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Drittes Kapitel.

Das Aquarium im Brunnentrog, und wie der Bleß die Fischmahlzeit bekam. – Warum der Großvater einst nicht in Straßburg blieb. – »Sorgen gehören auch zum Glück.« – Der Gipser-Fritz sitzt auf einem roten Kanapee, und im Waldhaus wird Weihnachten gefeiert. – »Entlehnt, nicht gestohlen!« – Warum die Kinder doch für den Vater beten.

 

Und es blieb eine Zeitlang alles wie's war. Die viere blieben gesund, abgerechnet kleine Kinderkrankheiten, die an jedes kommen, und hie und da ein Husten oder Schnupfen bei den Alten.

Die Leute trugen nach wie vor ihre schadhaften Fußbekleidungen ins Waldhäuschen, und der Großvater flickte und hämmerte. Die Mutter brachte ihren Kunden die Milch und den Dorfbewohnern das, was sie von der Stadt brauchten.

Schorsch und Lenele hatten nun die ersten Schulklassen hinter sich. Er war zehn und sie neun Jahre alt. Sein Schopf war noch etwas struppiger und ihr Zopf um ein gut Stück länger und dicker geworden. Sie lernte besser als er, war rühriger und aufgeweckter. Er tat, was er mußte, pflichttreu, aber etwas schwerfällig. Er hatte etwas Träumerisches, in sich Gekehrtes, und die Kinder im Dorf nannten ihn den Tierlesschorsch, weil er mehr Freude daran hatte, sich mit Tieren aller Art zu unterhalten als mit den meist wilden, unartigen Buben.

Schorsch hatte in einer Abteilung des Brunnentroges sich eine Art Aquarium eingerichtet mit Grundeln und jungen Weißfischen aus dem kleinen Bach, der hinter dem Walde dem Fluß unten im Tal zustrebte. Die plätscherten lustig da herum, und es war wunderhübsch anzusehen, wie die schlanken silbernen Dingerchen in der Sonne glitzerten und sich von dem grünen Moos, das unten im Brunnentrog war, abhoben. Schorsch hatte seit einiger Zeit auch oben herüber ein Drahtnetz angebracht, wie eines an der Seite war, weil es einmal vorgekommen, daß die Bleß in einem unbewachten Augenblick sich gelüsten ließ, auf der verbotenen Seite zu saufen, und, o Schreck, zwei der schönsten Weißfischlein waren auf Nimmerwiederkehr in ihrem großen Maul verschwunden. Schorsch jammerte um seine Tierchen, und die Mutter war ein paar Tage lang in Sorgen, ob diese unvorhergesehene Fischmahlzeit der Kuh nicht schaden würde. Aber die Bleß hatte einen guten Magen und verdaute auch Ungekochtes.

Im Zimmer, in der Fensternische unter dem Vogelkäfig, befand sich auch allerlei Getier in Glastöpfen, das Schorsch eifrig beobachtete. Ein paar Frösche, eine Blindschleiche und etliche schwarz und goldgelbe Salamander hatten hier kleine Wohnungen, und mit Erde, Steinchen und Wasserpflanzen war ihren Bedürfnissen Rechnung getragen. Die Mutter hatte keine Freude an diesen Mitbewohnern, seit die Blindschleiche einmal ein Loch gefunden hatte und auf dem Kanapee behaglich zusammengeringelt gefunden worden war. Aber der Großvater teilte Schorschs Interesse, nur mußte diese ganze kleine Welt aufs pünktlichste besorgt und rein gehalten werden. Leneles ganze Wonne war, in den Freistunden zu stricken, zu häkeln, kleine Handarbeiten zu machen. Großvater hatte schon zwei Paar Socken von ihr, Mutter ein Paar lange Strümpfe. Auf der Kommode lag ein in Sternen gehäkeltes Deckchen von ihr, und gegenwärtig strickte sie schwarze Pulswärmer für die Mutter, die oft so sehr an die Hände fror beim Ziehen. An der Dockanne versuchte sie sich auch im Nähen, und eine grüne und eine rote Schürze waren ganz gelungen. Nun hatte Fräulein Gottliebin ihr einen roten Rock geschnitten und gezeigt, wie er zusammenzunähen sei. Lenele freute sich schrecklich darauf, heute abend die Arbeit zu machen. Da war's so behaglich, wenn alle um den viereckigen Tisch herum saßen und die Mutter flickte oder stopfte, Schorsch aussägte oder irgend etwas bastelte und der Großvater erzählte. Ja der, der wußte mindestens so viel wie ein Schulmeister, wenn er auch nicht studiert hatte. Der war in seiner Jugend gar weit herumgekommen, zu Fuß damals noch, mit dem Ränzel auf dem Rücken, als ehrsamer Schustergeselle, bis ins Badische, Bayrische und sogar in die Schweiz, wo die hohen Berge sind, die manchmal noch über die Wolken hinaufreichen. Und dann, als der große Krieg gegen Frankreich war, da hatte er gerade bei einem Meister in Straßburg gearbeitet. Einberufen zu den Soldaten wurde er nicht wegen seines verwachsenen Rückens, aber eingeschlossen in die Stadt mit allen andern, die darin waren, bei der Belagerung, das wurde er, und die Kinder konnten nie genug bekommen, wenn er erzählte, wie sie alle wochenlang zusammen im Keller gewohnt, wie da ein Kindlein auf die Welt gekommen und ein Bub im Alter von Schorsch gestorben sei. Wie man den bei Nacht und Nebel unter Todesgefahr im Hausgärtlein begraben, und wie die Kugeln um sie herum wie Bälle flogen. Und wie der Meister den Großvater am liebsten nachher behalten hätte und er so gern in dem feinen Geschäft, auf das er sich wohl verstand, geblieben wäre. Aber da verlangten die Eltern daheim nach dem einzigen Sohn. Die hatten das Häuslein mit Schulden gebaut, waren alt und hinfällig, und der Vater, der auch Schuhmacher war, sollte eine Stütze haben.

»Ist dir's denn nicht sehr schwer worden, Großvater, wo du doch anderes gewöhnt warst?« fragte die Mutter.

»Schwer schon, ja freilich,« antwortete er, »besonders die Arbeit, da ich doch ganz feine Damenstiefel mit spitzen Absätzen und Rosetten habe machen können, und hier das schwere schmutzige Schuhzeug!« Er lächelte ein bißchen. »Aber die Eltern, die einen erzogen, haben doch das erste Anrecht an die Kinder, und ich war auch froh, daß ich gekommen bin. Der Vater lag schon länger – es hatte ihm ein Schlag die linke Seite gelähmt – und die Mutter, die eine kleine Frau war, hatte sich beim Heben des schweren Kranken Schaden getan und hatte Schmerzen in der Brust. Da gehörte ich her. Wie ich zum erstenmal in der Ecke da drüben saß und einen Fuhrmannsstiefel flickte – alles lag drunter und drüber, die Fensterscheiben waren fast blind, weil niemand sie mehr putzte, und nirgends kam ein Sonnenstrahl herein, – da wäre ich am liebsten aufgesprungen und wieder in die weite Welt gelaufen. Der Vater jammerte den ganzen Tag, und die Mutter schleppte sich nur noch so herum.

Ich will fort – bleib da! ... Ich will fort ... dableiben! So hieß es beständig in meinem Innern, und das Ränzel samt dem hölzernen Koffer stand noch immer unausgepackt hier hinter dem Stuhl. Es war mir, als sei dann alles vorüber, wenn die beiden nicht mehr in meiner Nähe wären. Aber am nächsten Tage hab' ich sie doch mit einem raschen Entschluß ausgepackt und alles hinauf in den hintersten Winkel unter das Dach getragen. Die Mutter, die nun auch liegen mußte, hatte mich so jämmerlich angeblickt. Und als ich dann von oben herunterkam und ihr sagte, was ich getan, und daß ich bleiben werde, da strich sie mir mit der Hand über den Kopf, sah mich lange mit den guten Mutteraugen an, und dann sagte sie: ›Im Aushalten liegt das Glück, Martin, Gott schenk's dir!‹

Und er hat mir's geschenkt,« schloß der Großvater bewegt, »weiß Gott, er hat mir's geschenkt bald darauf in deiner Mutter, Marie, die meine Schulkameradin war, und die mich so lieb hatte, daß sie in all das Schwere für mich eintrat, mich pflegte, Ordnung schaffte und dann Ordnung hielt, als es nichts mehr zu pflegen gab, und dann, als sie so früh von mir genommen worden, in dir, Marie, und jetzt in den Kindern!«

Der Großvater hielt inne. Man merkte, er wollte noch etwas hinzusetzen, aber er tat's nicht, sondern klopfte seine Pfeife aus und ging dann zum Ofen, um nach den Bratäpfeln zu sehen, die er den Kindern heute versprochen hatte.

»Sind sie fertig?« fragte Lenele und schaute von der Arbeit auf. Das rote Röckchen hatte schon wirklich eine ganz nette Gestalt, und es fehlten nur noch die Ösen und Haken.

»Mußt noch ein bißchen warten, sie sind noch nicht ganz weich.«

Der Großvater setzte sich wieder, und die Mutter, deren Geist noch bei dem vorhin Gehörten weilte, sagte: »Helles, lauteres Glück ist's nicht gewesen trotz deines Aushaltens.« In ihrer Stimme lag etwas Bitteres, und über das Gesicht zog ein herber Zug.

»Die Sorgen gehören auch zum Glück, Marie,« sagte der Großvater ernst.

Schorsch leimte eben das Dach auf eine Burg und dann den kleinen papierenen Ritter auf den Balkon, und es war ihm, obgleich er als Ältester schon genau wußte, welche Sorgen die Mutter meinte, höchst unbequem, daß das Gespräch diese Wendung genommen. Er war ja so glücklich in seinem Innern, einmal über seine nette Arbeit, dann hatte die Bleß seit ein paar Tagen ein Kälbchen, weiß mit einem braunen Stern auf der eckigen Stirn, und er durfte es ganz versorgen. Im Stall zu sein, war seine Freude, denn auch die Hasen und die Hühner waren bei der Kälte dort untergebracht, und er konnte da alle zusammen beobachten und sich mit ihnen abgeben. Dann aber waren beide Kinder erfüllt von der Vorfreude auf Weihnachten, und Lenele stimmte mit ihrer hellen Stimme an: »Macht hoch das Tor, die Türen weit!« und dann:

»Fröhlich soll mein Herze springen
Dieser Zeit,
Da vor Freud'
Alle Engel singen.«

Zuerst sang sie allein, dann fiel Schorsch ein, dann der Großvater mit seinem tiefen Baß, zuletzt die Mutter mit schönen, vollen Tönen. Sie war immer eine gute Sängerin gewesen in der Schule und in der Kirche, nur kam sie in den letzten Jahren nur selten zum Singen.

»Mammele, gelt, so gut und schön wie wir hat's doch niemand auf der Welt?« fragte Lenele, als das Lied zu Ende war. Sie schmauste eben mit Hochgenuß einen der gebratenen Apfel, von denen der süße Saft herablief, und auf dem Tisch stand noch ein Teller voll Nüsse, die Großvater gespendet hatte. Erschreckt hielt das Kind aber in ihrem Herzenserguß inne, als Schorsch sie mit dem Fuß unter dem Tisch energisch anstieß und murmelte: »So sei doch still, du weißt doch!«

Ja freilich, Lenele wußte, so jung sie war, und die andern wußten ohnedem, daß gerade in letzter Zeit das Glück und der Friede im Waldhäuschen wieder sehr gestört worden waren.

Der Vater hatte damals noch einige Male Karten geschickt und einmal sogar einen Brief und dann durch Postanweisung zehn Mark, »damit man sehe, daß er nicht so einer sei, der nimmer daran denke, was er versprochen.« Der Gipser-Fritz wußte nicht genug zu rühmen, wie viel besser alles »da drunten« sei als daheim.

»Schmecke wohl und währe lang!« sagte der Großvater, der immer solche alte Sprichworte parat hatte.

In den nächsten Karten hieß es dann, daß die Nahrung dort ihm nicht behage. Dann waren es die Bauherrn, dann die Werkmeister, dann die Kameraden, mit denen er wohnte, die nichts nutz seien. Und was es ganz zuletzt gegeben, das erfuhr man nie, und wo er sich aufhielt, auch nicht, denn lange Zeit kam gar nichts Geschriebenes und noch weniger Geld. Aber im Oktober, spät an einem Abend, war er plötzlich gekommen, verlottert wie nie. Seiner Frau zog's das Herz zusammen. Nur sein Selbstbewußtsein war noch gestiegen, und alle Menschen waren gegen ihn, und die ganze Welt trug allein die Schuld, daß es ihm so schlecht ging, er selber aber dünkte sich noch immer fehlerlos.

Diesmal schwieg der Großvater nicht, sondern sagte ernst und in sehr strengen Worten seine Meinung, und daß es so nicht fortgehen könne. Wer jung und kräftig sei, müsse auch für Frau und Kinder sorgen. Widerwärtigkeiten gebe es überall, das müsse der Mensch ertragen, und es sei einfach eine Schande, wie er seine Frau sich abplagen lasse und selber nichts tue. Sofort habe er sich Arbeit zu suchen, wenn er da essen und schlafen wolle.

Nun gab es hitzige, böse Widerreden, wobei der Großvater nur immer trachtete, die Kinder hinauszuschicken.

Die Mutter, die trotz allem an ihrem Manne hing, weinte, und er knirschte mit den Zähnen, aber der alte Mann hatte etwas an sich, das den Heruntergekommenen doch immer wieder im Zaum hielt und zur Besinnung brachte. Ein paar Wochen arbeitete er nun auch bei einem Meister in der Stadt und brachte hie und da etliche Mark nach Hause, so daß die Mutter schon triumphierte und zum Großvater sagte: »Siehst du, er ist doch nicht so schlimm, und am Ende wird noch alles gut!«

Aber das traurige Ende war das, daß der Gipser-Fritz eines Morgens ganz verschwunden war und mit ihm aus der oberen Kommodeschublade im Wohnzimmer das mühsam Ersparte von der Mutter, ein Sümmlein, das sie zum Abzahlen der demnächst fälligen Schuld beim Ochsenwirt parat gelegt hatte. Sein Bett oben in der Kammer war unberührt und auf einem Zettel, abgerissen aus einem Heft von Schorsch, stand:

»Ich hab's satt, in solch kleinen Verhältnissen zu arbeiten, und will's drüben probieren. Das Geld hab' ich entlehnt, und wenn ich's hab', schick' ich's wieder.«

Die Mutter war in die Knie gesunken, so zitterte sie an allen Gliedern, als sie das gelesen, und legte den Kopf auf den Bettrand. Nun war all ihre Hoffnung dahin und dazu noch das Geld, das pfennigweise zusammengetragene! Wieviel Schweiß, wieviel Müdigkeit klebte daran! Und am Neujahr kam der Ochsenwirt und wollte mit Recht seinen Zins! Was dann? Und wie schämte sie sich für ihren Mann, wie qualvoll war's ihr, es dem Großvater zu sagen, und doch konnte sie's nicht verschweigen. Ihn, den Gelassenen, der in allem sonst ihr Halt gewesen, drohte diesmal die Fassung zu verlassen.

»Nun auch noch Schande zum andern! Der Vater der Kinder ein gemeiner Dieb!«

Nicht hart wollte der Schuster-Martin sein, aber dieses Wort entfuhr ihm doch.

»Sprich nicht so, Großvater, um Gotteswillen, sprich nicht so!« flehte die Mutter. »Leichtsinnig ist der Fritz, aber nicht schlecht, und stehlen hat er gewiß nicht wollen!« Sie schluchzte laut auf.

»Wie man das anders heißen soll, weiß ich nicht,« sagte der Großvater tiefbekümmert, aber er stimmte schließlich bei, als seine Marie ihn flehentlich bat, keinem Menschen etwas von der Sache zu sagen. Daß die Kinder besonders nichts davon merken sollten, war selbstverständlich. Es war so schon schwer, ihnen beizubringen, daß der Vater wieder von neuem fort sei, ohne daß ihre jungen Gemüter sich entrüsteten. Jetzt wußten sie, warum die Mutter so viel weinte, und sie waren nun auch schon zu verständig, um nicht manches sonst zu verstehen.

»Ich bin froh, daß er wieder fort ist,« sagte Lenele einmal so recht erleichtert zu Schorsch.

»Ich auch! Dann ist Mutter und wir alle viel vergnügter, und ich seh' gar nicht ein, warum wir überhaupt noch immer für ihn beten sollen!«

Aber damit kam Schorsch übel an. Großvater hatte diesen letzten Satz gehört, und er bekam einen Gesichtsausdruck, wie die Kinder ihn noch nie bei ihm wahrgenommen, so ernst und so streng.

»Was sagst du, nicht mehr beten, – ein Kind für seinen Vater? Wie kommt mir denn das vor? Ein Vater mag Fehler haben, aber darüber habt ihr nicht zu urteilen. Wir sind allesamt Menschen und fehlen vor Gott, und je mehr wir fehlen, desto mehr bedürfen wir der Fürbitte. Euer Vater hat's nicht leicht mit den vielerlei Menschen an den Bauen. Dort wird man leicht ein bißchen aufgeregt und macht leicht Fehler und ist dann nicht glücklich. Da ist's doch gerade an euch, den lieben Gott zu bitten, daß er den Vater behütet vor allem Argen!«

»Ist es deshalb, daß der Vater die Mutter und uns so oft anschreit?« fragte Lenele, und wenn sie und Schorsch auch fast keine Liebe für den Fernen im Herzen hatten, so schlossen sie ihn doch von da an wieder ernstlicher in ihr Gebet ein. Daß er nicht glücklich war, das betrübte sie sehr, sie selber waren es doch in so hohem Grade und jetzt, an Weihnachten, doppelt.

Das Kälbchen war freilich gerade in diesen Tagen von einem Metzger in der Stadt geholt worden, und das war für die Kinder ein großer Schmerz. Aber sie hatten Ähnliches schon öfter durchgemacht, und dann hatte die Mutter, seit der Metzger ihr die blanken Talerstücke vorgezählt, zum erstenmal seit langer Zeit kein so sorgenvolles Gesicht gezeigt wie bisher. Sie sagte zum Großvater: »Nun haben wir das Schlimmste wieder hinter uns! Gott sei Lob und Dank!«

Es waren nur wenige und recht bescheidene Sachen, die die Kinder zum Christfest bekamen: Schorsch einen neuen Federkasten und eine warme Mütze, Lenele eine Kapuze und eine Kammschachtel. Von den Kundenhäusern in der Stadt brachte Mutter Backwerk mit, und der Großvater hatte beiden Kindern gute, warme Filzhausschuhe gemacht. Das Bäumchen mit dem bescheidenen Schmuck von übergoldeten Nüssen, roten Papiergirlanden und etwas Schaumkonfekt war klein und unscheinbar. Aber trotzdem schien's den Kindern, als sei es nirgends so schön wie bei ihnen daheim. Und das war des Großvaters Werk. Der sammelte schon das ganze Jahr hindurch Moos, Steinchen, knorrige Zweiglein und sonst allerhand Taugliches, und in der Ecke, wo sich sonst das reparaturbedürftige Schuhwerk befand, errichtete er kunstvoll auf Kisten und Schachteln eine große Krippe. Die Figuren hatte er in der Jugend aus dem Bayrischen mitgebracht, wo sein Meister, dessen Kinder erwachsen waren, sie ihm für wenig Geld überlassen hatte. Die geschnitzten Figuren waren alt und mit bunten Stoffen bekleidet. Es gab da aber nicht nur die heilige Familie nebst Stall, Ochs und Eselein, den Hirten und den drei Königen, sondern diese hatten noch ein großes Gefolge von Pferden, Kamelen und Dienerschaft bei sich. Bei den Hirten auf dem Berg waren nicht nur die Schafe, sondern oben, an einem Tuch mit goldenen Sternen befestigt, war die ganze Menge der himmlischen Heerscharen, große Engel mit mächtigen Fittichen und ganz kleine, von denen nur das Köpfchen zwischen winzigen rosigen und goldenen Flügeln zu sehen war.

Das Schöne war, daß Großvater schon in der Adventszeit den grünen Hügel mit dem Tannenhintergrund aufbaute. Da war zuerst ein paar Tage lang nur der Verkündigungsengel mit der Maria zu sehen, später die Reise der heiligen Jungfrau zu Elisabeth. Dann, am heiligen Abend und über die Festzeit, waren alle Figuren, die im Weihnachtsevangelium vorkommen, aufgestellt, zu denen am Erscheinungsfest der ganze lange Zug der drei Könige kam. Den Sonntag darauf war alles verschwunden bis auf die heilige Familie, die sich auf der Flucht nach Ägypten befand. Maria, das Kind im Arm, ritt auf dem Esel durch die inzwischen dürr gewordene Landschaft, die recht wohl nun eine Wüste darstellen konnte. Kurze Zeit nachher, etwa Mitte Januar, war das ganze schöne Wunderland spurlos verschwunden und zur Schuhflickecke geworden wie vorher.

Die Kinder bildeten sich auf diesen Besitz nicht wenig ein, um den sie vom ganzen Dorfe beneidet wurden, und alt und jung wallfahrtete in dieser Zeit ins Schuhflickerhäuschen, wo nach Feierabend täglich die Krippe zu sehen war, erleuchtet durch Unschlitt, das der Großvater in ausgehöhlte Kastanien goß und mit einem Docht versah. Schon manchmal im Laufe der Jahre hatte man ihm das Ganze abkaufen wollen, es war sogar schon verschiedene Male ein Altertumshändler, der davon gehört, extra deshalb aus der Stadt gekommen. Aber der Großvater ließ sich selbst durch den überraschend großen Preis, den er bot, nicht überreden und sagte, nur die allergrößte Not könnte ihn dazu bringen, seine Krippe zu verkaufen.


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