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Siebentes Kapitel.

Warum der Ochsenwirt sich hinter einen Zaun verkriecht, wenn er rechnet, und der Großvater blaue Schuhe mit grünem Band einfaßt. – Von Begräbnis- und Patengeldern und einer jämmerlich muhenden Kuh. – Die Vögel zur richtigen Zeit. – »Großvater, wir können das nicht!« – Der letzte Abend im Waldhäuschen und der Schritt in den dunkeln Wald. – »Müssen!«

 

Wieder ein Jahr und noch ein halbes sind vorüber. Bei Sommerhitze, Herbststürmen und Schneegestöber haben die beiden Geschwister gleich ihrer Mutter die Milch in die Stadt gebracht. Aber die beiden mit ihren jugendkräftigen Gliedern sind dabei erstarkt, die Anstrengung war nicht zu groß, und trotz der Prophezeiung der Frau Wegmann und einiger andern, das werde nicht lange gut tun, und so jungen Kindern werde man in den Häusern die Kundschaft sicher nicht auf die Dauer lassen, blieb doch alles beim Alten. Dafür sorgte auch Babette, die manchen guten Rat gab oder auch schalt, wenn irgendwo etwas nicht stimmte.

»Daß ihr mir morgen die Kannen gründlicher ausschwenkt, damit die Milch nicht wieder einen Stich ins Säuerliche hat,« konnte sie rügen.

Oder: »Sagt dem Großvater, es sei jetzt wieder an der Zeit, der Bleß nicht Rüben, sondern auch etwas Grünfutter zu geben; die Milch schmeckt frischer dadurch!« Babette war nämlich auch vom Lande und wußte das alles genau.

Oder sie mahnte: »Lenele, wasch auch öfter deine Schürzen und dem Schorsch seine Kittel. Wer den Herrschaften Milch bringt, muß blitzblank aussehen, sonst vergeht einem ja der Appetit!«

Zur Reinlichkeit wurden die Kinder ja auch vom Großvater angehalten, aber das mit dem Anzug, das verstand er natürlich nicht so recht, und Lenele mochte viel lieber lernen und nähen als die derbe Hausarbeit, wie Waschen und Putzen, besorgen. Schorsch hatte Freude an der Gartenarbeit, und das war gut. Er hackte und schaufelte, säte, begoß, machte Weglein und bestreute sie mit Sand, den er aus dem Walde holte, und zimmerte Bänkchen aus Krummholz, das ihm der Forstwächter schenkte. Ja sogar eine kleine Grotte hatte er gemacht von Zement und Kieselsteinen, die er da und dort aufgelesen, und die Hasen hatten im Sommer nun einen wahren Palast als Wohnung. Ein kleines geflochtenes Drahtgitter verhinderte, daß sie in die Beete herauskamen. Einer der Kunden, denen die Kinder Milch brachten, war noch immer der Malermeister, und gern schenkte er Schorsch da und dort einen Rest Farbe in einem Topf. So kam es, daß die Läden nach und nach so schön rotbraun angestrichen werden konnten, der Zaun grün und die Bänke weiß. Das Anwesen sah dadurch so frisch und schmuck aus, als wäre es erst vor kurzem gebaut worden.

Daß das Waldhäuschen seinem Äußeren und seiner Lage nach etwas Besonderes sei, das schien auch der Ochsenwirt zu finden, denn wenn ihn sein Weg vorbeiführte, blieb er öfter als sonst davor stehen, aber so, daß ihn der Apfelbaum in der Ecke des Gärtchens verdeckte. Einmal zog er ein Notizbuch heraus und schrieb Zahlen und Berechnungen hinein, und ein paar Tage nachher war noch ein zweiter Herr dabei, der maß die Wände und die Länge des Gärtchens ab, guckte verstohlen in den Stall und den Heuschober, versuchte prüfend von dem Wasser aus dem Brunnen, notierte auch in ein Buch und nickte dem Ochsenwirt zu.

Die Kinder waren in der Schule, und der Großvater arbeitete fleißig darauf los, aber so fix wie sonst ging es eben nicht mehr. Die blauen Schuhchen für des Schullehrers Enkelkind mußten heute noch fertig werden, denn morgen war Sonntag. Er sputete sich doppelt. Schorsch hatte von der Frau Baronin ein kleines Büchlein geschenkt bekommen, das ihn sehr freute. Das wollten sie dann nach Feierabend zusammen lesen, oben am Waldrand, an der Mutter Lieblingsplätzchen. Es schien ihm, als ob Mohrle seine Gedanken wüßte und sich freute, daß er auch dabei sein durfte, denn er stieß plötzlich ein Wau! aus und setzte sich auf die Hinterbeine. Aber er tat's, weil es geklopft hatte, und als der Großvater herein rief und seine Brille zurechtrückte, erkannte er den Ochsenwirt und noch einen Mann. Was die nur zu so ungewohnter Zeit wollten?

Dem Großvater wurde es plötzlich so bang ums Herz, und er fragte höflich, ob sich die Herren wohl setzen möchten, und was ihr Begehr sei. Dabei stand er auf und ging ihnen entgegen.

Das sei bald gesagt, meinte der Ochsenwirt, dazu brauche es keines Sitzens. Er sei einfach gekommen, um zu fragen, wie es jetzt mit den Raten stehe, die ihm schon anderthalb Jahre nicht bezahlt worden seien. Er brauche nun sein Geld und könne nicht mehr warten.

Dem Ochsenwirt war diese Mahnung sichtlich peinlich, und er fügte deshalb in etwas weniger polterndem Tone bei: »'s tut mir leid, Schuster-Martin, daß ich jetzt so reden muß, aber jeder ist sich selbst der Nächste. Hab' wahrhaftig lange genug Geduld mit Euch gehabt, und ich kündige Euch die Schuld nun auf ersten Oktober. Macht, daß Ihr das Geld zusammenbringt bis dahin, sonst muß ich das Häuschen versteigern lassen. Viel wert wird das Gelump wohl ohnedies, fürchte ich, nicht sein, wie mir der Herr Blum hier, der solche Sachen versteht, versichert.«

Der fremde Herr sprach nun von alter, baufälliger Hütte, der nur das bißchen Ölfarbe noch ein gewisses Ansehen gebe, von einsamer, schlechter Lage, und daß es schwer halten werde, einen Käufer zu finden.

Dem Großvater war's zu Mute, als höre er alles wie im Traum, aber in einem schrecklichen. Wohl war es bitter wahr, er hatte seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können, so sehr er schaffte, es hatte seit seiner Marie Tod nur zum Alltäglichen gereicht, und vorher war ja die Schuld auch schon dagewesen. Aber der Ochsenwirt hatte doch immer gesagt, er wolle warten, und einmal mußte ja doch dem pflichtlosen Kerl, dem Fritz, das Gewissen schlagen, daß er für seine Kinder was tat. Vom Spital aus hatte er zweimal recht reuig geschrieben, aber freilich, die Anzeige von dem Tode seiner Frau, die war mit dem Vermerk »Unauffindbar« zurückgekommen. Jetzt war das Unglück da! Das, was die beiden sagten, war ja doch das Ärgste, was geschehen konnte.

Der Schuster-Martin schwieg zuerst ganz still, er fühlte, daß da mit Bitten nichts mehr zu erreichen war. Aber er ging zu seiner Lade und kramte tief unten ein ledernes Beutelein hervor, dessen Inhalt er auf den Tisch schüttelte.

»'s ist das, was ich für mein Begräbnis zurückgelegt habe, und da,« er entnahm einem Schächtelein etliche Silbermünzen, »das ist das Patengeld der Kinder. Wenn Ihr doch noch warten könntet, Ochsenwirt, bis zum Frühjahr! Da werden die Kinder konfirmiert und kommen dann auch ins Verdienen!«

Der Schweiß stand dem so Sprechenden auf der Stirn, als er das Geld hinschob, aber der Ochsenwirt nahm es nicht.

»Behaltet die paar Taler,« sagte er, »die nützen mir nichts. Daß ich nicht grausam bin, wißt Ihr. Aber bei dem, was ich gesagt habe, muß es diesmal bleiben. Zieht in Zins, Schuster-Martin, da sitzt Ihr viel sorgenloser, und wenn Ihr vorher noch die Kuh verkauft, so trägt sie Euch noch einen netten Notpfennig ein!«

Die Männer waren gegangen und ließen den Großvater in tiefem Jammer zurück. Aus der alten Heimat heraus, zu fremden Leuten ziehen, hinauf ins Dorf, aus der Waldstille unter die Menschen, die ihm so fremd waren! Er und die Kinder sollten fürder wo anders wohnen!

Der Großvater strich sich mit der Hand immer wieder über den kahlen Scheitel, als müsse er das Schreckliche verscheuchen. Wie hatte er gehofft und geschafft, das Geld aufbringen zu können, wie bedrückte ihn der Gedanke, irgend jemand um das Seine zu bringen!

Er setzte sich schließlich wieder zur Arbeit, – die Zeit war kostbar, – aber er faßte die blauen Schühchen mit grüner Litze ein und klopfte die feinen und zarten Sohlen, als sollten sie zu Bergstiefeln verwendet werden. So kopflos hatte der Schuster-Martin noch nie gearbeitet. Die Gedanken übermannten ihn. Diesen Sommer gab es ja noch eine Prüfung, unter der alle Leute, nicht nur er, litten. Seit Juni hatte es nicht mehr geregnet, und die Dürre auf Wiesen und Äckern war groß.

Auch der Bleß fehlte das Futter. Der Wiesenfleck hinter dem Hause war braun und ausgedörrt, und da, wo Klee gesät war, wuchsen heuer nur kleine, verkümmerte Pflänzchen. – Die Kinder holten an Rainen und im Wald, was an Grünem genommen werden durfte, aber auch das war dürr und schmacklos.

Die arme Bleß magerte bei der ungenügenden Kost sichtlich ab, und die Milch, die sie gab, wurde täglich weniger und schlechter.

Eben jetzt muhte das Tier wieder so jämmerlich, was dem Großvater das Herz noch vollends schwer machte. Da hörte er die Kinder nach Hause kommen, und schon im Gärtchen scholl Schorschs Stimme: »Sei still, Bleß, sei still, wir bringen dir was Gutes!«

Der Großvater streckte den Kopf zum Fenster hinaus, – jedes der Kinder hatte einen Arm voll Grünes. »Woher?« fragte er ordentlich erleichtert.

»Von drunten – weit hinten am Bach. Huflattich ist's und Vogelkraut, und was da alles in der Rinne herumwuchs. Daß wir da auch nicht früher daran gedacht haben!« sagte Lenele. »Ganz ordentlich frisch ist's, guck!« und sie hielt dem Großvater ein paar Büschel in die Höhe.

»Und für morgen suche ich die Haselnußstauden hinten am Steinbruch ab, die gehören niemand,« rief Schorsch, und beide Kinder verschwanden im Stall.

Für morgen, ja, und vielleicht auch für übermorgen, aber was dann, was dann? Und wie die Bleß verkaufen jetzt gerade, wo das Vieh fast gar nichts wert war?

Der Schuster-Martin sah nimmer hinaus, denn seine Gichtschmerzen an den Händen, die im Alter zunahmen, erschwerten ihm auch seine Arbeit. Er mußte öfters aussetzen, und es war kein Vorwärtskommen mehr wie früher.

Auch jetzt ließ der Großvater das Geschäft einen Augenblick ruhen und sah gedankenschwer einem Vöglein zu, das hastig und eifrig die paar Samenkörnlein vom Fenster pickte, die Leneles Büschel entfallen waren.

»Sorget nicht für den andern Morgen, es ist genug, daß ein jeder Tag seine eigene Plage habe!« Und: »Sehet die Vögel unter dem Himmel an, sie sorgen nicht, und euer himmlischer Vater ernähret sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr wie sie?«

Plötzlich waren diese Sprüche dem Großvater in den Sinn gekommen, die alten, teueren Sprüche und Verheißungen aus dem Gotteswort, und mit ihnen kehrte sein früherer fester Glaube und die Zuversicht zurück.

Was ihm Gott schickte, war eine Prüfung, und da hieß es mutig aushalten. Wie oft hatte er das seinem Weib und seiner Marie gepredigt! Jetzt galt's, im Alter noch einmal besonders treu zu sein und den Kindern ein Beispiel zu geben. Was sollten diese denn anfangen, wenn er, der Alte, mit seinem Gott haderte?

Der Schuster-Martin war fertig mit seinem Kampf und kurz darauf auch mit den blauen Schuhen. Äußerlich konnte er nichts mehr tun, zum Helfen hatte er niemand, er wollte Gott nun fest vertrauen, daß auch der neue, dunkle Weg an seiner Hand gesegnet und licht sein werde.

Schwer war es, als nach ein paar Wochen die Bleß fortgeführt wurde, aber es ging vielen im Dorfe so, daß sie ihr Vieh dem Metzger geben mußten. Dann kamen die wiederholten Mahnungen vom Ochsenwirt, und dann erfuhren die Kinder, was bevorstand, sie, die ohnehin noch ganz trostlos waren, daß mit dem Verkauf der Bleß auch ihre Fahrten in die Stadt aufhörten.

Zum Herzbrechen war's, als im Spätherbst das Häuschen des Schuster-Martins wirklich unter den Hammer kam und der Ochsenwirt selber es kaufte für einen so niedrigen Preis, daß der Großvater wohl all seine Schulden los wurde, aber sonst keinen Taler mehr in die Hand bekam. Am allerschwersten aber traf der Schlag, als der Vormund der Kinder, der Krämer Mangold, ein paar Tage vorher zu ihm gekommen war und erklärte, die beiden seien jetzt groß und stark genug, um in einen Dienst zu treten. Seine Frau habe sich bereit erklärt, das Lenele als Magd zu nehmen, obgleich sie noch gar nichts könne. Wegen Schorsch habe er mit dem Sandfuhrmann Buller gesprochen, der brauche eine Hilfe im Stall und beim Aufladen.

Die Kinder, seine Kinder und Enkel, künftig weg von ihm, in andern Händen, – des Großvaters Herz krampfte sich zusammen. Und vollständig dunkel ward es einen Augenblick um ihn, als der Krämer, der auch Schultheiß war, fortfuhr: »Für Euch, Martin, ist's hart, daß alles so gegangen ist. Aber eine günstige Schickung ist es, daß vor ein paar Tagen der Franzosenflori im Armenhaus gestorben ist. Dadurch ist die Hälfte von dessen Stube frei, in die Ihr nun jederzeit einziehen könnt, was ich vor der Gemeinde vertreten will ... Schafft ein bißchen Ordnung dort, Martin, und führt einen besseren Geist ein durch Euer gutes Beispiel! Und was ich noch sagen wollte: Euer Geschäft könnt Ihr, so gut es halt noch geht, dort weitertreiben, soviel der blöde Christian, Euer Mitbewohner, Euch Platz läßt. Gutmütig ist er ja, das wißt Ihr, wenn man ihn nicht reizt, und Ihr tut ja keinem Tierlein, geschweige denn einem Menschen etwas zu leide.«

Der Schultheiß schloß seine Rede hiermit und ging dann, die lautaufweinenden Kinder noch mit ein paar kurzen Worten tröstend, davon. Kurz darauf erfolgte der Verkauf, und nun waren sie den letzten Abend beisammen im Waldhäuslein.

Dem Großvater hatte der Jammer der Kinder wieder die eigene Kraft gestählt, und er hatte ihnen die Zukunft in der erdenklichsten Weise freundlich zu schildern versucht.

»Das haben wir doch alle drei ganz genau gewußt, daß wir nicht unser Leben lang so beisammen bleiben können. Im Frühjahr, wo ihr konfirmiert werdet, wär's ja ohnedies so gekommen, daß du, Lene, in einen Dienst hättest gehen müssen und der Schorsch in eine Lehre; jetzt ist diese Notwendigkeit eben ein wenig früher eingetreten!«

»Aber ich hab' geglaubt, ich dürfe Näherin werden und später einmal Jungfer bei der Frau Baronin,« schluchzte Lenele.

Und Schorsch rief: »Das sag' ich dir, Großvater, bei dem Sandfuhrmann bleib' ich keine acht Tage! Der haut seinen Gaul mit dem Knauf der Peitsche, und der Hund, den er eine Zeitlang gehalten, ist ihm vor Hunger davongelaufen!«

Ach ja, das alles wußte der Großvater, er hatte auch mit dem Vormund darüber gesprochen, aber diese zwei Stellen waren nun eben gerade offen, und der Schultheiß meinte: »Der Fuhrmann ist wohl ein bißchen durchgreifend, aber er ist solid und arbeitsam. Es schadet einem Buben nichts, wenn er zu so einem Manne kommt. Und was die Lene betrifft, so ist meine Frau die richtige dazu, ein junges Ding einzulernen, und zwar zuerst im Haushalt, dann kann meinetwegen später die Näherei nachkommen!«

Der Großvater versuchte nach Kräften, die Kinder zu trösten, und er tat's noch am eindringlichsten, als sie den Abend vor dem Auseinandergehen zum letztenmal beisammen in der Stube auf der festgemauerten Ofenbank saßen. Alles andere war schon fortgeschafft worden. Den Arbeitstisch der Mutter, ihr Bett, eine Kommode und einen Schrank hatte die Schultheißin sich angeboten auf ihrem geräumigen Dachboden für die Lene, wie sie von jetzt an hieß, aufzuheben. Das übrige konnte der Großvater behalten.

Der Jammer ging bei den Kindern von neuem an, als die Tiere weggegeben werden mußten. Die Hühner wurden von der Schultheißin gekauft, und Lenele hatte infolgedessen künftig wenigstens etwas Lebendiges aus dem Waldhäuschen bei sich. Die Kiste mit den Amphibien, die man so hübsch durch ein Fensterlein oben und an der Seite beobachten konnte, hatten die Kinder bei der letzten Fahrt in die Stadt mitgenommen und sie den Baronskindern gebracht.

»Dafür nehmt ihr kein Geld,« sagte der Großvater. »Es soll ein kleiner Dank sein für alles, was die Frau Gutes an euch getan hat.«

Der Kanarienvogel wanderte mit ins Armenhaus. »So viel als der frißt, werde ich doch noch verdienen,« meinte der Schuster-Martin wehmütig, als die Schultheißin bemerkte, den unnötigen Fresser werde er mit den Hühnern doch auch gerne los sein. Die Hasen samt dem Ställchen hatte der Ochsenwirt mit erstanden. Er war nämlich gar bald mit seiner Absicht herausgetreten, daß er aus dem einfachen Waldhäuschen eine kleine moderne Sommerfrische machen wollte, und daß er sich großen Gewinn davon versprach. Da paßten die Hasen sehr gut dazu. Auch die Katze sollte der Mäuse wegen im Frühjahr ins Haus zurückgebracht werden. Den Winter über sollten die Tiere im Stall des Ochsenwirtshauses kampieren.

Am schwersten trennten sich die Kinder vom Mohrle. Doktor Reinhardt hatte den Hund, der ihm trotz seines Anbellens immer gut gefallen hatte, gekauft, und morgen wollte er ihn im Vorübergehen mitnehmen. Natürlich mußte er eine Leine dazu mitbringen. Ob Mohrle wohl verstand, was ihm drohte? Fast sah es so aus, denn er setzte sich ganz nahe zu den dreien und legte seine Schnauze fest auf die Knie des Großvaters, ihn unverwandt anschauend.

Wie war's jetzt so unbehaglich in dem lieben alten Raum! Die Wände leer, die Tür zur Kammer, wo gleichfalls alles ausgeräumt war, stand offen, das Feuer im Kachelofen war erloschen, und draußen tobten die kalten Herbststürme. Heute war schon so viel geschafft worden, daß die Kinder zum Weinen und der Großvater zum Denken beinahe zu müde waren. Aber eng drängten sie sich aneinander. Es war, als wollten sie noch einmal dem Schicksal trotzen, das sie voneinanderriß.

Mohrle wurde das Schweigen so unbehaglich, daß er in ein langgezogenes Heulen verfiel. Da fingen auch die Kinder wieder laut zu schluchzen an.

»Was fällt euch denn ein? Jetzt, wo das Schlimmste vorüber ist, werdet ihr doch nicht zum Schluß noch weich werden? Kinder in eurem Alter, die bald aus der Schule kommen, weinen doch überhaupt nicht mehr!«

So mahnte der Großvater, und dabei strich seine knochige, arbeitsharte Hand liebkosend und beruhigend über ihre Köpfe und auch über Mohrles Rücken.

»Und was ich jetzt noch sagen wollte,« – der alte Mann schluckte ein paarmal, denn es galt nun, selber fest zu bleiben, – »was ich noch sagen wollte: Am Sonntag, wenn ihr frei habt, kommt ihr zu mir. Das Armenhaus ist lange nicht so schlimm, wie es aussieht, und wenn's Sommer ist, gehen wir zu der Mutter Grab oder auf unser Bänklein oben am Wald, da ist's schön! Und jetzt,« – der Schuster-Martin gab sich einen Ruck, – »jetzt wollen wir halt alle drei mutig sein! Nirgends kann man immer beisammen sein, nur einmal im Himmel, und das gebe der liebe Gott!«

Der Großvater faltete einen Augenblick die Hände, und die treuen Augen sahen gläubig nach oben. Dann aber faßte er rechts und links eine Hand von den Kindern und fuhr eindringlich fort: »Jetzt gefällt's Gott, eine Zeitlang jeden von uns seinen eigenen Weg gehen zu lassen; daß es der Himmelsweg sei, dafür haben wir zu sorgen. Den geht aber nur der, der nicht an sich denkt, sondern an die andern, und der treu aushält da, wo ihn Gott hingestellt hat. Das ist's, was ich euch schon oft gesagt habe. – Und nun steht auf! Es wird dunkel, und wir wollen gehen!«

Die drei erhoben sich schweigend. Den Kindern war nicht mehr so schwer zu Mute wie vorher, es war, als fühlten sie eine Hand, die sie fassen konnten.

Der Großvater sah noch im Ofen nach und löschte die letzte Glut. Er tat nichts halb, auch wenn es für andere war. Die Kinder mußten inzwischen die Läden von außen zumachen. Dann schloß der Großvater eine Tür nach der andern, ohne noch einmal zurückzusehen. Er pfiff Mohrle, der zögernd auf der Schwelle stehen blieb – ein so später Ausgang, wo es schon dunkelte, war doch ganz ungehörig. Dann schritten die drei durch den Garten, der Hund gesenkten Kopfes hinterdrein. Auch die knirschende Gartentüre wurde fest verriegelt, und nun ging's hinaus in den stürmenden Wald, den paar Lichtlein zu, die oben vom Dorf herableuchteten.


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