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7.

Es war acht Tage nach Heinrich Pimpfels Hochzeit. Da ging Meister Hempel, ohne vorher ein Wort darüber gesagt zu haben, nach dem Amtsgericht. Der Morgen war licht und schön, und der alte Mann war so heiter wie ein Jüngling, der zu seiner Braut geht.

Der Gerichtsschreiber weigerte sich, die Überschreibung vorzubereiten, bevor der Alte mit dem Amtsrichter selber gesprochen. Er ging zu dem Richter hinein, und der ließ den Uhrmacher rufen. Es ging ihm, wie es allen anderen ergangen war. Gutes Zureden war ebenso umsonst wie Hinweise auf trübe Erfahrungen, die Mendel gemacht. Da entwarf er die Überschreibung und versuchte, allerlei Klauseln und Vorbehalte einzuschmuggeln. Auch das gelang nicht. Heinrich Pimpfel und seine Frau sollten den Besitz restlos und vorbehaltlos haben. Ginge das Gericht nicht darauf ein, dann verkaufe der Meister morgen und würfe sein Geld zum Fenster hinaus.

»Behalten Sie sich wenigstens Ihre Sammlung vor,« riet der Richter.

»Nein, nichts, gar nichts. Ich will doch sehen, ob es nicht mehr wenigstens noch zwei ehrliche Leute auf der Welt gibt.«

»Natürlich sind die zwei ehrlich, Meister, aber es können sich Unterschiede in der Auffassung ergeben, ganz natürliche, die von selber kommen.«

»Dann werden sie recht haben, ich unrecht. Sie passen in die Welt, ich habe nie hineingepaßt.«

»Wenn Sie nun um alles fragen sollen! Ich will mal sagen, Sie wollen einen alten Krug kaufen.«

»Ich werde noch manchen alten Krug kaufen, aber ich kann es ebenso gern lassen.«

»Sie haben sich also alles gründlich überlegt?«

»Alles und bis ins Letzte.«

»Dann will ich die Sache vorbereiten lassen, aber schicken Sie mir vorher die jungen Leute noch einmal zu.«

»Herr Amtsrichter, Sie wollen mir die Freude durchaus verderben.«

»Das kann ich weder, noch will ich es. Sie können völlig ohne Sorge sein.«

Beinahe wäre dem Alten doch die Freude verhagelt. Heinrich Pimpfel und seine Frau baten ihn nach dem Gespräch mit dem Amtsrichter herzlich, schon um der Leute willen nicht bedingungslos zu übergeben. Als sie sahen, wie weh sie ihm damit taten, beschieden sie sich. So stand denn Meister Hempel drei Tage später als ein völlig armer Mann da, aber er war nie glücklicher in seinem Leben gewesen.

Seine Augen waren naß, als sie, vom Gericht zurückkehrend, in der Stube standen, und er den beiden die Hände entgegenstreckte: »So, nun habt ihr alles und mich dazu. Jetzt habe ich nicht umsonst gelebt.«

»Vater,« sagte Anna Pimpfel – sie sprach das Wort zum erstenmal aus –, »wenn es nun auch nicht auf dem Papier geschrieben steht, so steht es doch hier drin, was wir zu tun haben,« und sie wies dabei auf ihr Herz.

###

Die Jahre gingen. Maria Pimpfel war mehrfach in Langenbrück gewesen, sie hatten alle am offenen Grabe der lebenstüchtigen Urgroßmutter Christine gestanden, zwei Kinder, ein Bube und ein Mädel, lehnten in den Dämmerstunden an Meister Hempels Knien und schmeichelten ihm Märchen ab.

Im Städtchen hatte sich äußerlich wenig verändert. Es waren kaum drei neue Häuser gebaut worden. Heinrich Pimpfel hatte von Gotthold Wagenknecht das Grundstück an der Saale gekauft, das am Wege nach der Teufelskanzel lag. Er gedachte, da später einmal ein Haus zu bauen. Der alte Geistliche war fortgezogen, der Bürgermeister ganz plötzlich am Herzschlag gestorben. Sein Nachfolger war nur zwei Jahre in Langenbrück gewesen. Jetzt leitete ein jüngerer Mann die Geschäfte der Stadt.

Heinrich Pimpfel war »Magistrat« geworden, das heißt, man hatte ihn zum Stadtverordneten gewählt. Zum Ratmann war er noch zu jung. Meister Hempel war eisgrau, aber er hatte an das Glück glauben gelernt, und es hatte ihn verjüngt. Er sammelte nicht mehr, vernachlässigte eher seine Sammlung über der Freude, die er an den Kindern hatte.

Der Herbststurm brauste. Da traf eine Depesche vom Strande der Nordsee her ein, daß Maria Pimpfel schwer krank sei. Sohn und Schwiegertochter liefen noch am gleichen Tage nach Pößneck und fuhren von da aus nach Norden. Es war Anna Pimpfels erste große Reise.

Mit ernsten, prüfenden Augen sah sie auf das Land, durch das sie der Zug trug. Die beiden Leute sprachen wenig. Sie wußten, daß sie an ein Sterbebett treten würden; denn stünde es nicht ganz schlecht, dann hätte die Mutter sie nicht rufen lassen. Dann und wann fiel ein kurzes Wort über die Landschaft. »Hier ist es ähnlich wie bei uns. Sieh, das ist die Elbe. Nun biegen wir nach Nordwesten ab.«

Der graue Morgen brach herein, da fuhren sie der Küste entgegen. Rundum war das Land flach. Ein grauer Dunst lag darüber und verdüsterte den Tag. Der Sturm war noch stärker geworden. Und jetzt geschah ein Wunder. Die grauen Schwaden hasteten wie gespenstische Reiter über die weiten, gelbgrünen Fluren. Jählings brach die Sonne heraus.

Im Sonnenlichte, das aber ohne Wärme war, stiegen Heinrich Pimpfel und sein Weib aus dem Zuge. Ein Bauer fand sich bereit, sie zu fahren. Als sie eine flachgewölbte Bodenwelle hinanfuhren, überfiel sie ein Brausen und Donnern, als sollte die Welt in ihren Grundfesten erschüttert werben.

»Was ist das?« Anna Pimpfel neigte sich erschauernd ihrem Manne zu.

»Das ist die See.«

» Das ist die See?«

Sie schwieg, aber sie rückte sich gespannt gerade. Nun hörte sie das Meer; bald würde sie es sehen, und sie fragte sich, ob es sie innerlich niederschmettern oder erheben werde. Die Stimme des Wassers ward immer lauter, aber ein hoher Deich versperrte den Ausblick.

Der Wagen hielt. »Da wohnt Fischer Karsten.«

Der Mann trat aus der Tür. Heinrich Pimpfel fragte ihn, wie es der Mutter ginge.

»Es geht wie all die Tage her. Sie sagt, sie werde sterben, aber das kann sie wohl nicht wissen. Der Doktor findet keine Krankheit.«

Maria Pimpfel war nicht krank, sie zerbrach in sich. Mit rührender Gebärde streckte sie ihren Kindern die Hände entgegen.

»Daß ihr doch gekommen seid! Kommt her, daher und daher.« Sie wies zur Rechten und zur Linken des Lagers. »Was habt ihr für warme Hände. Ist es euch sehr schwer gefallen, zu kommen?«

»Aber Mutter,« wehrte der Sohn ab. »Es sollte uns schwer werden, zu dir zu kommen?«

»Von den Kindern konntet ihr keins mitbringen?«

»Das Wetter ist zu rauh. Adolf läßt dich grüßen und Brigitte schickt dir ein Blümchen.« Anna Pimpfel suchte in ihrer Handtasche. »Das hat sie vorgestern gepflückt.«

Es war ein bescheidenes rotes Blümchen der Pflanze, die in Langenbrück fast in allen Stuben steht, und die sie »das fleißige Lieschen« nennen, weil sie das ganze Jahr blüht.

»Ich danke dir, Anna. Grüß die Kinder wieder. Ich hätte sie gern noch einmal gesehen.«

»Aber Mutter, warum solltest du denn das nicht? Wir sind ja so froh, daß du nicht kränker bist.«

Maria Pimpfel lächelte. »Ich bin nicht krank, aber ich bin so müde, daß ich schlafen gehen will. Wäre ich drin in der Stadt geblieben, wäre ich vielleicht ein paar Jahre älter geworden, aber ich hätte weniger vom Leben gehabt. – Es ist Sturm? Ich höre es. – Vielleicht könnt ihr bald wieder heimfahren, aber jetzt bleibt ihr bei mir.«

»Mutter,« die Schwiegertochter wandte sich bittend an sie, »es will mir scheinen, als fehle es dir an einem. Du bist nicht böse, wenn ich es sage?« Die Kranke schüttelte lächelnd den Kopf. »Du willst nicht mehr.«

»Ich weiß nicht, ob du recht hast. Ganz recht sicher nicht. Wir reden wohl noch einmal darüber.«

Anna Pimpfel neigte sich über sie. »Es warten doch zwei Enkelkinder auf dich. Sollen sie keine Großmutter mehr haben? Wenn die Großmutter fehlt, dann fehlt ihnen ja ebensoviel, als wenn keine Mutter da ist.«

»Anna, ich kann keine Märchen erzählen, und ich kann nicht in der Schummerstunde leise Lieder singen. Ich habe ja so viel Not damit gehabt, ich wollte werden, wie andere Frauen und Mütter auch sind. Kind, das Leben hat zu wenig von mir verlangt, und als es einmal, ein einzig Mal, viel von mir forderte, da war es zu viel. Sieh, ich weiß nicht, ob ich meinen Vater und meine Mutter liebgehabt habe. Wir waren doch alle so harte Leute. Deinen Vater, Heinrich, den habe ich liebgehabt unter bitteren Schmerzen. Nun habe ich euch lieb, und es ist so leicht. Auf dies Liebhaben kann ich mir nichts zugute tun. Dazu ist keine Kraft nötig, nun nicht mehr, nun ich eine andere geworden bin. Heinrich, ich – habe lange mit mir gerungen. Dreimal habe ich angesetzt, zu euch zu kommen. Ich – habe nicht gekonnt. Das Meer ist in mich hineingeboren, und ich bin in das Meer hineingeboren. Ihm kann ich nicht untreu werden. Vergebt mir, ihr zwei.«

Das Gesicht der ringenden, müden Frau zeigte männliche Züge. Es war eine Männlichkeit, wie sie der Greis aufweist, der sich damit abgefunden hat, daß er beiseitetreten muß, aber während er in der Tiefe der Augen trotz allem das Zeichen des Erfülltseins aufweist, lag in denen Maria Pimpfels bis zum letzten Atemzuge eine unerfüllte Forderung. Es vollendete sich ein Leben, das zu seinem Wege ein Vielfaches der Kraft gebraucht hatte, mit der Menschen gewöhnlichen Schlages auskommen.

Der Sohn fühlte es, und die Erkenntnis hieß ihn sich in heißem Erbarmen und tiefer Liebe über die Mutter neigen. Er küßte sie auf die Stirn. Die war so kalt wie die armen, hageren Hände.

»Wollt ihr nicht einmal auf den Deich gehen?« fragte die Mutter.

»Du hättest es gern?« wandte sich die Schwiegertochter an sie.

»Ja, Anna. Ich möchte gern wissen, wie du das Meer siehst.«

Die beiden jungen Menschen standen auf dem Deiche. Hochflut und Sturm! Heinrich Pimpfel zog den Mantel fester um sich. Sein Weib bot sich dem Sturme dar, stand still, und ihre Seele war auf das Höchste gespannt. Kein Vergleich formte sich in ihr. Sie erschrak weder, noch regte sich ein Gefühl der Bewunderung. Es war ganz leer in ihr. Eine ganz große Hilflosigkeit ließ sie weder zu einem Rufe, noch zu einem Gedanken kommen.

Der Mann sagte leise: »Das ist das Meer!« Und es lag Grauen und Abwehr darin.

Da wandte sich ihm das Weib zu. »Heinrich, sag der Mutter, ich bliebe nicht lange, aber ich muß noch ein Weilchen bleiben. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich gehe nicht weiter. Tu mir die Liebe, laß mich allein. Das – ist – das – Meer!«

Still kehrte Heinrich Pimpfel zurück, still trat er an der Mutter Lager. »Anna will noch ein Weilchen draußen bleiben.«

»Und du, Heinrich?«

»Mutter, ich kann nicht mit dem Meere zurechtkommen.«

»Ja, es ist – furchtbar, am furchtbarsten, wenn man es – liebhaben muß. Komm, Heinrich, erzähle mir von dem guten alten Meister Hempel. Wie geht es ihm? Sammelt er immer noch?«

Auf dem Deiche aber stand das junge Weib und sah, eine scharfe Falte in der Stirn, dem Wasser entgegen. Auch jetzt erschauerte sie nicht vor der Gewalt des Meeres, aber sie erschauerte vor der Unendlichkeit. Auf dem Lande ist alles endlich, und mag der Blick noch so weit schweifen. Der eisstarrende Berg bezwingt durch Erhabenheit und Ruhe, aber nur das Meer läßt die Unendlichkeit spüren. Und es ist ein furchtbares Wort: Unendlichkeit! Und ist unmittelbar benachbart dem Donnerworte Ewigkeit.

Es grauste Anna Pimpfel nicht vor dem Brüllen der Wogen, nicht vor den weißen Schaumbergen, die tausendgestaltig anstürmten, das Meer hatte nur eine Stimme, nur ein Letztes und Tiefstes. Ewige Unendlichkeit! Die Frau rettete sich nicht in das: Ich bin Gottes Kind! Sie flüchtete nicht vor dem offenen Tore der Ewigkeit und nicht vor der unbegreiflichen Weite der Unendlichkeit, sie sank, fast lächelnd, hinab in das: Was ist der Mensch, daß du sein gedenkst! – Das ist das Meer! Es umspannt die Erde, dünkt mich unendlich, und es sind ihm doch Grenzen gesetzt, Grenzen, die, das wußte sie von einer guten Schule her, auf der einen Seite in brennende Glut, auf der anderen in starrendes Eis hinabtauchen. Alles endlich und doch so groß, daß es Menschensinn schon unendlich erscheint. Da aber, wo die wahre Unendlichkeit beginnt, sitzt Gott, der auch das Endliche in der Hand hat.

Das ist das Meer! Ja, das Meer duldet nicht das enge Behagen. Es schleudert den Menschen hinaus in die Weite. Wer aber den Wurf nicht fürchtet, sondern ihm gewachsen ist, und sich, auf seine eigene Kraft ebenso vertrauend wie auf Gott, dem Ungeheuren stellt, ja, das ist ein Mensch, der im Höchsten und Letzten heimisch ist. Davon kommt er nicht wieder los, und er kommt nicht wieder von dem Meere los.

Es ist nicht ein einziger Gedanke, den Anna Pimpfel klar in sich formt, nicht mit einem Worte vermöchte sie wiederzugeben, was ihre Seele fühlt, aber eines ist nun unverrückbar fest in ihr: Sie versteht ihres Mannes Mutter. Jede Sekunde, in der sie einst, wenn auch nur zaghaft und im tiefsten Herzen verborgen, sie der Härte bezichtigte, bittet sie ihr ab.

So ist das Meer und so ist das Leben! Das Weib kennt das Wort: Tragik! nicht, aber sie fühlt mit heißem Erbarmen die ganze Tragik der Frau auf dem Krankenlager, in deren Weibeskörper Gott eine Mannesseele senkte, die Seele eines ganz starken Mannes, der, in anderer Zeit geboren, auf das richtige Feld gestellt, ein Baum mit weit schattendem Geäst geworden wäre.

Und, es ist merkwürdig, mitten im Tosen der See und mitten im Suchen nach der tiefsten Verankerung der Seele der starken Frau, muß sie an Adolf Hempel denken, den kleinen Uhrmacher in Langenbrück. Es ist ein jähes, scharfes Licht, das auf seine Lebensbahn fällt. Sie nimmt ihn längst ernst, sie lächelt auch nicht mehr über seine kindliche Freude an den alten Krügen und Kannen, aber jetzt, zum ersten Male, erfaßt sie die tiefe Tragik, die auch sein Leben umwittert, ganz. Zwei Menschen völlig gegensätzlicher Art. Dem einen die Unendlichkeit gerade wert genug, dem anderen mehr als fünf Jahrzehnte die engste Enge noch zu weit. Beide standen sie an Randgebieten und waren leidvoll und unglücklich, beide strebten sie der Mitte zu und – wurden glücklich? Hempel ja; denn der Weg aus der Enge in eine bescheidene Weite ist leichter als der aus der Unendlichkeit in die Enge.

Heinrichs Mutter hat zu ihren Kindern in die Berge gewollt. Sie hat es nicht gekonnt, sie wird es nie können. Das Meer! Es hat sie glücklich und unglücklich gemacht. Heimat ist es ihr und damit Schuld und Rechtfertigung. Die Grübelnde hört nicht mehr des Meeres Tosen, sie hört des Lebens Donnergang. Menschen, die am Rande gehen! Sie und ihr Mann gehen nicht am Rande, sie gehen mitten in der Schar. Aber es kann Menschen geben, die zeitlebens unglücklich waren und doch ein – beneidenswertes Leben hinter sich brachten. Maria Pimpfel? Beneidenswert? Das junge Weib faltet die Hände: Lieber Gott, laß uns in der Mitte bleiben. Nicht zu groß, nicht zu klein, nicht zu eng, nicht zu weit, nicht zu glücklich, nicht zu unglücklich. Aber das will ich dir versprechen: Ich will den Platz, auf den du mich gestellt hast, ganz ausfüllen. Und ein anderes will ich dir versprechen: Ich will die Menschen, die am Rande gehen müssen, liebhaben, sosehr ich kann. Sie wendet sich abermals dem Meere zu, und jetzt sieht sie es, wie es andere Menschen auch sehen, und es steigen dieselben Fragen auf, die in allen aufsteigen. Woher kommt das viele, viele Wasser? Ist es überhaupt möglich, zwischen solchen Wellenbergen zu fahren? Möchtest du wohl hier wohnen? Nein, ich möchte nicht, aber das weiß ich, daß dies heute mein stärkstes Erleben ist. So hatte ich mir die See doch nicht vorgestellt.

Als sie in Fischer Karstens Haus zurückkehrt, sind ihre Augen ganz tief. Sie tritt an der Schwiegermutter Bett und nimmt deren Hand. »Jetzt habe ich das Meer gesehen.«

Die Kranke blickt sie forschend an und lächelt befriedigt.

»Man kann es nicht sagen,« spricht Anna Pimpfel.

»Nein,« der Mutter Stimme ist hart und fest. »Nein, das soll man nicht versuchen. – Ruht euch jetzt aus. Ihr seid müde.«

Die beiden weigern sich zu schlafen. Die Mutter wünscht es. Sie will allein sein. Es ist eine stille Abrechnung, bei der sich die Hände ineinanderlegen, der Mund herb geschlossen ist und dann lächelt. Ein weltfernes, jenseitiges Lächeln. Abgetan. Ich habe gelebt, nun gehe ich schlafen, und wenn ich wieder aufwache, dann liegt alles, alles hinter mir, und wir sind wieder zusammen, wir zwei, die einander so liebgehabt haben.

Der Abend kommt, der Sturm brüllt lauter, Wolken jagen über die matte Mondscheibe. Da hebt Maria Pimpfels letzter Kampf an, Er ist schwer. Immer will das Herz stillestehen, immer zwingt es der Atem zu neuen Schlägen. Die natürliche Todesangst bricht aus. Das Weib richtet sich auf, starrt entsetzt in die Ecke, reißt alle Kraft und allen Willen zusammen, lehnt sich zurück: Was ist weiter dabei? Davor sollte ich mich fürchten, daß das Herz stillsteht? Ich will mich nicht fürchten. Hermann! – Das Meer! Ich sollte mich fürchten?

»Mutter, soll Karsten nicht lieber den Arzt holen?«

»Nein! – Hört ihr die See und den Sturm? – Kinder, ihr müßt euch sehr liebhaben, sehr – lieb!« Sie lächelt mit schmerzverzogenen Lippen. »Es – ist – gar – nicht – schwer. Man muß nur wollen. Jetzt – jetzt – kommt – der – Augenblick. Laßt mich! Nein – es gibt viel Schwereres – als – sterben.«

Ein Ruck geht durch den ganzen Körper und ein In-sich-Zusammenfallen. Die Augen sinken zu, das Antlitz wird streng, aber nicht hart. Maria Pimpfel ist tot, sie hat sterben wollen, sie ist dem Tode mutig entgegengegangen und keinen Schritt beiseitegewichen, als er kam.

Ein Brief verständigt Meister Hempel davon, daß Heinrich und Anna noch etliche Tage fernbleiben müssen. Es ist unendlich viel zu besorgen, viele Wege sind nötig. Die Mutter hat nicht ausdrücklich gewünscht, im Angesicht des Meeres begraben zu sein, sie soll neben dem Vater schlafen.

Als Anna Pimpfel zum letzten Male auf den Deich geht, liegt das Meer still und bleigrau da. Der Sturm ist eingeschlafen. Es ist Ebbe. So kann das Meer auch aussehen! Die Frau wendet sich. Jetzt hat es ihr nichts zu sagen, und wollte sie versuchen, ihr Empfindungen zu formen, es kämen herbe, abweisende Worte heraus. –

Die Beerdigung ist vorüber. Nur eine Handvoll Leute brachte die Tote mit zur letzten Ruhe. Der Geistliche spricht recht und schlecht. Was soll er auch sagen? Er hat ja die Kämpferin nicht gekannt.

Um hie weite Reise nicht noch einmal machen zu müssen, regelt Heinrich Pimpfel die Hinterlassenschaft. Er erschrickt; denn nun ist er ein vermögender Mann. Für das Haus findet sich ein Käufer. Die Mutter besaß auch noch etliche Morgen Feld in der Marsch. Ein Vetter nimmt sie ihm ab. Vierzehn Tage sind die beiden noch droben in der Ebene. Der Mann sehnt sich stärker heim als die Frau. Er kann sich nicht helfen, das Land stößt ihn ab. So hart empfindet es Anna Pimpfel nicht, wenn sie auch nicht da wohnen möchte.

Langsam wandelt sich auf der Heimfahrt die Landschaft wieder. Die Elbe bleibt zurück. Berge buckeln heraus.

Anna Pimpfel wendet sich an ihren Mann. »Wir haben die Mutter zu wenig liebgehabt.«

»Heute weiß ich es auch.«

Stunden vergehen. Da ist die Saale.

»Heinrich, nun kommen wir wieder zu unseren Kindern.«

»Ja, nun kommen wir wieder heim. Nun wird manches anders werden.«

»Was willst du machen?«

»Ich werde bauen.«

»Heinrich!«

»Wir bauen ein schönes Haus an der Saale.«

»Mann, du hast mir meinen Gedanken weggenommen.«

»Das kommt oft vor. Du bist also einverstanden?«

»Ich wollte dir dasselbe vorschlagen.«

»Warum?«

»Wir haben jetzt so viel Geld, und – –«

»Das könnten wir auf der Sparkasse liegen lassen.«

»Mir ist so, als gehörten wir nicht mehr in das alte Haus. Wir sind alle andere Menschen geworden.«

»Der Vater wird nicht mit ausziehen wollen.«

»Er ward auch ein anderer.« – –

Meister Hempel zog mit aus. Aller harte Kampf war vorüber. In dem neuen Hause an der Saale wohnten Arbeit und Frieden, und Gott hielt seine Hand darüber.

 


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