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Zwölftes Kapitel.

Schloß Schömberg. – Zugbrücke, Ritterhalle, alte Ga, Dieter, Frieder, Uli, Ninni, Minni, Muhme Erdmuthe, Reserl von einst und Prinzessin. – Wie Lene Wepfer zu all diesen kam, und was sie erlebte. – »Wißt ihr noch? Wißt ihr noch?« – Eine Depesche an Madame Reimer, und was die für Folgen hat.

 

Schloß Schömberg! Dort lag es im Abendsonnenschein auf der Höhe mit seinen glänzenden Zinnen, seinen Türmen und den alten gotischen Fenstern, in denen sich die untergehende Sonne spiegelte. Lene hatte eine heiße Fahrt hinter sich. Sie wurde an der Bahnstation von einer freundlichen jungen Dame abgeholt. Es war dies Fräulein Ninni von Schömberg, die Schwester der Baronin. Wie viel hatte Lene von ihr schon gehört, von der geliebten Tante Ninni, die einst als Kind Jahre lang leidend gewesen und jetzt gesund als einzige Tochter daheim der Mutter Stütze und rechte Hand war!

Herzlich begrüßte sie die junge Näherin. Ein Diener sah sich nach Lenes bescheidenem Köfferchen um, und der sauber gewickelte Plaidpack wurde in einen kleinen offenen Wagen gelegt, in dem Lene neben dem gnädigen Fräulein sitzen durfte, das dann Zügel und Peitsche ergriff und selber kutschierte. An Kornfeldern und Kartoffeläckern dahin, vorbei an Gehöften und einzelnen Häusern, wo die Leute artig grüßten, ging es nachher mitten hinein in tiefen Tannenwald, an einem See vorbei, voll weißer Wasserrosen und Schilf und Farren am Ufer. Und dann ging's in Windungen den Berg hinauf.

Jetzt wurde im Schritt gefahren. Das gnädige Fräulein hatte nicht mehr so scharf auf das lebhafte Pferd zu achten und erkundigte sich nun, wie Lenes Reise gewesen, und ob bei Schlüters alles gesund sei, und wer wohl für Lenes Bruder sorge, solange sie fort sei.

»Das muß er schon selber tun,« sagte Lene lächelnd, »und wenn er nicht damit zustande kommt, will ihm unsre Hausfrau nebenan ein bißchen zur Hand gehen.«

Fräulein von Schömberg fragte noch dies und das, und die Angekommene, die so nett und bescheiden Antwort gab und so anständig und hübsch aussah, trotz der von dem Nähmädchen verspotteten älteren schwarzen Jacke, machte einen sehr günstigen Eindruck auf sie.

Lene war ganz entzückt von dem, was nun alles kam: eine Zugbrücke über einen Graben, dann ein Hof mit einem plätschernden Brunnen unter alten Linden, und dann, als sie ausgestiegen waren, kamen sie in die Halle mit Ritterrüstungen und farbigen Glasfenstern.

»Das ist die brave Lene, die sich hier erholen soll, Dieter,« sagte Fräulein Ninni zu ihrem Bruder, dem Schloßherrn, der mit seiner jungen Frau eben den Tee in der Halle trank. Beide standen auf und reichten der Ankommenden die Hand mit dem Wunsche, daß sie gern da sein möge. Dann ging's eine Treppe hinauf, wo Lene von Frau von Schömberg begrüßt wurde. Sie saß in ihrem Zimmer und schrieb gerade. Ei, wie schön war's da, so ganz anders wieder wie bei den Herrschaften in der Stadt! Warum es ihr gleich so heimisch war, merkte Lene erst später, als sie all die uralten Möbel und Bilder und Kunstsachen im einzelnen besehen durfte. Frau von Schömberg klingelte, und eine Dienerin mit weißem Haar kam herein.

»Das ist unsre alte Ga, Lene, von der du ja schon viel gehört hast, und das ist die Lene Wepfer, Ga, die ich dir anempfehle. Sie muß hier unter allen Umständen rote Backen bekommen, dafür wollen wir vereint sorgen!«

Frau von Schömberg nickte noch freundlich, und Lene wurde von der einstigen Kinderfrau, die nun, seit ihre kleinen Herrschaften erwachsen waren, dem Haushalte vorstand, in ein nettes, freundliches Gastzimmer geführt, das die Fenster nach dem Walde zu hatte. Ein blendend weiß überzogenes Bett, lichte Gardinen, ein Tischchen mit Schreibzeug und am Fenster ein bequemer Stuhl zum Ausruhen, – das wirkte so erfrischend, daß Lene meinte, der Kopfdruck, der auf der ermüdenden Reise fast unerträglich geworden war, fange schon an, ein wenig zu weichen.

»Ist's hier schön!« sagte sie aus vollem Herzen und legte, Gas Aufforderung folgend, Jacke und Hut ab. Sie fürchtete sich ein bißchen vor diesem Schömberger Faktotum wegen der Erzählungen Babettes, und Ga musterte auch mit nicht gerade zu freundlichen Blicken das junge Mädchen, unter dem sie sich so eine recht herausgeputzte Nähmamsell vorgestellt hatte. Ihr Ausdruck wurde aber wohlwollender, als sie das einfache Reisekleid sah, und als Lene dem Plaidpack eine Schürze entnahm und sich umband.

»Ich darf doch?« fragte sie zaghaft. »Ich bin's so gewöhnt.«

Ga sagte: »Natürlich, wir tragen hier alle Schürzen. Wenn man's nicht tut, halten die Kleider nur halb so lange.« Dann führte sie Lene durch enge und weite Gänge, in denen Truhen und aus dunklem Holz geschnitzte Schränke standen, ins Gesindezimmer, wo auf der Ecke eines frischgescheuerten Tisches nett und sauber für eine Person gedeckt war. »Wir andern haben schon früher gegessen. Jetzt lassen Sie sich's nur recht gut schmecken!« sagte Ga und setzte sich strickend ans Fenster. Die Köchin brachte aus der nebenan liegenden Küche mit einem neugierigen Blick ein Brett mit kaltem Braten, Eiern, Brot und Butter, und Lene aß gehorsam, obgleich sie sich eigentlich zwingen mußte; die Anwesenheit der etwas einsilbigen Dienerin bedrückte sie.

Nach dem Essen wurde sie nochmals zu den Herrschaften gerufen, die nun alle beisammen in einem andern Zimmer – Bibliothek hieß man es – saßen, arbeitend und lesend, und Frau von Schömberg sagte Lene, sie solle sich nun schlafen legen, denn sie werde müde sein, und morgen früh brauche sie erst aufzustehen, wenn sie ganz, ganz ausgeschlafen habe.

»Du sollst dich hier vollständig frei fühlen, Lene, und tun können, was du willst. Deine Mahlzeiten nimmst du mit Ga und der Jungfer, und wenn es gutes Wetter ist, gehst du selbstverständlich so viel als möglich ins Freie. Und nun gute Nacht!«

Lene ging, ein Licht in der Hand, das man ihr noch gegeben, und fand jetzt schon allein den Weg in ihr Zimmer. Sie war müde, aber lange stand sie noch am offenen Fenster und schaute in die Dunkelheit hinaus. Ein warmer Gewitterregen brachte Kühlung. Das Geräusch, das er auf den Wipfeln verursachte, und der frische, harzige Geruch, der aufstieg, – das kannte Lene ja so gut, und wie lange hatte sie's entbehrt! Tief aufatmend faltete sie die Hände, und es war ihr so beglückend, so heimatlich zu Mute, als sie sich bald darauf zur Ruhe legte. Brief Lenes an die Frau Baronin von Schlüter.

Schömberg, den 4. Juli 19..

Euer Hochwohlgeboren

erlaube ich mir, den versprochenen Bericht zu senden. Meine Reise ist glücklich verlaufen, so, wie es mir die Frau Baronin auf einen Zettel geschrieben. Hier ist es wunderschön, alles noch viel schöner als Baroneß Isa mir es geschildert hat, und alle sind so gut gegen mich. Solch ein großes Schloß hab' ich mir gar nicht vorstellen können. Ganz merkwürdig war es mir zu Mute, als gnädiges Fräulein Ninni mir die alten Bilder erklärte und mir sagte, daß diese Ritter und die Herren mit den steifen Krausen, die fast wie Mühlräder aussahen, auch schon hier gewohnt haben, und daß es die Vorfahren von den Herrschaften waren. Seitdem muß ich immer daran denken, wie groß da das Heimatgefühl sein muß, wenn unsereiner schon die Sehnsucht nach einem winzigen Häuslein nicht aus dem Herzen kriegt. Jetzt versteh' ich auch, wie es dem einstigen Reserl zu Mute gewesen sein mag, als es fort mußte. Ich sitze alle Tage in dem schönen Park an dem Plätzlein, wo, wie das gnädige Fräulein mir erzählte, die Herrschaften, als sie noch Kinder waren, immer zusammen gespielt haben. Es ist noch das Rindenhäuschen da, in dem die Puppen gewohnt haben, und das Kegelspiel. Manchmal kommt die Bonne mit dem kleinen Herrn Baron, der noch im Wägelchen sitzt, auch an diesen Platz, und es ist herzig zu sehen, wie das Bübchen für seine elf Monate schon lustig ist und zappelt und kräht, wenn die Eltern kommen, oder gar, wenn es den Vater zu Pferde sieht. Wie wird sich unser Thereschen über den kleinen Vetter freuen!

Ich schließe nun und will noch meinem Schorsch schreiben. In großer Dankbarkeit

die glückliche, aber noch etwas müde

Lene.

* * *

Brief von Lene an Schorsch.

Schömberg, den 4. Juli 19..

Lieber Schorsch!

Wie mir's geht, kannst Du bei der Babette erfahren; ich vermag nicht alles doppelt zu schreiben, weil ich ausruhen und bald ins Bett soll. Fast schäme ich mich vor Euch allen, daß ich ein so herrliches Leben führe. Nun will ich rasch Deinen Brief beantworten. Das ist einmal eine Freude, daß Deine Frau Direktor mit ihren hustenden Kindern wirklich das Waldhäuschen gemietet hat! Des Ochsenwirts wegen ist mir's gleichgültig, obschon man seinen Feind lieben soll. Ich wünsche ihm ja auch nichts Böses, aber nun ist er gebunden und kann das Haus nicht so bald verkaufen. Auch das müßte mir eigentlich gleichgültig sein, denn wir beide können ja jetzt bei allem Fleiß nie daran denken, das alte Heim wieder zu erwerben, aber doch ist's so schwer, in Zukunft wieder andere Leute darin wohnen zu wissen. Und die halten es dann fest, wenn wir vielleicht einmal so viel Geld haben sollten. Was es heißt, im Wald zu wohnen, spür' ich wieder hier. – Wie geht's Dir? Richtet die Hausfrau auch ordentlich Dein Zimmer? Sag ihr, ich wolle ihr und den Kindern dafür bei den Winterkleidern helfen. Wechselst Du auch regelmäßig Deine Wäsche, und ist mein Brüderle auch gewiß vorsichtig mit der Tigerin, die wieder Junge hat, und die allemal so bös ist, und mit dem neuen großen Affen, der Dich noch nicht kennt? Mach auch immer die Fenster auf, ehe Du fortgehst, und iß auch ordentlich zu Nacht, wenn Du heimkommst, nicht so hastig. Der Metzger an der Ecke hat die frischesten Würste, und für Brot und Bier sorgt die Hausfrau, hoffe ich.

Deine
Dich liebende Schwester

Lene.

* * *

Brief von Lene an den Schuster-Martin in Buchberg.

Schömberg, den 26. Juli 19..

Lieber Großvater!

Ich hoffe, daß Deine Schmerzen gegenwärtig erträglich sind, und daß Du mit dem Christian nicht gar zu arg geplagt bist. Schorsch schrieb mir, daß er am Sonntag bei Dir gewesen sei und soweit alles in Ordnung getroffen habe. Daß die Krämerin noch immer liegen muß, tut mir recht leid. Ich hab' ihr dieser Tage eine Ansichtspostkarte von hier geschickt, und auch der Frau Lehrer. Ich stricke für ihr Kleines hier ein Kittelchen nach dem Muster, wie sie mich's einst gelehrt, und danke ihr herzlich, daß sie so oft nach Dir sieht. Schmerzlich ist mir, daß Schorsch schreibt, der Weg bis zum Waldbänkchen werde Dir jetzt auch beschwerlich, aber zu nett ist, daß unser altes Mohrle dich öfter besucht, seitdem er nimmer mit seinem Herrn spazieren gehen kann. – Lieber Großvater! Mir geht's ausgezeichnet gut hier, und nun höre nur, was ich alles erlebt habe. Von der ersten Zeit weißt du ja schon. Ein sehr schöner Nachmittag war, als das gnädige Fräulein mich mit ins Pfarrhaus nahm, wo die zwei ehrwürdigen Geschwister, der Herr Pfarrer und seine Schwester Erdmuthe, wohnen. Die sind schon beide über achtzig Jahre alt, wozu Du ja immerhin noch ein gut Stück hast. Aber beide sind noch ganz rüstig und gesund. Wenn auch ein Herr Vikar für den Herrn Pfarrer gewöhnlich predigt, so versieht er doch noch die Seelsorge, und das halbe Dorf beinahe hat er schon getauft und unterrichtet. Fräulein Erdmuthe hat seit einigen Jahren eine Dienerin – bis dahin hat sie den ganzen Haushalt selber besorgt. Aber sie tut doch noch im Haushalt mit, obgleich sie ganz gebückt ist, und ihre berühmten Kaffeekuchen bäckt sie jetzt auch noch selber, und ich habe ein großes Stück zum Eintunken bekommen. Sie behielten uns nämlich gleich zum Kaffee da. Wie in dem Haushalt alles blitzt und blinkt, Großvater! Da kann man lernen! Der Herr Pfarrer fragte nach Dir, und Du sollest doch Heublumen absieden und die Hände darin baden, das sei sehr gut. Er wußte manches von Dir, z. B. daß Du überall im Armenhaus hilfst, und er sagte, da müßtest Du Gottes Segen dafür bekommen.

Ein paar Tage nach dem Besuch sind meine Herrschaften angekommen, alle, auch Heinz, der Kadett, nur der Herr Baron nicht, der mußte ins Manöver. Meine Frau Baronin schläft in ihrem alten Mädchenzimmer, Baronesse Isa mit Thereschen und der Mademoiselle nebenan. Überall hängen Bilder von den Schömbergschen Kindern, wie sie noch klein waren, und Thereschen schläft in einem Bett mit grünseidenen Vorhängen, in dem einst ihre Mutter geschlafen. Von unsrer Frau Baronin ihrem Zimmer – es ist rund, weil es in einen Turm eingebaut ist – geht eine Wendeltreppe hinab in die Zimmer, in denen die Prinzessin Isabella immer wohnt. Sie ist vor drei Tagen angekommen.

Ich helfe da und dort ein bißchen mit, denn es gibt nun gewaltig viel zu tun, obgleich die Frau Prinzessin gar nicht will, daß man Umstände mit ihr macht. Aber solch eine Dame ist's halt doch noch anders gewöhnt als unsre Herrschaften, das hab' ich jetzt gesehen. Eine Kammerjungfer, ein Kammerdiener und ein Lakai kamen mit, und viele Koffer und zwei winzig kleine Hunde, ein weißer und ein schwarzer, mit seidenen Schleifen am Hals. Sie sehen wie Spielzeug aus. Kannst Dir denken, wie mich's interessiert, einmal solch eine Dame ganz in der Nähe zu sehen. Unsere Frau Baronin und sie sind wie zwei Schwestern.

Ga erzählte mir, daß die zwei als Kinder sich einst nicht so ganz verstanden hätten, weil das Prinzeßchen sehr verwöhnt und gewalttätig gewesen sei. In Schömberg unter den Kindern aber sei sein Herz aufgewacht, und Fräulein Erdmuthe habe viel dazu beigetragen – die kann einem aber auch alles sagen, und nichts nimmt man ihr übel, weil aus ihrem Gesicht die lautere Liebe spricht, das spürt ein jedes, und ich hörte, wie die Frau Prinzessin zu Isa und Thereschen sagte: »Wir müssen uns auch bei Muhme Erdmuthe zum Kaffee ansagen. Eine Stunde bei ihr ist mehr wert, als acht Tage im Getriebe da draußen in der Welt.«

Die Geschwister der Frau Baronin, zwei hübsche junge Offiziere, wovon der eine Frieder, der andere Uli heißt, sind auch da, sowie die jüngste Schwester Minni, welche seit ein paar Jahren an einen Gutsbesitzer in der Nähe verheiratet ist. Sie alle will die Frau Prinzessin beisammen haben, wenn sie hierherkommt, und Ga sagt, nun heiße es wieder den ganzen Tag: »Wißt ihr noch? Wißt ihr noch?« und alle kleinen Kindergeschichten werden aufgewärmt. Es wird dabei gelacht und gescherzt, so daß die Frau Prinzessin, die in ihrem Lande ihre Pflichten sehr ernst nimmt, wieder für lange Zeit davon zehren kann. Sie hat schon viel durchgemacht. Ihr einziges Kind, ein Prinzeßchen, ist ihr früh gestorben, weshalb sie auch so sehr an unserm Thereschen hängt, das im selben Alter ist. Wie freundlich sie gegen mich war, das erzähle ich Dir, wenn ich heimkomme. Laß diesen Brief auch die Krämerin lesen, es unterhält sie vielleicht ein bißchen, und dann, lieber Großvater, steck ihn in das beiliegende Kuvert und schick ihn der Babette. Ich versäume nichts über dem Schreiben, weil es schon spät ist. Ich lasse ihr sagen, daß ich wieder einen guten Appetit habe, und daß mich jedermann beruft wegen meiner runden, roten Backen. Auch das Kopfweh ist gottlob viel besser. Ich muß nun rasch noch der Madame Reimer etwas Wichtiges schreiben, darum Schluß.

Deine
getreue Enkelin

Lene.

P. S. Die Schokolädchen, die ich Dir als Muster ohne Wert sandte, sind von meinem Nachtisch. Laß sie Dir schmecken!

* * *

Brief von Lene an Madame Reimer.

Schömberg, den 26. Juli 19..

Geehrte Madame!

Weil Sie gerne wissen möchten, wie es mir geht, so teile ich Ihnen mit, daß ich mich nun beinahe wieder erholt habe und hoffe, nächste Woche mit frischen Kräften wieder anfangen zu können. Ich wollte, die ganze Nähstube könnte einmal einen Tag mit mir hier in dem herrlichen Park sein. Ich lasse alle herzlich grüßen und die Federnelken und Genzianen, die ich gestern abschickte, sollen sie in einer Vase auf den Nähtisch stellen. Und nun was Nettes! Ich habe schöne Toiletten gesehen bei der Prinzessin von X., die seit drei Tagen hier ist. Die Kammerfrau, mit der ich esse, hat mir auch vieles gezeigt. Da hab' ich mir ein Herz gefaßt und gefragt: »Warum nimmt die Dame denn alles von auswärts, wo wir doch so gute feine Geschäfte haben, z. B. meine Madame Reimer in St.?« Ich sagte, daß ich nur wünschte, die Frau Prinzessin würde dort einmal einen Versuch machen. Die Kammerfrau lachte und meinte, die Herrschaften wechselten nicht gerne. Aber nun kommt's! Als ich nach Tisch zu den Rosen in den Garten ging – gewöhnlich begegnet man um diese Zeit niemand – da stand plötzlich die Frau Prinzessin vor mir und sah mich, wie mir vorkam, halb spöttisch von oben bis unten an.

»Sie sind die kleine Näherin, die mir durch meine Kammerfrau sagen ließ, ich solle nicht bloß französische Kleider tragen? Trösten Sie sich, ich habe auch manche aus deutschen Geschäften, und ich hätte Lust, mir Ihre Madame Reimer, die ja übrigens auch aus Paris ist, wie ich höre, kommen zu lassen!« Ich stammelte etwas davon, daß Sie seit lange schon in Deutschland seien und einen deutschen Mann hätten. Ob die Dame das gehört, weiß ich nicht. Sie sprach nachher noch sehr lieb und freundlich mit mir, sagte, die Schömberger Luft habe schon manchem gut getan, und sie hoffe, daß ich mich ganz erhole. Beim Weggehen warf sie nochmal durch ihre Lorgnette einen Blick auf mich, und – hören Sie nur, was sie sagte: »Sie haben ein nettes, gutgemachtes Kleid an – einfach – das gefällt mir an Ihnen!« Das freute mich furchtbar, aber – Madame Reimer dürfen das nicht den Mädchen erzählen, – es war mein dunkelblaues Kattunkleid mit den weißen Punkten, und da würden die sich halb tot lachen. Und nun hoffe ich, daß es im Geschäft gegenwärtig nicht zu streng zugeht!

Ihre
ergebene

Lene Wepfer.

Madame Reimer erhielt diesen Brief, als eben die Vesperviertelstunde im Geschäft war, und als sie ihn gelesen, konnte sie nicht anders, sie mußte ihn auch den Mädchen in der Nähstube vorlesen, die nur sehen sollten, was die kleine Lene für »eine brave, nette Kerl war«, und was sie erlebte, und wie man sie schätzte. – Was für eine Aufregung aber gab es erst im Reimerschen Geschäft, als nachmittags eine Depesche an Madame kam:

 

Kommen Sie, bitte, wenn möglich, morgen mit einer Auswahl hübscher Straßenkostüme und einigen Dinerskleidern nach Schloß Schömberg.

Kammerfrau Ihrer Königlichen Hoheit

der Frau Prinzessin von X.

In fieberhafter Eile wurden nun die schönsten Toiletten zusammengestellt, ausgewählt und in lauter gleiche, mit bronzefarbenem Papier bezogene Kartons eingepackt, und das schlanke Probierfräulein mit der hohen, neumodischen Frisur durfte Madame begleiten zum Neide der andern.

Aber als sie, dort angelangt, in ihrer gewandten Art Hand anlegen wollte, da wünschte die Frau Prinzessin, daß Lene mithelfen solle.

»Dieses Gesicht ist mir jetzt schon bekannt. Und was die Anzüge betrifft, so kennt Fräulein Wepfer nun bereits ein bißchen meinen Geschmack und kann mitreden!«

Es wurden die vier schönsten Toiletten von Madame Reimer gewählt. Lene war glückselig und Madame in Ekstase darüber. Und auch das Probierfräulein war ausgesöhnt, denn die Kammerfrau händigte ihr ein reichliches Trinkgeld ein.

Als aber Lene abends ihre Chefin an die Bahn brachte, da sagte diese: »Mamselle Lene, ick sein Ihr zu große Dank verpflichtet.«

Und als diese acht Tage später frisch und erholt und begleitet von den herzlichen Wünschen aller Schömberger wieder zur Arbeit sich einstellte, überraschte sie Madame Reimer mit der Verdoppelung ihres bisherigen Lohnes.


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