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Fünftes Kapitel.

Ein ohnmächtiges Kind am Gartenzaun. – »Scharlachfieber!« – Die kühle Mutterhand. – »Nun muß er stillhalten!« – Warum die Mutter nicht mehr kann. – Zu viel!

 

Lenele bekam keine Antwort auf ihre fröhliche Kunde, denn drinnen war der Herr Doktor, der inzwischen gekommen war, und was er sagte, klang kurz und ernst, und dazwischen sprachen die Mutter und der Großvater, und man hörte ein Stöhnen von dem Kranken.

»Also jetzt gleich in sein gewohntes Bett in die Kammer legen! Die Hitze an dem Ofen taugt nichts. Und dann die Wickel machen, wie ich gesagt habe! Bis morgen wird der Scharlach heraus sein!« Der Doktor sagte dies und machte dann rasch die Türe, an der er schon gestanden, auf, so daß Lenele fast einen Stoß bekam und sich beschämt hinter den Herd stellte.

»Herr Doktor, was ist aber mit der da?« fragte der Großvater und deutete auf das Kind im Hintergrund. »Absperren ist schwer, aber wir haben's versucht.«

»Wenn sie empfänglich für die Krankheit ist, so hat sie den Keim dazu, fürchte ich, schon in sich. Im übrigen haltet sie fern, so gut ihr's in dem engen Raum könnt! – Gute Nacht! Morgen sehe ich wieder nach!«

Der Doktor ging durch den knisternden Schnee, begleitet von dem wütenden Gekläff Mohrles, der längst merkte, daß etwas in Unordnung war, und in dem fremden Mann einen Feind vermutete.

Der Großvater ging einen Augenblick in die Krankenstube, wo die Mutter Schorsch in den Armen hielt, der einen entsetzlichen Hustenanfall hatte. Als dieser vorüber war, fragte der Großvater leise: »Wo nun mit Lenele hin? Im Dorf nimmt sie uns niemand, und wir müssen doch wenigstens versuchen, sie zu hüten.«

Die Mutter war ratlos und riet hin und her. Da entschied der Großvater. »Heute nacht kann sie bei mir in meiner Kammer schlafen, und wenn der Bub umgebettet ist, machen wir während der Nacht alle Fenster hier in der Wohnstube auf – trotz der Kälte, – und bis morgen früh ist dann die Krankenluft draußen. Man tut halt, was man kann!«

Und so geschah's. Die Mutter blieb mit Schorsch in der oberen Kammer, und der Großvater mit Lenele, die natürlich nicht in die Schule durfte, im Wohnzimmer. Er mußte ja doch auch weiter schustern, wenngleich das Klopfen dem Kranken in Kopf und Ohren weh tat. Auch daß die Mutter in die Küche kam, konnte nicht vermieden werden.

Lenele war brav und folgsam. Sie blieb in der einen Stube, aber sie hatte schrecklich Heimweh nach ihrem Schorsch, und dieser verlangte im Fieber stets nach ihr und den Tieren. Fatal war, daß der Mohrle sich absolut keine Vernunft beibringen ließ. Wo ein Türspalt offen war, da drängte er sich durch, und niemand konnte ihn verhindern, daß er auch auf Schorschs Bett sprang. Das Getier im Zimmer besorgte der Großvater sowie die Reinigung des Stalles, während Lenele den Hasen und Hühnern zu fressen gab und dreimal im Tage melkte.

So ging's ein paar Tage, aber wie war das Leben trübselig gegen sonst! Lenele war oft dem Weinen nahe. Da war's der Großvater immer, der tröstete: »Aushalten und nicht weich sein, Lenele! Denk' daran, daß es für den Schorsch und die Mutter viel ärger ist als für uns zwei!« Darin hatte er recht.

Im Dorf aber gab es nun noch mehr Kranke, und der Doktor sprach davon, daß man die Schule schließen müsse. Schorschs Befinden war, nachdem der Ausschlag herausgekommen, etwas besser, und die Mutter rief es voller Freude dem Großvater und Lenele zu.

Der Doktor aber traf Lenele am Gartenzaun, als sie vom Stall kam. Frau Wegmann hatte ihr schon wiederholt eine Schneckennudel von der Stadt mitgebracht, zwar nur eine altbackene, aber Lene hatte stets mit Wonne hineingebissen. Heute jedoch mochte sie nichts.

Es würgte sie ordentlich im Hals, und vorhin, als sie die Hühner fütterte, war ihr plötzlich so »dumm« vor den Augen geworden. Eben hatte sie sich wieder an dem Zaun festhalten müssen – das war ja, wie wenn sie sich in einem Karussell befände – und sah den Herrn Doktor nur als einen Schatten.

»Was ist denn mit dir, Lenele?« sagte dieser und hielt die Wankende gerade noch an einer Schulter fest. »Wirst mir doch nicht auch noch dumme Sachen machen wollen?« Als er aber dem Mädchen in die Augen sah und bemerkte, wie sie an dem heruntergebissenen Stück Backwerk würgte, da wußte er genug. Sofort kehrte er mit ihr in das Häuschen zurück.

»Ich bringt Euch da eine, die mir gar nicht gefällt, Schuster-Martin. Ich fürchte, die Mühe der Absperrung war umsonst,« sagte er zu dem von seiner Arbeit erschreckt auffahrenden Großvater.

Nun wurde es schwer! Zwei Kranke und seine Marie, die es auch seit der letzten bösen Fahrt auf der Brust hatte und diesen Winter überhaupt nicht so fest war wie sonst.

Der Arzt verweilte noch ein wenig und meinte, man könne ja noch zusehen, obgleich die Röte im Gesicht sehr bedenklich sei. Lenele könne in der Sofaecke sitzen bleiben und Milch trinken. Wenn es aber bis heute abend nicht besser sei und das Fieber, das sie jetzt schon habe, zunehme, dann habe es keinen Wert, die beiden Kinder noch getrennt voneinander zu halten, und die Pflege könne dann vereinigt werden.

Lenele weinte laut auf, als der Doktor gegangen war, denn erst heute hatte Frau Wegmann gesagt, daß man sehr wohl an dem Scharlachfieber sterben könne. Aber über den Großvater war wie immer, wenn es galt, eine große Ruhe gekommen, und er sagte:

»In Gottes Namen denn! Andere müssen's auch durchmachen, und mutlos sein, heißt den Herrn beleidigen, der in Krankheit doch nur sehen will, ob wir fein geduldig und stille sein können.«

Und geduldig war Lenele, das mußte man ihr lassen, als es so kam, wie der Herr Doktor vorausgesagt hatte, und sie die schlimme Krankheit auch bekam. Nun lagen die Kinder wie sonst mit der Mutter in ihren Betten in der geräumigen Kammer, aber der Mutter Lager blieb meistens unberührt, denn solange das Fieber und die Halsschmerzen so stark waren, mußte sie von Lager zu Lager gehen, Umschläge machen, in der Küche Milch und Tee kochen, sorgen, daß die Fieberkranken sich nicht aufdeckten, und trösten, wenn das Unbehagen zu groß war. Mit Schorsch hielt die Besserung an, doch mußte gerade er nun fest unter der Decke gehalten werden. Aber Lenele hatte sehr hohes, beängstigendes Fieber, und der Großvater kam des Nachts mindestens ein dutzendmal herüber, um zu sehen, wie es stehe. Am ruhigsten war die Kranke mit der Mutter allein. Die weinte und schrie nicht wie die andern Dorfweiber, wenn sie einen Kranken hatten, sie redete einem auch nicht aus, daß man krank sei, wenn alles am ganzen Körper weh tat. Sie blieb ganz still, wenn die bösen Fiebergestalten kamen, und Lenele hatte das Gefühl, daß ihr nichts Schlimmes nahen könne, wenn die Mutter bei ihr saß und sie mit der kühlen, festen Hand hielt.

Einmal, als es Lenele gar so bange und schlecht war – der Bub nebenan konnte schon wieder schlafen – und sie angsterfüllt fragte: »Mammele, ich werd' doch nicht sterben müssen?« da hatte diese gesagt: »Ich glaub' nicht! Sterben ist noch lange nicht das Schlimmste; leben zu müssen ist oft viel ärger, Lenele, das glaub' mir!«

Das war ein Wort, das Lenele jetzt noch nicht recht verstand, aber in späteren Zeiten sollte es ihr wieder einfallen. Jetzt war Mutter doch wohl nur deswegen so niedergeschlagen, weil Vater gar keine Nachricht gab und man einfach nicht wußte, wo er war. Sie sah ganz elend aus und hatte um den Mund herum oft etwas, das einem wie verhaltenes Weinen vorkam.

Dem Lenele ging's wie dem Schorsch mit der Zeit besser, eine große Gnade von Gott, wie Großvater sagte, denn verschiedene Kinder aus dem Dorf waren der Krankheit erlegen. Es war auch die höchste Zeit, daß es wieder anders kam, denn der Schuster-Martin hatte ob all der Arbeit in Stall und Haus einen ganzen Berg Flickwaren daliegen, auf die die Leute warteten, die Mutter aber hatte infolge der Sorge und Pflege bei Tag und Nacht ein ganz weißes, mageres Gesicht bekommen.

»Jetzt muß aber auch etwas für Sie geschehen, Frau Wepfer,« sagte der Doktor, als die Kinder zum erstenmal gebadet wurden und die Mutter mühsam das Wasser dazu vom Brunnen in die Küche trug. Er verordnete ihr stärkende Tropfen und verbot ihr aufs strengste, in der nächsten Zeit, solange es noch so rauh und kalt war, in die Stadt zu fahren.

»Das kann nicht sein, Herr Doktor, das ist einfach nicht möglich,« wehrte die Angeredete. »Frau Wegmann tut's ja wohl für mich, aber nicht sehr gerne, denn sie ist auch nicht mehr jung. Und dann müssen wir einmal wieder in Ordnung kommen. So geht's nicht weiter, Herr Doktor, schon der Ausgaben wegen.«

Die Mutter setzte den letzten Satz noch leise hinzu, und es war ihr schrecklich, als der gutmütige, polternde Arzt sagte:

»Ach was, Unsinn, Kosten! Meinen Sie denn, daß ich Ihnen eine Rechnung machen werde?«

So hatte die Mutter es nicht gemeint, sondern daß der Nutzen, den sie sonst aus der Milch hatte, auf die Stellvertreterin überging. Sie wollte das noch erklären, aber der stets Eilige war schon davongegangen.

Wenn die Sorge nicht gewesen wäre, daß es nirgends reichen wollte, die Mutter hätte es schon lange nicht mehr so gut gehabt als jetzt. Waren doch die Kinder, die sich jeden Tag mehr erholten, ganz daheim, und sie war bei ihnen, konnte sich ausruhen, während sie bei ihnen saß, und brauchte nicht immer zu denken: »Wie werde ich heute mit allem fertig?« Es war fast alle Tage Sonntag, und auch der Großvater genoß das Glück, obgleich mehr aus der Ferne. Es war ihm ein Labsal, seine Marie und die Kinder so einträchtig um sich zu haben, und sein Blick flog oft von der Arbeit weg über die hornene Brille hinüber zu dem friedlichen Bild. Wenn nur nicht der Husten immer wieder dazwischengekommen wäre, der trotz Lebertran, den der Doktor selber der Mutter mitbrachte, sich nicht besserte, und der bewirkte, daß ihr Appetit noch immer sehr gering blieb, während er sich bei den Kindern recht kräftig einstellte. Zu dumm! Eigentlich war sie doch ganz gesund, nur die Schwäche auf der Brust wollte nicht weichen.

Es war Mitte März. Im Dorfe hatte die Krankheit ganz nachgelassen, und auch die Kinder aus dem Waldhäuschen gingen längst wieder zur Schule.

Vom Gipser-Fritz waren endlich ein paar Zeilen gekommen und zwar aus Nordamerika. Er fand bereits wieder, daß es auch drüben über dem Wasser nicht so sei, wie er sich's gedacht hatte, und daß man seine herrlichen Eigenschaften auch dort nicht gebührend anerkenne. »Dreimal so teuer als bei uns ist auch alles hüben, und es ist mir beim besten Willen nicht möglich, etwas von der Anleihe, die ich bei euch gemacht habe, zu zahlen.«

Also eine »Anleihe« nannte er das, was er heimlich genommen, und von seinem Fortgehen bei Nacht und Nebel erwähnte er gar nichts. Es war, als fände er dies alles ganz in Ordnung. Die Mutter war noch nie von einem Brief so bedrückt gewesen wie von diesem. Bisher hatte sie immer noch gehofft und geharrt, aber wer so wenig Gutes und Böses zu unterscheiden weiß, von dem war nichts mehr zu hoffen, und sie, die den Mut nie verloren hatte, weinte nun oft stille vor sich hin. Das fortwährende Stubensitzen war ihr, die an die frische Luft gewöhnt war, ebenfalls recht unangenehm.

Der Großvater tröstete zwar: »Jetzt wart' nur, bald kommt das Frühjahr, und du kannst wieder hinaus, und der die Keime in der erstorbenen Natur wieder erweckt, der kann auch in einem Menschenherzen Änderung zum Guten schaffen,« aber sie nickte nur, recht glauben konnte sie jedoch beides nicht mehr.

Eine merkwürdige Unruhe war in der letzten Zeit über sie gekommen. Die Strick- und Häkelarbeiten, die sie und Lenele in den letzten Wochen gefertigt hatten, richtete sie zum Verkaufe zusammen.

»Gib sie der Frau Wegmann mit in die Stadt, die besorgt's dir,« riet der Großvater, aber die Mutter schüttelte den Kopf und meinte, es gehöre noch ein Kinderjäckchen dazu, das sie eben in Arbeit habe. So lange wollte sie noch warten. Sie strickte nun mit fieberhafter Eile darauf los.

Ebenso fieberhaft brachte sie das ganze Häuschen von oben bis unten in Ordnung. »Warum putzt du heuer schon so früh, Mammele, ehe es warm ist?« fragten die Kinder, aber sie erhielten eigentlich keine Antwort, nur die, daß es immer gut sei, wenn man alles in Ordnung habe. Lenele mußte, wenn sie aus der Schule kam, mithelfen, und die Mutter zeigte ihr genau, wo und wie sie ihre einfachen Sachen untergebracht hatte.

Auch manchen Ratschlag gab sie den Kindern.

»Die Hasen könntet ihr heuer eingehen lassen, die nutzen nichts und fressen nur. Vielleicht kauft sie die Frau Baronin für den jungen Herrn!« Dann meinte sie: »Wenn's im Mai junge Hühnchen gibt, so vergeßt nicht, ihnen ein bißchen Sand unter das Futter zu streuen, das gibt feste Knochen.«

Eines Tages sagte sie: »Bittet doch den Herrn Schullehrer, daß er bei mir vorbeikommt, ich möchte gern mit ihm wegen der neuen Klasse reden, in die ihr dann kommt.«

»Mammele, warum sagst du denn das alles jetzt schon? Damit hat's doch noch lange Zeit,« fragte Lenele, der es immer ganz unbehaglich wurde, wenn die Mutter so sprach.

Aber auch noch wichtigere Dinge legte sie den Kindern ans Herz.

»Hört immer auf das, was euch der Großvater sagt, und nicht auf andere. Glaubt mir, der ist gescheiter und besser als viele da draußen im Dorf, in der Stadt und in der ganzen Welt. Er hat Gott in seinem Herzen und deshalb den Frieden; den haben nicht viele. Und wer den Frieden hat, der kann aushalten, auch wenn's ihm nicht nach Wunsch geht. Aushalten ist doch das Beste! Auch draußen in der Natur die Pflanzen und die Bäume halten still, wenn's kalt ist und stürmt.«

Noch selten hatte die Mutter solch einen langen Satz gesagt wie den letzten. Sie hatte mit den Kindern zum erstenmal in der Sonne vor dem Hause gesessen, diese hatten ihr Veilchen und Gänseblümchen gebracht und ließen sich dann auch, eng angeschmiegt, gleichfalls durchwärmen. Doch die Sonne blickte um diese Zeit nur kurz über die Waldwipfel, und die Mutter fröstelte, als die letzten Strahlen schieden.

»Hat's dir gut getan, Marie?« fragte der Großvater, als sie wieder in die Stube zurückkamen. Er selber hätte sich diesen Luxus nicht erlauben dürfen, am hellen Tag auszuruhen. Hatte er doch durch Vermittlung von Frau Wegmann noch weitere Arbeit bekommen, aus der Stadt, von einem großen Schuhgeschäft dort, für das er Schäfte machen sollte, natürlich zum billigsten Preise. Wenn's auch wenig war, was er verdiente, und die flüchtige Arbeit, die verlangt wurde, ihm gegen die ganze Natur ging, er mußte doch froh sein über die Extraeinnahmen. Bis tief in die Nacht schaffte er jetzt und lange, ehe es Tag wurde, auch schon. Das war für die Mutter ein weiterer Kummer.

»Hat's dir ein bißchen gut getan? Ich mein', deine Backen seien röter ... Ja ja, die Sonne, über die geht halt nichts!«

Der Großvater sagte es aus seiner stets etwas dunkeln Ecke hervor. Und dann erwähnte er so nebenher, daß Frau Wegmann morgen nicht fahren könne, weil sie Zahnweh habe, und daß er's deshalb selber einmal probieren wolle. Das werde er doch wohl auch zustande bringen, was so ein Weibsbild könne, scherzte er.

Da wurde aber die Mutter so frisch und lebendig, wie wenn sie auf einmal ganz gesund wäre.

»Nein, Vater, nein, das tust du nicht! Du würdest auch gar nicht unsere Häuser finden,« sagte sie, auf seinen Scherzton eingehend. »Mir ist auf einmal so wohl, und das Wetter ist so lind, daß ich ordentlich wieder meine Kraft in mir spüre, und wenn die Kinder mir nach der Schule entgegenkommen und mir über das Schwerste hinüberhelfen, so kann ich wieder ganz gut meine Geschäfte verrichten. Laß mich's nur einmal wieder probieren,« bat sie inständig, als der Großvater durchaus nicht auf diesen Vorschlag hören wollte. Doch als seine Marie wirklich an diesem Abend so lebhaft und munter herumhantierte und beinah so kräftig wie früher zu sein schien, da konnte er schließlich nichts mehr dagegen haben. Er selber war eigentlich nie krank gewesen und glaubte an das Kräftigende der Arbeit.

Es gelang auch alles so, wie die Mutter es sich ausgedacht hatte. Die Luft tat ihr gut, die Freude ihrer Kunden, als sie wiederkam, noch mehr. Mohrle war selig, und die Heimfahrt ging auch ganz gut von statten, denn sie brauchte nur neben dem Wagen herzugehen, während die Kinder ihn kräftig allein zogen. Als sie an die Anhöhe kamen, stand oben, wie immer, der Großvater, und seine Gestalt schien ordentlich verklärt von der Frühlingssonne.

»Vater, ich glaube, jetzt wird's wieder, wie es war!« rief die Heimkehrende, und fast leichten Schrittes ging sie vollends zu ihm hinauf.

Aber es wurde nicht mehr, wie es war, denn in Gottes Rat stand es anders beschlossen.

Drinnen in der Stube dunkelte es bereits, und es lag da ein Brief mit viel Siegeln und Stempeln. Der kam aus einem Spital in Chicago in Nordamerika. Die Mutter mußte damit ans äußerste Fenster gehen, um ihn lesen zu können. Er war von einer Pflegerin dort geschrieben: »Sturz von einem Gerüst, Doppelbruch des rechten Beins, Heilung schwierig und unsicher, Patient ungeduldig und schwer zu behandeln!« Das war der ungefähre Inhalt. Der Großvater hatte die zweite Hälfte lesen müssen, denn der Mutter war es schwarz vor den Augen geworden.

»Nun muß er aushalten, Marie! Wer weiß, wozu dieses Unglück gut ist,« sagte der alte Mann und legte den Brief rasch auf den Tisch, denn seine Tochter war so bleich geworden, daß er sie stützen mußte. ... Ja, wer vermochte in diesem Augenblick an eine gute Seite von solcher Nachricht zu denken! Der Rückschlag von diesem Unglück über das Meer herüber war momentan recht schwer. Er vernichtete vollends noch das bißchen Kraft der armen Frau, die schon vorher in Arbeit und Sorgen verbraucht war. Nach einer Woche schweren Ringens, aber dann friedvollen Einschlafens war es der Großvater, der mit ungelenken, zitternden Händen einen Brief schrieb, der zurück übers Meer ging: »Sie ist gestorben, weil sie nicht mehr konnte. Der Arzt sagt, es sei Erkältung und Überanstrengung gewesen, aber der Jammer hat auch das Seinige dazu beigetragen. Dich hat unser Herrgott auch getroffen, und wenn Dir's leid ist, was Du ihr angetan, so soll ich Dir sagen, daß sie Dir verziehen habe. Wenn Du gesund wirst und wieder schaffen kannst, so erwart' ich von Dir, daß Du endlich Deine Pflicht als Vater tust. Inzwischen bleiben die Kinder bei mir, und so Gott will, soll es ihnen an nichts fehlen.

In Treue
Martin Saile.«


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