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Sechstes Capitel.
Junge Herzen.


Und doch blieb Hannah den ganzen Tag über stumm und sprach kein Wort mehr über die Fremde zu ihrem Pfarrherrn. Vielleicht war jetzt mehr als alles Andere der weibliche Trieb der Neugierde in ihr rege geworden, und sie wollte sich darauf beschränken, erst eine Weile die Augen aufzuthun und zu beobachten, um hinter das ganze merkwürdige und interessante Geheimniß Engelbert's und der Fremden zu kommen. So lange aber Hannah schwieg, ließ Gustav Wald auch die Sorgen und die Bedenklichkeiten ruhen, in der festen Ueberzeugung, daß diese angenehmen Wesen immer noch früh genug, von Hannah's jungfräulicher Hand geleitet, sich wieder zum Besuche bei ihm einstellen würden.

Und das geschah denn auch, noch bevor vierundzwanzig Stunden verflossen waren. Es war am folgenden Vormittag; der Pfarrer kehrte von dem Besuche des Kranken zurück, den er schon am vorigen Tage hatte machen wollen und nun endlich auszuführen Zeit gefunden. Als er in seinen Garten trat, fand er Hannah beschäftigt, Küchenkräuter für die Mittagssuppe abzuschneiden.

Wo ist mein Bruder? fragte er, bei Hannah stehen bleibend.

Hören Sie es denn nicht? sagte die Haushälterin, sich aufrichtend: schon seit ein paar Stunden dort oben, und die Stimmen klingen laut und lustig genug aus dem offenen Giebelfenster heraus, daß man's vernimmt, wo der Herr Bruder ist!

Der Pfarrer sah nach dem Giebel seines Hauses empor und schwieg eine Weile. Es war, als ob die Sorgen in der Atmosphäre Hannah's weilten; denn offenbar bemächtigten sie sich in diesem Augenblicke schon seiner Gedanken, ehe die Haushälterin nur noch den Mund aufgethan, um ein Wort mehr zu sagen.

Sie scheinen in der That sehr munter zu sein, Hannah! hob er nach einer Weile wieder an.

Meiner Seel', sie haben Recht, daß sie sich freuen!

Und weshalb? fragte Gustav Wald harmlos und unbefangen.

Weil es ihnen sehr gut geht in der Pastorat zu L. am Rhein! antwortete Hannah giftig.

Hannah, Hannah! versetzte der Pfarrer in mild verweisendem Tone.

Ist es denn nicht wahr? antwortete die alte Jungfer, in heftiger Bewegung einen ganzen Petersilienstengel mit der Wurzel ausraufend.

Gustav Wald schwieg wieder, beide Hände über den Elfenbeinknauf seines spanischen Rohrs gekreuzt, das er vor sich in den Sand des Gartenpfades gestoßen hatte.

Was soll daraus werden? hob er nach einer Pause mit einem Seufzer wieder an. Es muß etwas geschehen, Hannah, es darf so nicht fortgehen.

Hannah erhob sich noch ein mal und sah dem Pfarrherrn fest ins Auge.

Geschehen muß freilich etwas. Es kommt nur darauf an, wer es thun soll! sagte sie.

Gustav Wald fühlte sehr wohl, was Alles in diesen Worten seiner gestrengen Dienerin lag. Es war genug, ihn sein spanisches Rohr sachte aus dem Boden, in den er es eingebohrt, aufziehen und ihn dann langsam weiter wandeln zu lassen, die Hände auf dem Rücken, das Haupt nachdenklich gesenkt.

Engelbert war unterdeß oben im Zimmer der Fremden und schien sich dort ganz vortrefflich zu unterhalten. Es dauerte sicherlich eine Stunde, bis er herunterkam. Er suchte seinen Bruder auf, der jetzt in einem stillen schattigen Winkel des Gartens saß, ein Buch in der Hand, über dessen Rand sein Auge fortblickte, in die ferne Bläue hinaus. Engelbert's Blicke glänzten, sein Gesicht war mehr als gewöhnlich geröthet. Gustav Wald wurde unangenehm berührt von diesen Spuren der Aufregung bei seinem Bruder.

Nun? reist sie heute? fragte er kalt.

Engelbert lachte.

Denke nicht daran! rief er aus. Es gibt auf Erden kein Geschöpf von einer liebenswürdigern Naivetät. Ich habe mein Bestes gethan, ihr zu verstehen zu geben, daß ich abreisen müsse, um keinen Raum zu übeln Deutungen zu lassen – da hat sie laut mit ihrer glockenhellen Stimme mir ins Gesicht gelacht. Sie hat es für einen diplomatischen Kunstgriff von mir gehalten, um sie zum Reden, zum Auskunftgeben zu zwingen. Ueble Deutungen, davon ist sie fest überzeugt, sind nicht im Stande, in den heiligen Umkreis eines Pfarrhauses zu dringen. O, sie ist ein wahrer kleiner Kobold! Hätte ich nur nicht die Thorheit begangen, eine Art Wette mit ihr einzugehen, daß es mir gelingen werde, alle ihre kleinen Geheimnisse zu entdecken! Jetzt hält sie sie fest, diese Geheimnisse, nur um über mich zu triumphiren!

Mag sie sie in Gottes Namen festhalten! versetzte der Pfarrer, wenn nur mein Haus sie nicht so festhielte!

Ach, antwortete Engelbert rasch, du bist doch eigentlich ein Erzphilister! Was ist es denn im Grunde? Ein junges Mädchen sucht ein Unterkommen in einem Pfarrhause, weil kein anderer passender Zufluchtsort in der Nähe ist. Zufällig kehrt in diesem Hause mit ihr zugleich ein junger Mann ein, das ist das ganze Unglück; oder vielmehr, das ganze Unglück ist, daß in demselben Hause eine thörichte alte Jungfer wohnt, die ihrem Herrn den Kopf verdreht …

Gustav Wald unterbrach ihn.

Hannah hat Recht! sagte er fest und bestimmt.

Hannah hat Unrecht, erwiderte Engelbert ebenso bestimmt – und daß du es weißt, setzte er lachend, im Grunde aber sehr ernst, hinzu, ich nehme die Fremde unter meinen besondern Schutz und dulde nicht, daß man sie nur durch eine Silbe ahnen läßt, wie mein gastfreier Herr Bruder und seine menschenfreundliche Haushälterin sie trotz ihres Leidens zur Thür hinausweisen möchten!

Engelbert, Engelbert! sagte Gustav Wald, seinen Bruder betroffen und beinahe ängstlich anblickend – nimm dich in Acht! Dieser kleine Kobold, wie du sie nennst, hat dich umstrickt; nimm deine Vernunft zusammen.

Vernunft! lachte Engelbert laut auf; es steht dir wohl an, Vernunft zu predigen! Wer citirte gestern noch Hamann's Wort: »Die Vernunft ist eine wächserne Nase und ein Oelgötze, dem ein schreiender Aberglaube göttliche Attribute andichtet?« Also nichts von Vernunft, Brüderchen!

Gustav Wald schwieg, einigermaßen betroffen, so beim Worte genommen zu sein, und die beiden Brüder trennten sich, beide etwas verstimmt gegeneinander. Engelbert ging zwischen den Gartenbeeten auf und ab. Seine Seele war voll von der reizenden Unbekannten. Das kleine Geheimniß, das sie umgab, war nur ein Reiz mehr für ihn. Es schien ihm eine liebenswürdige Laune, ein Räthselspiel, das ihr eine harmlose Koketterie eingegeben. Es war ja auch das einzige Geheimniß, mit welchem sie sich umgab, dieses neckende Verschweigen ihrer äußern Verhältnisse. Sonst, glaubte er, lag ja ihre ganze Seele offen und klar vor ihm da; die heitere, ungetrübte Seele eines jungen Mädchens, das, in den günstigsten Verhältnissen aufgewachsen, alle Mittel der Bildung zu Gebote stehen gehabt und sie mit großer Lebhaftigkeit benutzt zu haben schien. Sie hatte viel in der Welt gesehen und Alles lebhaft, theilnehmend und mit offenen Sinnen aufgenommen; sie sprach mehre Sprachen, sie hatte viel gelesen, sie war an den Verkehr der großen Welt gewöhnt, und bei aller beinahe muthwilligen Sicherheit war doch ihrem Wesen nichts an Anmuth, nichts an seiner ersten, schönsten Jungfräulichkeit verloren gegangen.

So spiegelte sich jetzt, nach seiner letzten Unterredung mit ihr, Agathe in den Augen des jungen Mannes; und dieses Spiegelbild hatte für ihn etwas so Verführerisches und Hinreißendes, daß sicherlich die Vernunft, welche Gustav Wald eben seinem Bruder predigen wollte, dagegen keine Macht mehr übte.

In den Nachmittagsstunden machte Engelbert mit seinem Bruder einen Spaziergang das Thal hinauf; sie kehrten erst am Abend heim. Der Pfarrer begab sich dann in sein Wohnzimmer und von dort in die Kirche, wo er eine Abendandacht zu halten hatte. Engelbert ging, um auszuruhen, in die Veranda. Zu seiner Ueberraschung fand er hier einen der Gartenstühle von der fremden jungen Dame besetzt. Er sprach seine Freude aus, sie von ihrem Unfalle so weit wiederhergestellt zu finden, daß sie sich habe herunter begeben können.

Meine Wiederherstellung hat keine großen Fortschritte gemacht, sagte sie; es hat mir heftige Schmerzen verursacht, auf Hannah's Arm gestützt die Treppe herunter zu gelangen. Aber es litt mich nicht länger da oben, in meiner Einsamkeit. Das Herz wurde mir etwas schwer. Dieser abscheuliche Fuß spielt mir einen schlimmen Streich! Ich muß weiter, weiter, weiter! fügte sie mit einem leisen Seufzer hinzu.

Agathens Stoßseufzer schien auf Engelbert einen niederschlagenden Eindruck zu machen. Bemerkte sie es, daß ihre Sehnsucht in die Ferne ihm wehe that?

Es gefiel Ihnen gestern noch so wohl in dieser poetischen Einsiedelei, hat etwas sie Ihnen seitdem verleidet? fragte er nach einer Pause.

Das nicht; aber die Vernunft sagt mir …

O die Vernunft – von der dürfen Sie hier nicht reden – mein Bruder lebt auf dem gespanntesten Fuße mit ihr, und Sie dürfen keine Gäste zu sich laden und hier einführen, die dem Hausherrn verhaßt sind!

Ich verstehe diesen Scherz nicht, den Sie treuloserweise auf Kosten Ihres herzensguten und liebenswürdigen Bruders machen, ohne daß er hier ist, um sich vertheidigen zu können.

Ich mache keinen Scherz auf seine Kosten, ich sage die Wahrheit. Mein Bruder ist ein Feind der Vernunft. Er nennt es einen Irrthum, in ihr die rechtmäßige Beherrscherin unsers Lebens zu erblicken. Er ist ein vollständiger Rebell wider sie; er wirft sie zur Thür hinaus, damit sie ihn nicht störe in seiner Verehrung höherer Ideen.

Nun wohl, sagte lachend Agathe; eben wenn er sie über seine Schwelle gewiesen hat, kann sie hierher zu uns unter die Veranda kommen – die arme vertriebene Vernunft!

O nein, nein! rief Engelbert aus; höchstens wenn sie sich den Paß zur Weiterreise von mir als Legationssecretär visiren lassen will, mag sie kommen, ich will sie mit einem Zwangspasse recht weit ab, auf … zu dirigiren, da hat man sie nöthig!

Es ist ein sonderbares Bekenntniß von Ihnen, sagte die junge Dame, daß Sie keine Vernunft in Ihrer Nähe dulden wollen. Ich fürchte sie nicht; sie ist mir immer eine liebe und vertraute Freundin gewesen, mit der ich mich nie überworfen habe.

Vielleicht, weil die Bekanntschaft auf ziemlich fremdem Fuße stehen geblieben ist – das erhält die Freundschaften! fiel Engelbert neckend ein.

Mag sein; ich will es Ihnen gestehen, daß ich mich eigentlich nie viel nach der Vernunft umgesehen habe. Ich habe mich bei meinen Entschlüssen seit je am meisten von meinem ersten und mächtigsten Gefühl leiten lassen, ohne viel zu überlegen. Ich habe immer gesucht, nur mir selbst treu zu bleiben; ich habe ohne Nachdenken meiner Natur vertraut. Das aber darf wol ein unbesonnenes junges Mädchen sagen – doch wie ein Mitglied des klugen, überlegenen, weisen, die Welt regierenden Geschlechts, wie ein Mann seine Stimme gegen die Vernunft erheben darf …

Nun, es hat Alles seine Gründe, antwortete Engelbert; vielleicht schmähe ich die gute, weise Duenna des Menschenlebens nur, weil sie mir bittere Vorwürfe gemacht hat, und weil ich mir nicht eingestehen will …

Nun, was?

Daß sie Recht hatte!

Und worüber hätte sie Ihnen Vorwürfe machen können? Etwa, daß Sie nicht, bevor Sie mir Ihre Hülfe angedeihen ließen, ein Verhör mit mir anstellten? lachte Agathe.

Nein, umgekehrt, versetzte Engelbert, daß ich nicht ein Verhör mit mir selbst anstellte; daß ich mich nicht fragte …

Engelbert stockte einen Augenblick, aber es herrschte ja bereits Dämmerung in der Veranda, wie er erröthete, konnte kein menschliches Auge mehr sehen, und so fuhr er, indem er sich hinüberbeugte zu ihr und den Arm auf die Lehne ihres Sessels legte, fort:

Daß ich mich nicht fragte: Was wird für dich aus diesem Begegnen entstehen – bist du der Mensch, der so mächtige Eindrücke leicht wieder von sich abschüttelt, bist du nicht im Gegentheil eine jener treuen Naturen, die, wenn sie einmal ein überwältigendes Gefühl in die weitgeöffnete Seele haben eindringen lassen, auch für die Ewigkeit sich gebunden fühlen? …

Agathe sprang wie tief erschrocken plötzlich vom Stuhle auf, aber zugleich auch stieß sie einen leisen Schrei aus.

O mein Gott! sagte sie – mein Fuß – ich habe nicht daran gedacht – lassen Sie mich ins Haus zurück – bitte, rufen Sie Hannah!

Engelbert eilte, zitternd vor Aufregung, Hannah zu rufen.

Diese kam. Agathe verließ, auf ihren Arm sich stützend, langsam die Laube; sie ging an Engelbert, ohne ihn anzublicken, ohne Gruß vorüber.

Engelbert eilte nun ebenfalls hinaus und lief noch lange in den Gartenpfaden auf und ab. Er sah ein Licht in dem Wohnzimmer seines Bruders aufflammen, ein Zeichen, daß Gustav Wald zurück war. Aber er blieb draußen in der Dunkelheit. Alle seine Pulse klopften. Du hast sie beleidigt – du hast sie verletzt; du hast dich betragen wie ein zudringlicher Laffe! Das war sein einziger Gedanke.

Wir wissen nicht, was Agathens Gedanken waren, als sie oben in ihrem Giebelzimmerchen sich allein befand. Wir wissen nur, daß sie zu Hannah sagte, wenn es ihr irgend möglich sei, werde sie nun morgen sich an ein Dampfschiff bringen lassen.

Hannah hatte nichts darauf erwidert. In Hannah's Ansichten schien überhaupt eine kleine Umwandlung vorgegangen zu sein. Sie hatte am Nachmittag ein paar Besuche im Dorfe abgestattet. Sie war wie natürlich überall nach dem neuesten und großen Ereignis; ausgefragt worden, der Anwesenheit einer fremden Dame im Pfarrhause. Aber bei diesen Fragen und den daran sich knüpfenden Erörterungen hatte sie wahrgenommen, daß auch keine Seele etwas Unschickliches in jener Anwesenheit erblickte. Kein Gedanke der guten Dörfler, schien es, setzte voraus, der geachtete und wegen seiner Herzensgüte verehrte Pfarrer werde irgend etwas thun oder dulden, woran sich auch nur die leiseste Bemerkung irgend einer Art knüpfen lasse.

Diese Entdeckung warf Hannah's Empfindungen zwischen zwei entgegengesetzten Polen hin und her. Sie ärgerte sich, daß ihre Prophezeiungen sich so wenig erfüllen, daß alle ihre Klagen, womit sie ihrem Hausherrn das Herz schwer gemacht, leeres Geschwätz gewesen sein sollten, und daß sie dadurch als eine recht mistrauische, übeldenkende Person, eine wahre thörichte Jungfrau dastehe. Aber sie freute sich doch auch wieder der Beruhigung, die sie empfangen, und wenn die Leute nichts daran nachzusagen fänden, dachte sie jetzt, so könne ihr die Anwesenheit der Fremden auch recht sein – eine recht freundliche, anständige und vornehm erzogene Dame war es ja doch; und je länger sie blieb, desto größer wurde natürlich auch die Hoffnung auf etwas, das Hannah nicht in der Lage war, bei ihrer Beurtheilung des Falles außer Acht zulassen: nämlich ein hübsches Geschenk, daß sie doch am Ende für Pflege und Mühe von der Fremden erwarten durfte. Und so kam es denn, daß Hannah den ganzen Abend ungewöhnlich still, gegen die Fremde ungewöhnlich aufmerksam gewesen war, vor dem Hausherrn sich möglichst wenig sehen ließ und selbst am andern Morgen durch keine Miene vor dem Pfarrherrn verrieth, daß sie auf gewisse Gesprächsgegenstände zurückzukommen wünsche.

Engelbert war am andern Morgen sehr früh auf. Er ging mit seinem Bruder zur Kirche. Als Beide zurückgekommen waren, suchte er sehr bald Hannah in der Küche auf und fragte in möglichst gleichgültigem Tone nach Agathens Befinden und womit sie sich beschäftige. Gestern am Abend habe sie vom Abreisen geredet, versetzte Hannah. Engelbert fuhr es wie ein Dolch durch's Herz. Also hatte er sie beleidigt – sie wollte fort, trotz ihres Leidens – o, er hätte sich selbst ein Leid anthun mögen aus Verzweiflung darüber. Doch heute, fuhr Hannah fort, habe sie nichts mehr davon erwähnt. Aber einen Brief habe sie in der Morgenstunde geschrieben – Hannah habe ihn gleich fortbringen müssen, zum Hause des Postboten. An wen der Brief adressirt gewesen, schämte Engelbert sich zu fragen; sicherlich war es eine Auffoderung an irgend einen Verwandten, augenblicklich zu kommen und Agathe abzuholen!

Engelbert durchlebte einen sorgen- und qualvollen Tag. Um seinem Bruder nicht Rede stehen zu müssen, schweifte er auf den Bergen umher. Wie an den beiden frühern Tagen Agathe Vormittags einen Besuch zu machen, wagte er nicht; für Vieles in der Welt hätte er nicht unter ihre Augen treten mögen.

Am Nachmittage konnte er sich einer Auffoderung seines Bruders nicht entziehen, einen Spaziergang mit ihm zur Burgruine hinauf zu machen. Erst am Abend kehrten Beide zurück. Als sie nun durch den Garten vor dem Pfarrhause schritten, war das Erste, was Engelbert erblickte – Niemand anders als Agathe, die lesend unter der Laube saß. Der große Ausschnitt der Veranda ließ den obern Theil ihrer schlanken Gestalt erblicken. Und in der That, nie in seinem Leben hatte Engelbert einen entzückendern Anblick gehabt, als den dieses Bildes, das ihm so unerwartet vor Augen trat, des jungen Mädchens mit dem feinen, etwas gesenkten Profil, den langen dunkeln Wimpern und der anmuthigen Beugung des Nackens, umrahmt vom üppigen Rebenkranz, der ringsumher seine Laubfülle schlang.

Engelbert's Herz schlug hoch auf. Sie war zu derselben Stelle zurückgekehrt, von der er sie gestern Abend vertrieben hatte; er hatte sie also nicht verletzt, nicht beleidigt – oder sie hatte ihm verziehen!

Als die beiden Männer herantraten, richtete Agathe etwas hastig und bewegt sogleich das Wort an seinen Bruder, und – es war offenbar – sie vermied es, Engelbert anzusehen, während sie den Pfarrer in ihr lebhaftes Gespräch verstrickte. Ja, es war Engelbert, als wäre dieses Gespräch heute von einer ganz besondern Lebhaftigkeit; und wie sie so plauderte, und ihre Wange heller sich geröthet hatte denn je, und der Blick ihres schönen dunkeln Auges glänzend auf dem Pfarrer haftete, aber etwas von einer gewissen Scheu verrieth, etwas, das Engelbert nie vorher darin wahrgenommen, da zogen die übermüthigsten Hoffnungen in die Brust des jungen Mannes ein. Er saß schweigend da, er suchte ihrem Auge zu begegnen; aber es gelang ihm nicht – auch da nicht, als sie endlich Hannah, die zufällig durch den Garten geschritten kam, herbeirief und sich von ihr ins Haus führen ließ.

Aber Engelbert ließ dadurch seinen Hoffnungen nichts von ihrem kühnen Schwunge nehmen. Er wurde jetzt plötzlich, während er den ganzen Tag über der einsilbigste Mensch von der Welt gewesen, seinem Bruder gegenüber der redseligste Mensch von der Welt. Er hielt Gustav Wald durch sein Geplauder noch lange in der Laube fest. Es war bereits tiefe Nacht, als sie sich endlich trennten; Gustav ging hinein, weil er vor Schlafengehen noch etwas in seine Pfarrbücher einzutragen hatte. Engelbert machte noch einen Gang durch den Garten und blickte nach Agathens Fenster auf. Es war erhellt, es war offen – und das junge Mädchen selbst lag im Fenster; sie schien die weiche Nachtluft einzusaugen und dem Rauschen des Stroms zu horchen.

Agathe! rief Engelbert leise zu ihr hinauf.

Sie beugte das Haupt zu ihm nieder, aber sie antwortete nicht.

Sind Sie mir böse?

Abermals keine Antwort.

O, um Gottes willen ein Wort, Agathe – ich vergehe sonst vor Angst, daß Sie mir zürnen!

Statt aller Erwiderung erhielt Engelbert plötzlich einen leisen Schlag an die Wange. Es war ein Reis, das Agathe vom Spalier, welches bis zu ihr hinaufreichte, gerissen hatte und jetzt nach ihm warf.

Darf ich mir morgen Ihre Verzeihung holen? fuhr er fort, das Reis auflesend.

Wenn Sie sie dadurch verdienen wollen, daß Sie vernünftig sind! lautete ihre Antwort.

O gewiß, nur vernünftig, versetzte er, ich war es ja nicht, der gestern die Worte der Vernunft nicht anhören wollte, sondern auf und davon ging.

Und glauben Sie, ich sei geneigter, sie jetzt anzuhören? – Gute Nacht! sagte sie mit einem Tone des muthwilligsten Spottes, und in demselben Augenblicke verschwand sie, und beide Fensterflügel waren verschlossen, ehe Engelbert nur noch ein Wort hinaufsenden konnte.

Die schöne weiche Sommernacht senkte sich tiefer und tiefer über Strom und Gebirge. Aber ihre stillen Schatten brachten Engelbert wenig mehr Ruhe, als die vorige ihm gebracht hatte. Er fühlte sich von einem nie geahnten, übermächtigen, nicht zu beschreibenden Zauber umstrickt. Er fühlte sich wie inmitten eines unbeschreiblich reizenden Märchens stehen; und wie ein Märchen war sie ja auch beinahe, die Lebensepisode, die von diesem Abend an für ihn begann – für ihn und für Agathe nicht minder! Es war eine Geschichte von Jugend und Uebermuth, von leichtem Sinn und keckem Vertrauen auf das Glück; es war ein Mittsommernachtstraum, geträumt am schönen Rhein, in den schönsten Sommertagen, welche je der süße Duft der Rebenblüte erfüllt, das Summen der Bienen und das Gezwitscher der Schwalben, die unter der Veranda des Pfarrers ihr Nest bauten, je belebt hatte.

Vielleicht wäre Alles nicht so gekommen, wäre das Wetter trübe gewesen, hätten Regenschauer Jeden in die Zimmer gebannt, hätten düstere Wolken am Himmel gestanden und die Sonne verhüllt, daß man sich daran hätte erinnern können, das Leben habe auch seine dunkeln Stunden und sei nicht lauter Licht und heitere Bläue. Ja wahrhaftig, die helle Sonne trug die Schuld, die so boshaft allen Leichtsinn weckte, der in den armen verführten jungen Leuten schlummerte; und dann des Pfarrers sonderbare Philosophie, die er ihnen eines Tags weitläufig entwickelte und die auch so recht dazu erfunden war, sich in Gottes Namen, im Vertrauen auf den Himmel gehen zu lassen und nicht viel zu grübeln und zu denken, ob man auch weise handle, so seinem Herzen, seinem blinden, verliebten, muthwilligen Herzen sich hinzugeben – ja, Alles hatte sich verschworen, die jungen Leute zu verlocken.

Selbst die Sterne am Himmel waren gegen sie: der große Sirius, der jenseit der Bergruine aufging und immer boshaft durch eine Lücke des verfallenden Zinnenkranzes blickte, und die Venus, die immer zuerst kam und in die Rebenlaube blinzelte, gerade als ob sie es nicht abwarten könne, sich schadenfroh über das Unheil, das sie da angestiftet hatte, zu ergötzen. Und nun gar der Vater Rhein, der verdorbene alte Junggesell, der erst recht seinen Spaß an der Geschichte zu haben schien, wie heitere alte Herren immer an solchen Dingen ihre abscheuliche Freude haben – der plätscherte und flüsterte unten am Ufer, als ob alle Undinen ihre Lieder im Rauschen der Wellen sängen. Es war wirklich gar nicht möglich, aus der Veranda sich loszureißen an den wunderbar schönen sternhellen Abenden, wenn die Zauberlieder des Stroms von unten heraufdrangen und eine stille, süße Romantik die jungen Herzen beschlich, die gefährliche Romantik mit den tausend verführerischen Bildern und Träumen, von der das Lied geht:

An den Rhein, an den Rhein, zieh nicht an den Rhein,
Mein Sohn, ich rathe dir gut!
Da geht dir das Leben zu lieblich ein,
Da blüht dir zu freudig der Muth.

Und nun ist mit allem Dem der Hauptbösewicht gar noch nicht einmal genannt, der allabendlich hinaus ins Freie lockte, der die beiden jungen Leute da festbannte und voreinander ihre Herzen ausplaudern ließ und, ohne daß sie es merkten, mit seinem silberblassen Licht alle die schwärmerischen, weichen, schwermüthig-seligen Empfindungen auf sie niedergoß, welche liebeentzündete Dichter und stille, einsame Jungfrauenherzen ihm in balsamischen Nächten hinaufgeseufzt und emporgelispelt hatten. O, es war unsaglich ruchlos von dem runden vollen Mond, sich an Schuldlosen so zu rächen; die armen jungen Herzen wurden darüber so schwindelig voll und überströmend, daß sie sich selbst nicht mehr kannten.

Und da Alles sich wider sie verschworen hatte – der Mond und die Sterne und der Rhein an den weichen Sommerabenden, die Sonne und der Rebenduft und das Summen der Bienen und die erquickende Stille des kleinen lieblichen Pfarrhauses bei Tage – was blieb ihnen übrig, als sich wider die verschworene Welt einander desto treuer zu verbünden!

Das thaten sie denn auch aus voller Seele. Aber wie es zugegangen, nach weniger Tage Verfluß, nachdem Engelbert zwei, drei Morgen nacheinander seine Besuche oben im Giebelzimmerchen erneuert und Agathe eben so oft Abends in die Veranda heruntergekommen – darüber wußte Engelbert keine Rechenschaft abzulegen, als er seinem Bruder gestand, daß Agathe seine – Braut sei!

Brüderchen – nun ist Alles gut, sagte er, und dabei strahlten seine Augen, und jeder Zug seines Gesichts war von Freude verklärt – Hannah und du, ihr könnt jetzt ruhig sein um euren unangetasteten Ruf als unverwerflich zweifellos bewährte, feierliche Mitglieder des großen Bundes der Philister – wir sind verlobt, und sie will mein sein, sobald ich in meinem neuen Wohnort die nöthigen Vorbereitungen getroffen – sobald ich dort eine kleine, frisch tapezirte, mit Mahagonimöbeln und Damastvorhängen ausgestattete und mit Teppichen belegte Hütte, die Raum hat für ein liebend Paar, gefunden habe. Ich reise dazu gleich morgen in der Frühe ab; nach etwa drei Wochen – die wirst du der Braut deines Bruders noch unter deinem Dache zu weilen erlauben müssen – nach drei Wochen kehre ich zurück – du traust uns in deiner kleinen Kirche da oben …

Gustav Wald hatte diese Wendung der Dinge längst gefürchtet, und doch hatte ihn die Ankündigung seines Bruders jetzt so betroffen gemacht, daß er stumm dastand und ihm mit Mund und Augen zuhörte.

Engelbert, Engelbert! welches Wagniß! sagte er jetzt mit einem tiefen Seufzer.

Engelbert ließ ihn weiter nicht zu Worte kommen.

Wagniß! wiederholte er mit spottendem Tone – ich trage das lebendige Gefühl in meiner Brust, daß wir füreinander geschaffen sind, daß die wunderbarste Fügung des Himmels uns zusammenführte, daß ohne sie mein Leben ein erbärmliches, inhaltloses, o, so nichtiges sein würde, daß ich besser thäte, es gleich dort unten in den Rhein zu versenken, als es noch etwa ein halbes Jahrhundert lang matt und unersprießlich weiter zu spinnen … und du redest von Wagniß!

Gustav Wald sah zu wohl ein, daß es vergeblich sein würde, wider die Leidenschaft anzukämpfen, welche im Herzen seines Bruders aufgeloht war.

Du bist dein eigener Herr! sagte er kleinlaut; übrigens, setzte er hinzu, wirst du mir jetzt sagen können, wer meine zukünftige Schwägerin denn eigentlich ist.

O, freilich kann ich das, lachte Engelbert etwas verlegen auf – aber wahrhaftig, du böser Mensch stehst bei dem Glücke deines Bruders so trübselig theilnahmlos da, daß ich, um dich zu strafen, nun doch kein Wort davon sage … nein, kein Wort sollst du davon hören – und auch Hannah nicht – o, das ist vortrefflich, Hannah soll vor Neugier schier umzukommen glauben!

Engelbert drehte sich auf dem Absatze herum und eilte lachend fort, in sein Zimmer hinein.

Gustav Wald sah ihm mit bekümmerter Miene nach.

Er lügt, sagte er; er weiß noch immer nichts von ihr – und er nimmt sie zur Frau! Gott wende es zum Guten!

Etwa eine Viertelstunde nachher saß Engelbert wieder oben in dem Giebelzimmerchen neben Agathen.

Mein Bruder ist in Verzweiflung! sagte er in heiterm Tone und doch gespannt in ihre Züge blickend.

Weshalb?

Weil ich ihm eine Schwägerin angekündigt habe, ohne ihm sagen zu können, wer sie eigentlich ist. Im Ernst, Agathe, mir sind auf meinem Lebenswege Personen begegnet, welche über ihre Vergangenheit und ihre Verhältnisse offener waren als eine gewisse räthselhafte, verschlossene, verstockte junge Dame, welche die leibhafte wiedererstandene Sphinx ist!

O ihr abscheulichen Männer! rief Agathe mit komischer Entrüstung aus – jetzt merke ich das ganze abgekartete entsetzliche Spiel! Es gibt doch nichts Schrecklicheres als Männereigensinn! Da hat ein gewisser durchtriebener, ruchloser Mensch sich in den Kopf gesetzt, herauszubringen, was er meine Verhältnisse nennt, und da es ihm, so hoch und theuer er sich auch vermessen, daß es ihm ein Leichtes sei, doch nicht gelingen will – was thut er? Er setzt das Aeußerste daran, er schwört dem thörichten, leichtgläubigen jungen Mädchen Liebe, er gelobt ihr mit heiligen Eiden ewige Treue, er nennt sie seine Braut – als seine Braut, denkt er, muß sie doch mit ihrem kleinen Geheimnisse, für das der meineidige Mensch seine Seele in die Schanze schlägt, herausrücken! O Männer, Männer! Aber Sie haben falsch gerechnet, mein Herr Engelbert Wald – falsch gerechnet – nicht eine Silbe sollen Sie erfahren …

Glatte kleine Schlange! wie du mir wieder entschlüpfst! rief Engelbert aus; aber ich halte dich dennoch fest, setzte er hinzu, seinen Arm nach ihr ausstreckend.

O lassen Sie mich, lassen Sie mich, sagte sie, sich ihm entwindend, mit dem schelmischsten Ausdrucke von der Welt – ich bin furchtbar böse auf Sie, Engelbert! O, mein armes Herz das Sie brechen wollten, blos um ihrer Neugier zu fröhnen! In der That, Engelbert, fuhr sie lachend fort, sehe ich aus wie die böse Sphinx aus dem Alterthum? Nun, dann werde ich sicherlich nicht mein Räthselwort hersagen und dann aus Verzweiflung, daß ich nun für den spitzbübischen Menschen die einzige Anziehungskraft verloren habe, daß er mich ruchloserweise sogleich verläßt, mit gebrochenem Herzen da unten mich in den Rhein stürzen! Nein, nein, daraus wird nichts – ich will leben bleiben, böser Engel, und damit dir deine kleine Frau pikant, interessant, fesselnd bleibe, sollst du noch Jahre lang nicht dahinterkommen, wer sie eigentlich ist!

Sie lachte laut auf, gab ihm einen leisen Streich auf die Wange und trieb allerlei neckische Possen.

Engelbert war viel zu berauscht, als daß er ernsthaft bei seinem Vorhaben geblieben wäre und sie mit Fragen gequält hätte.

Melusine! sagte er nur, während sie seine kastanienbraunen Locken schmeichelnd um ihren weißen Zeigefinger wickelte – Melusine – kleiner Dämon – Seenixe, räthselhaftes Ehegespons des biderben Bannerherrn von Staufen, weiblicher Schwanenritter von Kleve!

Siehst du – so seid ihr schlechten Männer! unterbrach Agathe ihn – da ist eine ganze Fülle von Romantik, in deren Licht du mich jetzt strahlen siehst. Was wäre ich für eine uninteressante und langweilige kleine Person für dich, wenn ich dir treulich berichtete von Papa und Mama, von den Cousinen und den Vettern, von Dem, was meine Lehrerinnen mir anempfohlen, wie viel Taschengeld ich wöchentlich vom Oheim und wie viel Kuchen ich von der Tante Pathe erhalten; wie ich von dieser guten Tante Pathe auf einer kleinen Reise den Rhein hinauf mitgenommen worden, damit ich armes Ding doch auch einmal ein kleines Stück von der Welt zu sehen bekomme; und wie mir nun diese Welt so übermäßig gut gefallen, daß ich dem Drange nicht widerstehen können, die alte Tante mit ihrem Mops und ihrer Schnupftabacksdose dasitzen zu lassen und recht mitten hinein zu laufen in die Welt und immer mehr und mehr davon zu sehen – nicht wahr – mein Engel – welche langweilige Person wäre ich dann, wenn ich die Nichte einer solchen lächerlichen Tante wäre und ihr Tag für Tag einen Mops nachgetragen hätte! Jetzt aber bin ich ein feenhaftes Wesen: um meine Stirn erblickst du die Grafenkrone der Melusine von Lusignan schimmern; wenn du träumst, siehst du mich in einem rosenumkränzten Kahn, den Schwäne ziehen, den Rhein hinuntergleiten, an dem auf dem Söller seines Thurms voll unbestimmbarer Sehnsucht meines Herzens Eroberer, der getreue Ritter Engelbert, sitzt; und die Schwäne ziehen den Kahn zum Fuße des Thurms, und wunderbare Accorde wie fernes Harfenklingen wehen um die Zinnen, und die Schwanenprinzessin da unten steigt aus …

Die verwünschte Prinzessin, die nächstens wieder davonfliegt …

Nein, nein, träumender, sehnsüchtiger Ritter, sie fliegt dir nicht wieder davon – es ist ja Alles nur in ihr die tiefe namenlose Angst, daß ihr Engel ihr davonfliegt, da die Engel nun einmal – Flügel haben!

Agathe sprach diese Worte mit einem Tone von Ernst, der beinahe etwas Melancholisches hatte.

Engelbert sah sie überrascht an.

Es ist aber doch ein ganz abscheulicher Mangel an Vertrauen, daß du so verschwiegen gegen mich bist!

Das ist es auch, fiel Agathe mit der ganzen frühern schelmischen Heiterkeit ein, ein gänzlicher Mangel an Vertrauen … o, ich vertraue euch Männern nicht im allergeringsten – für Bösewichter, Räuber, Mörder halte ich euch. Wenn ich dir gesagt hätte, welcher große und vornehme Herr mein Vater ist und welche reiche Erbin du an mir erobert hast …

Dann glaubtest du, ich hätte um deiner Reichthümer willen um dich gefreit.

Freilich, dann glaubte ich dir nicht ein Wort von allen deinen Liebesschwüren, nein, dann wäre ich sogar in ewiger Angst, du stelltest meinem armen Papa nach dem Leben, damit du desto schneller in den Besitz seiner Hotels in Paris und Wien, seiner Villa am Comersee, seiner Herrschaften in Ungarn kämest – sieh, so wenig vertraue ich euch.

Wenn ich selbst nun aber so verschwiegen gegen dich wäre, wenn ich dir von meinem frühern Leben, meinen frühern Verhältnissen nichts gesagt hätte?

Dann sagte ich dir: Lieber Engel, der du zu mir aus den Lüften niedergestiegen bist, ohne daß ich weiß, woher du kommst und wohin du gehst, ich finde dich unendlich liebenswürdig; ich sehe, daß du frei bist von allen irdischen Schwächen; du hast keinen Gran von Pedanterie und keinen Hauch von Neugier an dir; du bist kein Philister, lieber Engel, und das allein reicht hin, dich in meinen Augen anbetungswürdig zu machen. Denn du glaubst nicht, welche Pedanten und neugierige Philister unsere jungen Herren hier auf Erden sind; wie sie uns leichten poetischen Wesen, die wir über alle Wolken fortzuschwärmen lieben, damit das Leben sauer machen, diese unausstehlichen, mit einer Brille auf der Nase geborenen, in **** examinirten jungen Herren!

Engelbert mußte lachen und wußte nichts Besseres zu thun, als ihr den kleinen losen Mund mit Küssen zu schließen. Er mußte es aufgeben, der kleinen Schlange, wie er sie nannte, ihre Geheimnisse zu entreißen; und guten Muthes ließ er ihr denn diese Geheimnisse, überfroh, daß er ja sie selbst besaß!

Es ist nun einmal im Buche des Schicksals geschrieben, daß du meine Königin sein sollst, sagte er; auch die Königinnen nennen sich nur mit ihrem Taufnamen; und die stolzeste von ihnen nennt auch den nicht einmal; yo la reina zeichnet die Herrscherin von Spanien. So sagst auch du: yo, ta reina, – und weiter nichts!

So ist's recht, antwortete sie lachend, und um stumm zu gehorchen, hast du weiter nichts nöthig, als meinen Namenszug zu sehen. Jetzt aber geh, denn ich höre Hannah mit den Schüsseln klappern. »Entferne dich! Agatha Regina«, das ist meine erste Cabinetsordre.

Als Engelbert zum Essen hinunterging, hatte er eine kindisch muthwillige Freude an den verwunderten Mienen Hannah's. Es war augenscheinlich, Hannah hatte von ihrem Herrn die große Kunde mitgetheilt erhalten – und war starr darüber. Seinen Bruder neckte Engelbert mit den Worten:

Nun, Gustav, wirst du uns proclamiren am nächsten Sonntag?

Gustav schüttelte den Kopf.

Gottlob, das ist nicht meines Amtes! Ihr seid meine Pfarrkinder nicht; wäre ich euer Seelsorger, wahrhaftig, es wäre auch besser für eure verlorenen Seelen gesorgt worden!

Aber trauen wirst du uns müssen; über drei bis vier Wochen, wenn ich zurückkehre.

Wenn du deine Papiere in voller Ordnung mitbringst – sonst nicht; ich werde pedantisch streng darin sein, das merke dir!

Immerhin; Agathe wird, was nöthig ist, während ich fort bin, kommen lassen und dir geben; auch ich werde Alles beschaffen – Proclamationsatteste, Dimissorialen und was nur dazu gehört, du kleiner Gregor VII. du!



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