in der Zeitschrift aufstellen und ihr obigen Namen beilegen dürfte, da sie fürchte, daß in den in die Mode gekommenen En-gros-Recensionen Manches übersehen würde: daß sie übrigens damit etwas Aristokratisches nicht im Sinne habe, solle die Redaction nur glauben etc. Das Letzte bei Seite gelassen, antworteten wir: die Bündlerschaft sollte nur.

Die Redaction.

*

1.
Variationen für das Pianoforte von Adolph Henselt.

Werk I.

Mit einiger Freundschaft mehr betrachte ich Dich oft, mein Florestan, daß Du mit gutem Griff aus der Schaar der Jüngeren die Besten herausfühltest und sie zuerst in die Welt, d. i. in die Zeitschrift einführtest als künftige Würden-, wo nicht Lorbeerträger. Sonderbar waren sie gerade von den verschiedensten Völkerschaften, so Chopin ein Pole, Berlioz ein Franzose, Bennett ein Engländer, Anderer, Geringerer nicht zu gedenken. Wann endlich, dachte ich da oft traurig, wird denn auch einmal ein Deutscher kommen! Und er ist gekommen, ein Prachtmensch, der Herz und Kopf auf der rechten Stelle hat, Adolph Henselt, und ich stimme der Davidsbündlerin Sara bei, daß sie ihn, den noch wenig Gehörten, ihn, der kaum Werk Eins hinter dem Rücken hat, gleich den Besten der jungen Künstlerschaft anreiht. Du weißst, Florestan, viel haben wir am Clavier zusammenstudirt, geschwelgt in Fingerübungen und Beethoven, besten Ton zu erlangen. Was ich aber Wohllaut, Klangzauber nenne, ist mir noch nie in einem höhern Grade vorgekommen, als in Henselt's Compositionen. Dieser Wohllaut ist aber nur der Wiederhall einer inneren Liebenswürdigkeit, die sich so offen und wahr ausspricht, wie man es in diesem verhüllten Larventanz der Zeit kaum mehr kennt. Letzteren Vorzug haben wohl auch andere junge Künstler mit meinem gemein; sie kennen aber ihr Instrument nicht so genau, wissen ihre Gedanken nicht so reizend herauszustellen. Ich spreche hier nicht von den Variationen, in die man sich höchstens verlieben kann, ohne tiefer gepackt zu werden, was sie auch gar nicht wollen; aber bei manchen Menschen läßt sich, auch wenn sie noch erst wenig gesagt, ihr Bestes noch nicht gezeigt haben, gleich vorn herein auf ein schönes Herz, einen harmonisch gebildeten Geist schließen. Und dann hörte ich erst vor Kurzem von Clara Wieck, wie von einem Freunde des Componisten eine Menge kleiner Tonstücke, daß Einem vor Lust die Thränen in die Augen treten konnten, so unmittelbar griffen sie an das Herz, – Kann ich nun über solchen Tugenden eines Künstlergeistes auch nicht die tiefere Eigenthümlichkeit Anderer, wie den hochleidenschaftlichen Chopin vergessen, über Walter Scott nicht Lord Byron, so bleiben sie doch der Nachahmung, der innigsten Anerkennung in einer Zeit werth, wo ein verzerrender und verzerrter Meyerbeer wüstet und ein verblendeter Haufe ihm zujauchzt. Labt euch denn an den Aussichten, die dieser Künstler erschließt; die schöne Natur dringt endlich doch durch. Er aber möge sich seiner Bedeutung erfreuen, und fortfahren, mit seiner Kunst Freude und Glück unter den Menschen zu verbreiten.

Noch Eines. Es wurde neulich gefragt, ob Henselt nicht eine dem Prinzen Louis von Preußen verwandte Erscheinung wäre. Allerdings, aber sie fallen in umgekehrte Zeiten, Nimmt man von der Musik einen romantischen und classischen Charakter an, so war Prinz Louis der Romantiker der classischen Periode, während Henselt der Classiker einer romantischen Zeit ist; und insofern berühren sie sich.

Eusebius.

*

2.
Drei Impromptus für das Pianoforte von Stephen Heller.

Werk 7.

Damit aber mein Eusebius nicht etwa überschäume, wie ein hochgeschwungener Pokal, stell' ich ihm einen ebenso jungen deutschen Künstler gegenüber, Stephen Heller, der die Vorzüge seines Lieblings zwar nicht in so hohem Grade theilt, außerdem aber Vielseitigkeit der Erfindung, Phantasie und Witz die Fülle hat. Vor einigen Jahren schon schrieb uns ein Unbekannter, er hätte gelesen, die Davidsbündlerschaft wolle sich auch elender Manuscripte annehmen. »Man kann« – hieß es in jenem Briefe weiter. – »diesen Gedanken nicht dankbar genug anerkennen. Irgend ein hartes Verlegerherz oder ein Herz-Verleger kann durch gerechte Kritik solcher Manuscripte auf junge Talente aufmerksam gemacht, nach Verdienst, in seiner Härte bestärkt oder günstiger gestimmt werden. – In mir, verehrte Dbdler., sehen Sie Einen von den Vielen, die ihre Compositionen ( soi-disant Werke) veröffentlicht wissen wollen, aber zugleich Einen von den Wenigen, die es nicht wünschen, um sich – gedruckt oder gestochen zu sehen, sondern deshalb, um sich beurtheilt zu hören, um Tadel, lehrreichen, oder Ermunterndes zu vernehmen« etc. – Der ganze Brief verrieth einen hellen feinen Kopf, Naivetät und Bescheidenheit. Endlich kamen die Manuscripte, abermals mit einem Brief, aus dem ich mich folgender Stelle entsinne: »Großer Achtung, dürfte ich mich ihrer erfreuen, wenn ich mich Ihnen als einen ausgezeichneten Seher und seltenen – Hörer legitimire! Ich habe Beethoven, ich habe Schubert gesehen, oft gesehen und zwar in Wien, und die beste italienische Operngesellschaft dort und welche Zusammenstellung, – die Quartetten von Mozart und Beethoven von Schuppanzig etc. spielen, und Beethoven's Symphonieen vom Wiener Orchester aufführen gehört. Im Ernste, verehrteste Bündlerschaft, bin ich kein seltener, beglückter Seher, kein vom Schicksal begünstigter Hörer?« Beste Freunde, – sagte ich meinen –, nach solchen Briefstellen ist nichts zu thun, als auf die Composition zuzufliegen und den Mann an der Wurzel kennen zu lernen, dessen Namen ein so fatales Widerspiel seines Inhabers.

Ich bin des Wortes »Romantiker« vom Herzen überdrüssig, obwohl ich es nicht zehnmal in meinem Leben ausgesprochen habe; und doch – wollte ich unsern jungen Seher kurz tituliren, so hieß' ich ihn einen und welchen! Von jenem vagen, nihilistischen Unwesen aber, wohinter Manche die Romantik suchen, ebenso wie von jenem groben hinklecksenden Materialismus, worin sich die französischen Neuromantiker gefallen, weiß unser Componist, dem Himmel sei Dank, nichts; im Gegentheil empfindet er meist natürlich, drückt er sich klug und deutlich aus. Dennoch fühlt man aber noch etwas im Hintergrund stehen beim Erfassen seiner Compositionen, ein eigenes anziehendes Zwielicht, mehr morgenröthlich, das Einen die übrigens festen Gestalten in einem fremdartigen Schein sehen läßt; man kann so etwas niemals durch Worte scharf bezeichnen, durch ein Bild schon eher, und so möchte ich jenen geistigen Schein den Ringen vergleichen, die man im Morgenschauer an gewissen Tagen um die Schattenbilder mancher Köpfe bemerken will. Im Uebrigen hat er gar nichts Übermenschliches als eine fühlende Seele in einem lebendigen Körper. Dabei führt er aber auch fein und sorgsam aus; seine Formen sind neu, phantastisch und frei; er hat keine Angst um das Fertigwerden, was immer ein Zeichen, daß viel da ist. Jenen harmonischen Wohllaut, der in der That bei Henselt so wohlthut, besitzt er nicht in dem Maaße; dagegen hat er mehr Geist, versteht er Contraste zu einer Einheit zu verschmelzen. Im Einzelnen stört mich Manches; er erstickt aber den Tadel durch eine geistreiche Wendung im Augenblick. Dies und Aehnliches zeichnet diesen meinen Liebling aus. Uebersehe ich auch die Dedication nicht! Das Zusammentreffen ist sonderbar; du erinnerst dich, Eusebius, wir hatten einmal etwas der Wina aus den »Flegeljahren« zugeeignet; die Dedication der Impromptus nennt auch eine Jean Paul'sche Himmelsgestalt, Liane v. Froulay, – wie wir denn überhaupt Manches gemein haben, welches Geständniß Niemand falsch deuten wolle; es liegt zu deutlich da. So empfehl' ich euch die Impromptus. Wahrhaftig, dieses Talent hat eine Zukunft vor sich. –

Florestan.

3.
Soiréen für das Pianoforte von Clara Wieck.

Werk 6.

Auch ein weiblicher Kopf soll unser Museum schmücken, und überhaupt, wie könnte ich den heutigen Tag, als Vorfeier des morgenden, der einer geliebten Künstlerin das Leben gab, besser begehen, als daß ich mich gerade in eine ihrer Schöpfungen versenkte mit einigem Antheil. Sind sie doch einer so ausländischen Phantasie entsprungen, als daß hier die bloße Uebung ausreichte, diese seltsam verschlungenen Arabesken verfolgen zu können, – einem zu tief gegründeten Gemüthe, als daß man, wo das Bildliche, Gestaltenähnliche in ihren Compositionen mehr in den Hintergrund tritt, das träumerische, in sich vertiefte Wesen auf einmal zu fassen vermöchte. Deshalb werden sie auch die Meisten ebenso rasch wieder weglegen, als sie sie in die Hand genommen; ja es ist zu glauben, daß ordentliche Preisakademieen den Soiréen unter hundert eingesandten andern nicht etwa den ersten Preis zuerkennen, sondern eben den letzten, so wenig schwimmen hier die Perlen und Lorbeerkränze auf der Fläche. Immerhin wär' ich auf das Urtheil der Akademisten mehr als je gespannt; denn eines Theils verrathen die Soiréen doch gewiß jedem ein so zartes überwallendes Leben, das vom leisesten Hauch bewegt zu werden scheint, und doch auch wieder einen Reichthum an ungewöhnlichen Mitteln, eine Macht, die heimlichem, tiefer spinnenden Fäden der Harmonie zu verwirren und auseinander zu legen, wie man es nur an erfahrenen Künstlern, an Männern gewohnt ist. Ueber das Erstere, die Jugend der Componistin, sind wir einig. Das Andere aber zu würdigen, muß man freilich wissen, wie sie, als Virtuosin schon, auf dem Höhenscheitel der Zeit steht, von wo aus ihr Nichts verborgen geblieben. Wo Sebastian Bach noch so tief eingräbt, daß das Grubenlicht in der Tiefe zu verlöschen droht, wo Beethoven ausgreift in die Wolken mit seiner Titanenfaust, was die jüngste Zeit, die Höhe und Tiefe vermitteln möchte, vor sich gebracht hat, von all' diesem weiß die Künstlerin und erzählt davon in lieblicher Mädchenklugheit, hat aber deshalb auch die Anforderungen an sich auf eine Weise gesteigert, daß Einem wohl bange werden könnte, wo dies Alles hinaus soll. Ich vermag nicht vorzugreifen mit meinen Gedanken hierüber; Vorhang steht bei solchem Talente hinter Vorhang und die Zeit hebt einen nach dem andern hinweg, und immer anders, als man vermuthet. Aber daß man einer solchen wundersamen Erscheinung nicht gleichgültig zusehe, daß man ihr Schritt vor Schritt in ihrer geistigen Entwickelung nachfolge, wäre von Allen zu erwarten, die in unserer denkwürdigen Gegenwart nicht ein loses Durcheinander des Zufalls, sondern die natürliche, innige Verknüpfung verwandter Geister von Sonst und Jetzt erkennen.

Was erhält man also in diesen Soiréen? Was sprechen sie aus, wen gehen sie an, und sind sie ein Resultat, der Arbeit eines Meisters zu vergleichen? Sie erzählen uns denn viel von Musik, und wie diese die Schwärmerei der Poesie hinter sich läßt, und wie man glücklich im Schmerz sein könne und traurig im Glück, – und sie gehören denen, die auch ohne Clavier selig sein können in Musik, denen das sehnsüchtige innere Singen das Herz sprengen möchte, allen, die in die geheimnißvolle Ordenssprache einer seltenen Künstlergattung schon eingeweiht sind. Endlich sind sie ein Resultat? Wie die Knospen sind sie's, ehe sie die Farbenflügel in offener Pracht auseinander treiben, zur Betrachtung fesselnd und bedeutend, wie Alles, was eine Zukunft in sich birgt. – Freilich, dies nun Alles von ihr selbst zu hören! Weiß man doch selbst nicht, wie Einem da oft geschieht! Kann man sich da oft kaum denken, wie so etwas mit Zeichen dargestellt, ausgeschrieben werden könne! Ist dies doch wieder eine ihr ungehörige erstaunliche Kunst, über die sich ganze Bücher hören ließen! Ich sage »hören« und bin weise geworden. Unsern Davidsbündlerkräften mißtrauend, baten wir z. B. neulich einen guten Kenner, uns etwas über die Eigenthümlichkeit des Vortrags dieser Virtuosin für die Zeitschrift zu schreiben; er versprach es und nach zwei Seiten Abhandlung kam's richtig am Schluß: »es wäre wünschenswerth, einmal etwas Begründetes über die Virtuosität dieser Künstlerin zu erfahren« etc. Wir wissen, woran er gescheitert ist, und weshalb wir auch hier abbrechen: es läßt sich eben nicht Jedes in Buchstaben bringen.

Am 12. September 1837.

Florestan und Eusebius.

*

4.
Präludien und Fugen für das Pianoforte von Felix Mendelssohn Bartholdy.

Werk 35.

Ein Sprudelkopf (er ist jetzt in Paris) definirte den Begriff »Fuge« meisthin so: »sie ist ein Tonstück, wo eine Stimme vor der andern ausreißt – ( fuga a fugere) – und der Zuhörer vor allen«, weshalb er auch, wenn dergleichen in Concerten vorkamen, laut zu sprechen und noch öfter zu schimpfen anfing. Im Grunde verstand er aber wenig von der Sache und glich nebenbei dem Fuchs in der Fabel, d. h. er konnte selbst keine machen, so sehr er's sich auch heimlich wünschte. Wie anders definiren freilich die, die's können, Cantoren, absolvirte Musikstudenten u. dgl. Nach diesen hat »Beethoven nie eine Fuge geschrieben, noch schreiben können, selbst Bach sich Freiheiten genommen, über die man nur die Achseln zucken könnte, Die beste Anleitung gäbe allein Marpurg« u. s. w. Endlich wie anders denken Andere, ich z. B., der ich stundenlang schwelgen kann in Beethoven'schen, in Bach'schen und Händel'schen, und deshalb immer behauptet, man könne, wässerige, laue, elende und zusammengeflickte ausgenommen, keine mehr machen heut zu Tage, bis mich endlich diese Mendelssohn'schen wieder in etwas beschwichtigt. Ordentliche Fugenmusterreiter täuschen sich indeß, wenn sie in ihnen einige von ihren alten herrlichen Künsten angebracht glauben, etwa imitationes per augmentationem duplicem, triplicem etc., – ebenso aber auch die romantischen Ueberflieger, wenn sie ungeahnte Phönixvögel in ihnen zu finden hoffen, die sich hier losgerungen aus der Asche einer alten Form. Haben sie aber sonst Sinn für gesunde natürliche Musik, so bekommen sie darin hinlänglich. Ich will nicht blind loben und weiß recht gut, daß Bach noch ganz andere Fugen gemacht, ja gedichtet. Aber stände er jetzt aus dem Grabe auf, so würde er – erstens vielleicht etwas um sich wettern rechts und links über den Musikzustand im Allgemeinen; dann aber sich gewiß auch freuen, daß Einzelne wenigstens noch Blumen auf dem Felde ziehen, wo er so riesenarmige Eichenwälder angelegt. Mit einem Worte, die Fugen haben viel Sebastian'sches und könnten den scharfsichtigsten Redacteur irre machen, war' es nicht der Gesang, der feinere Schmelz, woran man die moderne Zeit herauserkännte, und hier und da jene kleinen, Mendelssohn eigenthümlichen Striche, die ihn unter Hunderten als Componisten verrathen. Mögen Redacteure das nun finden oder nicht, so bleibt doch gewiß, daß sie der Componist nicht zum Zeitvertreib geschrieben, sondern deshalb, um die Clavierspieler auf jene alte Meisterform wieder aufmerksam zu machen, sie wieder daran zu gewöhnen, und daß er dazu die rechten Mittel wählte, indem er alle jene unglücklichen, nichtsnutzigen Satzkünsteleien und imitationes mied und mehr das Melodische der Cantilene vorherrschen ließ bei allem Festhalten an der Bach'schen Form, sieht ihm auch ganz ähnlich. Ob aber vielleicht auch nicht die letztere mit Nutzen umzugestalten, ohne daß dadurch der Charakter der Fuge aufgelöst würde, ist eine Frage, an deren Antwort sich noch Mancher versuchen wird. Beethoven rüttelte schon daran, war aber anderweitig genug beschäftigt und schon zu hoch oben im Ausbau der Kuppeln so vieler anderer Dome begriffen, als daß er zur Grundsteinlegung eines neuen Fugengebäudes Zeit gefunden. Auch Reicha versuchte sich, dessen Schöpferkraft aber offenbar hinter der guten Absicht zurückblieb; doch sind seine oft curiosen Ideen nicht ganz zu übersehen. Jedenfalls bleibt immer die die beste Fuge, die das Publicum – etwa für einen Strauß'schen Walzer hält, mit andern Worten, wo das künstliche Wurzelwerk wie das einer Blume überdeckt ist, daß wir nur die Blume sehen. So hielt einmal (in Wahrheit) ein übrigens nicht unleidlicher Musikkenner eine Bach'sche Fuge für eine Etude von Chopin – zur Ehre beider; so könnte man manchem Mädchen die letzte Partie einer, z. B. der zweiten, Mendelssohn'schen Fuge (an der ersten würden sie die Stimmeneintritte stutzig machen) für ein Lied ohne Worte ausgeben, und es müßte über die Anmuth und Weichheit der Gestalten den ceremoniellen Ort und den verabscheuten Namen vergessen, wo und unter dem sie ihm vorgestellt werden. Kurz, es sind nicht allein Fugen, mit dem Kopf und nach dem Recept gearbeitet, sondern Musikstücke, dem Geiste entsprungen und nach Dichterweise ausgeführt. Wie die Fuge aber ein ebenso glückliches Organ für das Würdige wie für das Muntere und Lustige abgibt, so enthält die Sammlung auch einige in jener kurzen, raschen Art, deren Bach so viele hingeworfen mit Meisterhand. Jeder wird sie herausfinden; diese namentlich verrathen den fertigen geistreichen Künstler, der mit den Fesseln wie mit Blumengewinden spielt. Von den Präludien noch zu sprechen, so stehen vielleicht die meisten, wie wohl auch viele Bach'sche, in keinem ursprünglichen Zusammenhange mit den Fugen und scheinen diesen erst später vorgehängt. Die Mehrzahl der Spieler wird sie den Fugen vorziehen, wie sie denn, auch einzeln gespielt, eine vollständige Wirkung hinterlassen; namentlich packt das erste gleich von Haus aus und reißt bis zum Schluß mit sich fort. Die andern sehe man selbst nach. Das Werk spricht für sich selbst, auch ohne den Namen des Componisten.

Jeanquirit.

*

5.
12 Etuden für Pianoforte von Friedrich Chopin.

Werk 25. Zwei Hefte.

Wie dürfte denn dieser in unserm Museum fehlen, auf den wir so oft schon gedeutet wie auf einen seltenen Stern in später Nachtstunde! Wohin seine Bahn geht und führt, wie lange, wie glänzend noch, wer weiß es? So oft er sich aber zeigte, war's dasselbe tiefdunkele Glühen, derselbe Kern des Lichts, dieselbe Schärfe, daß ihn hätte ein Kind herausfinden müssen. Bei diesen Etuden kömmt mir noch zu Statten, daß ich sie meist von Chopin selbst gehört, und »sehr à la Chopin spielt er selbige«, flüsterte mir Florestan dabei in's Ohr. Denke man sich, eine Aeolsharfe hätte alle Tonleitern und es würfe diese die Hand eines Künstlers in allerhand phantastischen Verzierungen durcheinander, doch so, daß immer ein tieferer Grundton und eine weich fortsinnende höhere Stimme hörbar, – und man hat ungefähr ein Bild seines Spieles. Kein Wunder aber, daß uns gerade die Stücke die liebsten geworden, die wir von ihm gehört, und so sei denn vor Allem die erste in As dur erwähnt, mehr ein Gedicht als eine Etude. Man irrt aber, wenn man meint, er hätte da jede der kleinen Noten deutlich hören lassen; es war mehr ein Wogen des As dur-Accordes, vom Pedal hier und da von Neuem in die Höhe gehoben; aber durch die Harmonieen hindurch vernahm man in großen Tönen Melodie, wundersame, und nur in der Mitte trat einmal neben jenem Hauptgesang auch eine Tenorstimme aus den Accorden deutlicher hervor. Nach der Etude wird's Einem, wie nach einem sel'gen Bild, im Traum gesehen, das man, schon halbwach, noch einmal erhaschen möchte; reden ließ sich wenig darüber und loben gar nicht. Er kam alsbald zur andern in F moll, die zweite im Buch, ebenfalls eine, in der sich Einem seine Eigenthümlichkeit unvergeßlich einprägt, so reizend, träumerisch und leise, etwa wie das Singen eines Kindes im Schlafe. Wiederum schön, aber weniger neu im Charakter als in der Figur, folgte die in F dur; hier galt es mehr, die Bravour zu zeigen, die liebenswürdigste, und wir mußten den Meister sehr darum rühmen ... Doch wozu der beschreibenden Worte! Sind sie doch sämmtlich Zeichen der kühnen, ihm innewohnenden Schöpferkraft, wahrhafte Dichtergebilde, im Einzelnen nicht ohne kleine Flecken, im Ganzen immerhin mächtig und ergreifend. Meine aufrichtigste Meinung indeß nicht zu verschweigen, so scheint mir allerdings das Totalgewicht der früheren großen Sammlung bedeutender. Es kann dies aber keinen Verdacht etwa auf eine Verringerung von Chopin's Kunstnatur oder auf ein Rückwärtsgekommensein abgeben, da diese jetzt erschienenen ziemlich alle mit jenen zugleich entstanden und nur einzelne, denen man auch ihre größere Meisterschaft ansieht, wie die erste in As und die letzte prachtvolle in C moll, erst vor Kurzem. Daß unser Freund überhaupt aber jetzt wenig schafft und Werke größeren Umfangs gar nicht, ist leider auch wahr, und daran mag wohl das zerstreuende Paris einige Schuld haben. Nehmen wir indeß lieber an, daß es nach so vielen Stürmen in einer Künstlerbrust allerdings einiger Ruhe bedarf, und daß er dann vielleicht, neu gestärkt, den ferneren Sonnen zueilen wird, deren uns der Genius immer neue enthüllt.

Eusebius.

*


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